Inhalt

  1. Cover
  2. Inhalt
  3. Über das Buch
  4. Über die Autorin
  5. Titel
  6. Impressum
  7. Widmung
  8. TEIL I
    1. Kapitel 1
    2. Kapitel 2
    3. Kapitel 3
    4. Kapitel 4
    5. Kapitel 5
    6. Kapitel 6
    7. Kapitel 7
    8. Kapitel 8
    9. Kapitel 9
    10. Kapitel 10
    11. Kapitel 11
    12. Kapitel 12
  9. TEIL II
    1. Kapitel 13
    2. Kapitel 14
    3. Kapitel 15
    4. Kapitel 16
    5. Kapitel 17
    6. Kapitel 18
    7. Kapitel 19
    8. Kapitel 20
    9. Kapitel 21
    10. Kapitel 22
    11. Kapitel 23
    12. Kapitel 24
    13. Kapitel 25
    14. Kapitel 26
    15. Kapitel 27
  10. TEIL III
    1. Kapitel 28
    2. Kapitel 29
    3. Kapitel 30
    4. Kapitel 31
    5. Kapitel 32
    6. Kapitel 33
    7. Kapitel 34
    8. Kapitel 35
    9. Kapitel 36
    10. Kapitel 37
    11. Kapitel 38
    12. Kapitel 39
    13. Kapitel 40
    14. Kapitel 41

Über das Buch

Die 14-jährige Abby ist gerade auf die Highschool gekommen – und hasst es. Warum wollen plötzlich alle, dass sie »mehr aus sich macht«? Genervt von ihrer Familie und ihrer besten Freundin Faith zieht Abby sich zurück. In einem Internetchat lernt sie Luke kennen – und Abby kann ihr Glück kaum fassen. Er hört ihr zu und versteht sie. Eigentlich soll sie nicht mit Fremden chatten, aber Luke ist anders – und er liebt sie! Abby vertraut ihm und fühlt sich in ihrem Zimmer sicher. Doch ist Luke wirklich der, der er zu sein scheint? Ein Roman über die erste Liebe und die Tücken des Internets.

Über die Autorin

Sarah Darer Littman, geb. 1963 in New York, lebt mit ihrer Familie in Conneticut. Sie schreibt Kolumnen für das Hearst Newspapers und die Website CT News Junkie, zudem hat sie bereits mehrere Romane für Jugendliche veröffentlicht.

Sarah Darer Littman

Sag
dass du
nur mir
gehörst

Roman

Aus dem Englischen von
Anja Hackländer

BASTEI ENTERTAINMENT

Den Hütern von Recht und Ordnung, die sich den Grausamkeiten dieser Welt Tag für Tag stellen, um unsere Kinder zu beschützen.

TEIL I

Kapitel 1

31. August

»Wieso freust du dich denn überhaupt nicht?«

Faith, meine beste Freundin seit der zweiten Klasse, liegt am Rand des Schwimmbeckens und beobachtet das sanfte Kräuseln, das ihre schlanken Finger auf der Wasseroberfläche hinterlassen. »Ich meine, mal ehrlich, Abby. Wir gehen ab morgen auf die Highschool. Das wird so viel cooler als die Mittelstufe!«

»Und woher willst du das wissen?«, frage ich sie.

Faith verdreht die Augen.

»Also, erstens kommen die Neuen von der Eastern dazu. Dann müssen wir endlich nicht mehr mit den Leuten abhängen, die wir schon seit … Urzeiten kennen.«

»Na super. Das heißt, wir bekommen nur noch mehr Cliquenzicken dazu, die uns das Leben schwer machen.«

Faith fährt blitzschnell mit der Hand durchs Wasser und verpasst mir eine kalte Dusche. Aber ich gebe ihr nicht die Genugtuung zu kreischen, denn die Abkühlung tut eigentlich ganz gut, nachdem wir den ganzen letzten Ferientag in der prallen Sonne gebrutzelt haben.

»Warum siehst du das eigentlich alles so negativ?«

»Ich sehe überhaupt nichts negativ«, widerspreche ich ihr und wische mir die Wassertropfen aus dem Gesicht. »Nur eben … ambivalent.«

Lügnerin, denke ich im Stillen. In Wirklichkeit hast du total Schiss.

»Ooh, ambivalent! Übst du etwa schon für die Abschlussprüfung, oder was?«

»Quatsch. Ich meine nur … na ja, irgendwie freu ich mich schon auf morgen. Aber andererseits habe ich auch … Schiss. Weil Roosevelt nun mal viel größer ist. Und ich mich da vielleicht verlaufe. Und alles total anders wird.«

»Aber anders heißt doch nicht unbedingt schlechter. Anders heißt auch neu und aufregend, oder?«

Typisch Faith. Der Optimismus in Person.

»Kann schon sein.«

»Also, ich bin jedenfalls total gespannt. Ich kann’s gar nicht erwarten. Ich hab mir sogar schon was zum Anziehen rausgesucht: meinen neuen Jeansrock und das süße Green-Girl-T-Shirt. Aber was soll ich mit meinen Haaren machen? Hochstecken oder offen lassen?«

»Ähm … keine Ahnung. Offen lassen.«

»Du könntest wenigstens so tun, als würde es dich interessieren.«

»Es interessiert mich doch – ich hab mir nur noch keine Gedanken gemacht, was ich anziehen will.«

»Und wieso nicht? Du bist viel hübscher als ich, aber du machst überhaupt nichts aus dir! Ich wette, du tauchst morgen in irgendeiner Jeans und einem langweiligen weiten T-Shirt auf, anstatt deine Kurven zu betonen.« Faith seufzt und wirft einen Blick auf ihre eigene flache Brust. »Du hast wenigstens was zum Betonen.«

»Hör auf.« Ich merke, dass ich knallrot werde. Für mich sind meine Brüste eher ein Fluch als ein Segen. »Du klingst schon genauso wie Mom und Lily. Wenn ich mir noch einmal anhören muss, wie mir die beiden mit vereinten Kräften einreden, ich bräuchte eine Typveränderung, dann bringe ich jemanden um!«

»Tja, mich kannst du schon mal nicht umbringen, ich bin nämlich deine beste Freundin. Und außerdem, mit wem willst du dann beim Mittagessen zusammensitzen?«, scherzt Faith, während sie sich zur Abkühlung mit der feuchten Hand durchs Gesicht fährt. »Aber mal ganz ohne Scheiß, Abby. Mit der Typveränderung haben Lily und deine Mom gar nicht so unrecht. Die würde dir vor der Highschool echt nicht schaden. Wollen wir vielleicht rauf in mein Zimmer gehen, und ich probier mal was mit deinen Haaren aus?«

»Wie wär’s, wenn wir stattdessen in den Keller gehen und uns Herr der Ringe angucken? Ich brauche dringend ’ne Dosis Aragorn.«

Faith seufzt.

»Ach, komm schon, Abby. Bitte! Es geht hier um unseren ersten Tag an der Highschool. Herr der Ringe können wir uns immer noch angucken. Außerdem ist Legolas tausendmal süßer als Aragorn.«

Ich weiß zwar nicht, was das alles bringen soll, aber Faith sieht mich mit großen braunen Augen an, und ihrem berüchtigten Hundeblick konnte ich noch nie widerstehen.

»Okay, du hast gewonnen. Aber ich lass mir nicht Tonnen von Schminke ins Gesicht klatschen. Und zur Belohnung will ich Viggo Mortensen sehen.«

Faith lächelt nachsichtig, schließlich hat sie ihren Willen bekommen. »Nicht Tonnen, nur ein paar Gramm. Gerade genug, um deine attraktivsten Eigenschaften zu betonen. Und danach sehen wir uns auf jeden Fall Orlando Bloom an.«

Stunden später – auch wenn es in Wirklichkeit nur fünfundvierzig Minuten sind – fummelt Faith immer noch an meinen Haaren herum.

»Komm schon, Faith. Von dem Geziehe und Gezerre krieg ich Kopfschmerzen. Und die lassen sich nur mit den selbst gebackenen Haferkeksen deiner Mutter bekämpfen!«

»Nur noch ein, zwei Minuten«, erwidert Faith, während sie zwei Haarsträhnen links und rechts von meinem Kopf zusammendreht und am Hinterkopf mit einer großen Holzspange feststeckt. »Das sieht doch mal super aus. So hängen dir die Haare wenigstens nicht mehr ins Gesicht, und man kann deine Augen besser sehen.«

»Und das soll gut sein? Mir ist es lieber, wenn die Lehrer nicht wissen, ob ich wach bin oder schlafe.«

»Du machst mir das Leben wohl gern schwer, oder?« Faith starrt mein Spiegelbild mit zusammengekniffenen Augen an.

»Nein. Ich weiß nur nicht … was das alles soll. Das bringt doch eh nichts.«

»Warte wenigstens ab, bis ich fertig bin«, verlangt Faith. »Und sieh mal nach oben, damit ich den Kajal auftragen kann.«

Ich lege meinen Kopf in den Nacken und betrachte die Leuchtsterne an der Decke. Bei Tageslicht machen sie nicht viel her, aber ich weiß noch, wie ich in der zweiten Klasse das erste Mal bei Faith übernachtet habe. Mrs Wilson hat das Licht ausgeschaltet und hinter sich die Tür zugemacht, und plötzlich erstrahlte über uns ein magischer Sternenhimmel.

Faith’ Mom ist überhaupt total cool und künstlerisch begabt. Die totale Anti-Mutter. Sie schreibt Artikel für ein Handarbeitsmagazin und will ständig, dass wir für sie irgendwelche neuen Projekte ausprobieren. Sie ist nicht mal sauer, wenn wir dabei ein Riesenchaos veranstalten. Und ich finde es super, dass sie sich immer total verrückt anzieht, als wäre es ihr egal, was die Leute von ihr denken. Oder dass sie ihr langes dunkles Haar meistens mit einem Bleistift hochsteckt. Und die paar Male, die ich sie geschminkt gesehen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Sie kann es überhaupt nicht fassen, dass Faith sich für diesen ganzen Mädchenkram interessiert. Meine Mutter lässt sich ihre »Mamafrisur« alle sechs Wochen nachschneiden und würde eher sterben, als sich am Wochenende ungeschminkt an den Frühstückstisch zu setzen. Als ich mal nach einer Übernachtung bei Faith gefragt habe, ob ich auch so einen Sternenhimmel bekommen kann, meinte sie nur, das würde die Decke ruinieren.

Ich spüre Faith’ Atem auf meinem Gesicht, während sie vorsichtig mit dem Kajalstift über mein Augenlid fährt. Ich lasse meinen Blick von der Decke zu ihrem Gesicht wandern und sehe ihre Zungenspitze, die aus dem Mundwinkel herausragt, wie immer, wenn Faith sich angestrengt auf etwas konzentriert. Mir wird ganz warm ums Herz – manche Dinge ändern sich eben nie. Oder vielleicht doch?, fragt eine kritische Stimme in meinem Kopf. Ich wünschte, sie würde ganz einfach die Klappe halten. Ich bin auch so schon aufgeregt genug.

»Ta-taa! Du kannst jetzt gucken«, sagt Faith. »Und behaupte ja nicht, es würde dir nicht gefallen.«

Ich betrachte mein Gesicht im Spiegel, der ringsum kunterbunt dekoriert ist – mit Fotos von uns beiden und zahlreichen Kino- und Konzerttickets, die kreuz und quer unter dem Rahmen stecken. Ich sehe irgendwie total anders aus. Der Kajal lässt meine Augen größer und dramatischer wirken, und meine Lippen glänzen von dem blassen, fast farblosen Lipgloss, den Faith mir aufgetragen hat. Ich sehe deutlich älter aus – wie jemand, der auf die Highschool gehört. Hinter den hochgesteckten Haaren kann ich mich kein bisschen verstecken. Ich fühle mich entblößt und irgendwie … verletzlich.

»Und? Was sagst du?«, fragt Faith. »Ich finde, du siehst super aus.«

»Ich … bin mir nur nicht sicher, ob das noch ich bin.«

»Natürlich bist du das, Dummerchen«, erwidert Faith lächelnd. »Wenn du dich nur mal ein bisschen bemühst

Ich drehe mich um. Die »bemühte Abby« verpasst mir irgendwie eine Gänsehaut.

»Warum wollen eigentlich alle einen anderen Menschen aus mir machen? Warum könnt ihr mich nicht einfach so mögen, wie ich bin?«

»Ich mag dich doch so, wie du bist, Abby. Ich mache das hier nur, weil … na ja, weil du mir wichtig bist und weil ich dachte, du willst dich am ersten Tag von deiner besten Seite zeigen. Du weißt doch, der erste Eindruck zählt und so. Tut mir leid, dass du das Gefühl hast, ich will einen anderen Menschen aus dir machen.«

Ich bekomme auf der Stelle ein schlechtes Gewissen, weil sie sich meinetwegen mies fühlt. Faith ist die mit Abstand beste Freundin der Welt – jemand, auf den man sich immer verlassen kann. Sie versteht mich besser als jeder andere – besser als meine übrigen Freunde, besser als meine Eltern und tausendmal besser als meine bescheuerte Schwester Lily, bei der ich manchmal echt daran zweifle, dass wir die gleichen Gene haben.

»Tut mir leid. Ich glaube, ich hab einfach nur … na ja, du weißt schon …«

»Nein, Abby, ich weiß es nicht. Sag’s mir.«

Ich sehe der »bemühten Abby« in die Augen und atme tief ein, um mein Geständnis abzulegen.

»Ich hab eben Angst.«

Dann wende ich mich erneut Faith zu. »Ich hab Angst vor der Highschool. Ich hab Angst, dass sich plötzlich alles verändert, aber ich habe auch Angst, dass alles so bleibt, wie es war. Ich kann nachts nicht schlafen, mir ist kotzübel, und ich wünschte, der Sommer würde nie zu Ende gehen – solche Angst hab ich!«

Faith’ braune Augen schimmern, und sie nimmt mich in den Arm.

»Jeder hat doch Angst vor der Highschool. Wenn dir irgendwer was anderes erzählt, redet er Quatsch. Aber als wir in die Mittelstufe gekommen sind, hatten wir auch Angst, und wir haben’s trotzdem überlebt, oder?«

»So gerade eben. Wenn man es Überleben nennen kann, jeden Tag von diesen Cliquenzicken fertiggemacht zu werden.«

Faith verzieht das Gesicht.

»Okay, Amanda Armitage und die Hexen von der Western haben uns die Mittelstufe echt ziemlich vermiest. Aber es war nicht nur ätzend – wir hatten auch unseren Spaß.«

»Ja, stimmt schon.«

»Vertrau mir, Abby. Die Highschool wird garantiert besser. Zieh dir morgen was Nettes an, steck die Haare hoch und schmink dich so wie jetzt. Mach einfach einen guten ersten Eindruck. Versprochen?«

Faith streckt mir ihren kleinen Finger hin, wie ich es seit der Grundschule von ihr kenne. Ich hake meinen Finger bei ihr ein und murmele »großes Indianerehrenwort«, obwohl ich nicht glaube, dass der ganze Aufwand irgendwas bringt oder die Highschool in irgendeiner Weise besser wird.

»Was ist denn mit dir passiert?«, fragt Lily, als ich ins Auto steige.

»Wieso?« Ich öffne Faith’ Haarspange, damit mir die Haare wieder schützend ins Gesicht fallen.

»Lass das doch, Liebling! Die hochgesteckten Haare stehen dir echt gut«, sagt Mom, während sie mich kritisch mustert. »Warte mal, da ist noch was … Kajal! Du hast endlich mal deine Augen betont, wie ich es dir immer gesagt habe. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.«

Ich fühle mich wie ein Insekt unter dem Mikroskop. Am liebsten würde ich mir die Schminke abwischen und die Haare zerzausen, um wieder ganz normal auszusehen.

»Falsche Farbe«, kommentiert Lily. »Bei ihrer Augenfarbe sollte sie goldenen oder braunen Eyeliner nehmen, nicht schwarzen. So sieht sie aus wie ein Emo.«

»Du kannst ihr ja mal was leihen, Lily.«

»Nur über meine Leiche! Ich leih ihr doch nicht mein Makeup. Die weiß ja nicht mal, wie man so was benutzt. Hinterher ist alles ruiniert.«

»Ich will dein beschissenes Make-up überhaupt nicht, klar? Faith wollte nur, dass ich mich für den ersten Tag ein bisschen aufbrezle.«

»Da hat Faith vollkommen recht, Abby«, sagt Mom. »Der erste Eindruck zählt.«

Der Nächste, der das zu mir sagt, kriegt eine gescheuert.

»Die meisten haben doch schon einen Eindruck von mir. Es geht nur um die Neuen von der Eastern, und die kenne ich zum Teil schon aus der Kirche.«

»Ich leih dir jedenfalls gern mein Make-up«, erwidert Mom mit einem unausgesprochenen Keine Widerrede! »Du siehst nämlich sehr hübsch damit aus, und du willst dich doch am ersten Tag von deiner besten Seite zeigen.«

»WAS?!«, ruft Lily wütend. »Ich darf mir nie dein Zeug leihen. Und du hast diese ganz teuren Marken.«

»Das liegt daran, junge Dame, dass du mich immer wieder rumkriegst, dir eigenes Make-up zu kaufen, das du nicht mal mit deiner Schwester teilen willst.«

»Es ist trotzdem unfair.«

Lily schmollt für den Rest der Fahrt auf dem Rücksitz, was normalerweise ein Segen wäre. Nur dummerweise muss ich mich jetzt mit meiner Mutter unterhalten, und das einzige Thema, worauf sie sich einlässt, ist die Frage, welche Klamotten ich morgen anziehen will. Als hätte ich den leisesten Schimmer oder auch nur das geringste Interesse.

Mom und Lily beschließen kurzerhand, meine Outfitwahl zu einem Gemeinschaftsprojekt zu erklären. Sie stürmen mein Zimmer, durchwühlen sämtliche Schränke und Schubladen und suchen nach brauchbaren Klamotten. Ich glaube, Lily versucht absichtlich, mich wie den letzten Freak rumrennen zu lassen, denn sie sucht mir die abscheulichsten Kombinationen heraus, die man sich vorstellen kann. Mom straft sie schließlich mit einem vorwurfsvollen »Lily Ann!« und schickt sie aus dem Zimmer.

Natürlich versucht meine Mutter, mich zu einem total spießigen Outfit zu überreden, das ich nicht mal im Traum anziehen würde.

»Das ist nicht dein Ernst!«, sage ich. »Finde dich endlich damit ab, dass ich nicht so bin wie du

Mom wird langsam, aber sicher sauer. Lily hätte an meiner Stelle längst nachgegeben. Ach, was red ich da? Lily hätte sich ein superschickes Outfit rausgesucht, lange bevor Mom überhaupt zur Tür reingekommen wäre. Ich dagegen muss mich mit meinen vierzehn Jahren immer noch von Mami ausstaffieren lassen wie eine Barbiepuppe.

»Du könntest ruhig mal was Konstruktiveres zu dieser Unterhaltung beitragen, als zu allem immer nur Nein zu sagen. Wie wär’s, wenn du zur Abwechslung mal was raussuchst, und ich sage stattdessen Nein?«

Na toll. Jetzt stehe ich unter Zugzwang. Ich betrachte meine Klamotten im Schrank und auf dem Bett und hoffe verzweifelt auf eine Eingebung. Wenn es nach mir ginge, würde ich mir mein geliebtes Aragorn-Shirt schnappen und eine schlichte Cargoshorts dazu anzuziehen, aber damit würde ich Mom garantiert auf die Palme bringen. Ich zwinge mich also, die »bemühte Abby« zu spielen, und entscheide mich für meinen Jeansrock und ein grünes Spaghetti-Top mit einer weißen Bluse drüber. Dann lege ich alles aufs Bett. Ich bin nicht gerade ein begeisterter Rockträger, aber ich hoffe, Mom damit weichzukochen, um in Zukunft auf meine geliebten Shorts zurückgreifen zu können.

Mom lächelt anerkennend.

»Sehr schön. Ich sehe, du machst dir endlich Gedanken über dein Äußeres.«

Sie geht zu meiner Kommode, wo meine Ohrringe und Freundschaftsarmbänder, Armreifen und Halsketten wild durcheinander in einer Schachtel liegen.

»Liebling, ich habe dir doch extra diesen schicken Ohrringständer gekauft«, sagt Mom, während sie meine Ohrringe in den Acrylbaum hängt, an dem lauter leere Löcher prangen. »Warum benutzt du den denn nicht? Wenn du deine Accessoires gut geordnet vor dir siehst, kannst du sie besser auf deine Kleidung abstimmen.«

Mom will einfach nicht begreifen, dass »Accessoires« auf meiner Liste von Prioritäten ziemlich weit unten stehen.

»Lass gut sein, Mom. Ich mach das schon. Du hast mir für heute genug geholfen.«

Mom fischt ein Paar Perlenohrringe heraus, die mir Oma zur Konfirmation geschenkt hat. Sie schreien geradezu »braves Mädchen«.

»Wie wär’s, wenn du die morgen trägst, Süße?«

»Ähm … okay. Von mir aus.«

Im Moment würde ich mich sogar bereit erklären, im Nonnengewand zu gehen, nur um meine Mutter endlich loszuwerden.

»Dann will ich mich mal ums Abendessen kümmern. Pack schon mal deine Sachen für morgen.«

»Ja. Mach ich.«

Ich höre ihr kaum noch zu, weil ich bereits meinen Laptop aufgeklappt habe und mich bei ChezTeen.com anmelde. Das ist so was wie Second Life, aber für Jugendliche. Faith und ich sind jetzt seit ein paar Monaten dabei, und ich finde es viel cooler als beispielsweise Facebook, weil man da seinen eigenen Avatar gestalten kann und einen erfundenen Benutzernamen verwendet statt seines eigenen Namens. Und diese Avatare treffen sich an virtuellen Orten, anstatt einfach nur miteinander zu chatten. Es gibt sogar richtige Bands, die im Hippodrome Konzerte geben. Letzten Monat haben Faith und ich uns die American Idols live angesehen – na ja, zumindest unsere Avatare. Außerdem ist inzwischen echt jeder auf Facebook, einschließlich deren Großmütter. Meine Mom hat mich regelrecht gezwungen, sie als Freundin hinzuzufügen, damit ich überhaupt ein FB-Konto eröffnen durfte. Auf ChezTeen.com habe ich endlich mal das Gefühl, nicht ständig unter elterlicher Beobachtung zu stehen.

Ich habe mich inzwischen eingeloggt und stelle fest, dass Faith schon da ist. Ihr Benutzername ist Faithfull205. Ich bin AbyAngel99.

Hey, was geht?, tippe ich.

Schon Klamotten rausgesucht?

Ich stöhne und hämmere wütend mit den Fingern auf die Tastatur.

Ja, MAMI!!!!

Und? Was ziehst du an?

Jeansrock, grünes Top, weiße Bluse.

Klingt OK.

Klingt scharf!

Was? Das ist nicht Faith. Das ist dieser männliche Avatar mit Sonnenbrille und Igelfrisur. Er nennt sich BlueSkyBoy.

AbyAngel99: Haha.

BlueSkyBoy: U du?

Faithfull205: Jeansrock & grünes T-Shirt.

BlueSkyBoy: Nett. Ihr 2 seid wohl Zwillinge!

AbyAngel99: Nö, wir sind BF

BlueSkyBoy: Welche Klasse?

AbyAngel99: Neunte. Kommen mo auf die HS.

BlueSkyBoy: Vorfreude?

Faithfull205: Ja! :)

AbyAngel99: Nicht wirklich.

BlueSkyBoy: Warum nicht?

AbyAngel99: kA. Hab iwie Schiss.

BlueSkyBoy: Ich hab d HS überlebt. Schaffst du auch.

Plötzlich öffnet sich ein MSN-Fenster. Es ist Faith.

Faithfull205: Der ist ja voll ALT! Wollen wir echt mit dem reden? Vllt ist das ein Perverser!

AbyAngel99: So alt ist er auch wieder nicht. Gerade mal aus der HS. Wir erzählen ihm ja nicht, wo wir wohnen.

Faithfull205: OK. Stimmt.

Wir chatten also weiter mit BlueSkyBoy. Er fragt uns nach den zehn Lieblingssongs auf unserem iPod. Ich bin total verblüfft, als seine Liste mit meiner fast identisch ist.

AbyAngel99: Wow! Wir sind musikalische Zwillinge!

BlueSkyBoy: Oder Seelenverwandte. :)

Mom ruft mich zum Essen.

AbyAngel99: Muss los.

Faithfull205: Bis morgen, Abs! HDL.

BlueSkyBoy: Gn8, Seelenverwandte!

Seelenverwandte. So hat mich noch nie jemand genannt. Und die Tatsache, dass ich denjenigen nicht mal kenne – er ist einfach nur ein Avatar mit Igelfrisur und Lederjacke, der sich BlueSkyBoy nennt –, finde ich irgendwie total … seltsam.

Mit einem Lächeln auf den Lippen gehe ich runter zum Essen.

Kapitel 2

1. September

Mir dreht sich fast der Magen um, als ich zusammen mit Faith die Stufen der Roosevelt High hinaufsteige. Alles kommt mir so viel größer vor als an der Western.

»Ich hoffe, wir haben wenigstens zusammen Mittagspause«, sage ich zu Faith.

»Ich auch«, antwortet sie und hakt sich bei mir ein. »Wie sollen wir sonst Kekse tauschen?«

Ich komme mir irgendwie komisch vor, so Arm in Arm ins Gebäude zu gehen, obwohl ich mir letztes Jahr nicht die geringsten Gedanken darüber gemacht hätte. Vielleicht ist das einfach zu mittelstufenmäßig. Wir gehen in Richtung Turnhalle, wo wir uns die Stundenpläne abholen müssen. Ich schaffe es irgendwie, meinen Arm zu befreien, bevor wir durch die Tür treten. Puh!

»Ich glaube, wir müssen uns an verschiedenen Schlangen anstellen«, sage ich. »Ich bin ›H bis P‹ und du bist ›Q bis Z‹. Gibt es überhaupt Nachnamen, die mit Q anfangen?«

»Anna Quintana«, sagt Faith.

»Stimmt. Und was ist mit Z?«

»Ähm … ach, genau, Emilio Zapata!«

»Okay, Schlauberger. Dann stell dich mal an. Aber wir treffen uns hinterher, um Stundenpläne zu vergleichen, ja? Hoffentlich haben wir was zusammen!«

»Keine Sorge, Abby, das haben wir ganz bestimmt«, sagt Faith. Dann stellt sie sich in die Schlange von Q bis Z.

In der Turnhalle ist es drückend schwül. Wie konnte ich mich nur dazu überreden lassen, die Haare halb offen zu tragen? Ich halte sie mir zum Pferdeschwanz hoch, um meinen Nacken ein wenig zu lüften.

»Ist krass warm hier, oder?«

Ich drehe mich um und starre in ein Paar strahlend blaue Augen, die zu einem Jungen mit sonnengebräunter Haut und kurzem, dunklem Haar gehören. Ich schlucke und bin urplötzlich froh darüber, dass ich mir heute Morgen Moms teures Make-up ausgeliehen habe.

»Ähm … ja echt. Man sollte meinen, die würden mal die Klimaanlage anmachen.«

»Du warst nicht auf der Eastern, oder?«

»Ne, Western.«

»Deshalb hab ich dich nicht erkannt. Ich bin Nick. Nick Peters.«

»Ähm. Hi. Abby. Abby Johnston.«

»Aha. Hab ich mir schon gedacht, dass dein Nachname mit irgendwas zwischen H und P anfängt«, erwidert er grinsend. Seine blendend weißen Zähne heben sich strahlend von seinem dunklen Teint ab.

Vielleicht hatte Faith ja doch recht. Die Highschool ist eigentlich gar nicht so übel.

»Nick! Hey, Nicky!«

Amanda Armitage, Königin aller Cliquenzicken und Albtraum meiner Mittelstufenzeit, kommt grinsend und winkend auf uns zu. Ich würde mein Lieblings-Viggo-Mortensen-Poster darauf verwetten, dass ihre Begeisterung nicht mir gilt. Und tatsächlich, Nick hebt den Arm und winkt zurück.

»Kennt ihr euch?«, frage ich ihn.

»Na klar. Mandy und ich kennen uns schon ewig. Unsere Eltern gehen in denselben Country Club. Mandy ist total klasse.«

Ich nehme alles zurück. Die Highschool ist echt das Letzte. Das Allerletzte.

Ich zwinge mich zu einem Lächeln und lüge ihn mit zusammengebissenen Zähnen an. »Stimmt.«

Total klasse im Rumzicken. Total klasse, wenn es darum geht, andere fertigzumachen.

Glücklicherweise bin ich als Nächste dran, mir meinen Stundenplan abzuholen, daher muss ich mir dieses Gelaber über die ach so tolle Zickenqueen nicht länger anhören.

»Wir sehen uns«, murmele ich und schleiche mich davon, um Faith zu suchen.

»Bis dann!«, sagt Nick, aber er sieht mich nicht mal an. Er hat nur noch Augen für Mandy.

Aber das Schicksal hält noch mehr Katastrophen für mich bereit. Als Faith und ich Stundenpläne vergleichen, stellen wir fest, dass wir nur einen einzigen Kurs zusammen haben. Sport. Nicht mal unsere Mittagspause ist zur gleichen Zeit.

»Wie kann denn so was überhaupt sein?«, fragt Faith. Sie hört sich an, als würde sie gleich anfangen zu heulen. »Wir machen doch immer alles zusammen. Wir sind wie Erdnussbutter und Marmelade. Wie Eiscreme und Schokosoße. Wie Hotdogs und Senf …«

»Okay, okay, ich hab’s kapiert.«

Faith wird plötzlich ganz still, wie jedes Mal, wenn ich sie irgendwie verletzt habe.

»Tut mir leid«, sage ich seufzend. »Ich krieg nur gerade ’ne fette Panikattacke.«

»Ich doch auch, Abby. Aber nach der Schule müssen wir uns unbedingt treffen und uns alles erzählen. Okay? Großes I?«

Jetzt wo wir auf der Highschool sind, wollen wir uns nicht mehr in aller Öffentlichkeit ein Indianerehrenwort geben. Aber alte Gewohnheiten lassen sich eben schwer ablegen, deshalb sagen wir ganz einfach »Großes I«.

»Okay. Großes I!«

»Ach, übrigens, Abby …«

»Was?«

»Du siehst heute echt süß aus.«

Ich muss grinsen und kann mich selbst in aller Öffentlichkeit nicht davon abhalten, Faith zu umarmen.

»Irgendwer mit F hat mir unmissverständlich klargemacht, dass der erste Eindruck zählt.«

Faith wendet sich lachend ab, und zum ersten Mal seit der zweiten Klasse gehen wir getrennte Wege.

Ich komme mir vor wie die Kugel in einem Flipperautomaten, als ich versuche, mir in den vorgeschriebenen drei Minuten einen Weg vom Naturwissenschaftstrakt zum Matheraum zu bahnen, der sich am anderen Ende des Gebäudes befindet. Wer auch immer sich diese Stundenpläne ausgedacht hat, ist vermutlich noch nie durch die Schule gelaufen, wenn sich auf den Gängen Leute befanden.

Als ich am Matheraum ankomme, bin ich völlig aus der Puste. Aber mein Atem beschleunigt sich nur noch mehr, als ich Nick Peters entdecke, der in einer der hinteren Reihen sitzt. Zwei Plätze sind noch frei – der neben ihm und der direkt vor ihm. Heute ist wohl mein Glückstag!

Er lächelt, als ich meine Bücher auf den Tisch vor ihm lege. Würde ich mich neben ihn setzen, könnte ich die ganze Stunde über nichts anderes tun, als ihn anzuschmachten.

»Hi … ähm … Alison, oder?«

»Äh … knapp daneben. Abby.«

»Ach genau. Abby. Und? Wie läuft’s?«

»Geht so. Ich bin immer kurz davor, mich zu verlaufen.«

»Geht mir genauso. Aber das kriegen wir schon hin.«

»Klar, ich muss nur meine Sprintzeiten verbessern, damit ich es rechtzeitig vor dem Gong zum Raum schaffe.«

Nick lacht, und zum zweiten Mal an diesem Tag habe ich das Gefühl, dass die Highschool vielleicht doch Potenzial hat. Aber dann sehe ich nach vorn und entdecke Amanda Armitage, die gerade hereinkommt und schnurstracks auf Nick zusteuert.

»Hi, Nicky! Ich setz mich neben dich, dann kann ich immer bei dir abschreiben.« Sie wirft ihr blondes Haar über die Schulter und legt ihre Bücher auf den Tisch.

Nick grinst. »Das würde ich mir an deiner Stelle noch mal überlegen, Mandy. Mathe ist nicht gerade mein Ding.«

»Äh … aber meins«, sage ich. »Also … wenn du mal Hilfe bei den Hausaufgaben brauchst … oder so …«

Nick wirft mir einen flüchtigen Blick zu. »Danke, Ally«, erwidert er. »Ich komm drauf zurück.«

Dann wendet er sich wieder Mandy zu.

Er könnte sich wenigstens meinen Namen merken.

Ich fühle mich wie soziales Plankton. Nein, niedriger als Plankton – wenn das überhaupt geht. Ich kann mich gerade nicht genau erinnern, weil ich mich so schrecklich fühle. Warum habe ich mir noch mal dieses Zeug ins Gesicht geklatscht und mich mit meinen Haaren rumgeärgert? Bringt doch eh alles nichts. Zicken wie Amanda Armitage haben eben überall das Sagen, und Leute wie ich werden auch an der Highschool wie Entengrütze behandelt.

Faith und ich sitzen nach der Schule zusammen im Bus. Ich würde den Tag am liebsten begraben, aber sie will über jedes kleinste Detail quatschen.

»Da ist ein voll nettes Mädchen in meinen Kursen. Grace. Du musst sie unbedingt kennenlernen – ich glaube, ihr würdet euch super verstehen. Und was ist mit dir? Hast du irgendwen kennengelernt?«

Ich habe Kopfschmerzen und will meinen furchtbaren Tag nur noch vergessen, aber damit komme ich bei Faith nicht durch.

»Na ja, in Mathe sitzt so ein süßer Typ hinter mir, Nick Peters, aber der hat leider nur Augen für Mandy Armitage. Ihre Eltern kennen sich aus dem Country Club, und er findet sie total klasse

Faith verdreht die Augen. »Wow. Der Typ muss echt an Geschmacksverirrung leiden.«

»Und obwohl ich mir solche Mühe gegeben hab, kann sich der Typ nicht mal drei Minuten lang meinen Namen merken. Er hat mich dauernd Alison genannt.«

Faith schafft es ganze drei Sekunden, betroffen auszusehen, dann prustet sie los.

»Sorry, Alison, ich meine Abby. Das ist echt mies. Aber zum Glück gibt’s an der Schule ja noch andere Typen. Und heute war gerade mal der erste Tag. Hör mit den Haaren und dem Make-up nicht gleich wieder auf, nur weil sich irgendein Typ deinen Namen nicht merken kann.«

Ich seufze und lasse meinen pochenden Schädel gegen die Fensterscheibe sinken.

»Vielleicht hast du ja recht. Aber mir kommt’s irgendwie so vor, als wäre ich wieder in der Mittelstufe. Mal ehrlich, Faith, glaubst du wirklich, dieses Zeug in meinem Gesicht und eine neue Frisur machen aus mir gleich einen neuen Menschen? Jemanden, auf den so Tussen wie Mandy und Co. nicht herabblicken? Jemanden, dessen Namen sich Typen wie Nick tatsächlich merken

Faith nimmt meine Hand und drückt sie.

»Ich hab keine Ahnung, aber, hey, schaden kann’s nicht, oder?«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, murmele ich.

»Lass dich von Amanda nicht gleich fertigmachen, Abby. Du weißt doch, wie sie ist. So war sie schon immer.«

»Meinetwegen. Ich versuch’s.«

»Heißt das, du versprichst mir, dich morgen wieder zu schminken?«

»Ja, ja, okay.«

Als ich zu Hause ankomme, gehe ich schnurstracks rauf in mein Zimmer, schleudere meinen Rucksack in die Ecke und lasse mich aufs Bett fallen. Ich betrachte das verschlungene Muster aus Linien und Blättern, das die nachmittägliche Sonne an die Decke zeichnet, und beobachte die feinen Staubpartikel, die wirbelnd durchs Zimmer tanzen, als wollten sie das Gefühlschaos in meinem Innern imitieren.

Ich habe noch keine Hausaufgaben auf, also schnappe ich mir meinen Laptop und logge mich bei ChezTeen.com ein. Innerhalb weniger Minuten bin ich von Freunden umringt, die ich noch nie im Leben getroffen habe. Da kann ich wenigstens so tun, als wäre mein erster Highschooltag ein voller Erfolg gewesen, schließlich kennt keiner von denen die traurige Wahrheit. Ich kann einfach so sein, wie ich will, und brauche mich nicht mal dafür zu schminken.

»Und? Wie war euer erster Schultag?«, fragt Mom, als wir alle zusammen am Abendbrottisch sitzen.

»Super«, trällert Lily. »Die Siebte ist voll genial! Ich weiß überhaupt nicht, warum Abby die Mittelstufe so gehasst hat.«

Meine kleine Schwester ist echt ein Freak.

»Mom, Dad, glaubt ihr mir jetzt, dass Lily nicht ganz normal ist? Kein Mensch findet die Mittelstufe super

»Abby …«, sagt Mom warnend.

»Ich bin eigentlich gern in die Mittelstufe gegangen, aber bei uns hieß das Ganze noch Junior High«, verkündet Dad.

»Ja, als die Dinosaurier die Erde bevölkerten.« Lily verdreht die Augen.

»Vorsicht, junges Fräulein«, mahnt Dad. »Der Dinosaurier finanziert dir nämlich deine Ausflüge ins Shoppingcenter.«

Die Tatsache, dass mein Vater die Mittelstufe mochte, spricht eindeutig für meine Theorie. Dad ist nämlich auch nicht ganz normal. Er hat sich in den Kopf gesetzt, bis zu seinem fünfzigsten Geburtstag Millionär zu werden, und wenn wir in Urlaub fahren, liest er nebenbei Wirtschaftsratgeber. Am Strand. Das ist echt so was von peinlich. Und seit er nicht mehr bei Strickham & Young arbeitet – einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, bei der er schon vor meiner Geburt beschäftigt war –, sondern sich selbstständig gemacht hat, ist er zum Workaholic mutiert. Er ist kaum noch zu Hause und fast immer im Stress. Unglaublich, dass er heute tatsächlich mal mit uns zu Abend isst. Ich wette, Mom hat ihm einen Vortrag gehalten – von wegen erster Schultag, und er soll mal ein bisschen mehr Zeit mit Lily und mir verbringen.

»Und was ist mit dir, Abby?«, fragt Mom. »Wir war dein erster Tag?«

Für einen Moment denke ich ernsthaft darüber nach, meinen Eltern die Wahrheit zu sagen – dass mein erster Highschooltag genauso mies war wie die gesamte Mittelstufe, nur eben in einem größeren Gebäude. Aber wenn ich das tue, wird Mom mir dreißig Millionen Dinge auflisten, die ich an mir verändern soll, um in der Schule besser anzukommen. Und Lily wird sich garantiert anschließen und meinem beschissenen Tag die Krone aufsetzen.

Und deshalb lüge ich.

»Ganz okay. Ist nur voll blöd, dass Faith und ich außer Sport nichts zusammen haben.«

»Oh mein Gott!«, kreischt Lily und wirft theatralisch die Hände in die Luft. »Wir sollt ihr das überleben?! Ihr seid doch wie siamesische Zwillinge!«

»Lily. Das reicht.« Mom wirft meiner Schwester einen strengen Blick zu. »Abby, ich weiß, das ist am Anfang schwer, aber vielleicht hat es ja auch sein Gutes. Dann musst du dich eben ein bisschen umsehen und dir auch mal neue Freunde suchen.«

Sie hat also nicht nur was an mir auszusetzen, sondern auch noch an meinen Freunden?

»Und was, wenn ich mit meinen alten Freunden zufrieden bin?«

»Es kann nie schaden, ein paar neue dazuzugewinnen«, schaltet Dad sich ein. »Wer weiß, wozu diese Leute es später mal bringen? Vielleicht wird einer von denen Geschäftsführer bei einem der weltweit führenden Wirtschaftsunternehmen.«

Für Dad zählt mal wieder nur der Erfolg.

»Es hat eben nicht jeder seit der zweiten Klasse eine ›feste‹ Freundin«, sagt Lily. Sie umrahmt das Wort »feste« mit angedeuteten Gänsefüßchen, was auch immer das heißen soll. »Manche von uns sind eben gern beliebt.«

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Lily und Amanda Armitage zusammen in der Cafeteria sitzen und eifrig Pläne schmieden, wie sie mir am besten das Leben zur Hölle machen können. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wie zwei Menschen, die von denselben Eltern erzogen wurden, so unterschiedlich sein können: eine die zukünftige Cliquenzicke der Nation und die andere … na eben ich.

»Es erwartet ja niemand, dass sich Abby über Nacht bei allen beliebt macht«, sagt Mom.

»Wohl kaum!«, schnaubt Lily verächtlich.

»Lily …«, sagt Dad warnend.

»Aber ich finde, du bist schon so lange mit Faith befreundet, da kann es sicher nicht schaden, wenn du deine Fühler ein bisschen ausstreckst und ein paar neue Leute kennenlernst. Faith ist eine ganz wunderbare Freundin, aber es wäre nicht schlecht, wenn du dich auch mal mit Mädchen triffst, die … na ja … ein bisschen anders sind.«

Was? Wollen sie mich jetzt in eine zweite Lily verwandeln? Soll ich mit Leuten wie Amanda Armitage abhängen oder was? Keine Chance.

»Okay, okay, ich hab’s ja kapiert. Ihr wollt, dass ich mich verändere. Können wir jetzt das Thema wechseln?«

Mom und Dad tauschen einen Blick.

»Darum geht es doch gar nicht, Abby. Dein Vater und ich wollen nur, dass du deinen Horizont erweiterst. Wir wollen ganz einfach vermeiden, dass du dich … unnötig einschränkst.«

Ich starre auf meinen Teller. Mir ist irgendwie der Appetit vergangen. Warum können mich meine Eltern nicht einfach so akzeptieren, wie ich bin?

»Darf ich rauf in mein Zimmer?«

»Du hast doch kaum was gegessen!«, sagt Mom besorgt.

»Ich hab keinen Hunger, außerdem muss ich noch was für die Schule lesen«, lüge ich.

»Das ist die richtige Einstellung«, kommentiert Dad. »Gar nicht erst schleifen lassen. Auf der Highschool zählt jede Note.«

Meine Eltern haben echt keine Ahnung – und davon jede Menge.

»Mom, kann ich noch ein Stück Fleisch haben, wenn Abby nichts mehr will?«, fragt Lily.

»Ja, sicher.«

Ich flüchte in mein Zimmer und logge mich bei ChezTeen.com ein. Im nächsten Moment öffnet sich ein Chatfenster.

BlueSkyBoy: Hey, was gibt’s, Seelenverwandte?

Seelenverwandte? Ich brauche einen Moment, ehe ich mich an den Typen erinnere, mit dem Faith und ich gestern gequatscht haben. Mein »musikalischer Zwilling«. Ich muss grinsen und tippe:

AbyAngel99: Nicht viel.

BlueSkyBoy: Wie war d erste HS Tag?

Ich überlege, ob ich ihn anlügen soll, wie ich es bei den anderen gemacht habe. Aber dann denke ich mir: Was soll’s? Ich hab’s schließlich nicht nötig, ihn zu beeindrucken. Ich kenne den Typen ja nicht mal.

AbyAngel99: Eher bescheiden.

BlueSkyBoy: Kenn ich. HS ist nicht so der Brüller. U was sagt d Freundin dazu? Fairyfall oder so? Ihr seid doch sonst immer zus online.

Ich finde es irgendwie … komisch, dass ihm so was auffällt, aber nur für einen Moment. Ist schließlich die Wahrheit.

AbyAngel99: Faith? Ich meine Faithfull205. Meine BF.

AbyAngel99: Sie findet d HS genial. Von wegen neue Leute treffen und so.

BlueSkyBoy: U warum war d erster Tag so mies?

AbyAngel99: Faith & ich haben nichts zus außer Sport.

AbyAngel99: Das erste Mal seit der 2. Klasse!

BlueSkyBoy: Echt ätzend.

AbyAngel99: U dann war da dieser süße Typ, aber der ist mit dieser ätzenden Tussi befreundet.

AbyAngel99: Oberzicke der Nation!!

AbyAngel99: Die beiden sitzen bei mir in Mathe & er kann sich NICHT MAL MEINEN NAMEN MERKEN!

BlueSkyBoy: :(

BlueSkyBoy: Ich würde mir d Namen garantiert merken.

BlueSkyBoy: Wenn ich ihn denn wüsste … ;-P

AbyAngel99: *lol* Ich bin Abby.

BlueSkyBoy: U ich Luke.

AbyAngel99: Hi! :)

BlueSkyBoy: Hi! :)

BlueSkyBoy: U wie heißt d Schwachkopf?

AbyAngel99: Nick. Nick Peters.

BlueSkyBoy: Fick-dich-Nick weiß wohl nicht, was er an dir hat.

Über »Fick-dich-Nick« muss ich laut lachen. Mir ist schon klar, dass dieser Luke mir nur schmeichelt. Schließlich weiß er genauso wenig, »was er an mir hat«. Ich könnte grottenhässlich sein oder einen richtig schlechten Charakter haben. Er weiß ja nicht mal, ob ich wirklich ein Mädchen bin – das haben sie uns in der Schule immer wieder gepredigt. Weiß der doch nicht, ob ich nicht irgendein vierzigjähriger Perversling bin, der nur so tut, als wäre er ein Mädchen.

Aber obwohl er das alles nur so dahinsagt, tun seine Worte irgendwie gut, nachdem ich mich den ganzen Tag über wie Plankton gefühlt habe. Im Moment nehme ich echt jedes Kompliment dankbar an. Hauptsache, ich fühle mich nicht mehr wie das unterste Glied in der sozialen Nahrungskette.

AbyAngel99: Haha.

BlueSkyBoy: Ich meine es ernst. Wenn ich an d Schule wäre, würde ich mir alles über d merken.

BlueSkyBoy: Was ist d Lieblingseis?

AbyAngel99: Walnuss.

BlueSkyBoy: Red keinen Scheiß!

AbyAngel99: Ehrlich!

BlueSkyBoy: Wow, wir sind echt seelenverwandt! Das ist auch mein <3-Eis!

AbyAngel99: :)

BlueSkyBoy: Und deine <3-Farbe?

AbyAngel99: Lila.

BlueSkyBoy: Meine blau.

AbyAngel99: Ach ne, echt, BLUESkyBoy?!!

BlueSkyBoy: Genau. Hahaha!

BlueSkyBoy: Deshalb mag ich dich so. Du bist schlagfertig. U witzig.

»Abby?« Mein Vater steht plötzlich in der Tür.

AbyAngel99: Sorry. E112!

BlueSkyBoy: OK

Ich klappe den Laptop zu und wirbele auf meinem Drehstuhl herum.

»Ja?«

Dad setzt sich auf die Bettkante.

»Hast du dir eigentlich schon überlegt, welche Zusatzkurse du belegen willst?«, fragt er. »Von jetzt an zählt alles fürs College, Süße.«

OMG! Ich bin noch nicht mal vierundzwanzig Stunden auf der Highschool, und mein Dad schickt mich schon aufs College?!

»Ähm … Dad? Heute war mein erster Tag. Ich hatte schon genug damit zu kämpfen, meinen Spind zu finden und rechtzeitig in den verschiedenen Klassenräumen zu sein.«

Jeder normale Vater hätte den dezenten Hinweis verstanden und fürs Erste den Rückzug angetreten, aber niemand auf dieser Welt – am allerwenigsten ich – würde meinen Vater als normal bezeichnen.

»Trotzdem solltest du dir schon mal Gedanken machen, mein Engel. Die Zeit wartet nicht. Eh du dich’s versiehst, musst du die Bewerbungsunterlagen fürs College einreichen. Und du willst schließlich nicht trotz guter Noten abgelehnt werden, nur weil du nicht genügend Kurse belegt hast.«

Ich wünschte, mein Vater würde sich zur Abwechslung mal ein paar Gedanken über das Hier und Jetzt machen anstatt über meine Zukunft. In einer idealen Unterhaltung würde ich ihm von meinen leidvollen Erfahrungen als soziales Plankton erzählen anstatt von meinen nicht vorhandenen Zusatzkursen.

»Okay, okay. Ich denk drüber nach. Darf ich mir wenigstens ein, zwei Tage Zeit lassen, bis ich mich an die neue Schule gewöhnt habe?«

»Na klar, Engelchen. Behalte meine Worte ganz einfach im Hinterkopf.«

Und damit ist unser »vertrauliches« Gespräch beendet. Dad sagt mir gute Nacht und gibt mir einen Kuss auf den Kopf. Ich bleibe an meinem Schreibtisch sitzen und sehne mich nach … keine Ahnung. Irgendwie nach mehr.