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Inhaltsverzeichnis
 
 
 

VII
Statt das den Wünschen Sinclairs gemäße politisch-exemplarische Trauerspiel Agis fortzusetzen (das, welcher Qualität auch immer, nicht viel mehr gewesen wäre als eines der pro- und antirepublikanischen Agitationsstücke, die das aufgeregte, blutige Welttheater ringsum auf den Brettern der Bühne fortsetzten), war er Anfang Dezember zum tendenziell gegenweltlichen Empedokles zurückgekehrt.
 
Man kann jezt den Menschen nicht alles gerade heraussagen, denn sie sind zu träg und eigenliebig, um die Gedankenlosigkeit und Irreligion, worinn sie stehen, wie eine verpestete Stadt zu verlassen, und auf die Berge zu flüchten, wo reinere Luft ist und Sonn und Sterne näher sind … Mit diesem Satz es erfuhr die Mutter als erste, ohne im geringsten zu wissen, um was es hier ging. Sinclair zwei Wochen später, in dem philosophischen Brief vom 24. Dezember, von dem ein Segment des Entwurfs erhalten blieb – von Hölderlins Seite das einzige Bruchstück aus dem Briefwechsel der Freunde. Auch er verstand die Andeutungen nicht und fragte noch im Januar nach dem Agis-Entwurf, von welchem doch immerhin eine vorläufige oder später angefertigte Reinschrift existierte.
 
Dies alles ist schon im vorigen, bis in den April 1799 reichenden Band enthalten. Es folgt hier der erste zu diesem Zeitpunkt abgeschlossene Entwurf, in dessen letzter Phase (nach der ermutigenden Kritik August Wilhelm Schlegels in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung) der Plan zum ästhetischen Journal Iduna gefaßt wurde. Gleich darauf folgt der zweite Empedokles-Entwurf in freieren Jamben. Im Sommer noch eine Format und Zeilenzahl des künftigen Drucks simulierende Reinschriftprobe.
 
Natürlich war es ein Fehler, den konkurrierenden, in der Schlegelschen Kritik so verächtlich abgetanen, auf sein eigenes Taschenbuch für Frauenzimmer von Bildung fixierten Neuffer und den nichts als Popularität predigenden Verleger Steinkopf zu Sachwaltern eines Projekts zu machen, das dem Athenäum der Schlegels gegenübertreten sollte. Blieb ihm anderes übrig? Und die Ungeschicktheit in allen die Fortune betreffenden Dingen – war sie nicht sein ihn vor Schlimmerem bewahrendes Schicksal? Dennoch doch krampft sich das Herz zusammen, wenn ihm Steinkopf das Zeitwort humanistisch aufnötigt und Schelling ihm das von oben herab verweist.
 
Nach den Einladungsbriefen und weiteren Arbeiten für das eigene Journal und Neuffers Taschenbuch, während des wochenlangen quälenden Wartens auf Antwort entsteht die große Pindar-Übertragung. Was für ein Glück für unsere, in ihrer Art doch ein Stück Griechenland aufbewahrende Sprache. Er, in seiner Bedrängnis, hebt sie aus dem Staub des Tags, verklärt sie, mit fremdverwandter Stimme sprechend, in ihrer Eigenschaft und Herrlichkeit und bereitet sich den Weg für die Gesänge.

1799 Fortsetzung
Um 18.den April ist der am 11. Dezember in Frankfurt begonnene erste Entwurf zum Trauerspiel Empedokles fertiggestellt. Erst jetzt wurden die beiden mehr als vier Wochen zurückgehaltenen Briefe an die Mutter und Schwester mit Nachschriften versehen und abgesandt. Das Trauerspiel besteht aus zwei großen, gleichsam gegeneinander gelehnten Akten, in Agrigent und auf dem Ätna, sowie einem kürzeren Schlußakt oder Epilog am Fuß des Ätna. Die Eingangsszene Panthea-Rhea beginnt in Prosa und geht dann in fünffüßige Jamben über. Ihr Inhalt setzt die im Brief an Sinclair vom 24. Dezember erwähnte Lektüre des Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Buch VIII, 2 Empedokles voraus. Unter anderem wird dort ein olympischer Wagensieg des Großvaters berichtet. Die von Empedokles geheilte Atemlose trägt den Namen Pantheia. In der Gestalt der Rhea (später Delia) dürfte Hölderlin Margrete Sömmering, die Freundin Suzette Gontard-Borckensteins, gezeichnet haben. Wie von Suzette existiert auch von ihr ein Alabasterrelief Landolin Ohnmachts, der übrigens auch Klopstock porträtierte. Ihr hat er in der Wilhelm Heinse, den Freund der Sömmerings anredenden Schlußstrophe der Der Rhein II ein verborgenes Denkmal gesetzt (zu dechiffrieren durch die giechische Bedeutung ihres Namens Μ α ρ γ α ρ ι ϑ η ς = Perle): Mein Vater! aber noch / Tost die Welle, die mich / untergetaucht / Im Ohr mir, / Und mir träumt von des Meergrunds köstlicher Perle…. Dieser war mit dem Arzt Samuel Sömmering und seiner Gattin befreundet. Sie starb am 11. Januar 1802. Suzette (deren Name in seiner hebräischen Grundform Lilie bedeutet) ein halbes Jahr später, am 22. Juni1802. Heinse übrigens, auf den Tag genau, im Jahr darauf.
 
Nachstehend die Szenen und Personen des Trauerspiels. Zur Orientierung und zum Vergleich mit der in FHA Bd. 12 abgebildeten Handschrift die Seiten des Stuttgarter Quartbuchs sowie die Verszählung des hier nochmals gegenüber der Revision von 1993 (in: Rober Schwarz, Hölderlins Empedokles, Verlag Hermann Schmidt Mainz 1993) durchgesehenen Texts.
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Der Entwurf ist unbetitelt. Die Überschrift Erster Act. ist der des zweiten nachgebildet. Das in der Fuge zwischen Akt I und II nachgetragene Pindarische Motto wird hier vorangestellt: Charis, die doch alles Milde be- / reitet den Sterblichen, / Trägt auch Ehre herzu, / Und Unglaubliches glauben zu machen / vermag sie des öftern, / Tage aber noch übrige / sind Zeugen weit weisere.
Χαρις, απερ απαντα τευ –
Χει τα μειλιχα ϑνατοις,
Επιφεροισα τιμαν,
Και απιστον εμησατο πιστον
Εμμεναι το πολλακις.
Αμεραι δ’ επιλοιποι
Μαρτυρες σοφωτατοι.
ERSTER ACT.
ZWEI PRIESTERINNEN DER VESTA.
 
 
 
PANTHEA .
 
 
Diß ist sein Garten! dort im geheimen
Dunkel, wo die Quelle springt, dort stand er
jüngst, als ich vorübergieng – du
hast ihn nie gesehn?
RHEA .
O Panthea!
Bin ich doch erst seit gestern mit dem
Vater in Sicilien. Doch ehmals, da
ich noch ein Kind war, sah ich
ihn auf einem Kämpferwagen
bei den Spielen in Olympia.
Sie sprachen damals viel von ihm, und immer
ist sein Nahme mir geblieben.
PANTHEA
Du must ihn jezt sehn! jezt!
Man sagt, die Pflanzen merkten auf
ihn, wo er wandre, und die Wasser unter der Erde
strebten herauf,
da wo sein Stab den Boden berühre!
Das all mag wahr seyn!
Und wenn er bei Gewittern in den Himmel blike,
theile die Wolke sich und hervorschimmre der
heitre Tag. – Doch
was sagts? du must ihn selbst sehn! einen
Augenblik! und dann hinweg! Ich meid’ ihn selbstein
furchtbar allverwandelnd Wesen ist in ihm.
RHEA .
Wie lebt er mit andern? Ich begreife nichts
von diesem Manne,
Hat er, wie wir, auch seine leeren Tage
Wo man sich alt und unbedeutend dünkt
Und giebt es auch ein menschlich Laid für ihn?
PANTHEA .
Ach! da ich ihn zum leztenmale dort
Im Schatten seiner Bäume sah, da hatt er wohl
Sein eigen tiefes Laid – der Göttliche
Mit wunderbarem Sehnen, traurigforschend
Wie wenn er viel verloren, blikt er bald
Zur Erd’ hinab, bald durch die Dämmerung
Des Hains hinauf, als wär’ ins ferne Blau
Das Leben ihm entflogen, und die Demuth
Des königlichen Angesichts ergriff
Mein ringend Herz – auch du must untergehn,
Du schöner Stern! und lange währts nicht mehr!
Das ahnte mir –
RHEA .
Hast du mit ihm auch schon Gesprochen, Panthea?
PANTHEA .
O daß du daran mich erinnerst! Es ist nicht lange
daß ich todeskrank daniederlag. Schon dämmerte
der klare Tag vor mir und um die Sonne
wankte, wie ein seellos Schattenbild, die Welt.
Da rief mein Vater, wenn er schon
ein arger Feind des hohen Mannes ist, am hofnungslosen
Tage den Vertrauten der Natur,
und als der Herrliche den Heiltrank mir
gereicht, da schmolz in zaubrischer Versöhnung
mir mein kämpfend Wesen ineinander, und wie
zurükgekehrt in süße sinnenfreie
Kindheit schlief ich wachend viele Tage fort,
kaum bedurft ich eines Othemzugs. Wie
nun in frischer Lust mein Wesen sich zum erstenmale
wieder der langentbehrten Welt entfaltete, mein
Auge sich in jugendlicher Neugier dem Tag erschloß,
da stand er – Empedokles! o wie göttlich
gegenwärtig mir! am Lächeln seiner Augen
blühte mir das Leben wieder auf! ach
wie ein Morgenwölkchen floß mein Herz dem
hohen süßen Licht entgegen und ich war der zarte
Widerschein von ihm.
RHEA .
O Panthea!
PANTHEA .
Der Ton aus seiner Brust! in jeder Sylbe klangen alle Melodien! und der Geist in seinem Wort! – zu seinen Füßen möcht’ ich sizen, stundenlang, als seine Schülerin sein Kind, in seinen Aether schaun, und zu ihm auf frohlokken, bis in seines Himmels Höhe sich mein Geist verirrte.
RHEA .
Was würd’ er sagen, Liebe, wenn ers wüßte!
PANTHEA .
Er weiß es nicht. Der Unbedürftge wandelt
In seiner eignen Welt; in leiser Götterruhe geht
Er unter seinen Blumen, und es scheun
Die Lüfte sich, den Glüklichen zu stören,
Und aus sich selber wächst in steigendem
Vergnügen die Begeisterung ihm auf,
Bis aus der Nacht des schöpfrischen Enzükens
Ihm wie ein Funke der Gedanke springt,
Und heiter sich die Geister künft’ger Thaten
In seiner Seele drängen, und die Welt,
Der Menschen gährend Leben und die größre
Die Natur um ihn erscheint – hier fühlt er, wie ein
Gott
In seinen Elementen sich, und seine Lust
Ist himmlischer Gesang, dann tritt er auch
Heraus ins Volk, an Tagen, wo die Menge
Sich überbraust und eines Mächtigern
Der unentschlossene Tumult bedarf,
Da herrscht er dann, der herrliche Pilot
Und hilft hinaus und wenn sie nun erst recht
Genug ihn sehn, des immerfremden Manns sich
Gewöhnen möchten, ehe sie’s gewahren,
Ist er hinweg, – ihn zieht in seine Schatten
Die stille Pflanzenwelt, wo er sich schöner findet,
Und ihr geheimnißvoller Leben, das vor ihm
In seinen Kräften allen gegenwärtig ist.
RHEA .
O Sprecherin! wie weist du denn das alles?
PANTHEA .
Ich sinn ihm nach – wie viel ist über ihn
Mir noch zu sinnen? ach! hab ich ihn
Gefaßt, was ists? Er selbst zu seyn, das ist
Das Leben und wir andern sind der Traum davon.-
Sein Freund Pausanias hat auch von ihm
Schon manches mir erzählt – der Jüngling sieht
Ihn Tag vor Tag und Jovis Adler ist
Nicht stolzer, denn Pausanias – ich glaub’ es wohl!
RHEA.
Ich kann nicht tadeln, liebe, was du sagst,
Doch trauert meine Seele wunderbar
Darüber, und ich möchte seyn, wie du,
Und möcht’ es wieder nicht. Seid ihr denn all
Auf dieser Insel so? Wir haben auch
An großen Männern unsre Lust, und Einer
Ist izt die Sonne der Athenerinnen,
Sophokles! jede wünscht sich, ein Gedanke
Des Herrlichen zu seyn, und möchte gern
Die immerschöne Jugend, eh sie welkt
Hinüber in des Dichters Seele retten.
Und frägt und sinnet, welche von den Jungfrauen
Der Stadt die zärtlichernste Heroide sei
Die seiner Seele vorgeschwebt, die er
Antigonä genannt; doch helle wirds
Um unsre Stirne, wenn der Götterfreund
Am heitern Festtag ins Theater tritt,
Doch kummerlos ist unser Wohlgefallen,
Und nie verliert das liebe Herz sich so
In schmerzlich fortgerißner Huldigung –
Du opferst dich -ich glaub es wohl, er ist
Zu übergroß, um ruhig dich zu lassen,
Den unbegränzten liebst du unbegränzt,
Was hilft es ihm? dir selbst, dir ahndete
Sein Untergang, du gutes Kind und du
Sollst untergehn mit ihm?
PANTHEA.
O mache mich
Nicht stolz, und fürchte wie für ihn, für mich nicht!
Ich bin nicht er, und wenn er untergeht,
So kann sein Untergang der meinige
Nicht seyn; denn groß ist auch der Tod der Großen.
Was diesem Manne widerfährt,
Das, glaube mir, das widerfährt nur ihm,
Und hätt’ er gegen alle Götter sich
Versündiget und ihren Zorn auf sich
Geladen, und ich wollte sündigen,
Wie er, um gleiches Loos mit ihm zu leiden,
So wärs, wie wenn ein Fremder in den Streit
Der Liebenden sich mischt, – was willst du? sprächen
Die Götter nur, du Thörin kannst uns nicht
Belaidigen, wie er.
RHEA.
Du bist vieleicht
Ihm gleicher als du denkst, wie fändst du sonst
An ihm ein Wohlgefallen?
PANTHEA.
Liebes Herz!
Ich weiß es selber nicht, warum ich ihm
Gehöre – sähst du ihn! – Ich dacht’ er käme
Vieleicht heraus, du hättest dann im Weggehn ihn
Gesehn, – es war ein Wunsch! nicht wahr? ich sollt
Der Wünsche mich entwöhnen, denn es scheint
Als liebten unser ungeduldiges
Gebet die Götter nicht, sie haben recht!
Ich will auch nimmer – aber hoffen muß
Ich doch, ihr guten Götter, und ich weiß
Nicht anderes, denn ihn, – ich wollte gern
Ich bäte gleich den Übrigen, von euch
Nur Sonnenlicht und Reegen, könnt’ ich nur!
O ewiges Geheimniß, was wir sind
Und suchen, können wir nicht finden; was
Wir finden, sind wir nicht – wie viel ist wohl
Die Stunde, Delia?
DELIA.
Dort kommt dein Vater.
Ich weiß nicht, bleiben oder gehen wir –
PANTHEA.
Wie sagtest du? mein Vater? komm! hinweg!
 
 
KRITIAS. HERMOKRATES
ARCHON. PRIESTER
 
 
HERMOKRATES.
Wer geht dort?
ARCHON.
Meine Tochter, wie mir dünkt,
Und Delia, des Gastfreunds Tochter, der
In meinem Hauße gestern eingekehrt ist.
HERMOKRATES.
Ists Zufall? oder suchen sie ihn auch
Und glauben, wie das Volk, er sei entschwunden?
ARCHON.
Die wunderbare Sage kam bis izt wohl nicht
Vor meiner Tochter Ohren. Doch sie hängt
An ihm wie alle; wär er hinweg-
In Wälder oder Wüsten, übers Meer
Hinüber oder in die Erd hinab – wohin
Ihn treiben mag der unbeschränkte Sinn.
HERMOKRATES.
Mit nichten! denn sie müßten ihn noch sehn,
Damit der wilde Wahn von ihnen weicht.
ARCHON.
Wo ist er wohl?
HERMOKRATES.
Nicht fern von hier. Da sizt
Er seelenlos im Dunkel. Denn es haben
Die Götter seine Kraft von ihm genommen,
Seit jenem Tage, da der trunkne Mann
Vor allem Volk sich einen Gott genannt.
Anmerkung 1.
Bei uns ist so etwas mehr eine Sünde gegen den
Verstand, bei den Alten war es von dieser Seite
verzeihlicher, weil es ihnen begreiflicher war.
Nicht Ungereimtheit, Verbrechen war es ihnen.
Aber sie verzeihen es nicht, weil ihr zarter
Freiheitssinn kein solches Wort ertragen wollte.
Eben weil sie es mehr ehrten und verstanden,
fürchteten sie auch mehr den Übermuth
des Genies. Uns ist es nicht gefährlich, weil wir
nicht berührbar sind dafür.
ARCHON.
Das Volk ist trunken, wie er selber ist.
Sie hören kein Gesez, und keine Noth
Und keinen Richter; die Gebräuche sind
Von unverständlichem Gebrause, gleich
Den friedlichen Gestaden, überschwemmt,
Ein Fest für alle Feste und der Götter
Bescheidne Feiertage haben sich
In Eins verloren. Allverdunkelnd hüllt
Der Zauberer den Himmel und die Erd’
Ins Ungewitter das er uns gemacht,
Und siehet zu und freut sich seines Geists
In seiner stillen Halle.
HERMOKRATES.
Mächtig war
Die Seele dieses Mannes unter euch.
ARCHON.
Ich sage dir: sie wissen nichts denn ihn
Und wünschen alles nur von ihm zu haben,
Er soll ihr Gott, er soll ihr König seyn.
Ich selber stand in tiefer Schaam vor ihm
Da er vom Tode mir mein Kind gerettet.
Wofür erkennst du ihn, Hermokrates?
HERMOKRATES.
Es haben ihn die Götter sehr geliebt.
Doch nicht ist er der Erste, den sie drauf
Hinab in sinnenlose Nacht verstoßen,
Vom Gipfel ihres gütigen Vertrauns
Weil er des Unterschieds zu sehr vergaß
Im übergroßen Glük, und sich allein
Nur fühlte; so ergieng es ihm, er ist
mit gränzenloser Oede nun gestraft-
Doch ist die lezte Stunde noch für ihn
Nicht da; denn noch erträgt der Langverwöhnte
Die Schmach in seiner Seele nicht, sorg’ ich,
Noch Einmal geht empört er tödtlicher hervor
Und fordert sich im Zorne wieder, was er
War und hatt’ und sein entschlafner Geist
Entzündet nun an seiner Rache sich
Und, halberwacht, ein fürchterlicher Träumer spricht
Er, gleich den alten Übermüthigen,
Die mit dem Schilfrohr Asien durchwandern,
Einst durch sein Wort geworden sein die Götter.
Dann steht die weite lebensreiche Welt
Wie sein verlornes Eigentum vor ihm,
Und ungeheure Wünsche regen sich
In seiner Brust und wo sie hin sich wirft
Die Flamme, macht sie eine freie Bahn.
Gesez und Kunst und heilge Sage
Und was vor ihm in guter Zeit gereift
Das stört er auf und Lust und Frieden kann
Er nimmer dulden bei den Lebenden.
KRITIAS.
O Greis! du siehest nahmenlose Dinge.
Dein Wort ist wahr und wenn es sich erfüllt,
Dann wehe dir, Sicilien, so schön
Du bist mit deinen Hainen, deinen Tempeln.
HERMOKRATES.
Der Spruch der Götter trift ihn, eh sein Werk
Beginnt. Versammle nur das Volk, damit ich
Das Angesicht des Mannes ihnen zeige
Von dem sie sagen, daß er aufgeflohn
Zum Aether sei. Sie sollen Zeugen seyn
Des Fluches, den ich ihm verkündige.
Und ihn verstoßen in die öde Wildniß,
Damit er nimmerwiederkehrend dort
Die böse Stunde büße, da er sich
Zum Gott gemacht.
KRITIAS.
Doch wenn des schwachen Volks
Der Kühne sich bemeistert, fürchtest du
Für mich und dich und deine Götter nicht?
HERMOKRATES.
Das Wort des Priesters bricht den kühnen Sinn.
KRITIAS.
Und werden sie den Langgeliebten dann
Wenn schmählich er von deinem Fluche leidet,
Aus seinen Gärten, wo er gerne lebt,
Und aus der heimatlichen Stadt vertreiben?
HERMOKRATES.
Wer darf den Sterblichen im Lande dulden,
Den so der wohlverdiente Fluch gezeichnet?
KRITIAS.
Doch wenn du, wie ein Lästerer erscheinst
Vor denen, die, als einen Gott dich achten?
HERMOKRATES.
Der Taumel wird sich ändern, wenn sie erst
Mit Augen wieder sehn, den sie jezt schon
Entschwunden in die Götterhöhe wähnen!
Sie haben schon zum Bessern sich gewandt
Denn trauernd irrten gestern sie hinaus
Und giengen hier umher und sprachen viel
Von ihm, da ich desselben Weges kam.
Drauf sagt’ ich ihnen, daß ich heute sie
Zu ihm geleiten wollt’; indessen soll
In seinem Hauße jeder ruhig weilen.
Und darum bat ich dich, mit mir heraus
Zu kommen, daß wir sähen, ob sie mir
Gehorcht. Du findest keinen hier. Nun komm.
KRITIAS.
Hermokrates!
HERMOKRATES.
Was ists?
KRITIAS.
Dort seh ich ihn
Wahrhaftig.
HERMOKRATES.
Laß uns gehen, Kritias!
Daß er in seine Rede uns nicht zieht.
 
 
EMPEDOKLES.
In meine Stille kamst du leise wandelnd
Fandst drunten in der Grotte Dunkel mich aus
Du Freundlicher! du kamst nicht unverhoft
Und fernher, oben über der Erde, vernahm
Ich wohl dein Wiederkehren, schöner Tag
Und meine Vertrauten euch, ihr schnellgeschäftgen
Kräfte der Höh’! Und nahe seid ihr
Mir wieder, seid, wie sonst, ihr Glüklichen.
Ihr irrelosen Bäume meines Hains!
Ihr wuchst indessen fort, und täglich tränkte
Des Himmels Quelle die Bescheidenen
Mit Licht und Lebensfunken säte
Befruchtend auf die Blühenden der Aether.
 
O innige Natur! ich habe dich
Vor Augen, kennest du den Freund noch
Den Hochgeliebten, kennest du mich nimmer?
Den Priester, der lebendigen Gesang,
Wie frohvergoßnes Opferblut, dir brachte?
O bei den heilgen Brunnen, wo sich still
Die Wasser sammeln, und die Dürstenden
Am heißen Tage sich verjüngen! in mir
In mir, ihr Quellen des Lebens, strömtet ihr einst
Aus Tiefen der Welt zusammen und es kamen
Die Dürstenden zu mir – vertroknet bin
Ich nun, und nimmer freun die Sterblichen
Sich meiner – bin ich ganz allein? und ist
Es Nacht hier oben auch am Tage? weh!
Der höhers, denn ein sterblich Auge, sah
Der Blindgeschlagne tastet nun umher-
Wo seid ihr, meine Götter? weh ihr laßt
Wie einen Bettler mich und diese Brust
Die liebend euch geahndet, stießt ihr mir
Hinab und schloßt in schmählichenge Bande
Die Freigeborne, die aus sich allein
Und keines andern ist? Dulden sollt’ ichs
Wie die Schwächlinge, die im scheuen Tartarus
Geschmiedet sind ans alte Tagewerk?
 
O Schattenbild, verbirg dirs nicht! du hast
Es selbst verschuldet, armer Tantalus
Das Heiligtum hast du geschändet, hast
Mit frechem Stolz den schönen Bund entzweit
Elender! als die Genien der Welt
Voll Liebe sich in dir vergaßen, dachtst du
An dich und wähntest karger Thor, an dich
Die Gütigen verkauft, daß sie dir
Die himmlischen, wie blöde Knechte dienten!
Ist nirgend mir ein Rächer unter euch
Und muß ich denn allein den Hohn und Fluch
In meine Seele rufen? Und es reißt
Die delphische Krone mir kein Besserer
Denn ich vom Haupt, und nimmt die Loken hinweg
Wie es dem kahlen Seher gebührt –
EMPEDOKLES. PAUSANIAS.
 
 
PAUSANIAS.
O all
Ihr himmlischen Mächte, was ist das?
EMPEDOKLES.
Hinweg!
Wer hat dich hergesandt? willst du das Werk
Verrichten an mir? Ich will dir alles sagen
Wenn dus nicht weist; dann richte was du thust
Danach – Pausanias! o suche nicht
Den Mann, an dem dein Herz gehangen, denn
Er ist nicht mehr, und gehe, guter Jüngling!
Dein Angesicht entzündet mir den Sinn,
Und sei es Seegen oder Fluch, von dir
Ist beedes mir zu viel. Doch wie du willst!
PAUSANIAS.
Was ist geschehn? Ich habe lange dein
Geharrt und dankte da ich izt von ferne
Dich sah, dem Tageslicht, da find ich so
Du hoher Mann, ach! wie die Eiche, die Zeus erschlug
Vom Haupte bis zur Sohle dich zerschmettert.
Warst du allein? Die Worte hört’ ich nicht,
Doch schallt mir noch der fremde Todeston.
EMPEDOKLES.
Es war des Mannes Stimme, der sich mehr
Denn Sterbliche, gerühmt, weil ihn zu viel
Beglükt die gütige Natur.
PAUSANIAS.
Wie du
Vertraut zu seyn mit allen Göttlichen
Der Welt, ist nie zu viel.
EMPEDOKLES.
So sagt’ ich auch,
Du Guter, da der heilge Zauber noch
Aus meinem Geiste nicht gewichen war,
Und da sie mich den Innigliebenden
Noch liebten, sie die Genien der Welt.
O himmlisch Licht! – es hatten michs
Die Menschen nicht gelehrt – schon lange, da
Mein sehnend Herz die Allebendige
Nicht finden konnt, da wandt’ ich mich zu dir,
Hieng, wie die Pflanze dir mich anvertrauend,
In frommer Lust dir lange blindlings nach
Denn schwer erkent der Sterbliche die Reinen,
Doch als der Geist mir blühte, wie du selber blühst,
Da kannt’ ich dich, da rief ich es, du lebst,
Und wie du heiter wandelst um die Sterblichen,
Und himmlischjugendlich den holden Schein
Von dir auf jedes eigen überstralst,
Daß alle deines Geistes Farben tragen
So ward auch mir das Leben zum Gedicht.
Denn deine Seele war in mir, und offen gab
Mein Herz wie du der ernsten Erde sich
Der Leidenden und oft in heilger Nacht
Gelobt ichs ihr, bis in den Tod
Die Schiksaalvolle furchtlos treu zu lieben.
Da rauscht es anders denn zuvor im Hain,
Und zärtlich tönten ihrer Berge Quellen,
Und feurigmild im Blumenothem wehte
Der stille Geist der Göttlichen mir zu.
All’ deine Freuden, Erde! nicht wie du
Sie lächelnd reichst den Schwächern, herrlich, wie sie
sind,
Und warm und wahr aus Müh und Liebe reifen-
Sie alle gabst du mir, und wenn ich oft
Auf ferner Bergeshöhe saß und staunend
Des Lebens heilig Irrsaal übersann,
Zu tief von deinen Wandlungen bewegt,
Dann athmete der Aether, so wie dir,
Mir heilend um die liebeswunde Brust,
Und zauberisch in seine Tiefe lösten
Sich meine Räthsel auf –
PAUSANIAS.
Du Glüklicher!
EMPEDOKLES.
Ach! könnt’ ich sagen, wie es war,
Es nennen – das Wandeln und Wirken deiner
Geniuskräfte
Der Herrlichen, deren Genoß ich war, o Natur!
Könt’ ichs noch Einmal vor die Seele rufen
Daß mir die stumme todesöde Brust
Von deinen Tönen allen wiederklänge!
Bin ich es noch? o Leben! und rauschten sie mir
All deine geflügelten Melodien und hört
Ich deinen alten Einklang, große Natur?
Ach! ich der allverlassene, lebt ich nicht
Mit dieser heilgen Erd’ und diesem Licht
Und dir von dem die Seele nimmer läßt,
O Vater Aether! und allen Lebenden
In ewig gegenwärtigem Olymp –
Und nirgend mag ich bleiben, ach und du
Bist auch von mir genommen, – sage nichts!
Die Liebe stirbt, so bald die Götter fliehn,
Das weist du wohl, verlaß mich nun, ich bin
Es nimmer und ich hab’ an dir nichts mehr.
PAUSANIAS.
Du bist es noch, so wahr du es gewesen.
Und laß michs sagen, unbegreiflich ist
Es mir, wie du dich selber so vernichtest.
Ich glaub es wohl, es schlummert deine Seele
Dir auch, zu Zeiten, wenn sie sich genug
Der Welt geöffnet, wie die Erde, die
Du liebst, sich oft in tiefe Ruhe schließt.
Doch nennest du sie todt, die Ruhende?
EMPEDOKLES.
Wie du mit lieber Mühe Trost ersinnst!
PAUSANIAS.
Du spottest wohl des Unerfahrenen
Und denkest, weil ich deines Glüks, wie du,
Nicht inne ward, so sag’ ich, da du leidest
Nur ungereimte Dinge dir? sah’ ich nicht dich
In deinen Thaten, da der wilde Staat von dir
Gestalt und Sinn gewann, in seiner Macht
Erfuhr ich deinen Geist, und seine Welt, wenn oft
Ein Wort von dir in einem Augenblik
Das Leben vieler Jahre mir erschuf,
Daß eine neue schöne Zeit von da
Dem Jünglinge begann; und zeichnetest
Du nicht der Zukunft große Linien
Vor mir, so wie des Künstlers sichrer Blik
Ein fehlend Glied zum ganzen Bilde reiht;
Liegt nicht vor dir der Menschen Schiksaal offen?
Und kennst du nicht die Kräfte der Natur,
Daß du vertraulich, wie kein Sterblicher
Sie, wie du willst, in stiller Herrschaft lenkst?
EMPEDOKLES.
Genug! du weist es nicht, wie jedes Wort,
So du gesprochen, mir ein Stachel ist.
PAUSANIAS.
So must du denn im Unmuth alles hassen?
EMPEDOKLES.
O ehre, was du nicht verstehst!
PAUSANIAS.
Warum
Verbirgst du mirs, und machst dein Leiden mir Zum Räthsel? glaube, schmerzlicher ist nichts.
EMPEDOKLES.
Und nichts ist schmerzlicher – Pausanias!
Denn Leiden zu enträthseln. Siehest du denn nicht?
Ach! lieber wär mirs, du wüßtest nicht
Von mir und aller meiner Trauer. Nein!
Ich sollt es nicht aussprechen, heilige Natur!
Anmerkung 2.
Seine Sünde ist die Ursünde, deßwegen nichts
weniger, als ein Abstractum, so wenig, als
höchste Freude ein Abstractum ist, nur muß sie
genetisch lebendig dargestellt werden.
Jungfräuliche, die dem rohen Sinn entflieht!
Verachtet hab’ ich dich und mich allein
Zum Herrn gesezt, ein übermüthiger
Barbar! an eurer Einfalt hielt ich euch
Ihr reinen immerjugendlichen Mächte!
Die mich erzogen, mich mit Wonne genährt,
Ihr Guten eure Seele ehrt’ ich nicht!
Ich kannt’ es, hatte ja es ausgelernt,
Das Leben der Natur, wie sollt’ es mir
Noch heilig seyn, wie einst! die Götter waren
Mir dienstbar nun geworden, ich allein
War Gott, und sprachs im frechen Stolz heraus –
O glaub es mir, ich wäre lieber nicht
Geboren!
PAUSANIAS.
Was? um eines Wortes willen?
Wie kanst so du verzagen, kühner Mann.
EMPEDOKLES.
Um eines Wortes willen? ja. Und mögen
Die Götter mich zernichten, wie sie mich
Geliebt.
PAUSANIAS.
So sprechen andre nicht, wie du.
EMPEDOKLES.
Die andern! wie vermöchten sie’s?
PAUSANIAS.
Ja wohl,
Du wunderbarer Mann! So innig liebt’
Und sah kein anderer, die ewge Welt
Und ihre Genien und Kräfte, nie,
Wie du, und darum sprachst das kühne Wort
Auch du allein, und darum fühlst du auch
So sehr, wie du mit Einer stolzen Sylbe
Vom Herzen aller Götter dich gerissen
Und opferst liebend ihnen dich dahin,
O Empedokles –
EMPEDOKLES.
Siehe! was ist das?
Hermokrates, der Priester, und mit ihm
Ein Hauffe Volks und Kritias, der Archon!
Was suchen sie bei mir?
PAUSANIAS.
Sie haben lang Geforschet, wo du wärst.
 
EMPEDOKLES. PAUSANIAS. HERMOKRATES. KRITIAS. AGRIGENTINER.
 
HERMOKRATES.
Hier ist der Mann, von dem ihr sagt, er sei Lebendig zum Olymp empor gegangen.
KRITIAS.
Und traurig sieht er, gleich den Sterblichen.
EMPEDOKLES.
Ihr armen Spötter! ists erfreulich euch
Wenn einer leidet, der euch groß geschienen?
Und achtet ihr, wie leichterworbnen Raub
Den Starken, wenn er schwach geworden ist?
Euch reizt die Frucht, die reif zur Erde fällt,
Doch glaubt es mir, nicht alles reift für euch.
1. AGRIGENTINER.
Was hat er da gesagt?
EMPEDOKLES.
Ich bitt euch, geht,
Besorgt was euer ist, und menget euch
Ins meinige nicht ein –
HERMOKRATES.
Doch hat ein Wort
Der Priester dir dabei zu sagen?
EMPEDOKLES.
Weh!
Ihr reinen Götter! ihr lebendigen!
Muß dieser Heuchler meine Trauer mir
Vergiften? geh! ich schonte ja dich oft,
So ist es billig, daß du meiner schonst.
Du weist es ja, ich hab’ es dir bedeutet,
Ich kenne dich und deine schlimme Zunft.
Ach! als ich noch ein Knabe war, da mied
Euch Allverderber schon mein frommes Herz,
Das unbestechbar innigliebend hieng
An Sonn und Aether und den Boten allen
Der großen ferngeahndeten Natur.
Denn wohl hab’ ichs gefühlt, in meiner Furcht,
Daß ihr des Herzens freie Götterliebe
Bereden möchtet zu gemeinem Dienst
Und daß ichs treiben sollte, so wie ihr.
Hinweg! ich kann vor mir den Mann nicht sehn
Der Heiliges wie ein Gewerbe treibt.
Sein Angesicht ist falsch und kalt und todt
Wie seine Götter sind. Was stehet ihr
Betroffen? gehet nun!
KRITIAS.
Nicht eher biß
Der heilge Fluch die Stirne dir gezeichnet
Schaamloser Lästerer!
HERMOKRATES.
Sei ruhig, Freund!
Ich hab’ es dir gesagt, es würde wohl
Der Unmuth ihn ergreifen. – Mich verschmäht
Der Mann. das hörtet ihr, ihr Bürger
Von Agrigent! und harte Worte mag
Ich nicht mit ihm in wildem Zanke wechseln;
Es ziemt dem Greise nicht. Ihr möget nur
Ihn selber fragen, wer er sei?
EMPEDOKLES.
O laßt,
Ihr seht es ja, es frommet keinem nichts,
Den Blutenden zu reizen. Gönnet mirs
Den Pfad, worauf ich wandle, still zu gehn,
Den heilgen stillen Todespfad hinfort.
Ihr spannt das Opferthier vom Pfluge los
Und nimmer trifts der Stachel seines Treibers.
So schonet meiner auch; entwürdiget
Mein Leiden mir mit böser Rede nicht,
Denn heilig ists; und laßt die Brust mir frei
Von eurer Noth. Ihr Schmerz gehört den Göttern.
1. AGRIGENTINER.
Was ist es denn, Hermokratzes, warum
Der Mann die wunderlichen Worte spricht?
2. AGRIGENTINER.
Er heißt uns gehn, als scheut’ er sich vor uns.
HERMOKRATES.
Was dünket euch? der Sinn ist ihm verfinstert
Weil er zum Gott sich selbst vor euch gemacht.
Doch weil ihr nimmer meiner Rede glaubt,
So fragt nur ihn darum. Er soll es sagen.
3. AGRIGENTINER.
Wir glauben dirs wohl.
PAUSANIAS.
Ihr glaubt es wohl?
Ihr Unverschämten? – Euer Jupiter
Gefällt euch heute nicht; er siehet trüb;
Der Abgott ist euch unbequem geworden
Und darum glaubt ihrs wohl? Da stehet er
Und trauert und verschweigt den Geist, wonach
In heldenarmer Zeit die Jünglinge
Sich sehnen werden, wenn er nimmer ist,
Und ihr, ihr kriecht und zischet um ihn her,
Ihr dürft es? Kent ihr ihn nicht mehr?
Seid ihr so grob und sinnenlos
Daß euch das Auge dieses Manns nicht warnt?
Und weil es sanft ist, wagen sich an ihn
Die Feigen – heilige Natur! wie duldest
Du auch in deinem Runde diß Gewürm? –
Nun sehet ihr mich an, und wisset nicht
Was zu beginnen ist mit mir; ihr müßt
Den Priester fragen, ihn, der alles weiß.
HERMOKRATES.
O hört, wie euch und mich ins Angesicht
Der freche Knabe schilt. Wie sollt er nicht?
Er darf es, da sein Meister alles darf.
Wer sich das Volk gewonnen, redet, was
Er will; das weiß ich wohl und strebe nicht
Aus eignem Sinn entgegen, weil es noch
Die Götter dulden. Vieles dulden sie
Und schweigen bis ans Äußerste geräth
Der wilde Muth. Dann aber muß der Frevler
Rüklings hinab ins bodenlose Dunkel.
3. AGRIGENTINER.
Ihr Bürger! ich mag nichts mit diesen Zween Ins künftige zu schaffen haben.
1. AGRIGENTINER.
Sagt,
Wie kam es denn, daß dieser uns bethört?
2. AGRIGENTINER.
Sie müssen fort, der Jünger und der Meister.
HERMOKRATES.
So ist es Zeit! – Euch fleh’ ich an, ihr Furchtbarn!
Ihr Rachegötter! – Wolken lenket Zevs
Und Wasserwoogen zähmt Posidaon,
Doch euch, ihr Leisewandelnden, euch ist
Zur Herrschaft das Verborgene gegeben
Und wo ein Eigenmächtiger der Wieg’
Entsprossen ist, da seid ihr auch, und geht
Indeß er üppig auf zum Frevel wächst,
Stillsinnend fort mit ihm, hinunterhorchend
In seine Brust, wo euch den Götterfeind
Die unbesorgt geschwäzige verräth –
Auch den, ihr kanntet ihn, den heimlichen
Verführer, der die Sinne nahm dem Volk
Und mit dem Vaterlandsgeseze spielt’,
Und sie, die alten Götter Agrigents
Und ihre Priester niemals achtete,
Und nicht verborgen war vor euch, ihr Furchtbarn!
So lang er schwieg, der ungeheure Sinn;
Er hats vollbracht. Verruchter! wähntest du
Sie müßtens nachfrohlokken, da du jüngst
Vor ihnen einen Gott dich selbst genannt?
Dann hättest du geherrscht in Agrigent,
Ein einziger allmächtiger Tyrann
Und dein gewesen wäre dein allein
Das schöne Land mit seinen Schäzen allen.
Sie schwiegen nur; erschroken standen sie;
Und du erblaßtest, und es lähmte dich
Der böse Gram in deiner dunkeln Halle,
Wo du hinab dem Tageslicht entflohst.
Und kömmst du nun, und gießest über mich
Den Unmuth aus, und lästerst unsre Götter?
1. AGRIGENTINER.
Nun ist es klar! er muß gerichtet werden.
KRITIAS.
Ich hab es euch gesagt; ich traute nie
Dem Träumer.
EMPEDOKLES.
O ihr Rasenden!
HERMOKRATES.
Und sprichst
Du noch und ahndest nicht, du hast mit uns
Nichts mehr gemein, ein Fremdling bist du worden,
Und unerkannt bei allen Lebenden.
Die Quelle, die uns tränkt, gebührt dir nicht
Und nicht die Feuerflamme, die uns frommt,
Und was den Sterblichen das Herz erfeut
Das nehmen die heiligen Rachegötter von dir.
Für dich ist nicht das heitre Licht hier oben,
Nicht dieser Erde Grün und ihre Frucht,
Und ihren Seegen giebt die Luft dir nicht,
Wenn deine Brust nach Kühlung seufzt und dürstet.
Es ist umsonst, du kehrest nicht zurük
Zu dem, was unser ist; denn du gehörst
Den Rächenden, den heilgen Todesgöttern.
Und wehe dem, von nun an, wer ein einzig Wort
Von dir in seine freundlich Seele nimmt,
Wer dich begrüßt, und seine Hand dir beut,
Wer einen Trunk am Mittag dir gewährt
Und wer an seinem Tische dich erduldet,
Dir, wenn du Nachts an seine Thüre kömst,
Den Schlummer unter seinem Dache schenkt,
Und wenn du stirbst, die Grabesflamme dir
Bereitet, wehe dem! wie dir! – hinaus!
Es dulden die Vaterlandsgötter länger nicht
Wo ihre Tempel sind, den Allverächter.
2. AGRIGENTINER.
Hinaus, damit sein Fluch uns nicht befleke!
PAUSANIAS.
O komm! du gehest nicht allein. Es ehrt
Noch Einer dich, wenns schon verboten ist,
Du Lieber! und du weist, des Freundes Seegen
Ist kräftiger denn dieses Priesters Fluch.
O komm in fernes Land! wir finden dort
Das Licht des Himmels auch, und bitten will ich,
Daß freundlich dirs in deine Seele scheine.
Im heiterstolzen Griechenlande drüben
Da grünen Hügel auch, und Schatten gönnt
Der Ahorn dir, und milde Lüfte kühlen
Den Wanderern die Brust; und wenn du müd
Vom heißen Tag an fernem Pfade sizest,
Mit diesen Händen schöpf ich dann den Trunk
Aus frischer Quelle dir und sammle Speisen,
Und Zweige wölb’ ich über deinem Haupt,
Und Moos und Blätter breit’ ich dir zum Lager,
Und wenn du schlummerst, so bewach’ ich dich;
Und muß es seyn, bereit ich dir auch wohl
Die Grabesflamme, die sie dir verwehren;
Die Schändlichen!
EMPEDOKLES.
Oh! du treues Herz! – Für mich
Ihr Bürger! bitt’ ich nichts; es sei geschehn!
Ich bitt euch nur um dieses Jünglings willen.
O wendet nicht das Angesicht von mir!
Bin ich es nicht, um den ihr liebend sonst
Euch sammeltet? ihr selber reichtet da
Mir auch die Hände nicht, unziemlich dünkt’
Es euch, zum Freund’ euch wild heranzudrängen.
Doch schiktet ihr die Knaben, diese Friedlichen
Und auf den Schultern brachtet ihr die Kleinern
Und hubt mit euren Armen sie empor –
Bin ich es nicht? und kennt ihr nicht den Mann,
Dem ihr gesagt, ihr könntet, wenn ers wollte,
Von Land zu Land mit ihm, als Bettler gehn,
Und, wenn es möglich wäre, folgtet ihr
Ihm auch hinunter in den Tartarus?
Ihr Kinder! alles wolltet ihr mir schenken
Und zwangt mich thöricht oft, von euch zu nehmen,
Was euch das Leben heitert’ und erhielt,
Dann gab ichs euchs vom Meinigen zurük
Und mehr, denn Eures, achtetet ihr diß.
Nun geh’ ich fort von euch; versagt mir nicht
Die Eine Bitte: schonet dieses Jünglings!
Er that euch nichts zu Laid; er liebt mich nur
Wie ihr mich auch geliebt, und saget selbst
Ob er nicht edel ist und schön! und wohl
Bedürft ihr künftig seiner, glaubt es mir!
Oft sagt’ ich euchs: es würde nacht und kalt
Auf Erden und in Noth verzehrte sich
Die Seele, sendeten zu Zeiten nicht
Die guten Götter solche Jünglinge
Der Menschen welkend Leben zu erfrischen.
Und heilig halten, sagt’ ich, solltet ihr
Die heitern Genien – o schonet sein
Und rufet nicht das Weh, versprecht es mir!
3. AGRIGENTINER.
Hinweg! wir hören nichts von allem, was Du sagst.
HERMOKRATES.
Dem Knaben muß geschehn wie ers
Gewollt. Er mag den frechen Muthwill büßen!
Er geht mit dir, und dein Fluch ist der seine.
EMPEDOKLES.
Du schweigest, Kritias! verbirg es nicht,
Dich trift es auch; du kanntest ihn, nicht wahr?
Die Sünde löschen Ströme nicht von Blut
Der Thiere. – Ich bitte, sag es ihnen, Lieber!
Sie sind, wie trunken, sprich ein ruhig Wort
Damit der Sinn dem Volke wiederkehre.
2. AGRIGENTINER.
Noch schilt er uns? Gedenke deines Fluchs
Und rede nicht und geh’! wir möchten sonst
An dich die Hände legen.
ARCHON.
Wohl gesagt,
Ihr Bürger!
EMPEDOKLES.
So! – und möchtet ihr an mich
Die Hände legen? was? gelüstet es
Bei meinem Leben schon die hungernden
Harpyen? und könt ihrs nicht erwarten, bis erst
Der Geist entflohn ist, mir die Leiche zu schänden?
Heran! zerfleischt und theilet die Beut’ und es seegne
Der Priester euch den Genuß, und seine Vertrauten
Die Rachegötter lad er zum Mahl! – Dir bangt
Heilloser! kennst du mich? und soll ich dir
Den bösen Scherz verderben, den du treibst?
Bei deinem grauen Haare, Mann! du solltst
Zu Erde werden, denn du bist sogar
Zum Knecht der Furien zu schlecht. O sieh!
So schändlich stehst du da, und durftest doch
An mir zum Meister werden? freilich ists
Ein ärmlich Werk, ein blutend Wild zu jagen!
Ich trauerte, das wußte der, da wuchs
Der Muth dem Feigen; da erhascht er mich
Und hezt des Pöbels Zähne mir aufs Herz.
O wer, wer heilt den Geschändeten nun, wer nimmt
Ihn auf, der heimathlos der Fremden Häuser
Mit den Narben seiner Schmach umirrt, die Götter
Des Hains fleht, ihn zu bergen – komme, Sohn!
Sie haben wehe mir gethan, doch hätt’
Ichs wohl vergessen, aber dich? – ha! geht
Nun immerhin zu Grund! Ihr findet mich
In einer Stunde nimmer. –
Die Passage lautetet zunächst:
Nun immerhin zu Grund, ihr Nahmenlosen!
Sterbt langsamen Tods, und euch geleite
Des Priesters Rabengesang! und wie sich Wölfe
Versammeln, wo Leichname sind, so findet sich
Dann einer auch für euch; der sättige
Von eurem Blute sich, der reinige
Sicilien von euch; es stehe dürr
Das Land, wo sonst die Purpurtraube gern
Dem bessern Volke wuchs und goldne Frucht
Im dunkeln Hain, und edles Korn, und fragen
Wird einst der Fremde, wenn er auf den Schutt
Von euren Tempeln tritt, ob da die Stadt
Gestanden?gehet nun! Ihr findet mich
In einer Stunde nimmer. –
Anschlußkreuz unter Ha! geht / Nun immerhin
zu Grund… und partielle Tilgung der oben zitierten
Rede.
Anmerkung 3.