Klaus Kordon
Auf der Sonnenseite
www.gulliver-welten.de
© 2009, 2011 Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Frank Griesheimer
Neue Rechtschreibung
Markenkonzept: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg
Einbandgestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Einbandfoto: Getty Image
ebook: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74184-4
Für Jutta, Karen und Frank
Erster Teil
Ein ehrliches Gesicht
1. Freudentänze
Das Telegramm war zum denkbar unglücklichsten Zeitpunkt gekommen. Wochen-, ja monatelang hatte Lenz die Reise immer wieder verschoben, einen Tag nach Erhalt der Nachricht musste er sie antreten, wollte er nicht riskieren, noch innerhalb der Probezeit entlassen zu werden.
Er musste nach Bukarest. Es gab keinen weiteren Verzögerungsgrund. Seine Chefs hätten sich gefragt: Was ist das denn für einer? Will er nicht oder kann er nicht? Einen Exportkaufmann, der nicht reist, können wir uns nicht leisten.
Er musste fliegen, egal wie sehr es schmerzte. Ein ganzes Jahr lang, Tag für Tag, hatten Hannah und er auf die Aufforderung gewartet, endlich die Kinder holen zu dürfen – nun war es endlich gekommen, das Telegramm von Robert, Lenz’ älterem Bruder in OstBerlin, der den Kontakt zu den Kindern und den Ämtern hielt. Doch das Jugendamt hatte einen sehr knappen Termin genannt: Übermorgen! Denen, die in ihrem Staat nicht hatten glücklich werden wollen, noch mal einen Tritt vors Schienbein geben. Erst ein Jahr lang warten, bangen, zittern lassen, dann: Übermorgen!
Hannah und er, wie oft hatten sie die paar Zeilen des Telegramms gelesen: Ausreise der Kinder bewilligt. Ihr dürft einreisen, um sie abzuholen. Vor Glück und Erleichterung hatten sie geheult. Dann das Datum: Übermorgen!
Eine Bösartigkeit! Ein Staat, der sich an keinerlei humanitäre Regeln hielt! Sozialistische Bürokraten, die nur Feinde und Genossen kannten.
Im Jahr zuvor, August 73, waren sie aus der DDR-Haft entlassen worden, Hannah und Manfred Lenz. Wiederum fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor, im August 72, waren sie verhaftet worden. Eine Ferienreise ans Schwarze Meer hatte sie fortbringen sollen aus dem Staat, in dem sie nicht länger leben wollten. Und auch nicht länger leben konnten, wollten sie sich nicht selbst aufgeben. Mit westdeutschen Pässen, von Hannahs Schwester Fränze aus Frankfurt am Main über irgendwelche dunklen Kanäle besorgt, hatten sie von Bulgarien in die Türkei und von dort bis Frankfurt am Main weiterreisen wollen. Von Deutschland nach Deutschland durch halb Europa. Alles mit echten Pässen, in denen keine falschen Namen standen und in denen ihre eigenen, zuvor in den Westen geschmuggelten Fotos ihnen entgegenlächelten. Ihre DDR-Papiere hätten sie irgendwo am Schwarzmeerstrand entsorgt; ein einfacher Wechsel der Systeme, ohne Maskerade, ohne riskante Turnübungen, ohne jede Gefahr für Leib und Leben.
So der Plan, doch war alles ganz anders gekommen: Fränze war schon bei der Einreise verhaftet worden. Die Stasi musste sie observiert und über alles Bescheid gewusst haben und der bulgarische Zwillingsbruder des ostdeutschen Überwachungsapparates hatte willig Amtshilfe geleistet. Bereits auf dem Bahnhof von Burgas, einem Hafen- und Touristenstädtchen am Schwarzen Meer, das sich ihnen nur durch den hohen Salzgehalt des feuchtwarmen Seewindes vorstellte, war Lenz verhaftet und Hannah – der Kinder wegen – mit Silke und Michael in ein Hotel geschafft worden. Nur zwei Tage später wurden die Kinder und sie – Silke neun Jahre alt, Micha sechs – von Sofia aus per Interflug nach OstBerlin zurückexpediert.
Zwei Tage Bahnfahrt durch die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien lagen hinter ihnen; alles nur, um in einem dreistündigen Linienflug, mitten zwischen lauter braun gebrannten, fröhlichen Urlaubsrückkehrern, nach OstBerlin zurückgeschickt zu werden. Die Kinder verwirrt und voller Angst. Sie verstanden nicht, was da passiert war mit ihrem Vater und weshalb sie denn nun wieder zurückfliegen mussten, ohne überhaupt richtig Ferien gemacht zu haben. Hannah quälte die Frage, wie es jetzt wohl weitergehen würde mit den Kindern und ihrem in Bulgarien zurückgebliebenen Mann. Ihre hilflosen Versuche, die Kinder auf das vorzubereiten, was sie erwartete; Silke, die bei der Landung brechen musste; Micha, der noch nicht viel verstand, den aber eine unbestimmte Ahnung erfüllte, wie ihm deutlich anzusehen war.
Die Frage, wie alles weitergehen würde, wurde dann schon im Schönefelder Flughafengebäude beantwortet. Hannah wurde in einen blickundurchlässigen Gefangenentransporter gesperrt und in eine der Untersuchungshaftanstalten der Stasi transportiert, von der sie noch nicht wusste, dass sie im OstBerliner Ortsteil Hohenschönhausen lag; die Kinder, die sich nicht von ihrer Mutter hatten trennen wollen und erschrocken, verwundert und erschüttert mit ansehen mussten, wie sie von ihnen fortgeführt wurde, kamen ins Kinderheim. Was Hannah und Lenz die geplante Flucht so sehr erleichtert hatte – es gab keine alten oder kranken Eltern, die sie nicht hätten im Stich lassen dürfen –, jetzt erwies es sich als Nachteil: Niemand, der Silke und Micha hätte nehmen können. Und die in Hannah schwach aufgeflackerte Hoffnung, die Stasi würde sie aus Rücksichtnahme auf die Kinder vorläufig noch auf freiem Fuß lassen, erfüllte sich nicht. Und eigentlich hatte sie dem Staat, den sie verlassen wollte, so viel Größe auch gar nicht zugetraut.
Lenz hatte erst noch bulgarische Gefängnisse kennenlernen müssen – Zellen, die ihn an mittelalterliche Verliese erinnerten –, bevor drei Wochen später auch er die Heimreise antreten durfte: in einer Chartermaschine der Interflug, gemeinsam mit sechzig, siebzig anderen jungen Männern, die gehofft hatten, über Bulgarien leichter in den Westen entfliehen zu können als in ihrer mit Minen, Selbstschussanlagen, Mauern und Grenzwächtern abgesicherten Heimat. Bereits am Abend darauf saß dann auch er in jenem Stasi-Knast; ein graues, mit Mauern und Wachtürmen umgebenes Gefängnis inmitten eines in keinem Stadtplan eingezeichneten, perfekt abgesicherten Sperrbezirks, das er aber von außen gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. Erst viele Jahre später, nach dem Untergang des Mauerstaates, sollte er es besichtigen dürfen. Am Abend seiner Einlieferung und an allen folgenden Tagen hatte er nur die kafkaeske Innenansicht dieses wahrhaft ausbruchssicheren Untersuchungsgefängnisses bestaunen dürfen.
In einem garagenähnlichen Raum, geblendet von hellen Scheinwerfern, hatte er den blechbüchsenartigen Gefangenentransporter verlassen dürfen und war nach erfolgter Leibesvisitation – keine Körperöffnung, in die sie nicht hineingeschaut hätten – in seine erste Zelle, die 102, geführt worden. Eine Zelle, die nicht mal eine Fensteröffnung besaß; Glasziegelsteine waren von innen vor die Gitter gemauert. Ihn umgaben nichts als Wände; allein eine schmale Lüftungsklappe zwischen den Glasziegelsteinen sorgte für Frischluft. Und natürlich wusste auch er nicht, wo er sich befand. Eine Verunsicherungs- und Einschüchterungsmaßnahme der Stasi, dieses Verschweigen ihres Aufenthaltsortes.
Monate der Einzelhaft folgten; ein Leben im Totenhaus. Hannah und er, weder durften sie einen Rechtsanwalt hinzuziehen noch Besuche empfangen oder Post. Auch sahen sie lange Zeit keinen einzigen Mitgefangenen. Eine ewig währende Stille umfing sie. Man verwahrte sie wie Gegenstände, die nichts zu beanspruchen hatten und keinerlei Rechte besaßen; sie waren dem Staat, der sie festhielt, total ausgeliefert. Kein Hahn hätte nach ihnen gekräht, wäre ihnen hier etwas geschehen.
Die Gerichtsverhandlung – eine Farce! Das Urteil von der Stasi mitgeliefert: zwei Jahre, zehn Monate! Doch durften sie bereits nach einem halben Jahr Untersuchungshaft und weiteren sechs Monaten Strafvollzug in die Bundesrepublik ausreisen. Eine jener später so berühmten Freikaufsaktionen, die Anfang der Siebzigerjahre noch nicht an die große Glocke gehängt werden durften, um weitere Freikäufe nicht zu erschweren. Zwei von bis zum Untergang ihres ehemaligen Staates insgesamt vierunddreißigtausend Freigekauften waren sie. Die Kinder allerdings hatte man ihnen nicht mitgegeben.
»Wir haben jetzt August«, hatte der Stasi-Major Lenz vorgerechnet, als er ihm den Antrag auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft zur gefälligen Unterschrift in die Hand drückte. »In zwei Monaten, also schon im Oktober, sind die Kinder bei Ihnen. Was hätten wir davon, sie länger als nötig hierzubehalten? Wir sind doch keine Kidnapper.«
Das war im Stasi-Auslieferungsknast in Karl-Marx-Stadt gewesen, der Stadt, die nun wieder Chemnitz hieß und über die die halbe DDR, das Sächsisch verballhornend, sich so gern lustig gemacht hatte: die Stadt mit den drei O – Korl-Morx-Stodt. Was sie dort erlebten, war nicht lustig. Was blieb Hannah und ihm denn anderes übrig, als dem sich so freundlich-jovial gebenden, gut frisierten Breitschädel irgendwann zu glauben? Dass es Fälle von Zwangsadoptionen gegeben hatte und der Staat, den sie verlassen wollten, damit doch zum Kidnapper geworden war, hatten sie damals ja noch nicht gewusst. Und hätten sie den Antrag nicht unterschrieben und auf einer gemeinsamen Ausreise beharrt, wären sie stante pede in den Strafvollzug zurückgebracht worden. Und dann hätten sie Silke und Micha weitere zwei Jahre nicht zu sehen bekommen. Das aber war doch das Allerschlimmste an dem bitterbösen Albtraum, dem sie noch immer ausgesetzt waren: dass sie die Kinder nicht sehen durften! Dass es keinerlei Möglichkeit gab, sie zu trösten, ihnen ihre Liebe zu versichern und ihre Tat zu erklären. Die Vorwürfe, die sie sich machten, setzten ihnen mehr zu als all die Vernehmungstorturen und die monatelange Isolation in der Einzelhaft, die sie hinter sich hatten. Die Ohnmacht des Angeklagten in einem Staat, der ihnen keinerlei Rechte zubilligte, auch die kleinen und großen Schikanen im Strafvollzug, denen vor allem die politischen Häftlinge ausgesetzt waren – alles war leichter zu ertragen gewesen als diese unentwegten, selbstquälerischen Sorgen um das Wohlergehen der Kinder und die Schuldgefühle, die auf ihnen lasteten.
Im August verhaftet, im August freigelassen, im August die Erlaubnis, die Kinder holen zu dürfen. Zwei Jahre Trennung lagen hinter ihnen, zwei Jahre nichts als Briefe aus dem Kinderheim, denen kindliche Malereien beigefügt waren: Für Mami! Für Papi! Erst hatte man ihnen die monatlichen Briefe in die Zelle gelegt, jetzt steckten sie im Briefkasten. Briefe voller Unverständnis und demzufolge auch voller geheimer Vorwürfe. Für die Kinder waren es ihre Eltern, die alles zu verantworten hatten.
Ja, und nun? Nun durften sie Silke und Micha endlich holen, und er, Lenz, konnte nicht dabei sein. Musste für die Firma ins Ausland!
Wie viele Ausreden hatte er erfunden, um die schon seit Langem geplante Reise immer wieder zu verschieben, nur um ja da zu sein, wenn die ersehnte Nachricht kam. Eine Woche zuvor hatte er die Gesprächstermine festzurren müssen; jede weitere Verzögerung hätte ihm den Job gekostet, der so schwer zu bekommen gewesen war.
Tja, und wo musste er hin, der Exportkaufmann Lenz? – Nach Bukarest! Ausgerechnet nach Bukarest! Dort hatten sie auf ihrem langen Weg ans Schwarze Meer Station gemacht, Hannah, Silke, Micha und er. Einen ganzen Tag Aufenthalt hatten sie und voller Unruhe und mit nur schwer zu bewältigenden Abschiedsgefühlen im Herzen waren Hannah und er mit den Kindern durch die staubtrockene, schwülheiße Stadt gewandert. War ja nicht so leicht gewesen, mit einem Schlag alles aufzugeben. All die mühsam zusammengesparten Möbel in der ihnen endlich zugeteilten Neubauwohnung – die warfen sie nun einfach weg. Auch die heiß geliebte, im Lauf der Jahre immer größer gewordene Bibliothek – weg mit Schaden! Doch gab es kein Zurück. Sie hätten so nicht weiterleben können, wären sonst an ihren eigenen Idealen erstickt.
Republikflüchtlinge? Nein, das waren sie nicht. Sie waren Vertriebene! Menschen, die ihre Gedanken laut aussprechen und vielleicht sogar aufschreiben und veröffentlichen wollten, waren nicht erwünscht in dem Teil Deutschlands, aus dem sie kamen. Kritische Geister mussten sich dort in Nischen zurückziehen, damit niemand sie hörte, wenn sie ihrem Herzen Luft machten. Langsam absterben oder endlich wirklich zu leben beginnen, so lautete die Frage, vor die sie, beide noch keine dreißig Jahre alt, sich gestellt sahen. Irgendeinen goldenen Mittelweg gab es nicht.
So hatten sie sich denn eines Tages, als Fränze ihnen das Angebot machte, ihnen herauszuhelfen aus ihrem ungeliebten Staat, fürs Weggehen entschieden. Für ihn, Lenz, ein sehr schmerzhafter Entschluss, hing er doch an seiner in Kriegs- und Nachkriegszeiten so gebeutelten Heimatstadt.
Einziger Trost: Es gab zwei Deutschland – und zwei Berlin! Und was sollten alle Bedenken? Wirklich leben konnten sie letzten Endes nur dort, wo man sie leben ließ.
Bukarest! Staatschef Ceausescus, des selbst ernannten »Titan der Titanen«, ärmliche, trotz aller Sonne graue Kapitale. Und es war so heiß und trocken wie zwei Jahre zuvor.
Lenz zog durch die Straßen, durch die Hannah, Silke, Micha und er damals gewandert waren, und all die Bilder tauchten wieder vor ihm auf, die ihn während der Haft so oft heimgesucht hatten: Silke und Micha, wie sie voller Vorfreude auf die Ferien am Schwarzen Meer all das Fremde, das sie zu sehen bekamen, in sich aufnahmen; Hannah und er, wie die Sorge um den hoffentlich reibungslosen Grenzübertritt in die Türkei ihnen zusetzte. Es war alles so gut vorbereitet und erschien alles so sicher; hätten sie ernsthafte Zweifel am Gelingen gehabt, sie hätten alle Fluchtabsichten sofort aufgegeben. Die Unruhe in ihnen aber ließ sich mit keinem noch so logischen Argument vertreiben. Und was noch schlimmer war: Die Kinder durften diese Unruhe nicht mitbekommen. Weshalb sie ihnen Urlaubslaune vorspielten und sich ihrer Lügen schämten.
Damals wie heute: Spaziergänge voller Herzbeklemmung. Schon im Flieger der Gedanke, was sein würde, sollte er auf der rumänischen Fahndungsliste stehen. Die Staatssicherheitsdienste der sozialistischen Länder arbeiteten eng zusammen, wie er spätestens seit Burgas wusste, und er war ja nur »auf Bewährung« aus seinem Staat entlassen worden. Zwar hatte er sich seither im Hinblick auf das DDR-Recht nichts »zuschulden« kommen lassen, doch was besagte das schon in Staaten, die ihr eigenes Recht kneteten, wie es ihnen gerade passte? – Und war es denn wirklich nur Zufall, dass er, während Hannah auf dem Weg nach OstBerlin war, um die Kinder zu holen, nach Bukarest musste?
An der Grenze jedoch hatten sie ihn ohne großes Aufheben passieren lassen. Nichts als der übliche Blick ins Gesicht, die Stempel, die Zollkontrolle. – Nein! Nichts zu verzollen, nur ein paar unerlaubte Gedanken im Kopf. – Aber wusste er denn, ob seine Passdaten nicht längst weitergemeldet worden waren und er auf Schritt und Tritt beschattet wurde? Sie hatten viel Fantasie, die »Organe« der sozialistischen Länder. Vielleicht vermuteten sie irgendein geheimes Treffen mit anderen »Gegnern« ihrer Art von Sozialismus.
Doch je länger er im Land war, desto mehr legte sich sein Verdacht. Irgendwann war er dann überzeugt davon, dass er für die rumänischen Staatsorgane tatsächlich nur einer der vielen westdeutschen Kaufleute war, die in den teuren, allein Westlern vorbehaltenen Hotels abstiegen, um dem rückständigen Land qualitativ hochwertige westdeutsche Technik zu verkaufen. Ein Rest Unsicherheit jedoch blieb. Er zählte die Tage, sehnte den Heimflug herbei: Wenn er doch nur erst wieder zu Hause war in jenem kleinen Ort in der Nähe von Frankfurt am Main, in dem Hannah und er nun lebten! Wenn Hannah und er ihre Reisen doch nur erst glücklich überstanden hatten! Wenn er nur bald die Kinder in die Arme schließen durfte!
Sorgen und Hoffnungsbilder vermischten sich, bis alles sich in ihm drehte. Und die Geschäftsgespräche stimmten auch nicht heiterer. Zwar hatten die Rumänen, was er ihnen anbot, bitter nötig – die Medizintechnik ihres Landes war auf dem Vorkriegsstand, moderne Geräte fehlten an allen Ecken und Enden –, doch womit bezahlen? Die Devisen waren knapp.
Er kam sich nutzlos vor und war in Gedanken fast ständig bei Hannah, Silke und Micha, die sich in diesem Augenblick vielleicht gerade in den Armen lagen. Ein Bild, das schmerzte, ihn aber dennoch nicht losließ. Auf all seinen Wegen begleitete es ihn. Eine ständige Qual, eine Selbstbestrafung, von der er nicht glaubte, dass er sie verdient hatte.
Ein einziges Mal in den Jahren der Trennung hatten Hannah und er die Kinder besuchen dürfen. Eine Überrumpelungsaktion, die sie gleich nach ihrer Haftentlassung gestartet hatten. Kaum hatten sie ihre westdeutschen Pässe in den Händen, waren sie mit dem Zug von Frankfurt nach WestBerlin gefahren, um dort mit wild klopfenden Herzen zur Grenze zu gehen. Schließlich hatte man ihnen bei ihrer Ausreise empfohlen, die DDR in den nächsten Jahren besser zu meiden. Sie aber hatten die Trennung von den Kindern nicht länger ausgehalten, wollten, mussten den Versuch starten, Silke und Micha wiederzusehen. Sie wollten ihnen Mut machen, sie trösten, ihnen zeigen, dass ihre Eltern noch für sie da waren, und sie endlich mal wieder in die Arme schließen. Und tatsächlich, kaum zu glauben, entgegen all ihren Erwartungen hatte man sie passieren lassen. Beweis dafür, dass ihre Namen zu jener Zeit noch nicht auf der Liste der unerwünschten Personen standen? Waren sie schneller gewesen als die Stasi-Bürokratie?
Den Leiter des Kinderheimes, in dem Silke und Micha untergebracht waren, kannte Lenz. Früh Waise geworden, hatte er selbst einige Jahre in Heimen verbracht. Doch ob der kahlköpfige, bullige Mann in Lenz jenen fünfzehnjährigen Burschen wiedererkannte, der schon damals über seine »realsozialistischen« Erziehungsmethoden am liebsten nur gegrinst hatte? Wenn ja, so zeigte er es nicht.
Die Überrumpelung jedoch funktionierte. Hätten sie sich vorher angemeldet, hätten sie die Kinder garantiert nicht sehen dürfen. So standen sie einfach vor der Tür, und das an einem Samstagmorgen, an dem kein Jugendamt arbeitete. Wo hätte der Heimleiter da Auskünfte über eine gesetzlich vorgeschriebene Verhaltensweise einholen sollen? Er musste in eigener Machtvollkommenheit entscheiden, und so wurden Silke und Micha schließlich geholt und sie durften in einem Raum mit ihnen allein bleiben. Es gab Tränen, Umarmungen und Küsse und am liebsten hätten sie einander nie wieder losgelassen. Und natürlich erwachte in den Kindern, ein Jahr älter und viel größer geworden, sogleich die Hoffnung, sie würden abgeholt.
Das war das Schwerste neben all der Wiedersehensfreude, dass sie ihnen nicht sagen konnten: »Packt euer Zeug zusammen«, sondern dass sie Silke und Micha auf später vertrösten mussten: »Bald! Bald! Jetzt dauert es ganz bestimmt nicht mehr lange.«
Silke, nun zehn, blond und langhaarig, weil ihre Mutter und sie vor ihrer Trennung beschlossen hatten, sich die Haare wachsen zu lassen, hatte sie sofort erkannt und war auf Hannah losgestürzt; Michael, drei Jahre jünger, war auf Lenz zugelaufen. Was passiert denn da?, fragten seine großen, runden, unsicher blickenden Augen, bevor er sich in seine Arme warf. Soll nun wirklich alles wieder gut werden?
Es war schön – und es war schlimm: Wie lange würden sie denn noch getrennt bleiben? Kinder erwarten von ihren Eltern, dass sie alles wissen; Lenz und Hannah wussten nichts. Der Karl-Marx-Städter Major hatte ihnen versprochen: »Im Oktober sind die Kinder bei Ihnen.« Im Stasi-Bus, der sie zur Grenze brachte und in dem auch ihre Rechtsanwälte mitfuhren – Rechtsanwalt Jürgen Stange aus WestBerlin und Dr. Wolfgang Vogel aus OstBerlin –, hatten sie noch mal nachgefragt, und Dr. Vogel, der schillernde Wundermann, der die Freikäufe arrangiert hatte, versicherte ihnen: »Jetzt, da Sie aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen sind, kann ich das auch für Ihre Kinder beantragen. Wenn nicht im Oktober, spätestens Weihnachten sind sie bei Ihnen.«
Daran klammerten sie sich fest, damit trösteten sie die Kinder. »Wir haben ja schon September, bis Weihnachten ist nicht mehr lange hin. Und sicher kommt ihr schon viel früher. Und dann, ja, dann machen wir’s uns schön.«
Tags darauf, nach einer Übernachtung im Westteil der Stadt, trafen sie sich erneut mit den Kindern. Diesmal außerhalb des Heimes. Silke und Micha waren auf dem Weg zu Lenz’ Bruder Robert, den Hannah und er dann auch besuchten. Zuvor gingen sie zu viert im Pankower Stadtpark spazieren, aßen im dortigen Ratskeller zu Mittag und Micha trank heimlich von Lenz’ Bier. Um danach spitzbübisch lächelnd zu fragen: »Mal sehen, ob er was merkt!«
Lenz merkte nichts. Aber hätte er etwas gemerkt, hätte er sich gefreut: Einem »Fremden« stibitzt man keinen Schluck Bier aus dem Glas.
Als sie die Kinder dann wieder im Heim ablieferten, hatte Hannah ein schönes Erlebnis. Michas Erzieherin, eine ältere, vom langen Arbeitsleben abgezehrt wirkende Frau, nahm sie in einem unbeobachteten Moment beiseite, streichelte ihr die Hand und flüsterte ihr mit verschwörerischer Miene zu: »Machen Se sich um die Kinder mal keene Sorjen. Kann, wat Sie jetan haben, jut verstehen.«
Nicht alle Erzieher und Erzieherinnen in diesem Heim werden so gedacht haben; beruhigend zu wissen, dass es wenigstens eine gab.
Dieser Besuch, für wenige Wochen machte er Mut. Doch dann wurde es Oktober und die Kinder kamen nicht. Dafür erreichte sie eines Tages ein Brief von Robert: Silke war mit Gelbsucht ins Krankenhaus eingeliefert worden! Und sie durften sie nicht besuchen, denn nun, sie hatten es ausprobiert, standen sie auf der Liste der unerwünschten Personen. Kein Zutritt mehr für Hannah und Manfred Lenz; die DDR – eine weggeschlossene Gesellschaft. Außerdem, so schrieb Robert, seien die Kinder seit dem Besuch ihrer Eltern aufsässig.
Letzteres nahm Lenz eher positiv auf. Offensichtlich reagierten die Kinder auf ihre unnormale Situation wieder völlig normal. Sie wussten wieder, dass sie nicht allein waren. Besser aufsässig als niedergedrückt! Und was blieb Hannah und ihm denn anderes übrig, als sie auch weiterhin zu ermutigen? Briefe flogen hin und her, Fragen wurden gestellt, Zukunftsträume gesponnen. Und Silke strickte für Hannah im Krankenhaus eine Puppe – fortan ihr Talisman.
Anfang Dezember hielt Lenz es dann nicht länger aus und flog nach Berlin. Zu Rechtsanwalt Stange, Dr. Vogels westlichem Partner im Freikaufsgeschäft. Ob man nicht irgendwie Druck machen könne? Es sei ihnen doch versprochen worden…
Der leicht füllige, glatt gescheitelte, freundliche Herr im gut sitzenden grauen Anzug riet ab. »Alles, lieber Herr Lenz, nur keinen Druck! Dann stellen die da drüben sich doch erst recht stur. Vertrauen Sie uns! Wir tun alles, was in unseren Kräften steht.«
So übten sie keinen Druck aus, wandten sie sich nicht an die Medien. Solange der Staat da drüben die Kinder hatte, waren sie erpressbar.
Es wurde Weihnachten und auch die Voraussage Dr. Vogels erfüllte sich nicht; Silke und Micha waren noch immer im Heim. Heiligabend blieb ihren Eltern gar nichts anderes übrig, als sich mit einer Flasche Kognak vor den Fernseher zu setzen. Auf welche Weise hätten sie dieses Kinderfest – nun schon das zweite ohne Silke und Micha – denn sonst totschlagen sollen?
In seiner Kindheit hatte Lenz gelernt, sich sein Leben selbst zu organisieren. Die Nachkriegswelt der Erwachsenen, die in der Kneipe seiner Mutter ihr Überleben und das große Vergessen feierten, gefiel ihm nicht, doch war sie, wie sie war, er konnte sie nicht ändern. Er konnte sich ihr nur verweigern. Und so war er früh seine eigenen Wege gegangen, egal, ob die Erwachsenen in seiner Umgebung diese Art von Selbstständigkeit gern sahen oder nicht. Jetzt war er selber ein »Erwachsener« – und es gab keine Ausweichmöglichkeit; Hannah und er waren den anonymen Bürokraten, die sie zu Feinden erklärt hatten, hilflos ausgesetzt.
Lenz gab sich Mühe, Hannah Mut zuzusprechen. Erfolglos. Nie zuvor hatte er sie so traurig gesehen wie an jenem Heiligabend; nicht im Gerichtssaal, als das Urteil verkündet worden war, jene entsetzlich langen zwei Jahre und zehn Monate, nicht während der beiden Male, als er ihr im Gefängnis während eines »Sprechers« für wenige Minuten hatte gegenübersitzen dürfen. Die Zeit des Wartens, Bangens und Hoffens erschien ihr jetzt, da sie frei war, weitaus grausamer als jene endlosen Gefängnistage, die sie hinter sich hatte. In der Zelle war sie bewegungsunfähig gewesen; sie hatte gewusst, sie konnte nichts tun. Nun glaubte sie, unbedingt etwas tun zu müssen, und war doch nicht weniger ohnmächtig als zuvor. Ein Gefühl, das sie zu erdrücken schien.
Im neuen Jahr versuchten sie krampfhaft, sich abzulenken. Mit Arbeitssuche, Führerscheinprüfungen, Möbelkauf.
Die Kinderzimmer! Wenn die Kinder kamen, sollte jedes sein eigenes, gemütlich eingerichtetes Zimmer haben. Unwichtig, dass ihnen noch so viel anderes fehlte; jedes gekaufte Stück für Silke und Micha war ein Trost, eine Hoffnung und ein Versuch der Wiedergutmachung.
Zwischendurch weitere Berlin-Flüge. Zu Rechtsanwalt Stange. Erneute Bitten um Geduld. »Wir tun alles, was in unserer Macht steht.« Dann, endlich, das lang ersehnte Telegramm – und er, Manfred Lenz, spazierte durch Ceausescus Bukarest, im Rücken die wohl nicht wirklichen, aber doch gefühlten Blicke von Ceausescus Geheimpolizei, der Securitate, während Hannah, hoffentlich, hoffentlich, längst die Kinder in den Armen hielt.
Einen Tag bevor er zurückflog, machte Lenz dann noch einen Besuch. Ein junger Arbeiter von Willgruber & Dietz, jener Firma, bei der Lenz angestellt war, hatte ihn gebeten, seiner Familie ein Päckchen zu bringen. Der junge Rumäne, der eine geglückte Flucht in den Westen hinter sich hatte, durfte seine Eltern nicht besuchen, wenn er nicht für Jahre in Ceausescus Gefängnissen verschwinden wollte. Seit er von Lenz’ geplanter Reise gehört hatte – allerdings ohne von dessen Geschichte zu wissen –, wollte er die günstige Gelegenheit nutzen, der Familie im fernen Bukarest eine kleine Liebesgabe zukommen zu lassen.
Lenz hatte nur kurz gezögert, dann hatte er das Päckchen eingesteckt. War ja nichts drin außer Schokolade, Zigaretten und Strumpfhosen.
Am Bukarester Stadtrand lebte sie, die zu besuchende Familie, in einer ärmlich wirkenden Schrebergarten-Kolonie. Weit und breit alles still, keine Menschenseele zu entdecken. Auch hatte kein Wagen das klappernde Taxi verfolgt, mit dem Lenz sich in diese abgelegene Gegend hatte kutschieren lassen. So schritt er denn bald durch das an Berliner Nachkriegszeiten erinnernde Gärtchen voller Kürbis-, Bohnen- und Tomaten-Beete und wurde von der Familie seines jungen Kollegen empfangen, als wäre er eigens vom Himmel herabgestiegen, um sie mit einer frohen Botschaft zu erfreuen. Eine gut gemeinte Freundlichkeit, der er sich so wenig entziehen konnte wie dem scharfen Cuika-Schnaps, der ihm zur Begrüßung vorgesetzt wurde. Das Zeug riss ihm den Rachen auf, doch natürlich lächelte er und versuchte, sich gut gelaunt zu erkundigen, was er denn da eigentlich getrunken habe. War das Wort »Cuika« irgendwie zu übersetzen oder zu erklären?
Leider sprach in dieser Familie niemand Deutsch oder Englisch. Nicht der bartstoppelige Vater, ein knotiger Mann mit Säuferaugen, nicht die verhärmt wirkende, schlecht frisierte Mutter, deren Hände unentwegt die karierte Tischdecke glatt strichen, nicht die dralle, weißblonde Tochter, deren Hintern an beiden Seiten mächtig über den Stuhl quoll, oder das so faltige und lederhäutige Großmütterchen, das direkt einem rumänischen Märchenbuch entsprungen zu sein schien. Ihm blieb nichts anderes übrig, als tapfer den zweiten Cuika zu schlucken, verlegen zu dem farbenprächtigen Druck eines stalinistischen Gemäldes hinzustarren – kühn blickende, blonde, russische Erntearbeiter, auf ihren Traktoren über ein wild wogendes, genauso blondes Weizenfeld ratternd, Haare im Wind, auf den Lippen ein zukunftsfrohes Lied – und weiter so verständnisvoll zu lächeln.
Als er sich dann endlich verabschieden durfte – »Geschäfte! Verstehen Sie? Hab noch zu tun« –, kramte der Vater der Familie plötzlich doch noch zwei Wörter Deutsch heraus: »Hitler – gut!« Sagte es und strahlte vor Stolz über die gelungene Überraschung. Und als Lenz ihn daraufhin nur bestürzt ansah, tippte er sich auf die breite und – wie im Hemdausschnitt zu sehen war – grauschwarz behaarte Brust und fügte mit leuchtenden Augen hinzu: »Ich – Soldat!«
Er hatte für die mit der deutschen Wehrmacht verbündeten rumänischen Streitkräfte gekämpft. Seine große Zeit, von der er noch immer träumte. Und nun glaubte er, Lenz, als Westdeutscher, werde das zu würdigen wissen? Oder hätte er dieses »Hitler – gut!« auch zu einem Besucher aus dem sozialistischen deutschen Staat gesagt?
Wahrscheinlich nicht. In der DDR lebten ja nur Widerstandskämpfer. Kopfschüttelnd drückte Lenz dem Cuika-Vater die Hand. »Nein, Hitler nicht gut! Krieg nicht gut, Faschismus nicht gut!«
Dann ging er.
Was hätte er denn sonst sagen sollen? Der Mann hätte ihn ja gar nicht verstanden. Und das nicht allein aus sprachlichem Unvermögen, wie der verblüffte Blick bewies, mit dem er ihm nachsah.
Endlich – der Rückflug! Nun bekam Lenz seine Ungeduld gar nicht mehr in den Griff. Froh darüber, dass seine »Kuriertätigkeit«, die ihm im Nachhinein doch ein wenig riskant erschien, so glimpflich verlaufen war, hatte er mehrfach versucht, Hannah anzurufen, doch keine Verbindung bekommen. So blieb ihm nur, still zu hoffen, dass mit den Kindern alles glattgegangen war und Hannah, Silke und Micha inzwischen wohlbehalten zu Hause eingetroffen waren.
Doch je näher die Maschine dem Frankfurter Flughafen kam, desto unruhiger wurde er. Was konnte beim zweimaligen Grenzübertritt West-Ost, Ost-West nicht alles passiert sein! Vielleicht hatten die Ost-Behörden Hannah ja irgendwelche Schwierigkeiten gemacht … Weil ein Formular nicht richtig ausgefüllt oder ein Passfoto nicht aktuell genug war und was es sonst noch so alles für unüberwindliche Hürden geben mochte in einem Land, das sein eigenes Rechts- und Wertesystem hatte …
Wie Fische in einem überfüllten Aquarium, so schwammen seine Gedanken um- und übereinander, von einer Sorge, einer schlimmen Vermutung zur nächsten. Dazwischen krampfhaft bemühte Hoffnungsbilder. Hin und wieder stießen sie aneinander, die grauen Sorgen- und die bunten Hoffnungsfische, verloren die Richtung, verschwanden im Schwarm und tauchten wieder auf, größer geworden, noch schriller, noch beunruhigender.
Und dann musste die Maschine auch noch in die Warteschleife, das Taxi ließ sich alle Zeit der Welt und der Fahrstuhl wollte und wollte nicht kommen. Endlich aber – die Tür stand schon offen – kamen Silke und Micha ihm entgegengestürzt. Sie lachten und weinten, hielten sich aneinander fest und drückten sich. Die Größe des Augenblicks, Worte gab es dafür nicht.
Zu Lenz’ Beruhigung war Hannah nicht allein nach OstBerlin gefahren. Die resolute, durch nichts so leicht zu erschütternde Fränze und Fränzes derzeitige Liebe, der gemütliche Ralf, hatten sie begleitet. In Fränzes knallrotem VW-Käfer hatten sie sich auf den Weg begeben. Nach Fränzes Farbenlehre stand Rot ja nicht allein für Linkssein und Liebe, sondern vor allem für Kraft, Lebensfreude und Optimismus. Weshalb sie zu ihren ewigen Jeans auch nur rote Pullis trug, die gut zu ihren stoppelkurzen, blonden Haaren passten. Mal Ralf, mal Fränze am Lenkrad, so war es im zügigen Tempo gen Osten gegangen. Hannah auf dem Beifahrersitz registrierte vor Nervosität jeden einzelnen Kilometer. Ihr ganzer Körper – ein einziges Kribbeln! Nichts als Vorfreude und Furcht vor dem, was vielleicht doch noch passieren könnte, war in ihr.
Wie Fränze dann in Helmstedt zurückblieb, da sie, die einstige Fluchthelferin ihrer Schwester und ihres Schwagers, in der DDR sofort verhaftet worden wäre. Wie Hannah mit dem dicken, schwarzlockigen Ralf allein weiterfuhr, diesem Seelchen von Mann, ein seiner Fränze und damit ihrer gesamten Familie treu ergebener Freund. Wie Hannah, je näher sie Berlin kamen, immer zappeliger wurde und die Genossen vom Jugendamt des Stadtbezirks Berlin-Mitte dann tatsächlich Schwierigkeiten machten, weil bestimmte Papiere nicht sorgfältig genug ausgefüllt waren. Das musste nachgeholt werden, sofort, mit zittrigen Fingern und einem Blutdruck außerhalb jedes messbaren Wertes.
Irgendwann aber war auch das geschafft und sie parkten vor dem Heim. Hannah ging hinein – und die Kinder kamen ihr schon entgegengelaufen. Keine fünf Minuten später saßen sie zu dritt auf dem Rücksitz, Hannah in der Mitte, in dem einen Arm Silke, im anderen Micha, so als könnte man ihr ihre Kinder doch noch entreißen wollen. Der Beifahrersitz wurde nicht gebraucht.
Zurück in Helmstedt – Freudentänze! Fränze, die Kinder, der vor Ergriffenheit zum x-ten Mal heulende Ralf und Hannah, sie nahmen sich an den Händen und tanzten ausgelassen im Kreis. Ein wahrer Ringelreigen der Wiedervereinigung!
Berichte, die Lenz freuten und schmerzten. Hätte er denn nicht dabei sein müssen? Wieso hatte der große Regisseur im Himmel, der doch für alles und jedes zuständig war, ihm dieses Erlebnis verweigert? – Es ging nicht gerecht zu im Leben, war noch nie gerecht zugegangen.
2. Partytime
An die Zeit, bevor die Kinder kamen, dachte Lenz später nicht gern. Hannah und er hatten geglaubt, ihre Entlassung aus der Haft würde Glücksgefühle hervorrufen; dass sie ohne Silke und Micha ausreisen mussten, hatte ihnen jede Freude genommen. Immerzu blickten sie zurück. Wie sollten sie denn vorwärtsdenken, solange ihr Leben dermaßen aus den Fugen geraten war?
Dieses trostlose Warten in der kleinen Reihenhaussiedlung in der Nähe von Limburg an der Lahn! Die bekennende Frankfurterin Fränze hatte sich hier eingekauft, um ihr Geld sinnvoll anzulegen.
»Erst wenn du keine Miete mehr zahlst, bist du ein wahrhaft freier Mensch.« So hatte die ehemalige Stadtindianerin diesen Schritt in die »heile Welt der Provinz« vor sich selbst entschuldigt. Über ihre neuen Nachbarn lachte sie und gab vor, sie zu beobachten. Zu privaten Studienzwecken. Erst nach einigen Wochen des Zusammenlebens gestand sie, auch an Altersabsicherung gedacht zu haben.
»Das ist im Kapitalismus anders als in eurem Arbeiter-und-Bauern-Sozialismus«, sagte die promovierte Romanistin Franziska Möller achselzuckend. »Hier fängt dich kein Staat auf, wenn du irgendwann mal völlig abgebrannt bist. Hier landest du unweigerlich in der Abfalltonne. Da ist der Gedanke an ’ne eigene Hütte, aus der dich keiner rausschmeißen kann, ’n sanftes Ruhekissen. Außerdem kann man so ’ne Immobilie ja wieder verkaufen und mehrere Weltreisen mit dem kassierten Moos machen, falls man seine letzten Jahre nicht hinterm Ofen verbringen will.«
Gedanken, wie Hannah und er sie sich nie zuvor gemacht hatten. Wer denkt an Eigenvorsorge in einem Staat, der am liebsten noch den Stuhlgang seiner Bürger in seinem Sinne regeln würde?
Mit einem Schlag lebten sie in einer ganz anderen Welt. Hier galten andere Maßstäbe, andere Gesetze. Doch waren sie gewillt, sich darauf einzulassen. Nur, bei aller Liebesmüh, der Unterschied war zu krass. Dort die Großstadt OstBerlin, zwar nicht besonders glitzernd, aber doch sehr lebendig, hier ein behagliches Zierblumenhausen, in dem viele ins Ländliche geflüchtete Kleinbürger sich eingerichtet hatten.
Lenz war unter Kleinbürgern aufgewachsen, in der Schule sogar mal von einer klassenkämpferischen Lehrerin seiner Herkunft wegen als kleinbürgerliches Individuum beschimpft worden. So hatte er bereits als Kind über diese Einteilung in »fortschrittliche« und »rückschrittliche« Klassen nachdenken müssen. Bis ihn dieses kleinkarierte Schubladensystem irgendwann nicht mehr interessierte, weil er längst mitbekommen hatte, dass es in allen Bevölkerungsschichten kluge Leute gab und Hohlköpfe. Aber nun diese neuen, sich modern und wohlsituiert gebenden »Kleinbürger«. Was sollte er mit denen anfangen? Ihre östlichen Pendants waren eine unterdrückte Klasse, weil sie als rückschrittlich, ja reaktionär galten, es sei denn, sie zeigten sich bereit, ihr Fähnlein in den Wind der offiziell regierenden Arbeiterklasse zu hängen; und Unterdrückte waren ihm schon immer sympathisch gewesen. Ihre Opferrolle setzte sie ins Recht. Auch hatte die Kleinbürgerwelt, in der er aufgewachsen war, sich mit Witz und Kessheit gegen die ihnen zugewiesene Rolle der politisch Minderwertigen gewehrt. Echte Originale und anarchistische Nachkriegstypen hatte er unter ihnen gefunden. Jene »modernen«, westlichen Kleinbürger waren keine Opfer, sie waren Gewinner, Neureiche! Und zeigten das stolz.
Gleich am zweiten Abend nach ihrer Entlassung aus dem Notaufnahmelager Gießen, in das die aus der Stasi-Haft freigekauften Häftlinge gekarrt worden waren, um alle notwendigen Aufnahmeformalitäten hinter sich zu bringen, fand in Fränzes neuer Welt eine Party statt; eine schon vor längerer Zeit, als noch niemand mit ihrer Freilassung rechnen konnte, geplante Sommerfete. Hannah und er hatten nicht mitgehen wollen, fühlten sich nicht in Stimmung nach diesem Jahr hinter Mauern und Gittern und in dem noch frischen Bewusstsein, dass die Trennung von Silke und Micha andauern würde. Fränze, hartnäckig, wie sie war, überredete sie, nicht in ihrem Kummerkasten zu versinken. Ablenkung tue not. Sie müssten ja nicht gleich die Clowns machen oder das Tanzbein schwingen. Auch sei eine solche Einstiegsparty nicht schlecht für sie; da wüssten sie doch gleich, wo sie hingeraten seien.
Sie konnte sehr beredsam sein, die Frau Dr. Franziska Möller, und so gingen sie denn mit und fürchteten sich vor einem Abend voller Fragen über ihre Erlebnisse und vor dem unentwegten Betroffensein reihum über das Schicksal der Kinder. Und wussten bald nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollten. Niemand wollte irgendetwas wissen. Fränze stellte sie vor und verriet allen, woher sie kamen und was sie hinter sich hatten; man sagte: »Ah, ja?«, oder schüttelte verwundert den Kopf. Das war’s! Und darüber hätten sie froh sein müssen, doch war es nicht Taktgefühl, das sie verschonte – es war Abwehr. Man wollte tanzen, fröhlich sein, einen schönen Abend verleben; traurige Geschichten passten da nicht hinein.
Sie saßen da, ihre Gläser in den Händen, beobachteten das fress- und alkoholselige Treiben und hatten zum ersten Mal das Gefühl, nicht nur den Staat gewechselt zu haben, sondern gleich den ganzen Kontinent.
Alles Bunte war ein wenig zu bunt, alles Laute ein wenig zu laut. Gespräche fanden keine statt, obwohl viel geredet wurde. Ob Gruppensex erlaubt sei oder nicht, plätscherte es vor sich hin, Kochrezepte wurden ausgetauscht und über Mode wurde debattiert: Hotpants oder Minirock, das war hier die Frage! Möbel, Autos, Schlankheitskuren, Tüchtigkeit und Geldverdienen, auch das interessierte. Wer eine Reise gemacht hatte, berichtete stolz, wo man dort gut und besonders preisgünstig essen konnte.
Gegen Mitternacht fand im Hauskeller ein Preisschießen statt. Mit einem Luftdruckgewehr. Lenz wollte sich nicht verweigern, schoss mit und schoss nicht schlecht. »Na ja, bei euch in der Volksarmee dienen eben auch Deutsche«, so der scherzhafte Kommentar eines der Gäste.
Das Klischeebild vom selbstzufriedenen Bundesbürger, hier stimmte es. Der Schein bestimmt das Bewusstsein – der Geldschein und der Anschein, den du dir gibst. Kleidest du dich wie Direktor Huber und fährst ein Auto wie Direktor Huber, weshalb sollst du weniger wert sein als Direktor Huber?
Sie hassten sie bald, diese bunten, nichtssagenden Partys, die ihnen als reine Zurschaustellung frisch erworbenen Wohlstands erschienen, doch konnten sie sich Fränze zuliebe nicht entziehen. Dankbar für all das, was sie für sie getan hatte und noch immer tat, wollten sie sich nicht ausschließen aus ihrem Leben. So spielten sie ihr Spiel mit: Bundesbürger beobachten. Diese so regsam-rührigen Darsteller ihrer selbst, mal sehen, was sie so alles draufhatten in ihrem Bemühen, clever und erfolgreich, locker und up to date zu sein. Bald aber entwickelten sie dieses Spiel weiter: Was, so fragten sie sich, wäre aus dem oder der wohl in der DDR geworden? Waren diese Westler denn wirklich ganz andere Menschen?
Da, der dickliche, immer überaus farbenprächtig gekleidete Obst- und Gemüsehändler mit den trüben Augen, wäre aus dem nicht ein prima Gewerkschaftsonkel geworden?
»Sehe ihn in der Kantine sitzen«, flüsterte Lenz. »Alle grüßt er freundlich, keinen sieht er wirklich, so sehr ruht er im Schmalz seiner eigenen Bedeutung.«
»Ich weiß sogar, wofür er zuständig ist«, flüsterte Hannah zurück. »Er vergibt Ferienplätze an der Ostsee! Weshalb alle sehr, sehr nett zu ihm sind.«
Oder der da, der ehemalige Feldwebel der Bundeswehr und jetzige Versicherungsvertreter, der so gern Rad schlug, um zu beweisen, dass er noch immer sehr sportlich war, ein pausbäckiger Metzgermeistertyp. In der DDR wäre er ganz sicher noch immer in militärischen Diensten und damit weiterhin eine bedeutende Persönlichkeit. Hier bemühte er sich, allen seinen Bekannten und deren Verwandten seine Versicherungen aufs Auge zu drücken. Deutlich zu sehen, wie er darunter litt, nicht mehr Krieg spielen zu dürfen. War sicher die schönste Zeit in seinem Leben, als er noch Rekruten schinden durfte.
Na, und der da, der Geschniegelte und Gebügelte, der gerade so laut von der Kaufkraft der Deutschen Mark schwärmte. Im Osten wäre er Parteisekretär oder Medienmensch und hätte statt von unserer DM sicher genauso wichtigtuerisch von den Erfolgen unseres Arbeiter- und Bauernstaates getrötet: Unsere Werktätigen! Unsere Partei- und Staatsführung! Die Erfolge unserer Sportler!
Ja, und die da, die kleine Brünette mit dem schrillbunten Wickelrock! Jeden kannte sie, an keinem – außer den Anwesenden – ließ sie ein gutes Haar. Wäre die nicht eine prima Besetzung für den Hauswartposten? Jeder Besuch, der über Nacht blieb, müsste sich in ihr Anmeldebuch eintragen; jeder im Haus wäre ihren Argusaugen ausgesetzt, über alle privaten Verhältnisse wüsste sie Bescheid. Wehe, wenn sich wer vor dem Subbotnik, dem freiwilligen Arbeitseinsatz am Samstagvormittag, drückte …
Es machte Spaß, dieses Wechsel-die-Seiten-Spiel! Noch spannender aber fanden Lenz und Hannah es, den Spieß hin und wieder umzudrehen und sich zu fragen, was aus dem einen oder anderen DDR-Bekannten geworden wäre, wäre er hier aufgewachsen: Wie weit bestimmen die Verhältnisse die Persönlichkeit? Steckte in jedem kleinen Duckmäuser nicht auch ein großer Schaumschläger? Und in jedem großen Schaumschläger ein kleiner Duckmäuser? Gab es nicht überall nur wenige, die nicht alles fraßen, was man ihnen vorsetzte?
Weder Lenz noch Hannah hatten geglaubt, in eine rosarote, alle glücklich machende Bundesrepublik zu kommen. Sie kannten den Westen. Hannah war in Frankfurt aufgewachsen und erst als Sechzehnjährige von ihrem Vater in die DDR mitgenommen worden und Lenz war bis zu seinem achtzehnten Geburtstag im Westen Berlins genauso zu Hause gewesen wie im Osten. Und auch später hatte die »andere Seite« sie immer sehr interessiert, und so wussten sie dank der politischen Magazine des Westfernsehens in vielen Dingen besser Bescheid als so mancher gestandene Bundesbürger. Erlebten sie Enttäuschungen, so hauptsächlich mit Menschen, auf die sie große Hoffnungen gesetzt hatten.
Da war gleich zu Anfang die Geschichte mit Ete Kern. Ete Kern und Manne Lenz, im Kinder- und später im Jugendheim waren sie durch dick und dünn gegangen. Nur Etes frühe Flucht gleich nach dem Mauerbau hatte sie auseinanderbringen können. Jetzt genügten wenige, anfangs euphorische Briefe, um zu wissen, dass elf Jahre Trennung zu viel waren. Das berühmte »Sie hatten sich auseinandergelebt«, hier traf es zu, und zwar im Denken wie im Fühlen. Der eine war durch und durch Westler geworden, der andere fühlte sich keiner Seite so ganz zugehörig. Ernüchterung hier und da, und so schlief der Briefverkehr bald ein und ein geplantes Treffen kam nie zustande.
Ein anderer von Lenz’ Jugendfreunden, Hans Gottlieb, inzwischen Journalist, interessierte sich vor allem für den »Fall Lenz«. Er witterte eine Geschichte, wollte über die Zustände in den DDR-Gefängnissen, die misslungene Flucht und die politischen Beweggründe, die dazu geführt hatten, schreiben. Nach ein paar Telefonaten herrschte auch zwischen ihnen Funkstille. Lenz war kein Kommunist und hatte nie einer werden wollen, doch hatte er die Beweggründe, die Menschen von dieser schönen, aber – wie sich später erwies – äußerst weltfremden und unrealistischen Utopie hatten träumen lassen, immer verstanden. Sollte er da jetzt den Kalten Krieger spielen? Es war nicht erlaubt, die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen. Von keiner Seite.
Eine dritte Enttäuschung erlebte er, als er einen nordhessischen Bekannten anrief. Er hatte ihn auf der Leipziger Messe kennengelernt, sie hatten sich sympathisch gefunden. Beide lasen sie gern, beide waren sie junge Familienväter, beide waren sie an deutsch-deutschen Annäherungen interessiert. Wie viele Abende hatten sie in Leipziger Kneipen durchdiskutiert! Lenz wollte nur mal kurz hallo sagen, bin jetzt hier, vielleicht sieht man sich mal. Am anderen Ende der Leitung erst große Überraschung, danach ein laues Willkommen und eine sehr ungenaue Verabredung. Die Angst, er erwarte, dass etwas für ihn getan würde, Lenz spürte sie deutlich. Noch am gleichen Abend strich er die Adresse aus seinem Notizbuch.
Waren »Westler« also doch ganz andere Menschen, war es schwer, unter ihnen Freunde zu finden?
Blieben die ehemaligen Mithäftlinge, die etwa zur gleichen Zeit oder nur wenig später in den Westen verkauft worden waren. Wie war es mit denen?
Es gab Besuche und Weißt-du-noch-Gespräche, Freundschaften wurden daraus nicht. In der Haft war man froh gewesen, nicht mit schwerkriminellen, sondern politischen Häftlingen in einer Zelle zu liegen; man schloss sich zusammen, um gemeinsam die Haftzeit zu überstehen. Differenzen im Denken und Fühlen wurden unterdrückt. Das war jetzt anders. Gegensätzliche Meinungen prallten aufeinander, nicht wenige waren aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem realexistierenden Sozialismus für Lenz’ Geschmack viel zu weit nach rechts abgedriftet.
Ein besonders markantes Beispiel dafür war Heinz Heiland, den Lenz aus dem Kinderheim kannte.
Heilands Eltern, linientreue Kommunisten aus dem Hessischen, hatten ihren Sohn einst in das OstBerliner Kinderheim gegeben. Schweren Herzens hatten sie sich von ihm getrennt, damit der wegen der politischen Einstellung seiner Eltern in der Schule heftig angefeindete Junge zusammen mit weiteren sechshundert Kindern und Jugendlichen zum jungen Sozialisten erzogen werden konnte. Lenz hatte ihn später aus den Augen verloren, nur durch Hörensagen wusste er, dass Heiland, ein mittelmäßiger Schüler, im Anschluss an die Mittlere Reife aufs Lehrerbildungsinstitut gegangen, also Lehrer geworden war. Wo traf er ihn wieder? – Im Notaufnahmelager Gießen! Verblüfft sprach er den ebenfalls frisch aus der DDR-Haft Entlassenen an und erfuhr so, was die gute Absicht von Heilands Eltern für böse Folgen gehabt hatte: Einen militanten Rechtsaußen hatten die realsozialistischen Parteikader aus dem früher so lustigen Hessen mit den dicken Hamsterbäckchen gemacht, einen, der seine Gewaltfantasien ausleben wollte und hoffte, dass er das in seiner wahren Heimat besser konnte. Weil es dort mehr politische Freiheit gab, wie er sagte, wenn auch für seinesgleichen noch längst nicht genug.
Andere Ehemalige dachten gemütlicher, wollten den Westen erst mal »genießen« und vor allem ihre persönliche Freiheit nach Herzenslust auskosten. Unter Hinweis auf ihre Haftzeit ließen sie sich krankschreiben und rannten von Behörde zu Behörde, um überall ein paar Mark Unterstützung zu ergattern. Wieder andere trampten durch Europa oder flogen ins gelobte Land Indien, um sich ganz neuen Einsichten und Religionen zu öffnen.