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Das Buch:

Die Männer des Walfangschiffes kommen aus aller Herren Länder. Hier muss sich der junge Ismael bewähren und findet in einem der Harpuniere einen Freund. Kapitän Ahab ist besessen von der Jagd auf Moby Dick, den weißen Wal. Das dramatische und spannende Geschehen treibt seinem Höhepunkt entgegen, als Moby Dick gesichtet wird und der Kampf mit dem geisterhaften Wal beginnt.

Der Autor:

Dirk Walbrecker, geboren in Wuppertal, Wahl-Münchener, Studium der Literatur- und Theaterwissenschaft, Regie-Assistent, Aufnahmeleiter, Drehbuchschreiber, Kinder- und Jugendbüchern mit zahlreichen Veröffentlichungen, Leseveranstaltungen in Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Türkei – und auch Pädagoge. Er war als Lehrer tätig und weiß genau, wie man die verschiedenen Altersgruppen ansprechen kann und was wirklich spannend ist und wie man die Lust weckt, durch Literatur gehaltvoller, spannender und auch humorvoller leben zu können.

Hörbuch:

Der Text dieses Buches ist auch als Hörbuch in der Reihe „Klassiker für Kids“ erschienen:

Moby Dick

nacherzählt und gesprochen von Dirk Walbrecker,

Hörbuch auf 3 Audio-CDs, ISBN 978-3-942270-56-4

Klassiker für die ganze Familie

Moby Dick

von Herman Melville

nacherzählt von Dirk Walbrecker

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Impressum

ISBN: 978-3-942270-72-4

© Kuebler Verlag GmbH,

Lampertheim – Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung Daniela Hertel,

www.grafissimo-design.de,

Bildmaterial © 4167-fotalia.com, © fotogestoeber-fotalia.com

Kuebler Verlag im Internet:

www.kueblerverlag.de

www.klassiker-fuer-die-familie.de

Kapitel 1

Abreise

Nennt mich Ismael und lasst euch erzählen, in welches Abenteuer ich mich vor einigen Jahren stürzte: Es begann wie üblich – mit Trübsinn und Novemberlaune. Ich ertappte mich mal wieder dabei, wie ich vor Sarggeschäften stehenblieb und hinter jedem Leichenzug hertrottete, der meinen Weg kreuzte. Das war ein Alarmzeichen! Ich kannte das von früher. Ich wusste, dass ich nun schnellstens etwas in meinem Leben verändern musste. Sonst würde ich unweigerlich auf den erstbesten, der mir auf der Straße begegnete, zugehen und ihm den Hut vom Kopf schlagen. Und dem zweitbesten würde es nicht anders ergehen.

Doch soweit ließ ich es in der Regel nicht kommen. Stattdessen ließ ich mich dorthin treiben, wohin es seit Urzeiten die Menschen zieht: ans Meer.

Also packte ich das Notwendigste für eine lange Reise in meinen alten Seesack. Ich suchte die letzten ersparten Silbermünzen zusammen. Und ich verließ Manhattan in Richtung Nantucket.

Warum gerade dieses Ziel? - werdet ihr fragen. Weshalb nicht Boston oder Bedford? Ich werde es später erklären. Zuvor möchte ich noch etwas sagen über die Sehnsucht der Menschen zum Wasser.

Wieso zieht es sie in aller Welt zu den Flüssen und vor allem ans Meer? Ist es Magie oder ist es vielleicht die magnetische Kraft der Kompassnadel?

Seht nur einmal in einer x-beliebigen Hafenstadt, wie sie alle an den Kais stehen! Wie sie sehnsüchtig aufs Wasser und in die Weite starren! Und wie sie sich in eine ferne Welt jenseits dieses Wassers träumen

Ich sage es gleich: Mir ist so etwas nicht genug! Wenn mich der Missmut befällt und wenn auch noch gleichzeitig der Geldbeutel so gut wie leer ist, dann muss ich hinaus. Dann muss ich auf ein anständiges Schiff, das die großen Meere besegelt. Und dann will ich auch nicht als Passagier reisen und mich verwöhnen lassen. Von wegen! Ich will ordentlich zupacken und das Abenteuer selber mitsteuern.

Nicht als Kapitän, nicht als Steuermann und schon gar nicht als Koch. Nein, ich mag ganz gewöhnlicher Matrose sein. Vor dem Mast. Unten in der Mannschaftskombüse. Und oben im höchsten Ausguck. Ich stamme aus einer besseren und alteingesessenen Familie. Außerdem bin ich Landschulmeister. Aber das alles kann mich nicht hindern, die Plackerei vor dem Mast auf mich zu nehmen.

Warum nicht das Deck schrubben? Warum nicht in den Toppen vom Sturm durchzaust werden? Warum nicht von einem Kapitän zusammengestaucht werden? Jeder kriegt mal eins aufs Dach. Und irgendwie ist doch jeder ein Untergebener, oder?

Aber weshalb gerade Nantucket? - habt ihr gefragt. Ich sage es euch freiweg: Es ist der einzige Hafen, der mich reizt. Nur dort will ich anheuern, weil es der Ort ist, wo in Amerika der erste Wal erlegt und an Land gebracht wurde. Von hier aus waren auch jene Ur-Walfänger, die Indianer, in ihren Kanus in See gestochen, um den wagemutigen Kampf mit den Riesen des Meeres aufzunehmen.

Und genau das hatte ich jetzt vor!

Endlich wollte ich selber den geheimnisvollen und so bedrohlichen Ungeheuern nachspüren. Außerdem lockten mich die, fernen wilden Meere, durch die diese Wesen ihren monströsen Leib wälzen. Hier mussten namenlose Gefahren lauern, nicht nur beim Walfang, sondern auch an den Küsten, wo wilde Stämme hausten. Ich fantasierte mich in eine Wunderwelt, in deren Mittelpunkt diese Ungetüme ihre Bahn zogen: jene Tiere, denen ich bald Aug in Aug begegnen wollte.

Und so landete ich in Bedford, meiner ersten und einzigen Zwischenstation vor Nantucket. Es war ein lausiger Tag. Ich wurde von dem Eiswind regelrecht durch die Straßen getrieben. Und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mein ganzes Leben nicht mehr in meinen eigenen Händen lag. Merkwürdige Vorahnungen beschlichen mich. So sehr ich mich auch bemühte ich konnte sie nicht mehr abschütteln.

Deshalb war es auch nicht weiter verwunderlich, dass ich zu später Stunde Vor einer alten Spelunke mit dem Namen „Gasthaus zum Walfisch Peter Coffin“ landete. Ich starrte auf das Schild: Coffin das hieß nichts anderes als ... Sarg!

Mit mulmigem Gefühl öffnete ich die Tür: Düstere Augen starrten mich an, ein Gemisch von Pfeifentabak und Walfischtran zog mir in die Nase. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, schon an Deck zu sein. Hinter mir schlug die Tür zu, und unter mir schwankten die Planken.

Dann riss ich mich zusammen und steuerte auf die Theke zu. Es war mir, als ob ich geradewegs in das gierig aufgerissene Maul eines Wales gehen würde.

„Was woll'n Sie?“ fuhr mich der Wirt nicht gerade freundlich an.

„Ich suche nach 'ner Bleibe für zwei Nächte“, sagte ich ziemlich eingeschüchtert. „Bin auf dem Weg nach Nan…“

„Kein Bett frei!“ Unterbrach er mich und ließ mich einfach stehen.

Als ob er meine Ratlosigkeit geahnt hätte, drehte er sich noch einmal nach mir um: „Da is' noch 'n halbes Bett frei, fällt mir ein. Sind doch sicher aufm Weg auf n’ Walfänger, oder? Da tut's gewiss nicht schaden, mit 'nem Harpunier das Bett zu teilen, oder?“

Ich war zu überrascht von diesem Vorschlag, um gleich zu antworten.

„Geht schon klar, Mister“, sagte der Wirt und wandte sich wieder seinen trinkfreudigen Gästen zu. „Essen kommt gleich auf n’ Tisch.“

Noch bevor ich meine Meinung zu dem seltsamen Angebot kundtun konnte, kamen einige Matrosen in die Kneipe. Es gab ein lautes Tohuwabohu. Diese wilde Rotte von zerlumpten Seeleuten kam auf direktem Wege von den Fidschis gezeichnet von drei Jahren Kampf mit den Heroen des Meeres, den Walen.

Gewaltsam musste ich mich auf das besinnen, was an diesem Abend anstand: Ob ich wollte oder nicht, ich musste hier bleiben. Und ich wusste nur zu genau: In Bedford waren die Betten knapp nicht zuletzt, wenn gerade ein Schiff eingelaufen war. Also fügte ich mich. Ich würgte ein paar klebrigzähe Mehlklöße hinunter und versuchte, beim Wirt etwas Genaueres über meinen Bettgenossen heraus zu bekommen:

„Ein ziemlich dunkler Bursche. Ist noch unterwegs, seinen Kopf 'anzubringen. Hat 'ne ganze Menge davon aus der Südsee mitgebracht. Einbalsamiert.“ Ich wollte nichts mehr hören! Ich wollte mir so schnell wie möglich die Decke über den Kopf ziehen!

Kapitel 2

Quiqueg

O Schauer und Grausen! War es Tag oder Traum? Verzweifelt hielt ich mich an meine Decke geklammert, die offenbar nicht nur die meinige war. Da starrte mich ein Wesen an, das mich in Angst und Bangen versetzte.

Doch seltsamerweise geschah nichts Schlimmes. Dieser über und über bemalte Fremdling rieb sich in aller Seelenruhe den Schlaf aus den Augen und schien nicht minder verdutzt.

Ich räusperte mich unerfahren, wie man sich in einer solchen Situation verhält. Die Antwort war ebenfalls ein Räuspern, deutlich tiefer, um nicht zu sagen tierhafter. Wenn mich nicht alles täuschte, so war das unser gegenseitiger Morgengruß gewesen.

Flüchtig ließ ich einen Blick durch die Kammer gleiten, die ich in der Nacht nur sehr oberflächlich im Kerzenlicht in Augenschein genommen hatte:

Hier ein Zylinder, dort eine Pfeife, hinter mir eine Harpune und gleich neben mir ein kleines puppenartiges Ding, welches der Tätowierte schon bald liebevoll an sich drückte.

„Quiqueg“, krächzte der Fremdling und zeigte auf sich. Er schien eine Antwort zu erwarten.

„Ismael“, kam es mir gequält über die Lippen.

Der Fremdling nickte und schien zufrieden. Nackt, wie er war, erhob er sich aus dem Bett.

Eigentlich hätte ich schamvoll beiseite blicken müssen. Aber ich konnte meine Neugier nicht bezähmen. Meine Augen waren wie angesogen von diesem Menschen, der mir so unsagbar fremd und seltsamerweise doch vertraut war.

Staunend beobachtete ich, wie er sich ankleidete. Als erstes setzte er sich den Zylinder auf. Dann zog er sich seine Stiefel an. Als nächstes begann er eine überaus sorgfältige Waschung über der Wasserschüssel. Danach endlich bedeckte er seine Blößen.

Man glaube mir: Ich lag da wie angewurzelt unter meiner Decke. Ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich mich verhalten sollte, zumal dieser Fremde nun ein höchst merkwürdiges Ritual begann. Er stellte nämlich diese kleine schwarze Puppe aus Ebenholz auf den Kamin. Anschließend nahm er zwei Händevoll Holzspäne aus seiner Manteltasche, breitete sie neben dem Götzchen aus, legte ein Stückchen Schiffszwieback darauf, zündete eine Kerze an, kniete vor diesem Altar nieder und ließ einen seltsamen Singsang ertönen. Das alles wirkte so rührend und lieb, dass unversehens alle Furcht vor dem Fremdling verflog.

Ich kann es kurz machen: Quiqueg wurde ich nicht mehr los.

Erst saßen wir beim Frühstück beieinander, und ich wurde Zeuge, wie er schon am Morgen seinen riesigen Fleischhunger stillte.

Dann zog ich später allein durch Bedford. Ich suchte eine Waljägerkapelle auf und stand neben trauernden Seemannswitwen vor schwarz gerandeten Marmortafeln, auf denen der Opfer des so gefährlichen Walfangs gedacht wurde. Und wer tauchte plötzlich neben mir auf? Quiqueg!

Am Abend trafen wir im Gasthaus wieder aufeinander. Ich kam schon gar nicht mehr auf die Idee, den Wirt nach einem frei gewordenen Bett zu fragen. Wie mit einem alten Bekannten begab ich mich mit dem Wilden nach dem Abendessen auf die Kammer. Eigentlich müsste ich es verschweigen aber ich will ehrlich sein: Ich beteiligte mich sogar an dem feierlichen Götzendienst.

So war es am nächsten Morgen ganz selbstverständlich, dass wir uns mit einem freundlichen Lächeln begrüßten. Ich hatte einen neuen Freund gefunden. Und mit diesem setzte ich nun meine Reise fort.

Es stellte sich nämlich sehr schnell heraus, dass Quiqueg dasselbe Ziel hatte wie ich. Auch er wollte nach Nantucket, um dort auf einem Walfänger anzuheuern. Also machten wir uns gemeinsam auf den Weg. Wir bestiegen ein kleines Postschiff und ließen uns den Acushnet-River hinunter gen Meer schippern.

Nach einem kurzen Genuss von salziger Brise legten wir in dem weltberühmten Walfängerhafen an. Wir liehen uns eine Schubkarre für unser Gepäck und machten uns auf die Suche nach einem Job.

Ich sollte hier ehrlichkeitshalber einfügen, dass das gemeinsame Auftreten mit meinem schwarzhäutigen Begleiter wie ein Spießrutenlauf war: Fast jeder drehte sich nach uns um und zeigte mehr oder weniger unverhohlen seinen Unmut. Es war offensichtlich und das wollte mir einfach nicht in den Kopf unvorstellbar, dass sich Hell und Dunkel miteinander freundschaftlich verbanden. Ich hätte wahrscheinlich mit dem letzten weißen Halunken durch die Straßen gehen können niemand hätte mir das verübelt. Aber mit diesem Kannibalen, der von so gutmütiger Wesensart war, wurde man unversehens ein Außenseiter.