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Martin Rupps

Helmut Schmidt –
Der letzte Raucher

Ein Porträt

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-33655-3

ISBN (Buch) 978-3-451-30419-4

Und ich mach’ mein Ding,
egal, was die ander’n sagen.

Udo Lindenberg, „Mein Ding“

(auf der CD „Stark wie Zwei“), 2008

„Haben Sie gesehen, wie viel er geraucht hat?“

Nach jedem Fernsehgespräch mit Helmut Schmidt hagelt es Post an die zuständige Redaktion. Er hat während der Sendung scharfsinnig und pointiert Themen der deutschen und internationalen Politik analysiert, nichts und niemanden mit Lob und Spott verschont. Er trat rhetorisch brillant auf. Und er rauchte dabei.

„Ist es möglich, eine Aufzeichnung der Sendung von heute Abend zu erhalten?“, fragt dieses Mal Francesca P., und viele Zuschauerinnen und Zuschauer teilen – wie immer – ihren Wunsch. „Hier möchte ich mich für eine wunderbare Sendung bedanken“, schwärmt Eberhard L., „eine ganz tolle Sache und was für ein Mann – Herr Schmidt. Vielen Dank, ich bin Stunden später immer noch völlig in den Bann gezogen.“

Einspruch gibt es nicht gegen den Politiker Helmut Schmidt, sondern nur gegen den Raucher, der das Studio während der 45 Minuten Sendezeit in dichten Nebel hüllte.

„Es mag ja durchaus sein und ist auch wohl unumstritten, dass Herr Schmidt als einer der herausragendsten Politiker anzusehen ist, doch das ständige Rauchen während des Gesprächs“, beschwert sich Reinhard B., „und sein Raucherhusten waren eine Zumutung für alle Zuschauer und eine – wie ich finde – deprimierende Darstellung des ehemaligen Bundeskanzlers.“

Zuschauerreaktionen wie diese treffen vielfach ein.

Interviews mit Helmut Schmidt gehören zu den letzten Highlights im deutschen Fernsehen. Unzählige Interessierte kreuzen schon Tage vorher, wenn sie das Programmheft der folgenden Wochen durchblättern, die Gesprächssendung mit Helmut Schmidt rot an. Für diesen Abend nehmen sie sich nichts anderes vor. Sie werden gebannt vor dem Fernseher sitzen, wenn der Altbundeskanzler spricht. Und dabei raucht wie ein Schlot.

Ist der Tag der Ausstrahlung gekommen, enttäuscht Helmut Schmidt die Erwartungen seiner Zuschauerinnen und Zuschauer nicht. Er wägt seine Worte und schnauft dabei, er schnupft und faucht. Er hustet und raucht. Er sinniert vor sich hin, fällt messerscharfe Urteile und blafft, wenn er es für richtig hält, die Gesprächspartnerin oder den Gesprächspartner harsch an. Seine Antworten wirken nie geprobt, wie bei den Berliner Politikern unserer Zeit. Helmut Schmidt scheint um jedes treffende Wort aktuell zu ringen, auch wenn er eine Frage schon oft gehört und beantwortet haben mag. In seinen Kunstpausen sammelt er Kraft und Gedanken für den nächsten, gelingenden Anlauf. Dann nimmt er sich Zeit zur Erklärung der Welt im Allgemeinen und der Bundesrepublik, die ihm so sehr am Herzen liegt, im Besonderen. Die Dinge sind zu kompliziert, um sie in zwei, drei knappe Sätzen zu packen. Helmut Schmidt fasst den Sachverhalt in so viele Sätze, wie dafür nötig sind, und drückt sich gleichwohl – oder gerade deshalb – stets präzise und auf den Punkt aus.

Der Altbundeskanzler erfüllt die Erwartungen der Zuschauer noch in einer anderen Hinsicht, denn er raucht eine Zigarette nach der anderen. Kaum ist ein Glimmstängel abgebrannt, greift der alte Herr nach einem neuen. Aschenbecher und Zigarettenschachtel sind stets in Reichweite bereitgestellt. Helmut Schmidt zieht die Zigaretten in kurzen Abständen und dabei ohne Theatralik aus der Packung. Er behandelt das als Beiwerk zum Nachdenken und Sprechen, zu Analyse und Ausdruck.

Das Beiwerk zeitigt sichtbare Folgen. Rauchschwaden steigen im anfangs aseptisch reinen Studio auf. Das Fernsehbild wird mit der Zeit milchig. Sandra Maischberger, Reinhold Beckmann oder die anderen Interviewer lassen sich ob des Zigarettengestanks und der Schwaden nichts anmerken – sie wussten ja, auf was sie sich einlassen. Sie machen lediglich gegen Ende des Gesprächs, sehr diszipliniert, eine unvermeidliche Frage daraus. Auf seinen Zigarettenkonsum angesprochen, reagiert Helmut Schmidt leicht verärgert. Er lässt durchblicken: Ihr habt gewollt, dass ich hier Rede und Antwort stehe, also nehmt mich gefälligst, wie ich bin!

Die Wirkung eines in Rauchschwaden gehüllten Fernsehauftritts von Helmut Schmidt, zuletzt kurz vor Weihnachten, ist phänomenal. Ganz Deutschland redet am nächsten Vormittag davon, „auf der Arbeit“ oder abends beim Plausch im Freundeskreis. Für einen kurzen Moment gibt es noch einmal das verbindende Gefühl, am Abend vorher dieselbe Sendung im Fernsehen gesehen zu haben und davon gleichermaßen begeistert worden zu sein, wie einst in den siebziger und achtziger Jahren, als es nur wenige Programme gab, was zwangsläufig gemeinsame Fernseherlebnisse schuf.

Ingeborg H. erzählt mir, nachdem sie am Vorabend Helmut Schmidt bei Reinhold Beckmann erlebt hat, von dem starken Eindruck, den Schmidt wieder einmal auf sie gemacht habe. „Was für ein Mann, was für eine Persönlichkeit! Schade, dass wir solche Politiker nicht mehr haben.“

Und sie ergänzt: „Haben Sie gesehen, wie viel er geraucht hat? Unglaublich, und das in diesem Alter! Wirklich ein toller Mann.“

Im Fernsehen rauchen darf heute nur noch Helmut Schmidt.

Auch wenn es Helmut Schmidt nie angestrebt hat, gerade er nicht: Seine politische Aussage ist von der rauchenden Performance nicht mehr zu trennen. Kein anderer Politiker hat es wie Helmut Schmidt geschafft, nicht nur als Politiker, sondern als rauchender Politiker zu gelten. Es ist unmöglich geworden, sich Helmut Schmidt ohne Zigarette zu denken. Bei ihm wurde die Zigarette zum geduldeten, sogar akzeptierten Markenzeichen – auch oder gerade in einer Zeit, in der dieses Laster längst geächtet ist.

„Ich rauche unter drei“, hat jüngst ein führender Politiker in Berlin bekannt, er wünschte unter keinen Umständen seine Enttarnung. Kein Zweifel, bei Personen des öffentlichen Lebens gilt es längst als inadäquat, sich mit Zigarette zu zeigen. Ihr Rauchen wurde in den Privatraum verbannt. Dagegen wäre Helmut Schmidts Konterfei in der Zeitung, sein Auftritt bei Vorträgen oder im Fernsehen unvollständig, wenn er nicht an einer Zigarette ziehen würde. Die Leute wissen: Es ist nur eine Frage von Minuten, oft nur Sekunden, bis er zum ersten Glimmstängel greift. Diese Handlung wird Helmut Schmidt auf „Betriebstemperatur“ bringen, wie es „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo auszudrücken pflegt. Erst mit einer brennenden Zigarette wird Helmut Schmidt zu seiner vollen Form auflaufen.

Natürlich, es gibt auch wütende Proteste gegen seine Performance; die Mitarbeiter der „Zeit“, in deren Redaktion Helmut Schmidt seine berufliche Verankerung hat, können ein Lied davon singen (oder eine Zigarette darauf rauchen). Ständig beschweren sich leidenschaftliche Nichtraucher über Schmidts vermeintlich verantwortungsloses Handeln, auch militante Anrufer, Brief- und Mail-Schreiber sind darunter. Doch so laut diese Leute auch krakeelen mögen, es handelt sich um ein kleines Häuflein, dem eine überwältigende Mehrheit von Schmidtfans gegenübersteht. Die meisten Deutschen legen Helmut Schmidt, dem alten, pflichtbewussten Mann, das Rauchen nicht als Verstoß gegen geltende Gesetze aus, sondern akzeptieren es als liebenswerte „Macke“, die man bei seiner politischen Lebensleistung hinnehmen muss.

Die Popularität des Rauchers Helmut Schmidt ist die eine Sache, der Anspruch, den der Politiker Helmut Schmidt an sich selbst und seine Mitmenschen stellt, die andere. Der Umstand, dass Helmut Schmidt öffentlich raucht, widerspricht aller politischen und persönlichen Moral, die er seit Jahrzehnten proklamiert und auch selbst zu verkörpern sucht. Anders als andere Politiker seiner Zeit – etwa Franz Josef Strauß – und der Politiker-Generation nach ihm will er nichts predigen, für das er nicht auch persönlich einsteht. Persönliches Verhalten und politischer Anspruch, so Helmut Schmidts Credo, sollen miteinander zur Deckung kommen. Indem der Altbundeskanzler raucht, und das auch noch öffentlich, bricht er mit diesem Vorsatz. Er geht unter der Messlatte, die er für sich und andere gelegt hat, hindurch.

Wer Helmut Schmidt zum Vortrag einlädt und seine Zusage erhält, fühlt sich geehrt, muss aber auch besondere Vorkehrungen treffen. Wulf Herzogenrath, der langjährige Direktor der Kunsthalle Bremen, hat dies für jenen Abend, an dem Helmut Schmidt in seinem Haus zu Gast war, nicht getan – und während der Veranstaltung mit dem Altkanzler Blut und Wasser geschwitzt. Es war versäumt worden, im Saal die Feuermelder abzustellen. Man konnte die Feuermelder tagsüber per Knopfdruck deaktivieren, nach 18 Uhr, außerhalb der üblichen Bürozeiten, war dies nicht mehr möglich. Man nahm an, dass sich zu späterer Stunde keine Personen mehr im Gebäude aufhalten würden ...

Wenn ein Feuermelder anspringt (und viele tun es schon dann, wenn ihnen nicht Flammen, sondern bloß Zigarettenrauch in die elektronische Nase steigt), gibt es kein Halten mehr: Alarm wird ausgelöst, Feuerwehrleute rücken an. Selbst wenn denen glaubhaft versichert wird, dass Zigarettenrauch den Alarm ausgelöst hat, sind sie von Gesetzes wegen verpflichtet, alle Räume nach möglichen Brandherden abzugehen. In einer Kunsthalle kann das lange dauern. Die feierliche Stimmung des Vortrags wäre sozusagen gelöscht, ohne dass auch nur ein Tropfen Wasser vergossen wurde.

Ein solches Szenario stand also Wulf Herzogenrath vor Augen, als Helmut Schmidt in der Bremer Kunsthalle zu Gast war. Herzogenrath freute sich über den Besuch des hohen Gastes – und war froh, als Helmut Schmidt wieder draußen war, ohne einen Großeinsatz der Feuerwehr ausgelöst zu haben.

Helmut Schmidt raucht auch, wenn er selbst gerade nicht anwesend ist: Er raucht auf den Titelbildern seiner Bücher. Der Verleger von Schmidts politischer Bilanz „Außer Dienst“ hätte ein Motiv ohne Glimmstängel wählen dürfen – er tat es nicht. Er weiß, dass die Raucherpose nicht nur hingenommen, sondern geradezu erwartet wird. Welcher Autor außer Helmut Schmidt darf heute noch auf einem Buchtitel rauchen?

Helmut Schmidt raucht auf dem Foto, das die Zeitschrift „Brigitte“ in einem für ihn ungewöhnlichen Zusammenhang platziert hat, in einer Beilage zum 30. Geburtstag des Ikea-Regals „Billy“. Schwer vorstellbar, dass Helmut Schmidt je ein Ikea-Möbelhaus von innen gesehen hat, es sei denn, er musste eine dieser blaugelben Schachteln – als Symbol der Öffnung dieses Landes zum Westen hin – auf einer Auslandsreise besuchen.

Und doch gelingt „Brigitte“ ein gedanklicher Zusammenhang zwischen Helmut Schmidt und Ikea. In der „Billy“-Beilage geht es um das „Gerede von den Werten“, um ihren Verfall und darüber, welche Werte heute und in Zukunft wichtig sind. In einer Fotogalerie werden fünf Personen des öffentlichen Lebens abgebildet – Persönlichkeiten, die vermeintliche oder tatsächliche Symbolfiguren unserer Gesellschaft sind. Die Frauenzeitschrift lässt antreten: Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Papst Benedikt XVI., Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt, den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und den Philosophen Jürgen Habermas.

Man erkennt sofort die Tücke der Auswahl: Mit Ausnahme von Helmut Schmidt kann keines der vermeintlichen Vorbilder als unumstritten gelten. Soll Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg als Leitfigur für die Gegenwart stehen, dieser junge Minister, der zwar seine Sache bislang ordentlich macht, aber auch viel Energie auf seine Medienwirksamkeit verwendet? Oder kann es Papst Benedikt sein, über dessen Amtsführung nach der „Wir sind Papst“-Euphorie längst Ernüchterung eingekehrt ist? Josef Ackermann mag die Deutsche Bank zu erfolgreichen Bilanzen führen, doch nach einem unvergessenen Victory-Auftritt vor Gericht gilt er als Inbegriff eines globalen, Angst machenden Kapitalismus. Jürgen Habermas ist ein großer, einflussreicher Denker, auf dessen brillante Texte gleichwohl nur relativ wenige Leserinnen und Leser treffen – und sich darauf einlassen möchten. Auch am Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Welt nicht von Philosophen regiert.

Helmut Schmidt steht in der Fotogalerie dieser fünf Personen in der Mitte, wie der Sieger einer olympischen Disziplin. Er ist unter den fünf der Einzige, dessen moralische Autorität für dieses Land unzweifelhaft scheint. Er verkörpert die moralische Klammer für eine moderne, sich segmentierende Gesellschaft. Kein Zweifel, es geht Kraft und Autorität aus von diesem über 90-jährigen Mann mit dem noch immer strengen Scheitel und der unvermeidlichen Kippe im Mund.

Während der Kanzlerschaft von Helmut Kohl, Helmut Schmidts Nachfolger, wurden die Machtinsignien der neuen, vereinigten Bundesrepublik geplant – das opulente Kanzleramt, die gläserne Kuppel für den umgebauten Reichstag, die Gigantomanie auf dem nahen Potsdamer Platz. Doch neue Bauten schaffen noch keine nationale Identität.

Die Frauen und Männer in Deutschland, die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger, haben ihren eigenen, wertvollen Beitrag zu diesem neuen Staat geleistet – einen Beitrag, für den es keine Steine und keinen Mörtel braucht und der mehr Gemeinsinn stiftet als Prunk und Fassade. Mit ihren persönlichen Empfindungen und ihrer inneren Teilhabe am neuen Staat bringen sie einem Politiker im einstweiligen Ruhestand, Helmut Schmidt, eine überraschende, überragende Verehrung entgegen, eine Verehrung, die von jungen und älteren Menschen gleichermaßen geteilt wird und von Jahr zu Jahr steigt.

Kein Politiker in Deutschland ist so angesehen und so beliebt wie Helmut Schmidt. Niemand wünschen sich die Deutschen mit seinen persönlichen Eigenschaften so sehr in einem hohen Amt, sei es als Bundeskanzler oder Bundespräsident, wie ihn. Jungen Leuten gilt Helmut Schmidt als faszinierende, schnoddrige, rauchende Kultfigur. Ältere Deutsche, die ihn noch als Kanzler erlebt haben, betrachten ihn als Deutschlands klügsten politischen Kopf.

Was ist das Geheimnis von Schmidts hoher, Parteigrenzen sprengender Popularität? Es ist weniger die Verehrung eines „Alten“ und vermeintlich „Weisen“, dem hier Bewunderung entgegenschlägt. Das Senioritätsprinzip – ein alter Mensch ist schon wegen seines Alters zu achten – hat in Deutschland keine Tradition. Konrad Adenauer wurde zwar als „Alter“ verehrt, aber er war auch fast bis zum Ende seines Lebens amtierender Politiker. Ein Carlo Schmid oder ein Ludwig Erhard waren, als sie ein hohes Alter erreicht hatten, aber nicht mehr politisch aktiv waren, fast vergessen. Das bloße Alter sorgt auch nicht dafür, dass betagte oder hochbetagte Zeitgenossen von Helmut Schmidt – der frühere Bundeskanzler Kohl, die früheren Bundespräsidenten Scheel, Herzog und von Weizsäcker – in den Medien präsent wären. Das einst hohe Amt sorgt nicht automatisch für Gehör. Fernsehgespräche mit Roman Herzog und Richard von Weizsäcker haben gute Einschaltquoten, doch kommen die Zuschauerzahlen – und vor allem die publizistische Wirkung – nie an Gespräche mit Helmut Schmidt heran.

Aber was – wenn nicht hohes Alter und früheres Amt – macht dann Schmidts Popularität aus? Was ist das Geheimnis seiner fortgesetzten Wirkung? Kein Bundeskanzler in der Geschichte des Landes war und ist nach seiner Amtszeit politisch und persönlich so präsent wie Helmut Schmidt. Kein politischer Autor der Bundesrepublik Deutschland verkauft so viele Bücher und wird auch so häufig gelesen wie er. Kein Gast in öffentlichen Veranstaltungen und Fernsehinterviews lockt so viele Gäste und Zuschauer an.

Früher gab es eine Anekdote über Helmut Schmidt, wonach ein Preis, der ihm verliehen werden solle, mit mindestens 10.000 Euro dotiert sein müsse – denn so hoch sei sein Mindesthonorar für einen Vortrag.

Ein Altbundeskanzler kommt seinen Gastgebern vielleicht teuer, seinen Zuhörerinnen und Zuhörern aber lieb, obwohl – oder gerade weil – er in seinem Vortrag amtierende Politiker kritisiert. Bei Helmut Schmidt muss man noch auf die ungewöhnliche, weil unzeitgemäße Performance gefasst sein, denn er raucht wie ein Schlot und spricht Klartext.

Was genau macht die Popularität des rauchenden Politikers Helmut Schmidt aus? Was verrät diese Popularität über ein Land, dessen politische Führung Helmut Schmidt vor fast 30 Jahren abgegeben hat? Wie erleben die Deutschen ihr politisches Führungspersonal, wenn sie einen Mann wie Helmut Schmidt verehren, der nicht mehr von Amts wegen zu dieser politischen Führung gehört? Kann Helmut Schmidt in der Gegenwart ein Vorbild sein, oder verkörpert er eine vergangene, zu Unrecht verklärte Epoche?

Es liegt ein starker Reiz darin, solchen Fragen auf die Spur zu gehen. Dieser Reiz folgt zum einen der Persönlichkeit von Helmut Schmidt selbst. Viel ausführlicher und nachdrücklicher als seine Nachfolger Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel hat er seine sittliche Grundlagen und sein Verständnis von Politik dargelegt und damit zur öffentlichen Diskussion gestellt. Auch wenn es Helmut Schmidt, der Hanseat, mit nordischem Understatement nicht eingestand, wollte und will er als Politiker, der für bestimmte Werte steht, ein Vorbild sein. Zu diesem Zweck wirbt er für diese Werte bis in das hohe Alter und lebt sie nach Kräften selbst. Und nimmt dabei die Politikerinnen und Politiker der Gegenwart in die Pflicht. Sein Maßstab ist hoch. Zu hoch für jene, die auf ihn in verantwortlichen Ämtern gefolgt sind?

Der weitere Reiz, Schmidts Popularität, ja Ruhm zu verstehen, liegt im gegenwärtig stark angeschlagenen Erscheinungsbild der deutschen Politik. Ranghohe Politiker treten nicht von ihren Ämtern zurück, sie schmeißen sie geradezu hin. Und jene, die im Amt bleiben, genießen in der Publizistik und in der Öffentlichkeit nicht gerade ein hohes Ansehen. Helmut Schmidt kritisiert die „politische Klasse“ (ein Lieblingswort von ihm), doch ist diese Kritik berechtigt? Oder sind es heute schlichtweg andere Zeiten als jene Dekaden, die er selbst politisch mitgestaltet hat? Verbinden die Deutschen mit ihm eine realistische oder eine verlorene Hoffnung?

Dieses Buch porträtiert die aktuelle Rolle von Helmut Schmidt in der Politik. Es handelt weniger von seiner Lebensleistung. Diese Lebensleistung ist vielfach dokumentiert und gewürdigt worden: sein Krisenmanagement in wechselnden Situationen, seine Fortsetzung der sozialliberalen Koalition und das publizistische Wirken nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt.

Dieses Buch handelt von dem Menschen und Politiker Helmut Schmidt, der gerade im hohen Alter eine moralische und politische Instanz verkörpert wie nie zuvor in seinem Leben – und das, obwohl er sich selbst überhaupt nicht vorbildhaft verhält! Er kann von seinem Laster, dem Rauchen, nicht lassen, ja bekennt sich sogar dazu. „Willen braucht man. Und Zigaretten.“

Die Verehrung, die Helmut Schmidt zuteilwird, sagt viel über die politische Persönlichkeit Helmut Schmidt aus, aber nicht weniger über die Gefühlslage jener, die ihm diese Verehrung zuteilwerden lassen. So handelt dieses Buch auch von einer Republik, deren Bürgerinnen und Bürger einen „außer Dienst“ stehenden Politiker hoch schätzen, während sie die Riege des aktiven Politikbetriebes verdrossen macht. Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich Persönlichkeiten, die Halt geben in einer weltpolitisch wechselvollen Zeit. Sie sind nicht nostalgisch veranlagt, verfallen nicht aus grundloser Wehmut dem alten Mann Helmut Schmidt.

Helmut Schmidt steht in einem so hohen Alter, dass er die wissenschaftliche Aufarbeitung seiner persönlichen und politischen Biografie seit Langem selbst begleiten kann. Er hat diese Aufarbeitung nach Kräften gefördert. Es gibt schon viele Bücher über sein Leben, über die Felder seiner politischen Arbeit, auch ich habe hierzu in den letzten zwei Jahrzehnten Beiträge geleistet. Mit diesem Buch kommt ein weiterer hinzu.

Das Interesse an einem Politiker, der während meines politischen Erwachsenwerdens Bundeskanzler war, hat meinen Werdegang ganz schön beeinflusst. Ich war nach einem Volontariat bei einer Tageszeitung Redakteur in einer Lokalredaktion, tippte meine Artikel in die „Olympia“ und sollte stellvertretender Vorsitzender in einem Tennisklub werden. Allerdings wollte ich mich unbedingt noch mit Helmut Schmidt beschäftigen, dieser facettenreichen, eckigen Persönlichkeit. Von dieser Beschäftigung erhoffte ich mir, etwas über meine Großväter- und Vater-Generation zu erfahren und letztlich auch über meine eigene. Ich gab die Redakteursstelle auf und verzichtete aufs Funktionärsamt in kurzen Hosen, um unter anderem Politikwissenschaft zu studieren. In Ludger Kühnhardt fand ich einen aufgeschlossenen Professor, der mein Thema, die „geistigen Grundlagen“ bei Helmut Schmidt, akzeptierte. Dass ein unionsnaher Lehrer ein „SPD-Thema“ betreute, war seinerzeit keineswegs selbstverständlich!

Aus der Dissertation wurde auf Anregung des Verlegers Ulrich Frank-Planitz eine politische Biografie. Der Arbeitsaufwand sorgte dafür, dass ich meinen Tennisschläger nach einer ohnehin wenig sportlichen Performance auf dem roten Sand an den Nagel hängte. Mein persönlich liebstes Buch wurde mir eine Studie über die SPD-„Troika“ Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt, von der sich allerdings gerade so viele Exemplare verkauften, wie ein kleiner Tennisklub Mitglieder hat. Zum 90. Geburtstag von Helmut Schmidt habe ich die politische Biografie aktualisiert, und damit sollte Schluss sein mit dem Thema. Es gab scheinbar nichts Neues mehr über Helmut Schmidt zu sagen.

Das Neue trat mit der fortwährenden Wirkung von Helmut Schmidt hervor – und dem Internet, mit dem diese Wirkung einen zusätzlichen Schub erfuhr. Schmidt blieb und bleibt unverändert präsent. Er nimmt zum Beispiel auf der Internet-Plattform „StudiVZ“ einen wichtigen Platz ein. Viele Gruppen darin widmen sich Helmut Schmidt, dem altgedienten Politiker und Kettenraucher! Zugleich ereignen sich in der politischen Welt, der er nach wie vor als mahnende Stimme angehört, Patzer und Ausfälle. Ein deutscher Bundespräsident tritt mit einer schwachen Begründung abrupt von seinem Amt zurück. Der FDP-Vorsitzende und Bundesaußenminister schafft es innerhalb eines Jahres, die Sympathien für sich und seine Partei gründlich zu verspielen. Helmut Schmidt nimmt solche Entwicklungen kopfschüttelnd zur Kenntnis und kommentiert sie in markigen Worten. Ihm geht es dabei nicht vorrangig um einzelne Personen mit ihren Stärken und Schwächen, um ihr politisches Glück oder ihre Niederlage, sondern um die Wirkung solcher Pannen auf die Republik und letztlich auf die Demokratie.

Mit der Persönlichkeit Helmut Schmidt ragt eine Führungsfigur aus einer vergangenen Zeit weit in die Gegenwart hinein. Helmut Schmidt macht mit seinem Rat nicht nur ein politisches und moralisches Angebot, dieses Angebot wird von seinen politischen Gesprächspartnern und von den Lesern seiner Beiträge mit großem Interesse abgefragt. Was sagt die „Hochkonjunktur“ der Persönlichkeit Helmut Schmidt über ihn und über die Lage der Bundesrepublik Deutschland aus? Was über ihre „politische Klasse“ und was über die Bürgerinnen und Bürger, die von ihr regiert werden? Um Antworten auf diese Fragen soll es in diesem Buch gehen. Es schließt an die Biografie, an das Jahrhundertleben von Helmut Schmidt unmittelbar an.

Darf Helmut Schmidt die „politische Klasse“, wie er das Personal der vereinigten Bundesrepublik zu nennen pflegt, so hart kritisieren? Ist er letztlich der Vertreter einer vergangenen, nicht mehr als Maßstab zu nehmenden Zeit, oder kann und muss er für die Gegenwart und Zukunft gerade diesen Maßstab setzen?

Es fällt auf, dass Helmut Schmidt, je älter er wird, „sein Ding macht“. Er schert sich immer weniger um die Kritik an seinem öffentlichen Rauchen und an den deutlichen Worten, die er über die nationale und internationale Politik verliert. Tagespolitisch orientierte Kritik perlt an ihm ab. Helmut Schmidt tut einfach, was er für richtig hält.

„Ich mach‘ mein Ding, egal was die ander‘n sagen“, hat Udo Lindenberg auf seiner CD „Stark wie Zwei“ gesungen. Der gebürtige Hamburger Helmut Schmidt aus dem Neubergerweg und der Wahl-Hamburger Udo Lindenberg, der seit Langem im Hotel „Atlantic“ wohnt, sind einander sogar persönlich begegnet. Beide verbindet mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Udo Lindenberg hat bekanntlich Erich Honecker getroffen, Helmut Schmidt – wenngleich er nicht den „Sonderzug nach Pankow“ nahm – bei Gelegenheit auch. Beide, Udo Lindenberg und Helmut Schmidt, sind eigenständige, eigensinnige Persönlichkeiten. Beide haben auf jeweils ihren Feldern Wichtiges, Bleibendes geleistet. Und beide sind – wieder jeweils auf ihren Feldern – Kultfiguren. Helmut Schmidt und Udo Lindenberg stehen für eigene, mutige, konsequente Lebenswege. Jeder für sich steht für eine von ihm begründete Ära und wirkt über diese Ära hinaus.

Peter Stuyvesant – Der Duft der großen weiten Welt

Es gab eine Zeit, als das Rauchen noch fröhlich machte. In dieser Zeit war Helmut Schmidt deutscher Bundeskanzler. Leserinnen und Leser von heute im mittleren Alter erinnern sich:

Jede Ernte 23 ist eine leichte Minute lang.

Milde Sorte. Geschmack, der Freude macht.

Die Stunden genießen. Die leichte Krone aus Freude am guten Geschmack.

Dunhill International. Eine der kostbarsten Cigaretten der Welt.

Manche Dinge sind zu gut, um zu früh aufzuhören. York hat die schmackhaften Extra-Züge.

Roth-Händle. Naturreiner Tabak.

Marlboro. Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer.

Genuss im Stil der neuen Zeit. Lord extra.

Lux-Filter. Die gute Art milde zu rauchen.

Sie liebt das Geschmackvolle. Eve Filter Cigarettes.

Der Duft der großen weiten Welt. Peter Stuyvesant.

Ich gehe meilenweit für Camel Filter.

Halt, mein Freund, wer wird denn gleich in die Luft gehen?

Greife lieber zu HB – die ist mild und schmeckt.

In dieser Zeit, von der hier die Rede ist, gehörte zum Aufwachen am Morgen eine Zigarette. Zur ersten Tasse Kaffee am Morgen gehörte eine Zigarette. Zum Weg zur Arbeit – im Bus, in der Straßenbahn oder im Auto – gehörte eine Zigarette. Zum Beginn des Arbeitstages gehörte eine Zigarette. In die Frühstücks- und in die Mittagspause gehörte eine Zigarette – mittags auch zwei. Nachmittags am „toten Punkt“, wenn der Blutdruck abfiel, stärkte eine Zigarette. Auf dem Heimweg, wieder im Bus oder in der Straßenbahn oder im Auto, genoss man eine Zigarette. Zu Hause angekommen, beim Öffnen der Briefpost, schmeckte eine Zigarette. Später, nach dem Abendessen im Familienkreis, war Zeit für eine Zigarette. Beim Treffen mit Freundinnen und Freunden reichte man sich eine Zigarette – und eine zweite oder dritte. Vor dem Schlafengehen war Gelegenheit zum Innehalten – bei einer Zigarette. Vor dem Einschlafen gab es manchmal Sex. Auf ihn folgte eine Zigarette. Am Sonntagmorgen gab es immer Sex. Und danach – eine Zigarette.

„Vor nicht allzu langer Zeit rauchte die ganze Welt“, schreibt Luc Sante voller Wehmut in seinem hierzulande 2005 erschienenen Buch „No Smoking“, der letzten Hommage auf die Zigarette, bevor sie zum Stigma wurde. „Ohne Aschenbecher war kein Zimmer komplett möbliert, das ganze Leben maß man in Zigarettenlängen.“

Wichtigste Zeiteinheit in den Jahren, als Helmut Schmidt die Bundesrepublik regierte, war die „Zigarettenpause“ – in der Fabrik, bei der Bundeswehr, im Büro. Sie machte eine „Zigarettenlänge“, etwa fünf Minuten, aus. Manche Zigarettenmarken – die Modelle für Frauen – waren zwar länger, aber dünner, sodass auch ihr Konsum etwa diese fünf Minuten dauerte.

Luc Sante erinnert noch einmal an die Protagonisten unter den Rauchern (früher sagte man nicht Raucherinnen und Raucher, man sagte nur Raucher und schloss rauchende Frauen mit ein). „Ärzte rauchten in ihren Sprechzimmern, Chefköche rauchten am Herd, Mütter rauchten, während sie ihre Babys wiegten. Mechaniker rauchten in ölbesprenkelten Garagen. Athleten rauchten zwischen den Wettkämpfen. Lehrer rauchten in Klassenzimmern. Patienten rauchten in den Aufenthaltsräumen der Krankenhäuser. Fernsehsprecher rauchten vor der Kamera. (…) Geraucht wurde im Büro und am Stand, im Wartezimmer und beim Friseur, in der Kunstgalerie wie im Stadion.“

Apropos „Fernsehsprecher“: Zu den bekanntesten „Raucherstuben“ gehörte der „Internationale Frühschoppen“ mit Werner Höfer am Sonntagmittag. Höfer lud internationale Journalisten zum Gespräch über aktuelle politische Themen ein. Die Gäste bekamen zum „Frühschoppen“ nicht nur Wein eingeschenkt, selbstverständlich rauchten sie auch nach Herzenslust. Kein Wunder, dass das Studio bald unter dichtem Smog lag.

In jener Zeit, von der hier die Rede ist, rauchten Schauspielerinnen und Schauspieler nahezu ausnahmslos. Die Kinofilme aus diesen Jahren kann man sich ohne rauchende Akteure nicht denken. Krimiserien wie „Der Kommissar“ oder „Derrick“ führten gleichsam den wissenschaftlichen Beweis dafür, dass die Zigarette die kriminalistische Aufklärungsarbeit erleichtert. „Kommissar“ Erik Ode steckte Verdächtigen erst einmal eine Zigarette an. Diese fassten sich, so gestärkt, ein Herz und gestanden den Mord.

In jener Zeit, von der hier weiter die Rede ist, durften sogar Formel-1-Fahrer rauchen. Der erfolgreiche Deutsch-Österreicher Jochen Rindt zum Beispiel – der einzige Weltmeister in diesem Sport, der tragischerweise seinen Titel nicht mehr erlebt hat – steckte sich nach jedem Rennen eine Zigarette an. Auch im Fahrerlager, wo es nach Öl roch und Benzin in schlecht gesicherten Fässern herumstand, frönte er ganz selbstverständlich seiner Sucht – und die Fahrerkollegen ebenso.

Der Dirigent Leonard Bernstein setzte Mitarbeiter dafür ein, dass sie ihm am Ende eines Konzertteils, kaum dass sich die Bühnentür geschlossen hatte, eine bereits angezündete Zigarette in den Mund steckten. Bernsteins persönliche Fahrer gehörten gewiss zu den heftigsten Passivrauchern der ganzen Welt.

In jener Zeit, die schon lange vergangen ist, schuf Rauchen sogar Design. Feuerzeuge und Aschenbecher wurden mit derselben Verve gestaltet wie Stühle und Musikanlagen. In den „Wohnfibeln“ der sechziger und siebziger Jahre war in jedem Muster-Wohnzimmer ein prominenter Platz für den Aschenbecher und weitere Rauchinstrumente vorgesehen. Heute fristen Hunderttausende dieser Aschenbecher, Feueranzünder und Tabakmesser ein unwürdiges Dasein in Bananenkisten von Flohmarkthändlern, die keine Abnehmer mehr für sie finden.

Vier Aschenbecher im Innenraum eines Autos, einer neben jedem Sitz, gehörten selbstverständlich zur Grundausstattung. Heute muss ein Aschenbecher im Auto als Extra eigens bestellt und mit einem Aufpreis bezahlt werden.

In jener Zeit, die schon weit zurückliegt, galt Rauchen als gesellig, Nichtrauchen als stoffelig. Wer rauchte, stilisierte sich, wer nicht rauchte, brachte sich um eine Chance. Ständig seien untereinander Zigaretten ausgetauscht worden, erinnert sich Luc Sante. „Setzte man sich mit drei Leuten an einen Tisch, kamen sofort vier Päckchen hervor, aus denen je ein fachmännisch abgestuftes Trio von Enden ragte, und selbstverständlich musste man sich bedienen, selbst wenn man die Marke verabscheute, ebenso wie die anderen sich bei den eigenen zu bedienen hatten.“

Wer sich verweigerte, verstieß gegen den Komment, galt als Spielverderber. Heute ist es genau umgekehrt.

In einer Zeit, als die meisten Leute VW Käfer oder Opel Kadett fuhren, die besser Gestellten einen Opel Rekord oder gar einen Diesel-Benz, spiegelten sich Klassen, Charakter und Geschlecht in Zigarettenmarken. Dunhill oder Roth-Händle waren die Marken für das Großbürgertum und den deutschen Adel. Weil der Tabak besonders stark war, galten sie als besonders ungesund, aber eben auch als besonders schmackhaft. Man gönnte sich den Luxus, besonders intensiv zu sündigen. Peter Stuyvesant sprach die Neureichen an, die Aufsteiger des Wirtschaftswunders. Während die Wohlsituierten ihr Vermögen lieber verbargen, stellten es die Neureichen gern zur Schau. Sie besaßen vielleicht keine schicken Kleinflugzeuge, wie es die Peter-Stuyvesant-Werbung ihnen suggerierte, aber sie trugen imagekonform weiße Rollkragen-Pullover und fuhren Sportcoupés.

Weil das Wirtschaftswunder nicht allen ein Sportcoupé bescherte, bedurfte es auch der Zigaretten für weniger Betuchte. Die Männer unter ihnen griffen zu Marlboro und Camel, die Frauen zu HB und Lord. Marlboro und Camel versprachen Outdoor-Erlebnisse mit Cowboys in der Prärie. Die dünnen, längeren Zigaretten der Marke „Eve“ wiederum waren reichen, kinderlosen Frauen vorbehalten, die sich am hohen Einkommen ihrer Männer freuten und nicht wussten, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollten.

Auch die Art zu rauchen offenbarte Rasse und Klasse (oder ließ beides vermissen). Frauen, die nach Zigarettenspitzen griffen, machten nur Eindruck auf Männer, die auf Frauen standen, die mit Zigarettenspitzen rauchen. Die Zigarettenspitze erinnerte an den kurzhaarigen, strengen, zugleich souveränen Frauentyp der zwanziger Jahre.

Männer, die Stuyvesant rauchten, drückten die Zigarette aus, nachdem sie den Glimmstängel zu zwei Dritteln abgebrannt hatten. Eine Stuyvesant zu rauchen war Pose, und ihr generös frühes Ende ein Teil davon. Anders behandelt wurde eine HB: Sie konnte – ihrem Werbeslogan nach ideal, um Stress abzubauen – nie lang genug sein. Wer sie rauchte, rauchte sie auf bis zum Filter.