Erin Hunter
Warrior Cats
Special Adventure – Das Gesetz der Krieger
Aus dem Englischen von Friederike Levin
www.beltz.de
© 2011 Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© 2009 Working Partners Limited
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel Warriors, Code of the Clans bei HarperCollins Children’s Books, New York
Lektorat: Julia Röhlig
Umschlaggestaltung: Hanna Hörl, München
Umschlagillustration: Frank Fiedler, Greenfeed Digital Art
ebook: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74284-1
Für Mr. Pugh in Liebe
Besonderen Dank an Viktoria Holmes
Hinter dem Namen Erin Hunter verbergen sich gleich drei Autorinnen. Während Victoria Holmes meistens die Ideen für die Geschichten hat und das gesamte Geschehen im Auge behält, bringen Cherith Baldry und Kate Cary die Abenteuer der Katzen-Clans zu Papier. Alle drei mögen Katzen und haben großen Spaß daran, neue und spannende Geschichten rund um die KatzenClans zu erfinden.
Mehr Informationen unter www.warriorcats.de
Der Ursprung der Clans
Vor vielen Monden ließ sich eine Katzengemeinde im dichten Wald am Rande des Moors nieder. Einige von ihnen waren Hauskätzchen, die sich in den Kopf gesetzt hatten, die Umgebung hinter dem Zaun ihrer Zweibeiner zu erkunden, andere waren in der Wildnis geboren und von Katzen aufgezogen worden, die jagten und gelernt hatten, auch in den kalten Nächten der Blattleere zu überleben.
Mitten durch den Wald sprudelte ein rauschender, tiefer Fluss und auch sonst erwies er sich als günstiges Territorium für die Katzen. Es gab reichlich Unterschlupf, genug Beute für alle, und sie waren frei, zwischen den Bäumen, auf dem offenen Moorland und entlang des fischreichen Flusses nach Herzenslust zu jagen.
Die Katzen verteilten sich im Wald, jeweils nach ihren Vorlieben bei der Jagd und ihrer Beute. Die Fischfresser schätzten die Nähe des Flussufers, wo sie ihre Lager im Schilf und zwischen den verkrüppelten Wurzeln der Weiden einrichteten. Die Mäusejäger perfektionierten ihre Sprungtechniken im undurchdringlichen Unterholz und blieben zwischen den dichtesten Bäumen. Die Kaninchenjäger, schneller und schlanker als andere Katzen, zog es ins offene Moorland. Die Eichhörnchenjäger ließen sich im lichten Wald nieder, wo sie lernten, auf Bäume zu klettern und ihre Beute zwischen den Ästen zu verfolgen. Und jene Katzen, die Schlangen und Eidechsen und die Jagd auf sumpfigem Boden mochten, richteten sich zwischen den trockenen Grasbüscheln und den knarrenden Kiefernzweigen am äußersten Rand des Territoriums ein.
Anfangs gab es keine Grenzen und die Katzen lebten für sich in den jeweiligen Jagdgebieten. Nur wenn sie zufällig derselben Beute nachjagten, begegneten sie sich. Gelegentlich gab es Streit wegen eines Beutestücks oder eines guten Lagerplatzes, Gefechte zwischen größeren Katzengruppen kannte man jedoch nicht.
Dann kam eine Zeit, in der die Beute knapp wurde. Zu viele Mäuler mussten gestopft werden und zu viele Leiber suchten in den jeweiligen Jagdgebieten Unterschlupf. Die Streitigkeiten häuften sich, anfangs nur zwischen wenigen Katzen, aber dann wurden es immer mehr, die ums Überleben kämpften, und nicht nur für sich, sondern auch für andere Katzen, mit denen sie zusammenlebten. Nach einer entsetzlichen Schlacht an den vier großen Eichen, bei der sich die Erde rot färbte vom Blut, kehrten die Geister der gefallenen Katzen zurück und wandten sich an die stärksten Katzen eines jeden Jagdgrundes – Wind, Fluss, Donner, Schatten und Wolken –, um Frieden zu erbitten.
Jene fünf gelobten ihren toten Gefährten, dass sie einen Weg finden würden, um den Gefechten ein Ende zu setzen. Sie versprachen, in ihren jeweiligen Jagdgebieten Gemeinschaften zu gründen und jedes Territorium für künftige Katzengenerationen zu sichern.
Die Zeit der Clans war gekommen
Das Gesetz der Krieger
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Verteidige deinen Clan, selbst wenn es dein Leben kostet. Du darfst dich mit Katzen anderer Clans anfreunden, aber deine Loyalität gilt stets deinem eigenen Clan.
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Im Territorium eines anderen Clans darfst du niemals jagen und es auch nicht betreten.
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Älteste und Junge werden zuerst mit Beute versorgt, vor den Schülern und Kriegern.
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Beute wird nur erlegt, um sich davon zu ernähren. Danke dem SternenClan für jedes Leben.
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Ein Junges muss mindestens sechs Monde alt sein, bevor es zum Schüler ernannt wird.
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Wenn neu ernannte Krieger ihren Kriegernamen erhalten haben, halten sie eine Nacht lang schweigend Wache.
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Eine Katze kann nicht zum Zweiten Anführer ernannt werden, bevor sie wenigstens einmal Mentor eines Schülers gewesen ist.
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Wenn ein Anführer zurücktritt oder verstirbt, tritt sein Zweiter Anführer die Nachfolge an.
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Wenn ein Zweiter Anführer befördert wird, zurücktritt oder verstirbt, muss vor Mondhoch sein Nachfolger ernannt werden.
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Jeden Vollmond treffen sich alle Clans zu einer Großen Versammlung. In dieser Nacht dürfen die Clans nicht gegeneinander kämpfen.
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Territoriumsgrenzen sind täglich zu kontrollieren und zu markieren. Katzen, die unbefugt eindringen, müssen verjagt werden.
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Ein Krieger darf ein Junges in Not oder Gefahr niemals im Stich lassen, selbst wenn es zu einem fremden Clan gehört.
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Das Wort des Anführers eines Clans ist Gesetz.
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Ein ehrbarer Krieger tötet keine Katzen, um eine Schlacht zu gewinnen, es sei denn, ein Gegner hält sich nicht an das Gesetz der Krieger oder bedroht sein Leben.
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Ein Krieger verachtet das verweichlichte Leben von Hauskätzchen.
Willkommen in der Welt der Warrior Cats
Hallo! Feuerstern hat mir erzählt, dass du uns heute besuchst. Komm doch herein. Sieh dich vor wegen der Brombeerranken am Eingang; bei dem warmen Regen, den wir diesen Mond hatten, sind sie schneller gewachsen als je zuvor. Hoppla, hat dich eine am Pelz erwischt? Ich habe Ringelblumenblätter hier, falls du dich verletzt haben solltest. Nein? Das ist gut. Mein Name ist übrigens Blattpfote und ich bin die Heiler-Schülerin des DonnerClans – aber das weißt du wahrscheinlich schon, nicht wahr? Ich vergesse immer, wie berühmt unser Clan geworden ist, sogar bei den Einzelläufern und den Hauskätzchen.
Setz dich doch und mach es dir bequem. Wir haben uns viel zu erzählen!
Feuerstern meinte, du wolltest etwas über das Gesetz der Krieger erfahren. Ich kann mir vorstellen, wie faszinierend du das findest, wo du doch nicht in einem Clan geboren bist. Du glaubst, wir würden ein Leben nach strengen, altertümlichen Regeln führen? Dein Leben muss sich im Vergleich dazu frei wie die Luft anfühlen: Du kannst jagen, wann und wo du willst, essen, was du fängst, und dir deine Freunde und Feinde aussuchen, wie es dir gefällt. Niemand verlangt Loyalität von dir oder erlegt dir Pflichten auf. Ich sehe es am Funkeln in deinen Augen, dass wir dir manchmal leidtun, wegen der Gesetze, mit denen wir wie Brombeerranken an unseren Clangefährten hängen oder an unseren Territorien und unseren längst verstorbenen Kriegerahnen. Aber so ist das Gesetz der Krieger gar nicht. Wenn du zwischen seinen schützenden Pfoten aufgewachsen bist, findest du es so normal wie atmen.
Du jagst nur für dich und sonst niemanden? Und wenn du krank wirst oder dich verletzt, was machst du dann? In unseren Clans jagen die stärksten Katzen, die Krieger, für uns alle. Und wenn ihre Zeit kommt, ihre Schnurrhaare grau und ihre Pfoten schwach werden, gibt es neue Krieger, die sie mit Beute versorgen, bis sie in die Jagdgründe des SternenClans eingehen.
Du glaubst, die Clans würden sich hassen und ständig Krieg gegeneinander führen? Nun, wir Clans leben dicht beieinander und das führt natürlich oft zu Spannungen. Aber wir schaffen es auch, uns gegen gemeinsame Feinde zu verbünden – von dem Angriff der Dachse hast du doch schon gehört, oder? Wir wären umgekommen, wenn uns der WindClan nicht zu Hilfe geeilt wäre. Und eine große Reise, auf der eine Katze allein verhungert oder erfroren wäre, haben die vier Clans gemeinsam auch schon überstanden.
Zu einem Clan zu gehören heißt zu wissen, dass du nie alleine bist. Das Leben des Clans ist um dich herum und reicht weiter, als du dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst. Du folgst den Pfotenschritten der Clangefährten, die Monde vor dir geboren sind, und der Nachwuchs wird in künftigen Monden deinen Pfotenschritten folgen. Dein Clan wird dich nie verlassen, auch wenn du schon zwischen deinen Kriegerahnen in den Sternen wandelst.
Du bist immer noch nicht ganz überzeugt, nicht wahr? Macht nichts. Warte, bis du erfährst, wie die einzelnen Gesetze entstanden sind. Nein, ich werde dir keine Märchen erzählen. Entspann dich und lass uns zusammen in der Zeit zurückreisen, viele Katzengenerationen zurück. Jedes Gesetz ist aus dem Alltagsleben der Clans entsprungen, wie das Gras, das allmählich die Ritzen in den kahlen Felsen um die Kuhle herum füllt und dafür sorgt, dass jede Katze vom ersten Atemzug an gut beschützt großgezogen werden kann. Aber das ist nicht alles, was du erkennen wirst: Das Gesetz der Krieger sichert zwar das Gleichgewicht zwischen den Clans und ihren Zusammenhalt, aber eine einzelne Katze kann damit auch in schwere Konflikte geraten. Deshalb ist das Gesetz der Krieger von vielen Katzen immer wieder infrage gestellt worden.
Bist du bereit? Beginnen wir mit dem ersten Gesetz …
1. Gesetz
Verteidige deinen Clan, selbst wenn es dein Leben kostet. Du darfst dich mit Katzen anderer Clans anfreunden, aber deine Loyalität gilt stets deinem eigenen Clan.
Man kann sich kaum vorstellen, dass es eine Zeit gegeben hat, in der Freundschaften mit Katzen anderer Clans ganz normal waren. Ich weiß sehr gut, wie quälend es sein kann, eine Katze aus einem anderen Clan zu lieben – und zu wissen, dass man zu den eigenen Clangefährten zurückkehren muss, weil man gebraucht wird und weil man dem Gesetz der Krieger treu bleiben will. Lass mich dir vom traurigen Schicksal von Roggenbart und Schellbeere erzählen. Mir bricht es zwar das Herz, aber du wirst sehen, warum daraus dieses furchtbare Gesetz entstanden ist. Jede Katze muss lernen, dass die Stärke des ganzen Clans von der Loyalität jedes einzelnen Mitglieds abhängt.
Wie das Gesetz der Krieger entstanden ist
»Wer zuerst beim Weißdornbusch ist!«
»Das ist unfair, Roggenbart! Du weißt genau, dass du gewinnen wirst!«, protestierte Schellbeere.
Roggenbart drehte sich um und sah die dunkelgraue Kätzin an. Schellbeere war außergewöhnlich schlank für eine FlussClan-Katze, aber ihr Fell war dicht und glatt.
»Ich gebe dir eine Schwanzlänge Vorsprung«, bot er an. Schellbeere legte den Kopf zur Seite, ihre blauen Augen blitzten. »Oder … oder ich mach die Augen zu oder ich renne rückwärts oder ich nehme einen Stein ins Maul …«
»Bienenhirn«, schnurrte sie. Sie trottete zu ihm und rieb ihren Kopf an seiner Wange. »Ich renne mit dir um die Wette, wenn wir anschließend sehen, wer am schnellsten den Fluss durchquert.«
Roggenbart wich kopfschüttelnd zurück. »Das gilt nicht! Keine Katze macht sich freiwillig den Pelz nass, das ist unnatürlich! Ich hab’s einmal versucht, weißt du nicht mehr?«
»Du bist von einem Trittstein abgerutscht! Nicht unbedingt die beste Methode, um Schwimmen zu lernen.«
Roggenbart streckte den Schwanz aus und berührte Schellbeere kurz an der Flanke. »Glaubst du, unsere Jungen werden schnelle Läufer und hervorragende Schwimmer?«, miaute er sanft.
Schellbeere sah ihn verwundert an. »Woher weißt du das? Ich … ich wollte es dir sagen, ganz bestimmt, aber ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Ich dachte, du hättest vielleicht lieber WindClan-Junge …«
Roggenbart gab ein entrüstetes Miauen von sich. »Aber es werden doch WindClan-Junge! Und FlussClan-Junge! Sie sind von uns beiden und alles andere zählt nicht! Wissen es deine Clangefährten schon?«
Unruhig begann die Kätzin, mit der Pfote kleine runde Kiesel hin und her zu schubsen. »Noch nicht. Ich wollte es dir zuerst erzählen.«
»Du machst dir Sorgen, was dein Vater dazu sagen wird, nicht wahr?«
Schellbeere sah flehend zu Roggenbart auf. »Aschenstern ist ein guter Anführer. Du kannst ihm nicht zum Vorwurf machen, dass er sich mehr FlussClan-Junge wünscht. Nachdem der grüne Husten in der Blattleere so viele Katzen getötet hat, brauchen wir mehr Krieger.«
»Aber sie werden doch FlussClan-Junge!«, erinnerte sie Roggenbart. Ungeduldig peitschte er mit dem Schwanz. »Ich werde dafür sorgen, dass du ihnen das Schwimmen beibringst, sobald sie die Augen aufmachen.«
»Dann bist du dafür, dass sie im FlussClan aufwachsen?«, fragte Schellbeere.
Roggenbart blinzelte. So weit hatte er noch nicht gedacht. »Also gut«, miaute er schließlich. »Ich könnte zu dir ziehen, wenn sie geboren sind. Dein Vater hatte nie etwas dagegen, wenn ich bei euch im Lager geblieben bin. Und du kannst sie zum WindClan bringen, wenn sie groß genug sind, um so weit zu laufen.«
Schellbeere nickte, sah aber immer noch besorgt aus. Roggenbart berührte sie mit der Schnauze am Ohr. »Alles wird gut«, versicherte er. »Jede Katze weiß, dass Distelschwanz aus dem DonnerClan Aschensterns beste Freundin ist. Wenn eine Katze Verständnis dafür hat, dass Freundschaften nicht vor der Grenze eines Territoriums haltmachen, dann ist das Aschenstern.«
»Aber was ist mit dem gestohlenen Fisch?«, fragte Schellbeere.
Im vergangenen Mond hatte der FlussClan dem WindClan vorgeworfen, sie würden Fische aus dem Fluss stehlen, und eine Patrouille zu Nebelstern, dem Anführer des WindClans, geschickt, um ihm zu drohen. Nebelstern hatte steif und fest behauptet, sein Clan würde niemals Fische essen, aber Roggenbart wusste, dass die FlussClan-Katzen immer noch misstrauisch waren.
»Wir haben keinen Fisch gestohlen«, erklärte er Schellbeere. »Vielleicht bringen diese Jungen unsere Clans wieder zusammen.«
Schellbeere lehnte sich an ihn und Roggenbart schloss die Augen und dachte an die winzigen Wesen in ihrem Bauch, dunkelgrau wie ihre Mutter oder braun getigert wie er, mit flinken Pfoten und ausdauernd beim Schwimmen. Diese Jungen würden den Frieden zwischen den Clans wiederherstellen, davon war er überzeugt.
»WindClan! Zurück!«
Roggenbart schüttelte den Kopf, weil ihm Blut in die Augen gelaufen war, als Steinschweif den Befehl jaulte. Der große graue Kater stand auf einem Baumstumpf, von wo aus er wild um sich blickend seine Clangefährten zum Rückzug rief. Roggenbart machte einen Satz nach hinten, um den FlussClan-Krieger unter seinen Pfoten freizulassen. An diesem Kampf trug allein der FlussClan Schuld! Die FlussClan-Katzen hatten noch zwei Mal beim WindClan vorgesprochen, ihre Rivalen des Fischdiebstahls bezichtigt und gedroht, unter den anderen Clans zu verbreiten, die Moorkatzen wären Eindringlinge und Diebe. Als ob man sich beim WindClan die Pfoten nass machen würde, um diese schleimige Beute zu fangen! Nebelstern hatte beschlossen, dass es nur einen Weg gab, den Vorwürfen Einhalt zu gebieten: Sie würden dem FlussClan zeigen, dass WindClan-Katzen stark genug waren, um ihre eigene Beute zu fangen – und so gut genährt, dass sie bei ihren Nachbarn nichts zu stehlen brauchten.
»Zurück!«, jaulte Steinschweif zum zweiten Mal.
»Mäuseherzige Feiglinge!«, fauchte ein FlussClan-Krieger hinter ihnen.
»Wenn ihr unseren Fisch stehlen wollt, solltet ihr vorher sicherstellen, dass ihr auch stark genug seid, um gegen uns zu kämpfen!«, jaulte ein anderer.
Roggenbarts Rückenfell sträubte sich, und es juckte ihm in den Pfoten, herumzuwirbeln und ihnen die Ohren zu zerfetzen. Wann würden diese dämlichen Katzen begreifen, dass der WindClan ihre kostbaren Fische nicht stahl? Die Schilfhalme schlossen sich hinter ihnen, als sie sich Richtung Zweibeinerbrücke zurückzogen, und einen Moment lang hörte Roggenbart nichts außer dem Keuchen der Clangefährten und dem Rascheln der trockenen Halme.
»Keinen Pfotenschritt weiter!«, schrie ihm eine Stimme entgegen.
Roggenbart rempelte Habichtfell von hinten an, als der schwarze Krieger vor ihm plötzlich stehen blieb. Mit gerecktem Hals über die Schulter seines Clangefährten spähend entdeckte er einen rot-weißen FlussClan-Krieger, der Steinschweif den Weg verstellte.
»Ihr habt doch nicht etwa geglaubt, wir würden euch so einfach davonkommen lassen, oder?«, knurrte die FlussClan-Katze.
Steinschweif zuckte mit keinem Schnurrhaar. »Wir werden weiterkämpfen, wenn es sein muss«, antwortete er. »Ist es das, was ihr wollt?«
Der FlussClan-Krieger bleckte die Zähne. »Dieser Kampf ist noch lange nicht vorbei!« Er stürzte sich auf Steinschweif, der sich auf den Rücken drehte und seinem Angreifer mit den Hinterläufen den Bauch zerkratzte. Das Schilf teilte sich, und weitere FlussClan-Krieger kamen herausgeschossen, um die WindClan-Katzen anzugreifen. Ein stämmiger grauer Tigerkater grub Roggenbart seine Krallen in die Schulter und riss ihn zu Boden. Blut tränkte Roggenbarts Fell, als er sich befreien konnte und den Krieger mit allen vier Pfoten voraus ansprang. Der Krieger duckte sich und sprang ebenfalls, stieß in der Luft mit ihm zusammen und riss ihn mit sich, sodass sie gemeinsam im Schilf landeten.
Roggenbart kam unter einem dicken, grauen Pelz wieder zu sich. Er reckte den Kopf, um Luft zu holen – und starrte direkt in die blauen Augen von Schellbeere. Im selben Moment tauchte ein dunkler Schatten hinter ihr auf, Krallen glitzerten in der Sonne und bohrten sich ihr ins Genick.
»Nein!«, schrie Roggenbart und stürzte sich so heftig auf den Angreifer, seinen Clangefährten Habichtfell, dass er stolperte und ins Schilf purzelte.
»Roggenbart, hör auf!«, rief die graue Kätzin, während sie sich auf die Pfoten rappelte. »Unsere Kämpfe müssen wir allein austragen!«
Roggenbart sah sie über die Schulter hinweg an. »Glaubst du, ich lasse zu, dass mein eigener Clangefährte unseren Jungen etwas antut?«
Habichtfell starrte ihn ungläubig an. »Junge?«, wiederholte er.
Der braune Krieger erwiderte seinen Blick. »Schellbeere erwartet Junge von mir. Ich kann nicht zulassen, dass ihr etwas passiert.«
»Pass auf!«, jaulte Schellbeere.
Pfotengetrappel näherte sich – ein breitschultriger FlussClan-Krieger raste auf sie zu und stürzte sich mit voller Wucht auf Roggenbart. Dann folgte ein dumpfer Schlag, als Roggenbarts Beine unter dem Gewicht seines Angreifers nachgaben und er zusammenbrach. Blut troff aus seiner Schulter, dunkel und glänzend auf die nasse Erde.
Der graue Tiger stieg von ihm herunter und schüttelte sich den Pelz.
Reglos stand Schellbeere da und konnte den Blick nicht von dem schlaffen braunen Körper ihres Geliebten abwenden. »Ach Roggenbart, warum hast du das getan?«, flüsterte sie.
»Sind alle Clans da?«, rief Nebelstern von der Spitze des großen grauen Felsens herab. Um ihn herum flüsterte der Nachtwind sacht in den Zweigen, die undeutliche Schatten über die mondhelle Lichtung warfen. Nebelstern hatte die anderen Anführer zu einer Versammlung hierhergerufen, weil die Senke in der Mitte aller Clan-Territorien lag, aber seit jener ersten Schlacht, die zur Teilung der Clans geführt hatte, niemandem mehr gehörte. Alle Ältesten, die sich noch an das Gefecht erinnern konnten, hielten sich von dem Platz fern, da sie fest daran glaubten, dass viel zu viel Blut in die Erde geflossen war, um jemals fortgespült zu werden. Nebelstern hatte die Vollmondnacht gewählt, weil das Mondlicht für einen sicheren Heimweg aller Katzen sorgen würde – und niemand die Dunkelheit für einen Überraschungsangriff nutzen konnte.
»Wir sind hier«, antwortete Birkenstern, der Anführer des WolkenClans. Mit seinen kräftigen Hinterläufen stieß er sich ab und sprang zu Nebelstern auf den Felsen. Die übrigen Anführer wollten auch nicht am Fuß des Felsens zurückbleiben und kletterten hinterher: Aschenstern vom FlussClan, Holunderstern vom SchattenClan und Hellstern vom DonnerClan, dessen Pelz so hell leuchtete wie der Mond im Zwielicht. Die übrigen Katzen, eine Patrouille aus jedem Clan, blieben am Boden und blickten mit ernsten Gesichtern und um die Pfoten geringelten Schwänzen zu ihren Anführern auf.
»Falls du meinen Clan für den Tod deines Kriegers verantwortlich machen willst –«, hob Aschenstern an, wobei sich sein Nackenfell sträubte.
Nebelstern schüttelte den Kopf. »Nein, Aschenstern, das ist nicht der Grund, weshalb ich euch alle hier zusammengerufen habe. Roggenbarts Tod ist eine Tragödie, die wir uns nach so einer harten Blattleere kaum leisten können. Sie wäre aber nicht geschehen, wenn er … sich nicht … an Schellbeere gebunden hätte.« Er blickte auf die FlussClan-Katzen hinunter, aber Schellbeere war nicht dabei. Wahrscheinlich stand die Geburt ihrer Jungen kurz bevor.
»Von nun an dürfen Katzen nur ihrem eigenen Clan treu sein. Auf Freundschaften zu Katzen anderer Territorien muss zum Besten des eigenen Clans verzichtet werden. Wir können nicht zulassen, dass unsere Krieger in einem Gefecht oder Kampf an irgendetwas anderes als an das Wohl ihres Clans denken. Sind wir uns da einig?«
Hellstern erhob sich. »Der Clan steht über allem anderen. Ich finde das vernünftig.«
Holunderstern und Birkenstern nickten. Aschenstern miaute: »Gut gesprochen, Nebelstern. Mein Clan bedauert den Tod deines Kriegers. Aber von heute an sorgt – und kämpft – jeder Clan nur für sich selbst.«
»Aber wenn wir weniger Kontakte über die Grenzen hinaus pflegen, wie sollen wir einander auf dem Laufenden halten, wenn irgendetwas Wichtiges passiert, wenn zum Beispiel Füchse oder Zweibeiner auftauchen?«, fragte Holunderstern, deren blaue Augen wie kleine Himmelsfetzen leuchteten.
»Wir könnten uns jeden Vollmond, wenn es im Wald hell genug ist, hier treffen, um ohne Streit unsere Neuigkeiten auszutauschen«, schlug Birkenstern vor.
»Zu einem Waffenstillstand?«, miaute Nebelstern.
Unruhiges Getuschel verbreitete sich unter den Katzen am Boden.
»Wie sollen wir Frieden versprechen, wenn der DonnerClan unsere Beute stiehlt!«, fauchte ein älterer WindClan-Krieger.
»Und wenn der WindClan unsere Grenzpatrouillen angreift, geht das auch nicht!«, miaute ein DonnerClan-Krieger mit einem zerfetzten Ohr.
»Und welcher Clan kann schon dem SchattenClan trauen?«, rief eine dritte Katze.
Heftiges Gejaule erhob sich zwischen allen Katzen.
»Schluss!«, knurrte Nebelstern. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und starrte böse auf die Katzen in der Senke hinab. »Birkenstern, ich erkenne deutlich, wie klug dein Vorschlag ist. Auch wenn ich bezweifle, dass auch nur für eine Nacht Frieden herrschen kann, sollten wir es versuchen und sehen, was dabei rauskommt.«
»Mehr verlange ich gar nicht«, miaute Birkenstern.
»Katzen aller Clans!«, fuhr Nebelstern fort. »Von heute an müsst ihr euren Clan verteidigen, selbst wenn es euer Leben kostet. Ihr könnt Freundschaften zu Katzen anderer Clans pflegen, aber eure Loyalität gilt einzig und allein eurem Clan, denn euren Freunden könntet ihr eines Tages im Kampf begegnen. Dies sei unser Gesetz, das Gesetz der Krieger, und ein jeder von uns möge es in seinem Herzen tragen. Der SternenClan möge euch bis zum nächsten vollen Mond auf euren Wegen begleiten.«
Damit sprang er vom Felsen und führte die WindClan-Katzen mit einem Schwanzschnippen aus der Senke hinaus ins mondhelle Moor zurück.
2. Gesetz
Im Territorium eines anderen Clans darfst du niemals jagen und es auch nicht betreten.
Heute ist es für uns selbstverständlich, dass jeder Clan in dem Territorium lebt, das am besten zu seinen speziellen Jagdtechniken passt. Folge mir aber nun in die Zeit, bevor die Grenzen festgelegt wurden, als sich die Katzen Beute auch aus fremden Territorien holten, wenn bei ihnen Mangel herrschte. Du wirst sehen, wie notwendig dieses Gesetz wurde. Denn nichts führt schneller zu Problemen als Diebstahl von kostbarer Frischbeute.
Ein deutliches Zeichen
Drei Blattwechsel waren vergangen, seit die Anführer der Clans beschlossen hatten, sich jeden Vollmond zu treffen. Steinstern, der neue Anführer des WindClans, stand auf dem Großfelsen und ließ den Blick über die Katzen schweifen, die in die mondhelle Senke strömten. Ihre Pelze hoben sich gut ab vom Schnee, nur Hellstern aus dem DonnerClan wurde erst sichtbar, als er den Kopf hob und Steinstern einen Blick auf seine dunklen Augen erhaschen konnte.
Hellstern, Aschenstern, Birkenstern und Fleckenstern, die neue Anführerin des SchattenClans, sprangen zu ihm auf den Felsen. Die Anführer nickten einander zu, dann stellten sie sich in einer Reihe auf und blickten auf die Katzen hinunter.
Normalerweise würde Aschenstern als ältester Anführer zuerst das Wort ergreifen, aber Fleckenstern kam ihm zuvor. »Ich muss eine Beschwerde gegen den DonnerClan vorbringen!«, erklärte sie.
Hellstern sah sie an, seine Schwanzspitze zuckte. »Wir sind es nicht, die anderen die Beute stehlen!«, fauchte er. »Wie kommst du dazu, dich zu beklagen? Unsere Patrouillen müssen euch immer wieder verjagen.«
»Das ist kein Diebstahl!«, erklärte Fleckenstern schnippisch. »Was sollen wir essen, wenn wir in unserem Territorium keine Beute finden?«
»Jeder Clan lebt in dem Gebiet, das am besten zu seinen Jagdgewohnheiten passt«, sagte Birkenstern.
»Na klar, und seit wann jagt der SchattenClan im Unterholz und zwischen Brombeerranken?«, protestierte Weinschweif, der Zweite Anführer des DonnerClans.
»Seit wir in unserem eigenen Territorium verhungern«, knurrte Seesturm, der Zweite Anführer des SchattenClans.
Steinstern trat vor. »Der SchattenClan sollte sich an seine eigene Beute halten«, miaute er entschieden. »Kein Clan hat Beute im Überfluss, vor allem in der Blattleere nicht.«
»Und was sollen wir dann essen?«, jaulte Seesturm. Scharf durchschnitt seine Stimme die frostige Luft und für einen Moment herrschte Stille in der Kuhle. Bis plötzlich irgendwo etwas knackte …
Steinstern blickte auf, um herauszufinden, wo das unheimliche Geräusch herkam. Auf der Lichtung drängten sich die Katzen der jeweiligen Clans verwirrt und ängstlich zusammen.
Krrrrack!