Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Vorwort
Kapitel 1 - Einleitung
Kapitel 2 - Das Rahmenkonzept: betriebliche Gesundheitspolitik
Kapitel 3 - Die gesetzliche Unfallversicherung als Akteur in der betrieblichen Gesundheitspolitik
3.1 Schlaglichter der Geschichte der gesetzlichen Unfallversicherung
3.2 Regelungsdimensionen der gesetzlichen Unfallversicherung
3.3 Organisation und Struktur der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
3.4 Prävention als Hauptaufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung
3.5 Kooperationspartner der gesetzlichen Unfallversicherung in der Prävention
Kapitel 4 - Good Practice berufsgenossenschaftlicher Präventionsarbeit
4.1 Präventionsarbeit vor Ort: Fallstudien aus Unternehmen
4.2 Präventionsarbeit »hinter den Kulissen«: Fallstudien aus Berufsgenossenschaften
4.3 Schlussfolgerungen: Was zeichnet gelungene Präventionsarbeit aus?
Kapitel 5 - Präventionspolitische Reformvorstellungen und die GUV-Reform
5.1 Die Reformdiskussion um die Struktur der gesetzlichen Unfallversicherung
5.2 Die Reformdiskussion um die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie
5.3 Einschätzungen und Positionen zum UVMG und zum Präventionsauftrag der GUV
Kapitel 6 - Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Prävention durch die GUV
1. Die Berufsgenossenschaften als moderner Präventionsdienstleister für Arbeit ...
2. Weiterentwicklung der betrieblichen Prävention durch die GUV
3. Handlungsfelder für eine Weiterentwicklung der Präventionsarbeit
4. Strukturen der UVT für betriebliche Prävention optimieren
5. Zusammenarbeit mit anderen Akteuren der betrieblichen Gesundheitspolitik
Literatur
Die Autoren
Vorwort
Nach Abschluss der Arbeit der gemeinsamen Expertenkommission der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung zur betrieblichen Gesundheitspolitik beauftragten die beiden Stiftungen im Jahr 2005 einen »Initiativkreis betriebliche Gesundheitspolitik«, um die politische Umsetzung der von der Expertenkommission erarbeiteten Empfehlungen zu begleiten und zu befördern. Dieser Initiativkreis hat u. a. im Jahr 2006 angeregt, die Präventionspotenziale der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) unter den gegebenen Bedingungen zu prüfen und Möglichkeiten einer Weiterentwicklung darzustellen.
Hieraus resultierte das von den beiden Stiftungen geförderte Projekt »Die gesetzliche Unfallversicherung im Reformprozess: Umsetzung und Weiterentwicklung des Präventionsauftrages in der Arbeitswelt«. Für eine Zusammenarbeit und Co-Finanzierung konnten die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) sowie die Berufsgenossenschaft Metall Nord Süd (BGM Nord Süd) gewonnen werden. Dieses Buch fasst die wichtigsten Erkenntnisse und Ergebnisse aus dem Projekt zusammen. Alle hier vorgestellten Fallstudien und Interviews sind im Rahmen dieses Projekts durchgeführt worden.
Im Zeitraum des Projektbeginns Anfang 2007 verdichteten sich die Diskussionen und Gesetzesvorhaben zur politischen Reform der GUV - mit höchst unterschiedlichen Motiven und Themen: Mit der Kritik an der Höhe der Verwaltungskosten verband sich die Forderung nach einer Reduktion der Anzahl der Versicherungsträger, zum Teil nach Privatisierung der GUV, und damit die Frage nach der Leistungsfähigkeit des Modells der Selbstverwaltung und Verbändesteuerung.
Auch stand (und steht) eine Reform des Leistungsrechts der GUV auf der Agenda. Seit Langem schon waren Kooperation und Arbeitsteilung zwischen staatlicher Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften in der Kritik, unklar war das Verhältnis zwischen hoheitlicher Aufsicht und Kontrolle einerseits und präventionsorientierter Beratung andererseits, offensichtlich der laufende Abbau von Kapazitäten für beide Institutionen.
Im Hinblick auf Systematik und Effizienz von Begehung und Beratung brachte eine internationale Evaluation gravierende Mängel zutage. Mit der Verstärkung des Auftrags zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) rückte die Frage der Abstimmung und Zusammenarbeit mit der GUV erneut auf die politische Agenda. Dies alles vor dem Hintergrund der auch von der Expertenkommission bekräftigten Einschätzung, dass der Beitrag der GUV zur betrieblichen Prävention und zur Verminderung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren angesichts des gesetzlichen Auftrages und der verfügbaren Ressourcen nicht befriedigen kann.
Jeder dieser Aspekte hätte Thema und Stoff für interessante und relevante sozialwissenschaftliche Untersuchungen geboten. Vor dem Hintergrund seiner Entstehung und seines Auftrags formulierte der Initiativkreis aus diesem Spektrum für das Projekt spezifische Forschungsfragen. Er wollte wissen, wie und mit welchen Voraussetzungen, Chancen und Folgen der seit dem SGB VII gültige erweiterte Präventionsauftrag - die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren - mittlerweile umgesetzt wird. Gleichzeitig sollte untersucht werden, inwieweit die Empfehlungen der Expertenkommission zur Verbesserung der betrieblichen Prävention im gesetzgeberischen Reformprozess der GUV aufgegriffen, berücksichtigt und umgesetzt wurden.
Beide Fragen waren auch mit dem Anspruch verbunden, eine auf die GUV abzielende Präzisierung der Empfehlungen zu erreichen. Immerhin waren diese Empfehlungen von Repräsentanten sämtlicher Stakeholder der betrieblichen Gesundheitspolitik - also auch von den am politischen Reformprozess des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes (UVMG) beteiligten Akteuren - erarbeitet und einmütig unterstützt worden. Zudem gab es auch entsprechende Absichtserklärungen wichtiger Akteure. Und schließlich ist es weder politisch noch wissenschaftlich abwegig, die politische Reform des gewichtigsten öffentlichen Akteurs auf dem Gebiet der betrieblichen Gesundheitssicherung an ihren Ergebnissen für die Prävention zu messen.
Gemessen an diesem Anspruch mussten sowohl der politische Reformprozess als auch die Befunde des Forschungsprojekts enttäuschen: In der Diskussion über die GUV-Reform und das UVMG spielten weder die Weiterentwicklung noch die Ausfüllung des gesetzlich weitgefassten Präventionsauftrags der GUV eine wesentliche Rolle, und auch die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Institutionen der Gewerbeaufsicht bzw. der GKV wurde de facto auf später vertagt.
Der Anspruch, das traditionsreiche System Unfallversicherung in Deutschland dem Wandel der Arbeitsbedingungen und des gesundheitlichen Problempanoramas sowie auch dem Zuwachs an Interventionsmöglichkeiten anzupassen, konnte mit dem UVMG nicht eingelöst werden.
Die wesentlichen Akteursgruppen (Staat, Unternehmen, Gewerkschaften und die GUV) fanden stattdessen relativ schnell einen Konsens darüber, die politische Reformagenda auf die Komponenten »Organisation der GUV« und »Leistungsrecht« zu reduzieren, wobei über die Reform des Leistungsrechts keine Einigung erzielt werden konnte.
Erreicht wurde eine Organisationsreform der GUV mit einer neuen Dachstruktur in Form der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und einer Reduktion der Anzahl der Träger, die die Notwendigkeit von Fusionen impliziert. Mit der ebenfalls im UVMG verankerten, allerdings das Arbeitsschutzgesetz betreffenden Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) wird das anspruchsvolle Vorhaben angegangen, die Koordination und Kooperation von Unfallversicherung und staatlichem Arbeitsschutz künftig an Zielen zu orientieren und eine tragfähige Balance zwischen Aufsicht, Beratung und Unterstützung herzustellen. Als neue Koordinationsmechanismen wurden in der GDA bzw. im Arbeitsschutzgesetz die Nationale Arbeitsschutzkonferenz (NAK) und das Arbeitsschutzforum etabliert.
Alle diese Schritte weisen wahrscheinlich in die richtige Richtung. Gemessen an den von allen Akteursgruppen in der Expertenkommission konsentierten Vorstellungen für eine nachhaltige betriebliche Gesundheitspolitik, also für die Nutzung der Potenziale der Primärprävention, bleiben sie jedoch unbefriedigend. Wichtige Probleme wurden nicht Gegenstand der politischen Reformdiskussion, neue Regelungen wurden ohne nähere Prüfung ihrer möglichen - positiven oder negativen - Auswirkungen auf die betriebliche Prävention beschlossen.
- Nach wie vor arbeitet die Unfallversicherung im Spannungsverhältnis, dem Gesetzesauftrag entsprechend umfassend arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren verhüten zu sollen, während sich ihr ökonomisches Interesse auf die Vermeidung von Berufskrankheiten und Unfällen beschränkt. Diese Anreizstruktur benachteiligt ein Engagement der GUV insbesondere auf dem Gebiet der psychosozialen Belastungen, die heute unzweifelhaft zu den wichtigsten arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gehören. Denn psychosoziale Belastungen können nicht (nur) zu Unfällen und Berufskrankheiten führen, sondern auch zu negativen Folgen für die Betroffenen, die Unternehmen und andere Sozialversicherungsträger, etwa in Form von krankheitsbedingten Fehlzeiten und Frühberentung.
- Die Reduktion der Anzahl der Unfallversicherungsträger (UVT) lockert die Branchenbindung der einzelnen UVT bzw. löst sie sogar auf. Untrennbar verbunden damit ist die Frage, welche Rolle und welches Gewicht in Zukunft die immer wichtiger werdende unspezifische Prävention und Gesundheitsförderung im Verhältnis zur branchenbezogenen und deshalb stark technisch ausgerichteten Prävention haben soll. Über die künftige Rolle des Branchenprinzips gehen auch zwischen den Akteuren die Einschätzungen auseinander; ein gemeinsames Konzept hierzu liegt nicht vor.
- Erst im Zuge der Umsetzung der GDA wird sich herausstellen, ob ein für alle Beteiligten fruchtbares Verhältnis zwischen (hoheitlicher) Aufsicht und unterstützender Beratung hergestellt werden kann, das den Notwendigkeiten und dem Bedarf entspricht. Bislang ist jedenfalls nicht erkennbar, wie der zum Teil dramatische und die Funktionsfähigkeit gefährdende Abbau von Aufsichtskapazitäten aufgehalten und damit eine flächendeckende Versorgung der Betriebe sichergestellt werden kann. Eine funktionierende Aufsicht einschließlich gewerbepolizeilicher Funktionen ist jedoch nach Auffassung nicht nur der Expertenkommission eine notwendige Bedingung für die erweiterten Handlungsfreiheiten der Unternehmen bei der Gestaltung des betrieblichen Gesundheitsschceutzes (»Neuer Interventionstyp«).
- Ob die Definition von drei Arbeitsschutzzielen durch die GDA tatsächlich eine zeitgemäße Orientierung des Systems bis auf die betriebliche Ebene bewirken kann und wird, ist derzeit eine offene Frage. Der Prozess der Diskussion und Definition der Arbeitsschutzziele jedenfalls war kein gutes Beispiel für eine auf Beteiligung, Aktivierung und Mobilisierung gerichtete Zielbildung.
- Ähnlich offen ist die Zukunft einer zielführenden Kooperation zwischen UVT, Gewerbeaufsicht, GKV und betrieblichem Arbeitsschutz. Wie die Zusammenarbeit dieser Akteure miteinander und mit den Unternehmen so organisiert werden kann, dass sie gemeinsam, effektiv und effizient arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren reduzieren und dem Ziel der gesundheitsförderlichen Arbeitssituation näherkommen kann, war nicht Gegenstand des politischen Reformprozesses.
Dies sind einige der präventionspolitischen Fragen, die bereits vor dem UVMG auf der Tagesordnung standen, durch das UVMG jedoch nicht beantwortet wurden. Unter gesundheitswissenschaftlichem und sozialpolitischem Gesichtswinkel muss deshalb von einer vertagten Reform gesprochen werden.
Angesichts des anhaltenden Problemdrucks und der in allen Akteursgruppen zunehmenden Bereitschaft zum Wandel hoffen wir allerdings und gehen auch davon aus, dass die weitere politische Bearbeitung betrieblicher Gesundheitspolitik fruchtbare Lösungen für die bislang offengebliebenen Probleme erbringen wird.
Entscheidend ist, was in den Unternehmen und Betrieben an einem Mehr an Sicherheit und Gesundheit ankommt und wie weit es gelingt, dadurch auch zur Erreichung betriebs- und volkswirtschaftlicher Ziele beizutragen, damit der erforderliche Zusatzaufwand auch den Unternehmen nutzt.
An dieser Stelle möchten wir darauf aufmerksam machen, dass gerade Projekte, die eng an einen politischen Reformprozess gebunden sind, in einzelnen Facetten schnell nicht mehr dem aktuellen Stand der Dinge entsprechen. Die meisten Interviews wurden im Sommer und Herbst 2007 durchgeführt. Insofern erschien es uns stringent, die Zusammenstellung unserer Befunde in Form dieses Buches auf den politischen Reformprozess bis zum Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses zum Referentenentwurf des UVMG am 13. Februar 2008 zu beziehen. Wenn auch einzelne Themen mittlerweile nicht mehr im UVMG auftauchen bzw. andere weiterentwickelt wurden, so sind wir doch der Überzeugung, dass dieser Umstand der Aktualität und Dringlichkeit unserer Empfehlungen keinen Abbruch tut.
Wir danken den Stiftungen und den Berufsgenossenschaften für ihre Förderung und den zahlreichen Gesprächspartnern für ihre Unterstützung dieses Vorhabens. Den Mitgliedern des Projektbeirats danken wir für die konstruktive Unterstützung der Projektarbeit. Zu danken ist auch Jürgen Lempert-Horstkotte (Universität Bielefeld) und Dr. Holger Wellmann (WZB), die ihre hochkomplexe Aufgabe unter großem Zeitdruck sachgerecht, professionell und in gutem Teamgeist bewältigt haben.
Prof. Dr. Bernhard Badura
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock
Bielefeld und Berlin, im August 2009
1
Einleitung
Im Zuge des im November 2008 in Kraft getretenen Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes (UVMG) ist insbesondere die Organisationsstruktur der Unfallversicherungsträger (UVT) in Bewegung geraten. Nachdem sich die beiden ehemaligen Spitzenverbände der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) - der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) und der Bundesverband der Unfallkassen (BUK) - bereits im Juli 2007 zur Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zusammengeschlossen haben, ist bis Ende des Jahres 2009 mit einer Fusionswelle bei den Berufsgenossenschaften und den Unfallkassen zu rechnen.
Außer einer Reihe von im UVMG beschlossenen Neuerungen (z.B. hinsichtlich der Rentenlast-Verteilung, des Vermögensrechts und der Einführung von Altersrückstellungen) gilt aus präventionspolitischer Sicht neben den Fusionen der ebenfalls mit dem UVMG gesetzlich fixierten Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) das Hauptinteresse. Die Partner der GDA - der Bund, die Bundesländer und die UVT - haben sich auf eine Konzeption verständigen können, mit deren Umsetzung die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten erhalten, verbessert und gefördert werden soll.
Während bezüglich der Fragen der Organisationsstruktur und der GDA jeweils ein Konsens gefunden werden konnte, musste die ursprünglich auch auf der Reformagenda stehende Modifizierung des Leistungsrechts der GUV aufgrund nicht in Einklang zu bringender Interessen verschoben werden.
Themen der Umsetzung und Weiterentwicklung der Präventionsarbeit tauchten erst gar nicht auf der Reformagenda auf. Dabei hat die Expertenkommission »Die Zukunft einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitspolitik«1 (EK) in ihrem Abschlussbericht (Bertelsmann Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung 2004) auch Empfehlungen an die überbetrieblichen Akteure formuliert. Danach gilt es u. a. auszuloten, welcher Präventionsträger welchen Beitrag an der Realisierung einer betrieblichen Gesundheitspolitik leisten kann - und wo Überschneidungen vorkommen, die entweder vermieden werden müssen oder ein gewünschtes Wettbewerbsfeld für die Besetzung von Leitkompetenzen in der betrieblichen Präventionsarbeit bieten.
Eine im Rahmen der EK erstellte Expertise untersuchte als Ergänzung zu den allgemeinen Empfehlungen der EK die strategisch-konzeptionelle Verarbeitung des erweiterten Präventionsauftrags der GUV und dessen Umsetzung in der Praxis. Als ein wichtiges Ergebnis wurde festgehalten, dass die Erweiterung des Präventionsauftrags von den UVT nicht nur deklaratorisch aufgegriffen wurde, sondern dass im Laufe der 90er Jahre auch partiell neue Organisationsstrukturen und Handlungskonzepte eingeführt wurden (Lenhardt 2003).
Einschränkend wurde jedoch resümiert: »Im klassischen gesetzlichen Präventionsauftrag der UVT ist also ein Arbeitsschutzverständnis angelegt, welches weitgehend auf Unfall- und BK (Berufskrankheiten, Anm. d. Verf.) -relevante Problemaspekte fokussiert und damit einen großen Bereich gesundheitsrelevanter Dimensionen ausblendet« (Lenhardt 2003: 21).
Vor diesem Hintergrund erscheint es folgerichtig, dass der im Jahr 2005 aus der EK hervorgegangene »Initiativkreis betriebliche Gesundheitspolitik« anregte, die Präventionspotenziale der GUV im Zuge der Diskussion zum UVMG erneut einer Prüfung zu unterziehen und Möglichkeiten einer Weiterentwicklung darzustellen.
Zu diesem Zweck initiierten die Bertelsmann Stiftung und die Hans-Böckler-Stiftung das Projekt »Die gesetzliche Unfallversicherung im Reformprozess: Umsetzung und Weiterentwicklung des Präventionsauftrages in der Arbeitswelt«. Für eine Zusammenarbeit konnten die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) sowie die Berufsgenossenschaft Metall Nord Süd (BGM Nord Süd) gewonnen werden. Die folgenden Ausführungen fassen die wichtigsten Ergebnisse und die daraus abgeleiteten Empfehlungen zusammen.
Die Fragestellungen des Projektes bezogen sich nur auf eine Teilfunktion der Unfallversicherung: die Prävention. Für die Konzentration auf die Prävention sprachen ihre zunehmende gesundheitspolitische Bedeutung und das bisher nicht ausgeschöpfte Präventionspotenzial der Sozialversicherungsträger auf diesem Gebiet. Themenschwerpunkte waren die Einschätzung des UVMG-Reformprozesses, das Präventionsverständnis und deren Ausrichtung, Standards für Präventionsarbeit, Qualifikation, Anreize, das Verhältnis von Beratung und Kontrolle, die Versicherten- und Unternehmensnähe und die Verbesserung der Koordination und Kooperation mit anderen Präventionsakteuren.
Als allgemeiner Referenzpunkt diente das von der EK formulierte Verständnis einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitspolitik. Es wird in Kapitel 2 als Rahmenkonzept komprimiert zusammengefasst. In Kapitel 3 erfolgt die Darstellung der GUV als Akteur in der betrieblichen Gesundheitspolitik. Beschrieben werden Schlaglichter ihrer Geschichte, wichtige Regelungsdimensionen sowie Organisations- und Strukturmerkmale. Außerdem werden die Prävention als Hauptaufgabe der GUV und wesentliche Kooperationspartner in der Prävention vorgestellt.
Während in den Kapiteln 2 und 3 die Frage im Mittelpunkt steht, welches Verständnis und welche Akteure die betriebliche Gesundheitspolitik prägen, wird in Kapitel 4 nach den fördernden und hemmenden Bedingungen guter Praxis berufsgenossenschaftlicher Präventionsarbeit gefragt. Anhand von Unternehmensfallbeispielen werden gelungene - d.h. den Vorstellungen der EK nahekommende - Interventionen beschrieben. Gleichzeitig soll anhand von Fallstudienergebnissen in Berufsgenossenschaften erklärt werden, wie es dort zur Entwicklung entsprechender Ansätze gekommen ist. Daraus abgeleitet werden Faktoren, an denen sich die Präventionsarbeit der Berufsgenossenschaften ausrichten kann.
Kapitel 5 stellt von verschiedenen Akteuren formulierte präventionspolitische Reformvorstellungen für die GUV und Aussagen zu den präventionsrelevanten Inhalten des UVMG zusammen. Dabei wird auf die in Kapitel 4 herausgearbeiteten Faktoren zurückgegriffen. Als Resultat dieser Zusammenstellung werden in Kapitel 6 Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Prävention durch die GUV gegeben.
2
Das Rahmenkonzept: betriebliche Gesundheitspolitik
Betriebliche Gesundheitspolitik ist ein etablierter Fachbegriff, jedoch kein Rechtsbegriff. Kein Unternehmen bzw. kein Unternehmer kann dazu verpflichtet werden, betriebliche Gesundheitspolitik zu betreiben. Dennoch steigt die Anzahl der - vor allem großen - Unternehmen immer weiter, die betriebliche Gesundheitspolitik als ein strategisches Handlungsfeld bzw. als Teil der Unternehmensstrategie für sich entdecken.
Gerade der Bezug zur Unternehmensstrategie legt nahe, dass es sich bei der betrieblichen Gesundheitspolitik um mehr als ein gemeinsames Dach bzw. um mehr als einen Oberbegriff aller in den verschiedenen Gesetzen angelegten Vorschriften zur betrieblichen Prävention handelt. Die überbetrieblichen Präventionsakteure werden sich an die jeweils für sie geltenden Rechtsvorschriften halten und versuchen, sie mit Inhalten, Konzepten und Maßnahmen zu füllen bzw. umzusetzen. Entscheidend wird jedoch sein, welche inhaltliche Ausrichtung durch die innerbetrieblichen Akteure angestrebt wird.
Den breitesten Konsens über das, was zeitgemäße betriebliche Gesundheitspolitik ausmacht, kann den Ausführungen der EK entnommen werden (Bertelsmann Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung 2004). Nach dem Bericht der EK soll durch betriebliche Gesundheitspolitik festgelegt werden, »wie das Thema Gesundheit in einer Organisation behandelt werden soll: mit welchen Grundsätzen und Zielen. Sie legt die Entscheidungswege, Zuständigkeiten und den Ressourcenverbrauch fest sowie den erforderlichen Qualifikationsbedarf« (Bertelsmann Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung 2004: 113). Darüber hinaus werden die Vision, das Leitbild und die Ziele der betrieblichen Gesundheitspolitik benannt.
- Die Vision lautet: Gesunde Arbeit in gesunden Organisationen. Die hierfür erforderlichen Investitionen seien in erster Linie von den Unternehmen selbst zu tragen. Die Kommission - und dieses Verständnis hat besondere Relevanz für die GUV - sieht die zukünftigen Herausforderungen nicht nur an der Mensch-Maschine-Schnittstelle, sondern vornehmlich an der Mensch-Mensch-Schnittstelle. Damit wird ein Umdenkungsprozess - auch bei der GUV - eingefordert, der zum jetzigen Zeitpunkt zwar von einer Reihe von Akteuren wahrgenommen wird, jedoch wahrscheinlich erst in Anfängen zu tatsächlich spürbaren Handlungsänderungen geführt hat.
- Nach dem Leitbild müssen die gesundheitlichen Probleme in erster Linie am Ort ihrer Entstehung präventiv und nicht nachträglich kurativ angegangen werden - also gerade auch in den Unternehmen. Betriebliche Gesundheitspolitik muss gleichzeitig Führungsaufgabe und partizipativ ausgerichtet sein - und sich außerdem differenziert an den Bedürfnissen von Branchen und verschiedenen Unternehmensgrößen orientieren. Maßgeblich für eine gelungene Umsetzung des Leitbildes sind die Kennzeichen der gesundheitsförderlichen Arbeitssituation. Hierzu gehören (a) die technisch sichere und ergonomische Gestaltung, (b) Lernförderlichkeit und persönliche Entwicklungsperspektiven, (c) transparente Betriebsabläufe, (d) hinreichende Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume, (e) die angemessene Förderung von Routine, Kreativität und Motorik, (f) weitestgehende Störungsfreiheit, (g) vorhersehbare und als gerecht empfundene materielle und immaterielle Anreize, (h) ein Klima gegenseitiger Unterstützung und schließlich (i) die Erfassung und Nutzung gesundheitsrelevanter Daten zur weiteren Optimierung der Arbeitsplatzsituation. Die Umsetzung dieses Leitbildes muss nach Ansicht der EK die folgenden Ebenen einbeziehen: Arbeitsmittel und Arbeitsumgebung, Arbeitszeit, Arbeitsorganisation, Sozialbeziehungen, individuelle Anpassungen und ein unterstützendes Umfeld (Rosenbrock et al. 2003).
- Die Ziele der betrieblichen Gesundheitspolitik sieht die EK in (a) der Förderung von Wohlbefinden und Gesundheit der Beschäftigten, (b) der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, (c) der Überwindung von Reformblockaden und der finanziellen Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme sowie (d) in der Anpassung an europäische und internationale (gesetzliche) Vorgaben.
Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels wird die zentrale Herausforderung formuliert, dass betriebliche Gesundheitspolitik einen Beitrag zum gesünderen Älterwerden leisten müsse, damit Behandlungsbedarfe, Frühinvalidität und Frühberentung vermieden werden und somit das Renteneintrittsalter erhöht werden kann. Vor dem Hintergrund der Heraufsetzung des offiziellen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wird diese Herausforderung nochmals unterstrichen.
Eine weitere Präzisierung dessen, was mit betrieblicher Gesundheitspolitik gemeint ist, wird mit der Beschreibung des »neuen Interventionstyps« geliefert. Im Kern geht es darum, dass die Fachkräfte der betrieblichen Prävention bisher überwiegend von extern auf die Unternehmen eingewirkt haben - »mit der Folge, dass weder beim Management noch bei den Beschäftigten die Notwendigkeit gesehen wurde, sich für eine aktive betriebliche Gesundheitspolitik einzusetzen« (Bertelsmann Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung 2004: 43).
Ein Umdenken im Sinne der Stärkung des dezentralen, betrieblichen Handelns und der Qualifizierung der dortigen Akteure ist unabdingbar. Es ist eine Instrumentenentwicklung zu forcieren, die den Unternehmen verdeutlicht, welchen Beitrag die betriebliche Gesundheitspolitik zum Unternehmenserfolg leistet. Jedes Unternehmen sollte in der Lage sein bzw. dazu befähigt werden, eigene, individuelle Lösungen von gesundheitlichen Problematiken zu entwickeln und in einem prozessualen Vorgehen zu verwirklichen.
Schließlich benennt die EK fördernde und hemmende Bedingungen für die Fortentwicklung einer betrieblichen Gesundheitspolitik. Als fördernde Faktoren werden der demographische Wandel, die vorhandenen gesetzlichen Grundlagen und die Nutzen stiftenden sowie kostensenkenden Wirkungen angeführt. Die schon angedeuteten hemmenden Faktoren liegen in der Unterbewertung von Sozial- und Humankapital durch die Unternehmensführungen, in der vorherrschenden Kultur der Reparatur und Kompensation, in der fehlenden Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse und in der Nichtberücksichtigung weicher Faktoren in der Unternehmensbewertung.
Die Sozialpartner, die auch in der EK vertreten waren, haben durch ihre Dachverbände Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) und Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in einer gemeinsamen Erklärung die Handlungsempfehlungen der EK aufgegriffen und ihre Mitglieder aufgerufen, in diesem Sinne tätig zu werden (BDA, DGB 2004). Bei allen Differenzen in Details unterstreicht dies die Dringlichkeit und Einigkeit, mit der die betriebliche Gesundheitspolitik vorangetrieben werden muss.
Nach der gemeinsamen Erklärung von BDA und DGB lässt sich die betriebliche Gesundheitspolitik wie folgt definieren: »Beide Gestaltungsfelder, der verpflichtende Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die den Arbeitsschutz ergänzenden freiwilligen Maßnahmen der Gesundheitsförderung, gehören zu einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitspolitik. Betriebliche Gesundheitspolitik umfasst alle Strategien, in die Humanressourcen unserer Wirtschaft zu investieren. Sie zielt darauf ab, die Mitarbeiter/innen2 gesund und leistungsfähig zu erhalten. Betriebliche Gesundheitspolitik kann so dazu beitragen, die Innovationskraft und Produktivität zu erhöhen« (BDA, DGB 2004: 2).
Daraus spricht die Überzeugung, dass Investitionen in die Gesundheit und wirtschaftlicher Erfolg grundsätzlich keine Gegensätze sind, sondern sich vielmehr gegenseitig bedingen. Es sind demnach die Handlungsfelder betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS), die gleichwertig unter dem Dach der betrieblichen Gesundheitspolitik zu subsumieren sind. Ergänzt werden muss aus heutiger Sicht das Handlungsfeld des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM), das Mitte 2004 gesetzlich verankert wurde (§ 84 Abs. 2 SGB IX). In neueren Publikationen wird entsprechend von drei Säulen bzw. Handlungsfeldern der betrieblichen Gesundheitspolitik ausgegangen (Kohte 2008; Wellmann 2007).
Ein wesentliches Kennzeichen der Funktion des AGS und zugleich ein Unterscheidungsmerkmal zur BGF bilden die gesetzlichen Normierungen, insbesondere durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und diverse Rechtsverordnungen, deren Nichteinhaltung im Zweifelsfall juristische Strafen nach sich ziehen kann. Es gibt also auf Seiten der Arbeitgeber die Verpflichtung zum Handeln. Hierzu zählen im Wesentlichen die Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen, die Festlegung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes, ihre kontinuierliche Überprüfung, Verbesserung und Dokumentation. Die Kosten hierfür sind - im Gegensatz zur BGF - ausschließlich vom Arbeitgeber zu tragen.
Inhaltlich lassen sich der AGS und die BGF durch die Betrachtung des Menschen als schutzbedürftiges Wesen im AGS (Defizitmodell, schwächenorientiert, pathogenetisches Grundverständnis) bzw. als autonom handelndes Subjekt in der BGF (Potenzialmodell, stärkenorientiert, salutogenetisches Grundverständnis) voneinander abgrenzen. Daraus resultieren unterschiedliche Aufgaben und Ziele hinsichtlich verhältnis- und verhaltensorientierter Maßnahmen (Ulich 2002). In der Praxis dürften sich der AGS und die BGF (sowie das BEM) nicht nur systematisch ergänzen, sondern auch eine Reihe von unterschiedlichen Schnittstellen aufweisen.
Damit wird deutlich, dass der AGS als ein nicht immer eindeutig zu umreißender Teilbereich der betrieblichen Gesundheitspolitik zu verstehen ist, für den folglich auch die im obigen Leitbild hervorgehobene exponierte Position der Mensch-Mensch-Schnittstelle eine Rolle spielen muss. Entscheidend ist dabei, dass diese Positionierung nicht gleichzusetzen ist mit einer generell größeren Wichtigkeit im Vergleich zur Mensch-Maschine-Schnittstelle. Es soll vielmehr betont werden, dass sich die Belastungsfaktoren in diese Richtung verschieben und somit die bisher eher vernachlässigte Mensch-Mensch-Schnittstelle dringend einer Aufwertung bedarf. Die Konsequenz für die Präventionsarbeit der GUV wäre, die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren als einen Oberbegriff und als die Kernaufgabe zu betrachten.
Die Implementierung und Sicherstellung der für die betriebliche Gesundheitspolitik notwendigen Strukturen und Prozesse ist eine Managementaufgabe - konkret: die Aufgabe des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), das im Idealfall in das übrige Management des Unternehmens eingebunden ist. BGM dient somit der »Entwicklung integrierter betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit, Organisation und Verhalten am Arbeitsplatz zum Ziel haben und den Beschäftigten wie dem Unternehmen gleichermaßen zugutekommen« (Badura, Ritter und Scherf 1999: 17).
Abschließend gilt es, die Begriffe »betriebliche Prävention« und »betriebliche Präventionsarbeit« einzuführen. Bei ihnen handelt es sich um alle Aktivitäten, Maßnahmen und Leistungen, die zur Realisierung der betrieblichen Gesundheitspolitik und des BGM beitragen.
3
Die gesetzliche Unfallversicherung als Akteur in der betrieblichen Gesundheitspolitik
Die GUV hat sich in ihrer 125-jährigen Geschichte zum größten überbetrieblichen Präventionsakteur der betrieblichen Gesundheitspolitik entwickelt - gemessen am Finanzvolumen, das sie im Vergleich mit anderen Präventionsträgern hierfür ausgibt. In Kapitel 3.1 werden einige Schlaglichter ihrer Geschichte aufgeführt, während es in den Kapiteln 3.2 bzw. 3.3 um ihre Regelungsdimensionen bzw. um ihre Organisation und Struktur geht. Kapitel 3.4 leuchtet die Aufgabe der Prävention näher aus. Abschließend werden in Kapitel 3.5 wichtige Kooperationspartner der gesetzlichen Unfallversicherung beschrieben.
3.1 Schlaglichter der Geschichte der gesetzlichen Unfallversicherung
Die GUV zählt zusammen mit der Renten- und Krankenversicherung zu den frühen sozialen Absicherungen für Arbeitnehmer. Seit ihrer Verkündung am 9. Juli 1884 im Reichsgesetzblatt sind ihre wesentlichen Strukturmerkmale unverändert geblieben, nämlich
- der Aufgabenzuschnitt (Schutz der Versicherten vor den Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten),
- die Beitragsfinanzierung durch Umlageverfahren allein durch die Unternehmer, die dadurch von der Unternehmerhaftung befreit sind,
- sowie der ganzheitliche Ansatz, die Aufgaben Prävention, Rehabilitation und Entschädigungen in eine Hand zu legen.
Das Gesetzeswerk war Bestandteil der Bismarck’schen Sozialreformen, die ihrerseits eine Reaktion auf die vielschichtigen industriellen Umwälzungen und gesellschaftlichen Spannungen im 19. Jahrhundert waren. In der knapp 125-jährigen Geschichte der Unfallversicherung hat sich ihr Geltungsbereich fortlaufend erweitert. 1925 wurde nicht nur die erste Berufskrankheitsverordnung erlassen, sondern auch die Prävention deutlich ausgebaut (Wickenhagen 1980). Es oblag nun den Unfallversicherungsträgern, Unfällen effektiv vorzubeugen und zielgerichtete Erste Hilfe zu erbringen. Außerdem wurden die Arbeitswege in die Unfallversicherung aufgenommen.
Ein weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung der Unfallversicherung war die Umstellung der Betriebs- auf die Personenversicherung (1942) und die generelle Ausweitung des versicherten Personenkreises. 1963 kam es durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz zu einer erneuten Erweiterung des versicherten Personenkreises. Weiterhin sollten mit dem Gesetz die Entschädigungsmöglichkeiten von Krankheiten verbessert werden, die noch nicht in der Liste der Berufskrankheiten geführt wurden, und auch die Unfallverhütung sollte verstärkt werden. Im Leistungsrecht wurde statt des bisherigen Kranken-, Familien- und Tagegeldes das Verletztengeld eingeführt und an das veränderte Lohn- und Preisgefüge angepasst.
Hinsichtlich des Präventionsauftrags war das Arbeitsschutzgesetz von 1996 ein wesentlicher Meilenstein. Mit der Festlegung, dass sich Maßnahmen des Arbeitsschutzes auf die »Verhütung von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit« (§2 Abs. 1 ArbSchG) beziehen und den entsprechenden Vorgaben zur präventiven Orientierung der Umsetzung, haben wichtige Aspekte des Präventionsauftrages und der Arbeitsweise der UVT einen Impuls bekommen.
Mit der parallelen Einführung des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII), das das bisher für die GUV relevante Dritte Buch der Reichsversicherungsordnung ablöste, wurde das Recht der GUV neu geordnet und der bisherige Präventionsauftrag um die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren (mit allen geeigneten Mitteln) erweitert. »Als der in diesem Zusammenhang vielleicht wichtigste Innovationsaspekt kann die Erweiterung, Ausdifferenzierung und Systematisierung von Beratungs- und Unterstützungsleistungen für die Betriebe gelten« (Lenhardt 2003: 29).
3.2 Regelungsdimensionen der gesetzlichen Unfallversicherung
Aufgabe der GUV ist erstens die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln, zweitens die Wiederherstellung der Gesundheit der Versicherten nach Eintritt eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit und drittens die Erbringung von Geldleistungen im Versicherungsfall.