Daniel Schäfer

Die Wahrheit über die Heuschrecken

Daniel Schäfer

Die Wahrheit über die Heuschrecken

Wie Finanzinvestoren die Deutschland AG umbauen

Bibliografische Informationen Der Deutschen Bibliothek – Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Daniel Schäfer

Die Wahrheit über die Heuschrecken

Wie Finanzinvestoren die Deutschland AG umbauen

F.A.Z.-Institut für Management-,

Markt- und Medieninformationen,

Frankfurt am Main 2007

2., überarbeitete und aktualisierte Auflage

ISBN: 978-3-89981-438-5

Bookshop und weitere Leseproben unter:

www.fazbuch.de

Copyright:

F.A.Z.-Institut für Management-,
Markt- und Medieninformationen GmbH
Mainzer Landstraße 199
60326 Frankfurt am Main

Gestaltung/Satz

 

Umschlag:

F.A.Z., Verlagsgrafik

Titelbild:

Getty Images

Satz Innen:

Nicole Jäger

 

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Inhalt

Die neuen Herrscher der globalen Finanzmärkte haben Deutschland erobert

1  Heuschrecke oder Heinzelmännchen?
Fremdbild und Selbstbild der Finanzinvestoren

2  Heuschreckenhistorie
Henry Kravis und die Pioniere der Beteiligungsbranche

3  Rüstige Heuschrecken und Geburtstagspartys mit den Stones
Die Könige der Wall Street sind wieder da

4  Einmal vom Saulus zum Paulus und wieder zurück

5  Der Organismus einer Heuschrecke
Was sind Beteiligungsfonds und wie arbeiten sie?

6  Von Höllenhunden und großen Überraschungen
Die wichtigsten in Deutschland aktiven Finanzinvestoren

7  Schrecken der Vorstandschefs
Private-Equity-Fonds greifen nach deutschen Unternehmen

8  Hassliebe
Beteiligungsmanager, Politiker und Gewerkschaften

9  So werde ich eine Heuschrecke

10  Das Ende des Übernahmerauschs

Literatur

Der Autor

Die neuen Herrscher der globalen Finanzmärkte haben Deutschland erobert

Sie kommen aus Amerika, Großbritannien oder Schweden. Sie kommen mit gut gefüllten Taschen. Und spätestens seitdem sie von dem SPD-Politiker Franz Müntefering als „Heuschrecken“ bezeichnet wurden, sind sie jedem ein Begriff: ausländische Finanzinvestoren, die auf der Suche nach extrem hohen Renditen den deutschen Markt erobern. Bekannte Unternehmen wie Celanese, das Duale System oder Tank & Rast, riesige Immobilienpakete und Unternehmenskredite wurden in den vergangenen Jahren von überwiegend angelsächsischen Beteiligungsgesellschaften geschluckt. Von der breiten Öffentlichkeit kaum beachtet, haben sich die Renditejäger zu einer bedeutenden Wirtschaftskraft gemausert: Die neudeutsch als Private-Equity-Unternehmen bezeichneten Kapitalgeber beschäftigen hierzulande mehr als 900.000 Mitarbeiter, besitzen Hunderttausende von Wohnimmobilien und haben notleidende Unternehmenskredite im Milliardenwert aufgekauft. Und auch wenn den großen Private-Equity-Gesellschaften nach dem übertriebenen Boom der Vorjahre wieder die Luft ausgeht und der Abschwung im Gang ist – in Zukunft werden Renditejäger wie Blackstone, Permira oder KKR ein nicht mehr wegzudenkendes Element des deutschen Wirtschaftskreislaufs sein.

Doch wer sind diese Sternschnuppen der globalen Finanzmärkte wirklich, welche Ziele verfolgen sie, wer sind ihre Geldgeber, welche Personen stecken hinter der Fassade? Das Repertoire an wenig schmeichelhaften Titeln für diese Spezies der Wirtschaft ist jedenfalls groß: skrupellose Finanzhaie, Heuschrecken, Aussauger, Barbaren, Geier. Die Beteiligungsmanager selbst dagegen sind sich nicht zu schade, sich mit euphemistischen Titeln zu schmücken, die ihre mitunter durchaus ruppige Vorgehensweise verbergen: Heinzelmännchen, Nutztiere oder auch Entwicklungshelfer. In Amerika ist das anders, da ist mancher Beteiligungsfonds auf seine aggressive Vorgehensweise derart stolz, dass er sich gleich einen dazu passenden Namen gibt: wie etwa der nach dem vor dem Hades ausharrenden, dreiköpfigen Höllenhund der griechischen Mythologie benannte Beteiligungsfonds Cerberus.

Doch anders als die zuweilen brachial klingenden Namen suggerieren, erfüllt die Branche gerade wegen ihres Renditedenkens wirtschaftlich wünschenswerte Aufgaben: Sie trimmen Unternehmen für den Weltmarkt, verwalten Infrastrukturprojekte und bewahren in Schieflage geratene mittelständische Kreditnehmer vor der Pleite. Und sie sind nicht zuletzt Teil eines noch viel bedeutenderen Phänomens, dem sich die deutsche Bevölkerung stellen muss: der Austausch der Deutschland AG und des rheinischen Kapitalismus mit all seinen Facetten durch ein mehr selbstverantwortliches, angelsächsisch geprägtes Wirtschaftssystem. Ebenso wie in Amerika werden in Zukunft auch in Deutschland Hedge- und Private-Equity-Fonds deutschen Angestellten und Arbeitern die Rente sichern. Denn auch die hiesigen Versicherungen und Pensionskassen werden zunehmend in Beteiligungskapital investieren. Und die Finanzinvestoren tragen dazu bei, dass das herkömmliche Hausbankensystem durch moderne Finanzierungsinstrumente abgelöst wird. In Zukunft werden die privaten Investoren gar Aufgaben übernehmen, die bisher als öffentlich und vom Staat gelenkt galten: der Betrieb von Schulen, Autobahnen und Flughäfen, die Verwaltung von Krankenhäusern und Pflegeheimen.

Für die ausländischen Renditejäger ist der ansonsten doch verpönte deutsche Standort so interessant, weil sie lange Zeit eine riesige Bugwelle an Kapital vor sich herschoben und stets auf der Suche nach neuen Märkten sind – nach der Eroberung Europas expandieren sie nun nach Asien. Die Firmenjäger sind zudem eine erfolgreiche Wette auf den Aufschwung in Deutschland eingegangen. Denn im internationalen Vergleich sind beispielsweise die deutschen Unternehmen für gute Technologien und herausragende Qualität ebenso berühmt wie für eher magere Renditen und schwache Eigenkapitalausstattungen. Das Aufbrechen der behäbigen Strukturen hat daher in den vergangenen Jahren ein Spielfeld geboten. Wann immer sich deutsche Konzerne von Randbereichen trennten, waren die Finanzinvestoren zur Stelle. Das gleiche gilt auch für die Mittelständler, denen die Banken das Kapital für dringend notwendige Investitionen verweigern.

Wo Licht ist, ist freilich auch Schatten: Die Finanzinvestoren haben einen Umgang mit Schulden, der in Deutschland, gelinde gesagt, gewöhnungsbedürftig ist. Sie lasten den Unternehmen riesige Schuldenberge auf, ein Spiel mit hohem Risiko. Und so mancher Fonds geht mit der Brechstange an das gekaufte Unternehmen heran und versucht mit Brachialmethoden, sich die Rendite zu sichern. Etwa der amerikanische Finanzinvestor Texas Pacific Group, der das Traditionsunternehmen Friedrich Grohe zuerst mit einem riesigen Schuldenberg belud und dann ein gutes Fünftel der Belegschaft herausschmiss, um die Produktion ins Ausland zu verlagern.

Doch das sind anzuprangernde Auswüchse, die der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit der Branche nicht widersprechen. Was allerdings trotz Heuschreckendebatte, ähnlicher internationaler Diskussionen und der großen Präsenz in Deutschland fehlt, ist die Transparenz der Finanzinvestoren. Denn Renditejäger bleiben am liebsten unter sich und scheuen die Öffentlichkeit. Josef Ackermann oder Dieter Zetsche kennt in Deutschland wohl jedes Kind. Doch nur wenige haben wohl schon etwas von Johannes Huth gehört. Dabei ist der Europa-Chef von KKR Herr über 25.000 Arbeitsplätze deutscher Unternehmen, mehr als so mancher Dax-Konzern. Vielleicht trägt ja dieses Buch dazu bei, ein wenig Licht ins Dunkel der Renditejäger zu bringen.

Ohne zahlreiche Gespräche und Interviews mit deutschen, amerikanischen und britischen Beteiligungsmanagern, Investmentbankern, Rechtsanwälten, Gewerkschaftern, Betriebsräten, Fondsinvestoren, Unternehmern, Politikern und Öffentlichkeitsarbeitern hätte dieses Buch nie entstehen können. Ebenso wenig ohne Filka. Ihnen allen gilt der Dank des Autors.

Daniel Schäfer                                Frankfurt, im Oktober 2007

1  Heuschrecke oder Heinzelmännchen?
Fremdbild und Selbstbild der Finanzinvestoren

Die Stimmung ist gut an diesem Novembertag im noblen Frankfurter Hotel Intercontinental. Draußen erleuchtet die Sonne die schon etwas in die Jahre gekommene Fassade, und auch drinnen haben sich die Gesichter der Protagonisten ein freundliches Lächeln aufgesetzt. Es ist ein gutes halbes Jahr her, dass der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering angelsächsische Finanzinvestoren als Heuschrecken gebrandmarkt und ihnen vorgeworfen hat, sie „verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter”. Nun holt der Branchenverband der europäischen Private-Equity-Gesellschaften zum wissenschaftlich fundierten verbalen Gegenschlag aus.

Sechs oder sieben Journalisten sitzen in einer Reihe der in dem schmucklosen, holzgetäfelten Konferenzraum in U-Form aufgestellten Tische, an der Flanke kaum weniger Herren der „European Private Equity and Venture Capital Association (EVCA)“ und gegenüber nochmals fast ebenso viele Damen von der begleitenden Public-Relations-Agentur. Die Mission dieser Verbands-Phalanx ist eindeutig: Der undifferenzierten Debatte über das angebliche Unwesen der ausländischen Beteiligungsgesellschaften soll der endgültige Beweis des segensreichen Wirkens der Renditejäger entgegengesetzt werden. Dazu hat der Verband bei der Technischen Universität München eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse atemberaubend klingen und wohl selbst Müntefering hellhörig machten: „Durch die Aktivitäten von Private-Equity-Gesellschaften wurden in Europa in den Jahren 2000 bis 2004 rund eine Million neue Arbeitsplätze geschaffen”. – David Cooksey, zu diesem Zeitpunkt Chairman des EVCA und mit seinen mehr als 35 Jahren Berufspraxis eine Art Veteran der Wagniskapitalbranche, lässt sich diese Worte auf der Zunge zergehen. Er ist sozusagen die Speerspitze im Kampf des EVCA, der erschreckten deutschen Öffentlichkeit das Wirken der Beteiligungsgesellschaften näher zu bringen und den unsäglichen Heuschreckenvergleich endlich aus der Welt zu schaffen.

Wie eine böse Wanderheuschrecke wirkt Cooksey mit seinem vornehm säuselnden britischen Englisch eigentlich nicht. Eher wie Flip der Grashüpfer aus der Kinderserie Biene Maja. Ebenso wie das Pendant aus dem Trickfilm erklärt er der Öffentlichkeit väterlichwohlwollend die Welt. Dank der von den emsigen, den Journalisten gegenübersitzenden Damen in die schöne neue Sprache der Public Relations gekleideten Worte ist dies für Cooksey auch ein Leichtes. Die Botschaft stimmt. Die Branche habe längst aus der Vergangenheit gelernt und verdiene ihr Geld nicht mehr damit, Unternehmen einfach nur billig zu kaufen und später wieder teuer zu verkaufen, unterstreicht er leutselig. Vielmehr krempelten die Private-Equity-Manager die Ärmel hoch und arbeiteten hart daran, ihren Schützlingen zu mehr Wachstum und Effizienz zu verhelfen. Als Beleg preist Cooksey besagte Studie an, die ein jährliches Beschäftigungswachstum der mit Beteiligungs- und Wagniskapital finanzierten Unternehmen von 5,4 Prozent feststellt.

Klingt eindrucksvoll. Wäre da nicht ein kleiner Schönheitsfehler, auf den die Verbandsmanager an diesem sonnigen Spätherbsttag sichtlich ungern angesprochen werden. Gerade einmal 201 Unternehmen haben den Fragebogen ausgefüllt. Dem stehen nahezu 29.000 Unternehmen gegenüber, die sich nach Schätzungen europaweit in der Hand von Beteiligungsgesellschaften befinden. Eine magere Ausbeute der Forscher also. Doch damit nicht genug. Nicht etwa die durch Beteiligungskapital finanzierten Unternehmen wurden direkt angesprochen, sondern zunächst die Private-Equity-Fonds angeschrieben, welche den Fragebogen dann an die in ihrem Besitz befindlichen Unternehmen weiterreichen sollten. Ein Schelm, wer dadurch eine allzu positive Schlagseite der Studie befürchtet, weil die Fonds nur ihre Erfolgsunternehmen zu Wort kommen lassen. In einem Handbuch der empirischen Sozialforschung würde die in glitzerndem Marketingdeutsch präsentierte Stichprobe der Studie mithin wohl kaum als repräsentativ bezeichnet werden können.

Doch besagte Pressekonferenz war leider symptomatisch für die öffentliche Kommunikation der durch die plötzliche öffentliche Aufmerksamkeit auf dem falschen Fuß erwischten Beteiligungsbranche. Anstatt ein differenziertes Bild zu malen und von Anfang an offen zu kommunizieren, erging sich die ohnehin nicht gerade als Sinnbild von Transparenz berühmte Branche – mit Ausnahme einiger weniger charismatischer Manager – zuerst in Schweigen und dann in gänzlich einseitigen Botschaften. Dabei wollten die Beteiligungsmanager doch eigentlich alles anders machen nach der unsäglichen Heuschreckendebatte. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wurden sie nicht müde, ihr angeblich einziges Versäumnis aufzuzeigen. „Wir haben zu wenig kommuniziert”, hieß es allerorten. Doch die Art der Kommunikation ließ dann allzu oft zu wünschen übrig. Dem schiefen Bild der „Heuschrecken“ stellte ein Manager das ebenso verquere Bild der „Heinzelmännchen“ gegenüber. Genau wie die in dem Gedicht von August Kopisch beschriebenen Männchen bauen die Beteiligungsgesellschaften still und heimlich Werte, soll dieses Bild wohl sagen. Doch nolens volens werden damit die Beteiligungsgesellschaften glorifiziert – und impliziert, deutsche Unternehmer seien bräsig und faul. Denn der Preuße Kopisch wollte mit seiner phantasievollen Geschichte von den fleißigen Heinzelmännchen vor allem eines: eine herbe Kritik an den nach seiner Lesart in den Tag hineinlebenden Rheinländern üben. Und auch wenn sie sich selbst mitunter als Entwicklungshelfer bezeichnen, ganz so bescheiden und uneigennützig wie die Heinzelmännchen sind die Beteiligungsmanager angesichts der zweistelligen Renditeforderungen ihrer Investoren wahrlich nicht.

Doch die einseitige Kommunikation hat die Private-Equity-Branche nicht für sich gepachtet. Im Gegenteil, was Gewerkschaften und SPD-Politiker ein halbes Jahr zuvor der Öffentlichkeit mit simpelsten Metaphern zu vermitteln suchten, war weitaus fataler.

Szenenwechsel. In den Büroräumen der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin im Frühjahr 2005. Ein Assistent der Fraktion surft auf Geheiß des Leiters der Planungsgruppe, Vito Cecere, im Internet und im elektronischen Archiv verschiedener Zeitungen und Zeitschriften. Dort schnappt er allerhand Informationsfetzen über die von Müntefering verunglimpften Finanzinvestoren auf. Das flugs gesammelte Halbwissen über die „Heuschrecken“ und deren Vorgehensweisen packt der zum Insektenkundler mutierte Assistent in eine Liste mit dem Titel „Marktradikalismus statt sozialer Marktwirtschaft – Wie Private-Equity-Gesellschaften Unternehmen verwerten”. Dieses Papier soll der SPD-Bundestagsfraktion als Informations- und Argumentationshilfe in der durch Münteferings Parolen aufgeheizten Kapitalismusdebatte dienen. Das vierseitige Heuschreckenbrevier liest sich wie der von vorneherein zum Scheitern verurteilte Versuch eines Schülers, eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn noch rasch den vergessenen Aufsatz mithilfe des Internets und der Copy-and-Paste-Funktion zu schreiben: „Die Namen der Aufkäuferfirmen heißen KKR, Apax, Carlyle, BC Partners, Advent, CVC, Permira, Saban Capital und Blackstone”, steht dort geschrieben. „Diese Private-Equity-Unternehmen sammeln das Kapital von Privatanlegern ein, um andere Unternehmen zu kaufen, zu sanieren oder zu zerlegen und möglichst mit hohem Gewinn weiterzuverkaufen. Sie sind in der Regel nicht daran interessiert, die Unternehmen über eine längere Zeit selbst zu führen.“ In der Liste wird der Anschein erweckt, als stünde der Ausverkauf der deutschen Unternehmen bevor. Dazu werden „Experten“ der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zitiert: „Die Finanzinvestoren erwerben die Gesamtheit oder die Mehrheit der Gesellschaftsanteile nicht mit der Absicht, das Unternehmen im traditionellen Sinne zu kaufen. Vielmehr wird das aufgekaufte Unternehmen von vorneherein einer Verwertung unterzogen, die maximal auf sieben Jahre berechnet ist. Der durchschnittliche Verwertungszyklus beträgt etwa fünf Jahre, bevorzugt werden drei oder vier Jahre.”

Ideologiegetriebene und unverbesserlich voreingenommene Debatten ist durchaus jeder gewohnt, der die öffentlichen politischen Diskussionen verfolgt. Redlich ist das zwar nicht, aber es dient Politikern als Wahlkampfhilfe und sorgt bei den Medien für Schlagzeilen und die entsprechende Quote. Doch spätestens mit dem Papier der SPD-Fraktion erreichte die wenige Wochen davor von Müntefering angestoßene Debatte über ausländische Finanzinvestoren ein irrationales Stadium, dem sie für lange Zeit nicht gänzlich entronnen schien.

Wer als Leser in dem SPD-Papier ideologiegetriebene Panikmache zu entdecken glaubt, der kennt noch nicht das Pamphlet, mit dem sich die IG Metall zur selben Zeit auf amerikanische Investoren einschoss. Ebenso wie Müntefering griff auch die Gewerkschaft ganz tief in die zoologische Metapherkiste. Denn dem Autor war bei Münteferings ausschwärmenden Grashüpfern die Verwechslungsgefahr mit den harmlosen Flips dieser Welt offenbar doch zu groß. Er ging stattdessen auf Nummer sicher und besann sich zwecks kreativer Eskalation der bildlichen Rhetorik einer frommen Inspiration, aus der auch der sauerländische Katholik Müntefering bereits schöpfen konnte: der Bibel. Denn im Buch Joel verheißt der Prophet im ersten Kapitel: „Hört dies, ihr Ältesten, und merkt auf, alle Bewohner des Landes, ob solches geschehen sei zu euren Zeiten oder zu eurer Väter Zeiten! Sagt euren Kindern davon und lasst’s eure Kindern ihren Kindern sagen und diese wiederum ihren Nachkommen: Was die Raupen übriglassen, das fressen die Heuschrecken, und was die Heuschrecken übriglassen, das fressen die Käfer, und was die Käfer übriglassen, das frisst das Geschmeiß.”

Geschmeiß? Mücken hasst doch nun wahrlich jeder. Das ist ein billiges und griffiges Bild. Also musste eine Titelgeschichte für das Monatsmagazin „metall“ her, in dem amerikanische Finanzinvestoren als langnasige Stechmücken in Frack, Zylinderhut mit aufgedruckter Amerikaflagge und Eurozeichen in den vermenschlichten Pupillen illustriert wurden. Die von Sachwissen und Detailkenntnis weitgehend befreite Geschichte beschreibt unter der Überschrift „Die Plünderer sind da“ das angeblich fatale Wirken der Beteiligungsgesellschaften. „Wie Mücken saugen sie aus den Betrieben das Geld, um dann nach dem gleichen Muster weiterzuschwärmen.“ Leidtragende dieser Ausschlachtung seien die Mitarbeiter. Wer das las, stellt sich Beteiligungsmanager als eiskalte, gnadenlose und anonyme Renditemonster vor, die derart beschrieben mit menschlichen Wesen in der Tat wenig gemein haben.

Die Reaktion auf diese Allegorien der Insektenwelt ließ nicht lange auf sich warten. Längst weit außerhalb einer vernünftigen öffentlichen Debatte, trat nun der Münchener Zeithistoriker Michael Wolffsohn auf den Plan und bezichtigte Müntefering des Antisemitismus. Jener hetze mit seinem Heuschreckenvergleich „wie die Nazis gegen die Juden”. Heute spreche man von „Plage“ oder „Heuschrecken”, damals von „Ratten“ oder „Judenschweinen”, erzürnte sich der Professor der Bundeswehruniversität München. Nur wenige Tage später hieb ein britischer Hedge-Fonds-Manager namens Christopher Hohn in dieselbe Kerbe und schleuderte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auch der IG Metall den Antisemitismusvorwurf entgegen. Die Darstellung von Finanzinvestoren als Stechmücken mit Frack, Zylinder und langer Nase sei „antisemitisch und widerlich”. Derselbe Hohn war gerade dabei, mit seinem Hedge-Fonds TCI den damaligen Deutsche-Börse-Chef Werner Seifert aus dem Amt zu jagen.

Derart aufgeschaukelt, hat sich die Debatte über ausländische Finanzinvestoren rasch zu einer irrationalen und emotionalisierten Diskussion entwickelt. Doch wer sind die Beteiligungsfonds wirklich, wer ihre Manager, wer ihre Geldgeber und wie funktioniert das Geschäftsmodell? Die Moral der Heuschreckendebatte ist, dass ein vernünftiges und ausgewogenes Bild über Beteiligungsgesellschaften nur derjenige malen kann, der die wirtschaftlichen Hintergründe und die tatsächliche Wirkung dieser Fonds auf die deutsche Wirtschaft versteht. Weil derartige Investoren in Deutschland bis vor wenigen Jahren nicht im großen Stil aktiv waren, fehlt angesichts der mangelnden Historie – nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern ebenso unter den kulturellen, politischen, aber eben auch wirtschaftlichen Eliten – das Wissen um die Funktionsweise und den volkswirtschaftlichen Nutzen der Beteiligungsfonds. Wo langjährige Erfahrung nicht existiert und sich die Fakten noch keine Bahn brechen können, da wird ein Nährboden geschaffen für Mythen, Verschwörungstheorien und eine in fast schon religiösem Eifer vorgetragene Bildsprache.

Eine Lehre, welche auch die meisten Beteiligungsfonds ebenso wie deren Verband seither durchaus gelernt haben. Denn die Heuschreckendebatte hatte ein Gutes: Die Kommunikation ist offener geworden, aus anonymen Renditejägern sind Menschen mit Gesichtern geworden, die sich und ihr Wirken in der Öffentlichkeit erklären.

2  Heuschreckenhistorie
Henry Kravis und die Pioniere der Beteiligungsbranche

Die Bezeichnung „Heuschrecke“ hat Henry Kravis wohl nicht sonderlich erschüttert. Der über 60 Jahre alten Private-Equity-Legende wurden in der amerikanischen Öffentlichkeit bereits weitaus weniger schmeichelhafte Titel verliehen. „Barbar“ war einer davon. Denn gemeinsam mit anderen Gründervätern der Private-Equity-Branche jagte Kravis dem amerikanischen Wirtschaftsestablishment in den achtziger Jahren mit seinem forschen Auftreten für die Rechte der Aktionäre große Angst ein. Ein Außenseiter ist Kravis längst nicht mehr. Heute sind die Private-Equity-Pioniere selbst Teil des Wirtschaftsestablishments und zu Vorbildern einer ganzen Generation junger Wall-Street-Manager auf der Suche nach den am besten bezahlten Jobs geworden.

Die Urheuschrecke

Das Bürogebäude in der Rue Jean Goujon im Zentrum von Paris ist unscheinbar. Graue, schmucklose Fassade, langweilige Architektur. Ein kleines metallenes Schild weist den Besucher darauf hin, dass hier eine Dependance des französischen Luxuskonzerns LVMH zu finden ist. Nichts aber deutet an, dass hier auch der Pariser Sitz einer der größten und ältesten Beteiligungsgesellschaften der Welt, der amerikanischen Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR), zu finden ist. Diskretion ist noch immer angesagt in der Welt der Finanzinvestoren, die mit ihren milliardenschweren Fonds auf dem gesamten Globus Unternehmen kaufen. Doch auf der Suche nach weiteren Klischees wird der Besucher in den Büroräumen im sechsten Stock schnell enttäuscht. Keine dunklen Flure mit schwarzen Ledermöbeln, Eichentischen und barocken Bildern. Stattdessen helles Holz, elegante Glastische, ästhetische und einfache Funktionalität. An der Wand hängen geschmackvolle schwarzweiße Bilder der irischen Küste von dem Landschaftsfotografen Thomas Joshua Cooper. Der Ausblick auf den Eiffelturm ist eindrucksvoll, ebenso die Sicht auf eine auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwischen die Bürogebäude gequetschte Notre Dame im Miniaturformat.

Auf der Kommode unter dem Cooper-Bild ein modernes Telefon – mit Skypeanschluss, um günstiger mit dem New Yorker Hauptquartier von KKR telefonieren zu können. Dieses Telefon steht pars pro toto für die Mentalität der Beteiligungsmanager. Denn sie sind die Dagobert Ducks der Finanzbranche: Sie bewegen Milliardensummen, verdoppeln diese nicht selten binnen weniger Jahre, erwirtschaften mitunter Renditen von mehr als 50 Prozent – und telefonieren mit Skype, wenn sie dadurch ein paar Cent einsparen können. „Wer den Cent nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“ – dieser Spruch der Comicfigur, die sich reich gespart hat, könnte nicht nur von einem Mittelständler aus Oberschwaben stammen, sondern ließe sich auch dem einen oder anderen angelsächsischen Beteiligungsmanager zuschreiben. Zumindest wenn es um die schlanken Kostenstrukturen der Fonds und der von ihnen gekauften Unternehmen geht, denn im Privaten ist der eine oder andere durchaus nicht knauserig.

Dann betritt Henry Kravis den Raum und begrüßt seinen Besucher mit der für Amerikaner typischen, fast schon kumpelhaften Freundlichkeit. In einer Basketballmannschaft würde Kravis wohl fehl am Platz wirken, denn er ist nicht gerade groß. Doch das war Napoleon auch nicht, imposant aber allemal. Den Mann mit dem Jack-Nicholson-Gesicht umgibt die Aura eines Mannes, den der Erfolg extrem selbstsicher gemacht hat, ohne dabei arrogant zu werden. Wenn Beteiligungsmanager Heuschrecken sind, dann ist Kravis die Urheuschrecke. Denn vor 30 Jahren entwickelte er aus dem fremdfinanzierten Kauf von Unternehmen ein Geschäftsmodell. Was mit ein paar Millionen Dollar Eigenkapital begann, ist heutzutage mit mehr als 6.000 Fonds und schätzungsweise 1,3 Billionen Dollar Eigenkapital eine aus der Finanzwelt nicht mehr wegzudenkende, mächtige Branche.

Wenn Kravis mit seiner sonoren Stimme über die wilden Gründerjahre seiner Karriere spricht, schwingt in seinen Worten die Spannung jener Jahre mit. „Wir haben 1976 angefangen. Die Vorgeschichte war, dass mein Cousin George Roberts, Jerome Kohlberg und ich bei der Bank Bear Stearns für so genannte Boot-Strap-Operationen zuständig waren. Wir kauften also Unternehmen für die Bank. Aus dem Namen Boot Strap wurde später der Name Management Buy-outs, danach hieß es dann Leveraged Buy-outs und heute heißt es eben Private Equity. Als wir angefangen haben, gab es so gut wie keine Investoren in Beteiligungskapital. Es gab nur eine Handvoll von Institutionen in Nordamerika, Unternehmen wie Prudential und Teachers Insurance, und eine Handvoll Banken, das war es dann aber auch schon. Es gab keinen Markt für Hochzinsanleihen, keine globalen Banken, die Kredite ohne Sicherheiten, also nur auf Basis der zu erwartenden Zahlungsmittelströme vergaben. Der Unterschied zwischen den sechziger und siebziger Jahren und heute ist also wie der zwischen Tag und Nacht.”

Als Erfinder des Private-Equity-Geschäfts mag sich Kravis nicht sehen. „Die Leute haben Unternehmen seit jeher gekauft, indem sie einen Dollar hatten und soviel wie möglich dazugeliehen haben. Denken Sie an den deutschen Mittelstand. Jemand hat eine Geschäftsidee, geht mit ein bisschen Eigenkapital zur Bank, die leiht ihm Geld, und schon ist er im Geschäft. Und irgendwann kauft er ein weiteres Unternehmen dazu. Wir haben diese Fähigkeiten nur ausgeweitet.“ „Wir”, damit meint Kravis seinen Cousin George Roberts und Jerome Kohlberg, mit denen der junge Heißsporn in den späten sechziger Jahren seine Karriere als Firmenkäufer bei der Investmentbank Bear Stearns begann. Bis Kohlberg schließlich Bear Stearns verließ und die beiden Cousins dazu überredete, ein eigenes Unternehmen zu gründen.

Mit einem Checkkonto und einer Einlage von 10.000 Dollar bei der Chemical Bank begann im Mai 1976 die Geschichte des legendären Finanzinvestors KKR. Binnen weniger Jahre avancierte die Gesellschaft zu einem der mächtigsten Beteiligungsfonds an der Wall Street. Damals kaufte KKR das erste Unternehmen, das kleine Maschinenbaukonglomerat A. J. Industries, für 94 Millionen Dollar; nur zwölf Jahre später gewannen die beiden Cousins Kravis und Roberts (Kohlberg war da schon ausgeschieden) für sage und schreibe 31,3 Milliarden Dollar die Übernahmeschlacht um den Tabak- und Nahrungsmittelkonzern RJR Nabisco – dem bis zur Übernahme des amerikanischen Krankenhausbetreibers HCA im Jahr 2006 größten Unternehmenskauf durch Beteiligungsgesellschaften. Und statt des damaligen Eigenkapitalfonds von 35 Millionen Dollar, den KKR mit Mühe bei einigen Banken und reichen Privatleuten zusammenkratzte, investiert die Gesellschaft 30 Jahre spä-ter aus zwei gigantischen, insgesamt 21 Milliarden Dollar schweren und zu den größten Beteiligungsfonds der Welt zählenden Kapitaltöpfen.

Im Jahr 1976 hatten die Partner gerade einmal ein Startkapital von 120.000 Dollar aufgebracht. Kohlberg und Kravis arbeiteten aus einem Büro in Manhattan, während Roberts aus San Francisco heraus seinen Beitrag leistete. Dort hat er auch heute noch sein Büro. Der 20 Jahre ältere Kohlberg war der erfahrenere und vorsichtigere Übervater, was nicht selten zu Streitigkeiten mit dem weitaus aggressiveren Kravis führte. Die beiden Cousins verstanden sich dagegen immer prächtig, obwohl sie charakterlich grundverschieden sind. Kravis ist der extrovertierte, redegewandte und gesellige Dandy. Der Sohn eines Ingenieurs aus Oklahoma liebte es als junger Mann, sich in das Nachtleben New Yorks zu stürzen. Während seiner Junggesellenzeit teilte sich der Lebemann ein Appartement mit Roberts in New York. Kravis war jede Nacht unterwegs, was seinen Cousin zur Weißglut trieb. Roberts ist das komplette Gegenteil von Kravis: Zwar ist er als Sohn eines Ölhändlers im texanischen Houston aufgewachsen. Mit den herrschsüchtigen Ölmagnaten der Filmserie „Dallas“ hat er aber wenig gemein. Roberts ist leise, zurückhaltend und weniger gesellig als sein Cousin. Das laute und grelle New Yorker Leben war ihm daher auch stets ein Graus, er arbeitet bis heute im sonnigen Kalifornien – zunächst in San Francisco, seit einigen Jahren in einem Büro in Menlo Park. Gemeinsamkeiten haben Kravis und Roberts dennoch viele: Sie interessieren sich beide für moderne Kunst und frönen dem Golfsport. Reibereien hat es zwischen ihnen anscheinend auch nie gegeben – sieht man einmal von einem erbitterten Streit darüber ab, wer zuerst eine Runde mit Kravis neuem Fahrrad drehen darf. Aber da waren beide noch Kinder.

Mit dem Eigenkapital, das ihnen einige Banken und Versicherungen anvertrauten, und einer riesigen Menge an Fremdkapital machten sich die Cousins und ihr Mitstreiter Kohlberg daran, mit Leveraged Buy-outs (LBOs) Wall-Street-Geschichte zu schreiben. Diese finanziell ausgefeilte und hochversierte Technik eines Unternehmenskaufs hatten die drei KKR-Gründer bereits bei Bear Stearns erprobt. Systematisch und über eine lange Serie von Transaktionen setzten sie diese Methode aber erst ein, als sie mit KKR auf eigenen Füßen standen. Zwischen 1976 und 1989 – dem Jahr, in dem der lange Übernahmeboom in Nordamerika einer Flaute wich und die Schuldenfinanzierung vieler Unternehmen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel – stellte KKR fünf Fonds auf die Beine und finanzierte aus diesen 38 Transaktionen. Im Jahr 1987 trennten sich die Cousins von Kohlberg und setzten seither ihre Arbeit als Doppelspitze fort.

Doch was verbirgt sich hinter dem Akronym LBO? Unter einem LBO wird der Kauf von Unternehmen mit möglichst wenig Eigenkapital und möglichst viel Schulden verstanden. Diese Schulden werden dem erworbenen Unternehmen aufgebürdet und von diesem abbezahlt. Dadurch lässt sich die Eigenkapitalrendite des Investors enorm nach oben treiben. In den Anfangsjahren konzentrierten sich die Gründer dabei vor allem darauf, behäbigen, schlecht geführten und daher zumeist unterbewerteten Unternehmen Beine zu machen. In den meisten Fällen waren dies die in den siebziger und achtziger Jahren noch weit verbreiteten Konglomerate – also auf unterschiedlichen Geschäftsfeldern arbeitende Mischkonzerne –, bei denen sich durch Zerschlagung und Verkauf einzelner Tochtergesellschaften oft ein schneller Gewinn machen ließ. Sie kauften also nicht unbedingt kranke Unternehmen oder Restrukturierungskandidaten, sondern im Kern gesunde Firmen, die durch Entflechtung, aggressives Management und einen operativen Feinschliff verbessert werden konnten.

Dreh- und Angelpunkt des LBOs war dabei ein in der Finanzwelt weitgehend neuer Ansatz, der ein Unternehmen nicht nach gängigen Profitabilitätskennziffern misst. Nicht der Nettogewinn – also das, was nach Abzug aller Kosten und Steuern unter dem Strich herauskommt – war für Kohlberg, Kravis und Roberts relevant, sondern der freie Mittelzufluss (Cashflow), anhand dessen die Fähigkeit des Unternehmens gemessen wurde, einen Schuldenberg abzubezahlen. Dementsprechend wurden auch die Kredite nicht primär auf der Basis der im Unternehmen existierenden Sicherheiten aufgenommen, sondern die Höhe der Schulden orientierte sich vorrangig an den erwarteten, zukünftigen Zahlungsmittelströmen. Das ist so, als ob ein Hausbesitzer das Eigenheim fast gänzlich ohne Eigenkapital kauft und die Höhe der dazu aufgenommenen Kredite lediglich an seinen künftigen Gehaltszahlungen ausrichtet – was übrigens in angelsächsischen Ländern längst üblich ist und sich zuletzt auch in Deutschland etablierte. Damit kann sich der Hausbesitzer ein weitaus moderneres und größeres Haus leisten, als wenn er auf Nummer sicher geht und das Eigenheim mit viel weniger Fremdkapital kauft.

Dass dann aber nicht viel schiefgehen darf, bewies der Zusammenbruch des amerikanischen Marktes für wenig besicherte Hauskredite im Jahr 2007: Die steigenden Zinsen und ein gleichzeitiger Einbruch der Häuserpreise brachte viele der allzu mutigen Hausbesitzer in Zahlungsschwierigkeiten und löste eine weltweite Finanzkrise aus. Ähnlich fragil sind häufig die Schuldenlasten der Beteiligungsfonds: Was im Erfolgsfall höchst lukrativ für die Private-Equity-Investoren ist, lässt wenig Freiraum für Managementfehler. Die Kreditverträge, Covenants genannt, sind nicht gerade tolerant, was Abweichungen von den vorgegebenen Zinsund Tilgungsraten angeht. Die Vorgaben der Kreditgeber wirken somit wie eine Peitsche für die Führungsspitze des LBO-Unternehmens, das unter einem enormen Druck steht, die Effizienz des Unternehmens zu erhöhen. Dies geschieht damals wie heute auf unterschiedlichen Wegen: in manchen Fällen durch radikale Kostensenkungen, Entlassungen und somit einer Schrumpfkur des Unternehmens, in anderen durch simple Verbesserungen der operativen Effizienz und mitunter durch eine aggressive Expansion – aus eigener Kraft ebenso wie durch Zukäufe – in neue Produkte, neue Regionen oder neue Märkte.

Es gibt noch eine weitere Parallele zwischen den wenig betuchten amerikanischen Hauskäufern und den Firmenjägern: Bis zum großen Crash im Sommer 2007 wurden die amerikanischen Hypothekenbanken immer unvorsichtiger und vergaben die Kredite an immer schlechtere Schuldner zu immer laxeren Konditionen. Das Schlagwort, das die gesamte Branche mit zu Fall brachte, hat den brachialen Namen „Ninja”: No Income, Job or Assets. Der Hauskäufer hat kein Einkommen, keinen Job, keine Sicherheiten – aber er erhält trotzdem eine Hypothek. Dazu boten die Banken häufig an, in den ersten Jahren keinerlei Zinsen bezahlen zu müssen. Ähnlich wie diesen Eigenheim-Nutzern gelang es auch den Firmenjägern in dieser Zeit, immer laxere Kreditkonditionen durchzusetzen: Zinszahlungen und Tilgungen erst am Ende der Laufzeit, kaum Kontrollmöglichkeiten für die Gläubiger. Die Peitsche für die Führungsspitze wurde in ein stumpfes Schwert umgewandelt.

Doch zurück zu Henry Kravis, dessen nach Rendite strebender Charakter nicht weniger komplex ist als die Technik eines LBOs. Mit der Zeit wurden er und seine Mitstreiter immer kreativer bei der Finanzierung der Übernahmen. Der allererste „Deal”, wie die Übernahmen im Branchenjargon genannt werden, war noch mit einem recht gewöhnlichen, vorrangig besicherten Unternehmenskredit finanziert. Mit anderen Worten: Im Falle einer Pleite des erworbenen Unternehmens hätten sich die Banken in der Gläubigerschlange ganz vorne anstellen und als erste die Hand aufhalten dürfen. Der Erwerb des erwähnten Maschinenbaukonglomerats A. J. Industries wurde von den Banken und anderen Fremdkapitalinvestoren noch skeptisch beäugt. Die Methodik des LBO war ihnen fremd, ebenso wie die aggressive Herangehensweise der mit ihren gerade einmal Anfang 30 noch jungen Cousins. Daher gelang es Kravis damals nicht, Investoren zu finden für Kredite, die sich im Falle einer Pleite in der Gläubigerschlange weit hinten anstellen müssen.

Das war zweieinhalb Jahre später schon anders. Als Kravis im Jahr 1979 das börsennotierte Maschinenbau- und Automobilzuliefererkonglomerat Houdaille Industries für 380 Millionen Dollar erwarb, finanzierte er 86 Prozent des Kaufpreises mit Fremdkapital. Die dafür aufgenommenen Schulden bestanden erstmals aus einer komplexen Struktur aus vorrangigen Bankkrediten und aus bei darauf spezialisierten Investoren platzierten nachrangigen Schuldtiteln, deren höheres Risiko durch entsprechend üppige Zinsen ausgeglichen wurden. Mit dieser Vorgehensweise schockierte Kravis das Establishment an der Wall Street ebenso wie die amerikanische Finanzaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC). Nach dieser sowohl für die Eigenkapitalgeber als auch die Fremdkapitalinvestoren erfolgreichen Transaktion hatte KKR kaum noch Schwierigkeiten, für die Jagd nach immer größeren Unternehmen Geld aufzutreiben. Die Investoren rannten Kravis förmlich die Tür ein.

Aber es gab auch Rückschläge, wie die Pleite der Versicherung Executive Life etwa, dem ersten Konkurs einer amerikanischen Lebensversicherung seit der wirtschaftlichen Depression in den dreißiger Jahren. Auch der Kauf von Safeway sorgte zunächst für hitzige öffentliche Debatten, weil KKR kurz nach dem Erwerb zahlreiche unrentable Filialen der Supermarktkette dichtmachte, später allerdings wieder kräftig expandierte. Das Spiel mit den hohen Schulden war eben stets eines mit ebenso hohem Risiko.

Die Schuldenflut, mit der KKR die erworbenen Unternehmen überschwemmte, war freilich weit mehr als nur eine ausgeklügelte Finanzierungstechnik. Sie hatte vielmehr eine erzieherische Funktion, indem sie dem Management des Unternehmens beibrachte, oben zu schwimmen. Doch nicht nur das Fremdkapital, sondern auch das weitaus geringere Eigenkapital trug zu dem Erfolg der anfangs in der Finanz- und Unternehmenswelt skeptisch beäugten LBOs bei. Denn üblicherweise beteiligte KKR die Führungsspitze des sich einverleibten Unternehmens mit 10 bis 20 Prozent am Eigenkapital. Dadurch saßen Management und Investor im selben Boot. Beide hatten im Erfolgsfall sehr viel zu gewinnen – und ebenso viel zu verlieren, wenn es schiefging. Als weiteres Kennzeichen des LBOs kam eine strikte Kontrolle des Managements durch die Aufsichtsratsmitglieder hinzu. Anders als der deutsche Zweiklang aus Aufsichtsrat und Vorstand sitzen die Vorstände und deren Kontrolleure in amerikanischen Unternehmen in demselben Gremium, dem „Board”. KKR besetzte die Kontrollmitglieder des Boards stets mit eigenen Leuten, um einen fortlaufenden Dialog mit dem Management zu gewährleisten. Anders als die Aktionäre an der Börse achteten die Beteiligungsmanager aber nicht auf Erfolge im Quartalsrhythmus. Das Ziel war vielmehr, den Wert des Unternehmens in einigen Jahren – im Schnitt behielt KKR in dieser Zeit die Unternehmen mehr als sechs Jahre – zu steigern. Auf dem Weg dahin nahm der Investor durchaus zeitweilige Verluste in Kauf.

Das Prinzip des LBOs ist also relativ simpel: Kaufe unterbewertete oder schlecht geführte Unternehmen mit möglichst wenig Eigenkapital und so viel Fremdkapital, wie für das Zielobjekt gerade noch tragbar ist. Lade den Schuldenberg, mit dem der Kaufpreis finanziert wurde, auf das Unternehmen ab. Beteilige die Führungsspitze und sporne sie dadurch zu Höchstleistungen an. Kontrolliere dessen Fortschritte durch einen engen Dialog im Board des Unternehmens. Wenn der Schuldenberg größtenteils oder gänzlich abgetragen und der Wert des Unternehmens deutlich gestiegen ist, dann verkaufe es schlussendlich mit hohem Gewinn auf das eingesetzte Eigenkapital an einen Wettbewerber, die Börse oder einen anderen Finanzinvestor.

Nicht eindeutig geklärt ist zwar, ob Kravis und seine Kollegen die Erfinder der LBOs waren. Doch eines ist unumstritten: Kravis hat dieses Geschäftsmodell perfektioniert und in neue Größenordnungen gebracht. Doch den nochmals größeren Schritt nach vorne konnte Kravis erst Mitte der achtziger Jahre mithilfe eines anderen, ebenfalls jungen und wilden Finanzakrobaten gehen: Die Schrottanleihen des jungen Investmentbankers Michael Robert Milken ermöglichten erstmals milliardenschwere LBOs. Doch das süße Gift, das Milken verteilte, brachte die Private-Equity-Fonds nicht nur jeden Tag höher hinaus, sondern auch dem Abgrund immer näher.

Der Prediger der Habgier

Die Zeiten damals waren wild. An der Wall Street herrschte der Wilde Westen; eine Menge Raubritter und Spekulanten waren unterwegs und versuchten ihr Glück als Käufer von Unternehmen. Statt der Heuschrecke wird diese unstete Zeit durch ein extrem kaltblütiges Säugetier verkörpert: eine Echse, die sich im Namen von Gordon Gekko wiederfindet. „Habgier ist gesund. Habgier hält das System in Schwung”, sagt Gekko alias Michael Douglas in Oliver Stones Film „Wall Street“ von 1987. Douglas mimt den Prototyp des eiskalten Spekulanten, der große Konzerne billig kauft, um die Einzelteile zu Lasten der Mitarbeiter gewinnbringend wieder abzustoßen. Das Hollywood-Epos avanciert zu einem Sittengemälde und Kultfilm jener Zeit; für junge Investmentbanker an der Wall Street wird Gekko zum Sinnbild ihrer Karriereträume, für Gegner des „ungezügelten Kapitalismus“ zum fiktionalen Stellvertreter ihrer realen Hassobjekte.

Der Zocker mit dem Namen einer Echsenart hat reale Vorbilder: In den wilden achtziger Jahren griffen tatsächlich „Corporate Raider“ – was ins Deutsche übersetzt Firmenausplünderer heißen würde – wie Carl Icahn, Ronald Perelman oder Kirk Kerkorian in den Vereinigten Staaten und Großbritannien nach großen Konglomeraten, um sie anschließend zu filetieren und die einzelnen Teile mit Millionengewinnen zu verkaufen. Beispielsweise kaufte der legendäre britische Finanzinvestor James Michael Goldsmith den Holz- und Papierkonzern Diamond International. Er hatte nämlich erkannt, dass der Konzern riesige Wälder sein Eigen nannte. Der Wert dieser Wälder schlummerte unentdeckt in der Bilanz und spiegelte sich nicht im Börsenwert des Unternehmens. Der für seine „Verdienste um Export und Ökologie“ 1976 zum Ritter geschlagene Goldsmith erzielte einen riesigen Gewinn, indem er die Wälder verkaufte und den Rest des Unternehmens zerschlug. Diese Methode wird auch als „Asset Stripping“ bezeichnet, weil als unterbewertet betrachtete Vermögenswerte aus einem Konzern herausgerissen werden.

Auch Beteiligungsgesellschaften wie KKR standen bei diesen rüden Methoden der wilden Anfangsjahre nicht gänzlich abseits. Sie kauften ebenfalls Konglomerate und zerschlugen sie. Nicht ohne Grund gilt Kravis, der einst ein Schulkamerad von Douglas war, als einer der Vorbilder für Stones Hollywoodstreifen. Die Beteiligungsfonds spielten damals ein höchst riskantes, aber im Erfolgsfall extrem lukratives Spiel, wie Kravis freimütig erzählt: „Der Investor griff vor allem nach den „tief hängenden Früchten“ – einfache Kostenkürzungen und der Verkauf von leicht loszuschlagenden Tochtergesellschaften, um die Schulden schnell abzubauen. Damals konnte man ein Unternehmen fast gänzlich auf Pump kaufen, mit einem Verhältnis des Fremdkapitals zu Eigenmitteln von 35 zu 1. Als wir 1986 Safeway für 4,8 Milliarden Dollar erwarben, haben wir nur 132 Millionen Dollar des Preises mit Fondsmitteln bestritten. Dadurch haben wir beim Verkauf nach mehr als zehn Jahren das Fünfzigfache unseres Einsatzes erhalten.”

Ermöglicht wurde das vor allem durch ein neues Finanzprodukt, dem besagter Michael Milken zum Durchbruch verhalf: Die hochverzinslichen „Junk Bonds”, im Deutschen wahlweise Ramsch- oder Schrottanleihen genannt. Diese Anleihen entstanden in der Zeit vor dem Auftauchen des Wall-Street-Revoluzzers Milken immer dann, wenn ein Engel abstürzte – denn „Fallen Angels“ wurden die Anleihen derjenigen Unternehmen genannt, deren wirtschaftliche Perspektiven sich extrem verschlechterten. In diesem Fall gaben ihnen die für die Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit zuständigen Ratingagenturen schlechtere Noten. Rutschte das Rating unter den „Investment Grade”, dann wurden die Anleihen als Schrottanleihen klassifiziert – und die meisten institutionellen Investoren wie Pensionsfonds, Stiftungen und Versicherungen mussten diese Papiere verkaufen, weil gesetzliche Vorschriften und ihre individuellen Anlageregeln dies vorschrieben. Der Name Schrottanleihen rührt daher, dass diese finanziell fußlahmen Unternehmen ein hohes Risiko hatten, in den Konkurs zu rutschen und mitsamt ihrer Anleihen auf dem Schrottplatz zu landen. Den neuen Anleihekäufern wurde das bittere Risiko des Zahlungsausfalls mit einem weitaus niedrigeren Kurs, also Kaufpreis, der Anleihe versüßt.

Nun trat Michael Milken auf den Plan. Seine Idee hatte ihre Wurzeln in den Rassenunruhen, die seit Mitte der sechziger Jahre über amerikanische Großstädte wie Feuerstürme hinwegfegten. Im August 1965 kam es in dem fast zu 100 Prozent von Menschen schwarzer Hautfarbe bewohnten Watts-Viertel von Los Angeles zu einem Aufstand der Massen. An dessen Ende sollten 34 Personen getötet, 4.000 verhaftet und 600 Gebäude beschädigt oder zerstört sein. Als junger Student reiste der aus dem kalifornischen San Fernando Valley stammende Milken trotz besorgter Warnungen des Vaters auf eigene Faust nach Los Angeles, um die Gründe für die wenige Tage davor entbrannten Unruhen herauszufinden. Diese „Watts Riots“ waren noch voll im Gange, als Milken dort ankam. Aufgebrachte afroamerikanische Arbeiter brannten an diesen Tagen ganze Fabriken nieder. Ein unbeteiligter Arbeiter feuerte unter den Augen von Milken den Mob dabei an, seine eigene Arbeitsstätte – und damit seine berufliche Existenz – in Brand zu setzen. Er habe sich stets wie ein Außenseiter in der weißen Gesellschaft gefühlt, erzählte der Arbeiter Milken. Das brennende Fabrikgebäude sei ja nicht seines, sondern gehöre den Weißen. Eine Chance, auf eigene Rechnung Geld zu verdienen, habe er nie gehabt, denn wer gäbe einem Afroamerikaner denn schon einen Kredit? Das war wie ein Erweckungserlebnis für Milken. Fortan beschäftigte er sich mit einer Frage, mit deren Beantwortung er später Millionen scheffeln und die amerikanische Finanzwelt durchschütteln sollte: Warum ist der Zugang zu betriebsnotwendigem Kapital ebenso restriktiv wie diskriminierend? Als er zwei Wochen später an seinen ersten Studienort Berkeley zurückkehrte, sattelte Milken von Mathematik auf Wirtschaft um.

Die amerikanische Wirtschaft hatte in den siebziger Jahren mit den gleichen Problemen zu kämpfen, mit denen sich noch eingangs des 21. Jahrhunderts deutsche Unternehmen herumgeschlagen haben: Nur eine Elite von etwa 800 Unternehmen erhielt über die Anleihemärkte nahezu unbegrenzten Zugang zu Fremdkapital. Der Grund dafür war, dass nur diese Topliga der Firmen von dem Duopol der Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s die Note Investment Grade zugesprochen bekamen. Nur in diese Anleihen durften die amerikanischen Pensionsfonds, Versicherungen und Stiftungen ihre Anlagegelder von damals einer halben Billion Dollar investieren. Die restlichen 95 Prozent der amerikanischen Unternehmen fielen durch das Raster und hingen am Tropf der klassischen Bankhäuser. Sie bekamen nur kurzfristige Kredite, für die sie oft noch einen Aufschlag zahlen mussten, und waren damit dem Risiko schwankender Zinsen ausgesetzt.