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Edgar Wallace

Die Bande des Schreckens


Roman


Aus dem Englischen von Gregor Müller

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Copyright

The terrible People

PeP eBooks erscheinen in der Verlagsgruppe Random House

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2000
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House

ISBN 3-89480-303-7

Inhaltsverzeichnis








































1



Ulanen-Harry betrat die Burton-Polizeistation, um seinen Entlassungsschein vorzulegen. Er war an diesem Montagmorgen aus Dartmoor entlassen worden, nachdem er dort sieben Jahre weniger 21 Tage verbüßt hatte.

Einen finsteren Ausdruck auf dem gelben, narbigen Gesicht, schlenderte er herein und hielt dem Oberwachtmeister seinen Schein hin.

»Henry Beneford, entlassener Strafgefangener. Soll mich hier melden ...«

In diesem Augenblick bemerkte er Inspektor Long – oder den Wetter, wie man ihn nannte – und seine Augen begannen zu funkeln. Es war ein Zufall, in mancher Hinsicht ein äußerst unglücklicher Zufall für Ulanen-Harry, daß er den Wetter hier antraf. Der Inspektor war nur eben schnell vorbeigekommen, um die Personalien eines gesuchten Ladendiebes festzustellen.

»Morgen, Inspektor! Immer noch am Leben?«

»Und ob!« Inspektor Arnold Long lachte ungezwungen.

Ulanen-Harrys häßliche Lippe zuckte, und in seinen Augen glomm es drohend auf.

»Es wundert mich, daß Ihr Gewissen Sie noch schlafen läßt – sieben Jahre haben Sie mir durch niederträchtige Hinterlist ver- schafft!«

»Und hoffentlich verschaffe ich Ihnen noch weitere sieben Jahre!« gab der Wetter erheitert zurück.

Die lange Oberlippe Harrys zuckte krampfhaft. Früher hatten Leute, die ihn gut kannten, bei diesem gefährlichen Warnzeichen Deckung gesucht; doch obgleich Arnold Long ihn recht gut kannte, schien es ihn nicht sonderlich zu beunruhigen.

Ulanen-Harry hatte tatsächlich anderthalb Jahre als Ulan in Seiner Majestät Armee gedient und dann drei Jahre gefaßt, weil er einen Unteroffizier bis zur Bewußtlosigkeit mit den Füßen getreten hatte. Er war ein Rohling, ein Dieb – ein gefährlicher Kerl. Aber auch der Wetter wurde gefürchtet, war als rücksichtslos verschrien.

»Hören Sie mal – drohen liegt mir ja nicht, aber Sie werden keine Gelegenheit haben, mich nochmals dorthin zu schicken, und soviel möchte ich Ihnen jedenfalls sagen: Passen Sie auf!«

Der Wetter grinste freundlich.

»Sie reden zuviel, Ulan! Eines Tages werden Sie noch im Parlament Reden halten wollen.«

Harrys Oberlippe zuckte von neuem gefährlich. Er kehrte sich dem Tisch des Oberwachtmeisters zu und legte mit zitternder Hand seine Papiere hin.

»Oh, Sie sind schlau – ihr alle seid schlau! Leute wie mich zu fangen, ist nicht allzu schwer, aber warum habt ihr Shelton noch nie erwischt, he? Alle verfluchten Spürhunde Englands können ihn nicht zur Strecke bringen.«

Long erwiderte nichts. Clay Shelton interessierte ihn wenig, und der Vorwurf berührte ihn überhaupt nicht. Er war ein tüchtiger Beamter, was Ulanen-Harry nur zu gut wußte.

Als der Wetter jedoch nach Scotland Yard zurückkehrte, mußte er erfahren, daß Mr. Shelton noch eine sehr wesentliche Rolle in seinem Leben spielen sollte.

Tatsächlich gab es keinen Kriminellen in der ganzen Welt, der Clay Shelton gleichkam. Schon seit fünfzehn Jahren beschäftigte er sich damit, Kreditbriefe, Wechsel und andere Handelspapiere zu fälschen und in Umlauf zu bringen. Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Clay Shelton – das war der Name, den ein hagerer, kurzsichtiger Mann am 3. September 1918 ins Fremdenbuch des White Hart Hotels in Dorking eintrug. Auf diesen Namen, mit dem er in die Kriminalakten einging und fortan auf den Karteikarten des Polizeipräsidiums geführt wurde, hob er durch den einfachsten Kniff der Welt und eine ganz gewöhnliche Fälschung bei der Sussex Bank 7200 Pfund ab.

Oberstleutnant Hillerby vom Zahlmeisteramt, der mittels einer gefälschten Vollmacht 25000 Pfund bei der Bank of Africa abhob, war entschieden derselbe Herr, hatte aber einen Schnurrbart und trug ein Monokel. Dem in militärischen Dingen sehr bewanderten Bankdetektiv kam der neue Oberstleutnant verdächtig vor, er verfolgte ihn nach Wynberg und wurde in einem Fichtenwald bei Kenilworth erstochen aufgefunden. Clay verband Scharfsinn mit Gewalttätigkeit.

Flottenzahlmeister Corban Smith, der einen ähnlich hohen Betrag von der Portsmouth and Southern Bank in Empfang nehmen konnte, hatte keinen Schnurrbart, trug jedoch eine Marineoffiziers – Uniform, auf deren linker Brustseite die bunten Bänder militärischer Auszeichnungen prangten. Der Kassenbote, der bei der Bank von England für die Midland Western Bank 65000 Pfund abhob, hatte einen grauen Schnurrbart und sprach mit schottischem Akzent. Frederic G. Tennycold aus Chicago, der von einer Zweigstelle der Midland Western aufgrund eines Kreditbriefes 6000 Pfund bekam, trug eine Hornbrille und das Abzeichen der Knights of Columbus. Noch viele andere Namen hatte die Polizei in die Akten dieses einen Mannes eingetragen, doch amtlich galt er einfach als Clay Shelton.

Inspektor Vansitter, ernst und gedrückt dreinschauend, saß seinem Vorgesetzten gegenüber, der ihn hatte rufen lassen.

»Es tut mir außerordentlich leid«, sagte der weißhaarige Polizeioberst, »Sie haben eben die gleiche Erfahrung machen müssen wie Ihre Kollegen zuvor. Das Beste, was ich für Sie tun kann ist, daß ich Sie dieser Aufgabe enthebe und jemand ändern damit betraue. Ein Trost für Sie, daß noch jeder, der sich mit den Shelton – Fälschungen befaßte, den kürzeren gezogen hat.«

Vor drei Monaten hatte Mr. Shelton mit einer gefälschten Kabelüberweisung die Auslandsabteilung der City of London Bank dazu gebracht, ihm 18320 Pfund auszuhändigen. Alle Sachverständigen stimmten darin überein, daß es das sauberste Stück Arbeit war, das er je geliefert hatte. Wenn auch die Polizei dem Gaunerstückchen eine gewisse Bewunderung nicht versagen konnte, lag ihr umso entschiedener daran, eine Wiederholung zu verhindern.

»Wir können ihn nicht fassen, weil wir ihn nicht kennen«, sagte Vansitter. »und die Hauptschwierigkeit ist, daß er allein arbeitet. Sogar die: Kabelsache hat er selbst durchgeführt. Sowohl der telegrafische Auftrag als auch die Bestätigung waren gefälscht. Ein Mann, der geschickt genug ist, dies allein zu bewerkstelligen, kann nur mit Gottes Hilfe ergriffen werden! Wenn irgendein weibliches Wesen im Spiele wäre, wenn er eine Frau oder einen Mittäter hätte, könnte er seine Gaunereien nicht ungestraft fünfzehn Jahre lang fortsetzen.«

Es entstand ein peinliches, man könnte sagen, schmerzliches Schweigen. Der Polizeioberst, der den Inspektor schätzte und es ihm leicht machen wollte, beschloß, die Unterredung abzubrechen.

Vansitter konnte keine weitere Rechtfertigung für seinen Mißerfolg vorbringen, aber einen Rat wollte er doch anbieten.

»Ich glaube nicht, daß er gefaßt werden kann, wenn er nicht einen Fehler begeht. Wenn überhaupt, dann könnte ihn nur einer ...« Er wartete auf eine Aufforderung, doch Oberst Macfarlane, der genau wußte, wen er meinte, schwieg. »Der Wetter -«, schloß Vansitter.

Der Oberst verzog das Gesicht.

»Hm! Der Wetter!« Er schüttelte mißbilligend den Kopf.

Long, obschon Polizeibeamter, war ein Mann, der die Universität besucht hatte, und Sohn eines Millionärs. Wie es dazu gekommen war, daß Sir Godley Longs Sohn die Polizeilaufbahn einschlug, ist eine zu lange Geschichte, um sie hier zu erzählen. Eines düsteren Tags hatte ihn der entrüstete Vizekanzler von Cambridge entlassen, weil er sich mit einem Universitätsdiener herumgeschlagen und ihn verprügelt hatte. Er wurde schleunigst zu seinem Vater zurückgeschickt, der ihn, über die Affäre sehr aufgebracht, aus dem Hause wies, damit er sich seinen Unterhalt selbst verdiene. Arnold Murray ging. Aber einen Monat später sprach er in der Uniform eines Beamten der Metropolitan Police im Hause seines Vaters in Berkeley Square vor, und alle Bitten und Beschwörungen Sir Godleys konnten ihn nicht bewegen, sie wieder abzulegen.

Dies ist die Geschichte in aller Kürze. Ich wette ... war seine ständige Redensart – darum nannte man ihn den Wetter.

Der Vater ließ jedoch den Sohn nicht fallen, sondern verfolgte seine Überspanntheiten mit einem gewissen Stolz. In seinem vornehmen Club pflegte er von meinem Sohn, dem Polypen zu sprechen. In einer nebligen Nacht hatte er Arnold an einer Ecke der Hill Street aufgelauert und ihm ein Glas Bier angeboten. Jedermann im Club wußte zu berichten, wie Arnold das Glas behaglich ausgetrunken und dann dem Vater angedroht habe, ihn wegen Vagabundierens zu verhaften.

Die Behörden hatten Arnold die übliche Zeit beim Patrouillendienst belassen, da sie seiner Herkunft wegen einen Vorwurf der Begünstigung befürchteten, wenn er außer der Reihe befördert worden wäre. Nach zwei Jahren war er bereits Oberwachtmeister. Bösartige Fragen konnten nicht gestellt werden, denn gerade ihm war die Ergreifung Lew Freddings geglückt, der sich von der New York Security Bank eine Viertelmillion Dollar erschlichen hatte.

Dieser Tat ließ Long, unbewaffnet, wie er im Augenblick war, die Festnahme der berüchtigten Revolverhelden Sullivan und Veilt folgen, kurz, nachdem sie den Spitzel Parlyvoo Smith getötet hatten. Niemand konnte ihm daraufhin die Tressen vorenthalten. Scotland Yard versetzte ihn in die Kriminalabteilung, wo er von anderen tüchtigen Männern überschattet wurde. Aber als er an einem nebligen Abend nach Hause fuhr, überholte er einen hinkenden Mann, der sich des günstigen Wetters wegen aus seinem Versteck herausgewagt hatte, um sich etwas Bewegung zu machen. Der Wetter hielt seinen Wagen an, sprang hinaus und verhaftete, nachdem ihn wie durch ein Wunder zwei Kugeln verfehlten, Ernie Budlow, den Bankräuber und Erpresser, der sechs verschiedener Delikte wegen gesucht wurde.

Glück! sagte man in Scotland Yard, aber man war gezwungen, ihn zum stellvertretenden Inspektor zu ernennen, da der Minister des Innern höchstpersönlich seine Unterschrift unter die Empfehlung gesetzt hatte.

In Scotland Yard betrachtete man ihn nicht als Ideal. Auch hielt man ihn jüngeren Detektiven keineswegs als Vorbild hin. Er selbst gab an, daß er schon so oft im Vorzimmer seines Vorgesetzten gewartet habe, daß der Teppich davon eigentlich ein Loch haben müßte. Eine einstweilige Amtsenthebung und ein scharfer Verweis befleckten seine Laufbahn, und einmal zog er sich den Tadel eines Richters zu, weil er verfassungswidrige Hilfsmittel angewandt hatte.

Er war fast zwei Meter groß, machte aber dennoch einen ziemlich schmächtigen Eindruck. Er konnte laufen wie ein Hase – nur mit mehr Verstand. Zwei Jahre war er Amateur – Meisterschaftsboxer gewesen. Er konnte klettern wie eine Katze und besaß etwas, was dem Instinkt der Katze Nahekahm. Er bezeichnete sich als Engländer, um Macfarlane, den Obersten, zu ärgern, der nie das Wort englisch zuließ, wo britisch gebraucht werden konnte.

Als ihn die Boylans in einer Nebengasse von Limehouse Reach abpaßten und ihm fünf Minuten gaben, um sich auf die Beförderung in eine andere Welt vorzubereiten, verzog er sein langes, hageres Gesicht zu einem Grinsen und zeigte seine weißen Zähne.

»Ich wette einen Tausender, Ihr werdet mich nicht erledigen!«

Und sie brachten es nicht zustande. Zwei Meilen schwamm er mit gebunden Händen und Füßen, und als ihn die Themse – Flußpolizei rettete, waren die ersten Worte, die er zwischen den klappernden Zähnen hervorstieß – es war Mitte Januar und Eisstücke trieben im Fluß -:

»Ich wette einen Tausender, daß ich Joe Boylan innerhalb vierundzwanzig Stunden fassen werde.«

Und Joe Boylan mußte dran glauben.

Oberst Macfarlane mochte wohl bei dem Gedanken, dem Wetter Long die Shelton – Sache zu übertragen, die Nase rümpfen. In England ist der dritte Grad unbekannt, aber der Wetter hatte einen vierten Grad erfunden. Hielt er damals nicht den Kopf Lew Brayleys so lange zwischen seine Arme geklemmt, bis dieser eingestand, wo er den entführten und gegen Lösegeld festgehaltenen kleinen Sohn des Millionärs und Reeders John Brisbane versteckt hielt? War es nicht gleichfalls der Wetter gewesen, der sich den Tadel eines Landrichters zuzog, weil er den Geldschrank eines gewissen Lester Glommen erbrochen hatte? Er holte sich daraus den einzigen Nachweis heraus, der die Verbindung mit dem Texts – Öl – Schwindel entlarven konnte – von Transaktionen also, die so einträglich gewesen waren, daß Glommen sich wenige Monate später als ungewöhnlich reicher Mann hätte zurückziehen können.

»Der Wetter?« wiederholte der Oberst und zog grübelnd an seiner Unterlippe. »Ich darf es nicht tun! Der Wetter würde etwas Schreckliches anstellen, und das fiele auf mich zurück ... Aber ...«

Den ganzen Tag dachte er über die Sache nach. Um fünf Uhr abends jedoch wurde Arnold Long ins Büro seines Vorgesetzten gerufen.

Der Wetter hörte mit entschlossenem Lächeln zu.

»Nein, Sir, ich brauche die Akten nicht zu sehen, ich kenne Shel- tons Laufbahn auswendig. Geben Sie mir drei Monate Zeit, und ich bringe ihn dorthin, wo er regelmäßige Mahlzeiten einhalten muß.«

»Seien Sie nicht zu sicher, Mr. Long!« warnte der Oberst.

»Ich wette – das heißt«, verbesserte sich Arnold respektvoll, »ich glaube, ich bin ziemlich sicher.«

Mit vielen Ermahnungen, Warnungen und guten Ratschlägen versehen ging der Wetter Long und meldete sich beim Vorsitzenden des Bankierverbandes.

Auf dem Weg dorthin vergegenwärtigte er sich noch einmal alles, was er von Shelton wußte. Aber dieses Wissen allein genügte nicht, einen solchen Mann zur Strecke zu bringen.

2



An einem herrlichen Frühlingsmorgen spazierte Mr. Shelton langsam durch die Lombard Street und blieb vor einem Gebäude stehen, das trotz der polierten Granitverkleidung traurig und nichtssagend aussah. Er starrte, wie jeder Passant es tut, zu den einförmigen Fensterreihen hinauf.

»Was ist das für ein Gebäude?«

Diese Frage richtete er an einen Citypolizisten, der der Fahrbahn zugewandt auf dem Randstein stand, denn Citypolizisten sind ebenso gute Fremdenführer wie vortreffliche Verkehrsregler.

»Die City and Southern Bank, Sir.«

»Mein Gott!« flüsterte Mr. Shelton und starrte das Gebäude mit doppelter Hochachtung an.

Ein Auto fuhr vor, der Chauffeur sprang heraus, riß die Tür auf dem Wagen entstiegen ein sehr hübsches Mädchen, dann eine blasse Dame und zuletzt ein gut aussehender junger Mann mit schwarzem Schnurrbart und einem Monokel im Auge. Den glänzenden Zylinder hielt er in der Hand, denn das niedrige Verdeck machte es unmöglich, ihn im Wagen auf dem Kopf zu behalten.

Die drei verschwanden in der Bank, und der Polizist trat zum Chauffeur an den Wagen.

»Wie lange wird es dauern, bis sie herauskommen?« fragte er.

»Fünf Minuten«, antwortete der Chauffeur, indem er sich behaglich streckte.

»Wenn sie länger bleiben, müssen Sie auf dem Parkplatz warten.«

Der Polizist gab dem Fahrer noch einige Anweisungen und wandte sich wieder dem Passanten zu.

»Sie scheinen in London fremd zu sein?«

Mr. Shelton nickte.

»Ja, ich bin eben aus Südamerika zurückgekommen. Bin fünfundzwanzig Jahre dort gewesen. Die Argentinische Bank ist irgendwo hier, nicht wahr?«

Der Polizist zeigte auf ein Gebäude in der Nähe, aber Mr. Shelton machte keine Anstalten, weiterzugehen.

»Es fällt einem schwer, zu glauben, daß in dieser Straße Millionen und aber Millionen Gold liegen.«

Der Polizist lächelte hämisch.

»Ich habe sie nie gesehen«, meinte er, »aber ich zweifle nicht ...« Er vollendete den Satz nicht, seine Hand machte eine Bewegung, als ob er grüßen wollte.

Ein Taxi war hinter dem wartenden Auto stehen geblieben. Der lange, junge Mann, der herauskroch, musterte verärgert den Citybeamten, warf Mr. Shelton einen kurzen Blick zu und verschwand im Portal der Bank.

»Wer war das? Ein Polizeibeamter?«

Shelton hatte den unterbrochenen Gruß bemerkt.

»Nein, Sir, es war ein Geschäftsmann, den ich kenne.«

Als Wetter Long die Halle betrat, fiel ihm ein hübsches Gesicht an einem der Schalter auf, doch er begab sich sofort ins Heiligtum des Hauptgeschäftsführers. Ein kleiner, dicker Mann, vollständig kahlköpfig, empfing ihn und drückte ihm kräftig die Hand.

»Darf ich Sie bitten, einen Augenblick zu warten, Long – ich muß noch schnell mit einem Kunden ...«

Er schoß aus dem Zimmer. Nach wenigen Minuten kehrte er, sich die Hände reibend, ein Lächeln auf dem roten Gesicht, zurück.

»Eine charaktervolle Frau!« sagte er bewundernd. »Haben Sie sie bemerkt?«

»Vor allem bin ich der Meinung, daß sie sehr hübsch ist«, erwiderte der Wetter.

Mr. Monkford schüttelte nachsichtig den Kopf.

»Das ist die Sekretärin. Ich meine die ältere Dame – Miss Revelstoke. Seit dreißig Jahren ist sie meine Kundin. Sie sollten ihre Bekanntschaft machen, sie ist eine ganz eigenartige Persönlichkeit. Der junge Mann, der sie begleitet, ist ihr Anwalt. Er wirkt etwas geckenhaft, hat aber eine aussichtsreiche Praxis.«

Vom Privatkontor des Geschäftsführers aus konnte man die Schalterhalle überblicken und die drei Personen beobachten. Die ältere Dame zählte bedächtig ein Bündel Banknoten nach, das ihr der Schalterbeamte ausgehändigt hatte, und das Mädchen schaute – etwas gelangweilt, vermutete Long – zur Stuckdecke hinauf. Ein ungewöhnliches Gesicht – das war auch sein zweiter Eindruck. Hübschen Mädchen begegnete man täglich, aber hier kam ein bestimmtes Etwas hinzu, ein Ausdruck, der fesselte. Er hatte nur Augen für die Sekretärin, den lächelnden jungen Mann neben Miss Revelstoke bemerkte er kaum. Plötzlich trafen sich ihre Blicke, eine Sekunde lang sahen sie sich forschend an. Schnell wandte sie sich ab. Jetzt erst merkte er, daß der Bankier zu ihm sprach.

»Ich zweifle sehr, daß Sie ihn erwischen werden. Der Kerl ist wie ein Aal – das heißt, meine persönliche Meinung ist, daß es sich um eine der gerissensten Banden handelt.«

»Ich wollte, Sie hätten recht.« Der Wetter lächelte. »Aber Sie können diese Idee fallen lassen, Mr. Monkford. Der Mann arbeitet allein, das ist seine Stärke.«

Der Bankier holte eine große Mappe aus einer Schublade und legte sie auf den Tisch.

»Hier sind alle Unterlagen. Sie finden darin nicht nur die Protokolle der City and Southern, sondern jeder anderen Bank, die dieser Mann geschädigt hat. Auch alle Originalunterschriften liegen hier vor, aber ich glaube kaum, daß sie Ihnen viel nützen werden. Die m sind ähnlich ...«

»Alle m sind ähnlich«, unterbrach Long. »Das ist ein Buchstabe, der gewöhnlich keine besonderen Merkmale aufweist.«

Eine Viertelstunde lang blätterte er in den Akten, ohne irgendwelchen Nutzen daraus zu ziehen.

»Wie ich sehe, sind die Beweisstücke auf Fingerabdrücke hin geprüft worden.«

»Das macht man immer bei Urkundenfälschungen. Die linke Hand, die das Dokument hielt, war jedes Mal behandschuht.«

Als der Wetter das Bankgebäude verließ, schaute er links und rechts, unschlüssig, nach welcher Seite er sich wenden sollte. Zu guter Letzt entschied er sich, durch die Gracechurch Street zu gehen und im Büro einer Schifffahrtsgesellschaft in der Fenchurch Street vorzusprechen. An der Ecke der Gracechurch Street und Lombard Street bemerkte er einen schmächtigen, älteren Herrn, der stehen geblieben war, anscheinend, um den vorüberflutenden Verkehr zu betrachten. Von der Seite her warf er einen Blick auf den herannahenden Wetter. Long erkannte die Absicht dieses forschenden Blickes. Er dauerte nur eine Sekunde, aber deutlicher als Worte sagten diese grauen, beobachtenden Augen: Ich kenne dich, du bist ein Detektiv!

Den Wetter durchzuckte es unwillkürlich. Er überquerte die Straße in Richtung Fenchurch Street, um eine Zeitung zu kaufen. Der Mann stand immer noch da. Im gutsitzenden Sommeranzug und dem weißen Filzhut sah er aus wie ein jovialer Infanterieoberst in Zivil. Long gab dem Zeitungsjungen absichtlich einen Shilling, um durch das Geldwechseln Zeit zu gewinnen und den Fremden genauer betrachten zu können. Sicherlich war es irgendein Cityschwindler. Für einen Augenblick hatte er Lust, umzukehren und sich mit dem Mann in eine Unterhaltung einzulassen. Aber er war Beamter von Scotland Yard und befand sich in der City von London. Die City jedoch hatte ihre eigenen Detektive und sah Übergriffe nicht gern.

Während er noch überlegte, rief der grau gekleidete Mann ein durch die Lombard Street fahrendes Taxi an und bestieg es. Der Wetter sah es und nahm, ohne zu überlegen, ebenfalls ein Taxi.

»Halten Sie sich hinter dem gelben Wagen! Sie werden ihn bei der Verkehrsstauung am Mansion House einholen.«

Hinter der aufgeschlagenen Zeitung, die sein Gesicht verbarg, beobachtete er, wie sein Opfer durchs Heckfenster des Taxis spähte.

Als an diesem Abend Oberst Macfarlane sein Büro verließ, lief ihm der Wetter in sehr aufgeräumter Stimmung in den Weg.

»Sie können es Glück nennen – «, rief er außer Atem, »aber ich habe Clay Shelton getroffen!«

Der Oberst lachte.

»Ich glaube es nicht!«

»Ich wette!« sagte Arnold Long.

3



Als Mr. Clay Shelton eine Woche später durch die kleine, schmutzige Stadt Chelmsford fuhr, überkam ihn eine Vorahnung. Eine unbegreifliche Furcht bedrückte ihn auf einmal so sehr, daß er kaum atmen konnte. Ein Stück weit hinter der Stadt trat er langsam auf die Bremse und hielt seinen Wagen auf der Landstraße an. Rechts von ihm erhob sich eine hohe, schmutzigrote Mauer, in die sich, etwas zurückgesetzt, ein grimmiges schwarzes Tor wölbte. Mr. Shelton strich seinen weißen Schnurrbart, den er seit sechs Wochen mit äußerster Sorgfalt pflegte.

Das Chelmsford-Gefängnis. Sollte er diesen Ort nicht schon gesehen haben? In dieser verschwommenen Erinnerung lag der Grund seiner Niedergeschlagenheit.

Eine kleine Pforte im großen Tor öffnete sich, ein Aufseher kam heraus. Hinter ihm tauchten vier Männer und ein zweiter Wärter auf. Die vier Männer trugen gewöhnliche Zivilkleidung, waren jedoch aneinander gefesselt. Sträflinge auf dem Weg nach Dartmoor, dachte Mr. Shelton. Man brachte sie nach London, um dort den Ein-Uhr-Zug nach Plymouth zu nehmen. Die Pforte blieb offen stehen. Die Wache am Tor und einer der Aufseher besprachen etwas. In diesem Augenblick kam ein Taxi in schneller Fahrt von der Stadt her die Colchester Landstraße entlang und hielt vor dem Gefängnistor. Die Gefangenen nahmen mit einem der Aufseher hinten Platz, während der andere sich neben den Fahrer setzte. Das Taxi wendete und fuhr davon.

»Hm!« Wieder strich Shelton nachdenklich seinen Schnurrbart.

Er drückte auf den Anlasser und fuhr zurück nach Chelmsford, wo er beim Saracen's Head Hotel hielt und ausstieg. Im Fenster einer Buch- und Schreibwarenhandlung entdeckte er den Anschlag: Annoncenannahme für alle Londoner Zeitungen.

Er trat schnell in den Laden und verlangte ein Blatt Papier. Die Abfertigung nahm etwas Zeit in Anspruch, denn der junge Mann, der zu dieser frühen Stunde den Dienst im Laden versah, hatte seine Stellung erst kürzlich angetreten und kannte sich noch ungenügend aus. Endlich fand er die richtigen Formulare, und Mr. Shelton schrieb.

»Ich möchte dies in den Annoncenteil der Times setzen«, sagte er, legte Geld auf den Tisch und verließ, nachdem der Angestellte umständlich den Tarif nachgeschlagen hatte, leichteren Herzens den Laden.

Der Jüngling im Laden aber wußte nicht, wo die ausgefüllten Annoncenformulare bereitgelegt werden mußten, und da er vor dem Eintritt des Kunden in einem Buch gelesen hatte, schob er einstweilen das Blatt sorgfältig zwischen die Seiten des Bandes. Offenbar war die Lektüre sehr spannend, denn als unerwartet der Geschäftsinhaber eintrat, schrak er auf, stellte hastig das Buch ins Regal zurück – und vergaß das Inserat vollständig.

Außerhalb Colchesters fuhr Mr. Shelton seinen Wagen in eine Seitenstraße und zog unter dem Sitz einen Handkoffer hervor, in dem Kleider, Schere und Rasierzeug lagen. In kurzer Zeit verwandelte er sich in einen kränklich aussehenden Mann. Dann begab er sich zu Fuß zur Endstation der Straßenbahn und fuhr mit diesem klapprigen Beförderungsmittel Colchesters nach dem Stadtinnern.

Es schlug zehn, als er das Gebäude der Eastern Counties Bank betrat.

Er legte ein Papier und ein Heft auf die Schalterplatte. Der Beamte, der eine Brille trug, prüfte die Papiere eingehend und verschwand dann im Privatkontor des Geschäftsführers. Als er zurückkam, zeigte sein Gesicht ein entschuldigendes Lächeln, das verriet, daß seine Befürchtungen unbegründet gewesen waren.

»Siebentausendsechshundert«, sagte er freundlich. »Wie wollen Sie es haben, Oberst Weatherby?«

»In Hundertern, bitte.«

Banknotenbündel kamen zum Vorschein. Mit außerordentlicher Gewandtheit zählten die Finger des Kassierers die Scheine, deren Nummern er in ein Buch eintrug.

»Danke schön«, sagte Mr. Shelton, wandte sich zum Gehen und steckte die Banknoten in die Brusttasche.

Gleichzeitig befanden sich noch zwei andere Männer im Kundenraum, und ein dritter kam eben durch die Drehtür herein. Der eine von ihnen lehnte in müder Haltung an der Schalterbrüstung. Diesen beachtete Shelton nicht, vielmehr wandten sich seine Blicke der Gestalt zu, die mit dem Rücken zur Tür stand. Weiße Zähne kamen beim Lächeln zum Vorschein.

»Morgen, Shelton!«

Shelton stutzte, den Kopf vorgebeugt, wie ein gestelltes Wild.

»Wollen Sie mit mir sprechen? Mein Name ist nicht Shelton.«

Der Wetter nickte, nahm den Hut ab und fuhr mit der Hand über sein schwarzes Haar.

»Ich möchte ...« begann er.

In diesem Augenblick warf sich Shelton auf ihn.

Drei Männer rangen miteinander am Boden. Der zweite Polizeibeamte kam Long andauernd in die Quere. Auch der Mann, der phlegmatisch am Schalter gelehnt hatte, mischte sich ein und warf sich in das wüste Durcheinander von schwingenden Armen und angespannten Körpern.

»Nanu! Verflucht!»

Ein ohrenbetäubender Knall – der zweite Polizeibeamte sank blutend auf den Mosaikboden.

»’runter mit der Pistole, oder ich schieße!«

Shelton drehte den Kopf herum. Der Schalterbeamte mit der Brille richtete mit wunderbar ruhiger Hand einen Armeerevolver auf ihn. Im Krieg hatten selbst kurzsichtige Bankangestellte gelernt, mit der größten Kaltblütigkeit auf Menschen zu schießen.

Der Wetter legte dem bleichen Shelton die kalten Eisenringe um die Handgelenke. Während der Kassierer nach dem Krankenauto telefonierte, betraten zwei uniformierte Polizisten die Schalterhalle.

»Ich verhafte Sie zunächst wegen Urkundenfälschung«, sagte Long und starrte auf den still daliegenden Beamten, um den sich immer mehr Blut ausbreitete. »Ich glaubte, Sie trügen nie einen Revolver?«

Shelton antwortete nicht, und Long wandte sich an den müde wirkenden Fremden, der eingegriffen hatte.

»Danke Ihnen! Ich bin Ihnen sehr verbunden. Sind Sie nicht Mr. Crayley?«

Das Gesicht des gut gekleideten Mannes, der sich in den Kampf gemischt hatte, wurde kreideweiß. Der herunterhängende Schnurrbart unterstrich in grotesker Weise sein erschrockenes Aussehen.

»Wäre beinah selbst getötet worden«, murmelte er. »Habe mein Bestes getan. Lassen Sie mich wissen, wenn ich Ihnen zu Diensten sein kann. Ist er tot?«

»Ich denke.« Traurig sah der Wetter auf den unbeweglichen Körper. »Ich wünschte, Sie hätten das nicht getan, Shelton! Aber dieser Mord wird leichter nachzuweisen sein als die anderen. – So, und nun los! Wir wollen ihn auf die Polizeistation bringen, bevor das Menschengedränge an ihn heran kann. Führen Sie mich zum hinteren Ausgang!«

Der Geschäftsführer zeigte den Weg durch sein Privatkontor. Eine Pforte führte auf eine enge Straße, wo der Wagen mit zwei Polizisten wartete.

Der Wetter hatte die Fahrt vorbereitet. Er schob den Gefangenen in den Wagen und stieg selbst ein.

Wo hatte Shelton gefesselte Männer in einen Wagen steigen sehen? In Chelmsford – es schien sehr weit zurückzuliegen.

4



Am 14. Juni, einem herrlichen Morgen, verließ Arnold Long um fünf Uhr London. Die Sonne schien hell, die Gärten der Villen, an denen er vorüberkam, leuchteten im prächtigsten Blau und Gold. Auf der Landstraße begegnete er nur Bauernwagen, und als er in Chelmsford eintraf, waren die Läden noch geschlossen.

Zuvor aber war er durch ein kleines Dorf gekommen und dann die gerade Landstraße, mitten durch grüne Felder, entlanggefahren, als er an einem Mann vorbeikam, der auf einem Wegstein saß. Er erkannte ihn sofort, bremste und steuerte den Wagen ein Stück weit rückwärts. Der Mann blieb ruhig auf dem Stein hocken, eine Zigarette zwischen den Lippen. Ohne Verwirrung schaute er zu dem verwunderten Inspektor auf.

»Guten Morgen, Ulan! Seit wann haben Sie das Landleben aufgenommen?«

Ulanen-Harry nahm die Zigarette aus dem Mund, schaute sie bedächtig an und warf sie weg.

»Ich hoffe, daß ich damit niemand störe«, sagte er herausfordernd.

»Sie wandern wohl die Landstraße entlang?« fragte der Wetter höflich, einen beschönigenden Ausdruck für das Landstreichergewerbe wählend.

»Ich habe gute Arbeit, wenn Sie es durchaus wissen wollen – sogar sehr gute Arbeit.« Harrys Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an. »Wo wollen Sie hin – Bluthund?«

Arnold Long hätte nicht geglaubt, daß er an diesem Morgen Gelegenheit finden würde, zu lächeln – aber er lächelte.

»Auf Diebesfang, Ulan!« Er blickte über die weiten Felder. Das einzige Gebäude weit und breit war eine schwarze Scheune. »Ich wette, daß Sie nicht im Freien geschlafen haben! Und weit sind Sie nicht gegangen, denn kein Stäubchen liegt auf Ihren Schuhen. Was ist los, Ulan?«

Ulanen-Harry antwortete nicht. Mit einer lässigen Handbewegung zeigte er nach dem nahegelegenen Chelmsford.

Vor sich hin lächelnd setzte Arnold Long seine Fahrt fort. Sein Wagen hielt vor dem Tor des Chelmsford-Gefängnisses, als es sieben Uhr schlug. Er läutete, wurde eingelassen und durch einen engen Gang geleitet, an dessen Ende eine Tür offen stand.

Der Gefängnisdirektor hielt sich allein in seinem Büro auf, da der Untersheriff und die anderen Beamten, die man zu diesem makabren Anlaß benötigte, noch nicht eingetroffen waren.

»Der Geistliche ist jetzt bei ihm. Ich hoffe, es wird nicht sehr aufregend für Sie sein. Ich kann diese Sachen nicht leiden!«

»Ja«, meinte Long, »auch ich hoffte auf dem ganzen Weg von London, daß er seinen Wunsch, mich zu sehen, aufgibt.«

Der Direktor schüttelte den Kopf.

»Daran ist nicht zu denken. Die letzte Frage, die er mir gestern Abend stellte, war, ob Sie heute kämen. Ich sagte ihm, daß ich seinen Wunsch an das Ministerium des Innern weitergeleitet habe, und daß mir telegrafische Antwort für heute morgen zugesagt worden sei.«

Er stand auf. Der Inspektor folgte ihm durch verschiedene Gänge bis zu einer schweren Eisentür. Der Direktor schloß sie auf. Sie kamen in ein hohes Gewölbe, zu beiden Seiten reihten sich Türen. Vor der Zelle, die dem Eingang am nächsten lag, stand ein Aufseher. Die Zellentür war offen, ein Lichtschein fiel heraus.

»Warten Sie!« sagte der Direktor und betrat die Zelle.

Er kehrte gleich zurück und winkte Long, der ihm mit klopfendem Herzen in die Todeszelle folgte.

Shelton saß in Hemdsärmeln auf dem Bett, die Hände in den Taschen. Ein grauer Bart umrahmte das fahle Gesicht. Der Wetter hätte ihn nicht wiedererkannt.

»Setzen Sie sich, Long! – Wollen Sie ihm einen Stuhl geben?«

Aber Long blieb, als ihm der Wärter einen Stuhl hinschob, stehen und wartete – worauf, wußte er nicht.

»Ich wollte Sie noch einmal sehen, bevor ich ins Jenseits gehe.« Shelton nahm die Zigarette aus dem Mund und blies den Rauch zur Decke. »Ich habe in meinem Leben vier Männer getötet und bereue es nicht. Der erste war ein Bankdetektiv in Cape Town, der zweite der Geschäftsführer einer Bank in Bombay. Den wollte ich nicht töten, aber das Betäubungsmittel war zu stark für ihn. Dann kam die Sache mit Selby. Er verfolgte mich bis auf mein Hausboot – das war ziemlich unangenehm. Sie werden ihn unter den beiden Pappeln bei der Wenham Abbey begraben finden.« Er machte eine Pause, blies langsam den Rauch wieder in die Höhe. Long wartete. »Der vierte ... Über den vierten möchte ich nicht sprechen – eine unerfreuliche, etwas schmutzige Szene!« Er lächelte. »Und jetzt soll ich dafür büßen, so denken Sie – aber Sie irren sich! Sie werden mich begraben, aber ich werde weiterleben! Sie entgehen mir nicht, Wetter Long! Keiner, der an meinem Tode beteiligt war, wird mir entgehen!« Er lachte sanft, als er den eigenartigen Blick des Inspektors bemerkte. »Sie glauben, daß mich die Hitze verrückt gemacht hat? Es gibt Dinge in der Welt, die sich Ihre Philosophie nicht träumen läßt. Eines davon ist die Galgenhand!« Shelton betrachtete die Fliesen des Fußbodens. Seine Stirn lag in Falten, doch gleich darauf lachte er wieder. »Das ist alles. Sie werden daran denken, Mr. Long – die Galgenhand wird aus dem Grabe emporsteigen und Sie früher oder später an der Gurgel packen!«

Long sagte nichts. Nachdenklich folgte er dem Direktor in die große Halle.

»Was halten Sie davon?« fragte dieser und trocknete sich die Stirn. Er war bleich und verwirrt. »Die Galgenhand ...«