Erstausgabe November 2011
© 2011, Kölnisch-Preußische Lektoratsanstalt
Dr. Heinlein, Schmitz & Schubert GbR
Umschlaggestaltung und Satz:
Kölnisch-Preußische Lektoratsanstalt
Umschlagfotografie Jörg Stevens,
Druck: Aalexx, Großburgwedel
E-Book-Konvertierung:
ISBN 978-3-940610-14-0
Currywurst und Dolce Vita
Didi und Hasi, die Auswanderer vom Gardasee
von Ingrid Schmitz
Ich habe sofort gefühlt: die beiden sind durch und durch echt. Hasi und Didi kann man nicht einfach erfinden. Bei vielen Reality-Soaps im TV spürt man als Zuschauer sofort, dass hier ein exaktes Drehbuch vorliegt, dass es sich um Laien-Darsteller handelt, die eifrig bemüht sind vor laufenden Kameras ihr Bestes zu geben.
Nicht so bei Hasi und Didi. Als ich sie das erste Mal sah, war ich gleich fasziniert. Was machen zwei Menschen mit einer feuerroten, rollbaren Frittenbude am Gardasee? Sind die durchgeknallt oder einfach nur konsequent, weil sie es noch einmal in ihrem Leben wissen wollen...?
Viele von uns kennen das. Die Kinder sind groß, und die Frage steht im Raum: „War’s das jetzt, sollen wir nun genau so weiter machen für den Rest unseres Lebens?“ Die Antwort bei Hasi und Didi lautete: „Nein“.
Hasi und Didi sind keine Träumer und keine romantischen Spinner. Sie verwechseln Auswandern nicht mit Dauer-Urlaub. Dazu haben sie schon zu vieles in ihrem Leben erlebt und gemeinsam durchstehen müssen. Sie sind Kämpfer, hart arbeitende Menschen und absolute Individualisten, die für ihren Traum ganz hart schuften wollen ... und leider auch immer wieder müssen. Ihnen wurde und wird nichts geschenkt; auch nicht in Bella Italia.
Aber sie haben eine tolle Idee, super leckeres Essen, und sie haben sich. Sie sind das eigentliche Kapital ihrer Idee. Da ist Hasi, der kleine „Kampfterrier“, der immer wieder Anlauf nimmt, auch wenn die Situation auch noch so aussichtslos erscheinen mag. Und Didi, der zwar mitunter ganz schön sauer auf Hasi ist, aber den Antrieb seiner kleinen Energiemaschine braucht und schätzt. Umgekehrt ist es Didi, der seine starken Arme unendlich breit öffnen kann, wenn Hasi gelegentlich am Leben und besonders an den italienischen Behörden verzweifelt. Wenn bittere Tränchen kullern, dann ist der große Didi da. Didi tröstet, Didi beruhigt, und Didi nimmt die Luft aus dem Kessel, wenn sein Schatz (mal wieder) unter Hochdruck steht.
Er liebt sie. Sie liebt ihn. In guten wie in schlechten Zeiten. So einfach ist das, wenn man Hasi und Didi heißt.
Ich bin mir ganz sicher, dass es so bleiben wird. Pott und Deckel. Das passt.
Ich jedenfalls wünsche meinen beiden TV-Helden von Herzen noch viele wunderbare Jahre am Gardasee.
Margarethe Schreinemakers (Fan der ersten Stunde ...)
Hasi
Mein zukünftiger Mann musste ein Camper sein. Das habe ich mir immer schon gewünscht. Dann lernte ich Didi mit sechzehn Jahren in einem Jugendtreff kennen. Er hatte noch nie in seinem Leben gezeltet.
Als Frischverliebte stand uns zwar die Welt offen, von der wir viel sehen wollten, doch zu allererst sollte er sich auf einem Campingplatz bewähren. Nicht jeder Neuling mochte es, wenn man den Platznachbarn schnarchen, pupsen oder schmatzen hörte oder womöglich selbst dabei gehört wurde. Manche kamen damit nicht klar, wenn sie auf dem Weg zum Waschhaus wildfremden Menschen die Tageszeit sagen mussten. Sätze wie: „Schönes Wetter heute, nicht?“ oder „Es gibt bestimmt noch Regen“ oder „Da lassen wir uns mal überraschen, ob sich das Wetter hält“, sind da gang und gebe. Saß man vor dem Zelt, Wohnwagen oder Wohnmobil kamen die Camper grüßend vorbei geschlendert und winkten mit ihren Tüten, Kulturbeuteln oder Klorollen. Achtundvierzig, neunundvierzig Mal am Tag musste man das Grüßen erwidern.
Ich mochte das. Oft kam ich erst Stunden später vom Waschhaus zurück, weil ich mich festgequatscht hatte. Außerdem gab es auf einem Campingplatz Freiheit und Natur pur. Aber ob Didi das auch mochte?
Seine Familie hatte mit ihm immer nur in Pensionen übernachtet. Deshalb nahmen meine Eltern und ich ihn erst einmal mit ins Sauerland, zum Biggesee – klein anfangen. Das war an Himmelfahrt, weiß ich noch ganz genau. Es schüttete wie aus Eimern. Ausgerechnet. Ich hatte die Befürchtung, dass er nur zweimal in seinem Leben Camping machen würde: Das erste und das letzte Mal. Das war kein guter Start. Also machte ich ihm ein Angebot.
Didi
Stimmt. War reizend, dein Angebot, an meiner Stelle im Zelt zu schlafen.
Es fiel mir schwer, einzusehen, dass ich nicht zu Hasi in den Schlafsack kriechen durfte, weil sie noch nicht volljährig war. Ich musste im Wohnwagen bei ihren Eltern schlafen. Jedes Zuchthaus hätte sie sich als Aufseher gewünscht. Als es später wie bekloppt regnete und ich von Hasi hörte, dass die Luftmatratze im Zelt nur 1,80 m lang ist, versöhnte mich das ein klitzekleines bisschen. Ich bin 1,94 m.
Nachdem ich den Campingtest bestanden hatte – der für mich nicht darin bestand, ob ich mich fürs Campen eigne, sondern, ob ich zu Hasi ins Zelt schleiche – durfte ich zwei Urlaube später mit ihr im Wohnwagen schlafen. Ich lernte den Campingplatz Gasparina im Süden des Gardasees kennen, von dem sie mir immer wieder vorgeschwärmt hatte. Sie war mit ihren Eltern – zum ersten Mal mit sechs Jahren – regelmäßig an diesen Ort gefahren. Wir beide wollten das beibehalten und eines Tages auch mit unseren Kindern hierhin kommen.
Bisher hatte ich zwar immer behauptet, NIE zweimal an denselben Urlaubsort fahren zu wollen, aber ich musste meine Meinung gewaltig ändern.
Hasi
Jahre später kamen wir als Ehepaar zurück. „Einmal Gardasee – immer Gardasee” wurde unsere Devise. Es hatte uns zwar zwischendurch mal nach Ungarn, Kroatien, Spanien und Schweden verschlagen, aber wenn wir dort waren, stellten wir spätestens nach einer Woche fest, dass der Gardasee mindestens genauso viel zu bieten hatte: Ein tolles Klima, Berge, natürlich den See nicht zu vergessen, das Dolce Vita und die ureigene Mentalität der Italiener, die auch der unseren entsprach.
Im Jahr 1988 kam dann unsere Carina zur Welt. Danach machten wir zunächst einmal nur Kurzurlaube in der näheren Umgebung von Wermelskirchen – meistens auf Campingplätzen. Aber sobald Carina zwei Jahre alt war, ging es wieder ab über den Brenner, an den Gardasee. Meistens trafen wir uns mit Freunden und Bekannten auf dem Campingplatz, deren Kinder zu dem Zeitpunkt auch noch klein waren, und sehr oft waren auch meine Eltern, Tante Geli und Onkel Schorsch mit dabei. Bei uns war immer etwas los.
Dennis erblickte 1990 das Licht der Welt und Monate später fuhren wir mit ihm im Kinderwagen über den Campingplatz.
Peschiera war zu unserem zweiten Zuhause geworden. Die lange Fahrt machte uns nichts aus. Die nahmen wir gerne in Kauf. Sobald wir auf Gasparina ankamen, begann für uns der Urlaub, konnten wir vom ersten Tag an entspannen.
Es lag auch daran, dass der Campingplatzbetreiber Gino und seine Frau Victoria uns so vertraut waren. Sie erlebten mich als Klein-Anke und sahen mich aufwachsen. Jahrzehnte später spielten seine drei Töchter und sein Sohn mit unseren Kindern. Mittlerweile hat er sich zur Ruhe gesetzt und seine Kinder haben die Regie übernommen. Trotzdem schauen Gino und seine Frau Victoria auf dem Campingplatz stets nach dem Rechten und sind immer für uns da.
Gino hat auch bei unserer Auswanderung eine große Rolle gespielt. Hätten wir ihn nicht als Berater und Dolmetscher gehabt ... aber eins nach dem anderen.
Didi
Genau, nicht alles vorweg nehmen. Anfang 2000 hatten wir mal überlegt, einfach so rumgesponnen, wie es wohl wäre, wenn wir am Gardasee leben würden. Es war immer schon unser Traum gewesen, hier ein Restaurant zu eröffnen, mit deutschen Spezialitäten: Schweinshaxen, Schweinebraten, Sauerbraten und so weiter. Alles Gerichte, die es am Gardasee nicht gibt – und da Hasi von ihrer Mutter wunderbar kochen gelernt hat ...
Aber den Plan haben wir dann ziemlich schnell verworfen, weil die Pachten in Italien nicht zu bezahlen sind. Soviel Schweinebraten kannst du gar nicht verkaufen, denn man muss ja das ganze Jahr über Pacht bezahlen, also im Sommer genauso wie im Winter, in dem man kein Geld verdient.
Dennoch ließ uns der Gedanke nie los, am Gardasee zu leben und zu arbeiten. Nur womit sollten wir unseren Lebensunterhalt verdienen? Wir hatten da eine vage Idee, aber keine konkrete Vorstellung davon, wie man sie umsetzen könnte. Im September 2007 spannen wir den Faden weiter. Zu der Zeit ging es mir gesundheitlich nicht so gut. Es fing an mit unerklärlichen Schweißausbrüchen und Zittern in den Händen, Angstzuständen und diesem Scheißgefühl im Magen. Mein gesamter Körper rebellierte. Ständig hatte ich diesen Druck auf den Ohren, den Druck im Kopf. Dass das mit dem Druck in der Firma zusammenhing, merkte ich erst viel später. Hatte mich wohl etwas übernommen, zudem schafften mich die angekündigten Veränderungen im Betrieb, weil ich wusste, was das bedeutete.
Spontan legten wir einen kurzen Erholungsurlaub in unserer Zweitheimat auf dem Campingplatz Gasparina am Gardasee ein. Abends auf der Terrasse kamen wieder diese Wünsche und Sehnsüchte: „Hier müsste man wohnen, dann würde es uns allen besser gehen. Wenn wir kein Restaurant eröffnen können, weil die Pacht zu hoch ist, müssen wir die festen Kosten eben senken und das so gesparte Geld für die Monate zurückhalten, in denen wir nichts verdienen“, meinte ich zu Hasi. Wir überlegten, womit wir die vielen hungrigen Touristen bedienen könnten ...
Hasi
Genau. Wir haben uns die Köpfe heiß geredet und qualmig gedacht – und dann kam uns die Idee. Wir wussten vom Camping: Jeden Tag bei den hohen Außentemperaturen kochen – zu heiß. Jeden Mittag oder Abend am Grill stehen – hast du auch keinen Bock drauf. Jeden Mittag Pizza oder Pasta? Mit vier Personen kannst du nicht jeden Tag essen gehen. Kannste nicht finanzieren, außerdem steht es dir irgendwann bis zum Hals. Das ging auch anderen so. Kaum waren wir wieder in Deutschland, ging es los: „Boah, jetzt mal ne leckere Currywurst mit Pommes.“ Da lief einem schon das Wasser im Mund zusammen, bevor einer von uns zur Imbissbude rennen konnte.
„Das isses!“, hatten wir fast gleichzeitig gerufen. „Currywurst bekommst du nirgendwo am Gardasee.“ Nee, wirklich. Dabei gab es dort so viele Deutsche und Holländer, die das bestimmt auch vermissten. Das war die Marktlücke. Warum sollten wir es nicht riskieren? „Die Italiener kommen mit der Pizza nach Deutschland, die Türken mit dem Döner, die Chinesen mit der knusprigen Ente, und da gehen wir jetzt mal mit der Currywurst nach Italien.“
Wir holten uns auf dem Campingplatz mehrere Meinungen zu unserer Idee ein, sprachen auch mit den italienischen Freunden darüber, zum Beispiel mit Sven, dem Chef-Animateur. Vielleicht konnte er uns später mal wichtige Tipps für die Kundenanimation geben. Er war sich zunächst nicht sicher, ob das hier in Italien mit Currywurst & Co so gut angenommen würde. Wir sollten uns erst einmal im Rathaus nach den Bestimmungen für einen Imbisswagen erkundigen.
Didi
„Siehste“, sagte ich zu Anke, „so schlimm ist das nicht mit den Einwanderungsbestimmungen. Alles kein Problem.“
Laut Auskunft mussten wir nur die Anträge stellen, ein paar Bedingungen erfüllen, uns in Deutschland abmelden und hier anmelden. Aber das Allerwichtigste und Dringlichste für unser neues Leben in Italien waren zunächst einmal zwei Dinge: Einen Imbisswagen besorgen und eine Wohnung mieten.
Das mit der Wohnung nahmen wir sofort in Angriff. Ich war fest entschlossen endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Es sollte kein wertvoller Tag mehr verstreichen und deshalb schleppte ich Hasi direkt zur Maklerin Rosanna. Uns war das Immobilienbüro erst kürzlich bei einem Stadtbummel aufgefallen, weil im Schaufenster das Schild „Wir sprechen Deutsch“ hing. Das kam uns sehr entgegen. Bei Rosanna erfuhren wir, welche Wohnungen zu welcher Miete in unserer bevorzugten Wohngegend freistanden. Wenn man Glück hatte, bekam man in Italien ein paar Quadratmeter mehr für sein Geld. Die Wohnung musste für mindestens vier Jahre gemietet werden. Das störte uns nicht. Wir wollten nicht nur für vier Jahre hier bleiben, sondern für immer.
Wie wohnten die Italiener überhaupt? Rosanna zeigte es uns und versprach, eine Auswahl zusammenzustellen.
Hasi
Ich bekam fürchterliche Bauchschmerzen, als Didi mir sagte, dass wir schon nächstes Jahr – im April 2008 – die Saison eröffnen könnten, wenn alles klappt.
Da musste ich es ihm sagen: „Schatz, überleg doch mal, das geht alles viel zu schnell. Dennis ist gerade mal 17, der geht noch zur Technischen Hochschule, Carina steckt mitten in der Ausbildung. Bis sie Erzieherin ist, dauert es noch etwas. Machbar ist maximal 2009. Dann ist Carina soweit fertig, Dennis hat die Schule abgeschlossen, und wir haben mehr Handlungsspielraum.“
Wir hatten schon mehrmals mit den Kindern über eine eventuelle Auswanderung gesprochen. Sie würden nicht unvorbereitet sein, wenn wir sie nun direkt dazu befragten. Aber ich sah uns da nicht so zügig auswandern, wie Didi es gerne gehabt hätte. Sicher, ich konnte verstehen, dass er so drängte, aber ich hatte Angst vor der eigenen Courage. Das Vorhaben war nicht einschätzbar.
Genauso, wie der Brief, der auf dem Tisch lag, als wir aus Italien nach Hause kamen. Er war von der Stadtverwaltung. Mit einer Gehaltserhöhung für meinen Hausmeisterjob rechnete ich eher nicht. Ich hatte absolut keine Ahnung, was die wollten. Es war ungewöhnlich, dass sie mir schrieben. Normalerweise riefen sie mich ins Chefzimmer, wenn sie was wollten ... aber als ich das Schreiben öffnete ... also da ...
Didi
Ist besser, ich erzähle es. Im Brief an Hasi steckte, statt einer Gehaltserhöhung, die Kündigung ihrer Arbeitsstelle, nebst Kündigung der dazugehörigen Dienstwohnung. Es war ein Schock für uns alle.
Nachdem der erste Schrecken vorüber war, schlich sich bei mir die Hoffnung ein, dass der Auswanderung nun nichts mehr im Wege steht. Für die kurze Zeit eine neue Wohnung mieten? Das machte keinen Sinn. Wenn wir also 2007 innerhalb Wermelskirchen wieder umgezogen wären, dann wären wir wahrscheinlich nie ausgewandert. Man zieht nicht innerhalb eines Jahres zwei Mal um. Das ist ja alles mit hohen Kosten verbunden.
Kurz darauf, im November 2007 bekam Dennis den Bescheid zum Einstellungstest beim Bund. Er hatte die Möglichkeit, eine Ausbildung zum Chemielaboranten zu machen, wenn er sich für acht Jahre verpflichtete. Da er aber erst 17 Jahre alt war, sollten wir die Zustimmung geben. Wir sagten ihm: „Entscheide du, wir wollen uns hinterher nicht vorwerfen lassen, du musstest zur Bundeswehr gehen, weil wir auswandern wollten.“
Dennis entschied sich für die Bundeswehr. Seitdem er vierzehn ist, war es sein größter Wunsch, Berufssoldat zu werden. Sportlich hat er sehr viel drauf. Ist schließlich Meister im Karate. Also hatten wir ihn gut untergebracht. Auch für Carina wäre gesorgt. Sie könnte jederzeit zu meinen Eltern ziehen und sich in meinem ehemaligen Jugendzimmer neu einrichten, falls sie nicht mit uns nach Italien kommen will. Ich bedrängte Hasi: „Du MUSST dich entscheiden. Entweder, wir schaffen es jetzt, oder gar nicht.“
Hasi
Der Schock der Kündigung saß mir noch immer in den Knochen, und dann sollte ich mich sofort festlegen?
Im Gegensatz zu mir wusste Carina, was sie wollte. Sie entschied sich für ihre Ausbildung zur Erzieherin. „Das geht vor“, meinte sie unter Tränen. Sie konnte nicht so einfach abbrechen, sondern musste alles in Ruhe beenden und hier in Deutschland Fuß fassen.
Da war es für mich klar. Ich griff zum Hörer und rief Dirk übers Handy an, weil er zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause war, und sagte: „Schatz, du hast die ganze Zeit gesagt, ich soll mich entscheiden. Ich habe mich entschieden. Gardasee, wir kommen!“