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Inhaltsverzeichnis

Buch
Autorin
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
17. KAPITEL
18. KAPITEL
19. KAPITEL
20. KAPITEL
21. KAPITEL
22. KAPITEL
23. KAPITEL
24. KAPITEL
25. KAPITEL
26. KAPITEL
27. KAPITEL
28. KAPITEL
29. KAPITEL
30. KAPITEL
31. KAPITEL
32. KAPITEL
33. KAPITEL
34. KAPITEL
35. KAPITEL
36. KAPITEL
37. KAPITEL
38. KAPITEL
39. KAPITEL
40. KAPITEL
41. KAPITEL
42. KAPITEL
43. KAPITEL
44. KAPITEL
45. KAPITEL
46. KAPITEL
47. KAPITEL
48. KAPITEL
49. KAPITEL
50. KAPITEL
51. KAPITEL
52. KAPITEL
53. KAPITEL
DANKSAGUNG
Copyright

DANKSAGUNG

Mein Dank gilt allen beim AMIP Thornton Heath, vor allem Detective Superintendent D. Reeve, Detective Sergeant Porter und Detective Constable M. Little sowie Dr. Ian West von der Abteilung für forensische Pathologie am St. Thomas und Guy’s, Dr. Elizabeth Wilson und Doug Stowton vom Forensic Science Service und dem Pathologen Ed Friedlander von der University of Health Sciences, Kansas, deren professioneller Rat und deren Unterstützung das Maß ihrer Pflichten weit überstieg.

Mein besonderer Dank gilt Detective Chief Inspector Steve Gwilliam für seine Geduld und Hilfe.

 

Für ihre Freundschaft und ihren Glauben an mich danke ich: Jimmy Brooks, Karen Catling, Rilke D, Linda Downing, Jon Fink, Jo Goldsworthy, Jane Gregory, Dave und Deborah Head, Sue und Michael Motley, Doreen Norman, Lisanne Radice und Sam Serafy. Auch Caroline Shanks danke ich, die mir vor Jahren das Leben gerettet hat, ebenso Mairi Hitomi, die dies weiterhin tut, sowie meiner ungewöhnlichen und wunderbaren Familie; den gebildetsten und klügsten Menschen, denen ich je begegnet bin, und, vor allem, Keith Quinn.

Autorin

Mo Hayder verließ mit fünfzehn ihr Zuhause, um in London das Abenteuer zu suchen. Sie arbeitete in Bars und Kneipen, zog dann nach Japan und jobbte eine Weile in Tokio, wo sie auch für eine englische Zeitung schrieb. Später bereiste sie weite Teile Asiens und absolvierte anschließend ein Studium an einer amerikanischen Filmhochschule. Mo Hayder ist heute freie Schriftstellerin und lebt zusammen mit ihrem Lebensgefährten und ihrer kleinen Tochter in London. Ihr nächster Roman mit Detective Inspector Jack Caffery ist bei Goldmann in Vorbereitung.

1. KAPITEL

North Greenwich, Ende Mai. Es war drei Stunden vor Sonnenaufgang, und der Fluß wirkte verlassen. Dunkle Kähne zerrten flußaufwärts an ihrer Vertäuung, und eine Flutwelle hob sanft kleine Schaluppen aus dem Schlamm, in dem sie ruhten. Nebel stieg vom Wasser auf und zog landeinwärts, an unbeleuchteten Läden mit Schiffszubehör vorbei, über den verlassenen Millennium Dome, über einsames Ödland und seltsame Mondlandschaften hinweg – bis er sich schließlich nach einer halben Meile im Inland zwischen dem geisterhaften Räderwerk eines halb aufgegebenen Betonwerks niederließ.

Plötzlich flammten Schweinwerfer auf: Ein Polizeiwagen bog mit geräuschlos blinkendem Blaulicht in die Lieferstraße. Momente später folgten ein zweiter und ein dritter. Während der nächsten Stunde trafen weitere Polizeiwagen auf dem Gelände des Betonwerks ein – acht Streifenwagen, zwei Ford Sierra und der weiße Transitbus des Kamerateams der Gerichtsmedizin. Am Eingang der Lieferstraße wurde eine Sperre errichtet, und Polizisten des zuständigen Reviers wurden abgeordnet, den Zugang von der Flußseite her abzuriegeln. Der erste Kriminalbeamte, der das Gelände betrat, setzte sich sofort mit der Fernsprechzentrale Croydon in Verbindung, um die Funknummern des Area Major Investigation Pools (AMIP) zu erfragen, und fünf Meilen entfernt wurde Detective Inspector Jack Caffery von Team B des AMIP aus dem Schlaf geweckt.

Blinzelnd blieb er ein oder zwei Minuten im Dunkeln liegen, sammelte seine Gedanken und wehrte sich gegen den Drang, wieder einzuschlafen. Dann holte er tief Luft, nahm alle Kraft zusammen, schwang sich aus dem Bett, ging ins Badezimmer, klatschte sich Wasser ins Gesicht und zog sich an – nicht zu gehetzt, besser, man kam vollkommen wach und gelassen an. Jetzt die Krawatte, etwas Zurückhaltendes, kein Glenmorangie mehr während der Bereitschaftswoche, Jack, schwör das jetzt, schwör es, die Leute vom CID, vom Criminal Investigation Department können es nicht leiden, wenn wir toller aussehen als sie, den Piepser und Kaffee, mengenweise Instantkaffee, mit Zucker, aber ohne Milch, keine Milch, und vor allem: Kein Essen, man weiß ja nie, was man sich ansehen muß. Er trank zwei Tassen, fand die Wagenschlüssel in der Tasche seiner Jeans und fuhr, vom Koffein inzwischen hellwach, durch die verlassenen Straßen von Greenwich zum Tatort. Sein Vorgesetzter, Detective Superintendent Steve Maddox, ein kleiner, frühzeitig ergrauter Mann, der, tadellos wie immer, in einen steingrauen Anzug gekleidet war, wartete bereits am Eingang des Betonwerks auf ihn. Maddox ging unter einer einsamen Straßenlaterne auf und ab, spielte mit dem Wagenschlüssel und kaute auf der Innenseite seiner Backe.

Er sah Jacks Wagen heranfahren und ging zu ihm hinüber; er legte den Ellbogen aufs Dach, beugte sich durchs offene Fenster und sagte:

»Ich hoffe, Sie haben noch nicht gefrühstückt.«

Caffery zog die Handbremse an. Er nahm Zigaretten und Tabak von der Ablage. »Großartig. Genau das, was ich hören wollte.«

»Die Leiche dort drin sieht ziemlich übel aus.« Er trat zurück, als Jack aus dem Wagen stieg. »Weiblich, zum Teil eingegraben. Mitten im Niemandsland abgeworfen.«

»Sind Sie schon drinnen gewesen?«

»Nein, nein. Das CID hat mich kurz ins Bild gesetzt. Und, ähm …« Er sah über die Schulter zu einer Gruppe CID-Beamter hinüber. Als er sich wieder umdrehte, fuhr er mit leiser Stimme fort. »Jemand hat eine Autopsie an ihr vorgenommen. Die typische Y-Reißverschlußtechnik.«

Jack hielt inne, die Hand auf die Wagentür gelegt. »Eine Autopsie?«

»Ja.«

»Dann ist sie vermutlich aus einem Pathologielabor hierherspaziert.«

»Ich weiß …«

»Ein Ulk von Medizinstudenten …«

»Ich weiß, ich weiß.« Maddox hob die Hände, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Es fällt eigentlich nicht in unseren Zuständigkeitsbereich, aber hören Sie …« Er sah wieder über die Schulter und beugte sich näher. »Hören Sie, gewöhnlich sind die Leute vom CID Greenwich recht freundlich zu uns. Wir wollen sie bei Laune halten. Es wird uns nicht umbringen, wenn wir einen kurzen Blick auf sie werfen. In Ordnung?«

»In Ordnung.«

»Also gut.« Er richtete sich auf. »Jetzt zu Ihnen. Wie geht’s denn? Meinen Sie, Sie sind bereit?«

»Verdammt, nein.« Caffery warf die Tür zu, zog seinen Ausweis aus der Tasche und zuckte die Achseln. »Natürlich bin ich nicht bereit. Wann werde ich das je sein?«

 

Entlang der Umzäunung gingen sie zum Eingang. Das einzige Licht kam vom schwachen gelblichen Schein der Straßenlaternen und dem gelegentlichen Aufblitzen der Lampen des gerichtsmedizinischen Kamerateams, deren Lichtstrahlen über das Ödland streiften. Eine Meile dahinter stand der strahlende Millennium Dome, der die nördliche Skyline beherrschte und dessen rote Warnlichter vor den Sternen aufblinkten.

»Sie ist vermutlich in einen Müllsack gesteckt worden«, sagte Maddox. »Aber es ist so dunkel dort draußen, daß der erste Beamte, der sie in Augenschein genommen hat, nicht sicher war; es ist sein erster Kriminalfall, und er hat ziemliches Muffensausen bekommen.« Er machte mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung einer Gruppe von Wagen. »Der Mercedes. Sehen Sie den Mercedes?«

»Ja.« Caffery ging ungerührt weiter. Ein breitschultriger Mann in einem Kamelhaarmantel saß zusammengesunken auf dem Vordersitz und redete erregt auf einen CID-Beamten ein.

»Der Besitzer. Wegen der Jahrtausendfeier wird die ganze Gegend hier aufgemöbelt. Letzte Woche, behauptet er, habe er eine Gruppe von Leuten angeheuert, um das Gelände aufzuräumen. Wahrscheinlich sind sie, ohne es zu wissen, auf das Grab gestoßen, eine Menge schweres Gerät war im Einsatz, und dann, um null Uhr …«

Er blieb am Tor stehen, sie zeigten ihr Ausweise, schrieben sich bei dem Police Constable ein und duckten sich unter dem Absperrband hindurch, das den Tatort abriegelte.

»Und dann um null Uhr heute morgen waren drei junge Burschen hier draußen, die an einer Klebstoffdose rumgeschnüffelt haben, und die sind über sie gestolpert. Sie sind jetzt unten auf dem Revier. Die Koordinationsbeamtin am Tatort wird uns Genaueres sagen. Sie war schon drinnen.«

Detective Sergeant Fiona Quinn, die Einsatzleiterin, die von Scotland Yard geschickt worden war, erwartete sie an einer mit Flutlicht erleuchteten Stelle in der Nähe einer Containerkabine. Sie wirkte in ihrem weißen Plastikoverall wie ein Geist. Ernst zog sie die Kapuze ab, als sie sich näherten.

Maddox übernahm die Vorstellung.

»Jack, darf ich Ihnen Detective Sergeant Quinn vorstellen. Fiona, das ist mein neuer Detective Inspector, Jack Caffery.«

Caffery näherte sich mit ausgestreckter Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Mich auch, Sir.« Sie streifte die Handschuhe ab und schüttelte Caffery die Hand. »Ihre erste Leiche, nicht wahr?«

»Beim AMIP, ja.«

»Nun, ich wünschte, ich hätte was Hübscheres für Sie. Es sieht nicht besonders erfreulich aus dort drinnen. Überhaupt nicht erfreulich. Irgendwas hat ihr den Schädel gespalten, vermutlich irgendeines der Geräte, die hier im Einsatz waren. Sie liegt auf dem Rücken.« Sie lehnte sich anschaulich mit ausgestreckten Armen und offenem Mund zurück. Im Zwielicht konnte Caffery das Blitzen von Amalgamfüllungen erkennen. »Von der Taille abwärts ist sie unter vorgefertigten Betonteilen begraben, die Umrandung eines Gehsteigs oder dergleichen.«

»Hat sie lange dort gelegen?«

»Nein, nein. Nach grober Schätzung …« Sie zog den Handschuh wieder an und reichte Maddox eine Gesichtsmaske aus Baumwolle. »Weniger als eine Woche; aber zu lange, als daß es Sinn hätte, noch während der Nacht mit der Untersuchung anzufangen. Ich glaube, Sie sollten bis Tagesanbruch warten, bevor Sie den Pathologen aus dem Bett werfen. Er wird Ihnen mehr sagen können, wenn er sie auf dem Seziertisch hatte und die Insektenaktivität überprüft hat. Sie liegt zur Hälfte unter der Erde, halb in einen Müllsack gesteckt, das wird etwas bewirkt haben …«

»Der Pathologe …«, sagte Caffery. »Sind Sie sicher, daß wir einen Pathologen brauchen? Das CID glaubt, es sei eine Autopsie vorgenommen worden.«

»Das stimmt.«

»Und Sie wollen immer noch, daß wir sie uns ansehen?«

»Ja.« Quinns Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Ja, ich finde immer noch, daß Sie sie sehen sollten. Wir reden hier nicht von einer professionellen Autopsie.«

Maddox und Caffery sahen sich an. Es enstand eine kurze Pause, dann nickte Jack:

»Also gut. Gehen wir.« Er räusperte sich, nahm die Handschuhe und die Gesichtsmaske, die Quinn ihm reichte, und steckte schnell seine Krawatte ins Hemd. »Also kommen Sie. Wir wollen einen Blick auf die Leiche werfen.«

 

Ganz nach alter CID-Manier marschierte Caffery trotz übergestreifter Schutzhandschuhe mit den Händen in den Taschen los. Ab und zu verlor er den Lichtstrahl von Detective Quinns Taschenlampe aus dem Blick, was ihm momentweise Unbehagen bereitete, denn so tief drinnen im Gelände war es stockdunkel: Das Kamerateam war fertig und saß in seinem weißen Transitbus, wo es das Originalband überspielte, und die einzige Lichtquelle war jetzt das schwache Leuchten des fluoreszierenden Bandes, das die Einsatzleiterin angebracht hatte. Damit wurde das Gelände zu beiden Seiten des Wegs abgesperrt, bis die Beamten vom AMIP eintrafen, um alle etwaigen Spuren und Beweismittel mit Anhängern zu versehen und in Tüten zu verschließen. Wie Geister tauchten sie aus dem Nebel auf: schwache grüne Umrisse von Flaschen, zerdrückte Dosen, etwas Formloses, das ein T-Shirt oder ein Handtuch hätte sein können. Förderbänder und Brückenkräne erhoben sich dreißig Meter in den Nachthimmel über ihnen und wirkten so grau und reglos wie stillgelegte Achterbahnen.

Quinn hob die Hand und bedeutete ihnen stehenzubleiben.

»Da«, sagte sie zu Caffery. »Sehen Sie? Sie liegt auf dem Rücken.«

»Wo?«

»Sehen Sie das Ölfaß?« Sie ließ den Lichtstrahl darübergleiten.

»Ja.«

»Und die beiden Armierungseisen rechts davon?«

»Ja.«

»Folgen Sie ihnen nach unten.«

»Gütiger Gott.«

»Sehen Sie es?«

»Ja.« Er richtete sich auf. »Ja. Ich sehe es.«

Das ist ein Körper? Er hielt es für Sprühschaum, für Schaum aus einer Dose, so aufgebläht, gelb und glänzend wirkte er. Dann sah er Haar und Zähne und erkannte einen Arm. Und schließlich, als er den Kopf zur Seite neigte, erkannte er, worauf er blickte.

»Ach, um Himmels willen«, flüsterte Maddox gequält. »Na los. Jemand soll ein Zelt über ihr aufspannen.«

2. KAPITEL

Nachdem die Sonne aufgegangen war und den Flußnebel weggebrannt hatte, wußten alle, die die Leiche bei Tageslicht gesehen hatten, daß es sich nicht um einen Scherz von Medizinstudenten handelte. Harsha Krishnamurthi, der diensthabende Pathologe des Innenministeriums, traf ein und verschwand für eine Stunde unter dem weißen Zelt. Ein Team der Spurensicherung wurde herbeigerufen und eingewiesen, und um zwölf Uhr mittags hatten sie die Leiche aus den Betonteilen geborgen.

Caffery fand Maddox auf dem Vordersitz des Sierra von Team B.

»Alles okay?«

»Wir können hier nichts mehr tun, werter Kollege, wir überlassen jetzt Krishnamurthi die Arbeit.«

»Gehen Sie heim, und schlafen Sie etwas.«

»Sie auch.«

»Nein, ich bleibe.«

»Nein, Jack. Sie auch. Wenn Sie sich in Schlaflosigkeit üben wollen, haben Sie in den nächsten Tagen Gelegenheit dazu. Glauben Sie mir.«

Caffery hob die Hand. »Schon gut, schon gut. Ganz wie Sie meinen, Sir.«

»Genauso meine ich es.«

»Aber ich werde sicher nicht schlafen.«

»Na schön. Gut. Gehen Sie trotzdem heim.« Er deutete in die Richtung, wo Cafferys zerbeulter alter Jaguar stand. »Gehen Sie heim, und tun Sie einfach so, als würden Sie schlafen.«

Das Bild der tiefgelben Leiche unter dem Zelt ließ Caffery nicht los, auch nicht, als er nach Hause kam. Im weißlichen Morgenlicht schien sie realer zu sein als in der Nacht davor. Ihre Finger mit den abgebissenen, himmelblau lackierten Nägeln waren nach innen in die angeschwollenen Handflächen gebogen.

Er duschte und rasierte sich. Sein Gesicht, das er im Spiegel sah, war von einem Morgen am Fluß gebräunt, und um seine Augen hatten sich neue Sonnenfältchen gebildet. Er wußte, daß er nicht schlafen würde.

Die neuen Beamten im AMIP, die durch schnelle Beförderung aufgestiegen waren, waren jünger, härter und fitter, und er bemerkte den Unmut in den niedrigen Rängen, er verstand die kleine, grausame Freude, die sie verspürten, als der achtwöchige Bereitschaftsdienst turnusmäßig wieder auf Team B überging und gemeinerweise genau mit seinem ersten Einsatz zusammenfiel.

Sieben Tage, vierundzwanzig Stunden Bereitschaftsdienst, schlaflose Nächte: und dann direkt kopfüber in den Fall, keine Zeit, um Atem zu schöpfen. Er wäre wohl nicht in bester Verfassung.

Und es sah nach einem schwierigen Fall aus.

Nicht nur der Tatort und die fehlenden Zeugen dürften die Recherchen erschweren; im Morgenlicht hatten sie außerdem die schwarzen, schwärenden Spuren von Nadeleinstichen entdeckt.

Und der Täter hatte mit der Brust des Opfers etwas angestellt, woran Caffery hier, in seinem weißgekachelten Badezimmer, gar nicht denken wollte. Er trocknete sich das Haar ab und schüttelte das Wasser aus den Ohren. Hör auf, jetzt daran zu denken. Hör auf, dich davon verrückt machen zu lassen. Maddox hatte recht, er brauchte Ruhe.

 

Er war in der Küche und goß sich ein Glas Glenmorangie ein, als es an der Tür klopfte.

»Ich bin’s«, rief Veronica durch den Briefkastenschlitz. »Ich kann doch reinkommen? Ich hätte angerufen, aber ich hab’ mein Handy zu Hause gelassen.«

Er öffnete die Tür. Sie trug einen cremefarbenen Hosenanzug, und in ihrem Haar steckte eine Armani-Sonnenbrille; ihre Beine waren von Einkaufstüten aus Chelsea-Boutiquen umstellt. Ihr knallrotes Tigra-Cabrio parkte in der Abendsonne vor dem Gartentor, und Caffery sah, daß sie seine Haustürschlüssel in der Hand hielt, als hätte sie gerade selbst aufsperren wollen. »Hallo, Süßer.« Sie beugte sich vor, um sich küssen zu lassen. Er küßte sie und schmeckte Lippenstift und Mentholspray.

»Mmmm!« Sie hielt sein Handgelenk fest, trat zurück und betrachtete sein gebräuntes Gesicht, die Jeans und die bloßen Füße. Und die Flasche, die zwischen seinen Fingern baumelte. »Du hast dich ausgeruht, nicht wahr?«

»Ich war im Garten.«

»Penderecki beobachten?«

»Du meinst, ich könnte nicht in den Garten gehen, ohne Penderecki zu beobachten?«

»Natürlich kannst du das nicht.« Sie lachte, dann sah sie ihm ins Gesicht. »Ach komm, Jack. Das war ein Scherz. Da.« Sie hob eine Einkaufstüte hoch und reichte sie ihm. »Ich war einkaufen: Garnelen, frischer Dill, frischer Koriander und, oh, der beste Muskateller. Und das…« Sie hielt eine dunkelgrüne Schachtel hoch. »Von Daddy und mir.« Wie ein exotischer Vogel hob sie eines ihrer langen Beine und legte die Schachtel aufs Knie, um sie zu öffnen. Darin lag eine braune, in bedrucktes Seidenpapier eingeschlagene Lederjacke. »Eine der Marken, die wir importieren.«

»Ich habe eine Lederjacke.«

»Oh.« Ihr Lächeln verschwand. »Oh, na schön. Macht nichts.« Sie schloß die Schachtel. Beide schwiegen einen Moment. »Hör zu, ich kann sie zurückbringen.«

»Nein.« Caffery war sofort beschämt. »Tu’s nicht.«

»Ehrlich. Ich kann sie im Lager umtauschen.«

»Nein wirklich. Hier, gib sie mir.«

Typisch Veronica, dachte er, als er mit dem Knie die Tür aufhielt und ihr ins Haus folgte. Sie machte einen umwälzenden, wichtigen Vorschlag, er wies ihn zurück, sie schob die Unterlippe vor, zuckte tapfer mit den Achseln, und sofort fühlte er sich schuldig, nahm eine Unterwerfungshaltung ein und kapitulierte. Wegen ihrer Vergangenheit. Einfach, aber effektiv, Veronica. In den sechs kurzen Monaten, die sie nun zusammen waren, war sein bequemes, verwohntes Haus in etwas Fremdes verwandelt worden, das mit exotischen Pflanzen und arbeitssparenden Geräten vollgestopft war, und seine Schränke quollen über vor Kleidungsstücken, die er nie tragen würde: Designeranzüge, handgenähte Jacketts, Seidenkrawatten, Hosen aus edelstem Stoff. Alles aus der Importfirma ihres Vaters in der Goodge Street.

Während Veronica sich in seiner Küche häuslich einrichtete, die Fenster öffnete, die Espressomaschine einschaltete und in leuchtendgrünen Pfannen Erdnußöl brutzelte, nahm Caffery den Whisky mit auf die Terrasse hinaus.

Der Garten. Nun, dachte er, während er den Glenmorangie eingoß, er war der perfekte Beweis, daß ihre Beziehung auf der Kippe stand. Lange bevor seine Eltern das Haus gekauft hatten, waren die Hibiskusbüsche, die Lupinen und die alte, knorrige Clematis gepflanzt worden. Er ließ sie jeden Sommer wuchern, bis ihre Blätter fast die Fenster verdeckten. Aber Veronica wollte Ordnung schaffen, beschneiden, düngen, in bemalten Tontöpfen auf den Simsen Zitronengras ziehen, Gartenanlagen planen, Kieswege anlegen und Lorbeerbäume pflanzen. Um ihn schließlich, nachdem sie ihn und sein Haus neu verpackt hatte, dazu zu bringen, alles zu verkaufen und hinter sich zu lassen: das kleine Südlondoner Häuschen aus rotem Backstein mit den Strebenfenstern, dem verwilderten Garten und den nahe vorbeidonnernden Zügen, sein Geburtshaus. Sie wollte ihren Job in dem Familienbetrieb aufgeben, bei ihren Eltern ausziehen und ein perfektes Heim für sie beide schaffen.

Aber das brachte er nicht fertig. Seine Geschichte war zu tief in diesem Stückchen Erde verwurzelt, als daß er wegen einer Laune alles aufgeben könnte. Und nach sechs Monaten Beziehung mit Veronica war er sich seiner Sache sicher: Er liebte sie nicht.

Er beobachtete sie jetzt durchs Fenster, während sie Kartoffeln schrubbte und Butterflöckchen schabte. Ende letzten Jahres, nach vier Jahren Dienst im CID, war er erschöpft und gelangweilt gewesen, er trat auf der Stelle; er wartete auf etwas Neues. Bis er auf einer inoffiziellen Halloweenparty des CID bemerkte, daß ihn, wann immer er sich umdrehte, ein Mädchen in einem Minirock und goldenen Riemchensandalen beobachtete, auf deren Gesicht ein wissendes Lächeln lag.

Veronica löste bei Jack eine hormonell bedingte Besessenheit aus, die zwei Monate andauerte. Sie kam seinem Sextrieb entgegen. Jeden Morgen um sechs weckte sie ihn auf, um mit ihm zu schlafen, und die Wochenenden verbrachte sie damit, durchs Haus zu spazieren, mit nichts am Leib außer hochhackigen Schuhen und pinkfarbenem Lippenstift.

Sie gab ihm neue Energie, und auch andere Bereiche seines Lebens begannen, sich zu verändern. Im April war das Kopfende seines Bettes von den Absätzen ihrer Stöckelschuhe zerkratzt, und er hatte eine Versetzung zum AMIP in der Tasche. Zur Mordkommission.

Aber im Frühling, gerade als sein Begehren nach ihr nachließ, änderte Veronica ihre Haltung. Sie meinte es jetzt ernst mit ihm und startete den Versuch, ihn an die Leine zu legen. Eines Abends mußte er sich auf ihr Geheiß setzen, und sie erzählte ihm mit gewichtiger Miene von der großen Ungerechtigkeit in ihrem Leben: Lange bevor sie sich kennengelernt hatten, hatte sie zwei Jahre ihrer Teenagerzeit dem Kampf gegen Krebs geopfert.

Der Trick funktionierte. Überrumpelt, wie er war, wußte er plötzlich nicht mehr, wie er mit ihr Schluß machen sollte.

Wie anmaßend, Jack, dachte er, als wäre es eine Wiedergutmachung, wenn er sie nicht verlassen würde, wie anmaßend du doch sein kannst.

Drinnen in der Küche senkte sie ihr schmales Kinn auf die Brust, schob ihre Zunge zwischen die Lippen und zupfte einen Minzestengel in Stücke. Er goß sich etwas Whisky ein, den er in einem Schluck hinunterstürzte.

Heute abend würde er es tun. Vielleicht beim Abendessen.

 

Nach einer Stunde war das Essen fertig. Veronica drehte alle Lichter im Haus an und entzündete auf der Veranda nach Citronelle duftende Gartenkerzen.

»Pancetta und grüner Bohnensalat mit Rauke, Garnelen mit Honig und Sojasoße, gefolgt von einem Sorbet aus Clementinen. Bin ich die perfekte Hausfrau oder nicht?« Sie schüttelte ihr Haar und lächelte. »Ich dachte, ich probier es an dir aus, um zu sehen, ob es für die Party passend wäre.«

»Die Party.« Die hatte er vergessen. Sie hatten sich darauf geeinigt, als sie meinten, daß zehn Tage nach der Bereitschaftswoche ein günstiger Zeitpunkt wäre, um eine Party zu feiern.

»Zum Glück habe ich sie nicht vergessen, nicht wahr?« Den Topf mit den neuen Kartöffelchen in der Hand, schob sie sich an ihm vorbei. Im Wohnzimmer waren die Fenstertüren zum Garten geöffnet. »Wir essen heute abend hier drinnen, es wäre doch sinnlos, extra ins Eßzimmer umzuziehen.« Sie blieb stehen und sah auf sein zerknittertes T-Shirt, die frische Sonnenbräune und das dunkle, wilde Haar. »Findest du nicht, daß du dich zum Essen umziehen solltest?«

»Du machst wohl Scherze?«

»Nun, ich …« Sie breitete eine Serviette über ihren Schoß.

»Ich finde, es wäre hübsch.«

»Nein.« Er setzte sich. »Ich brauche meinen Anzug. Ich habe einen neuen Fall.«

Mach weiter, frag mich über den Fall aus, Veronica, zeig an etwas anderem Interesse als an meiner Garderobe.

Aber sie begann, Kartoffeln auf seinen Teller zu laden. »Du hast doch nicht nur einen Anzug, oder? Daddy hat dir doch den grauen geschickt.«

»Der andere ist in der Reinigung.«

»Ach, Jack, das hättest du sagen sollen. Ich hätte ihn doch abholen können.«

»Veronica …»

»Schon gut.« Sie hob die Hand. »Tut mir leid. Ich erwähne es nicht wieder.« Sie brach ab. Im Flur läutete das Telefon. »Ich möchte mal wissen, wer das ist.« Sie spießte eine Kartoffel auf. »Aber ich kann es mir irgendwie fast denken.«

Caffery stellte sein Glas ab und schob seinen Stuhl zurück.

»Mein Gott«, sagte sie gereizt und legte die Gabel weg. »Die haben wirklich den sechsten Sinn. Kannst du es nicht einfach klingeln lassen?«

»Nein.«

Im Flur nahm er den Hörer ab. »Ja?«

»Lassen Sie mich raten. Ich habe Sie geweckt?«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich wohl kaum schlafen würde.«

»Tut mir leid, Ihnen das antun zu müssen, mein Freund.«

»Ja, was gibt’s denn?«

»Ich bin wieder hier unten. Der Chief Superintendent hat sich einverstanden erklärte, ein paar Geräte herbringen zu lassen. Einer von der Spurensicherung hat etwas gefunden.«

»Geräte?«

»BSR.«

»BSR? – das ist…?« Caffery brach ab. Veronica schob sich an ihm vorbei, ging zielstrebig die Treppe hinauf und schloß die Schlafzimmertür hinter sich. Eine Hand gegen die Wand gestützt, stand er in dem engen Flur und starrte ihr nach.

»Sind Sie noch da, Jack?«

»Ja, es tut mir leid. Was haben Sie gesagt? BSR – ist das irgendwas zur Überprüfung des Bodens?«

»Bodensonar.«

»Gut. Sie wollen mir also sagen…« Caffery bohrte mit seinem schwarz verfärbten Daumennagel ein kleines Loch in die Wand. »Sie wollen mir also sagen, daß Sie noch mehr haben?«

»Ja, wir haben noch mehr.« Maddox klang ernst. »Noch vier weitere.«

»Mist. Er massierte seinen Nacken. »Wir stecken wohl bis über die Ohren in der Scheiße?«

»Man hat gerade angefangen sie auszugraben.«

»In Ordnung. Wo kann ich Sie treffen?«

»Am Betonwerk. Wir können den anderen dann zum Devonshire Place nachfahren.«

»Dem Leichenschauhaus? In Greenwich?«

»Mhm. Krishnamurthi hat mit der ersten schon angefangen. Er hat uns versprochen, eine Nachtschicht für uns einzulegen.«

»In Ordnung. Ich treffe Sie dort in einer halben Stunde.«

 

Veronica befand sich oben im Schlafzimmer, die Tür war geschlossen. Caffery zog sich in Ewans Zimmer an und sah einmal aus dem Fenster, um festzustellen, ob sich auf der anderen Seite des Bahndamms, bei Penderecki, etwas rührte. Nichts. Als er sich die Krawatte band, steckte er den Kopf durch die Schlafzimmertür.

»Veronica, wir müssen miteinander reden. Wenn ich wieder …«

Er hielt inne. Sie saß im Bett, die Decken bis zum Hals hinaufgezogen, und hielt eine Pillenflasche in der Hand.

»Was ist das?«

Sie sah zu ihm auf. Ihre Augen waren blau umrändert und trübe. »Ibuprofen. Warum?«

»Was machst du da?«

»Nichts.«

»Was machts du da, Veronica?«

»Mein Hals ist wieder geschwollen.«

Er blieb stehen und hielt mit der linken Hand die Krawatte von sich gestreckt. »Dein Hals ist geschwollen?«

»Na ja, kein Grund zur Aufregung.«

»Seit wann?«

»Ich weiß nicht.«

»Also, entweder ist dein Hals geschwollen oder nicht.«

Sie murmelte etwas, das er nicht verstand, öffnete die Flasche, schüttelte zwei Pillen auf die Hand und sah ihn an.

»Hast du irgendeine nette Verabredung?«

»Warum hast du mir nicht gesagt, daß dein Hals geschwollen ist? Hättest du keine Tests machen lassen sollen?«

»Mach dir deswegen keine Sorgen. Du mußt an wichtigere Dinge denken.«

»Veronica …«

»Was jetzt

Er schwieg einen Moment. »Nichts.« Er band die Krawatte und wandte sich ab, um die Treppe hinunterzugehen.

»Mach dir bitte keine Sorgen um mich«, rief sie ihm nach. »Ich werde nicht auf dich warten.«

3. KAPITEL

Zwei Uhr dreißig morgens. Caffery und Maddox standen schweigend da und starrten in den weiß gekachelten Obduktionsbereich; fünf Seziertische aus Aluminium, fünf Körper, vom Schambein bis zu den Schultern aufgeschnitten, die Haut zurückgeklappt, worunter sich nackte Rippen zeigten, die von Fett und Muskeln umschlossen waren. Flüssigkeit tropfte in die Schale unter ihnen.

Caffery kannte das gut; den Geruch von Desinfektionsmitteln, der sich in der kalten Luft mit dem unverkennbaren Gestank von Innereien vermischte. Aber fünf. Fünf. Alle an ein und demselben Tag gefunden. Die Sektionsdiener, die schweigend in ihren pfefferminzgrünen Galoschen und Kitteln umhergingen, schienen nichts Ungewöhnliches daran zu finden. Eine der Gehilfinnen lächelte, als sie ihm eine Gesichtsmaske reichte.

»Nur noch einen Augenblick, meine Herren.« Harsha Krishnamurthi bearbeitete am hintersten Seziertisch eine Leiche.

»Wer ist dran?«

»Ich.« Ein kleiner Sektionsdiener mit runder Brille erschien an seiner Seite.

»Gut, Martin. Wieg sie, wasch sie, bereite Proben vor. Paula, ich bin hier fertig, du kannst sie zumachen. Laß die Nähte nicht über die Wunden lappen. Also, meine Herren …« Er schob eine Halogenlampe beiseite, hob sein Plastikvisier und wandte sich, die behandschuhten Hände starr nach vorn gestreckt, Maddox und Caffery zu. Er sah gut aus, war schlank, in den Fünfzigern, sein Bart war sorgfältig gepflegt, und seine Augen, die die Farbe dunklen Holzes hatten, glänzten ein wenig altersmüde. »Großes Gastspiel, nicht wahr?«

Maddox nickte. »Kennen wir die Todesursache?«

»Ich glaube schon. Und wenn ich mich nicht irre, ist es eine sehr interessante. Darauf komme ich noch.« Er deutete den Raum hinunter. »Die entomologische Untersuchung wird Genaueres ergeben, aber annähernde Angaben kann ich Ihnen zu allen liefern: Die erste, die Sie gefunden haben, war die letzte, die gestorben ist, wir wollen sie Nummer fünf nennen. Sie ist vor weniger als einer Woche gestorben. Dann springen wir etwa einen Monat zurück, dann zweieinhalb Monate. Die erste ist vermutlich im Dezember gestorben; aber dann werden die Abstände geringer. Wir haben Glück; die Einwirkungen von dritter Seite sind gering, sie sind ziemlich gut erhalten.«

Er zeigte auf einen trostlosen Haufen schwarzen Fleisches auf dem zweiten Seziertisch.

»Sie starb als erste. Die langen Knochen verraten, daß sie noch keine achtzehn war. Auf ihrem linken Arm ist etwas, das wie eine Tätowierung aussieht. Das könnte der einzige Anhaltspunkt sein, um sie zu identifizieren. Das oder die Zähne. Nun …« Er hob einen Finger. »Was das Aussehen bei der Auffindung betrifft – ich weiß nicht, wieviel Sie draußen erkennen konnten, aber alle trugen Make-up. Starkes Make-up. Deutlich erkennbar. Obwohl sie so lange im Boden gelegen haben. Lidschatten, Lippenstift. Der Fotograf hat alles festgehalten.«

»Make-up. Tätowierungen …«

»Ja, Mr. Maddox. Und wenn wir in dieser Richtung weiterdenken, hatten zwei Beckenentzündungen, eine einen verhornten Anus, massenhafter Hinweis auf Drogenmißbrauch; Endokarditis der Trikuspidalklappen. Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen …«

»Ja, ja, ja«, murmelte Maddox. »Also sagen wir, es geht um Prostituierte. Ich glaube, das wußten wir schon. Was können Sie uns über die Verletzungen sagen?«

»Ah! Jetzt wird es interessant.« Krishnamurthi schob eine Hängelampe zur Seite, trat zu einer Leiche heran und bat die beiden, ihm zu folgen. »Sehen Sie, ich habe den zweiten Thorako-Abdominalschnitt sehr eng angelegt, ohne den zu berühren, den der Täter gemacht hat, und ohne die Brüste zu verletzen, so daß ich aus den Einschnitten Gewebe entnehmen und einen Blick nach innen werfen konnte, um nachzusehen, was dort drinnen los ist.«

»Und?«

»Irgendwelches Gewebe ist entfernt worden.«

Maddox und Caffery tauschten Blicke aus.

»Das Ganze stimmt grob mit dem üblichen Vorgehen bei einer Brustverkleinerung überein. Es ist auch vernäht. Wichtig ist meiner Ansicht nach, daß der Täter diese Verschönerung bei den Opfern mit kleineren Brüsten nicht vorgenommen hat.«

»Welchen?«

»Bei Opfer zwei und drei. Und lassen Sie mich Ihnen etwas Interessantes zeigen.« Er führte sie zu einem Tisch, an dem ein Sektionsdiener den Torso zunähte, aus dem er die Eingeweide entnommen hatte. »Die Kratzspuren sehen gräßlich aus – aber seltsamerweise kann ich keinerlei Anzeichen für einen Kampf feststellen. Außer hier bei Opfer Nummer drei.«

Sie versammelten sich um die Leiche. Sie war klein, so klein wie ein Kind, und Caffery wußte, daß sie wegen dieses äußerlichen Merkmals bei den Überlegungen des Teams hintangestellt werden würde, gleichgültig, ob das nun rational war oder nicht.

»Sie wog nicht mehr als vierzig Kilo«, sagte Krishnamurthi, und fügte Cafferys Gedanken lesend hinzu: »Aber sie war keine Jugendliche. Sondern einfach nur sehr klein. Vielleicht wurden deswegen ihre Brüste nicht verstümmelt.«

»Die Haarfarbe?«

»Gefärbtes Haar. Haar verwest sehr langsam. Dieser Aubergineton dürfte sich seit ihrem Tod nicht sehr verändert haben. Jetzt sehen Sie her.« Er zeigte mit seinem nassen, schwarzen Finger auf ein Muster, das sich um die Handgelenke zog. »Es ist schwer von den normalen Verwesungsmerkmalen zu unterscheiden, aber das hier sind tatsächlich Spuren von Fesseln, die vor Eintritt des Todes angebracht waren. Und ein Knebel hier auf dem Gesicht. Auch an den Fußgelenken gibt es Spuren von Wundscheuern und Blutungen. Die anderen sind vollkommen reglos gestorben; sie sind einfach…« Er streckte die Hand aus und machte Fingerbewegungen, als klettere er einen Berg hinauf. »Sie sind einfach über den Rand gekippt. Ganz einfach so. Aber bei der hier – bei der war es anders.«

»Anders?« Caffery sah auf. »Warum anders?«

»Die hat gekämpft, meine Herren. Sie hat um ihr Leben gekämpft.«

»Die anderen nicht?«

»Nein.« Er hob die Hände. »Dazu komme ich noch. Hören Sie mir einfach in Ruhe zu, okay?« Er rollte einen Lampengalgen beiseite und ging zu dem Körper des Opfers hinüber, das als erstes gefunden wurde. »Also…« Er sah auf und wartete, daß Maddox und Caffery ihm folgten. »Also. Diese hier nennen wir Nummer fünf. Sie ist in einem wirklich entsetzlichen Zustand, zweifellos wurden die Kopfverletzungen post mortem zugefügt, mit schwerem Gerät. Ihre Vermutung mit dem Bulldozer dürfte hinkommen. Das macht es sehr schwer für uns, sie zu identifizieren. Unsere ganze Hoffnung sind die Fingerabdrücke, obwohl wir auch hier auf Probleme stoßen. Sehen Sie, wie die Haut wegflutscht? Nicht die geringste Hoffnung, einen genauen Abdruck zu kriegen. Ich werde also die Haut ablösen und dann den Abdruck abnehmen müssen.« Er legte die Hand wieder zurück. »Sie war drogenabhängig, aber ihr Tod ist plötzlich eingetreten, keine Überdosis, keine Aspiration in Speise- und Luftröhre, kein Lungenödem.« Er rollte den Körper vorsichtig auf die Seite und deutete auf einen grünlichen Fleck am Gesäß. »Das meiste, was Sie hier sehen, ist Verwesung. Aber darunter, können Sie die schwarzen Pünktchen erkennen?«

»Ja.«

Er rollte den Körper wieder zurück. »Diffuse Hypostase. Sie wurde nach dem Tod bewegt. Hier auf dem Arm ebenfalls, ungewöhnlicherweise sogar auf den Fußgelenken.«

»Ungewöhnlicherweise?«

»Man würde das bei einem Opfer finden, das erhängt wurde. Das Blut fließt nach unten in die Beine und die Fußgelenke.«

Caffery runzelte die Stirn. »Sie sagten, das Zungenbein sei intakt.«

»Das stimmt. Und aufgrund dessen, was vom Hals noch übrig ist, kann ich garantieren, daß sie nicht erhängt wurde.«

»Also?«

»Sie befand sich einige Zeit in stehender Position. Nach Eintritt des Todes.«

»Stehend?« fragte Caffery. »Stehend?« Die Vorstellung beunruhigte ihn. Er wandte sich an Maddox, erwartete eine Erklärung, schlichte Beruhigung. Aber die bekam er nicht. Maddox kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Ich weiß nichts, wollte er damit sagen, versuchen Sie nicht, von mir eine Antwort zu bekommen.

»Vielleicht ist sie aufgestellt worden«, fuhr Krishnamurthi fort. »Ich kann allerdings keine weißlichen Flecken entdecken, um zu sagen, wie das geschehen wäre, die Verwesung ist zu weit fortgeschritten, aber sie könnte unter den Armen aufgehängt oder irgendwo eingeklemmt worden sein, damit sie aufrecht stehenblieb. Irgendwann kurz nach Eintritt des Todes, als das Blut noch nicht viskös war.« Er hielt inne. »Mhm. Das habe ich übersehen.«

»Was denn?«

Er beugte sich vor und nahm vorsichtig mit der Pinzette etwas von der Kopfhaut ab. »Gut.«

»Was ist das?«

»Ein Haar.«

Caffery beugte sich vor. »Ein Schamhaar?«

»Vielleicht.« Krishnamurthi hielt es ins Licht. »Nein. Das ist ein Kopfhaar. Negroid. Abgesehen von der Analyse der Mitochondrien für eine DNA-Analyse nicht zu gebrauchen, weil zu wenig Haarbalg dran ist.« Sorgfältig steckte er das Haar in eine Tüte und reichte sie dem Sektionsdiener zur Beschriftung. »Von drei Opfern habe ich bereits ein paar blonde Haare abgenommen. Sie sind auf dem Weg nach Lambeth.« Er ging zum nächsten Tisch. »Nummer zwei. Sie ist vor vierzehn oder fünfzehn Wochen gestorben. Einsfünfundsechzig. Alter vielleicht dreißig. Die Finger sind ausgetrocknet, aber wir kriegen dennoch gute Abdrücke, es gibt einen ausgezeichneten Weichteilaufbauer aus Gelatine, der die Fingerspitzen anschwellen läßt.«

Er ging zum nächsten Tisch, wo ein Leichnam lag, der in der Mitte aufgeschnitten war. Ein Gespinst aus Bindegewebe schimmerte zwischen bläulichen Rippen, das gebleichte blonde Haar war angefeuchtet und aus der klaren Stirn gestrichen worden. Auch der Hals war einen Spaltbreit aufgeschnitten und gab den Blick auf ein milchigweißes Stimmband frei. »Opfer vier, meine Herren.«

Caffery berührte leicht das Fußgelenk. »Gut.« Er deutete auf eine Tätowierung, die überraschend deutlich ein paar Zentimeter über dem Fußwurzelknochen angebracht war. Bugs Bunny. Mit seinem Markenzeichen, der Karotte.

»Sie sagen, keine typischen Anzeichen für eine Überdosis?«

»Das stimmt. Auch keine Verletzungen.«

»Woran ist sie dann gestorben?«

Krishnamurthi hielt einen beschmutzten Finger hoch und lächelte zögernd. »Ich habe da eine Idee. Sehen Sie sich das an.« Langsam führte er den Finger in die Halsöffnung ein, dehnte vorsichtig den Spalt etwas weiter aus, umging die Luft- und Speiseröhre, bis die Halswirbelsäule zum Vorschein kam. »Dieser Mann ist schlau, aber nicht so schlau wie ich. Wenn Sie von hier unten genügend Gehirnflüssigkeit ablassen«, er richtete sich auf und tippte auf seinen Nacken, »tritt sofort der Tod ein, und es bleiben kaum Spuren zurück. Selbst eine übliche Lumbalpunktion muß sehr vorsichtig durchgeführt werden, denn entnimmt man zu viel von der Flüssigkeit, macht es klatsch, und der Patient beißt ins Gras. Aber diese Opfer hier haben etwa die richtige Menge an spinaler Flüssigkeit im Rückenmarkskanal und keine Punktionswunden auf dem Rücken. Also frage ich mich, ob er direkt«, er schob das Kalibrierungsskalpell in die Öffnung zwischen die Halswirbel und schnitt vorsichtig eine geringe Menge der weißen Myelinschicht heraus, »in den Hirnstamm selbst eingedrungen ist.«

»In den Hirnstamm?«

»Genau.« Krishnamurthi machte eine zweiten Einschnitt und beugte sich hinunter, um hineinzusehen. »Hmmm.« Sorgfältig führte er das Skalpell und sagte murmelnd: »Nein, ich habe unrecht.« Er runzelte die Stirn und sah auf. »Das ist nicht durch Ablassen von Gehirnflüssigkeit gemacht worden.«

»Nein?«

»Nein. Aber hier wurde invasiv vorgegangen. Verstehen Sie, Superintendent Maddox, der Hirnstamm ist von sehr zarter Struktur. Sie bräuchten nur eine Nadel in die Medulla oblongata zu stecken, sie ein bißchen herumzudrehen, und alle physiologischen Funktionen würden sofort zum Stillstand kommen  – genau so, wie wir es bei diesen Opfern hier sehen.«

»Sofortiger Eintritt des Todes?«

»Genau. Allerdings sehe ich die weitreichenden Schädigungen nicht, die man hier erwarten würde, aber das heißt nicht, daß hier nicht injiziert wurde. Egal was, sogar Wasser wäre ausreichend; das Herz und die Lungen des Opfers wären einfach zum Stillstand gekommen. Sofort.«

»Und Sie sagen…« Caffery stieß langsam den Atem aus. »Daß sich außer dieser hier keine gewehrt hat?«

»Genau.«

»Wie denn?« Caffery rieb sich leicht die Schläfen. »Wie haben sie stillgehalten?«

»Ich schätze, wenn Sie die Magen-, Blut- und Tiefengewebeanalyse aus der Toxikologie vorliegen haben, werden Sie auf etwas stoßen, womit sie sediert wurden.« Er reckte den Kopf. »Man muß wohl annehmen, daß sie nur halb bei Bewußtsein waren, als diese Nadel eingeführt wurde.«

»Also gut.« Caffery verschränkte die Arme und ließ sich auf den Fersen zurückkippen. »Lambeth muß auf Alkohol, Rohypnol und Barbiturate testen. Und diese…« Er machte mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung der Stirn des Opfers. Etwa einen Zentimeter unter dem Haaransatz entdeckte er eine waagrechte Linie zarter ockerfarbener Male. »Diese Flecken am Kopf untersuchen.«

»Ja, die sind komisch, nicht?«

»Haben die alle?«

»Alle außer Nummer vier. Sie erstrecken sich um den ganzen Kopf. Fast ein perfekter Kreis. Und es handelt sich um ein sehr deutliches Muster; ein paar Punkte, dann ein Schrägstrich.«

Caffery beugte sich ein wenig näher. Punkt, Punkt, Strich – hatte sich da jemand einen Scherz erlaubt? »Wie sind die angebracht worden?«

»Keine Ahnung. Ich werde mich bemühen, es herauszufinden.«

»Und wie steht’s mit dem Fadenmaterial?«

»Ja.« Krishnamurthi schwieg einen Moment. »Es ist professionelles Material.«

Caffery richtete sich auf. Maddox sah ihn mit klaren grauen Augen über die Maske hinweg an. Caffery zog die Augenbrauen hoch. »Also wenn das nicht interessant ist.«

»Ich habe nicht gesagt, daß die Technik professionell ist, meine Herren.« Krishnamurthi streifte seine Handschuhe ab, warf sie in einen gelben Kübel für gefährlichen Biomüll und ging zum Waschbecken hinüber. »Nur das Material. Es ist Seide. Aber der Einschnitt reicht nicht bis zum Schwertfortsatz des Brustbeins. Ziemlich primitiv. Der klassische Schnitt zur Brustverkleinerung, wie er in der Chirurgenausbildung gelehrt wird.« Er nahm das gelbe Stück Desinfektionsseife und seifte sich die Arme ein. »Er hat das Fett von der ungefähr richtigen Stelle entnommen, und der Einschnitt ist mit einem Skalpell durchgeführt worden. Aber die Nähte, die sind nicht professionell. Überhaupt nicht.«

»Aber wenn ich davon ausginge, unser Täter hätte gewisse Grundkenntnisse, würden Sie sagen …«

»Ich würde sagen, Sie hätten einen Anhaltspunkt. Einen guten Anhaltspunkt. Er war in der Lage, den Hirnstamm zu finden, was bemerkenswert ist.« Er spülte sich die Hände ab und nahm die Schutzbrille vom Gesicht. »Nun. Wollen Sie sehen, was er gemacht hat, bevor er sie wieder zugenäht hat?«

»Ja.«

»Hier entlang.«

Während er sich die Hände abtrocknete, führte er sie in einen Nebenraum, wo der kleine Sektionsdiener kaugummikauend die Gedärme in einem Porzellanbecken untersuchte; er hielt sie unter einen Wasserhahn und spülte den Inhalt in eine Schüssel. Sorgfältig untersuchte er die Innen- und Außenseiten, um Verätzungen festzustellen. Als er Krishnamurthi sah, legte er die Eingeweide beiseite und wusch sich die Hände.

»Zeigen Sie ihnen, was wir in den Brusthöhlen gefunden haben, Martin.«

»Sicher.«

Er schob den Kaugummi in die Backe und nahm eine große Stahlschüssel, die mit einem Stück braunem Papier bedeckt war. Er entfernte das Papier und hielt die Schüssel hoch. Maddox beugte sich darüber und riß den Kopf zurück, als hätte er einen Schlag bekommen. »Jesus.« Er wandte sich ab und zog ein Taschentuch mit Monogramm aus der Anzugtasche.

»Zeigen Sie es mir?«

»Sicher.« Er hob die Schüssel hoch, und Caffery spähte zögernd über den Rand.

In der Schüssel drängten sich fünf winzige tote Körper zusammen, als versuchten sie, sich warm zu halten. Er sah zu dem Sektionsdiener auf. »Ist es das, wofür ich es halte?«

Der Sektionsdiener nickte. »O ja. Es ist genau das, wonach es aussieht.«

4. KAPITEL

Caffery ging um vier Uhr morgens ins Bett. Neben ihm schlief Veronica tief und fest und schnarchte leise. Wenn ihr Hals geschwollen war, hieß das, daß ihre Drüsen geschwollen waren. Geschwollene Drüsen bedeuteten, daß der Morbus Hodgkin wieder ausgebrochen war, daß der tödliche Lymphkrebs zurückgekehrt war.

Genau zum richtigen Zeitpunkt, Veronica, genau zum richtigen Zeitpunkt; als hättest du es gewußt.

Um vier Uhr dreißig fiel er schließlich in leichten, unruhigen Schlaf und wachte um halb sechs schon wieder auf.

Er starrte an die Decke und dachte über die fünf Leichen in der Devonshire Street nach.

Etwas an der Verletzungen war typisch für den Mörder: Die Male an den Köpfen – stammten sie von etwas, das sie tragen mußten? Von Fesselungsgegenständen? – waren nur bei Opfer vier nicht vorhanden. Keines der Opfer war vergewaltigt worden, es gab keine Anzeichen von Penetration, weder anal noch vaginal; dennoch hatte Krishnamurthi unter dem Mikroskop Samenspuren auf dem Unterleib entdeckt. Verbunden mit den Verstümmelungen der Brüste bei drei der Frauen und der fehlenden Kleidung, wußte Caffery, daß sie nach einem Täter suchten, der für die Polizei der Alptraum war: der sexuelle Serienmörder, jemand, der bereits zu krank war, um aufzuhören. Und das, was ihm überhaupt nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte, waren die fünf blutigen Körper am Boden der Stahlschüssel. Wohin er sich auch wandte, sie verfolgten ihn.

Als ihm klarwurde, daß er nicht mehr einschlafen würde, duschte er, zog sich an, ohne Veronica zu wecken, und fuhr durch das morgendliche London zum Hauptquartier von Team B.

Team B, das zuweilen nach der Straße, in der es seinen Sitz hatte, Shrivemoor genannt wurde, teilte sich mit der Four Areas’ Territorial Support Group ein schlichtes Backsteingebäude. Die Außenseite war anonym, aber die Statistiken über Verkehrstote, die in einem unbeleuchteten Schaukasten daran angebracht waren, hatten der Öffentlichkeit den Eindruck vermittelt, es handle sich um ein normales Polizeirevier. Schließlich wurde an der Garageneinfahrt ein Schild angebracht, das die Leute davon abhalten sollte, mit ihren Alltagsproblemen hereinzukommen. Suchen Sie ein gewöhnliches Polizeirevier auf, gleich unten an der Straße gibt es eines, stand darauf.

Als Caffery ankam, war über den Reihenhäusern aus den dreißiger Jahren die Sonne aufgestiegen, und Schulkinder wurden in Volvos verfrachtet. Er parkte den Jaguar – auch er sollte Veronicas Ansicht nach gegen eine neuere, glänzendere Version ausgetauscht werden.

»Du könntest ihn verkaufen und dir was wirklich Hübsches besorgen.«

»Ich möchte nichts wirklich Hübsches. Ich will den Wagen, den ich habe.«

»Dann laß ihn mich wenigstens waschen.«

Er steckte seine Karte in den Schlitz am Eingang und stieg die Treppe hinauf, vorbei an den fünfzehn gepanzerten Ford Shepard der TSG, die dort in Öllachen standen. In den Räumen der AMIP brannten alle Neonlampen, vier Datenverarbeiter, alle Frauen und zivile Mitarbeiterinnen, saßen an ihren Schreibtischen und tippten.

Er fand Maddox, der gerade vom Frühstück mit dem Chief Superintendent gekommen war, in seinem Büro. Bei Earl Grey und geräuchertem Lachs im Chislehurst-Golfclub hatte der Chief Superintendent einen Plan ausgebreitet.

»Er hat mit der Presse ein Stillhalteabkommen vereinbart.« Maddox wirkte erschöpft; Caffery sah, daß er nicht geschlafen hatte. »Alle weiblichen Beamten oder Mitarbeiterinnen, die der Fall zu sehr beunruhigt, können um anderweitigen Einsatz bitten, und…« Er rückte einen Bleistift gerade, so daß dieser sich exakt in einer Linie mit den anderen Gegenständen auf seinem Schreibtisch befand, und sagte mit blutleeren Lippen: »Und wir kriegen Verstärkung. Das ganze Team F wird von Eltham hierher beordert.«

»Zwei Teams für einen Fall?«

»Ja. Der Chief macht sich Sorgen wegen dieser Geschichte. Große Sorgen. Ihm gefallen diese immer kürzer werdenden Zeitabstände nicht, die Krishnamurthi festgestellt hat. Und …«

»Ja?«

Maddox seufzte. »Das Haar, das Krishnamurthi bei diesem Mädchen gefunden hat. Das schwarze Haar.«

»Er hat auch blonde Haare gefunden. Im Fall von Prostituierten führen derartige Spuren in die Irre.«

»Richtig, Jack, richtig. Aber der Chief hat die Stephen-Lawrence-Paranoia, er sieht nur noch Menschenrechtsgruppen in dunklen Ecken und Rasierklingen in seiner Post.«

Es klopfte, und Maddox öffnete mit einem bitteren Ausdruck auf dem Gesicht. »Er will auf keinen Fall, daß wir uns auf einen Schwarzen einschießen.«

»Morgen, Sir.« Es war Detective Sergeant Paul Essex in seiner üblich liebenswert schlampigen Aufmachung: offene Krawatte, die Ärmel über die riesigen roten Unterarme hochgekrempelt. Er stand in der Tür und hielt einen orangefarbenen Aktenordner in der ausgestreckten Hand. »Vom Erkennungsdienst.«

»Fingerabdrücke?«

»Ja.« Er strich das schütter werdende Blondhaar aus der breiten roten Stirn. »Opfer fünf war so freundlich, sich im Register für Prostituierte eintragen zu lassen. Eine gewisse Shellene Craw.«

Caffery öffnete den Ordner, las und stieß ein leises Pfeifen

»Namentlich ein gewisser, ähm, Harrison.« Er reichte ihm den Ordner. »Mr. Barry Harrison. In Stepney Green.«

»Mach ich.«

»So ist es, Sir. Wegen meines Zartgefühls bin ich eigens dafür ausgewählt worden.«

»Mach ich. Und, Sir, das ist reingekommen.« Er reichte Caffery einen langen Computerauszug. »Von Scotland Yard. Die Operationsbezeichnung: Operation Alcatraz.«

»Nein.«

»Warum?«

»Ich bin gerade erst hier angekommen.«

»In den Opfern«, korrigierte ihn Caffery und verschränkte die Arme. »Im Brustkorb, neben das Herz genäht.«

»Was?