Inhalt

Titel

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Epilog

Danksagung

Impressum

4. Kapitel

Der Salon der Karoline Pichler

Durchlaucht, die Kutsche ist vorgefahren«, meldete der Butler durch die geschlossene Tür.

»Danke Lorenz, bestell Graf Báthory, ich komme, sobald ich fertig bin.«

Fürstin Kinsky saß umgezogen, frisch frisiert und dezent geschminkt an ihrem Toilettentisch und betrachtete ihr Spiegelbild.

»Brauchen Sie noch etwas, Herrin?«, erkundigte sich Vesna und ließ den Blick prüfend über den bequemen Ruhesessel mit dem in passendem Stoff bezogenen Fußschemel schweifen, auf dem sie die für den Abend benötigten Accessoires bereitgelegt hatte.

»Nein, alles bestens.« Die Fürstin machte keine Anstalten, sich zu erheben.

Vesna runzelte erst irritiert die Stirn, dann huschte ein verstehendes Lächeln über ihr Gesicht. »Wenn Sie mich dann nicht mehr brauchen, dann würde ich mich nun Ihres Reitkleides annehmen. Es hat einigen Schmutz abbekommen!« Vesna war der Vorwurf in Person.

»Das kommt beim Reiten vor, selbst wenn man nicht vom Pferd fällt, und das ist mir schon seit Jahren nicht mehr passiert!«

»Das schon, aber Sie reiten nicht gerade, wie es für eine Fürstin angemessen wäre, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten. Der Schneematsch ist Ihnen bis zur Schulter gespritzt!«

»Wenn ich vorgehabt hätte, wie eine alte Matrone im Schritt dahinzuzockeln, hätte ich mir nicht einen schneidigen jungen Offizier als Begleiter für den Ausritt besorgt.«

»Das schickt sich nicht«, murmelte Vesna.

»Ja, da hast du recht! Es schickt sich nicht, dass meine Kammerfrau Kritik an mir übt«, gab Therese zurück. Vesna zog beleidigt die Unterlippe hoch.

»Zumindest über die Gesellschaftsfähigkeit meines Begleiters kann kein Zweifel bestehen«, fuhr Therese fort, ohne sich um Vesnas Reaktion zu kümmern. »Der junge Graf Schönfeld wechselt in Kürze von den Reuß-Husaren direkt zur Ordonnanz bei keinem Geringeren als Feldmarschall Graf Radetzky!«

Vesna murmelte etwas Undeutliches. Ihre Aufmerksamkeit galt eindeutig dem von Schneematsch ruinierten Reitkleid.

Therese unterdrückte einen Seufzer, beugte sich vor und besah sich ihr Gesicht aufmerksam im Spiegel.

»Ich hoffe, Frau Pichler spart wie üblich an Wachs. Bei zu vielen Kerzen lässt sich der Kratzer auf meiner Wange wohl nicht völlig verbergen.«

Vesna warf einen kritischen Blick auf ihr Werk. »Wenn Sie nicht daran herumreiben, wird es kein Mensch sehen. Die Leute sollen der Poesie und der Musik lauschen und nicht ihre Wange untersuchen.«

Die Fürstin lachte auf. »Da kennst du die Leute schlecht. Zwar wird kaum jemand von den hoffähigen Familien da sein, aber gerade deshalb werden diejenigen des hohen Adels, die sich unter die Künstler und Bürger des Salons mischen, mit Argusaugen beobachtet.«

»Dann sollen sie beobachten!«, sagte die Kammerfrau, die von ihrem Werk offensichtlich überzeugt war.

»Vesna, sag ehrlich, wie sehe ich aus? Bin ich zur alten Frau geworden?«

Die Kammerfrau starrte sie entsetzt an. Noch mehr als die Worte war es der verletzliche Tonfall, der sie nach Luft schnappen ließ. Und so dauerte es eine Weile, bis sie in ihrem gewohnten, ein wenig schroffen Tonfall antwortete:

»Sie sehen wunderbar aus, Durchlaucht, von gutem Stil und erhaben. Da können die jungen Dinger viel lernen.«

»Aber bin ich noch schön? Oder nur noch alt?«

»Wenn Sie das in dem Spiegel vor sich nicht sehen, dann muss ich fürchten, das erste Anzeichen des Alterns ist das Nachlassen Ihrer Sehkraft!«

Die Bemerkung ihrer Kammerfrau riss Therese aus den trüben Überlegungen. Sie lachte auf, erhob sich und küsste ihre Kammerfrau auf beide Wangen.

»Ich danke dir. Nun bin ich bereit, den Salon zu besuchen – der streng genommen keiner ist, doch jedes Mal einen aufregenden Abend mit Überraschungen verspricht.« Ihr Blick glitt zu der vergoldeten Uhr auf dem Kaminaufsatz. »Graf Báthory wartet nun eine halbe Stunde in der Kälte vor dem Haus. Ich denke, das genügt. Ich sollte nun gehen.«

Vesna antwortete nicht, doch etwas blitzte in ihren Augen, als sie noch einen letzten Blick mir ihrer Herrin wechselte, ehe diese in ihrem neuen Kleid aus blutroter Seide mit schwarzem Spitzenbesatz hinausrauschte.

»Sie sind ja völlig erfroren!«, rief Therese, als András ihr die eisige Hand reichte, um ihr in sein unauffälliges, doch bequemes Stadtcoupé zu helfen. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen ließ sich die Fürstin in die Polster sinken. »Ich hätte Sie nicht so lange warten lassen sollen!«

»Das war doch meine gerechte Strafe dafür, dass ich Ihnen die Zusage erst nach Einbruch der Dunkelheit habe zukommen lassen, obwohl Ihre Karte bereits gegen Mittag bei mir abgegeben wurde, nicht wahr?«

War sie so einfach zu durchschauen? Therese fühlte sich peinlich berührt und war froh, dass es in der Kutsche zu dunkel sein musste, um ihr Gesicht zu erkennen.

Die Räder der Kutsche ratterten über das unebene Pflaster und durch die harsch gefrorenen Schneereste. Die Fahrt dauerte nicht lange. Schon standen die Räder wieder still, und der Schlag wurde geöffnet. Ein Diener im unauffällig braunen Kutschiermantel verbeugte sich, reichte seinem Herrn jedoch nicht die Hand, obgleich der Tritt sehr schmal und der Abstand zum Straßenpflaster nicht unerheblich war. Doch der Graf sprang behände aus der Kutsche und half dann seiner Begleiterin.

»Du kannst die Kutsche zurückbringen. Ich schicke dir eine Botschaft, wenn ich dich brauche.«

Der Diener verbeugte sich noch einmal stumm, kletterte auf den Kutschbock und fuhr davon. Während der Graf Therese in die erleuchtete Halle führte, fragte sie sich, warum er seinen Diener nicht mit denen der anderen Gäste, die eigene Kutschen oder einen unnummerierten Fiaker besaßen, warten ließ. Wie wollte er ihm eine Nachricht zukommen lassen? Einen Botenjungen schicken?

Therese vermutete, dass ihre Gastgeberin nicht über so viel Personal verfügte, dass sie an diesem Abend gern jemanden entbehren mochte. Und sie bezweifelte, dass sich um die Zeit, da sie den Heimweg anzutreten wünschte, noch irgendwelche Burschen in den Gassen herumtrieben, die darauf hofften, sich ein paar Münzen für kleine Dienste zu verdienen.

»Sie zerbrechen sich zu sehr den Kopf, Fürstin. Wollen Sie mir nicht lieber all die interessanten Leute vorstellen, die sich heute Abend bei Frau Pichler eingefunden haben?«

Therese bemühte sich um ein unbeschwertes Lächeln. Sie musste sich in Acht nehmen. Er war ein scharfer Beobachter. Fast könnte man meinen, er sei in der Lage, Gedanken zu lesen, wenn dies nicht völlig unmöglich wäre.

Amüsiert lächelnd führte Graf Báthory die Fürstin in den Salon, wo die Gastgeberin in einem mächtigen Sessel von verblichenem Samt thronte. Zwei junge Stutzer kauerten auf Fußschemeln zu ihren Füßen und hingen gebannt an ihren Lippen. Therese konnte nicht verstehen, worüber sie sprach, doch die jungen Herren lachten verzückt auf und klatschten begeistert in die Hände.

Als der Blick der Gastgeberin auf die Fürstin und ihren Begleiter fiel, brach sie ab und winkte die beiden mit ihren von Arthritis verkrümmten Fingern zu sich. Sie hob ihren Lorgnon, der an einer Goldkette baumelte, und musterte ihre neuen Gäste ungeniert. Trotz ihrer siebzig Jahre saß die gefeierte Dichterin mit durchgedrücktem Rücken da. Ihre Miene war streng, die Augen von lebhaftem Interesse. Sie trug ein steifes Kleid aus Seidentaft mit den keulenartig gebauschten Ärmeln, wie sie in der vergangenen Saison noch Mode gewesen waren. Auf ihrem nachlässig aufgedrehten grauen Haar erhob sich eine gestärkte Spitzenhaube.

»Ah, ein Mitglied des Hofadels gibt uns die Ehre, in die bescheidenen Niederungen der Künste herabzusteigen. Liebe Fürstin, dann werde ich es heute Abend ausnahmsweise unterlassen, über den Snobismus der Hocharistokratie zu schimpfen.«

Therese reichte der Schriftstellerin die Hand. »Halten Sie das so lange aus?«

»Wir werden sehen«, gab Karoline Pichler mit einem spöttischen Lächeln zurück.

»Tun Sie sich meinetwegen keinen Zwang an, meine Liebe. Darf ich Ihnen meinen Begleiter vorstellen?«

»Ich bitte darum!«, rief die Gastgeberin. »Wenn Sie schon mal mit einem Mann auftauchen, der diese Bezeichnung noch verdient. Ich sage lieber nicht, mit welchen Worten ich die traurigen Überbleibsel der Schöpfung bedenke, die sich nur ihren modischen Narreteien hingeben.« Sie bedachte die beiden Stutzer, die ein wenig zurückgetreten waren, mit einem strengen Blick. »Jedenfalls muss ich Ihnen gratulieren. Er macht etwas her und schafft es sogar, zusammen mit einer Bohnenstange ein harmonisches Bild abzugeben. Sobald er den Mund aufgemacht hat, kann ich Ihnen sagen, ob auch sein Geist mehr als einen Gedanken wert ist. Was schon eine Sensation wäre. Schönheit und Geist in einem einzigen Mann vereint?«

Therese musste ein Kichern unterdrücken. Sie ergötzte sich immer wieder an der erfrischend schrulligen Art der alternden Dichterin, die immer direkt sagte, was ihr in den Sinn kam. Ihr Gatte und die meisten anderen Mitglieder der Gesellschaft hätten sich vor den Kopf gestoßen gefühlt.

»Ich darf Ihnen András Petru Báthory, Graf von Brasov, vorstellen.«

»Wo ist denn das?«

»Sie nennen es Kronstadt, in Siebenbürgen«, sagte András höflich und reichte ihr die Hand.

»Na, heißblütig kann man ihren Begleiter nicht gerade nennen, meine liebe Fürstin, obwohl die Magyaren dafür doch berühmt sein sollen!«

»Das sind sie im Allgemeinen, das kann ich Ihnen versichern, Frau Pichler. Doch die Karpaten sind auch für ihre Wesen der Nacht berühmt. Kalte, gnadenlose Jäger, die auf den Schwingen der Finsternis mit dem Nachtwind reisen. Kein Herz schlägt in ihrer Brust. Und sie existieren nur vom warmen Blut der Lebenden.«

Er sah sie bei den Worten so intensiv an, dass die alte Frau für einen Moment erstarrte, dann klatschte sie die Hände zusammen, warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend.

»Meine liebe Fürstin, diesen Mann sollten sie sich warmhalten, wenn ich das so sagen darf. Er ist ein seltenes Original. Sie müssen nur aufpassen, dass – sollte ihn der Blutdurst überkommen – ihr Gatte in der Nähe ist. Nein, nicht um Sie zu beschützen. Ich bezweifle, dass der Fürst dazu überhaupt in der Lage wäre. Soll unser Karpatengraf lieber ihn aussaugen als Sie, nicht wahr?«

András verzog das Gesicht. »Frau Pichler, was denken Sie von mir? Ich bevorzuge Damen. Dann schon lieber Verzicht!«

Glucksend wischte sich Frau Pichler eine Träne aus den grauen Augen.

Draußen in der Eingangshalle erklangen Stimmen. Karoline Pichler reckte sich in ihrem Sessel auf. »Lasst mich sehen, wer gekommen ist. Ich brauche noch ein paar geistreiche Menschen um mich, mit denen ich mich zanken kann. Wer ist das?«

Vier Frauen kamen in den Salon, drei trugen Geigenkästen unter den Armen. Ein Diener folgte mit einem Cello. Sie waren vielleicht zwischen dreißig und vierzig, strahlten aber den Schwung junger Mädchen aus. Sie begrüßten die Gastgeberin überschwänglich.

»Ah, meine Virtuosen sind eingetroffen. Nun, dann muss die Literatur noch ein wenig warten. Machen wir Musik!«

Die Gäste scharten sich um die vier Frauen, die plaudernd und scherzend ihre Instrumente auspackten.

»Das sind die berühmten Fröhlich-Schwestern«, klärte Therese ihren Begleiter auf. »Netti, Betti, Kathi und Pepi – eigentlich Anna, Josephine, Katharina und Barbara aus gut bürgerlichem Haus, genauer gesagt aus einer Döblinger Weinhandlung. Sie sind gut, Graf Báthory, Sie können sich entspannen. Sehen Sie, selbst Doktor Sonnleithner, ja der grauhaarige Herr dort drüben in dem grünen Sessel, schaut erwartungsvoll drein. Er ist der Gründer der Gesellschaft der Musikfreunde, und er ist der Erste, der flüchtet, wenn sich ein Dilettant an einem Instrument vergreift oder gar zu singen beginnt, was leider in den Gesellschaften des Bürgertums und des Adels immer mehr überhandnimmt.«

Die vier Schwestern stimmten ihre Streichinstrumente und warfen dann einen bedeutsamen Blick in die Runde. Es wurden noch ein paar Stühle zurechtgerückt, dann verstummten die Gäste des pichlerschen Salons und wandten ihre Aufmerksamkeit dem Damenquartett zu, das in seinen farbenfrohen Kleidern aus bedrucktem Chintz und Seidentaft ein liebliches Bild bot. Und sie spielten auch ansehnlich, so dass es eine Lust war, ihrem Spiel zu lauschen, gab Graf Báthory seiner Begleiterin gegenüber gerne zu.

Mitten in die Darbietung platzte ein Herr, der sich rücksichtslos durch die Zuhörer drängte und sich neben eine beleibte Dame auf eine der vorderen Sitzbänke quetschte. Sein Blick galt allein der mit ihren dunklen Ringellöckchen hübschesten der vier Schwestern. Der Mann ging sicher bereits auf die fünfzig zu, und sein Haar begann sich in Form von Geheimratsecken zu lichten.

András runzelte die Stirn. »Mir ist, als müsste ich diesen Herrn kennen.«

»Das ist unser Dichter Franz Grillparzer. Er ist mit Kathi verlobt, seit – lassen Sie mich rechnen – sechzehn Jahren, oder sind es schon mehr? Ich habe es vergessen. Er himmelt sie treu an, widmet ihr Verse, kann sich aber nicht durchringen, sie zum Altar zu führen.«

»Und die Dame macht dieses zermürbende Spiel mit?«

»Mehr noch, ich habe gehört, Grillparzer wird demnächst zu den Schwestern in ihre Wohnung in der Spiegelgasse ziehen.«

»Zu allen vieren?« András hob in einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung die Brauen.

»Ja, zu allen vieren. Für ihn wird es überaus praktisch. Vier Frauen, die ihn verehren und ihn umsorgen. Nur um Kathi tut es mir leid. Was kann er dann noch für einen Grund haben, sie um ihre Hand zu bitten?«

»Vielleicht weil ihm vier Frauen dann doch zu viel werden?«

Therese knuffte ihm in die Seite. »Graf Báthory, das war nicht sehr charmant. Ich sage Ihnen, er wird mit den vier Schwestern alt, ohne sich je zu entscheiden!«

Nach dem Quartett, das großzügig Applaus bekam, las die junge Schauspielerin Enghaus-Hebbel Verse im Wechsel mit Wenzel Scholz, dem altverdienten Komödianten. Auch ein Traktat von Anastasius Grün wurde verlesen, das jemand im Rheinland ergattert und mit nach Wien gebracht hatte. Geschmuggelt, musste man eher sagen, denn die Zensur, sprich Polizeiminister Graf Sedlnitzky, hatte seine politischen Machwerke – wie er es nannte – allesamt verboten.

»Wissen Sie, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt?«, raunte Therese András zu. »Kein Geringerer als Graf Alexander von Auersperg! Seine Verse sind ein wenig einfach gebaut, doch die politische Sprengkraft nicht zu verleugnen. In Wien sucht er natürlich vergeblich als Dichter sein Glück. Ich glaube nun, da Sedlnitzky ihn auf dem Kieker hat, würde er ihm selbst Kochrezepte zensieren!«

»Ach, die schreibt der Graf auch?«

»Nein!« Therese sah ihn empört an. András lachte.

»Nun, dann wollen wir hoffen, dass sich hier unter den Gästen kein Naderer befindet, der diese Impertinenz augenblicklich meldet.«

»Ein Informant der Geheimpolizei, hier?« Die Fürstin sah sich ein wenig unsicher um. »Möglich wäre es schon.«

»Nicht nur möglich, sehr wahrscheinlich«, korrigierte András. »Sagt man nicht, wenn sich drei Wiener treffen, ist mindestens einer von ihnen ein Naderer? Ich wage sogar zu behaupten, dass mehr als die Hälfte aller Dienstboten auf Sedlnitzkys Gehaltsliste stehen. Ein schönes Zubrot, die Herrschaft zu bespitzeln, und viel einfacher als Stiefel putzen oder heißes Wasser schleppen.«

Die Fürstin hob erstaunt die Brauen. »Sie scheinen sich ja schon ganz gut in Wien auszukennen!«

Graf Báthory hob die Schultern. »Da hat sich nicht viel geändert, seit Metternich den Rhein hinter sich gelassen hat, um an der Donau in Wien Europa zu verändern – oder sollen wir sagen, in seine alten Schuhe zurückzustecken?«

Therese nickte nachdenklich.

Ein Raunen ging durch die Reihen der Gäste, als zu späterer Stunde der berühmte Mime und Possendichter Johann Nestroy vom Theater an der Wien sich die Ehre gab und auch noch die bezaubernde Tänzerin Fanny Elßler mitbrachte. Die jungen Herren lagen ihr zu Füßen. Sie war der Stern am Wiener Balletthimmel.

»Ich sage nicht, dass sie diesen Platz nicht mit wundervoller Grazie ausfüllt«, sagte die Fürstin zu Graf Báthory. »Sie hat Talent und arbeitet hart. Dennoch wage ich zu behaupten, ihre Karriere wäre nicht so steil verlaufen, hätte nicht Friedrich Gentz, der Sekretär Metternichs, ein Auge auf sie geworfen. Sie war gerade einmal neunzehn Jahre alt und er fünfundsechzig, doch man sagt, sie sei ihm treu bis zu seinem Tod geblieben. Geschadet hat ihr diese Beziehung jedenfalls nicht.«

»Sie sind eine unerschöpfliche Quelle des Wissens, Durchlaucht.«

Therese versuchte in seiner Miene zu lesen, doch sie konnte nichts entdecken, das ihr einen Hinweis darauf geben konnte, wie er seine Worte meinte.

»Langweile ich Sie mit meinen Klatschgeschichten?«, fragte sie ein wenig verunsichert.

»Aber nein, Fürstin. Wenn man eine Weile fern von Wien war, hilft einem nichts schneller, sich wieder mit der Gesellschaft vertraut zu machen, als ihre Klatschgeschichten und Skandale. Berichten Sie mir alles, was Ihnen in den Sinn kommt. Verraten Sie mir beispielsweise, wer die Dame mit der seltsamen Kopfbedeckung ist, die gerade von unserer Gastgeberin so überschwänglich begrüßt wird, als sei sie der verlorene Sohn, der unerwartet aus der Fremde heimgekehrt ist.«

Dass er mit dieser Bemerkung den Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen hatte, erfuhren sie sogleich von Karoline Pichler selbst, die alle Anwesenden zur Ruhe rief, um ihnen ihren neuen Gast zu präsentieren.

»Darf ich denjenigen, die noch nicht die Ehre und das Vergnügen hatten, die Frau an meiner Seite kennenzulernen, meine Freundin Ida Pfeiffer vorstellen? Ich darf ohne Zweifel behaupten, dass sie uns Dichtern, die wir hier versammelt sind, allen etwas Großes voraushat: Sie schreibt nicht nur ganz wunderbar, sie ist auch die mutigste Frau von ganz Wien! Seht euch ihren seltsamen Kopfschmuck an, und beginnt zu ahnen, was es sie gekostet haben mag, diesen zu erlangen.« Die Pichler zeigte die Zähne, dennoch war ihre Hochachtung hinter dem gutmütigen Spott zu spüren.

»Also, wenn ihr demnächst das Reisetagebuch ›Reise einer Wienerin ins Heilige Land‹ unter irgendeinem dummen Pseudonym bei eurem Buchhändler liegen seht, dann kauft es euch, lest es durch und staunt. Und wenn ihr die interessanten Details wissen wollt, die immer ausgelassen werden, dann fragt unsere mutige Weltreisende Ida Pfeiffer, die erst vor einigen Wochen von ihrer Reise nach Palästina und Ägypten zurückgekehrt ist! Fast ein Jahr war sie unter den Wilden und was es dort sonst noch so gibt. Und sie hat noch nicht genug. Norwegen, Schweden, ja sogar Island will sie auf ihrer nächsten Reise besuchen. Und dann? Was hast du dann vor, meine Liebe? Wien wird dir nach so viel Abenteuer wohl zu langweilig sein.«

»Ich möchte China sehen und Indien und Südamerika. Ich denke, ich werde eine Reise um die ganze Welt wagen.«

Therese betrachtete die ein wenig bieder wirkende Frau mit ihrem einfachen schwarzen Kleid und dem exotischen Kopfputz.

»Ich traue es ihr zu. Ich glaube, diese kleine, energische Frau bringt das fertig.«

András nickte zustimmend. »Ja, ihr Wille ist unbeugsam, und einen einmal gefassten Entschluss wird sie eisern verfolgen. Wir dürfen auf noch mehr Reiseromane gespannt sein.«

Zum Abschluss setzte sich Kathi Fröhlich noch einmal ans Klavier und spielte einige deutsche Tänze. Die Gäste wippten den Dreivierteltakt mit. Mehr ging nicht. Zum Tanzen war es hier einfach zu eng. Als einer der jungen Männer übermütig den Arm um die Taille einer jungen Schauspielerin legte, fuhr ihn Karoline Pichler barsch an. »Das hier ist kein Kaffeehaus, und ich will mich auch morgen noch an meinen Vasen erfreuen!«

Die leichte Weise verwehte, und nun erklangen ganz andere Akkorde. Dramatisch, aufwühlend, die den Puls beschleunigten. Ein herannahendes Gewitter.

Therese sah, wie sich der Graf neben ihr aufrichtete und ein wenig vorbeugte, so als wolle er sichergehen, dass ihm keiner der Töne entging. András starrte auf die Finger, die in rasendem Taumel über die Tasten glitten.

»Das Pianoforte ist ein wundervolles Instrument«, sagte er, nachdem die letzten Töne verklungen waren und Kathi ihren verdienten Beifall mit Anmut entgegennahm.

»In meinem Musiksalon steht ein Bösendorfer Flügel, doch ich vermag es nicht, ihm seine Zauberklänge zu entlocken. Wenn ich die Tasten niederdrücke, klingt es wie ein Wehklagen.«

»Glauben Sie nicht, dass den Fröhlich-Schwestern etwas zugeflogen ist. Sie haben sich ihre Kunst hart erarbeitet. Tonleitern rauf und runter, üben, üben, üben. Ich weiß, ich habe selbst eine Zeit lang Unterricht genommen und dann über mich selbst enttäuscht aufgegeben. Daher hege ich große Hochachtung vor ihrer Disziplin und ihrem Talent.«

»Ob ich Talent für das Klavierspiel besitze, vermag ich nicht zu sagen, Disziplin bin ich durchaus bereit aufzubringen.«

Therese sah ihn überrascht an. »Dann wollen Sie wirklich Unterricht nehmen?«

»Warum nicht? Stellt sich nur die Frage nach dem geeigneten Lehrer. Ob das Fräulein Kathi vielleicht?«

Therese schüttelte vehement den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass sie ein Talent zum Unterrichten hat. Und – bei aller Liebe – sie spielt ganz nett und gehört sicher nicht mehr zu dieser schauderhaften Liga der Laien, die Gäste mit ihren stümperhaften Darbietungen quälen. Aber um das Spiel von Anfang an richtig zu lernen, brauchen Sie einen guten Lehrer. Ich wüsste da einen sehr hoffnungsvollen Pianisten, der neben seinen Auftritten bei Tanzvergnügen im Opernensemble im Theater an der Wien spielt. Er ist noch sehr jung, doch lassen Sie sich nicht täuschen. Er ist sehr gut!«

»Und wo finde ich diesen begnadeten Musiker?«

»Er heißt Wallberg, Carl Eduard Wallberg, und wohnt im großen Michaelerzinshaus. Ich hatte ihn bereits zu einem unserer privaten Konzerte daheim engagiert. Wenn Sie möchten, melde ich Sie an.«

András nickte. »Gern.«

Sie lauschten noch ein wenig dem angeregten Geplauder der Gäste, die anscheinend keine Müdigkeit kannten. Auch András zeigte keine Schwäche. So war es die Fürstin, die als Erste ein Gähnen hinter ihrem Handschuh verbarg, was ihrem aufmerksamen Begleiter allerdings nicht entging.

»Möchten Sie nach Hause? Ich kann sofort die Kutsche rufen.«

Therese winkte ab. »Ach was, das ist zu umständlich. Vorn am Eck stehen Fiaker. Soll Frau Pichlers Mädchen einen heranwinken.«

»Das ist nicht nötig. Bis Sie sich hier verabschiedet haben, steht mein Wagen vor der Tür«, versprach der Graf und war auch schon verschwunden. Therese blinzelte irritiert. Wie wollte er das anstellen? Er hatte seinen Diener doch nach Hause geschickt?

Die Fürstin trat ans Fenster und sah in den Hof hinaus. Er war nur schwach vom Schein, der durch die Scheiben fiel, erhellt, dennoch war sie sicher, in der Gestalt, die mitten im Hof stand, Graf Báthory zu erkennen. Er streckte den Arm aus, als würde er jemanden rufen. Es war aber niemand zu sehen.

Ein hektisches Flattern vor dem Fenster. Therese zuckte erschreckt zurück. Was war das? Als das Tier in den Hof hinunterflog, erkannte sie es. Eine Fledermaus. Sie schien einen Kreis um den Grafen zu ziehen. Dann war sie verschwunden.

»Darf ich Ihnen Ihren Umhang reichen? Mein Kutscher wird jede Minute da sein.«

Noch einmal fuhr Therese zusammen. Hatte sie ihn nicht gerade noch unten gesehen? Er musste die Treppen heraufgerannt sein, doch sein ruhiger Atem ließ nicht auf derlei schließen.

»Hatten sie nicht auch einen Mantel?«, fragte Therese, als sie an seinem Arm in die Halle hinunterschritt.

»Nein, nicht für das kurze Stück. Mir ist nicht kalt.«

»Aber mir, sie Lügner!«, schimpfte sie mit einem Lachen und schob seinen Arm ein Stück weg.

»Verzeihen Sie, ich werde das nächste Mal daran denken und einen Pelz mitnehmen«, versprach er ernst.

»Dann werden Sie mich also wieder begleiten, obwohl ich Sie in dieses Haus der einfachen Bürger und Künstler geschleppt habe?«

»Aber sicher. Und das nächste Mal werde ich Sie ausführen. Nennen Sie mir den Abend, an dem ich Sie abholen darf.«

Und wie Graf Báthory gesagt hatte, fuhr sein Coupé in dem Moment vor, als er mit der Fürstin am Arm das Haus verließ. Therese grübelte noch lange darüber nach, wie er das angestellt haben mochte, ihr fiel keine Lösung ein. Noch ein Geheimnis, das diesen seltsam faszinierenden Mann umgab. Sie freute sich unbändig darauf, ihn bereits in zwei Tagen wiederzusehen. Therese spürte, wie sie ihm zu verfallen begann. So etwas hatte sie noch bei keinem Menschen erlebt. Sie ahnte, dass das nicht gut war, doch sie konnte, nein, sie wollte nichts dagegen tun.

Nach und nach verließen die Gäste das Haus und machten sich auf den Heimweg. Die Wohnräume der Dichterin waren noch immer hell erleuchtet und malten goldene Flecken auf die mit einer frischen Schneeschicht überzogene Straße. Es schneite noch immer. Der Wind war abgeflaut, und nun schwebten die Flocken lautlos herab und landeten sanft auf Hut und Schultern der Gestalt, die reglos in einem der Eingänge gegenüber verharrte, den Blick unverwandt auf das Haus gerichtet, in dem Karoline Pichler wohnte. Die schwarze Kleidung verschmolz völlig mit den Schatten.

Noch einmal öffnete sich die Haustür, und ein erwartungsvoller Schauder zuckte durch den bisher wie erstarrten Körper. Die Augen weiteten sich. Zwei glühende Punkte in der Finsternis der Nacht.

»Hu, ist das kalt!«, wehte die helle Stimme einer jüngeren Frau zu dem Schatten herüber. Allein bei dem Klang spannten sich die Muskeln wie zum Sprung.

»Wir werden einen Fiaker nehmen, sonst holen wir uns den Tod. Bleib hier im Eingang stehen«, bemerkte ein älterer Mann.

»Sie stehen nicht weit, dort drüben an der Ecke.« Dieser Sprecher war ebenfalls männlich und um einiges jünger.

»Genau, und deshalb gehst du uns einen holen, während wir hier warten und ich aufpasse, dass Fanny sich nicht den Tod holt«, bestimmte der Ältere.

Der junge Mann maulte zwar vor sich hin, schlug aber seinen Kragen hoch und eilte mit eingezogenem Genick dem Straßenende zu, wo auch zu dieser Zeit einige Fiaker standen, in der Hoffnung, noch ein paar Kreuzer zu verdienen.

Die Gestalt, die sich im Eingang verborgen hielt, erwog, ihm zu folgen. Es würde keine Schwierigkeit bedeuten, das Wild einzuholen und zu stellen, ehe es sein Ziel erreicht hätte. Und auch Gegenwehr oder Hilfeschreie waren nicht zu fürchten. Nein, die Macht des Blickes war wie die einer Schlange, die die Maus in Todesangst lähmt, dass sie innehält und wartet, ja sich geradezu darbietet, verschlungen zu werden. Dennoch blieb der Schatten stehen und sah weiter zu den beiden anderen Gästen von Karoline Pichlers Salon hinüber, die frierend unter dem Torbogen standen. Warum nicht hinübergehen und sich diese beiden nehmen? Den Mann erst einmal ruhigstellen und das Blut der Tänzerin genießen. Und dann noch sein Blut hinterher, um die drängende Unruhe wenigstens für ein paar Stunden zu beruhigen.

Der schattenhafte Beobachter hatte sich gerade entschieden, diesen Plan auszuführen, als die Haustür noch einmal geöffnet wurde und das Hausmädchen der Dichterin den Kopf herausstreckte.

»Sie sind ja immer noch da! Stimmt irgendetwas nicht? Ich wollte eben den Riegel vorschieben. Da habe ich Ihre Stimmen gehört.«

»Nein, alles in Ordnung. Wir haben Philipp einen Fiaker holen geschickt«, gab der ältere Mann zurück.

»Ja aber da müssen Sie doch nicht hier draußen in der Kälte warten!«, protestierte das Hausmädchen. »Kommen Sie solange wenigstens hier in die Halle. Ich warte, bis die Kutsche da ist, und schließ dann hinter Ihnen ab.«

Der Vorschlag wurde angenommen. Die Gestalt unterdrückte einen Fluch und wich wieder in den Hauseingang zurück. Kurz darauf klapperten Hufe, und das Knirschen von Rädern näherte sich dem Haus.

»Kommt schnell!«, rief der junge Mann, der Philipp hieß, und öffnete den Wagenschlag. Die junge Frau und der zweite Begleiter stiegen ein. Der Kutscher schwang die Peitsche, die beiden Braunen zogen an. Das Hausmädchen stand noch immer an der Tür und sah dem Wagen nach. Jetzt galt es, schnell zu handeln.

Für ein menschliches Auge war es nur ein flüchtiger Schatten, der über die Straße huschte. Erst als er die Tür erreichte und im letzten Moment den Fuß in den Spalt schob, hätte ein Beobachter eine hochgewachsene Gestalt mit schwarzem Hut und Umhang ausmachen können.

»Aber was ist denn …«, stotterte das Mädchen, als ihr die Tür, die sie eben zuschieben wollte, mit einer solchen Wucht aus der Hand gestoßen wurde, dass sie zurücktaumelte.

»Sch!« Die Gestalt drängte in die Halle, den Finger auf die Lippen gelegt. Doch es war der Blick aus den glühenden Augen, der dem Mädchen die Stimme raubte und jeden Widerstand in ihm erlöschen ließ.

Die schmalen, blassen Lippen des Eindringlings verzogen sich zu einem Lächeln. »So geht diese Nacht angenehm zu Ende«, raunte er ihr ins Ohr, »nun, zumindest für mich.«

Tief stachen die Zähne in ihren Hals, und das Wesen der Nacht trank in gierigen Zügen. Nach einer Weile löste es sich von ihr. Das Mädchen hing ohnmächtig in den kalten, starken Armen. Nachdenklich ruhte der Blick aus den unheimlich roten Augen auf ihrer Kehle. Dem untoten Wesen war nicht entgangen, was die Zeitungen schrieben. So zog es ein Messer unter dem Mantel hervor. In einer raschen Bewegung schnitt die Klinge tief in den Hals. Blut sprudelte hervor, und noch einmal schlossen sich die Lippen über der jungen Haut. Wäre es nicht eine Sünde, so viel köstliches Blut zu vergeuden? Noch ein Schluck! Dies musste der letzte sein. Mit einem Seufzer des Bedauerns ließ das Wesen den Körper zu Boden fallen. Die letzten Herzschläge pumpten noch ein wenig Blut aus der klaffenden Wunde, das sich über den weißen Steinboden ausbreitete.

Der Schatten stieg über die Leiche hinweg, sorgsam bedacht, nicht in die Blutlache zu treten. Nicht, um keine Fußspuren am Ort der Gewalttat zurückzulassen. Es wäre zu schade gewesen, die feinen Lederschuhe zu besudeln. Lautlos öffnete sich die Haustür noch einmal und schloss sich dann wieder, während der Schatten in der Nacht verschwand.