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ISBN (Print): 978-3-625-12034-6
ISBN (Epub): 978-3-8155-7799-8

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Die großen Entdecker

Kerstin Viering und Roland Knauer

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Inhalt

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(c) dpa/picture alliance, Frankfurt am Main: S.

Vorwort

Kleine Kinder wollen immer wissen, was sich hinter einer verschlossenen Tür verbirgt. Erwachsene sind da nicht viel anders, nur konzentriert sich ihre Neugier rasch auf andere Objekte als die Zimmertür: Wie sieht die Gegend hinter den Bergen aus, welches Land liegt auf der anderen Seite des Meeres, wo entspringt der Fluss?

Neugier und der Drang, unbekannte Gebiete zu erkunden oder gar zu erobern, das ist aber keineswegs eine Erfindung des Menschen. In der Natur untersuchen viele Organismen immer wieder ihre Umgebung. Junge Bären-Männchen laufen oft Hunderte von Kilometern, wenn es in ihrer Heimat übervölkert ist. Ein solcher Bär wanderte 1972 aus dem Grenzgebiet zwischen den heutigen Ländern Slowenien und Kroatien bis hundert Kilometer vor Wien, um die Lage zu inspizieren. Die entpuppte sich aus Bärensicht als optimal, hatte doch 1966 ein Jahrhundert-Föhnsturm in den nördlichen Kalkalpen in der Nähe des Ötscherberges 2500 Hektar Wald umgemäht. Auf den Kahlflächen standen inzwischen die Himbeeren voll im Saft. Außerdem gab es in der Gegend noch viel Wald, wenig Menschen und etliche Häuschen, aus denen Honigduft drang. Diesem schmackhaften Angebot konnte der Ötscherbär nicht widerstehen, er hatte seine neue Heimat gefunden.

Nicht anders verhalten sich auch menschliche Entdecker. Wirtschaftliche Gründe brachten Portugiesen und Spanier dazu, Wege zu den Gewürzinseln zu suchen. Auf der Strecke erkundeten sie nicht nur die Küsten Afrikas und entdeckten gleich einen kompletten Doppelkontinent, der heute Amerika heißt, sondern sie ließen sich auch dort nieder, wo sie in Zukunft ihren Lebensunterhalt zu verdienen hofften. Behagten ihnen die entdeckten Länder aber nicht oder versprachen sie keinen Profit, wurden sie links liegen gelassen. Der Bär aus Kroatien fand im Süden Österreichs einfach keinen guten Lebensraum, deshalb zog er weiter. Und als die Holländer Australien entdeckten, stießen sie zunächst auf undurchdringlichen Dschungel und später auf ein recht karges Buschland. Da es auch keinerlei Hinweise auf Gold und Edelsteine oder zumindest begehrte Gewürze gab, ignorierten sie den fünften Kontinent zunächst einmal einfach. Und auch die Briten besiedelten Australien mit seinen unwirtlichen Wüsten erst, als sie einen Platz für ihre Sträflinge suchten – und nachdem sie den sehr viel angenehmeren Südosten des Kontinents entdeckt hatten.

Ein Unterschied zwischen menschlichen und tierischen Eroberern aber fällt sofort ins Auge: Findet ein Bär einen guten Lebensraum, in dem bereits ein anderer Bär Honig schleckt, zieht er weiter, weil er gegen den Hausherrn vermutlich den Kürzeren ziehen würde. Menschen versuchen in solchen Fällen dagegen oft, ihre Neuentdeckung zu erobern. Oft scheitern sie dabei genauso wie der junge Bär scheitern würde. In Amerika mussten die meisten der ersten Siedlungen wieder aufgegeben werden, weil die Indianer ihr Land verteidigten. Manchmal aber setzen sich die Neuankömmlinge auch durch, obwohl sie in der Unterzahl sind und objektiv gesehen keine Chance haben. Das passierte in Mittel- und Südamerika sehr rasch, in Nordamerika erst nach einigen gescheiterten Anläufen.

Bisweilen aber machen Menschen sich auch auf, um neue Gebiete aus reiner Neugier zu erkunden. Hinter der Eroberung der Pole jedenfalls standen zunächst einmal keine wirtschaftlichen Gründe und auch der Drang des Menschen in den fernen Weltraum bringt am Anfang keineswegs finanziellen, sondern „nur“ Erkenntnisgewinn. Neugier und Entdeckerdrang liegen den Menschen eben einfach im Blut.

Die Alte Welt

Frühmenschen entdecken die Welt

Die Gattung Homo erobert den Globus

Im Jahr 2007 gruben Mitarbeiter des Nationalmuseums von Georgien in der Nähe der mittelalterlichen Ruinenstadt Dmanisi im äußersten Süden ihres Landes versteinerte Knochen aus. Und bewiesen damit gleichzeitig, dass schon die ersten Menschen sich aufmachten, die Welt zu entdecken. Denn die Knochen sind 1,77 Millionen Jahre alt und stammen von Frühmenschen der Gattung Homo, zu der auch der moderne Mensch Homo sapiens gehört. Die Wiege der Menschheit aber stand in Afrika, die Frühmenschen müssen also ziemlich wanderfreudig gewesen sein.

Prototyp eines Entdeckers

Genau wie eine Mischung aus urtümlichen und modernen Eigenschaften sehen die Knochen aus Dmanisi auch aus. Mit ihren relativ langen Beinen waren die Menschen vor 1,77 Millionen Jahren bereits ähnlich gute Langstreckenläufer wie der moderne Mensch. In den Schädel aber passte mit gerade einmal 0,6 bis 0,8 Litern nur rund die Hälfte eines Homo- sapiens-Gehirns, das zwischen 1,2 und 1,4 Liter Raum beansprucht.

Nicht nur die Beine sehen recht modern aus, auch der Fuß ähnelt dem eines modernen Menschen stark und passt zu einem äußerst effizienten Läufer. Urtümlich wie das kleine Gehirn ist dagegen der eher zierliche Körperbau. Zwischen 145 und 166 Zentimeter waren die georgischen Frühmenschen vor 1,77 Millionen Jahren groß und brachten zwischen vierzig und fünfzig Kilogramm auf die Waage. Ganz offensichtlich waren sie optimal an ausgiebige Wanderungen angepasst, ohne die ein Eroberer in dieser Zeit nicht weit kam. Entdeckungsreisen müssen diesen Frühmenschen im Blut gelegen haben. Denn sie gehören zur Art Homo erectus. Dieser aber entwickelte sich erst kurz vor seinem Auftauchen im Süden des Kaukasus vor vielleicht 1,85 Millionen Jahren im Osten Afrikas.

Schlechte Überlieferung

Nur ganz wenige Überreste von Frühmenschen haben Forscher bisher außerhalb Afrikas gefunden. Ob Homo erectus wirklich nur Asien bis an die Grenzen des Kaukasus und nach China erobert hat, weiß daher niemand. Vielleicht waren die Frühmenschen vor 1,8 Millionen Jahren ja auch schon in Europa, Amerika und Australien, haben dort aber keine Spuren hinterlassen. Oder diese Spuren sind nur noch nicht entdeckt worden. Sicher ist bisher lediglich, dass die Geschichte der Entdecker längst vor den schriftlichen Aufzeichnungen begann. Die Spur der Eroberer verliert sich im Dunkeln der Menschheitsentwicklung.

Während die Überreste älterer Arten der Gattung Homo bisher ausschließlich in Afrika gefunden wurden, entpuppt sich Homo erectus als echter Wanderer: Bereits 80 000 Jahre nach seiner Entstehung taucht er im heutigen Georgien an der Grenze zwischen Asien und Europa auf. Zur gleichen Zeit erreichen seine Verwandten die indonesische Insel Java. Demnach hat Homo erectus ganz im Stil späterer Entdecker offensichtlich bereits erst Grundlagen der Seefahrt beherrscht.

Eroberer haben lange Beine

In den verschiedenen Weltgegenden aber trafen die wanderfreudigen Frühmenschen auf jeweils anderes Klima und meist auch auf andere Nahrung. An diese Gegebenheiten passte die Evolution dann die frühen Entdecker an. Waren zum Beispiel gute Läuferqualitäten gefragt, hatten Menschen mit längeren Beinen und besonders lauffreudigen Füßen einen großen Vorteil und erreichten viel häufiger das fortpflanzungsfähige Alter als ihre Freunde mit kürzeren Beinen. Wenn sich aber meist nur die Individuen mit längeren Beinen fortpflanzen, sterben kurze Beine mit der Zeit aus. Genau das passierte anscheinend in Georgien.

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Fossile des frühen Menschen, wie die aus Dmanisi im Kaukasus, wo insgesamt fünf Schädel des frühen Homo erectus sowie mehrere Unterkiefer ausgegraben wurden, sind selten.

(c) dpa/picture alliance, Frankfurt am Main

Russland wird entdeckt

Der moderne Mensch erreicht Europa

Ein Stück Elfenbein, aus dem ein Künstler anscheinend einen Kopf schnitzen wollte, einige Sticheln und Speerspitzen aus Stein, Nadeln aus Tierknochen – das sind die ältesten Spuren, die moderne Menschen in Europa hinterlassen haben. Die am Mittellauf des Don rund vierhundert Kilometer südlich von Moskau am Anfang des 21. Jahrhunderts entdeckten Kleinigkeiten sind nämlich nicht nur Utensilien von Steinzeitmenschen, sondern lagen auch 42 000 bis 45 000 Jahre in den Uferterrassen des Flusses begraben.

Vulkanasche über die Utensilien der ersten Europäer

So alte Spuren des modernen Menschen Homo sapiens aber wurden bisher nirgends in Europa gefunden. Gleich über den Utensilien lag außerdem eine Ascheschicht, die ein Vulkanausbruch vor rund 40 000 Jahren über weite Teile Süd- und Osteuropas ausbreitete. Alles unter dieser Asche sollte also älter sein.

Solche Altersbestimmungen funktionieren aber nur auf wenige tausend Jahre genau. Moderne Menschen der Art Homo sapiens könnten also Osteuropa und den Westen der Alten Welt ungefähr gleichzeitig entdeckt haben. Knapp 40 000 Jahre sind zum Beispiel die ältesten Homo-sapiens-Steinwerkzeuge alt, die im Boden des heutigen Österreich gefunden wurden. Und vor etwa 36 000 Jahren starb ein moderner Mensch, dessen Überreste im heutigen Rumänien gefunden wurden.

Die Welt wird entdeckt

Entstanden ist der erste moderne Mensch Homo sapiens allerdings schon vor knapp 200 000 Jahren in den Savannen im östlichen Afrika. Knochenfunde aber sind spärlich, die Entdecker-Geschichte von Homo sapiens bleibt weitgehend im Dunkeln. Vor ungefähr 120 000 Jahren jedenfalls tauchten die ersten modernen Menschen im heutigen Israel auf. Damals hatten sich die Gletscher der vorletzten Eiszeit noch weiter als heute zurück gezogen, die Temperaturen lagen ein wenig höher und in Mitteleuropa tummelten sich Flusspferde. Nach wenigen Tausend Jahren aber kam die Eiszeit zurück und beendete wohl auch das Intermezzo des Homo sapiens im Nahen Osten. Vor 50 000 oder 60 000 Jahren aber verließ Homo sapiens erneut die Wiege seiner Art in Ostafrika. Diesmal klappte die Entdeckungsreise erheblich besser, bis nach Südostasien kamen die modernen Menschen damals. Sogar in Australien hinterließ Homo sapiens seine ersten Spuren bereits vor ungefähr 44 000 bis 48 000 Jahren.

Die Entdeckung Südafrikas

Auch in den Süden Afrikas wanderten die Menschen damals ein, beweist ein bereits 1952 in der Stadt Hofmeyr in der südafrikanischen Provinz Ostkap gefundener Schädel. Ungefähr 36 000 Jahre ist dieser Schädel alt, der dem Homo-sapiens-Fund in Rumänien stark ähnelt. Die Entdecker Südafrikas und Europas stammten daher wohl aus der gleichen Gegend in Ostafrika.

Als Homo sapiens aber vom heutigen Djibouti in Afrika aus auf die Arabische Halbinsel übersetzte, kam der Vormarsch nach Europa und Zentralasien erst einmal im westlichen Asien für fünf- oder zehntausend Jahre ins Stocken. Erst als die Eiszeit eine kleine Pause machte, brachen vor rund 45 000 Jahren die Menschen von dort in das südliche Sibirien auf und erreichten die auch damals eisfreien arktischen Gebiete Sibiriens vor 30 000 Jahren. Wohl gleichzeitig begann auch der lange Marsch von Homo sapiens aus dem Zwischenstopp im westlichen Asien in die Mittelmeerregion und in den Süden und Westen Europas. Den Osten Europas aber erreichten unsere Vorfahren wohl eher über den Kaukasus oder die Küste des Schwarzen Meers.

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Menschliche Schädel aus verschiedenen Jahrtausenden: Ganz links handelt es sich um einen etwa 45 000 Jahre alten Neandertaler aus der israelischen Amud-Höhle; in der Mitte ein 35 000 Jahre alter Homo sapiens aus Pesteracu Oase (Rumänien); rechts ein etwa 30 000 Jahre alter Homo sapiens aus Combe Capelle (Frankreich).

(c) dpa/picture alliance, Frankfurt am Main

Was sie tatsächlich fanden, bleibt im Dunkeln

Entdecker der Antike

Die Wiege der Menschheit stand zwar in Afrika. Aber genau wie einzelne Menschen sich an ihre ersten Lebensjahre kaum erinnern können, vergaßen auch die Eroberer der neuen Welten Australien, Asien, Amerika und Europa ihren Ursprung. Nach und nach entdeckten sie dann diese „verlorenen“ Welten wieder und stellten fast immer fest, dass dort schon Menschen lebten..

Hanno der Seefahrer

Die meisten dieser ersten Entdecker waren ihren Zeitgenossen zwar vermutlich gut bekannt. Ihre Namen und Entdeckungen aber blieben der Nachwelt nur dann erhalten, wenn sie in einer Schrift festgehalten wurden, die auch heute noch verstanden wird. Die allermeisten dieser Entdecker verschwinden daher aus heutiger Sicht im Dunkel der Geschichte. Hanno der Seefahrer († um 440 v. Chr.) entging dem gleichen Schicksal nur, weil sein Fahrtenbericht vermutlich vierzig Jahre nach seinem Tod von der punischen Originalversion ins Griechische übersetzt wurde. Mit vielen Schiffen und Menschen brach Hanno seinerzeit aus Karthago auf, segelte durch die Säulen des Herakles, wie die Straße von Gibraltar damals hieß und folgte dann der Atlantikküste Afrikas nach Süden.

Einige der dort entdeckten Flüsse, Berge und Völker lassen sich inzwischen gut identifizieren und bestätigen damit, dass Hanno tatsächlich weit nach Süden vorgedrungen war. Mit Sicherheit erreichte er die Flüsse Senegal und Gambia, noch weiter im Süden berichtet er von einem hohen Berg, in dessen Mitte „ein steil aufsteigendes Feuer“ Entsetzen unter der Mannschaft verbreitete. Um einen der Vulkane der Kanarischen Inseln dürfte es sich bei diesem feuerspeienden Berg kaum gehandelt haben, weil diese Inseln in Karthago damals längst bekannt waren und daher kaum erwähnenswert gewesen wären. Als einziger aktiver Vulkan kommt daher nur der Kamerunberg in Betracht, der mit mehr als 4000 Metern Höhe der größte Berg Westafrikas ist und den man vom Meer aus gut sieht. Dort aber lebten nicht die normalen Libyer, wie die hellhäutigen Nordafrikaner damals genannt wurden, sondern Menschen mit dunkler Hautfarbe, die Hanno „Aithiopen“ nannte.

Goldenes Land

Auch die Ägypter trieb die Suche nach Gold auf legendäre Expeditionen. Bereits vor 4000 Jahren reiste Henenu in das sagenhafte Goldland Punt, das wohl im Gebiet des heutigen Somalia lag. Von dort importierten die Ägypter nicht nur Gold, sondern auch Weihrauch, Ebenholz und Elfenbein.

Der Grund der Expedition war übrigens der gleiche wie bei vielen Expeditionen später: Hanno wollte Handel treiben, vor allem das südlich der Sahara abgebaute Gold war damals wie auch später heiß begehrt.

Der erste Forschungsreisende

Nicht viel später als Hanno war Herodot (484– 425 v. Chr.) unterwegs, der als erster wissenschaftlicher Forschungsreisender gilt. Der Grieche bereiste nicht nur die gesamte damals bekannte Welt, sondern zeichnete auch eine Karte, die teilweise recht gut mit heutigen Landkarten übereinstimmt. Der Süden Europas und der Norden Afrikas finden sich dort recht detailgetreu wieder, aber auch das Schwarze Meer, Kaukasus, Kaspisches Meer und die Arabische Halbinsel sind hervorragend abgebildet. Nur beim Nil ist Herodot ein gravierender Fehler unterlaufen: Statt im Herzen Afrikas entspringt der Fluss ganz im Nordwesten im Atlasgebirge und fließt von dort nach Osten, um schließlich wieder nach Norden zum Mittelmeer hin abzubiegen. Vermutlich kannte er den Niger in Westafrika und hielt diesen für den Oberlauf des Nil.

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Herodot von Halikarnassos, Histograph, Geograph und Völkerkundler, fertigte bereits im 5. Jh. v. Chr eine Weltkarte an, die teils gut mit heutigen Karten übereinstimmt. „Die Erde nach Herodot“, kolorierter Holzstich, 1867.

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120 000 Kilometer unterwegs

Die „Rihla“ des Ibn Battuta (Mitte 14. Jh.)

Ihre Welt war ihnen zu klein. Etliche fernwehgeplagte Araber bestiegen im Mittelalter Schiffe, Pferde und Kamele und machten sich auf, exotische Landstriche zu erkunden. Sie reisten nach Indien und Ostafrika, an die Wolga und nach China – immer auf der Suche nach lukrativen Handelswaren und interessanten Kulturen. Und wenn man sich bei der Gelegenheit auch noch einen Namen als Verfasser von spannenden Reiseberichten machen konnte, umso besser.

Arabisches Fernweh

Einer der Stars der damaligen Weltenbummler war der in Marokko geborene Abu Abdullah Muhammad Ibn Battuta (1304–1368/77), den das Reisefieber schon mit 20 Jahren gepackt hatte. Seine erste Unternehmung war allerdings ganz klassischer Art: Er ging auf die für Moslems traditionelle Pilgerfahrt nach Mekka. Damit aber war er auf den Geschmack gekommen. Er reiste quer durch die muslimische Welt und darüber hinaus, besuchte Mesopotamien und die Seidenstraße, Afrika und Indien, Konstantinopel und die Krim, die Malediven und China. Insgesamt soll er in seinem Leben mehr als 120 000 Kilometer zurückgelegt haben.

Ganz ohne Dramatik ging das nicht ab. Unterwegs wurde er etliche Male von Banditen und Piraten überfallen. Mal rettete er sich mit knapper Not von einem sinkenden Schiff, mal wäre er um ein Haar von einem tyrannischen Herrscher geköpft worden. Und so nebenbei heiratete er mehrfach, hatte zahlreiche Geliebte und zeugte etliche Kinder.

Als er 1326 nach Kairo kam, hatte die Stadt vor allem ein Gesprächsthema: Den sagenhaften Reichtum des Königreiches Mali in Westafrika. Der malische König Mansa Musa war zwei Jahre zuvor auf einer Pilgerreise durch Ägypten gekommen und hatte mit seinem Gold, seinem prunkvollen Gefolge und seinen freigiebig verteilten Spenden einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ibn Battuta beschloss, das Land der sagenhaften Goldreichtümer eines Tages selbst zu besuchen.

Durch die Sahara

Im Herbst 1351 war es soweit, er verließ die marokkanische Stadt Fez Richtung Mali. Vor ihm lag eine Reise durch eine der gnadenlosesten und gefährlichsten Landschaften der Welt: Mit einer Kamelkarawane machte er sich im Februar 1352 daran, die Sahara zu durchqueren. Nach einem knappen Monat Strapazen erreichten die Männer die Stadt Taghaza, ein bedeutendes Zentrum des damaligen Salzhandels. Ibn Battuta konnte dem Ort allerdings kaum etwas abgewinnen. „Es gibt nichts Gutes über dieses Dorf zu sagen“, schrieb er später. „Es ist der Fliegen-verseuchteste Ort überhaupt“. So ging es bereits nach zehn Tagen weiter durch den nun folgenden trockensten Teil der Wüste. Ibn Battuta machte sich Sorgen: Würden sie genug Wasser finden, kannten die Führer auch den richtigen Weg oder würden sie alle den „Dämonen, die durch diese Wüstenei spukten“ zum Opfer fallen?

Trotz aller Zweifel kam die Karawane wohlbehalten in Mali an. Acht Monate blieb der marokkanische Reisende im Land und erkundete dort verschiedene Regionen, bevor er 1353 wieder nach Marokko zurückkehrte. Ibn Battutas letzte große Fahrt war zu Ende.

Wahrheit und Legende

Seine Erinnerungen veröffentlichte Ibn Battuta unter dem Titel „Rihla“ (Reise). Das Werk erregte unter seinen Zeitgenossen wenig Aufsehen, wurde aber im 19. Jahrhundert wiederentdeckt und in mehrere Sprachen übersetzt. Allerdings darf man wohl nicht alle Schilderungen in diesem Buch für bare Münze nehmen. Welche Teile der Berichte den Tatsachen entsprechen und welche der Fantasie des Autors entsprungen sind, ist schwer zu sagen.

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Ein Star unter den Reisenden und Entdeckern seiner Zeit war Ibn Battuta, hier zu Pferd vor einer Karte, die seine Reiseroute nachzeichnen soll.

(c) Interfoto, München

Sindbad im Original

Die Reisen des Zheng He (1405–1433)

Wer je die orientalischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht gelesen hat, wird sich an Sindbad den Seefahrer erinnern. Sieben Reisen voller fantastischer Abenteuer soll der Held auf den Meeren der Welt erlebt haben. Es gibt verschiedene Theorien darüber, wie diese Geschichte entstanden ist. Manche Experten vermuten, man habe einfach die Erlebnisse verschiedener Seefahrer kombiniert und mit allerlei Seemannsgarn verwoben. Andere aber glauben, dass Sindbad durchaus ein historisches Vorbild hatte. Infrage kommt dafür der chinesische Admiral Zheng He (1371-1433/35), der zwischen 1405 und 1433 sieben große Entdeckungsreisen in den Pazifik und den Indischen Ozean unternahm. Der Moslem trug verschiedene Beinamen, darunter auch „San Bao“ („Drei Juwelen“). Daraus könnte im arabischen Raum leicht „Sindbad“ geworden sein.

Reisen für den Ruhm

Unbestritten ist jedenfalls, dass es der Chinese zu einem der wichtigsten Seefahrer seiner Zeit brachte. Und er operierte dabei in ganz anderen Größenordnungen als die berühmten europäischen Entdeckungsreisenden des 15. und 16. Jahrhunderts. Während Kolumbus, Vasco da Gama und Magellan mit höchstens einer Handvoll Schiffe in See stachen, hatte Zheng He schon bei seiner ersten Reise 62 Schiffe und 27 800 Mann Besatzung unter seinem Kommando. Schließlich war es ein erklärtes Ziel der Reise, die Macht und den Ruhm der chinesischen Ming-Dynastie zu demonstrieren und von den „Barbaren jenseits des Meeres“ Tribut zu fordern. Da musste man schon eine beeindruckende Flotte zusammen stellen.

Doch auch dem Handel gedachte man sich zu widmen, schließlich waren bereits frühere chinesische Entdeckungsreisende auf dem Landweg nach Indien vorgestoßen. Man wusste also, dass es dort lohnende Handelswaren wie Gewürze gab. Daher waren auch zahlreiche Kaufleute mit von der Partie, als Zheng He 1405 mit seiner ersten Flotte über Vietnam, Java, Malakka und Sri Lanka nach Indien steuerte.

Die Ozeanriesen des 15. Jahrhunderts

In dieser Flotte segelten sogenannte Schatzschiffe mit, die wohl zu den größten je gebauten Holzschiffen gehörten. 120 Meter lang und 50 Meter breit sollen sie gewesen sein, behaupten alte chinesische Chroniken. Auch wenn manche heutigen Forscher das für übertrieben halten, waren die schwimmenden Kolosse sicherlich ein imposanter Anblick. Kolumbus’ berühmtes Flaggschiff Santa Maria, das wohl um die 25 Meter lang gewesen ist, hätte sich daneben wie ein Zwerg ausgenommen. Außer diesen Ozeanriesen befehligte Zheng He auch Kriegsschiffe und Pferdetransporter, Wassertanker und Versorgungsschiffe. Mit ähnlichen Flotten bereiste der Chinese später nicht nur Asien, sondern erkundete auch die Seerouten nach Arabien und Ostafrika. So segelte er mehrfach durch den persischen Golf bis an die Ostküste Afrikas. Auf dieser Strecke machten die „Schatzschiffe“ ihrem Namen alle Ehre. Denn auf der Rückfahrt waren sie mit Perlen, Edelsteinen und anderen Kostbarkeiten beladen. Und auch eine nie gesehene Kuriosität mit langem Hals und geflecktem Fell kam auf einem von Zheng Hes Schiffen nach China: Von einer seiner Afrika-Reisen brachte er eine Giraffe mit.

Keime für die Gesundheit

Auf Zheng Hes Reisen fuhren auch schwimmende Gärtnereien mit. Auf einigen Versorgungsschiffen wurden Mungobohnen-Keime herangezogen. Diese Maßnahme bewahrte die Besatzung vor einer der gefürchtetsten Geißeln der damaligen Seefahrt: Die frische Nahrungsergänzung beugte der gefährlichen Vitaminmangel-Krankheit Skorbut vor.

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Der fast fertiggestellte Nachbau von Zheng Hes prächtigem und ruhmvollen Flagschiff, mit dem er sich Anfang des 15. Jahrhunderts auf seine erste Entdeckungsreise begab.

(c) dpa/picture alliance, Frankfurt am Main

Abenteuer zwischen Ost und West

Unterwegs auf der Seidenstraße

Die Route ist 6000 Kilometer lang und alles andere als bequem. Wer sie bereist, muss sich durch wasserlose Wüsten quälen und auf eisigen, steilen Pässen die höchsten Gebirgsketten der Erde überwinden. Im Sommer hat er mit glühender Hitze zu kämpfen, im Winter mit klirrender Kälte. Und ständig droht der nächste Sandsturm. Doch trotz aller Widrigkeiten war die Seidenstraße Jahrhunderte lang eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt.

Das Netz aus Karawanenwegen verband Europa und den Mittelmeerraum mit Ostasien. Seide und Porzellan, Gewürze, Parfüm und Tee reisten auf dem Rücken von Pferden und Kamelen von China nach Westen, in der Gegenrichtung transportierten die Packtiere dann zum Beispiel Gold, Silber und Edelsteine.

Gefährliche Gesandtschaft

Schon früh weckte die lukrative Handelsverbindung zwischen Ost und West das Interesse von Herrschern und Händlern. So schickte der chinesische Kaiser Wu schon im Jahr 138 v. Chr. einen Gesandten nach Westen, um endlich verlässliche Informationen über die Völker Zentralasiens zu sammeln. Eine leichte Aufgabe sollte das für Zhang Qian (195–114 v.Chr.) nicht werden. Denn gleich zu Beginn seiner Reise geriet er ernstlich in Schwierigkeiten.

Eigentlich hätte er ein Bündnis mit dem Volk der Yuezhi im heutigen Tadschikistan aushandeln sollen. Doch unterwegs wurde er von einem anderen Stamm namens Xiongnu gefangen genommen. Zehn Jahre sollte sein unfreiwilliger Aufenthalt dauern – der allerdings wohl nicht nur unangenehme Seiten hatte. Der Chinese heiratete eine der Xiongnu-Frauen und gewann im Laufe der Zeit auch das Vertrauen des örtlichen Herrschers. Dadurch konnte er seine Reise schließlich doch noch fortsetzen. Er bleib ein Jahr bei den Yuezhi, studierte ihre Kultur und machte akribische Aufzeichnungen. Zurück in China berichtete er dem Kaiser von durchaus zivilisierten Menschen dort im Westen, mit denen sich womöglich ein lukrativer Handel aufziehen ließe. Mit dieser Idee stieß der Pionier durchaus auf offene Ohren. In der Folge machten sich viele weitere chinesische Gesandtschaften auf den Weg Richtung Westen. Die Seidenstraße war entstanden.

Ideen auf Reisen

Auf der Seidenstraße reisten nicht nur Gesandte, Händler und Waren, sondern auch Ideen und Glaubensvorstellungen. Der Buddhismus zum Beispiel gelangte auf diesem Weg von Indien nach China. Und etliche seiner Anhänger machten sich in umgekehrter Richtung auf den Weg, um diese Religion in ihrem Ursprungsland zu studieren.

Neuer Name für einen alten Weg

Ihren Namen bekam die uralte Handelsroute allerdings erst im 19. Jahrhundert vom deutschen Geografen und Forschungsreisenden Ferdinand Freiherr von Richthofen (1833–1905). Zu dieser Zeit hatte die Karawanenroute ihre Bedeutung für den Handel längst verloren, statt der Packtiere transportierten Schiffe die Waren zwischen Ost und West. Für europäische Wissenschaftler aber hatte die geheimnisvolle Welt im fernen Osten nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Von Richthofen erkundete zwischen 1868 und 1872 systematisch 13 der 18 chinesischen Provinzen. Es gab kaum etwas, wofür er sich nicht interessierte. Die Gesteine und Landschaftsformen begeisterten ihn ebenso wie die Pflanzen und Tiere. Und er versuchte, so viele Informationen über Kultur und Wirtschaft der dortigen Menschen zusammen zu tragen, wie nur möglich. Alle diese einzelnen Mosaiksteine fügte er zu einem umfassenden Bild von dem Riesenreich im Fernen Osten zusammen – nie zuvor hatten Europäer so viel Fundiertes über China erfahren.

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Bis zur Öffnung des Seewegs nach Indien Ende des 15. Jahrhunderts blieb der Karawanenweg die einzige Route, auf der Waren zwischen Ost und West ausgetauscht werden konnten. Kamelkarawane in der chinesischen Provinz Xinjiang, hier verlief einst der größte Teil der östlichen Seidenstraße.

(c) dpa/picture alliance, Frankfurt am Main

Entdecker oder Hochstapler?

Marco Polos chinesische Reise (um 1274–1295)

Seit Marco Polo (um 1254–1324) am Ende des 13. Jahrhunderts nahezu ein Vierteljahrhundert lang das sagenhafte China mit seinen Gewürzen, Edelsteinen und Geheimnissen erkundete, ist er der wohl legendärste Entdecker der alten Welt. Ob diese fantastische Reise aber jemals stattgefunden hat, bezweifeln viele Forscher: Vielleicht hatte Marco Polo nur in den arabischen Ländern oder in Persien die Geschichten anderer Reisender gesammelt und aufgeschrieben und am Ende als seine eigenen Erlebnisse wiedergegeben?

Der Präfekt des Kublai Khan

Seinen eigenen Angaben nach will Marco Polo von Persien aus über Afghanistan im Jahr 1274 den äußersten Westen des heutigen China erreicht haben. Während Europa vor den Horden der Mongolen zitterte, ließ Marco Polo sich in Schangdu in unmittelbarer Nähe der Sommerresidenz des Mongolenherrschers Kublai Khan nieder, der gleichzeitig Kaiser von China war. Der ließ die fremden Europäer nicht nur unbehelligt, sondern ernannte Marco Polo schließlich sogar zum Präfekten. Als solcher aber bereiste der Mann aus Venedig einige Jahre lang China und berichtete nach seiner Rückkehr den staunenden Europäern von vielen fremden Dingen aus dem fernen „Reich der Mitte“.

Nicht nur seinen Zeitgenossen, sondern vor allem auch heutigen Forschern kommt einiges in diesen Reiseberichten seltsam vor. Da berichtet Marco Polo zum Beispiel ausführlich über die südwestlich des Pekinger Stadtkerns den Yongding-Fluss überspannende „Schilfrohrgossenbrücke“ mit ihren 27 Bögen. Diese 235 Meter lange Steinbrücke gibt es wirklich, sie wird oft sogar Marco-Polo-Brücke genannt. 27 Brückenbögen aber hatte das Bauwerk nie, sondern immer nur elf.

Wieso fehlt das Feuerwerk und der Buchdruck?

Eine ganze Reihe von chinesischen Besonderheiten fehlen in den Reiseberichten von Marco Polo völlig, obwohl sie ein Mann, der viele Jahre durch China gereist sein will, kaum übersehen konnte: Obwohl damals bereits große Teile der mehrere tausend Kilometer langen chinesischen Mauer standen, erwähnt der Venezianer sie mit keinem Wort. Auch viele Unterschiede zwischen der chinesischen und europäischen Kultur unterschlägt Marco Polo. Mit keinem Wort erwähnt er den damals in China weit verbreiteten Buchdruck, während die Europäer Marco Polos Reiseberichte noch mühselig mit dem Gänsekiel abschrieben. Sollte dem schreibfreudigen Marco Polo diese Kunst etwa verborgen geblieben sein? Auch die chinesischen Schriftzeichen erwähnt der Venezianer mit keinem Wort.

Das größte Land aller Zeiten

Das Mongolenreich war zur Zeit Marco Polos der Staat mit der größten Fläche, den die Erde je gesehen hat. Vom Chinesischen Meer bis an die Grenzen Mitteleuropas reichte das Herrschaftsgebiet des Kublai Khan.

Genauso sollte er auch das für Feuerwerk und beim Militär verwendete Schwarzpulver bemerkt haben und wird wohl selbst auch mit den typischen Ess-Stäbchen seine Mahlzeiten zu sich genommen haben. Auch dazu aber findet sich kein einziger Hinweis in seinen Reiseberichten. Über Tempel und Rituale der Mönche in China schreibt Marco Polo zwar einiges, dass es aber in China damals mit dem Buddhismus und dem Taoismus zwei große Religionen gab, scheint ihm entgangen zu sein.

Viele Forscher meinen, so viele Fehler sollten einem Reisenden nach beinahe zwei Jahrzehnten in China nicht unterlaufen. Und sie weisen vor allem darauf hin, dass Marco Polo zwar viel über China schreibt, sein Name aber in den gut erhaltenen chinesischen Schriften aus dieser Zeit nicht einmal auftaucht.

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Marco Polos Reiseberichte wurden zu einem der meistgelesenen Bücher des Mittelalters. Die Illustration aus dem „Katalanischen Atlas“ (um 1375) zeigt ihn unterwegs mit einer Karawane.

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Durch Hochland und Wüste

Nikolai Przewalskis Expeditionen in Zentralasien (1870–1888)

Das Innere Asiens gehört zu den trockensten Regionen auf unserem Planeten. Endlose Wüsten aus Sand und Kies, verkrustete Salzseen und über Hunderte von Kilometern kein Wasser für Reisende und ihre Tiere. Kein Wunder, dass die Landkarte dieser unwirtlichen Regionen noch im 19. Jahrhundert etliche weiße Flecken aufwies.

Eine waghalsige Expedition

Dennoch hatte der russische Forschungsreisende Nikolai Przewalski (1839–1888) gleich für seine erste große Zentralasien-Expedition ehrgeizige Pläne: Von der Stadt Kjachta an der russisch-mongolischen Grenze aus wollte der Armeeoffizier zunächst nach Peking und zum Oberlauf des Gelben Flusses, um dann die Wüste Gobi zu durchqueren und den riesigen Salzsee Kuku Nor zu erreichen. Dann sollte es weiter zum Jangtse und schließlich zurück nach Kjachta gehen. 1870 machte sich die kleine Gruppe von vier Männern, zwei Pferden und acht Kamelen auf den Weg, im Gepäck zahlreiche Waffen und eine Reisekasse mit 2500 Rubeln.

Doch schon auf der Reise entlang des Gelben Flusses gab es Probleme. Die örtliche Bevölkerung zeigte sich alles andere als hilfsbereit. Zudem waren die Karten unzuverlässig, so dass sich die Männer mehrfach verirrten. Und so dauerte es deutlich länger als geplant, bis sie schließlich die Wüste Alashan am Südrand der Gobi erreichten.

Kilometer um Kilometer kämpften sich Przewalski und seine Begleiter durch diese unendliche Sandlandschaft, die Strapazen zehrten an Kräften und Nerven. Als die Gruppe die Stadt Bayanhot in der Inneren Mongolei endlich erreichte, war es mittlerweile Oktober geworden, der strenge Winter stand bevor. Keine Chance, das nächste Ziel Kuku Nor noch in diesem Jahr zu erreichen. Den Männern blieb nichts anderes übrig, als nach Peking zurück zu kehren.

Feindliche Natur

Doch kaum neigte sich der Winter dem Ende zu, unternahm Przewalski einen neuen Versuch. Diesmal schaffte er es bis zum Kuku Nor und reiste dann weiter nach Westen zu den riesigen Salzsümpfen des Tsaidambeckens. Das nächste Ziel war das tibetanische Hochland mit der verbotenen Stadt Lhasa. Doch wieder empfand Przewalski die raue Natur als Gegner: „Das Land sperrt sich gegen Eindringlinge wie eine ungeheure, von Zyklopenmauern umgebene Festung.“ Trotzdem kämpften sich die Männer weiter voran. Der Proviant wurde knapp, die Luft dünn. Das Geld ging aus, die Lasttiere waren am Rand der Erschöpfung und der Frost des hereingebrochenen Winters drang unbarmherzig durch die verschlissene Kleidung der Reisenden. Und Lhasa war noch 900 Kilometer entfernt. Enttäuscht machte sich die Gruppe auf den Rückweg.

Der russische Gesandte in Peking schickte ihnen Geld entgegen, so dass die Männer nicht zurück nach Peking reisen mussten. Statt dessen schlugen sie den direkten Weg zu ihrem Ausgangspunkt Kjachta ein, der mitten durch die zentrale Wüste Gobi führte. Przewalskis Hund Jucha verdurstete unterwegs und die zweibeinigen Reisenden hätte um ein Haar das gleiche Schicksal ereilt. Doch nach drei Jahren und 11 800 Kilometern Weg erreichten die Männer schließlich unendlich erleichtert das heutige Ulanbaatar, die Hauptstadt der Mongolei. Die Landkarte Zentralasiens hatte ein paar weiße Flecken weniger.

Der Pferde-Pate

Nikolai Przewalski ist nicht nur für seine vier Reisen durch Zentralasien bekannt. Er entdeckte auch mehrere Tierarten wie das Wildkamel und das asiatische Wildpferd. Letzteres bekam ihm zu Ehren den Namen „Przewalski-Pferd“.

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„Die grenzenlose Öde erfüllt den Menschen, der sich hier verirrt, mit Grauen“ schrieb Nikolai Przewalski beim Durchqueren der Wüste Gobi in sein Tagebuch. Und es gibt tatsächlich kaum einen lebensfeindlicher Ort als die fünftgrößte Wüste der Erde in der heutigen Mongolischen Republik.

(c) dpa/picture alliance, Frankfurt am Main

Ins Herz Asiens

Sven Hedin erforscht Wüsten und Gebirge, Flüsse und Seen (1893–1935)

Am 24. April 1880 lief das Schiff Vega in den Stockholmer Hafen ein. An Bord war der schwedische Polarforscher Adolf Erik Nordenskiöld, der gerade zum ersten Mal die gefährliche Nordostpassage im Nordpolarmeer bezwungen hatte. Zahllose Schaulustige am Ufer jubelten ihm zu – und inmitten der Menge stand ein 15-Jähriger, den die triumphale Ankunft tief bewegte. Von dem Moment an stand für Sven Hedin (1865–1952) fest: „So will ich einst heimkommen.“

Zwischen Gipfeln und Wüste

Tatsächlich gelang es dem Schweden, sich mit vier waghalsigen Expeditionen nach Zentralasien einen Namen als Forschungsreisender zu machen. Am 16. Oktober 1893 brach er zur ersten dieser Unternehmungen auf. Über Sankt Petersburg und die usbekische Hauptstadt Taschkent reiste er zunächst zum Pamir-Hochgebirge. Die gewaltigen Gipfel zogen ihn magisch an. Mehrfach versuchte er, den als „Vater der Eisberge“ bekannten Muztagata zu besteigen. Doch der 7546 Meter hohe Riese ließ sich nicht bezwingen. Hedin und seine Begleiter litten an Höhenkrankheit und selbst die als Lasttiere mitgebrachten Yaks verweigerten schließlich den Dienst. Enttäuscht blies der Schwede das Unternehmen ab.

Doch schon im April 1895 brach er zu einer noch riskanteren Tour auf. Mit vier einheimischen Begleitern und acht Kamelen verließ er das Dorf Merket, um eine der lebensfeindlichsten Regionen auf dem Planeten zu durchqueren. Die Taklamakan Wüste in der chinesischen Provinz Xinjiang gilt als zweitgrößte Sandwüste der Erde: 300 000 Quadratkilometer Dünen, Salzseen und Ödnis, in denen Sandstürme und Wassermangel, brennende Hitze und klirrende Kälte das Reisen zur Qual machen.

Kostbare Tropfen

Zunächst aber ging alles gut. In den Randbereichen der Wüste konnten die Männer immer wieder Brunnen graben, die genügend Wasser für den Weitermarsch lieferten. Doch dann kamen sie ins Herz der Sandwelt, der flüssige Nachschub versiegte. Und plötzlich stellte sich heraus, dass der mitgenommene Wasservorrat nicht reichen würde. Sieben Kamele verdursteten und Sven Hedins dramatischer Beschreibung nach kamen auch zwei seiner Begleiter ums Leben. An dieser Behauptung tauchten später zwar Zweifel auf. Sicher scheint jedoch, dass die ganze Gruppe kurz vor dem Verdursten gestanden hatte und auch Hedin sich nur mit Not zu einer Wasserstelle retten konnte.

Kritik am Helden

Trotz all seiner Verdienste als Entdeckungsreisender war Sven Hedin nicht unumstritten. Viel Kritik hat ihm vor allem seine Nähe zu den Nationalsozialisten eingetragen. Allerdings setzte er sich bei den führenden Köpfen des NS-Regimes auch für die Freilassung von etlichen im Konzentrationslager einsitzenden Opfern ein.

Nach diesem Abenteuer besuchte der Schwede die Ruinen alter Wüstenstädte und entdeckte den Bosten-See, einen der größten Seen Zentralasiens. Im Juni 1896 brach er erneut mit einer Kamelkarawane auf und reiste durch den Norden Tibets und China bis nach Peking, wo er am 2. März 1897 ankam. Anschließend kehrte er nach Stockholm zurück.

Doch Zentralasien ließ ihn nicht los. In den folgenden Jahren unternahm er drei weitere Expeditionen in die Region. Dabei entdeckte er den Transhimalaya, der ihm zu Ehren eine Zeit lang den Namen Hedin-Gebirge trug. Er fand die Quellen der großen Flüsse Indus, Brahmaputra und Sutlej, den riesigen Salzsee Lop Nor und die Ruinen mehrerer Jahrhunderte alter Gräber und Wüstenstädte. Und als er von seiner dritten Expedition zurück nach Stockholm kam, war der triumphale Empfang durchaus mit dem für Nordenskiöld vergleichbar.

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Sven Hedin auf seiner zweiten zentralasiatischen Expedition in den Jahren 1899–1902, gekleidet als mongolischer Pilger. (kolorierte Fotografie)

(c) dpa/picture alliance, Frankfurt am Main

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