Hanser eBook

 

UMBERTO ECO

 

Baudolino

 

Roman

 

Aus dem Italienischen

von Burkhart Kroeber

 

Carl Hanser Verlag

 

Die Originalausgabe erschien im Jahr 2000 unter dem Titel Baudolino bei Bompiani in Mailand.

 

ISBN 978-3-446-23907-4

© R.C.S. Libri S.p.A. Milano Bompiani 2000

Alle Rechte der deutschen Ausgabe

© 2001/2011 Carl Hanser Verlag München Wien

 

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

 

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Zitat

 

Mi fan patir costoro il grande stento,

Che vanno il sommo bene investigando,

E per ancor non v'hanno dato dentro.

 

E mi vo col cervello immaginando,

Che questa cosa solamente avviene

Perché non è dove lo van cercando.

 

Questi dottor non l'han mai intesa bene,

Mai sono entrati per buona via,

Che gli possa condurre al sommo bene.

 

Perché, secondo l'opinion mia,

A chi vuole una cosa ritrovare,

Bisogna adoperar la fantasia.

 

E giocar d'invenzione, e 'ndovinare;

E se tu non puoi ire a dirittura,

Mill'altre vie ti posson aiutare.

 

Questo par che c'insegna la natura,

Che quand'un non può ir per l'ordinario,

Va dret'a una strada più sicura.

 

Lo stil dell'invenzione è molto vario;

Ma per trovar il bene io ho provato

Che bisogna proceder pel contrario;

 

Cerca del male, e l'hai bell'è trovato;

Però che 'l sommo bene e 'l sommo male

S'appaion com'i polli di mercato.

(Galileo Galilei, Contro il portar la toga)*

 

* Gegen das Togatragen

Mit großem Überdruss erfüllen mich jene, / die ständig nach dem höchsten Gute suchen / Und es bis heute nicht gefunden haben. // Und wenn ich's wohl bedenke, scheint mir, / dass solches nur geschieht, / weil es nicht dort ist, wo sie's suchen. // Diese Doktoren haben es nie recht verstanden, / sind nie den richtigen Weg gegangen, / der sie zum höchsten Gute führen kann. // Denn meiner Meinung nach muss, / wer etwas finden will, / die Phantasie anstrengen. // Und mit der Erfindung spielen und raten, / und kannst du nicht geradeaus gehen, / so können dir tausend andere Wege helfen. // Dies, dünkt mich, lehrt uns die Natur: / wenn einer nicht auf dem gewohnten Weg vorankommt, / sucht er sich hintenrum eine bessre Straße. // Die Art der Erfindung ist sehr mannigfaltig; / doch um das Gute zu finden, muss man, ich hab's erprobt, / in umgekehrter Richtung gehen. // Such etwas Böses, und schon hast du es [das Gute] gefunden; / doch höchstes Gut und höchstes Übel / paaren sich wie das Federvieh auf dem Markt.

 

Inhalt

 

9  1.   Baudolino beginnt zu schreiben

20  2.   Baudolino begegnet Niketas Choniates

39  3.   Baudolino erklärt Niketas, was er als Junge geschrieben hatte

56  4.   Baudolino spricht mit dem Kaiser und verliebt sich in die Kaiserin

66  5.   Baudolino gibt Friedrich weise Ratschläge

79  6.   Baudolino geht nach Paris

96  7.   Baudolino lässt Beatrix Liebesbriefe und den Poeten Gedichte schreiben

103  8.   Baudolino im Irdischen Paradies

120  9.   Baudolino tadelt den Kaiser und verführt die Kaiserin

12910.   Baudolino findet die Könige aus dem Morgenland und lässt Karl den Großen heiligsprechen

14311.   Baudolino baut dem Priester Johannes einen Palast

15612.   Baudolino schreibt den Brief des Priesters Johannes

17113.   Baudolino sieht eine neue Stadt entstehen

19714.   Baudolino rettet Alexandria mit der Kuh seines Vaters

22915.   Baudolino in der Schlacht von Legnano

23916.   Baudolino wird von Zosimos reingelegt

25417.   Baudolino entdeckt, dass der Priester Johannes an zu viele Leute schreibt

26418.   Baudolino und Colandrina

27019.   Baudolino ändert den Namen seiner Stadt

27820.   Baudolino findet Zosimos wieder

29321.   Baudolino entdeckt die Wonnen von Byzanz

30522.   Baudolino verliert den Vater und findet den Gradal

31823.   Baudolino auf dem dritten Kreuzzug

33324.   Baudolino in der Burg von Ardzrouni

35125.   Baudolino sieht Friedrich zweimal sterben

37226.   Baudolino und die Reise der Magier

39227.   Baudolino in der Finsternis von Abkasia

40728.   Baudolino überquert den Sambatyon

41529.   Baudolino kommt nach Pndapetzim

43230.   Baudolino begegnet dem Diakon Johannes

45031.   Baudolino wartet auf die Weiterreise zum Reich des Priesters Johannes

46932.   Baudolino sieht eine Dame mit Einhorn

47933.   Baudolino begegnet Hypatia

50234.   Baudolino entdeckt die wahre Liebe

51235.   Baudolino gegen die Weißen Hunnen

52336.   Baudolino und die Vögel Roch

53737.   Baudolino bereichert die Schätze von Byzanz

55638.   Baudolino bei der Abrechnung

58039.   Baudolino als Säulenheiliger

59740.   Baudolino ist nicht mehr da

 

1. Kapitel

Baudolino beginnt zu schreiben

 

 

 

Regenspurg Anno Domini MCLV Chronik des Baudolino aus dem geschlecht der Aulari

ich Baudolino sohn des Galiaudo von denen Aulari mit einem haupt alswî ein leu halleluja Dank sei dem Herrn der mir möge vergêben

ich hab gemacht den gröszten raub meines lebens indem ich genommen aus einem schrein des herrn bischoffs Otto vil bögen die villeicht gehören der kaiserlichen Kanzlei und hab sie fast allesamt abgeschabet auszer wo es nit abgienc und hab nun alsô manniglîch Pergamint zum draufschreiben was ich will daz heiszt meine Chronica wiewôl ich sie nit kann schreiben in Latino

wann sie entdekken daz herrn Ottos bögen nimmer dâ sind oh was wird anheben für ein geschrei und werden denken womögelîch wars ein spiôn von denen Episkopi Romani welche nit wôlwollen unserm herren kaiser Frîderîch

aber villeicht merkets ja kainer in der kanzlei wo sie allweil irgentwas schreiben auch wanns niëmandem nutzen tuot und wer diese bögen findet si li infila nel büs del kü denkt sich villeicht nix weiter darbei

 

 

dies ist stêngeblieben von dem was allhie zuvôr gestunden und was ich nit gut habe abschaben können sô daz mans muoz überspringen

wenn man dereinst diese pergamenta wird finden nachdem ich sie hab beschrîben wird auch kain Kanzler sie nit verstân perkê questa è una lengua ke denn dies ist ein sprach die noch niëman nit hat geschrîben

aber auch wenn niëman nie diese sprach wird verstân wird man trotzdem subito erraten daz ich es gewên der dies hat geschrîben diweil alle sagen daz wir in der Frasketa parliamo na Lengua ke non è da christiani spreken ein Sprak was nit is von Christenmensken

verflixt swêr is shcreiben mir tuon schon alle finger wê

 

mein vater Galiaudo hat immer gesagt es muoz eine gâbe der Heiligen Juncfrouwe von Roboreto sein daz ich von kleinauf kaum daz ich jemand sagen hör ein paar worte subito kann ich nâchâmen seine sprach ob er gleich aus Tortona ist oder aus Gavi oder sogar aus Mediolanum allwô man sprikt ain sprak ke gnanca i cani was nitmal die hünde verstân tja und sogar als ich bin begegnet den ersten alemannen in meim leben was waren die mannen welche die stadt Tortona berannten lauter wilde die immerzu sagten und und nach einem halben tag hab auch ich gesagt rausz und mîngot und sie sagten gê uns hôln schöne daz wir machen fikifuki und wans nit will macht nix brauchst nur sagen wôs is daz wirs uns hôln

aber was ist ein hab ich gefragt und sie sagten una domina una donna una femina e facevano il segno de le Tette grosse und malten grôsze brueste in di lufft und sagten weil nêmlich bei dieser belagerung sind wir knapp mit feminae alldiweil die von Tortona sind drinnen und wenn wir erstmal reingehn lass uns nur machen aber hier drauszen sind weit und breit keine zu sehn und dazu vluchten sie sô gotteslesterlîch daz sogar mir is kummen ein gensehaut

bravi suabi di Merda ihr guten swabenleut hab ich gesagt wie soll ich euch sagen wô sint ich bin kein spiôn besorgts euch doch selber

mamma mia momenti mi mazzavano

fast hättens mich umgebracht mi mazzavano o amazzavano o necabant ietzt schreib ich schon fast Latino nit daz ich nit verstêh Latino diweil ich gelernt hab aus einem librum latinum und wenn jemand zu mir redet latino ich kan schon verstên aber schwieric is skribere schreiben in latino wan ich nit weisz wie man die worte skrib buchstabiret

zum exemplum: nie weisz ich obs equus oder equum heiszet und alleweil mach ich fêler mentre da noi un caballo dieweil bei uns ein cavallo ist immer ein Gaul und ich mach nie fêler diweil niemand schreibt Kawallo ja niemand schreibt überhaupt irgendwas weil ja niemand kann lesen

damals ist die sach gut ausgegangen und die Diutschen ham mir kein haar gekrummet alldiweil grad in dem ougenblick sind berittene kummen und ham gerufen lôslôs wir machen neuwen Angriff, und dann is vil grôz durchainander gewên und ich hab nix garnixmer verstunden vor lauter escudieri allhie und hellebardieri alldâ und drommetengetös und türm aus holz hoch wie bäum die sich bewegten auf rädern wie karren, und obendrauff balistari et fundibulari schleudern zum steinewerfen und solchene höllenmaschinen, und andere schleppten lange leitern herbei, und es regnete pfeile auf sie herab alswî hagelkörner in einem grôszgewaltic Sturm, und die Unseren schleudereten vil dicke stein mit ainer species von mächtiger Armbrust und mir swirrten ums haupt alle iaculi welche die Tortonesen warfen von ihren Mauern oh welch eine battaglia!

zween stunden sâsz ich unter eim gebüsch verstecket und hab gebetet Heilige Jungfrau hilf du kannst alles. Dann ist es ruhiger worden und nahe bei mir sind die mit der sprache von Pavia vorbeigelaufen und haben geschrien sie hätten so viele Tortonesen umgebracht daz es wär wie ein Tanaro von Blut, aber sie waren sêr zufrieden darüber weil sie meinten, sô lernt Tortona endlich es mit Mailand zu halten

als dann auch die Alemannen mit der zurückkamen villeicht ein paar weniger als vorher diweil auch die Tortonesen sich nicht hatten lumpen lassen da hab ich mir gesagt ich verdrükk mich lieber

sô bin ich marsch marsch nach hause gegangen wo es früh am morgen war und hab meim vater Galiaudo alles erzêlt und da hat er zu mir gesagt na bravo geh nur und setz dich mitten mang die Belagerer daz du eines tages ne pike in den hintern kriegst weiszt du denn nicht daz diese dinge nur für die herren gemacht sind? lass sie in ihrer suppe kochen wir müssen an unsere kühe denken denn wir sind ernsthaffte leut nicht solche wie dieser Frîderîch der erst kummt und dann gêt und dann wiederkummt und nichts richtig zu ende bringt

aber dann ist Tortona doch nit gefallen weil sie blôsz die unterstadt und nit auch die Burg eingenommen hatten und hat noch eine weile standgehalten so daz ich zum ende meiner kronik kommen vorgreifen muosz nêmlich als sie ihnen das wasser abgegraben hatten und die Tortonesen anstatt ihr pipi zu trinken zu Frîderîch gesagt haben daz sie ihm treu ergeben sein wollten da hat er sie abziehen lassen aber die stadt hat er erst verbrannt und dann in trümmer gelegt soll heiszen das alles haben die aus Pavia getan die mit den Tortonesen spinnefeind sind denn hier bei uns ist es nit so wie bei den Alemannen wo alle sich untereinander herzlich mögen und immer eintrechticlîch beieinander sind wie diese zwei finger meiner hand wärend bei uns die aus Gamondio wenn sie einen aus Bergolio sehn hauens ihm gleich in die fresse

aber jetzt will ich meine kronik weitererzêlen weil nemlich, wenn ich sô durch den wald der Frasketa streifte besonders bei Nebel ich meine den von der guten sorte bei dem du deine nasenspitze nicht mehr siehst und die dinge ganz plötzlich vor dir auftauchen ohne daz du sie vorher hast kommen sehn also da hab ich manchmal visionen gehabt wie damals als ich das Lioncorno das Einhorn gesehen oder das andere mal als mir San Baudolino erschienen ist und zu mir gesprochen hat und gesagt hat filio de la puta andrai a linferno du hurensohn wirst zur hölle fahren jawohl das hat er gesagt denn die geschichte mit dem einhorn ist sô gegangen:

um ein Einhorn zu fangen musz man bekanntlich eine noch nicht entjuncferte maid unter ein baum setzen und dann riecht das einhorn den juncfrouwelîchen geruch und kommt herbei um den kopf in ihren schôsz zu legen und sô hab ich die Nena aus Bergolio genommen die mit ihrem vater gekommen war um die kuh von meinem vater zu kaufen und hab ihr gesagt komm mit in den wald daz wir ein Einhorn fangen und hab sie unter ein grôszen Baum gesetzt weil ich sicher war daz sie noch juncfrouwe war und hab ihr gesagt bleib schön sitzen und mach die beine breit damit platz ist für den kopf von dem Einhorn und sie hat gefragt wie meinst du das wie soll ich die beine breit machen und ich sagte na da an der stelle hier mach sie schön auseinander und hab sie berührt und da hat sie angefangen zu kieksen und blöken wie eine ziege die ein zicklein gebiert und ich hab nix mehr gesehn mit eim wort sie ist über mich gekommen wie eine apocalypsin und danach war sie nicht mehr rein wie eine lilie und ich hab gesagt ojêminê was machen wir jetzt um das Einhorn anzulocken und in dem moment hör ich eine stimme vom Himmel kommen die zu mir sagt das Einhorn das lioncornus qui tollit peccata mundi das wäre ich und da bin ich zwischen den büschen umhergesprungen wie ein verruckter und hab gebrüllt jip hiiii frr frr alldiweil ich noch glücklicher war als ein echtes einhorn denn ich hatte der juncfrouwe das horn in den schôsz gelegt und deswegen hat San Baudolino dann zu mir gesagt du sohn einer etcetera aber dann hat er mir vergeben und ich hab ihn später noch andre male gesehn in der demmerung aber nur wenn nebel war oder wenigstens dunst und nicht wenn die sonne sgajentat oves et Boves hellstrâlend am himmel stund

aber als ich dann meim vater Galiaudo erzêlt hab daz ich San Baudolino gesehn da hat er mir dreiszig stockhiebe auf den bukkel gegeben und gesagt Oh Herr im Himmel ausgerechnet mir muoz das passieren daz mein sohn Visionen sieht und ist noch nicht mal imstande eine kuh zu melken! entweder ich schlag ihm den schädel ein oder ich geb ihn einem von denen mit welche über die jahrmärkte ziehen und simia dafrica affen aus affrika tanzen lassen! und meine liebe mamma hat geschrien du aufgeblasener nichtsnutz du bist ja noch schlimmer als alles andere was hab ich dem Herrgott getan daz ich einen sohn haben muoz der die Heiligen sieht! und mein vater Galiaudo hat gesagt es stimmt gar nicht daz er die heiligen sieht dieser kerl ist noch verlogener als Judas und denkt sich das alles nur aus um nicht arbeiten zu müssen!

 

ich erzehle diese Kronika weil man sonst nicht kapiert wie es an jenem abend gegangen ist als ein nebel war so dicht daz man ihn hätt mitm messer schneiden können dabei wars schon april aber bei uns gibts auch nebel im august und wer nicht aus der gegend ist kann sich leicht verirren zwischen der Bormida und der Frasketa besonders wenn kein Heiliger da ist der ihn an der hand nimmt und sô kam es daz ich auf dem heimweg war und plötzlich seh ich vor mir ein ritter hoch zu ross ganz in eisen

der ritter war ganz in eisen nicht das ross und hatte ein schwert an der seite und sah aus wie der könig von Aragona

und heisz ist mir da durch den kopf gefahren mamma mia jetzt ist das wirklich San Baudolino! er ist gekommen um dich zur hölle zu jagen! aber der rittersmann hat gesagt und da hab ich begriffen daz er ein allemannischer Ritter war der sich im wald verirrt hatte wegen dem nebel und seine leut nicht mehr finden konnte es war ja auch schon fast nacht und er zeigte mir eine Moneta die ich noch nie gesehen hatte und dann war er froh daz ich in seiner sprache geantwort und auf zu ihm gesagt hab wann du sô weiterreitest landstu schön wie die sonne im sumpf

wobei ich nit hätt sagen solln schön wie die sonne wo doch ein sô dichter nebel war daz man ihn mit einem messer hätt schneiden können aber er hat mich trotzdem verstanden

und dann hab ich ihm gesagt daz ich weisz daz die tedeski tieutschen aus einem land kommen wo immer frühlinc ist und wo vielleicht die citri vom Libanus blühn aber bei uns in der Palèa ist nebel und in diesem nebel gehn bastarde um die noch die enkel der enkel von denen arabitz sind welche Carlomanio bekämpft hat und das sind grausame leut die wenn sie einen Pilgersmann sehn schlagens ihm die zähne ein und schneiden ihm die Haare ab die er aufm kopf hat und darum rate ich euch geht lieber in die hütte meines vaters Galiaudo da findet ihr eine schüssel mit warmer suppe und einen strohsack zum schlafen wärend der nacht im stall und morgen wenns hell wird zeig ich euch den weg besonders wenn ihr noch diese Moneta habt Gratie benedicte wir sind arme aber ehrliche leut

sô hab ich ihn zu meinem vater Gaiau Galiaudo gebracht und der hat sofort angefangen zu schimpfen du hornochse du was hast du blôsz im kopf warum hast du meinen namen zu einem fremden gesagt man weisz doch nie nachher ist er ein vasall des markgrafen von Monferrat dem ich noch schuldig bin eine decima de fructibus et de feno et leguminibus oder einen futterzins oder eine gespannmiete oder werweiszwas oh du stiesel jetzt sind wir ruiniert und er wollte schon nach dem stock greifen

da hab ich ihm gesagt daz der herr ein Alemanne ist und nicht einer aus Monferrat und er hat gesagt ich wär noch dümmer als die nacht schwarz ist aber als ich dann die Moneta erwähnt hab da hat er sich beruhigt alldiweil die leut aus Marengo die haben einen dickschädel wie ein ochs aber ein feingespür wie ein pferd und er hat gleich kapiert daz bei der Sache vielleicht was rausspringen könnte und hat zu mir gesagt hör zu, wo du doch alles sagen kannst sagt ihm dies hier:

item, daz wir arme aber ehrliche leut sind

das hab ich ihm schon gesagt

macht nix dann sags halt nochmal, item danke für den Solidus aber da ist auch noch das Heu fürs pferd, item zu der warmen suppe tu ich noch einen käse hinzu und brot und einen krug von dem guten, item sag ihm daz ich ihn da schlafen lasse wo sonst du schlaumeier immer schläfst nämlich hier neben dem feuer und du gehst heute in den stall, item er soll mir die Moneta noch einmal zeigen diweil ich will einen Genueser Solidus und dann soll er sein wie einer von unserer familie denn wir in Marengo halten die gastfreundschaft heilig

der herr hat gesagt schlau wie ein fuchs seid ihr aber handel ist handel ich geb dir zween von diesen Moneta und du fragst nicht ob es ein Genueser ist denn mit einem Genueser kann ich dein haus und all euer vieh also nimm und sei still sô bekommst du noch immer genug und da ist mein vater still gewesen und hat die beiden moneta genommen die ihm der herr auf den tisch geworfen alldiweil wir aus Marengo wir haben einen dickschädel aber ein feingespür und dann hat er gegessen wie ein wolf (der Ritter) oder eher wie zween wölfe und als mein vater und meine mutter sind schlafen gegangen diweil sie den ganzen tag lang mit krummem bukkel geschuftet hatten derweil ich in der Frasketa umhergestreift bin, da hat der zu mir gesagt gut dieser wein, davon trink ich noch was hier am feuer komm setz dich herzu und erzêl mir warum du so gut meine sprache kannst

 

 

 

auch dies hier hab ich nit abschaben können

 

jetzt fang ich noch einmal an mit der ckronik von jenem abend als der alemannische herr wissen wollt warum ich seine sprache so gut sprechen konnt und da hab ich ihm erzêlt daz ich diese gâbe hab wie die sankti Apostoli und daz ich auch die gabe der Visionen hab wie die Magdalenen indem daz wenn ich im wald umherlaufe seh ich plötzlich den heiligen Baudolino auf einem Einhorn in der farbe von milch und mit seim gewundenen Horn genau da wo die pferde das haben was bei uns die Nase ist

aber es ist schwer zu sagen ob pferde eine nase haben sonst könntens ja auch einen Bart haben wie jener der einen sêr schönen bart hatte in der farbe von einem kupfertopf indes die anderen Alemannen die ich gesehen die hatten meist gelbe haare sogar in den ôren

und er hat zu mir gesagt Nun gut du siehst was du ein Einhorn nennst und vielleicht meinst du das Monoceros aber woher hast du gewuszt daz es Einhörner auf dieser Welt gibt und da hab ich ihm gesagt daz ich es in einem buoch gelesen welches der Eremit der Frasketa hatte und da hat er die ougen weit aufgerissen daz sie aussahen wie die von einer eulen und hat mich gefragt Ja aber kannst du denn auch lesen?

und ob! hab ich gesagt und jetzt erzêle ich die Historia und die geht sô

es gibt einen heiligen Eremiten hier im wald der Frasketa dem die leute manchmal ein huhn bringen oder einen hasen und er sitzt dann vor einem geschriebenen buoch und betet und wenn die leute vorbeikommen schlägt er sich auf die brust mit einem Stein aber ich sage es ist blôsz ein uatarone daz ist ein klumpen erde so daz es nicht so sehr wê tut naja also an jenem tag hatten wir ihm zwei eier gebracht und wie er da in dem buoch las hab ich mir gesagt eins für dich eins für mich wie bei guten christen er darfs nur nit sehn aber ich weisz nit wie ers gemacht hat wo er doch las aber er hat mich plötzlich am Hals gepackt und da hab ich gesagt diviserunt vestimenta mea und da hat er laut gelacht und gesagt Hehe du bist ja ein helles bürschlein komm jeden tag her dann bring ich dir bei wie man liest

sô hat er mir die Buchstaben eingehemmert mit klapsen und kopfnüssen nur daz er dann hinterher als wir allein waren anfing zu sagen was für ein schöner starker junge du bist mit was für nem schönen löwenkopf lass doch mal sehn ob du auch starke arme hast und wie deine brust ist und lass dich mal hier fühlen wo die beine anfangen um zu sehn ob du auch gesund bist da hab ich kapiert worauf er hinauswollt und hab ihm mit dem knie in die balle gestôszen also in di Testicula und er hat sich zusammengekrümmt und geschrien Du Satansbraten ich geh nach Marengo und sag den leuten daz du vom Dämon besessen bist auf daz sie dich verbrennen na gut hab ich gesagt geh doch aber zuerst geh ich und sag daz ich dich gesehn hab in der nacht wie du mit einer Hexen zugange warst und ihn ihr in den mund gesteckt hast und dann sehn wir ja von wem sie werden meinen daz er besessen ist und da hat er gesagt warte doch das hab ich doch nur zum spâsz gesagt ich wollt doch blôsz sehn ob du ein gottesfürchtiger junge bist also reden wir nicht mehr davon komm morgen wieder daz ich dir beibringe wie man schreibet denn lesen ist leicht und kostet nichts weiter du brauchst nur zu schauen und die lippen zu bewegen aber wenn du schreiben willst brauchst du feder und Tinte und folii alldiweil alba pratalia arabat et nigrum semen seminabat denn er sprach zwischendurch immer latein

aber ich hab zu ihm gesagt es genügt wenn man lesen kann dann lernt man was man noch nit gewuszt hat indes wenn man schreibet dann schreibt man immer nur was man schon weisz also bleib ich lieber einer der nit schreiben kann ma il kulo è il kulo aber dem sonst nichts fehlt

als ich dem alemannischen herrn das erzêlt hatte lachte er lôs wie verrückt und sagte Bravo kleiner rittersmann die Eremiten sind allesammt Sodomiten aber sag mir was hast du sonst noch gesehen im wald? na und weil ich daran dachte daz er ja einer von denen war die Tortona erobern wollten für Kaiser Frîderîch hab ich mir gesagt ich tu ihm lieber einen gefallen villeicht gibt er mir dann auch noch eine Moneta und sô hab ich gesagt vor zween nächten da wär mir der Heilige Baudolino erschienen und hätt gesagt der kaiser werde einen grôszen Sieg über Tortona erringen denn Frîderîch sei der einzige und wahre Herr der ganzen Longobardia samt der Frasketa

da hat der herr gesagt du bist ein geschenk des Himmels willst du nicht mitkommen ins kaiserliche lager und dort sagen was San Baudolino dir gesagt hat? und da hab ich gesagt daz ich gern mitkommen wollte und hab hinzugefügt daz San Baudolino mir auch noch gesagt hätte daz die Heiligen Petrusundpaulus nach Tortona kommen würden um die keiserlichen zu führen und da hat er gesagt mir würde schon Petrus allein genügen

Kint komm mit und dein glück ist gemacht

Und allsogleich oder fast alsogleich nêmlich am nêchsten morgen hat der herr meinem vater gesagt daz er mich mitnehmen und an einen ort bringen will wo ich lesen und schreiben lerne und vielleicht eines tages Ministeriale werde

mein vater Galiaudo wuszte nicht was ein Ministeriale ist aber er hat gleich kapiert daz dann ein esser weniger im hause sein würde und daz er mich nicht mehr würde bestrafen müeszen weil ich meiner eigenen wege ginge aber er dachte wôl daz jener herr womöglich einer von denen war die mit Affen auf die jahrmärkte gehn und womöglich würde er mir die hände auf den rükken binden und das gefiel ihm nicht aber der herr hat ihm versichert er sei ein groszer Comes Palatinus und bei den alemannen gebe es keine Sodomiten

was Sodomiten seien hat mich mein vater gefragt und ich hab ihm erklärt daz es die swûlen sind Ach was du nicht sagst hat er darauf gesagt die swûlen gibt es doch überall! aber als er sah daz der herr fünf weitere Moneten aus der Tasche zog zusetzlich zu denen die er uns am abend zuvor gegeben hatte da hat er nix mehr dagegen gehabt und hat zu mir gesagt Geh mein sohn für dich ist es ein glück und villeicht auch für uns und wo diese Alemannen ja so viel herumziehen und immer wieder in unsere gegend kommen kanns ja sein daz du uns ab und zu besuchen kommst und ich hab ihm geschworen daz ich daz tun will und bin rasch rausgegangen aber ein wenig hats mir schon auch das herz zusammengezogen wie ich meine mutter weinen sah als würde ich in den tod gehen

sô sind wir davongegangen und der herr hat gesagt ich sollte ihn dorthin führen wo das Castrum der Kaiserlichen ist und ich hab gesagt das ist ganz leicht wir brauchen blôsz der sonne zu folgen soll heiszen dorthin gehen woher sie kommt

und wie wir sô gehn und schon die zelte zu sehn sind kommt uns eine compania soldaten entgegen alle im harnisch und im selben moment in dem sie uns sehn gehen sie auf die knie und senken die Piken und die Feldzeichen und heben die Schwerter und ich frage mich na was soll denn das bedeuten? da rufen die Soldaten Chaiser hier und da und Sanctissimus Rex und küssen dem herrn die hand und mir fällt beinah der kiefer runter so weit hab ich das maul aufgerissen vor staunen denn erst jetzt hab ich begriffen daz dieser herr mit dem roten bart der Kaiser Frîderîch selber war in fleisch und bein und ich hatt ihm den ganzen abend lang lügen erzêlt als ob er irgendein Dorfdepp wär!

jetzt wird er mir den kopf abhaun lassen dachte ich bei mir immerhin hats ihn dann VII Moneten gekostet denn wenn er meinen kopf haben wollte hätt er ihn gestern abend gratis et amoredei haben können

aber er sagt Ihr braucht keine angst mehr zu haben es wird alles gut ich bringe euch grôsze Neuigkeiten von einer Vision! komm sag allen was für eine vision du gehabt hast im wald! na und ich werfe mich nieder als ob ich plötzlich die fallsucht hätte und verdrehe die ougen und lasse mir sabber aus dem mund flieszen und schreie lauthals Ich sehe! ich sehe! und erzêle die ganze Lügenmär von San Baudolino die mich zum Wahrsager macht und alle loben domineddio den Herrn im Himmel und sagen Miracolo miracolo

und da waren auch die gesandten aus Tortona die sich noch nicht entschieden hatten ob sie sich ergeben sollten oder nicht aber als sie mich hatten reden hören warfen sie sich lang ausgestreckt auf den boden und sagten wenn auch die Heiligen sich gegen sie stellten dann wärs besser sich zu ergeben denn lange könnts sô nicht weitergehn

und dann sah ich die Tortonesen die aus der stadt herauskamen männer frauen kinder und greise und alle weinten und klagten indes die alemannen sie wegführten als wärens schafe und andres schlachtvieh und die aus Pavia schrien Alé Alé und stürmten nach Tortona hinein mit äxten und hämmern und keulen und piken denn eine stadt dem erdboden gleichzumachen daz war ihnen eine grôsze lust

und gegen abend sah ich auf dem ganzen hügel einen grôszen rauch und Tortona war quasi nicht mehr da sô ist der krieg wie mein vater Galiaudo immer sagt der krieg ist eine grôsze böse Bestie

aber besser sie als wir

und am abend ist der kaiser ganz zufrieden in die Tabernacula zurückgekehrt und hat mir in die wange gekniffen wie es mein vater nie getan hat und dann hat er einen herren gerufen der kein anderer war als der gute kanonikus Rahewin und hat zu ihm etwas gesagt was ich nit gut verstanden hab aber er wollte daz ich schreiben lernte und den abakus und daz ich auch die grammatik lernte von der ich damals noch gar nix wuszte aber jetzt weisz ich so langsam allmêhelich was sie ist nêmlich eine sache die sich mein vater überhaupts nie nit hätte vorstellen können

wie schön es ist gebildet zu sein wer hätte das gedacht!

gratia agamus domini dominus also in summa Dank sei dem Herrn im Himmel dafür

aber eine kronik zu schreiben bringt einen schon ziemlîch ins schwitzen sogar im winter und ich fürchte auch daz die lampe alsbald erlischt und wie jener andre sagte der daumen schmerzt mich