Marc Engelhardt

Starke Frauen für den Frieden

Die Nobelpreisträgerinnen Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman

 

Impressum

HERDER spektrum – Band 6488

 

Originalausgabe

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

 

Umschlagkonzeption:

Agentur R•M•E Roland Eschlbeck

Umschlaggestaltung:

Verlag Herder

Umschlagmotiv: © AFP/Getty Images

 

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

 

ISBN (E-Book): 978 - 3 - 451 - 33912 - 7

ISBN (Buch): 978 - 3 - 451 - 06488 - 3

Inhaltsübersicht

1. Frauen verändern die Welt – von Westafrika bis in den Nahen Osten: Einleitung

2. »Dieses Kind wird führen«: Ellen Johnson Sirleafs Aufstieg in Liberia

3. Nichts als Gewalt und Tod: Leymah Gbowees Leben im liberianischen Bürgerkrieg

4. Kein Sex bis die Waffen ruhen: Wie Liberias Frauen den Krieg beenden

5. Endlich die Ketten abstreifen: Warum Tawakkul Karman eher zufällig zur Frauenrechtlerin wurde

6. Frau Präsidentin soll den Frieden sichern: Männer haben Liberia zerstört, Frauen bauen es wieder auf

7. »Das habe ich in meinen wildesten Träumen nicht erwartet«: Der arabische Frühling lässt die Frauen aufblühen

8. Eine, zwei, viele Heldinnen: Die Zukunft gehört – hoffentlich – den Frauen

Zeittafel

Wichtige Literatur

Für meine Mutter Ingrid

|7|1. Frauen verändern die Welt – von Westafrika bis in den Nahen Osten

Einleitung

Als die Nachricht vom Friedensnobelpreis Tawakkul Karman erreicht, ist sie dort, wo sie seit acht Monaten fast jede Minute verbracht hat: in einem kleinen Zelt aus Plastik, das vor der Universität von Jemens Hauptstadt Sanaa steht. Hier hat sie getrauert, als Scharfschützen des jemenitischen Regimes mehr als fünfzig ihrer Mitstreiter auf offener Straße erschossen haben. Hier hat sie gefeiert, als der autoritäre Präsident Ali Abdullah Saleh außer Landes geflogen wurde, wenn auch nicht für lange. Hier hat sie gehofft, gebangt, gestritten, vor allem aber ist sie standhaft geblieben. Sie will Frieden für den Jemen, Demokratie und Gleichberechtigung. Nahezu unbeachtet von der Welt, die seit Beginn der Arabischen Revolution nach Tunesien, Ägypten, Libyen schaute, haben sie und Tausende andere junge Jemenitinnen und Jemeniten hier ausgeharrt. Und jetzt werden sie belohnt. »Ich widme diesen Preis dem jemenitischen Volk und der Jugend des arabischen Frühlings«, ruft Tawakkul Karman der jubelnden Menge zu. »Und den Märtyrern, die für die Freiheit ihr Leben gegeben haben.«

 

Drei Frauen hat das Nobelpreiskomitee in diesem Jahr ausgezeichnet. Das gab es noch nie. Neben Tawakkul Karman werden auch Leymah Gbowee und Ellen Johnson Sirleaf geehrt, die beide für ein Ende des Bürgerkriegs in Liberia gekämpft haben – jede auf ihre Weise. Die eine, Leymah Gbowee, bewegte Frauen zu monatelangen Sitzstreiks und |8|Gebeten für den Frieden und beendete so schließlich Mord und Gewalt in dem westafrikanischen Land. Ellen Johnson Sirleaf sorgte nach dem Krieg dafür, dass der Frieden blieb. Als Afrikas erste Präsidentin setzt sie sich seitdem bewusst für Frauenrechte ein.

 

Die Preisträgerinnen unterscheidet vieles. So kommen sie aus unterschiedlichen Generationen: Johnson Sirleaf ist 73, Gbowee 39, Karman 32. Sie stammen aus unterschiedlichen Kulturkreisen: Johnson Sirleaf und Gbowee sind gläubige Christinnen, Karman ist bekennende Muslimin. Aber die Gemeinsamkeiten überwiegen. Alle drei stammen aus Gesellschaften, in denen Frauen wenig politischen Einfluss haben. Alle drei fanden sich auf einmal in Extremsituationen wieder, in denen sie mit überkommenen Traditionen brachen. Alle drei bewegten Frauen, es ihnen gleich zu tun, und schufen damit eine machtvolle Gegenbewegung zur patriarchalischen Elite – ohne Gewalt anzuwenden. Alle drei wurden bedroht, verhaftet, gedemütigt, aber sie lassen sich nicht einschüchtern. Sie sind Heldinnen, alle drei. Und während sie für den Frieden streiten, sorgen und kümmern sie sich auch noch um ihre Familien. Alle drei, Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman sind Mütter. In den Autobiografien, die Johnson Sirleaf und Leymah Gbowee geschrieben haben, wird immer wieder deutlich, wie sehr sie hin- und hergerissen sind zwischen dem oft gefährlichen Kampf für ihre Ideale und der Liebe für ihre Angehörigen.

 

In der Begründung für die Auszeichnung beruft sich das Nobelpreiskomitee auf die UN-Resolution 1325, die im Jahr 2000 vom UN-Sicherheitsrat beschlossen worden ist. Erstmals werden darin Kriegsparteien dazu aufgerufen, die Rechte von Frauen zu schützen und Frauen gleichberechtigt |9|in Friedensverhandlungen, Konfliktschlichtung und den Wiederaufbau nach einem Konflikt miteinzubeziehen. Die bis dahin weitgehend ignorierte Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten wird dadurch, etwa im Sicherheitsrat, auf einmal immer wieder zum Thema – genauso wie die Notwendigkeit, nicht nur Männerrunden über die Zukunft von Konfliktgebieten entscheiden zu lassen. »Das norwegische Nobelkomitee hofft, dass die Auszeichnung von Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman helfen wird, die immer noch verbreitete Unterdrückung von Frauen zu beenden«, heißt es in der Begründung weiter. Zugleich hoffe das Komitee, »das große Potenzial für Demokratie und Frieden, das Frauen darstellen, zu fördern.«

 

Leymah Gbowee hat es zu ihrem Beruf gemacht, die UN-Resolution 1325 mit Leben zu erfüllen. Im Frauennetzwerk für Frieden und Sicherheit in Afrika (WIPSEN), das sie 2006 mitgegründet hat, gibt sie ihre Erfahrungen weiter und trainiert Frauen für die Arbeit als Mediatorinnen und Aktivistinnen. Gbowee ist überzeugt, dass Frauen besser Frieden schaffen können als Männer. Als Direktorin von WIPSEN hat sie dafür gesorgt, dass Frauen bei der Bewältigung zahlreicher Konflikte in Westafrika Gehör gefunden haben. Und sie ist selbst aktiv, um Konflikte bereits zu lösen, bevor sie überhaupt in Bürgerkriegen münden.

Kurz nachdem sie erfahren hat, dass sie mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird, sitzt Leymah Gbowee wie damals im Bürgerkrieg auf einem nackten, matschigen Feld in Liberias Hauptstadt Monrovia und betet. Die »weißen Ladies«, wie die von Gbowee angeführte Bewegung wegen ihrer weißen T-Shirts auch genannt wird, beten für friedliche Wahlen in ihrem Heimatland. Nicht einmal ein Jahrzehnt nach Ende des Bürgerkriegs schlagen die Wellen im Wahlkampf hoch, |10|die Töne sind aggressiv geworden. Die Stimmung ist angespannt und die mehr als 8.000 UN-Soldaten im Land bereiten sich auf eine Eskalation vor. Die Frauen aber tun, womit sie berühmt geworden sind: zehn Tage lang demonstrieren sie öffentlich, bei Sonne oder Regen. Sie sind ein lebendes Mahnmal für den Frieden. »Hier sind alle Frauen so richtig aufgeregt«, gibt Leymah Gbowee in einem Interview mit der tageszeitung (taz) zu. »Es ist doch ihr Preis. Für mich gibt es also keinen besseren Platz, als bei meinen Frauen zu sein.«

 

Einmal in diesen Tagen treffen sich die beiden liberianischen Nobelpreisträgerinnen und nehmen sich in die Arme. Es ist ein seltener Moment der Freude über die Auszeichnung, den sich Ellen Johnson Sirleaf gönnt. Ansonsten verliert sie kein Wort über den Preis, auch – oder gerade – nicht in den vielen Reden, die sie dieser Tage hält. In wenigen Tagen wird in Liberia gewählt, und Johnson Sirleaf ist voll und ganz damit beschäftigt, die Mehrheit der liberianischen Wähler von ihren Potenzialen für Demokratie und Frieden, aber auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Linderung der immer noch großen Not im Land zu überzeugen. Was ein Komitee im fernen Norwegen entschieden hat, spielt dabei keine Rolle – im Gegenteil, schon vor der Bekanntgabe hatte der beliebteste Oppositionskandidat Johnson Sirleaf vorgeworfen, die Präsidentin nutze die internationale Anerkennung, um über ihre Misserfolge zu Hause hinwegzutäuschen. Jetzt kommt noch die Kritik dazu, das Nobelpreiskomitee versuche, das Wahlergebnis in letzter Minute zu manipulieren. Johnson Sirleaf weiß aus ihrer Erfahrung, dass sie dazu am besten schweigt. Stattdessen redet sie über den stetigen Aufschwung, neue Jobs und die Verbesserungen, die Liberia in ihrer ersten Amtszeit erlebt hat – nicht nur, aber auch für Frauen. Johnson Sirleaf hat ein Gericht ins Leben |11|gerufen, das sich speziell mit der Gewalt gegen Frauen beschäftigt. Neue Gesetze drohen Vergewaltigern zudem mit harten Strafen. In weiten Teilen Afrikas hingegen gilt Vergewaltigung bis heute als Kavaliersdelikt. Leymah Gbowee glaubt, dass sich dank solcher Maßnahmen auch das Frauenbild in Liberias traditionell patriarchalischer Gesellschaft ändert. »Besonders bei jüngeren Männern haben wir das Gefühl, dass sie Frauen nicht mehr als bloßes Anhängsel ansehen.«

 

Die Reaktionen zeigen, mit welch unterschiedlichen Mitteln die Nobelpreisträgerinnen für Frieden und Frauenrechte kämpfen. Doch sie alle verändern die Welt. Dabei sind Tawakkul Karman, Ellen Johnson Sirleaf und Leymah Gbowee keine Heiligen. Sie haben Ecken und Kanten, haben – auch nach eigenem Bekunden – immer wieder Fehler gemacht und nicht selten Kritiker auf den Plan gerufen. Zum Weltverändern gehört das wohl dazu. Und gerade weil das Leben der drei Frauen weder stromlinienförmig noch strikt logisch verlaufen ist, ist die Geschichte jeder einzelnen von ihnen so spannend und inspirierend zugleich.