Umarme mich,
damit ich weitergehen kann
Gebete des Vertrauens
Ursula gewidmet,
der Freundin in guten und schweren Zeiten
© Verlag Herder Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010
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Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-33639-3
ISBN (Buch) 978-3-451-32321-8
Ich weiß nicht, wie dieses Buch in Ihre Hände gelangt ist. Vielleicht tun Sie sich schwer mit dem Gebet und suchen nach Impulsen, die Ihre eigenen Worte anstoßen können. Vielleicht sind Sie auf die eine oder andere Weise mutlos geworden, Ihr Beten ist versickert oder es hat Ihnen die Sprache verschlagen. Es gibt mancherlei gute Gründe, nach vorgeformten Worten zu greifen. Die Texte, die Sie hier vorfinden, sind nicht „am Schreibtisch“ entstanden. Sie sind durch mich hindurch gegangen und spiegeln die Erfahrungen und Sehnsüchte von Menschen, die ich in meiner seelsorgerlichen und psychotherapeutischen Arbeit begleiten durfte. Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang allen, die mir ihr Erleben und Erleiden anvertraut und dadurch zur Entstehung des vorliegenden Buches beigetragen haben.
In welcher Verfassung Sie diese Sammlung von Gebetsversuchen auch antreffen mag, ich wünsche von Herzen, dass der eine oder andere Text Ihnen zur hilfreichen Begleitung werden darf, bis Ihre eigenen Worte wieder zu fließen beginnen. Dabei möchte ich Ihnen Mut machen, dem Gebet einen regelmäßigen Platz in Ihrem Tag einzuräumen und nicht nur dann zu beten, wenn Sie in einer entsprechenden Stimmung sind. Alles, was in die Tiefe wirken soll, bedarf der wiederholten Übung. Auch wenn Sie überall und jederzeit beten können, macht es Sinn, sich eine feste Zeit einzuräumen, einen bestimmten Ort zu haben, an den Sie sich zurückziehen. Vielleicht brennt dort eine Kerze, hilft ein Bild sich zu sammeln. Es hat sich für viele Menschen bewährt, mit einem regelmäßigen Ritual zu beginnen. Sie können sich innerlich einstimmen, indem Sie sich auf Ihren Atem konzentrieren, seinem Kommen und Gehen gleichsam zuschauen und erst dann zu sprechen beginnen, wenn die Gedankenfülle nachgelassen hat und Sie ruhig geworden sind. Wenn Sie Zugang dazu haben, können Sie sich zu Beginn bekreuzigen und dazu die Worte der Liturgie sprechen: „Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Das Kreuzeszeichen ist dabei nicht reserviert für eine bestimmte Konfession. Es gehört allen Christen. Vielleicht mögen Sie zur Einstimmung einen Taizé-Gesang singen oder eine Choralstrophe, die Sie anspricht. Die äußere Gebetshaltung sollte helfen, in die innere Sammlung zu kommen. Sie selber werden am besten spüren, welche Körperhaltung Ihnen entspricht. Ob Sie stehen, knien oder sitzen, ob Sie gehend beten, die Hände zu einer Schale formen, sie falten oder geöffnet in die Höhe heben, wichtig ist, dass die äußere Gebärde mit Ihrem inneren Empfinden übereinstimmt.
Ich möchte Ihnen vorschlagen, für eine gewisse Zeit bei einem einzigen Gebet oder auch nur bei einigen Sätzen daraus zu verweilen, sie mit eingeschalteten Pausen von Zeit zu Zeit zu wiederholen und dabei bewusst langsam zu sprechen. Auf diese Weise können Worte in die Tiefe sinken. Viele Menschen, die beten möchten, fühlen sich überfordert, wenn es um die innere Haltung des Vertrauens geht, die eine Grundlage für alles Beten ist. Das göttliche Du scheint so fern, so wenig erfahrbar. „Vertrauen, dieses schwerste ABC“, so formuliert die Lyrikerin Hilde Domin. In diesen Worten ist beides zu finden: Das Eingeständnis, dass Vertrauen schwierig ist, gleichzeitig aber die Hoffnung, dass es sich auch einüben lässt wie unsere Sprache. Ich möchte Sie einladen, nicht nur Ihre Glaubensunsicherheit auszuklagen, sondern bewusst auch Worten des Vertrauens Raum zu geben und sie nachzusprechen. Wenn der Zweifel überwiegt, mag dies unredlich scheinen. Doch gibt es so etwas wie ein Sich-Öffnen für die Möglichkeit des Vertrauens. Wir überlassen uns solchen Worten der Zuversicht im Wissen um unsere innere Skepsis, als zögen wir ein Kleid an, das uns viel zu groß ist, in das wir erst nach und nach hineinwachsen können.
Jedes Gebet braucht den Raum der Stille. Gebet ist ja nicht nur Wortwerdung unserer Anliegen und Gedanken. Es ist zutiefst auch ein Hören. Je tiefer wir in das Beten hineinwachsen, desto mehr wachsen wir über unsere Bitten hinaus, um vertrauensvoll in Gott zu ruhen und uns Seinem Willen zu übereignen. Wir gelangen in innere Bereiche, wo wir unser Wollen loslassen und Gott schweigend anbeten im Vertrauen, dass alles Unsere bei Ihm aufgehoben ist. In diese Ebene des Betens werden wir in der Regel erst nach einem längeren inneren Weg gelangen. Zunächst wird es darum gehen, uns Gott hinzuhalten mit dem, was unser Sein und Erfahren ausmacht.
Ich möchte Ihnen Mut machen, sich und alles, was Sie bewegt, betend auszusprechen, auch wenn es Ihnen manchmal vorkommen mag, als gingen Ihre Worte ins Leere. Ich selber habe in einer sehr bedrängten Zeit meines Lebens für Jahre aufgehört zu beten. Es war ein schmerzlicher Verlust. Eines Tages wusste ich, dass ich zurück wollte in diese verlorene Heimat. Ich bin glücklich und dankbar, den Weg des Gebets wieder gefunden zu haben und aus seinem Reichtum schöpfen zu dürfen. Ich bin nicht unangefochten. Es gibt Zeiten, wo mir das Beten schwer fällt oder ich verstumme. Dennoch bin ich immer wieder durchdrungen von der Zuversicht, dass unsere Gebete nicht ins Leere gehen, sondern liebevoll aufgenommen werden, auch wenn oft nicht geschieht, was wir uns inständig erhoffen.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dass die Texte dieses Buches Ihnen Mut machen, sich mit allem, was Ihr Erfahren ausmacht, der Quelle allen Lebens anzuvertrauen und aus ihr zu empfangen, was Ihnen leben hilft.
Antje Sabine Naegeli
Möchten doch bei Dir sein,
meine Gedanken,
irren umher und finden
den Weg nicht,
zerstreuen sich
hierhin und dorthin
und irgendwohin.
Welcher Wind
treibt sie umher?
Hüter Du, Sorgender,
geh ihnen nach.
Mein Wollen ist ohne Kraft.
Führe sie heim zu Dir,
meine Gedanken,
diese atemlosen.
Birg sie am Ort des Friedens
und wasche den Staub der Straßen
von ihrer Seele.
Angst überflutet mich,
raubt mir den Atem.
Gefroren ist aller Mut.
Nirgends ein Fluchtweg.
Ich weiß nicht
wie aushalten,
was meine Kraft
übersteigt.
Starr bin ich
vor Entsetzen.
Gott, du Trostkraft
in mir,
ich vertraue darauf,
dass Du bei mir bist,
auch wenn ich blind bin
vor Schrecken
und meine Seele
Dich nicht erkennt.
Mit Dir überdauere ich
die Flut,
die mich in den Abgrund
reißt.
Du führst mich heraus
aus dem Unheil.
Vor einer endlos hohen Mauer
stehe ich.
Unüberwindlich ist sie.
Und Du, Gott,
bist dahinter verborgen.
Ich lege mein Ohr
an die Mauer,
taste nach Rissen.
War da ein Klang?
War da ein Schimmer?
Vielleicht.
Ich weiß es nicht.
Meine Stimme ist wund
vom Rufen.
Hörst Du mich, Gott?
Ich kann nicht fortgehen.
Ich warte,
dass Du durchbrichst zu mir.
Wirst Du kommen, Gott?
Wirst Du kommen?
Dieses ganze Kirchenwissen
mit allem, was sich eingenistet hat
in meinem Denken,
lasse ich los,
möchte ich loslassen.
Löse aus mir die Glaubenssätze,
die mich besetzt halten.
Sie haben mich nicht genährt.
Ungestillt blieb mein Hunger.
Wer lebt schon vom Denken.
Niemand soll mir mehr sagen wollen,
wer Du bist.
Ich will es erfahren
mit meinem Leib,
mit meiner Seele.
Lass mich nicht vergeblich warten, Du,
denn mein Verlangen nach Dir
ist groß und voller Schmerzen.
Komm.
Mutlos bin ich
bis auf den Grund,
meiner selbst
nicht mehr gewiss.
Gott, meine Bergung,
umhülle mich
mit Deinem Licht.
Durchdringe
die Dunkelwolken
meiner Urangst.
Hauche Deinen Atem
in alles Verstörte
und Gelähmte.
Birg mich