Reiterhof
Eulenburg
Diamantenraub
Band 2
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe
der im Boje Verlag erschienenen Hardcoverausgabe
Baumhaus Taschenbuch und Boje Verlag in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2010 by Boje Verlag in der Bastei Lübbe AG, Köln
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-8387-0684-9
www.bastei-entertainment.de
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Die kleine Bahnstation mit dem roten Backsteinhäuschen und dem liebevoll angelegten Gärtchen des Bahnhofsvorstehers versank fast im Schnee. Schon konnte man die Gleise beinahe nicht mehr erkennen. Tief hingen die grauen Wolken über der Erde, weite Schneefelder erstreckten sich jenseits des Dorfes, wohin man blickte, am Horizont hüllten sich die Bäume in graue Schleier und schienen nur schwach daraus hervor.
In dem kleinen Wartehäuschen saßen zwei frierende Mädchen auf zwei großen Koffern und starrten angestrengt in das Schneetreiben hinaus.
»Wo Tom bloß bleibt?« Diane blickte ganz ratlos drein. »Es ist so kalt hier – er wird uns doch nicht vergessen haben?«
Angie und Diane Heller hatten sich in diesem Jahr besonders auf die Weihnachtsferien gefreut, denn am 27. Dezember wollten sie von Kiel aus ganz hinauf in den Norden, in das Reiterpensionat »Eulenburg«, fahren. Die Eulenburg lag ein Stück nördlich von Husum, ganz nah am Meer, und von den Fenstern aus konnte man über die Deiche bis hin zum Wasser blicken. Die beiden Schwestern waren bereits im Sommer da gewesen, und in ihrer Begeisterung hatten sie sofort beschlossen, im Winter wiederzukommen. Ihre Eltern waren zuerst enttäuscht gewesen.
»Es ist wirklich schon eine Tradition bei uns, dass wir im Winter alle zusammen zum Skilaufen fahren!«, hatte der Vater gesagt. »Und ich hatte eigentlich auch immer das Gefühl, es macht euch genauso viel Spaß wie uns!«
»Wir fanden es auch immer toll!«, erwiderte Angie. »Wirklich. Aber die Eulenburg ist eben … na ja, so unheimlich lustig … und abenteuerlich, und es passiert immer irgendetwas …«
Ihre Mutter lachte. »Das kann man wohl sagen! Im Sommer habt ihr eine Bande von Einbrechern zur Strecke gebracht und dabei noch eine harmlose Reitlehrerin verdächtigt, den Banditen nachts Lichtzeichen zu geben, und …«
»Nun, es hat tatsächlich eine Reitlehrerin mit den Verbrechern zusammengearbeitet«, sagte Diane, »wir dachten halt nur erst, es wäre die andere.« Sie warf ihrer Schwester einen Blick zu. Beide hatten leuchtende Augen bekommen bei der Erinnerung an diese aufregenden Wochen.
»Es ist wahrscheinlich zwecklos, wenn ich versuche, euch zu überreden, doch noch mit uns zu verreisen«, meinte der Vater.
Die Mutter schüttelte den Kopf. »Lass sie. Ab einem bestimmten Alter macht es einfach keinen rechten Spaß mehr, mit den Eltern zu verreisen. Mit Gleichaltrigen ist es viel schöner. Also lass ihnen das Vergnügen. An Weihnachten haben wir sie ja noch bei uns!«
Der Heiligabend und die beiden Feiertage verliefen sehr harmonisch, obwohl die beiden Schwestern schon ihre Koffer vom Dachboden holten, ihre Reitstiefel, dicke Pullover und lange Hosen einpackten.
»Einen Badeanzug brauchen wir diesmal nicht«, sagte Diane. »Eigentlich schade, es hat so viel Spaß gemacht, im Meer zu baden! Aber im Winter ist es dort oben bestimmt auch toll!«
Als sie dann endlich im Zug saßen, drehten sich ihre Gespräche auch nur um die Eulenburg.
»Ob auch Pat wieder da ist?«, rätselte Diane und dachte sehnsüchtig an die wilde, abenteuerlustige Pat, die in den vergangenen Ferien in ihrer unbekümmerten Art alles auf den Kopf gestellt hatte. Oft hatte Frau Andresen, die Besitzerin der Eulenburg, angedroht, sie werde Pat nach Hause schicken, wenn diese ungeachtet aller Vorschriften mit ihrer Fuchsstute Fairytale allein über die Felder galoppiert war. Aber sie mochte das Mädchen viel zu gerne, als dass sie diese Drohung wahrgemacht hätte. »Vielleicht bringt Pat ja auch Tobi mit«, sagte Angie. »Weißt du noch, wie niedlich und zutraulich er war, als sie ihn endlich befreit hatte? Tobi ist sicherlich inzwischen ein richtiger großer Hund geworden!«
Die Mädchen schwiegen, jede von ihnen hing ihren Gedanken nach. Wahrscheinlich würden sie auch Chris wiedersehen, den blonden, braun gebrannten Jungen aus »Haus Leuchtfeuer«, dem kleinen Hotel am Meer. Und Tom, den Sohn der Andresens, der immer so gelassen und vernünftig war. Diane streckte sich behaglich in ihrem Sitz. Sie freute sich. Bald würden sie alle wieder beieinander sein …
»Jetzt warten wir schon eine halbe Stunde«, sagte Angie ärgerlich und erhob sich von ihrem Koffer. Es hatte aufgehört zu schneien. Verschlafen lagen die Strohdächer des kleinen Dorfes unter der schweren Schneelast. Da endlich hörten sie das Bimmeln eines Schlittens, das eilig näher kam.
Schon tauchte hinter einer Wegbiegung in eiligem Trab die gutmütige Norwegerstute Thora auf. Sie zog einen großen blauen Holzschlitten, der über und über mit Glocken behängt war. Auf dem Kutscherbock saß Tom, dick eingemummelt in Mantel und Decken.
»Angie, Diane!«, rief er erleichtert, »ich hatte schon befürchtet, ihr würdet nicht mehr da sein!«
»Wo sollten wir schon hingegangen sein«, sagte Angie schnippisch, doch dann fiel sie Tom um den Hals. »Es ist so schön, dich wiederzusehen!«
»Thora wollte sich einfach nicht einspannen lassen«, erklärte Tom, als sie alle auf dem Schlitten saßen, »ihr wisst ja, sie ist wirklich gutmütig, aber wenn sie etwas nicht will, kann sie verdammt stur sein.«
Die Schwestern lachten. Wie oft hatte sich die arme, unsportliche Kathrin, eine ihrer Reitkameradinnen, in der Reitstunde abgemüht, begleitet von dem unerbittlichen Schimpfen der Lehrerin. Insgeheim hatten alle eine leichte Schadenfreude empfunden, denn Kathrin war immer etwas zu selbstbewusst gewesen.
In dem Moment machte der Weg eine Biegung, und die Kinder starrten atemlos auf das Meer, das am Horizont auftauchte. Die Wolken waren auseinandergetrieben. Schreiende Möwen kreisten über den grauen Wellen und die Abendsonne tauchte die Winterlandschaft in ein letztes eisiges Licht. Vor ihnen erhob sich ein altes graues Gemäuer. Die Fensterscheiben waren eingeschlagen, eine Tür pendelte im Wind.
»Der Krähenhof«, sagte Diane leise schaudernd, »wisst ihr noch, wie der alte Mommsen hier sein Unwesen trieb?«
»Bis wir ihm auf die Schliche kamen«, erwiderte ihre Schwester und warf die langen blonden Haare zurück, »also, ich würde gern wieder ein Abenteuer erleben. Mein Gott, da vorne ist ja schon die Eulenburg!«
Und wirklich – auf einer breiten Landzunge, die ins Meer hinausragte, sahen sie jetzt den großen roten Backsteinbau mit den vielen Fenstern und dem großen grünen Tor.
»Hallo, Angie, hallo, Diane!« Ein kleines Mädchen mit vielen lustigen Sommersprossen rannte eilig dem Schlitten entgegen.
»Tina!«, riefen die Schwestern, »wie geht es dir? Toll, dass du wieder da bist! Und da sind ja auch Steffi und Beate und Elke!«
Im Nu waren die Mädchen von ihren Freundinnen umringt.
»Jetzt kommt aber erst mal rein ins Warme!« Frau Andresen war in der Tür erschienen und hatte zufrieden die glücklichen Ankömmlinge beobachtet. »Tom, du versorgst Thora, und ihr anderen könnt es euch schon mal bei einer Tasse Kakao gemütlich machen!«
Die Freunde ergriffen ihre Koffer und Taschen und stürmten ins Haus. Endlich waren sie wieder in der Eulenburg.
Wenig später saßen alle Gäste im Speisesaal und tranken heiße Schokolade. Im Kamin prasselte ein gemütliches Feuer, und ab und zu sank ein brennendes Holzscheit leise knackend unter den Flammen in sich zusammen.
»Hört bitte alle Mal einen Moment her«, sagte Frau Andresen und erhob sich von ihrem Stuhl, »mein Mann und ich möchten euch herzlich in der Eulenburg willkommen heißen. Die meisten von euch waren ja schon in den Sommerferien bei uns und kennen daher die Hausordnung: Ihr wohnt in Dreier-Zimmern, die Jungen im zweiten Stock, die Mädchen im ersten. Das bedeutet: Ab zehn Uhr abends hat keiner mehr etwas auf dem anderen Stockwerk zu suchen. Zu allzu langen Nächten oder den beliebten Mitternachtspartys möchte ich euch sowieso nicht raten: Die Frühschicht im Stall beginnt zwar jetzt im Winter nicht um halb sechs, sondern erst um halb sieben, aber das ist auch noch ziemlich früh. Und Frau Moos kennt keine Gnade für Spätaufsteher. Ach ja, Frau Moos ist eure Reitlehrerin. Den theoretischen Unterricht hält Frau Jung. Ihr kennt sie noch vom letzten Mal. So, und nun geht auf eure Zimmer und packt eure Sachen aus. Ich wünsche euch eine wunderschöne und erholsame Zeit in der Eulenburg.«
Die Kinder erhoben sich.
»Angie, Diane, wartet noch einen Moment. Ich habe beschlossen, dass Kathrin Roland wieder bei euch im Zimmer wohnt. Sie ist etwas schwierig, aber ich weiß, dass ihr ganz gut mit ihr auskommt. Ganz besonders du, Diane. Bitte kümmere dich ein wenig um sie. Kathrin hat zu Hause unter den Problemen ihrer Eltern zu leiden. Die Abwechslung hier wird ihr gut tun.«
Diane wurde ein bisschen rot vor Stolz. »Ich werde versuchen, Kathrin zu helfen«, sagte sie eifrig.
Frau Andresen lächelte. Sie mochte die schüchterne Diane und die temperamentvolle Angie sehr gerne.
Das Zimmer ähnelte dem aus dem Sommer, einfach und gemütlich.
»Sieh nur«, rief Diane begeistert, »wir haben einen herrlichen Blick aufs Meer. Wie schön es hier ist, auch im Winter!«
»Pack lieber schnell deinen Koffer aus«, mahnte Angie, »oder hast du vergessen, dass unsere liebe Kathrin den ganzen Schrank für sich allein zu beanspruchen pflegt?«
Jedes Schlafzimmer in der Eulenburg besaß große Wandschränke, in denen es genügend Platz gab. Doch Kathrin hatte schon das letzte Mal so viele Kleider mitgebracht, dass zwei solcher Schränke für sie allein nicht ausgereicht hätten.
Während Diane die ersten Pullover herausnahm, öffnete sich die Tür und ein kleiner untersetzter Mann, mit Koffern und Taschen beladen, schob sich ins Zimmer. Hinter ihm erschien Kathrin zusammen mit ihrer Mutter, einer hübschen, eleganten Frau, die ein wenig zu viel Schmuck trug und gelangweilt wirkte.
»Welch ein hübsches Zimmer!«, sagte sie, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, dass sie das Zimmer sonderlich interessierte. »Und das sind deine reizenden Freundinnen Angie und Diane?«
»Ja«, erwiderte Kathrin. Es klang ein wenig mürrisch. »Hallo, Angie, hallo, Diane! Ich hatte Frau Andresen extra brieflich um ein Einzelzimmer gebeten!«
Ihre Mutter überhörte diese Bemerkung. »Ihr werdet sicher eine schöne Zeit verleben. Kathrin hat mir viel von euch erzählt. Ihr scheint ja unzertrennliche Freundinnen geworden zu sein!«
Es war Kathrin sichtlich peinlich, dass ihre Mutter so unverblümt die etwas übertriebenen Geschichten wiedergab, die sie ihr nach den letzten Ferien erzählt hatte. Hastig wandte sie sich an ihren Vater, der unschlüssig mit den Koffern im Zimmer stand. »Stell das alles einfach dort in der Ecke ab. Nett, dass du es mir hinaufgetragen hast.«
Ihr Vater stellte das Gepäck ab. Er und seine Frau schienen es eilig zu haben. Kathrin bekam noch ein paar Geldscheine zugesteckt, von ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Nasenspitze gehaucht, dann verließen die Rolands den Raum.
Kathrin trat vor den Spiegel und richtete sich die Haare. »Ich wollte eigentlich gar nicht herkommen«, sagte sie, »aber meine Eltern müssen unbedingt auf die Bahamas, um ihre Ehe zu retten, und so haben sie mich hierhergeschickt.«
Angie räusperte sich. »Komm, Diane, wir wollen zu den Ställen hinuntergehen, vielleicht gibt's ein neues Pferd.«
Eilig verließen die Mädchen den Raum.
Draußen war es schon dunkel, obwohl es noch nicht spät war. Nur eine große Laterne strahlte über den Hof.
»Da ist Chico und hier Petronella!« Angie blieb vor einer großen, geräumigen Box stehen. »Dieses Pferd kenne ich noch nicht. Es ist ja riesig – ob wir es auch reiten dürfen?«
»Psst!«, klang es leise hinter einem Strohballen, »Angie, Diane, seid ihr es?«
Die Mädchen traten aufgeregt näher. Wer war das?
»Pat!«, flüsterte Angie atemlos, »um Himmels willen, Pat, was machst du hier hinter einem Strohballen? Und wo sind Tobi und Fairytale?«
Pat grinste, während sie sich erhob und das Stroh abschüttelte. »Tobi und Fairytale sind drüben in der Scheune. Die beiden sind inzwischen unzertrennlich. Und was ich hier tue? Nun, meine Schulnoten waren in der letzten Zeit nicht besonders gut, um nicht zu sagen miserabel. Mein Vater war sehr wütend und wollte, dass ich während der Ferien Mathematik und Latein lerne. Sogar einen Hauslehrer hatte er schon für mich aufgegabelt.« Sie lachte unbekümmert. »Na ja, und da habe ich mich eben auf Fairytale geschwungen und bin hierher gekommen.«
Diane pfiff bewundernd durch die Zahne. »Dann bist du also einfach ausgerissen? Deine Eltern werden sich bestimmt schreckliche Sorgen machen.«
»Das hätten sie früher bedenken müssen. Ich lasse mich nicht einfach einsperren«, erwiderte Pat trotzig.
»Wir müssen uns überlegen, wo du heute Nacht schläfst«, sagte Angie, der die Sache Spaß zu machen begann. »Dummerweise wohnt Kathrin bei uns im Zimmer. Wenn sie herausbekommt, dass du hier bist, kann sie bestimmt ihren Mund nicht halten.«
»Ich werde in der Scheune übernachten«, erwiderte Pat, »bei Tobi und Fairytale. Das tue ich zu Hause oft. Wollt ihr die beiden nicht begrüßen?«
Die Mädchen schlichen hinüber in die Scheune. Typisch Pat! Sobald sie auftauchte, ging nichts seinen gewohnten Gang. Tobi sprang schwanzwedelnd auf sein Frauchen zu.
»Meine Güte, ist der groß geworden«, rief Diane und trat unwillkürlich einen Schritt zurück, »aber er ist wunderschön! Die großen weißen Pfoten und das rötliche Fell, sogar die Sommersprossen hat er noch auf der Schnauze!«
Dann wandte sie sich der zierlichen Fuchsstute zu, die in der Ecke stand und genüsslich ihren Hafer kaute. Fairytale und ihre Besitzerin sahen sich fast ähnlich, und es gab keinen schöneren Anblick, als die beiden im Sommer im wilden Galopp über die Heide jagen zu sehen.
Gerade wollte Angie der Stute ein Zuckerstück entgegenhalten, als draußen vom Hof Männerstimmen zu hören waren.
»Schnell«, flüsterte Pat aufgeregt, »ich muss mich verstecken!«
Pat griff Tobi am Halsband und Fairytale an der Mähne und zog beide hinter eine Wand aus Strohballen. Gerade noch rechtzeitig, denn schon in diesem Moment öffnete sich von außen das große Scheunentor und zwei dicke Polizisten, begleitet von der aufgeregten Frau Andresen, schoben sich in den Raum.
»Wen haben wir denn da?«, feixte der eine von ihnen und zog eine Augenbraue in die Höhe. Diane wurde blass vor Schrecken, doch Angie trat den Männern mutig entgegen. »Stellen Sie sich vor«, sagte sie forsch, »meine Schwester Diane hat hier ihren Ring verloren. Sie sehen ja selbst, es ist beinahe aussichtslos, ihn inmitten von Heu und Stroh wiederzufinden. Trotzdem hätten Sie deshalb nicht extra kommen müssen. Sooo wertvoll war er nun auch wieder nicht.«
»Angie!«, sagte Frau Andresen streng. »Die beiden Herren sind nicht hier, um irgendwelche verloren gegangenen Ringe zu suchen, und das weißt du ganz genau! Es geht vielmehr um Patricia Winkler. Vorhin rief ihr Vater bei mir an. Er und seine Frau sind in großer Sorge, weil Pat seit heute Mittag fort ist. Es sieht so aus, als sei sie ausgerissen, weil sie in den Ferien Nachhilfeunterricht bekommen sollte. Die Polizei vermutet, dass sie sich hier aufhalten könnte – und ihr beiden seht mir auch gar nicht so unschuldig aus, wie ihr tut«, fügte sie hinzu.
Einer der Polizisten baute sich drohend vor Diane auf: »Also, mein Fräulein, du sagst mir jetzt, wo sich deine Freundin Pat versteckt hält, und ich werde dafür ganz schnell die Lüge mit dem Ring vergessen.«
Diane blickte Hilfe suchend zu Angie hinüber. Die Polizisten sahen so aus, als sei mit ihnen nicht zu spaßen, und auch Frau Andresen war ungewöhnlich streng. Gerade wollte Angie ihrer Schwester zu Hilfe kommen, als Pats Stimme hinter ihnen ertönte: »Lassen Sie meine Freundinnen in Ruhe, sie können nichts dafür, dass ich hier bin.«
»Ach du meine Güte, Mädchen, da bist du ja«, rief Frau Andresen erleichtert. »Deine Eltern sind so schrecklich besorgt um dich!« Sie wandte sich den Polizisten zu. »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, meine Herren. Zum Glück ist ja alles harmlos ausgegangen, aber es war doch gut, dass Sie gekommen sind.«
Die Polizisten lächelten selbstgefällig. Dann warfen sie den drei Übeltätern noch einen strafenden Blick zu und verließen den Hof.
»Ihr kommt jetzt alle mit ins Haus«, sagte Frau Andresen ärgerlich. »Wir werden sofort Pats Eltern benachrichtigen.«
Die Mädchen sahen sich betreten an. Nun würde Pat sie wieder verlassen müssen.
Am nächsten Morgen wurden die Schwestern schon früh wach.
»Komm, wir wollen Pat suchen gehen«, flüsterte Angie, »aber sei leise, damit wir die liebe Kathrin nicht aufwecken!«
Sie fanden Pat zusammen mit Tom im Stall. Beide wirkten sehr niedergeschlagen, selbst Tobi ließ den Schwanz hängen, als wüsste er, dass sein Frauchen unglücklich war.
»Meine Mutter und mein Vater sind schon da«, empfing Pat ihre Freundinnen, »sie sind im Haus und sprechen mit Frau Andresen. Sogar den Pferdeanhänger für Fairytale haben sie mitgebracht.«
Ehe irgendjemand etwas erwidern konnte, öffnete sich die Stalltür und eine hübsche junge Frau mit ebenso rotbraunen Haaren wie Pat betrat den Stall. Ihr folgte ein großer, schlanker Mann, der im Augenblick sehr ernst aussah.
»Patricia«, wandte er sich an seine Tochter, »du kannst schon mal dein Pferd verladen. Mach jetzt bitte keinen Ärger.«
»Bitte«, sagte Tom, »kann Pat nicht bei uns bleiben? Sie möchte es so gern, und wir alle hätten keine so schönen Ferien ohne sie.«
»O ja«, fügte Angie eifrig hinzu, »lassen Sie sie doch bitte hier.«
Frau Winkler sah ratlos zu ihrem Mann hinüber. »Hört mal, Kinder«, sagte sie dann, »Pat hat sehr schlechte Schulnoten, sie braucht dringend Nachhilfeunterricht.«
»Aber muss sie diesen Unterricht denn unbedingt zu Hause bekommen?«, fragte Tom. »Ich bin eigentlich ein guter Schüler, und wenn ich jeden Tag mit Pat zusammen lernen würde, könnte sie es bestimmt schaffen.«
»Moment, ich denke, da haben wir auch noch ein Wörtchen mitzureden«, wehrte Herr Winkler ab. Doch es schien, als zögerte er bereits. »Eigentlich sollte man eine Ausreißerin nicht noch belohnen … Nun, wir werden das besprechen. Geht doch erst einmal ein bisschen spazieren. Aber macht euch keine allzu großen Hoffnungen!«
»Was meinst du?«, fragte Diane, als die Freunde wenig später am Meer entlangschlenderten. »Werden deine Eltern dich wieder mitnehmen?«
»Das ist schwer zu sagen«, erwiderte Pat. »Manchmal sind sie beide sehr konsequent.«
»Ich würde dir schon einiges erklären können«, sagte Tom, »wenn du willst, natürlich nur!«
»Natürlich will ich«, antwortete Pat hastig, und es wunderte sie, dass ihr der Gedanke an Mathematik und Latein gar nicht mehr so unerträglich war, wenn Tom es ihr erklären sollte. Bedrückt erreichten sie alle wieder den Hof.
Frau Andresen kam ihnen schon entgegen.
»Pat«, sagte sie, »komm bitte mit zu deinen Eltern. Ich möchte es dir aber schon im Voraus sagen: Du darfst bei uns bleiben.«
Bald darauf stapften die Freunde durch den Schnee. Nachdem die Sache mit Pat so gut ausgegangen war, hatten sie beschlossen, Chris aufzusuchen, um endlich wieder vollzählig zu sein. Außerdem waren sie neugierig auf die diesjährigen Pensionsgäste vom »Leuchtfeuer«. Von Tom wussten sie bereits, dass es sich um ein bayerisches Ehepaar handelte, mit einem Sohn namens Bernd.
Als die Kinder ankamen, wurden sie freundlich empfangen: »Ihr wollt sicher zu Chris. Geht nur die Treppe hinauf, er ist oben in seinem Zimmer.«
Dann saßen sie mit einer Tasse Tee beieinander und lauschten gebannt Chris' Erzählung: »Dieser Bernd ist ein besonders komisches Exemplar. Während seine Eltern ausgesprochen still und zurückgezogen sind, kann ich keinen Schritt machen, ohne dass er mir Löcher in den Bauch fragt. Ich wundere mich sowieso, wo er gerade …«
In dem Moment öffnete sich die Tür und ein kleiner dicker Junge trat ins Zimmer. »Wer seid ihr denn?«, fragte er ungeniert. »Wo kommt ihr her?«
Pat erhob sich und grinste. »Nun, dich brauchen wir wohl nicht zu fragen, wo du herkommst. Den Bayern hört man dir gleich an. Und was uns betrifft, so sind wir alle den finsteren Löchern der Eulenburg entsprungen.«
Bernd schwieg verwirrt. Hatte sich dieses Mädchen etwa über ihn lustig gemacht? »Ihr wollt mich wohl ärgern«, stellte er fest und blickte mit seinen hellblauen Augen in die Runde.
»Aber nein, wie kämen wir denn dazu«, beteuerte Angie. »Hör mal, ich glaube, ich hätte da einen ganz heißen Tipp für dich.«
Sie zwinkerte den anderen zu. »Wir haben bei uns in der Eulenburg eine sehr gute Freundin, sie heißt Kathrin. Gestern hat sie uns erzählt, dass sie dich gesehen hat, und ich glaube«, Angie senkte ihre Stimme, sodass Bernd einen Schritt näher kommen musste, um sie zu verstehen, »ich glaube, Kathrin ist ein klein bisschen scharf auf dich.«