Noch heute durchfährt mich ein jähes Zittern, wenn ich daran zurückdenke, wie ich mich in jenen späten Tagen des Wettbewerbs fühlte. Zwar waren meine Erinnerungen zurückgekehrt, doch die verstörenden Bilder, die sie in meinem Kopf entfachten, sorgten keineswegs für Klarheit. Angst beherrschte mich. Angst und Unsicherheit.
Dabei sollte man in seiner ersten Verliebtheit doch glücklich sein, glücklich und nichts anderes. Aber das war ich nicht. Ich war verwirrt, zutiefst verunsichert. Und das hasste ich.
Phillip schürte etwas noch nie Dagewesenes – und gleichzeitig hätte er mir genauso gut ein Messer in die Brust rammen können, so weh tat er mir.
Wie sehr hatte ich mir damals gewünscht, all das einfach hinter mir lassen zu können, und doch blieb ich. Zu groß war mein Verlangen, das Geheimnis des Königreichs zu ergründen, zu groß war mein Streben nach der Wahrheit – sofern sie denn überhaupt existierte.
Und dann war da noch Henry … Er brachte mir das Kämpfen bei, er gab mir Halt. Und doch belog er mich beinahe ebenso schamlos wie Phillip.
In diesen schweren Tagen konnte ich wirklich dankbar darüber sein, jemanden wie Claire an meiner Seite zu wissen. Meine einzig wahre Freundin. Offen und ehrlich, niemals auf den Mund gefallen. Und genau das liebte ich so an ihr. Selbstverständlich war unsere Freundschaft nicht, schließlich schritt der Wettbewerb zusehends voran, die Reihen der Kandidatinnen lichteten sich und wir wurden mehr denn je zu verbitterten Einzelkämpferinnen.
Doch ich möchte euch nicht mehr länger auf die Folter spannen und komme nun zum nächsten Teil meiner Geschichte. Die Reise durchs Königreich stand unmittelbar bevor. An deren Ende würde die wahre Identität des Prinzen preisgegeben werden – ohne Zweifel der Part meines Lebens, der mich nachhaltig verändern sollte und den ich am liebsten für immer vergessen hätte. Doch wahrscheinlich werden mich meine Narben auf ewig daran erinnern.
Claire und ich gingen gemeinsam zum Mittagessen. Unsere Haare waren aufwendig hochgesteckt und auf unseren Lippen lag ein Lächeln. Meine Freundin hatte sich bei mir untergehakt und presste meinen Arm fest an ihre Brust. Jetzt, da sie wusste, was alles zwischen Phillip und mir vorgefallen war, verstand sie meine abrupten Stimmungsschwankungen besser. Bisher hatte sie immer nur mitleidig zugehört, wie ich weinte, und keinen wirklichen Grund dafür gesehen. Als wahre Freundin hatte sie mich getröstet, ohne eine Erklärung für mein widersprüchliches Verhalten einzufordern, mir einfach die Zeit gegeben, die ich brauchte.
Auf der Hauptterrasse war kaum etwas los. Außer ein paar Bediensteten, die gerade das Mittagessen auftischten, war niemand zu sehen. Wir setzten uns an einen Tisch am Rand, nahe beim Büfett. Doch die angenehme Ruhe weilte nur kurz.
»Oh, wer kommt denn da?«, fragte Claire mit anzüglicher Stimme und deutete mit ihrer Nase hinter mich.
Ich drehte mich um und sah Henry und Fernand auf uns zulaufen. Fernand strahlte übers ganze Gesicht. Seine Augen waren jedoch nur auf meine Freundin gerichtet, was mir ein leises Lachen entlockte. Heute fiel mir der Rotton in seinem eigentlich eher dunklen Schopf besonders auf. Es ließ ihn jünger erscheinen, vitaler. Henry dagegen wirkte deutlich gereift. Seine vormals adlige Noblesse war durch die viele Zeit, die wir mittlerweile draußen verbrachten, einer gesunden Bräune gewichen. Und das brachte seine grünen Augen nur noch mehr zur Geltung. Wie so oft zuvor stellte ich ihn mir in der Uniform des Prinzen vor und musste mir selbst eingestehen, wie sehr mir dieser Gedanke missfiel, wenn ich auch nicht genau wusste, weshalb dies so war.
Henry bemerkte meinen Blick und setzte ein breites Lächeln auf.
»Hallo, was macht ihr denn schon hier?«, tat ich überrascht, um zu überspielen, dass ich mich beim Starren erwischt fühlte.
Die beiden jungen Herren gesellten sich lächelnd zu uns, wobei sich Fernand ganz dicht neben Claire setzte, die daraufhin leise zu kichern begann. Ihre Wangen färbten sich rosa und ihre Augen strahlten wie kleine funkelnde Diamanten. Noch nie hatte ich sie so schüchtern, fast schon zurückhaltend erlebt und musste doch unumwunden zugeben, dass ich es mochte, was Fernand mit ihr machte.
»Wir haben euch von oben gesehen und wollten schon einmal runterkommen. Aber natürlich nicht ohne ein Anliegen«, erklärte Fernand freudestrahlend und legte seinen Arm auf Claires Stuhllehne.
Ich schmunzelte bei dem Anblick. »Und um welches Anliegen handelt es sich?«
»Wir laden euch beide zu einer Verabredung ein. Was haltet ihr davon? Aber schon direkt nach dem Mittagessen. Wir haben uns nämlich etwas überlegt«, erklärte Henry neben mir geheimnisvoll und grinste dabei verschlagen.
Ich legte meinen Kopf schief. »Was ist mit den anderen Kandidatinnen? Es wäre doch reichlich auffällig, wenn wir zu viert einfach verschwinden würden, wo wir doch nur noch acht Mädchen sind.«
Henrys Lächeln verblasste ein wenig, was mir augenblicklich leidtat. »Lass das mal unsere Sorge sein. Charles meinte, er würde sich schon etwas einfallen lassen. Zudem sind wir morgen bereits unterwegs, weshalb heute kein Programm stattfindet. Im allgemeinen Trubel rund ums Kofferpacken können wir uns sicherlich davonstehlen«, bekräftigte er und grinste mich wieder voller Vorfreude an.
Neugierig betrachtete ich ihn und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich darauf brannte herauszufinden, was die beiden mit uns vorhatten.
»Na dann, spannt uns doch nicht so auf die Folter, sondern verratet uns ein paar Details«, neckte ich die beiden jungen Herrn.
»Keine Chance! Das ist eine Überraschung«, wandte Fernand sogleich ein. »Wir möchten euch nur bitten, etwas Unauffälliges anzuziehen – Nein, noch besser: Erica wird euch Kleidung bringen. Danach treffen wir vier uns bei den Ställen. Wisst ihr, wo die sind?« Fernand sah eigentlich nur Claire an, doch sie war viel zu verzaubert, um seinen Worten wirklich zu folgen, also antwortete ich.
»Ja, ich habe sie beim Training gesehen. Die sind doch in der Nähe der Mauer, oder nicht?«
Henry nickte. »Ganz genau. Diese hölzernen Gebäude, die dort auf der rechten Seite stehen. Aber versucht möglichst unbehelligt zu bleiben. Es darf euch niemand folgen«, erklärte er mit solch einem übermütigen Gesichtsausdruck, dass mein Bauch zu kribbeln begann.
»Uhh … das klingt gefährlich. Das mag ich«, flüsterte ich verwegen, tunlichst darauf bedacht, mir meine freudige Erregung nicht anmerken zu lassen.
»Was klingt gefährlich?«, fragte da auf einmal eine wohlbekannte Stimme hinter mir. Ich hielt erschrocken die Luft an. Um zu wissen, wer jetzt hinter mir stand, musste ich mich nicht umdrehen.
Henry schüttelte den Kopf. Ob er wohl Phillip oder mich damit meinte? »Wir haben uns für heute zu viert verabredet.«
Phillip machte ein nicht sehr erfreutes Geräusch. »Dann könnten Charlotte und ich doch mitkommen.«
Vor Schreck wurden meine Augen ganz groß und Claires Gesicht spiegelte meinen entsetzten Gesichtsausdruck wider.
Ich verdrängte den jähen Schmerz in meiner Brust und fuhr mit Tränen der Wut in den Augen zu Phillip herum.
Er sah mich an, beinahe verzweifelt, als wollte er etwas sagen. Doch er schwieg.
Schwer schluckte ich, versuchte seine schokoladenbraunen Augen zu ignorieren und kam dann in einer erstaunlich geschmeidigen Bewegung vor ihm zum Stehen. Trotz hoher Schuhe war ich einen halben Kopf kleiner als er, musste also auch noch zu ihm aufschauen. Ich trat einen Schritt vor und baute mich dichter vor ihm auf. Er wich nicht zurück, sondern blieb stehen und schaute mich unergründlich an.
»Solltest du es wagen, mit dieser Person in meine Nähe zu kommen, dann werde ich den ganzen Abend mit Henry herumknutschen. Wenn es das ist, was du willst, dann bitte. Aber wenn dir auch nur ein kleines bisschen an mir gelegen hat, dann tust du mir das nicht an«, flüsterte ich zitternd und so leise, dass hoffentlich nur er mich hören konnte.
Seine Augen kniffen sich zusammen, vielleicht aus Überraschung, vielleicht aus Empörung vor so einer unglaublichen Drohung. Dann wanderte sein Blick hinunter zu meinen Schuhen. »Es tut mir so leid … Du siehst heute übrigens wieder wirklich schön aus«, flüsterte auch er, bevor er sich umdrehte, an einen anderen Tisch ging – und mich völlig aufgelöst zurückließ.
Irgendwann griff Henry nach meiner Hand und zog mich zurück auf meinen Stuhl. Von meinem Platz aus starrte ich noch immer Phillip an, der nun so saß, dass er mich ansehen konnte. Ich schaute ihm in die Augen und glaubte eine tiefe Traurigkeit zu erkennen. Und obwohl ich es nicht wollte, war es wohl genau das, was uns verband.
Während sich Fernand und Claire wieder in ihr Gespräch vertieften, beugte sich Henry zu mir. »Hast du ihm gerade damit gedroht, mich zu küssen?«, fragte er belustigt.
»Das hast du gehört?« Errötend drehte ich mich zu ihm.
Lachend legte Henry seine Wange an meine. Von Weitem sah es sicher so aus, als würde er mich küssen, doch das tat er nicht. Gänsehaut wanderte von meinem Nacken bis hin zu meinem unteren Rücken und ließ mich erschauern.
»Das hast du sehr gut gemacht. Er wird jetzt bestimmt zergehen vor Eifersucht«, flüsterte er ganz leise, sanft wie ein Windhauch.
Langsam löste er sich von mir und blickte mir in die Augen. Unweigerlich errötete ich und begann beschämt zu lächeln.
»Genau, deine Reaktion ist perfekt! Jetzt ist er sicher richtig sauer. Sieh einfach nur mich an.« Er nickte auffordernd und grinste breit. Ich versuchte indes, die verwirrenden Gefühle in mir zu begreifen.
Während Henry seinen Kopf neigte und zu dem Tisch hinübersah, wo jetzt Phillip mit Charles saß, starrte ich ihn an. Es überraschte mich immer wieder, dass er Phillip so unbedingt eifersüchtig machen wollte. Und langsam beschlich mich dabei ein seltsamer Verdacht. Irgendetwas musste doch dahinterstecken. Schließlich machte man so etwas normalerweise nicht bei seinem engsten Freund. Henry verheimlichte mir etwas und ich wollte unbedingt herausfinden, was es war.
Auf einmal begann mein Tischnachbar laut zu lachen, umarmte mich und drückte mich fest an sich. »Er hat angebissen. Aber ich sollte jetzt besser mit Fernand verschwinden«, raunte er mir zu. »Also, wenn du es schaffst, dann schau den Rest des Mittagessens nicht zu ihm hinüber. Das wird ihn rasend machen.«
Ich nickte leicht in seiner Umarmung und da löste sich Henry wieder von mir. »Komm, Fernand. Wir sollten uns zu den anderen setzen, bevor Phillip noch mit Stühlen um sich wirft«, erklärte er lachend und strich mir liebevoll über meine Wange.
»Ach Henry, ich dachte, wir könnten wenigstens einmal hierbleiben«, stöhnte Fernand übertrieben und zwinkerte mir zu.
»Komm schon. Ich glaube, Phillip hat sich aus einem Stuhlbein bereits eine Waffe gebastelt. Wenn wir uns noch mehr Zeit lassen, durchbohrt er uns vielleicht noch damit«, witzelte Henry und drückte meine Hand, bevor er Fernand von unserem Tisch wegzerrte.
»Was war denn das?«, fragte Claire, als die beiden außer Hörweite waren.
Ich drehte mich so, dass ich mit dem Rücken zu Phillips Tisch saß und Claire ansehen konnte. »Henry wollte Phillip eifersüchtig machen. Aber ich verstehe nicht, wieso«, erklärte ich mit gerunzelter Stirn und begann mir nervös über meine Augenbrauen zu streichen.
Claire machte einen überraschten Laut, dann lehnte sie sich zurück und verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich spätestens jetzt denken, dass Henry mehr als nur Freundschaft von dir will.«
Meine Stirn legte sich noch mehr in Falten. »Ganz ehrlich, ich weiß nicht genau, ob ich das so schlimm finden würde …«, murmelte ich leise. »Irgendwie hat sich diese Vertrautheit gerade so …« Ich schluckte und sah meine Freundin verzweifelt an. »… so schön angefühlt.«
Claire nickte verständnisvoll, entknotete ihre Arme und legte eine Hand auf meine. »Ich weiß, was du meinst. Vielleicht ist es ja so, dass man sich erst entlieben kann, wenn man sich neu verliebt. Henry ist so nett und er wäre toll für dich.«
Ich streichelte ihren Handrücken. »Ja, er ist wirklich nett, aber wir sind doch nur Freunde. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wollte. Erst Phillip und dann Henry … Das erscheint mir nicht richtig«, erklärte ich traurig und versuchte dem Drang zu widerstehen, zu den jungen Herren hinüberzusehen. »Außerdem empfinde ich zu viel für Phillip.«
Meine Freundin lächelte mich gütig an. »Wir werden eine Lösung finden. Aber jetzt komm: Wir holen uns etwas zu essen«, ermunterte sie mich und stand auf. Damit holte sie mich in die Wirklichkeit zurück. Mein Blick fiel auf die zwei leeren Stühle neben uns. Automatisch wanderten meine Augen weiter über die Terrasse. Da traf mich beinahe der Schlag: Charlotte und Emilia standen neben Phillip und Charles und unterhielten sich angeregt. Hastig schaute ich wieder weg und beeilte mich zu Claire zu kommen.
»Dieser Anblick hört einfach nicht auf wehzutun«, gestand ich zerknirscht und atmete tief durch, während wir das Büfett ansteuerten.
Als wir unsere Teller beluden, tauchten Charlotte und Emilia neben uns auf. Anscheinend hatten sie ihr Plauderstündchen ausgerechnet jetzt kurz unterbrochen. Sie redeten laut, damit wir sie auch ja hörten, doch hielten Abstand.
»Ja, Phillip ist toll! Stell dir doch mal vor, er hat mir gestern Abend tatsächlich gesagt, dass er mich liebt. Ist das nicht schön?«, flötete Charlotte und ließ sich von Emilia feiern.
»Das ist so wundervoll! Ich wusste von Anfang an, dass ihr das perfekte Paar seid. Und ich bin so glücklich, dass Charles wieder mit mir ausgehen will.«
Ich schluckte und verkrampfte mich automatisch. Claire versteifte sich neben mir ebenfalls und ich fühlte ihren Blick auf meiner nunmehr geballten Faust ruhen. Hastig hakte sie sich bei mir unter und zog mich von den beiden Mädchen weg. Sie steuerte direkt auf einen Tisch zu, wo bereits zwei Kandidatinnen saßen und uns argwöhnisch musterten, als wir bei ihnen ankamen. Auch ich schaute nicht weniger überrascht.
Claire räusperte sich. »Hallo. Dürfen wir uns bitte zu euch setzen?«
Die blonde Kandidatin namens Babette runzelte ihre Stirn, während ihre brünette Freundin – sie hieß Venya – ihr Gesicht beinahe schon angewidert verzog. »Wieso?«
Claire setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. »Weil meine Freundin Tatyana unserer Charlotte gleich das Buttermesser ins Herz rammt, wenn wir noch einmal bei dieser eingebildeten Kuh sitzen müssen. Also, wenn ihr keine Lust darauf habt, dass dieser Wettbewerb aufgrund eines Mordes zu Ende geht, dann wäre es toll, wenn wir uns jetzt zu euch gesellen dürften.«
Die beiden Kandidatinnen starrten erst sie und dann mich an. Ich glaubte schon, sie würden uns wieder wegschicken, doch da brachen sie in schallendes Gelächter aus. Venya griff nach meinem Arm und zog mich neben sich auf den Stuhl.
»Alle, die Charlotte und Emilia unerträglich finden, sind automatisch unsere Freunde.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen, die ich ganz perplex, doch höflich schüttelte. Nicht zum ersten Mal realisierte ich erstaunt, wie wenig wir von den anderen Kandidatinnen eigentlich wussten.
»Danke«, murmelte ich und schaute zu Claire hinüber, die lachte und nun ebenfalls Platz nahm.
»Toll. Also dann mal guten Appetit«, plapperte sie fröhlich.
Ich hingegen konnte nicht anders, als meinen Teller anzustarren und dabei so stark meine Augenbrauen zusammenzukneifen, dass ich beinahe Kopfschmerzen bekam. Meine Gedanken schweiften schon wieder ab.
Konnte es tatsächlich sein, dass ich mich in Henry verliebte? Sogar wenn es das Letzte war, was ich wollte? Ich fragte mich auch, warum Henry Phillip ständig aus dem Konzept bringen wollte, obwohl dieser doch schon fast mit Charlotte verheiratet schien.
»Tatyana?«
Ich zuckte zusammen und schaute verwirrt zu Venya, die mich interessiert musterte. »Wie bitte? Entschuldige, aber ich habe nicht zugehört.«
Sie schnalzte mit der Zunge. »Also, irgendwie bist du verwirrter, als du aussiehst. Das ist gut. Niemand mag perfekte Menschen. Auf jeden Fall wollte ich von dir wissen, ob du weißt, was die nächste Entscheidung beinhaltet.«
Ihr Kompliment, das getarnt war mit einer Beleidigung, verwirrte fast noch mehr.
»Ähm ja. Nächste Woche wird sich der Prinz zu erkennen geben und zwei Kandidatinnen für das große Finale wählen. Und auch die drei übrigen jungen Männer müssen sich entscheiden.«
Venya nickte nachdenklich. »Ach schade, dann bleiben wir also nur noch eine Woche.«
»Wieso das?« Ich schaute zwischen ihr und Babette hin und her.
»Weil die jungen Männer doch alle schon ihre Entscheidung getroffen haben. Es ist doch wohl klar, wer sich für wen interessiert«, erklärte Babette zwitschernd und mir fiel erst jetzt auf, was für eine nervtötend hohe Stimme sie hatte.
»Ja, das ist wohl so«, erwiderte ich abwesend und prompt begannen beide leise zu kichern.
»Habe ich was Falsches gesagt?«
Venya schüttelte ihren Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Du bist nur diejenige, bei der wir nicht genau wissen, für wen sie sich entscheiden wird«, kicherte sie weiter und brach dann mit Babette in schallendes Gelächter aus.
Irgendwie fühlte ich mich in diesem Moment ausgelacht. »Wie bitte? Warum sollte ich mich denn entscheiden müssen?«
»Ist das denn nicht offensichtlich?«, fragte Babette und schüttelte ihren Kopf. »Sogar wir anderen Kandidatinnen sehen, dass jeder von diesen vier jungen Männern auf dich steht und du dir jeden …«, mit einem Seitenblick auf Claire räusperte sie sich schnell und fuhr dann fort: »… fast jeden der jungen Männer warmhältst. Wir haben sogar Wetten abgeschlossen, für wen du dich entscheiden wirst.«
Da hob Claire ihre Hand. »Moment mal! Nur um das klarzustellen: Die jungen Männer entscheiden sich für eine Kandidatin, weil sie diese mögen, und nicht, weil Tanya den betreffenden Herrn nicht will. Es ist eine Frechheit, solche Gerüchte zu streuen. Zudem kann Tanya doch nichts dafür, dass alle so etwas denken. Sie hat sich absolut keine Schuld zuzuschreiben!«
Ich begann nervös meine Finger zu kneten. »Ich verstehe mich gut mit ihnen, aber das bedeutet nicht, dass ich etwas mit ihnen allen habe oder haben möchte«, erwiderte ich leise und starrte meinen noch vollen Teller an. Vielleicht hätten wir uns doch lieber neben Charlotte und Emilia setzen sollen.
»Ist doch nicht so schlimm. Nur hoffentlich entscheidest du dich für den Prinzen. Das wäre so romantisch. Und dann würden wenigstens nicht Charlotte oder Emilia gewinnen«, erklärte Venya und kicherte nun wieder.
Claire schnaubte. »Ihr könnt jetzt gerne die Klappe halten. Was stimmt eigentlich nicht mit euch?«, zischte sie wütend und sah die beiden mit zusammengekniffenen Augen an.
Venya und Babette verzogen ihre Münder und schwiegen nun endlich, um ihre Teller zu leeren. Ich warf Claire einen dankbaren Blick zu, doch sie schüttelte nur entrüstet ihren Kopf.
Gerade als ich mich missmutig meinem Teller widmen wollte, ertönte eine Stimme neben mir. »Hallo, Tanya.« Ich schaute auf, direkt in Henrys leuchtende Augen.
Ich legte meine Stirn in Falten. »Ja?«
»Komm doch bitte mal mit«, forderte er mit einem süßen Lächeln und hielt mir seine Hand hin. Neben ihm erschien Fernand und entführte Claire ebenso, jedoch in die andere Richtung zu dem Tisch der jungen Männer.
Irritiert, doch gleichzeitig erfreut angesichts dieser unverhofften Erlösung nahm ich Henrys Hand und ließ mich von ihm quer über die Terrasse ziehen. Wir gingen in das Haupthaus und als wir außer Sicht der anderen waren, hielt ich es nicht mehr aus. »Wo gehen wir denn hin?«
Er drehte sich im Gehen zu mir um. »Du sahst so schrecklich genervt und auch ziemlich hungrig aus, da dachte ich mir, dass wir doch hier, geschützt vor störenden Blicken, erst einmal etwas zusammen essen könnten. Du sollst schließlich nicht mitten in unserer Verabredung zusammenbrechen.«
»Du bist wirklich der beste Mann des Königreichs, wusstest du das eigentlich?« Erleichterung machte sich in mir breit.
»Ja, aber ich höre es immer wieder gerne«, entgegnete er zwinkernd.
Freundschaftlich boxte ich ihm gegen die Schulter. »Sei doch nicht so eingebildet. Aber tatsächlich vergeht einem bei diesen Zicken da draußen der Appetit. Ich hasse diese ganzen Vorurteile«, erklärte ich, während ich meine Hände in die Seite stemmte. »Aber dürfen wir uns denn einfach so davonstehlen? Ist das nicht furchtbar unhöflich?«
Henry lachte. »Mach dir doch nicht immer so viele Sorgen.« Dann wurde er plötzlich ernst. »Und das mit den Vorurteilen kenne ich nur zu gut. Alle denken immer, dass das Leben im Palast toll sei. Aber stell dir doch mal ein Leben vor, in dem du niemandem sagen kannst, wer du wirklich bist. Nicht einmal du selbst kannst deine Persönlichkeit richtig entfalten. Als wärst du nur ein Schatten, der mit dem Erreichen der Volljährigkeit freigelassen wird.«
Seine nachdenklichen Worte ließen mich abrupt innehalten. Er drehte sich zu mir um und ich machte einen Schritt auf ihn zu. »Es tut mir leid. Du hast es auch nicht leicht und hörst immer nur mein Gejammer.« Ich hob meine Arme, legte sie um seinen Hals und drückte ihn fest an mich, wobei ich mich auf meine Zehenspitzen stellen musste.
Erst zögerte er, doch dann erwiderte er meine Umarmung, verschränkte seine Hände in meinem Rücken und atmete an meinem Hals tief ein. »Es muss dir doch nicht leidtun. Niemand, der hier ist, hat es leicht.«
Langsam und etwas verlegen löste ich mich von ihm. »Jetzt sollten wir aber wirklich etwas essen. Ich bin schon gespannt auf unsere Verabredung zu viert«, erklärte ich mit zittriger Stimme und schluckte das seltsame Gefühl hinunter, das mich plötzlich erfasste.
Henry nickte, nahm meine Hand und führte mich in den Raum, in dem wir neulich Abend gegessen hatten. Wieder trafen wir auf die ältere Köchin, welche sich jedoch sogleich diskret zurückzog. Alles war liebevoll für ein zweites Mittagessen gedeckt. Henry zögerte nicht lange, rückte mir – ganz Gentleman – den Stuhl zurecht und befüllte meinen Teller mit allerlei Köstlichkeiten.
»Wird hier eigentlich immer das Essen gekocht?«, fragte ich überrascht.
Henry schüttelte den Kopf. »Nein, das hat sie extra für uns gemacht.«
Meine Augenbrauen sprangen hoch und legten meine Stirn in Falten. »Für uns? Wieso? Woher …?«
Genüsslich biss Henry in ein Stück Brot. »Ach, du isst doch fast nie richtig, wenn wir alle zusammen sind. Und ich will unbedingt, dass du heute mit vollem Elan dabei bist.«
Da nickte ich langsam und begann zu essen. Und so fernab allen Trubels genoss ich es dieses Mal in vollen Zügen. Henry achtete sorgsam darauf, dass ich auch ja alles aufaß. Dieses Bemuttern störte mich nicht, im Gegenteil: Die ganze Zeit über fühlte ich mich seltsam beschwingt und glücklich. Klar, es war ein komisches Gefühl, mit ihm alleine zu sein, ohne zu trainieren, aber auch zweifelsohne schön.
Nach dem Essen schlenderten wir zurück zur Terrasse, wo nur noch wenige Kandidatinnen, Phillip und Charles saßen. Fernand und Claire standen etwas weiter hinten und unterhielten sich leise, ganz in ihrer persönlichen, kleinen Welt versunken. Ich überlegte, ob ich sie stören durfte, da spürte ich Henrys Hand auf meinem Rücken. Ich drehte mich zu ihm um und genoss die Wärme in meinem Bauch, als er mir einen sanften Kuss auf die Wange gab. Verlegen schenkte ich ihm ein schüchternes Lächeln, wobei ich hoffte, dass meine Wangen nicht so rot leuchteten, wie sie sich anfühlten. Dann wandte ich mich wieder um und ging entschlossen zu Fernand und Claire hinüber.
»Was war denn das gerade? Habe ich irgendetwas verpasst?«, fragte Fernand überrascht und starrte mich verwirrt an.
Betont gleichmütig winkte ich ab. »Henry will nur ständig Phillip eifersüchtig machen. Ich weiß auch nicht, warum.«
Da nickte Fernand langsam, nicht wirklich überzeugt.
»Könnte es nicht eher sein, dass er dich wirklich gernhat?«, überlegte Claire mit angestrengt vorgeschobener Unterlippe, was in Kombination mit ihren roten Haaren und den unzähligen hellen Sommersprossen wirklich niedlich aussah.
Meine Stirn legte sich in Falten, während ich über Claires Einwand nachdachte. Doch dann schüttelte ich unmerklich meinen Kopf, wollte nicht darüber nachgrübeln, was dies für uns bedeuten würde, und ignorierte stattdessen lieber Claires Frage. »Ich gehe schon einmal vor zum Turm. Nicht, dass wir Erica verpassen. Fernand, wir sehen uns dann gleich bei den Ställen, ja?« Ich wartete seine Zustimmung in Form eines Zwinkerns ab, bevor ich mich auf den Weg machte. Claire und Fernand brauchten sicher noch eine halbe Stunde, um sich voneinander zu verabschieden.
Langsam schlenderte ich voraus, dabei wanderte mein Blick immer wieder zum Wald hin. Gemischte Gefühle erfassten mich bei seinem Anblick. So viel hatte ich schon darin erlebt. Erst kurz vorm Ziel schaffte ich es, meinen Blick und auch meine Gedanken endgültig zu lösen. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss der Tür, öffnete sie und ging hinein.
»Du hast lange gebraucht.« Phillips Stimme ließ mich zusammenfahren. Er lehnte neben meinem Bett an der Wand und sah mich wieder an, als wüsste er nicht, was er von mir halten sollte.
»Warst du nicht gerade noch …?«, fragte ich stotternd und ließ vor lauter Überraschung meinen Schlüssel fallen. Klirrend landete er auf dem Boden.
»Ja, ich war gerade noch auf der Terrasse. Aber da du mit Henry rummachen musstest und dementsprechend abgelenkt warst, war es einfach für mich, ungesehen hierherzukommen.« Seine Stimme war hart, ablehnend.
Ich schluckte. »Aber wie bist du hier reingekommen und was willst du hier?«
Langsam löste er sich von der Wand, blieb jedoch stehen. »Ich bin eben schnell.«
»Das ist keine Antwort auf meine Fragen. Solltest du nicht viel eher bei Charlotte sein und dich wie ihr Schoßhund aufführen?« Ich wünschte, ich könnte mutiger klingen.
»Nein, ich wollte bei dir sein.« Er klang träge, während er langsam auf mich zuging und meine Frage weiterhin ignorierte. Seine Augen glitten dabei hungrig über meinen Körper.
Mein Magen rumorte, mein Herz pochte und schrie nur danach, ihn zu berühren, doch mein Kopf hielt mich zurück.
»Aber warum? Warum tust du mir das an?«, flüsterte ich und wich langsam vor ihm zurück.
Seine Augen verengten sich. Ich bildete mir ein, etwas Scham und ein wenig Bedauern darin zu erkennen, doch trotzdem hielt er nicht an.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Also blickte ich ihn mit angehaltenem Atem an und verschränkte meine Hände ruckartig ineinander, da sie sich ihm unwillkürlich entgegenstrecken wollten.
»Ich habe dich vermisst. Es bricht mir das Herz, dich mit Henry zu sehen.« Seine Augen flackerten nun unruhig.
»Du hast mich vermisst? Erst sagst du mir, dass du mich magst, und dann hängst du an Charlottes Lippen. Das ist erbärmlich!« Ich versuchte hart zu wirkten. Aber meine Worte prallten einfach an ihm ab.
»Bitte vertraue mir doch endlich«, flüsterte er. »Wie ich schon sagte: Das ist alles nicht so, wie es aussieht.«
Wütend krallte ich mir den nächstbesten Gegenstand von unserem Schminktisch, bis zu dem ich bereits zurückgewichen war. Leider war es nur etwas Weiches: ein Schal von Claire. So fest ich konnte, warf ich damit nach ihm. »Du sagst mir, dass es nicht so ist, wie es aussieht? Bin ich etwa in einer irren Zeitschleife gefangen und muss mir immer und immer wieder dieselben Lügen anhören? Wie kannst du nur so herzlos sein?«, schrie ich ihm entgegen und warf, inzwischen blind vor Tränen der Wut und Enttäuschung, einen Stuhl um.
Er stockte, blieb kurz stehen und setzte sich dann wieder in Bewegung. »So darfst du nicht von mir denken. Tanya, ich empfinde so viel für dich.«
Jedes seiner Worte brannte sich in meine Brust, quälte mein geschundenes Herz und ließ mich schluchzen. Ich biss mir auf meine Unterlippe, versuchte mich zu beruhigen und rang nach Luft. »Was ist, wenn ich diese Gefühle nicht erwidern kann?«, fragte ich zitternd.
Seine Augen brannten wie Feuer, er überwand die letzte Distanz zwischen uns. »Was hast du gerade gesagt?«
Ich senkte meinen Blick, biss mir auf die Unterlippe und tat so, als würde es mir leidtun, damit er nicht merkte, dass ich log. »Ich liebe dich nicht.«
Grob packte er mein Kinn und drückte es hoch, damit ich ihn ansehen musste. »Schau mir ins Gesicht und wiederhole das noch einmal.« Ich erschrak. Seine Augen glänzten vor Tränen, funkelten wie Sterne.
Tränenblind blickte ich zu ihm auf. Nein, ich konnte, ich wollte das alles nicht mehr. Eine ungeheure Anspannung machte sich in mir breit, bahnte sich ihren Weg nach draußen. »Du tust mir weh, wo du nur kannst, und jetzt sagst du mir schon wieder, dass du angeblich etwas für mich empfindest?«, spie ich ihm geradezu entgegen. »Mit deinen Lippen küsst du erst mich und dann sie. Mit deinem Mund gestehst du erst mir deine Liebe und darauf auch noch ihr. Deine Sinne sind verwirrt durch deine Gefühle für zwei Frauen. Wage es ja nicht, mich noch einmal anzufassen. Zwing mich nicht, dir eine Liebe zu gestehen, die vielleicht genauso eine Lüge ist wie deine.« Die Worte flossen nur so aus mir heraus, doch sie taten mir gut. Alles, was ich ihm sagen wollte, war gesagt. Und jetzt musste ich nur noch warten, dass er endlich ging.
Die Überraschung angesichts meiner deutlichen Worte war ihm anzusehen. »Meine Gefühle für dich sind keine Lüge«, brachte er schließlich heiser heraus. »Ich fühle wahrhaftig und aus vollem Herzen. Wirklicher, als es nur sein könnte. Charlotte ist doch nur ein Mittel. Sie ist eine Nachfahrin, ich habe gar keine andere Wahl, als sie zu umgarnen.«
So fest ich konnte, schubste ich ihn weg, doch es machte ihm nichts aus. Nicht einmal aus Höflichkeit wankte er. Ich biss mir auf meine Unterlippe, bis ich Blut schmecken konnte.
»Deine Ausflüchte sind mir vollkommen egal. Schon allein aus Rache sollte ich mich in Henry verlieben. Er ist so viel besser als du. Seine Menschlichkeit geht tiefer, als es deine jemals könnte. Du spielst mit mir, brichst mir mein Herz und behauptest auch noch, du würdest für Charlotte nichts empfinden. Kein normaler Mann würde so etwas tun, ohne schreckliche Hintergedanken«, warf ich ihm an den Kopf.
Wir standen uns gegenüber, starrten einander an.
»Du willst dich in Henry verlieben?« Fassungslosigkeit schwang in seiner nunmehr schwachen Stimme mit.
»Hörst du mir überhaupt nicht zu?«, fragte ich verzweifelt und rieb meine Schläfe, welche begann schmerzhaft zu pochen.
Zögernd legte er seine Hände an meine Schultern. Ich ließ ihn gewähren.
»Natürlich höre ich dir zu. Es tut mir leid, dass ich dir so wehtue, so wehtun muss. Aber merkst du denn nicht, dass es mir genauso geht? Ich würde dir so gerne alles sagen, alles erklären. Aber ich kann es nicht. Trotzdem will ich dich mehr als jemals einen Menschen zuvor. Du bist alles, was ich will.«
Resigniert schüttelte ich meinen Kopf. »Wieso ist dann alles so unendlich schwer? Warum kannst du nicht derjenige sein, der mit mir ausgeht? Derjenige, dem es egal ist, ob uns jemand sieht? Derjenige, der immer an meiner Seite steht?« Ich hielt kurz inne, kleine Kälteschauer durchfuhren mich, trotz seiner Nähe. »Ich kann das einfach nicht mehr. Das mit uns ist ein Fehler. Du willst mich doch nicht. Andernfalls wären wir jetzt zusammen, ohne Streit und ohne Qualen. Wir würden gemeinsam etwas mit Fernand und Claire unternehmen. Doch allein Henry ist an meiner Seite. Er ist, als mein Freund, mir näher, als du es wahrscheinlich jemals sein wirst.« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Ich wusste, wie sehr ihn das Gesagte verletzen musste. Doch was war mit mir? Zählte der Schmerz nicht, den ich jedes Mal empfand, wenn ich ihn in inniger Vertrautheit mit Charlotte sah? Ich konnte nicht zulassen, dass er mir noch mehr wehtat. Das war nicht richtig. Wir waren nicht richtig.
Doch als hätte er meine Worte nicht gehört, drückte er mich an sich, schlang seine Arme um mich und presste mich fest an seine Brust. Ich konnte sein Herz schlagen hören, im Gleichtakt zu meinem, vernahm seine stoßweise Atmung.
»Tanya, ich will an deiner Seite sein. Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich nur für dich fühle, in meinem Herzen?«, fragte er in meine Haare hinein. Ein angenehmer Schauer lief mir über den Rücken, ließ mich erzittern. Verräterischer Körper!
Langsam schüttelte ich meinen Kopf. »Nein. Wahre Liebe sollte nicht so enden. Wahre Liebe tut nicht so weh. Wir sind in keinem von Shakespeares Stücken. Und wenn es so wäre, dann würde unsere Liebe der Tod besiegeln.«
Er schob mich sanft ein Stück weit von sich, legte seine Hand an meine Wange und beugte sich zu mir herunter. Ein Frösteln überfiel mich, als er mich zart auf die Stirn küsste. »Trotzdem wird dir mein Herz ewig gehören. Noch bis über mein Lebensende hinaus.«
Ich riss meine Augen auf. »Warum tust du das? Wieso lässt du es nicht einfach ruhen, wenn wir beide doch angeblich keine Chance haben? Wäre das nicht für alle Beteiligten so viel einfacher?«
Phillip nickte traurig. »Ja, das wäre es. Aber ich kann einfach nicht gegen mein Herz an. Es will dich so sehr, dass weder mein Kopf noch meine Vernunft es aufhalten können.«
Sofort verkrampfte ich mich und sog scharf die Luft ein.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?« Er streichelte mir über die Wange.
Ich schluckte. »Es ist eine Frechheit von dir, mich hier aufzusuchen, während deine Beinahe-Verlobte dort draußen auf dich wartet. Und dann sagst du mir auch noch, dass du mich wider alle Vernunft liebst. Ich weiß nicht, was beschämender ist: dies oder die Tatsache, dass du Charlotte ebenfalls zu lieben scheinst.«
Mit aller Macht wand ich mich unter seiner Umarmung, wollte mich befreien, doch Phillip war stärker als ich. Frustriert gab ich auf und lehnte meine Stirn an seine Brust.
Wieder drückte er mich fest an sich, als würde er mich nie wieder loslassen wollen. Für einen Moment wünschte ich mir, das alles wäre tatsächlich möglich.
»Ich liebe sie nicht. Dich liebe ich«, hauchte er leise.
Tränen rannen über meine Wagen. »Wieso dürfen wir dann nicht zusammen sein? Wieso ist das dann so schwer für dich?«
Er drückte mich noch ein wenig fester an sich. »Es tut mir leid. Ich würde dich so gerne glücklich machen.«
»So langsam werde ich das Gefühl nicht los, dass du das alles nur sagst, damit ich meinen Mund halte bezüglich des Angriffs«, brachte ich zitternd heraus und schüttelte meinen Kopf.
Seine Augen verdunkelten sich. Unwillkürlich machte er einen Schritt zurück und starrte mich ungläubig an. »Denkst du das wirklich?«
»Ja, was bleibt mir denn sonst für eine Erklärung? Einerseits tust du alles, um mich von deiner Liebe zu überzeugen, gleichzeitig stößt du mich von dir weg.«
Phillip ging auf mich zu und griff nach meinen Händen. »Denk nicht so von mir. Zwar bin ich nicht das, was du verdienst, aber ich würde dir niemals etwas vorspielen. Ich weiß, was ich für dich empfinde, und das hat nichts mit dem Angriff zu tun. Bitte glaub mir das. Ich wünschte so, ich könnte es dir erklären. Doch ich kann nicht … darf nicht.«
Unschlüssig biss ich mir auf meine brennende Unterlippe. Mein Herz wollte ihm glauben, doch mein Kopf ließ es nicht zu. All diese widersprüchlichen Gefühle brachten mich zum Seufzen.
»Darf ich dich küssen?« Sanft strich er mir eine verirrte Strähne hinters Ohr.
Ich legte meinen Kopf in den Nacken und sah ihn an. Seine Augen wirkten so traurig, dass mir das Herz zu zerreißen drohte. Ein vages, schüchternes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Darf ich?«, fragte er erneut.
Unweigerlich musste ich lächeln. Nur ganz leicht. In meinen Augen brannten Tränen. Das hier tat so weh. Doch vielleicht war ich masochistisch, aber ich wollte es, wollte ihn so sehr. Also nickte ich und schloss meine Augen.
Als sich unsere Lippen berührten, war es wie eine sinnliche Explosion. Alles begann zu kribbeln, gleichzeitig wurde mir heiß und kalt. Angst wie Verlangen vermischten sich in meinem Körper. Ich zitterte und hielt mich an Phillip fest, da meine Beine nachzugeben drohten. Meine Vernunft schaltete sich aus und ließ mein Herz höherschlagen, meine Hoffnungen aufflammen.
Phillips Finger gruben sich in meine Haare, liebkosten meinen Rücken, zogen mich näher an sich. Tränen liefen über meine Wangen, während ich das Gefühlschaos in meinem Inneren zu verdrängen suchte.
Heftig atmend lösten wir uns schließlich voneinander. Wir sahen uns an, vergaßen für diesen einen köstlichen Moment alles um uns herum, ganz so, als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Sein Blick war so intensiv, so tief, dass ich das Gefühl bekam, er konnte mir direkt in die Seele schauen, mir all den Schmerz nehmen und mich für immer beschützen.
Aber dann blinzelte er. Schlagartig überkamen mich Reue, ein unangenehmes Schamgefühl und das starke Bedürfnis, mich selbst zu ohrfeigen.
Langsam zog ich mich von ihm zurück, machte einige Schritte rückwärts und verschränkte meine Arme abwehrend vor der Brust. »Das geht nicht. Du kannst das nicht immer mit mir machen, da du genau weißt, dass du nicht bleiben wirst. Ich kann das nicht mehr.«
Phillip hob seine Hand, ging auf mich zu, doch ich schüttelte energisch meinen Kopf. »Ich meine das ernst. Warum habe ich es denn nicht verdient, glücklich zu werden? Warum muss ich das alles mit ansehen? Um dann mit dir hier heimlich im Dunkeln zu stehen?«
»Tanya …« Phillip wand sich merklich im Finden einer Antwort, doch ihm fiel nichts Besseres ein, als meinen Namen zu sagen.
»Nein. Nicht Tanya. Bitte, lass mich frei und endlich glücklich werden. Lass mich mein Leben leben. Egal, wie es aussehen mag«, flehte ich und starrte den Boden an, weil mich seine weichen Augen sonst zum Einknicken gebracht hätten. Doch als er schwieg, schaute ich auf.
Schwer ruhte sein Blick auf mir, ließ Zweifel in mir aufkommen, doch das durfte ich nicht zulassen. Ich durfte nicht mit ansehen, wie er mich zugrunde richtete, indem er mir Gefühle vorspielte, die nicht da waren.
»Bitte geh! Werde glücklich mit Charlotte, aber hör auf mit mir zu spielen. Vielleicht werde auch ich dann irgendwann glücklich.«
Ich hörte, wie er tief einatmete, und hatte das Gefühl, er wollte noch etwas sagen. Aber er tat es nicht.
Langsam, als würde er erwarten, dass ich ihn aufhalte, drehte er sich um und ging zur Tür hinüber. Ich verschränkte entschlossen meine Arme ineinander und versuchte dem Drang zu widerstehen, ihm zu folgen. Doch gerade als er nach der Türklinke griff, flog die Tür auf und Claire stand strahlend vor uns.
Phillip rieb sich seine Hand, die unliebsame Bekanntschaft mit der Tür gemacht hatte, und starrte meine Freundin an.
»Ups. Entschuldige, Phillip. Das wollte ich nicht«, erklärte Claire sofort peinlich berührt und schaute skeptisch zwischen uns hin und her.
Aber ich schüttelte meinen Kopf. »Nein, schon gut. Phillip wollte ohnehin gerade gehen.«
Claires Augenbrauen schnellten sogleich wissend in die Höhe. »Oh … Bis dann, Phillip. Schön dich mal wiedergesehen zu haben.« Hastig begann sie ihn hinauszuschieben. Bevor er wusste, wie ihm geschah, stand er auch schon draußen und schaute Claire dabei zu, wie sie die Tür direkt vor seiner Nase schloss.
»Was hat er denn hier gewollt?« Aufgebracht drehte sie sich zu mir um. »Jetzt sag nicht, er hat es schon wieder getan!«
Ich zog meine Lippen zwischen die Zähne und nickte unter Tränen. Am liebsten wäre ich zu Boden gesunken, so erschüttert war ich. Doch meine Freundin sollte nicht schlecht von ihm denken. Ich konnte es ja selbst kaum.
Claire kam sofort auf mich zu und drückte mich an sich. »Ach, meine Süße. Ich verstehe es einfach nicht. Warum lässt er dich nicht in Ruhe?«
Geräuschvoll schniefte ich. »Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er tatsächlich Gefühle für mich, doch wie stark können die schon sein, wenn er immer wieder zu Charlotte geht? Aber weißt du was?«
Sie strich mir sanft über meinen Rücken. »Was denn?«
»Ich kann ihm überhaupt nicht böse sein. Irgendwie habe ich das Gefühl, er will das selbst überhaupt nicht und muss es aus irgendeinem Grund tun. Aber weshalb verrät er mir den Grund nicht einfach? Weshalb kommt er immer wieder mit den gleichen unbestimmten Ausreden?« Ich wischte mir schnell über die Augen und atmete tief durch. »Ich will doch einfach nur meinen Frieden, und ja, vielleicht ein bisschen Glück.«