QUEST
Roman
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2009/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Titelillustration: © sdecoret/shutterstock.com; freestyle images/shutterstock.com; Irina_QQQ/shutterstock.com; Inaoy/shutterstock.com; Tursunbaev Ruslan/shutterstock.com
Covergestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, München
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-8387-0903-1
luebbe.de
lesejury.de
Ouvertüre
Der Tempel allen Wissens
In der Namenlosen Zone
Das Wrack
Die Herrscher der Morgenröte
Die Legende der Zwölf
Die Sphäre
Katapultpunkte
Kettenreaktion
Der Mittelpunkt des Mittelpunkts
Protoleben
Coda
Die wohl erstaunlichste Entdeckung, die Menschen machten, als sie aufbrachen, um den Weltraum zu erkunden, war die, dass alles Leben im Universum miteinander verwandt ist.
Das heißt nicht, dass man nicht eine kaum fassbare Vielfalt an Lebensformen vorgefunden hätte. Leben existiert unter den extremsten Bedingungen, an den unerwartetsten Orten und in den absonderlichsten Erscheinungsformen. Doch auf der niedrigsten Stufe sind all diese Formen miteinander verwandt. Man hatte damit gerechnet, unendliche Fremdartigkeit anzutreffen, Leben auf Siliziumbasis etwa auf kochend heißen Planeten, denkende Steine, intelligente Magnetfelder, gasförmige Geistwesen und anderes, das auszudenken die Fantasie nicht ausreicht. Aber bei aller Fremdartigkeit, die man tatsächlich antraf und die tatsächlich oft alle Fantasie übertraf, fand man doch unerwartet stets Gemeinsamkeiten. Alles Leben im Universum basiert auf Kohlenstoffverbindungen. Mehr noch - alles Leben im Universum ist aus Aminosäuren gemacht. Sogar was darüber hinausgeht - Zellbildung, Strukturen innerhalb von Zellen, Fortpflanzung, Speicherung von Erbinformation -, weist hinreichende Ähnlichkeiten auf, um als verwandt bezeichnet zu werden. Das Leben im Universum ist eins.
Letztlich war dies ein glücklicher Umstand. Wäre es anders gewesen, hätten Menschen niemals andere Planeten zu ihrer Heimat machen können. Jede Lebensform wäre für immer eingesperrt gewesen auf dem Planeten, auf dem sie entstanden ist, für alle Zeiten an dessen Schicksal gekettet. So aber war es möglich, fremde Welten zu erschließen, zu terraformen, ihre Flora und Fauna genetisch zu adaptieren und zu einem Teil des menschlichen Lebensraumes zu machen.
Aber wie war das zu erklären? Die Gesetze der Evolution, soweit man sie kannte, galten überall, auf jedem Planeten, in jeder Galaxis. Doch sie reichten nicht aus, die offenbare Verwandtschaft allen Lebens zu erklären. Es war undenkbar, dass alle Formen des Lebens sich unabhängig voneinander so ähnlich entwickelt haben konnten. Hier mussten andere, umfassendere Gesetze am Werk sein.
Man kam einer Antwort auf die Spur, als man organische Moleküle in den Schweifen und Kernen von Kometen entdeckte, jenen Vagabunden des Alls, die jahrtausendelang durch die dunklen, kalten Abgründe zwischen den Sternen ziehen und oft nicht wiederkehren, weil sie auf ihrem Weg in das Schwerefeld einer anderen Sonne geraten und daraufhin ihre Richtung ändern. Es war nicht vorstellbar, dass sich organische Moleküle dieser Komplexität in Kometenköpfen hätten bilden können. Nicht nur, dass die für chemische Reaktionen erforderlichen Temperaturen nicht erreicht wurden, es war auch nicht ersichtlich, woher ein für die evolutionäre Entwicklung von Biomolekülen notwendiger Selektionsdruck hätte rühren können. Anders gesagt: Wenn sich in Kometen hätte Leben bilden können, wäre es ein auf Kometen beheimatetes Leben geworden, das sich mit Planeten nicht abgegeben hätte.
Die Herkunft der Biomoleküle in Kometen erklärte sich erst, als man feststellte, dass belebte Planeten einen feinen, aber ständigen Strom organischer Substanzen abgeben. Durch eine Vielzahl planetarer Prozesse - Vulkanausbrüche, Orkane, Meteoriteneinschläge - gelangen derartige Substanzen bis in die äußersten Schichten der Atmosphäre, wo sie von dem vom Zentralgestirn ausgehenden Sonnenwind erfasst und ins All hinausgetrieben werden. Durchquert nun ein Komet diese Wolke des Lebens, nimmt er die organischen Moleküle auf und speichert sie in seinem eisigen Kern.
Tiefgekühlt überstehen sie die unermesslich lange Reise, bis der Komet einst wieder in die Nähe einer Sonne gelangt. Vielleicht ist es eine fremde Sonne, vielleicht besitzt sie Planeten, und vielleicht ist einer davon für die Entwicklung von Leben geeignet. Bei der Annäherung des Kometen an die Sonne beginnt der Kometenkopf zu dampfen, der typische, durch den Lichtdruck stets von der Sonne wegweisende Schweif bildet sich, und mit etwas Glück durchquert ihn ebendieser für Leben geeignete, aber noch sterile Planet. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass einige der organischen Moleküle, die der Komet mit sich trägt, auf die Oberfläche des Planeten gelangen. Das Faszinierende ist, dass bereits ein einziges Molekül ausreicht, um eine fruchtbare Welt mit Leben zu infizieren.
Alles Weitere ist Sache der normalen Evolution. Durch Variation und Selektion bilden sich Einzeller, Mehrzeller, schließlich eine an die Verhältnisse auf dem Planeten angepasste, im ganzen Universum einzigartige Vielfalt von Arten, die so nur hier entstehen konnte.
Auf diese Weise verbreitet sich das Leben im All. Nur so lässt sich die Beobachtung erklären, dass es wesentlich mehr belebte Planeten gibt, als es selbst nach den optimistischsten Annahmen für die statistischen Grundlagen molekularer Evolution geben dürfte. Das Universum birst geradezu vor Leben. Es gleicht mehr einem Dschungel als einer Wüste. Die Sterne scheinen danach zu hungern, Leben bestrahlen zu dürfen.
Doch wie hat alles angefangen? Auch wenn es von Kometen und Magnetstürmen durch das All getragen wird und sich über unauslotbare Abgründe hinweg von Stern zu Stern fortpflanzt, muss das Leben ursprünglich doch auf einem Planeten entstanden sein. Tatsächlich zeigt eine nüchterne Rechnung, der man das bekannte Alter des Universums und die einigermaßen abschätzbare Zahl von potenziell lebensfreundlichen Planeten zugrunde legt, dass die Wahrscheinlichkeit für die spontane Entstehung von Leben knapp eins beträgt. Mit anderen Worten, nach allem, was wir wissen, kann es nur so sein, dass alles Leben im Universum sich ursprünglich auf einem einzigen Planeten entwickelt und von dort aus nach und nach über das All ausgebreitet hat.
Und hier betreten wir das Reich der Legenden. Jede Kultur, sei sie menschlich oder nichtmenschlich, kennt eine Sage, in der von einem - und nur einem - Ursprung allen Lebens die Rede ist. Solange diese Kultur nur ihren eigenen Planeten bewohnt, vermutet sie diesen Ursprung an einem sagenhaften Ort auf ebendieser Welt. Doch wird dieser Ort niemals gefunden, und so wandelt sich der Mythos, sobald die Schwelle zum Weltraum überschritten wird. Irgendwo im Universum, sagt die Legende fortan, auf irgendeinem der zahllosen Planeten, auf denen die Schöpfung experimentiert hat, muss vor unvorstellbar langer Zeit alles seinen Anfang genommen haben, muss das Leben ursprünglich entstanden sein. Niemand hat diesen Planeten je gefunden, aber die Überlieferungen aller Völker werden nicht müde, davon zu erzählen - von dem Ort, an dem einst die Dunkelheit endete und das Leben begann. Es ist ein sagenhafter Ort. Unvorstellbare Schätze, heißt es, warten dort auf den Entdecker. Manche Sagen wollen wissen, dass auf dieser Welt die Unsterblichkeit zu finden sei.
Eine Legende schließlich - die älteste von allen - behauptet, auf diesem Planeten sei es möglich, Gott zu begegnen …
In diesen Stunden schien Eftalan Quests physische Präsenz auf fast unheimliche Weise zuzunehmen. Er lag in seinem Sessel, eine massige Gestalt ohnehin, aber in der Dunkelheit, die er dann bevorzugte, wie ein Gebirge von Mann wirkend, wie ungeheures Urgestein, mit grimmiger Entschlossenheit erduldend, was sie ihm zufügen musste.
Die Bewegung, mit der er den Vortrag unterbrochen hatte, war unerwartet gekommen. Vileena spürte, dass er sie erwartungsvoll ansah, auch wenn sie seine Augen in ihren Höhlen nicht ausmachen konnte. Seine Hand bebte. Sie lag im fahlen Lichtkegel der winzigen Kommunikatorlampe, den Finger auf der Unterbrechertaste, und sah aus, als gehöre sie nicht zu ihm.
»Verstehst du?«, fragte er.
Im Klang seiner Stimme war etwas, das sie an ein gequältes Tier denken ließ. In der unerwarteten Stille - sogar das unterschwellige, allgegenwärtige Flüstern der Schiffsmaschinen war leiser als sonst, weil sie seit Tagen antriebslos im Raum schwebten - schienen ihre Ohren empfänglich für die kleinsten Nuancen geworden zu sein.
Sie sah den Schweiß auf seinem Schädel schimmern wie einen frischen Anstrich. Anstatt zu antworten, griff sie nach seiner anderen Hand und fühlte den Puls. Der wütende, kraftvolle Schlag vom Anfang war einem gehetzten, jagenden Trommeln gewichen. Sie drosselte die lautlos arbeitende Apparatur, die sorgfältig dosierte Medikamente in Quests Körper pumpte.
Quest drückte eine andere Taste, setzte die Aufzeichnung zurück. Er liebte es, sich in diesen qualvollen Stunden mit Vorträgen abzulenken, aber dieser schien eine besondere Bedeutung für ihn zu haben.
… die Überlieferungen aller Völker werden nicht müde, davon zu erzählen - von dem Ort, an dem einst die Dunkelheit endete und das Leben begann. Die Stimme des Sprechers ließ einen vergessen, dass man sich in einem abgeschlossenen Raum befand; die Dunkelheit ringsum schien bei diesen Worten die Dunkelheit des Weltraums zu sein. Es ist ein sagenhafter Ort. Unvorstellbare Schätze, heißt es, warten dort auf den Entdecker. Manche Sagen wollen wissen, dass auf dieser Welt die Unsterblichkeit zu finden sei …
Wieder unerwartet: ein Schlag der Kommandoglocke.
Quests Hand zuckte zurück in den Lichtkegel, unterbrach den Vortrag erneut.
»Verstehst du nun?«, fragte er noch einmal, drängender, mit einem Anflug von Heiserkeit.
Vileena starrte in das pulsierende Rot des Rufsignals. »Ich glaube nicht«, erwiderte sie zögernd. »Vielleicht weigere ich mich zu glauben, dass es so sein könnte, wie ich ahne.«
Eftalan Quest stieß ein heiseres Lachen aus. »Ja. Doch genauso ist es.«
Die Kommandoglocke wurde ein zweites Mal geschlagen, ein sonorer, metallischer Ton.
»Du bist …« Sie hielt inne. Als Heilerin durfte sie so etwas nicht sagen.
»Wahnsinnig?«
Vileena holte Atem, so tief, als bekäme sie nie wieder Gelegenheit dazu. »Vielleicht gibt es Grenzen, die ein Mensch nicht überschreiten sollte.«
Nun tauchten seine Augen aus der Dunkelheit auf. Eine grausige Kälte schimmerte darin.
»Wenn man nichts zu verlieren hat«, sagte er, und es klang wie eine gewalttätige Beschwörung, »kann man alles tun.«
Ein drittes Mal schlug die Kommandoglocke, und nun hieb seine Hand, als führe sie ein Eigenleben, auf die Antworttaste. »Quest!«
Die Stimme aus dem Lautsprecher klang lärmend geschäftig. »Hiduu hier, Erhabener Kommandant. Wir haben soeben das Signal erhalten.« Im Hintergrund metallische Maschinengeräusche, das Sirren hochfahrender Triebwerke, eine Kakofonie verschiedener akustischer Signale.
»Gut«, erwiderte Quest. »Endlich. Dann gehen Sie vor wie geplant.«
»Ich bestätige, Kommandant. Der Einsatzbefehl ist erteilt.«
»Korrekt. Einsatzbefehl ist erteilt.«
Quest ließ die Taste los und sah Vileena an.
»Es beginnt«, sagte er.
Die Luft wurde dünner, je höher sie kamen, und der schneidende Wind, der durch das Tal zog, hatte die beiden Sucher verstummen lassen. Bailan führte ihre Jibnats an den Zügeln, er kannte den Weg, aber auch er hatte nur noch Augen für den Pfad. Gerade hatten sie den Schrein des fünften Gründers passiert. Die Strecke bis zum nächsten Schrein nannte man in der Bruderschaft das Tal der Bewährung. Wenn es Suchern, die mit ihren Fragen zum Pashkanarium kamen, nicht wahrhaft ernst war, kam hier meist der Punkt, an dem sie umkehrten.
Der Schrein und der Jibnat-Pfad waren die einzigen Landmarken menschlichen Ursprungs weit und breit. Nichts wuchs hier oben in den Bergen des Nordmassivs, abgesehen von dem mageren, blaugrünen Gras, das nicht einmal Jibnats satt machte. Die Berge rechts und links des unerbittlich ansteigenden Talbodens ragten empor, als müssten sie den Himmel stützen, schienen einen erschlagen zu wollen mit ihrer schieren Wucht. Tatsächlich fühlte man sich hier dem Himmel näher als der Erde. Dunkelblau spannte sich das Gewölbe über ihnen, ein majestätischer Dom, der den Wanderer Ehrfurcht lehrte.
Nicht ganz dunkelblau. Bailan kniff die Augen zusammen. Hier und da tauchten die orangeroten Schlieren am Himmel auf, die das Nahen des Winters ankündigten. Sie durften keine Zeit verlieren. Noch ein paar Tage, und ab dem Schrein des dritten Gründers würde Schnee fallen. Dann würde der Weg zum Pashkanarium wieder unpassierbar sein bis zum Frühjahr.
»Bailan!«, rief einer der beiden Männer. »Rast!«
Bailan blieb stehen und drehte sich zu den beiden um, vor Anstrengung keuchend. Die Jibnats glotzten ihn mit geblähten Nüstern an. Auch sie spürten den Winter nahen.
»Schon wieder?«, rief er zurück. »Wir haben doch erst …«
»Nur einen Moment«, erwiderte der Mann. Er keuchte ebenfalls, obwohl er nicht selber gehen musste. Die dünne Luft machte beiden zu schaffen. »Ich muss mich erleichtern.«
Dagegen war schwer etwas zu sagen, auch wenn es dem Novizen merkwürdig vorkam. Sie hatten wenig gegessen auf dieser Reise; es wollte ihm nicht ganz einleuchten, wo das alles herkam, von dem sich in einem fort einer der beiden erleichtern musste.
Er veranlasste die Reittiere, sich hinzulegen, sodass der Mann absteigen konnte. Mit schiefem Grinsen löste der Fremde die kleine Schaufel von ihrer Halterung am Geschirr des Jibnats und stapfte los, auf der Suche nach einem geeigneten Platz hinter einem der zahllosen Felsbrocken. Bailan sah ihm zu, wie er ein kleines Loch in den harten Boden grub, und blickte weg, als er Anstalten machte, die pelzene Überhose herabzulassen.
Er warf dem anderen einen Blick zu. Der schien davon nichts zu bemerken. Die Hände fest um den Sattelknopf gekrallt, hockte er auf dem Rücken seines Jibnats und verrenkte sich beinahe den Hals bei der Betrachtung der Bergrücken, zwischen denen sie dahinpilgerten. Bailan fühlte Unbehagen, ihn dabei zu beobachten. Es war kein Staunen in diesem Blick, keine Ehrfurcht. Der Mann betrachtete die monumentalen Berge, als überlege er, wie man eine Brücke von einem zum anderen bauen könne.
Bailan war nun schon einige Jahre Novize und hatte, wie es eine der Pflichten eines Novizen war, schon oft Sucher den Pfad von der Ebene hinauf zum Tempel geführt. Manche Sucher hatten es sich anders überlegt und waren wieder umgekehrt, andere waren im Pashkanarium geblieben, um gleichfalls ein Novizat anzutreten. Manche hatten Antworten auf ihre Fragen gefunden und waren glücklich heimgekehrt, andere hatten den Weg umsonst auf sich genommen. Das konnte man nie vorher wissen.
Aber diese beiden Männer waren irgendwie anders. Sie hatten die samtbraune Haut der Zentralweltler, ihre für eine Welt wie Pashkan untaugliche Kleidung, ihre reichlich geziert wirkenden Umgangsformen. Aber woher sie tatsächlich stammten, war ihnen nicht zu entlocken gewesen. Es war Bailan auch nicht ganz klar, wie sie nach Pashkan gelangt waren; ein Landeboot habe sie abgesetzt, hatten die Leute am Raumhafen erzählt, das sofort wieder gestartet sei, mehr wusste man nicht. Und da waren sie dann gestanden und hatten einen Führer zum Pashkanarium gebucht. Seine Frage, ob sie von Gheerh kämen, hatten sie verneint, aber weiter nichts dazu gesagt.
Der eine, der sich unentwegt die Berge ansah, hieß Dawill oder so ähnlich. Er war etwas untersetzt, hatte dunkle Haare und schien derjenige der beiden zu sein, der das Sagen hatte. Der andere hatte sich mit dem Namen Kuton vorgestellt, aber Dawill nannte ihn Tennant, wenn sie miteinander sprachen. Tennant war groß und mager und unruhig. Man hatte das Gefühl, dass ihm die Pilgerfahrt ein schlechtes Gewissen bereitete. Bailan hatte sogar überlegt, ob Tennant möglicherweise ein Anhänger des Philosophen Phtar war, dessen Lehre jegliches Wissen als Quelle allen Unglücks verurteilte. Doch dann war ihm eingefallen, dass die Anhänger Phtars in der dritten Generation nach dessen Ableben sogar das Lesen und Schreiben aufgegeben hatten und nicht mehr imstande gewesen waren, Phtars Lehre weiterzugeben, sodass die Bewegung ausgestorben war. Das Pashkanarium war vermutlich der einzige Ort im Universum, an dem man Phtars Lehren noch kannte.
»Wie weit ist es noch?«, wollte Dawill unvermittelt wissen.
Bailan schrak beinahe zusammen. »Wir haben den Schrein des fünften Gründers passiert«, erklärte er.
»Den fünften?« Der Mann drehte sich mit gerunzelter Stirn im Sattel um und musterte den Weg, den sie gekommen waren. Diese grandiose fadendünne Linie durch die Einsamkeit. »Wir haben doch schon jede Menge Schreine passiert - mindestens … zehn oder noch mehr …?«
»Sie werden in umgekehrter Reihenfolge gezählt. Wir werden noch vier Schreine passieren, ehe wir das Pashkanarium erreichen.«
Der andere, Tennant, war fertig mit seinem Geschäft. Aus den Augenwinkeln sah Bailan ihn die Hose hochziehen und das Loch wieder sorgfältig zuschaufeln. Einmal hatte er zu sehen geglaubt, wie Tennant einen kleinen Gegenstand in das Loch gelegt hatte, nachdem er seine Notdurft verrichtet hatte. Möglicherweise hatte er sich das aber auch nur eingebildet. So genau wollte er überhaupt nicht hinschauen.
»Noch vier Schreine, hmm?« Dawill nickte nachdenklich, betrachtete wieder die Felswände. »Und wie lange wird das dauern?«
Eine der Regeln der Bruderschaft besagte, dass der Weg zum Tempel dazu diente, die Entschlossenheit des Suchers zu prüfen, und dass man ihm deswegen keine Vorstellung von dessen zeitlicher Dauer geben durfte. »Das kann ich nicht sagen«, erklärte Bailan deshalb. »Aber wir müssen uns beeilen, um anzukommen, ehe es zu schneien beginnt.«
Dawill nickte Tennant zu, der müde herangestapft kam. Schon die wenigen Schritte bergauf hatten ihn völlig erschöpft. »Hast du gehört? Der Junge sagt, dass es möglicherweise schneit.«
Tennant war zu sehr außer Atem, um darauf zu antworten. Er blieb neben seinem Jibnat stehen, stützte sich auf den Sattel und rang nach Luft.
»Es müsste doch möglich sein, zum Pashkanarium zu fliegen, oder?«, fragte Dawill, Bailan eindringlich ins Auge fassend. Wie er es sagte, klang es, als wisse er genau, dass das nicht ging, und wolle nur hören, was der Novize darauf sagen würde.
»Nein«, erklärte Bailan ruhig. Jeder Sucher fragte das, und meistens in dieser Gegend, im Tal der Bewährung. »Der Schild zerstört alles, was sich dem Tempel über die Berge nähert.«
»Der Schild, soso. Das ist also keine Legende?«
»Nein.«
»Interessant«, meinte Dawill und sah seinen Begleiter an. »Oder, was meinst du?«
Tennant nickte nur. Sein Gesicht war aschfahl.
»Ich habe mal«, fuhr Dawill nachdenklich fort, »so eine Geschichte gehört … Irgendwas mit einem Krieger, der einen Ordensbruder verfolgt. Er hat ihn gerade eingeholt und will ihn umbringen, da geht der Schild herunter und sein Schwert verglüht daran. Oder so ähnlich, kennst du die? Ich dachte, das ist eine Legende.«
»Die Legende vom Speerwerfer, ja«. Bailan musste lächeln. Das war eine seltsam populäre Geschichte, die viele Sucher kannten, obwohl sie, wenn sie sich jemals tatsächlich zugetragen haben sollte, aus einer der ersten dunklen Epochen stammen und damit Tausende von Jahren alt sein musste. »Ob das je so geschehen ist, weiß man nicht, aber den Schild gibt es wirklich.«
»Und ein Schwert würde daran tatsächlich verglühen?«
»Genau wie ein Flugschiff oder eine nukleare Bombe. Nichts kann ihn durchdringen.«
»Und wer hat diesen Schild errichtet?«, wollte Dawill wissen. »Die Gründer der Bruderschaft? Die in diesen Schreinen« - sein Finger huschte eine imaginäre Linie auf und ab, die ihren bisherigen Weg durch das Massiv darstellen sollte - »beigesetzt sind?«
»Ja. Die Geräte dafür haben sie allerdings von den Eloa erhalten.«
»Das ist dieses sagenhafte nichtmenschliche Volk, das die Pashkan-Bruderschaft initiiert hat, nicht wahr?«
»Die Bruderschaft der Bewahrer«, korrigierte Bailan, der allmählich ungeduldig wurde. Wollte Tennant ewig so stehen bleiben? Da sagte er ihnen, dass sie sich beeilen mussten, und sie taten, als sei das völlig ohne Belang. »Die Eloa gehörten zu den ersten Wesen mit Bewusstsein im Universum überhaupt, vor unsagbar langer Zeit. Sie haben uns Menschen in unserer Frühzeit beschützt und gefördert. Ehe sie gingen, haben sie die Gründer ermutigt, die Bruderschaft der Bewahrer zu gründen, um das Wissen der Menschheit zu sammeln in den hellen Zeiten und zu bewahren durch dunkle Zeiten. Denn Wissen ist ein kostbares, verderbliches Gut - wird es nicht bewahrt, geht es verloren, und mangelndes Wissen ist die größte Ursache von Leid.« Er nickte bekräftigend. »Das ist es, was wir glauben.«
Dawill nickte. Natürlich hatte er das gewusst. Das stand in jedem Buch über Pashkan und die Bruderschaft. »Du sagst, die Eloa gingen … Weiß man, wohin sie gingen?«
»Nein.«
»Aber es gibt Informationen im Pashkanarium über die Eloa, oder? Und über andere nichtmenschliche Völker?«
Bailan hob die Augenbrauen. »Ich hoffe, ihr seid nicht deswegen gekommen. Diese Informationen gibt es, aber sie lagern im Allerheiligsten und sind nur unseren Hohepriestern zugänglich.«
»Warum das denn?« Er schien nicht beeindruckt. Endlich machte sich auch Tennant wieder daran, sein Jibnat zu besteigen. »Es gibt doch über Nichtmenschliche praktisch nur Gerüchte. So gut wie niemand hat jemals Kontakt mit einem nichtmenschlichen Volk gehabt. Da wären solche Informationen doch sehr nützlich, oder?«
Bailan zuckte mit den Schultern. »Das sind die Regeln. Allgemein zugänglich ist nur das Wissen der Menschheit.« Er schnalzte mit den Zügeln, und die zottigen Leiber der Jibnats erhoben sich schwankend. »Ich denke, dass es einen Grund für diese Regeln gibt. Auch wenn ich ihn noch nicht kenne.«
Dawill trat seinem Jibnat unerwartet in die Seite, worauf es erschrocken ein paar Schritte vorwärts machte und unmittelbar neben Bailan zu stehen kam, sodass er auf den Novizen herabsehen konnte.
»Es heißt immer, die Pashkan-Brüder erachteten Neugier als die größte Tugend«, meinte der Mann von einer fremden Welt. »Da sollte dich die Frage, was es in eurem Allerheiligsten zu erfahren gibt, doch bis aufs Blut quälen, oder?« Er lächelte ein schmales, schlaues Lächeln. »Und weißt du was? Ich wette, genauso ist es.«
Bailan antwortete darauf nicht, sondern zerrte an den Zügeln und setzte den Weg fort, so rasch es ging. Aber er hatte allerhand nachzudenken in den Stunden, die kamen.
Die Zeit verging, wie sie immer vergangen war. Sie folgten dem Pfad, Schritt um Schritt, Tag um Tag. Wenn es abends so dunkel war, dass man nichts mehr erkennen konnte, schlugen sie das Nachtlager auf, um morgens, sobald es hell wurde, wieder weiterzuziehen. Das Holz, das sie während des ersten, wärmeren Teils der Pilgerfahrt gesammelt hatten, war bereits aufgebraucht, weil sie zu früh angefangen hatten, abends Lagerfeuer zu entzünden. So schlüpften sie nur im Schein einer Lampe, die den beiden Suchern gehörte, in ihre Schlafsäcke - Bailan in seinen schlichten Fellsack, die beiden Fremdweltler in kompliziert aussehende Schlafsäcke aus einem seidig glänzenden Material - und schliefen wie die Toten. Die Jibnats grasten indes im Dunkeln den mageren Wuchs ringsum ab, soweit es ihre Anleinung erlaubte, und morgens standen sie schon wieder da, aus geblähten Nüstern schnaubend, als könnten sie es nicht erwarten, weiterzutrotten. Wenn man nicht gewusst hätte, dass sie nur wenig Schlaf brauchten, hätte man meinen können, sie schliefen überhaupt nicht.
Als sie den Schrein des zweiten Gründers passierten, hing Tennant nur noch bleich und leidend im Sattel. Dawill dagegen musste in einem fort seine Notdurft verrichten, nach jeder Biegung des Tals beinahe. Die jäh aufragenden Klippen schienen ihn mehr denn je zu faszinieren.
Endlich kam der Schrein des ersten Gründers in Sicht. Bailan konnte nicht verhindern, dass sich ein breites Grinsen in seinem Gesicht ausbreitete - zum Glück wandte er den beiden Suchern den Rücken zu, sodass sie es nicht bemerkten. Unmittelbar nach dem Schrein war der höchste Punkt des Pilgerpfades überschritten, und an diesem Punkt bekamen die Reisenden das Pashkanarium auch zum ersten Mal zu Gesicht. Und das, fand Bailan, war immer der Höhepunkt des Weges und aller Mühen wert.
Schritte. Knirschen. Das Schaben der Jibnat-Hufe auf dem Geröll. Keuchen. Pfeifende Atemgeräusche. Und dann, ohne Vorwarnung …
Bailan trat beiseite, die Jibnats mit den Zügeln bremsend, und beobachtete die Gesichter der beiden Männer. Wie sie sich ruckartig in den Sätteln aufrichteten. Wie ihre Kiefer herabsanken, ihre Augen hervorquollen, wie ihre Lungen das Atmen vergaßen.
Jeder Mensch in dieser Galaxis wusste, was das Pashkanarium war, und wusste, dass es groß war. Aber niemand hatte auch nur annähernd eine Vorstellung davon, wie groß. Der bloße Anblick traf jeden wie ein Schlag mit dem Hammer.
Das Pashkanarium war ein Tempel, errichtet über einem Tempel, der wiederum über einem Tempel erbaut worden war - und immer so weiter, Dutzende von Schichten, errichtet in Tausenden von Jahren, jede größer als das gesamte bisherige Bauwerk, es umschließend wie eine kreisrunde Burg mit konkav gewölbtem Dach. Allein das Dach des äußersten Tempels, das zu überqueren zu Fuß Stunden gedauert hätte, war ein Wunder für sich. Doch unter dieser Hülle lag der nächste Tempel, genauso gebaut, nur kleiner, und der Raum zwischen diesem und dem umschließenden Tempel war ausgefüllt mit Archiven, in denen das Wissen der Menschheit lagerte. Das war es, was die Mitglieder der Bruderschaft taten: überall in der Galaxis Daten, Informationen, Wissen sammeln, um es zu archivieren und für kommende Generationen zu erhalten. Wer immer ernsthafte Forschung betrieb, war eingeladen zu kommen und zu bleiben, solange er wollte. Das Pashkanarium war die größte Bibliothek des Universums, der Hort allen Wissens, das Gedächtnis der Menschheit. Was hier nicht zu finden war, war unbekannt. Und eines Tages würden die Brüder darangehen und die nächste Schicht des Tempels errichten, die nächste Schale, die wieder Platz bieten würde für das Wissen weiterer Jahrtausende.
Doch all das sah man nicht, wenn man den Pass überquerte. Was man sah, waren Mauern, die zum Himmel zu reichen schienen. Was man sah, waren unfassbar hohe Tore, so groß, dass man zwischen ihren Portalen eine Stadt hätte errichten können. Was man sah, war, wie die schroffen Formationen mächtiger Bergzüge jäh an den Wänden eines Bauwerks endeten, das sie überragte und wie Attrappen aussehen ließ. Wolken regneten ab an den Zinnen dieser himmelstürmenden Mauern, die ein Dach trugen, das bis zum Horizont zu reichen schien. Was man sah, war ein Bauwerk von solchen Ausmaßen, dass man sich fragte, wie die Kruste des Planeten es tragen konnte, ohne einzubrechen und alles in Asche und Lava versinken zu lassen.
Die beiden Männer verharrten fassungslos, und während in Dawills Gesicht allmählich ein Leuchten entstand, schien Tennant, der ohnehin seit einigen Tagen krank und blass aussah, noch mehr in sich zusammenzusinken, geradezu zu verschrumpeln wie eine vertrocknende Gariqui.
»Das ist unmöglich«, ächzte er schließlich. »Das klappt nie und nimmer …«
»Tennant!«, zischte sein Gefährte. »Reiß dich zusammen!«
»Schau dir das doch an!«, jammerte Tennant und streckte anklagend die Hand aus. »Wie soll denn das …?«
Dawill packte ihn grob am Kragen und schüttelte ihn. »Tennant Kuton! Du wirst sofort schweigen!«
Worauf der hagere Mann tatsächlich schwieg.
Bailan runzelte die Stirn und wandte seinen Blick wieder dem erhabenen Anblick des Pashkanariums, des Tempels allen Wissens, zu. Merkwürdig. Einen Dialog wie diesen hatte er noch nie gehört in dieser Situation. Er hätte ein umfangreiches Kompendium schreiben können über alle Ausdrücke des Staunens, der Ergriffenheit, der Fassungslosigkeit, die in den verschiedenen Dialekten des Reiches gebräuchlich waren. Aber diese beiden Männer benahmen sich anders als alle Sucher, die er jemals geführt hatte.
Doch was konnten andererseits zwei Männer im Schilde führen, die nichts bei sich trugen als das, was sie in den Satteltaschen ihrer Jibnats hatten, und von denen einer zudem ernsthaft krank zu werden schien? Das Pashkanarium hatte die Überfälle der Bilderstürmer, Angriffe aus dem Weltraum und die Verfolgungen der Dunklen Jahrhunderte überstanden. Es würde auch diese beiden seltsamen Männer kommen und gehen sehen.
Er fasste die Zügel wieder fester und setzte den Weg fort, der von nun an nur noch abwärts führte. In wenigen Stunden würden sie am Ziel sein.
Der Pfad hinab ins Tal war dazu angetan, einen Sucher Ehrfurcht zu lehren. Die Mauern schienen nicht näher zu kommen, sondern nur größer zu werden, bis sie schließlich, dunkelgrau und schrundig, vor einem in den Himmel ragten wie das Ende der Welt. Wenn man dann an ihnen in die Höhe sah - und jeder Neuankömmling tat das, unweigerlich - und die Wolken in die richtige Richtung zogen, wurde der Eindruck, jeden Moment von der umstürzenden Wand erschlagen zu werden, übermächtig. Doch an diesem Punkt war es immer noch eine Stunde Wegs bis zu der Pforte, die Einlass ins Innere des Pashkanariums gewährte.
Irgendwann begannen auch die Felder und Gärten, von denen sich die Brüder ernährten. Winterhartes Getreide wuchs hier und bergfestes Gemüse, auf umzäunten Wiesen grasten wollige Jibnats, fette Scharnacken und allerlei Geflügel, dem die Flügel zu stutzen man sich hier oben in der Einsamkeit nicht die Mühe zu machen brauchte. Es war eine große Landwirtschaft, die die Bruderschaft hier unterhielt - unterhalten musste -, doch vor der Kulisse des Pashkanariums wirkte alles wie Spielzeug.
»Dieses Portal …«, meinte Dawill, als sie die befestigten Wege erreichten, eine Brücke über ein kleines Rinnsal, das an den Rändern bereits zuzufrieren begann. »Wird es jemals geöffnet?«
Sie bewegten sich direkt darauf zu. Bailans Blick wanderte an den Pfeilern und Kanten empor, und er versuchte, sich vorzustellen, was die gewaltigen Torflügel anrichten würden, würde man sie jemals aufstoßen. »Das Portal ist für die Eloa gedacht, falls sie je wiederkommen«, sagte er.
»Ah«, machte Dawill, und er klang zum ersten Mal beeindruckt. »Die sind aber nicht so groß, oder?«
»Es heißt, sie werden in ihren Schwingenbarken kommen. Die Portale und die Arkadengänge im Inneren sind so gebaut, dass eine Schwingenbarke bis ins Allerheiligste fliegen kann.«
»So eine Art Raumschiff?«
»Vermutlich.«
Ihr Weg führte an einem Jibnat-Gehege vorbei, und die Tiere auf der Weide trotteten heran, als wollten sie ihre von Reitern geplagten Artgenossen begrüßen. Der Atem aus ihren beweglichen Nüstern verwehte als weißer Dunst im Wind.
Dawill nickte langsam, betrachtete die unglaublichen Mauern, die schwarzen Steine, die der Zeit zu trotzen schienen. »Und?«, fragte er. »Werden sie wiederkommen, die Eloa?«
Bailan zuckte mit den Schultern. »Wer kann das schon wissen?«
Die Pforte der Sucher war geradezu lächerlich klein und schmal: eher eine Schießscharte als eine richtige Tür, so niedrig, dass auch normal gebaute Menschen den Kopf einziehen mussten, und so eng, als wolle die Bruderschaft wohlbeleibten Leuten den Zutritt verwehren. Dawill und Tennant stiegen ab und starrten, einigermaßen verblüfft, den massiv ummauerten Zugang an, während Bailan die beiden Jibnats in ein nahe gelegenes Gatter führte.
Die stählerne Tür schwang beiseite, und von drinnen dröhnte der unverkennbare Bass Bruder Gralats: »Nur herein, und nennt Euer Begehr!«
Während er den Jibnats das Futter hinschüttete, das sie nach getaner Arbeit erwarteten, beobachtete Bailan die beiden Männer aus den Augenwinkeln. Seltsam. Einen Augenblick hätte man meinen können, sie würden jetzt noch umdrehen.
Aber dann machte Dawill den Anfang und trat zögernd durch die Öffnung, die mehr dem Zugang einer Höhle glich als der Tür zum Tempel allen Wissens. Tennant kam ihm nach und stieß sich prompt den Kopf am Türsturz. Bailan beeilte sich, ihnen zu folgen, denn das interessierte ihn mittlerweile brennend: was sie als Begehr nennen würden.
Die Pfortenkammer war ein einschüchternder, ungemütlicher Ort. Es roch nach Gruft, nach kaltem, feuchtem Fels und nach dem Ozon elektrischer Entladungen. Aus den Ecken richteten sich automatisch fokussierende Waffen auf die Neuankömmlinge, folgten mit verhaltenem Surren jeder ihrer Bewegungen. Bruder Gralat, ein großer Mann, der das Amt des Pfortenwächters bekleidete, seit Bailan sein Noviziat angetreten hatte, und der eine angesichts der kargen Ordenskost erstaunliche Körperfülle aufwies, stand hinter einem breiten, gemauerten, jahrhundertealten Tisch. Ein irisierend leuchtendes Detektorfeld in der Mitte des Raumes stellte unmissverständlich klar, welche Prozedur man über sich ergehen lassen musste, um durch das zweite Stahltor in der gegenüberliegenden Felswand gelassen zu werden.
Der Pfortenwächter maß die beiden Besucher mit einem Blick, in dem sich grundsätzliches Wohlwollen mit ebenso grundsätzlichem Misstrauen mischte. »Seid willkommen, Sucher«, sprach er die traditionelle Formel aus. »Zeigt mir, was Ihr mit Euch führt, und sagt mir, was Ihr zu wissen wünscht.«
Dawill schien dieses Ritual nicht sonderlich zu überraschen - im Gegensatz zu seinem Begleiter, dessen Blick immer wieder zu den dunklen Läufen der Waffen wanderte und der sich ziemlich unwohl unter ihnen zu fühlen schien. Aber er tat es Dawill nach, der seine Umhängetasche auf den Tisch hob und ihren Inhalt darauf ausbreitete.
»Bitte«, meinte Gralat mit einer einladenden Handbewegung zum Detektorfeld hin.
Dawill zögerte einen Herzschlag lang, trat dann aber entschlossen in den schimmernden Lichtzylinder. Nichts geschah. Keine Verfärbungen des Feldes, kein Alarmsignal. Das bedeutete, dass er keinerlei versteckte Waffen bei sich trug, keine Bomben, keine technischen Geräte, keine Gifte oder dergleichen. Der Detektor war in dieser Hinsicht nahezu unfehlbar.
Natürlich musste sich die Bruderschaft gegen Attentäter absichern. Immer wieder versuchten Abgesandte irgendwelcher dubioser Kulte im Pashkanarium Dokumente, die ihre Lehre als gottlos, verräterisch oder sonst wie verdammenswert erachtete, aufzuspüren und zu vernichten. Das war geradezu die klassische Art der Bedrohung in Zeiten der Dunkelheit. Aber wenn man den Überlieferungen glauben wollte - und Bailan sah keinen Grund, das nicht zu tun -, dann war dergleichen noch nie irgendjemandem geglückt.
Gralat nahm eines der Geräte aus Dawills Tasche und hielt es vor einen Analysator. »Das ist ein Funkgerät, nicht wahr?« Er drehte es in den Händen, bewunderte die moderne Machart. »Das wird Ihnen hier nichts nützen. Der Schild lässt keine Funksignale durch.«
»Es ist ein Kombinationsgerät«, erklärte Dawill und trat aus dem Detektorfeld, um Tennant Platz zu machen. »Ich will damit Bildaufzeichnungen machen. Soll ich es Ihnen
zeigen?«
»Ein Kombinationsgerät?« Bruder Gralat wiegte anerkennend den Kopf. »Erstaunlich.« Er drückte einen zierlichen Knopf, und eine hektische Folge holografischer Bilder - Reproduktionen aus Büchern, Sternatlanten, naturkundlichen Darstellungen - entstand in etwa zwei Handbreit Abstand vor der Schmalseite des Geräts. »Wirklich erstaunlich …«
»Sie entschuldigen«, meinte Dawill, nahm ihm das Gerät aus der Hand und schaltete die Wiedergabe ab. Offensichtlich hatte er es nicht so gern, wenn man mit seinen Sachen herumspielte.
Gralat hob die wild wuchernden Augenbrauen. »Ihr habt mir noch nicht gesagt, was Ihr zu wissen begehrt«, erinnerte er die Besucher und bedeutete Tennant mit einem Blick, das Detektorfeld wieder zu verlassen.
Dawill holte tief Luft und musste unwillkürlich husten. »Wir sind«, erklärte er, während er sich mit der flachen Hand auf die Brust klopfte, »an den ältesten Aufzeichnungen interessiert. Wir interessieren uns für die Ursprünge der Menschheit.«
Bruder Gralat tauschte einen raschen Blick mit Bailan, der vordergründig eine Aufforderung war, das Detektorfeld zu betreten. Aber der Novize konnte darin ein mühsam unterdrücktes Lächeln erkennen: die Ursprünge der Menschheit! Wie originell!
Jeder, der das Pashkanarium betreten wollte, gleich, ob er dem Orden angehörte oder nicht, musste ein Detektorfeld passieren. Das war unumstößliche Regel. Genauso unumstößlich wie die Regel, jeden Sucher mit seinem Anliegen ernst zu nehmen. Aber die Ursprünge der Menschheit waren nun einmal mit Abstand das beliebteste Thema. Bailan musste grinsen, während das Detektorfeld um ihn und in ihm zu flüstern schien. Bruder Illatu hatte ein komisches Talent, konnte einen zum Brüllen vor Lachen bringen, einfach, indem er sich hinstellte, mit harmlosem Gesicht und großen Augen und sagte: »Guten Tag, ich suche die Erste Erde …«
Bruder Gralat musste in diesem Augenblick bestimmt ebenfalls an Illatus Witze denken, aber er beherrschte sich mustergültig, führte die Gepäckkontrolle zu Ende und nickte mit einigermaßen ernsthaftem Gesichtsausdruck dazu. »Die Urspünge der Menschheit. Ein großes Thema …«
Bailan platzte fast, er musste sich wegdrehen. Das war von Bruder Illatu! Genauso ging es bei dem auch immer weiter!
»Ja«, erwiderte Dawill, während er seine Habseligkeiten wieder in seine Tasche stopfte. »Ich weiß.« Tennant sagte nichts. Er hatte genauso ein Kombinationsgerät wie Dawill auch.
»Im Pashkanarium«, erklärte der Pfortenwächter, »sollen sich Suchende nur in Begleitung eines Angehörigen unseres Ordens bewegen. Es ist ein großer und komplizierter Bau, in dem man sich ohne weiteres unrettbar verlaufen kann. Bruder Stem wird Euch in den Innersten Ring führen, der die ältesten Dokumente über die Menschheit enthält, und dort zu den Bereichen, die Euch interessieren. Der Novize, der Euch bisher begleitet hat, ist weiterhin für Euer leibliches Wohl zuständig, er wird für Unterkunft und so weiter sorgen … Bailan, du kannst jetzt das Detektorfeld verlassen. Oder glaubst du, es ersetzt die Dusche?«
Dawill und Tennant sahen einander verwundert an, als die beiden Ordensleute über diesen dürftigen Witz in schallendes Gelächter ausbrachen.
Bruder Stem war ein mageres altes Männchen, dem die Ordenskluft um die Knochen schlackerte, vor allem, weil er sich auf eine fahrige, abgehackt wirkende Weise bewegte. »Der Innerste Ring, ah ja. Verstehe«, sprudelte er los und nickte heftig mit dem Kopf dabei. »Dann hole ich uns mal einen Wagen, nicht wahr? Das ist weit. Zu weit zum Laufen. Besser, wir nehmen einen Wagen.« Sprach's und verschwand um die Ecke wie eine Flinkratte.
Der Pfortenwächter runzelte die Stirn. »Ich hatte ihm gesagt, dass Ihr einen Wagen braucht … Naja.«
Sie standen in dem breiten Gang, der hinter der Pfortenkammer parallel zur Außenmauer verlief. Es roch schon so, wie es überall im Pashkanarium roch - nach Staub, nach Leder, nach Jahrtausenden von Wissen.
»Jedenfalls«, fuhr Bruder Gralat fort und bedachte die beiden Sucher mit seinem wohlwollendsten Blick, »wünsche ich Euch, dass Ihr finden mögt, wonach Ihr sucht.«
»Danke«, sagte Tennant und hüstelte.
»Ich bin sicher, dass wir das werden«, setzte Dawill mit einem Nicken hinzu. Bailan meinte, den Schatten eines spöttischen Lächelns über sein dunkles Gesicht huschen zu sehen, so, als sei diese Bemerkung doppeldeutig gemeint gewesen - aber wie hätte sie das sein können?
Ein Surren wurde hörbar. Aus der Tiefe des Gangs kam Bruder Stem mit einem viersitzigen, elektrisch angetriebenen Wagen angebraust, rumpelte über die ausgetretenen Bodenplatten. Ein kleines spiegelndes Metallteil an der Lenkung blitzte immer auf, wenn er an einer der trüben, gelben Wandlampen vorbeifuhr.
»So«, machte er und brachte das Gefährt vor ihnen zum Stehen. »Alles eingestiegen und los geht's! Ist viel bequemer so, oder? Auf, auf, worauf wartet Ihr?«
Während sie einstiegen und Dawill unaufgefordert neben dem Fahrer Platz nahm, klopfte der Pfortenwächter Bruder Stem auf die Schulter und meinte: »Zügle dich ein bisschen, Bruder. Vielleicht wollen auch unsere Gäste ab und zu etwas erzählen, hmm?«
Bruder Stem nickte mit betrübter Miene, wollte etwas erwidern, ließ es dann jedoch.
Und los ging die Fahrt, kaum dass Bailan saß. Rumpelnd den Gang entlang und bei der nächsten Kreuzung im rechten Winkel ab, geradewegs auf das Zentrum zu. Türen, Treppen und schmale, dunkle Quergänge schossen vorbei. Kein Mensch war zu sehen. So groß die Bruderschaft auch war, sie verlor sich in dem endlosen Bau des Tempels.
»Und?«, hielt Bruder Stem das Schweigen schließlich nicht mehr aus. »Was gibt es Neues draußen im Reich? Der Pantap wohlauf?«
Dawill musterte den schmalen Alten amüsiert von der Seite, wie er da so saß, die Lenkung umklammernd, sagte aber nichts. Es war Tennant, der in die Konversation einstieg. Dem Pantap gehe es gut, ja.
»Trotz Krieg? Es ist doch noch Krieg, oder?«
»Ja, sicher.«
»Wir merken hier ja nichts davon. Ist weit weg. Aber man hat die beiden Schlachtschiffe abgezogen, die Pashkan bewacht haben. Jetzt ist nur noch das Wachfort übrig, das kann man nicht woanders hinbringen, jedenfalls nicht so leicht.« Er machte eine weit ausholende, wegwerfende Geste, mit der er Dawill beinahe ohrfeigte. »Was soll's, sag ich! Wir haben den Schild. Der schützt uns besser als alle Wachforts und Schlachtschiffe. Sollen sie uns doch Bomben auf den Kopf werfen, wir lachen da bloß.«
»Ich weiß nicht«, warf Dawill ein. »Der Schild reicht ja nicht überall bis zum Boden. Wenn die Bomben groß genug sind oder ungünstig fallen …«
»Ach, das hatten wir doch alles schon! Der Überfall der Bilderstürmer, Bailan, wann war das? Um zwölftausend?«
»Zwölftausendneunzehn«, bestätigte Bailan. »Nach der Zeitrechnung des Zweiten Direktoriums.«
»Genau. Zwölftausend. Damals haben sie uns eine Bombe in den Zugang zum Tal geworfen. Der lag damals woanders, im Süden, aber der Schild war auch etwa dreißig Armlängen hoch geöffnet.« Wieder eine eruptive Geste, diesmal in die Höhe. »Und was geschieht? Die erste Bombe bringt die Felswände rechts und links zum Einsturz und schließt damit den Schild komplett ab. Wir mussten bloß warten, bis der Spuk vorbei war, und dann einen neuen Zugang graben. Durch den seid ihr gekommen.«
»Nicht schlecht«, meinte Dawill versonnen.
»Und genauso wird dieser Spuk vorbeigehen«, prophezeite Bruder Stem. »Man muss sich das bloß mal vorstellen - aus einer anderen Galaxis! Nicht zu fassen. Stimmt doch, oder? Die kommen aus einer anderen Galaxis? Sind auch Menschen, aber eben …«
»Sie nennen es wohl das Kaiserreich«, sagte Tennant. »Niemand weiß, warum sie uns angreifen.«
»Was weiß das Pashkanarium eigentlich über das Kaiserreich?«, fragte Dawill und sah die beiden Ordensleute mit hintersinnigem Lächeln an. »Ich meine, bevor das alles losging, wusste ich nicht einmal, dass es in anderen Galaxien Menschen gibt.«
Bruder Stem lachte meckernd und bog wieder scharf in die Kurve. »Ja, ja - die Ursprünge der Menschheit. Ein großes Thema …«
Bailan musste unwillkürlich auch lachen, was ihre beiden Gäste wieder ziemlich irritierte.
Im nächsten Augenblick endete der Gang, spuckte sie aus in die Portalhalle, wo die beiden Sucher die Gesichter hoch- und die Augen aufrissen und alles vergaßen, worüber gerade gesprochen worden war. Jedem ging das so. Das Pashkanarium mochte von außen überwältigend wirken - von innen betrachtet sprengte es jedes Vorstellungsvermögen.
Hinter dem Portal lag - natürlich - eine Halle, eine große Schneise quer durch den ganzen Ring, die bis zum nächsten Portal im nächstinneren Ringwall führte. Groß? Es war ein Anblick, der einem den Atem rauben musste. Auf dem Weg bis zur Hallendecke schien die Sehkraft zu erlahmen. Die Portalhalle war so unfassbar groß, dass sich darin ein eigener Wetterkreislauf entwickelt hatte; im heißen, feuchten Sommer sammelte sich Luftfeuchtigkeit an, und sobald es Winter wurde, bildeten sich Wolken oben zwischen den titanischen Stützstreben, die von unten wie Haargespinst aussahen. Noch sah man nichts, aber in ein paar Wochen würde es regnen in den Portalhallen.
Und dazu diese Akustik … Es legte sich wie ein Druck auf die Ohren. Im ersten Moment, wenn man in die Halle kam, war jeder Widerhall verschwunden, sodass man das Gefühl hatte, sich im Freien zu befinden. Doch dann, ganz unmerklich, kamen die ersten Echos zurück, rollten mit so langer Verzögerung heran, von so weit entfernt, dass das Gehirn schier durchdrehte.
»Unglaublich«, hauchte Dawill. »Man hat mir davon erzählt, aber es zu sehen, ist wirklich … wie soll ich sagen …?«
Bruder Stem hielt mit vollem Tempo geradewegs auf die Pforte zu, die man nach dem Ausbau des Äußersten Rings so erweitert hatte, dass Fahrzeuge sie passieren konnten. »Weiter innen werden die Hallen kleiner«, verkündete er. »Aber auch die kleinen sind noch ganz schön groß, das kann ich Euch sagen!«
Auf halber Strecke legten sie eine Rast ein, setzten sich in einen leeren Versammlungsraum und verzehrten den Proviant, den Bruder Stem in einem Korb mitgebracht hatte.
»Riecht seltsam hier«, meinte Dawill und musterte die kahlen Wände. »Als wäre seit Jahren niemand hier gewesen.«
Bruder Stem nickte so heftig, wie er kaute. »Ist bestimmt so«, brabbelte er mit vollem Mund.
Er achtete darauf, dass die Beleuchtung abgeschaltet und die Tür wieder geschlossen wurde, ehe sie weiterfuhren.
Schließlich erreichten sie den Innersten Ring. Nach den Dimensionen, an die man sich in den äußeren Ringen gewöhnt hatte, kam einem hier alles sehr übersichtlich vor. Die Portalhalle war immer noch groß, gewiss, aber höchstens dreimal so groß wie der Thronsaal des Pantap. Die Gänge waren immer noch lang, gewiss, aber immerhin konnte man nun bei denen, die parallel zum Ringwall verliefen, eine Krümmung erkennen.
Zugleich jedoch war einem alles seltsam fremd, atmete ein Alter, das einen frösteln ließ. Türen trugen Aufschriften in alten, vergessenen Sprachen, in noch nie gesehenen Schriftzeichen. Man fasste an Wände aus massivem Sinit, jenem Gestein, das die Dichter als Metapher nahmen, wenn sie die Ewigkeit besingen wollten, und hatte nachher Felsstaub an den Fingern.
»Ich weiß nicht«, hörte Bailan Tennant murmeln. Dawill legte seinem Begleiter daraufhin die Hand aufs Knie, sagte aber nichts.
Auch Bailan wurde jedes Mal, wenn er in die Inneren Ringe kam, von einer eigenartigen Erregung erfasst. Von außen bis hierher zu fahren war, als mache man eine Zeitreise, und der Innerste Ring war so alt, dass man nicht anders konnte, als zu glauben, dass sich im Innersten, im Allerheiligsten, der Anfang aller Zeit finden musste. Wäre es nach Bailan gegangen, hätten die Sucher, die nach den Ursprüngen der Menschheit fahndeten, in hellen Scharen kommen können. Er würde nicht müde werden, sie hierher zu begleiten.
Sogar Bruder Stem wurde ein wenig ruhiger, zumindest für seine Verhältnisse. Er fuhr sie mit dem Elektrowagen so weit, bis die Gänge zu eng für Fahrzeuge wurden, und ließ sie aussteigen.
»Also, wie gesagt, Bailan wird sich um Euch kümmern«, meinte er dann, mit den Unterarmen auf die Lenkung gestützt und müde wirkend. »Er kann Euch sagen, wo welches Archiv zu finden ist und so weiter. Und die Zimmer und Waschräume, nicht wahr, Bailan?« Er zwinkerte wild mit den Augen.
»Alles klar«, nickte Bailan.
»Vergiss nicht, euch bei der Küche anzumelden«, erinnerte der Alte ihn und grinste die beiden Zentralweltler an. »Sonst kriegt ihr nichts zu essen, und die nächsten Sucher finden dann eure Skelette in den Bibliotheken …!« Unter wieherndem Gelächter brauste er mit seinem surrenden Karren davon.
Da standen sie nun mit ihren paar Habseligkeiten. Die Stille und die Vorstellung, wie viel gemauertes Gestein auf ihnen lastete, konnten einen schier erdrücken.
Dawill räusperte sich und deutete mit einer Handbewegung in die Richtung, in die Bruder Stem davongefahren war. »Sagte der Pfortenwächter nicht, dass er … ich meine …?«
»Ich kenne mich hier gut aus«, beeilte sich Bailan zu versichern. »Wirklich. Und wenn Ihr eine Übersetzung benötigt, weiß ich auch, welcher Bruder welche der alten Sprachen beherrscht.«
»So.« Der stämmige Mann schien nicht restlos überzeugt. Er nagte ein wenig an seiner Unterlippe, musterte Bailan und sah wieder den Gang entlang. »Er macht auf deine Kosten frei, oder wie sehe ich das?«
Bailan zögerte. Wie sollte er das erklären? Es war offizielle Regel, dass Sucher im Pashkanarium von einem Ordensbruder betreut wurden. Also hatte der Pfortenwächter das so formulieren müssen. Sollte er, der Novize, ihnen nun sagen, dass man Sucher, die sich für Themen wie den Ursprung der Menschheit interessierten, nicht für voll nahm? Dass sich diese Geringschätzung schon in der Auswahl Bruder Stems gezeigt hatte, der schließlich auch beschäftigt werden musste, aber nicht imstande gewesen wäre, jemanden zu betreuen, der etwa über die Geschichte der Direktorien forschte oder sich für Landbaumethoden auf Sumpfplaneten interessierte?