Luise F. Pusch
Die Eier des Staatsoberhaupts
und andere Glossen
Luise F. Pusch
Die Eier
des Staatsoberhaupts
und andere Glossen
WALLSTEIN VERLAG
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
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© Wallstein Verlag, Göttingen 2008
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Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond
Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf,
unter Verwendung einer Abbildung des Keramikkunstwerkes
»Die Bundesadlerin«, © Christine Kramer Panier, Siegburg
(www.christinekramerpanier.de)
ISBN (Print) 978-3-8353-0280-8
ISBN (eBook, pdf) 978-3-8353-2127-4
ISBN (eBook, epub) 978-3-8353-2126-7
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
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Inhalt
Vorwort
Beruf
Familie
Film und Fernsehen
Frauenbewegung
Geld
Gesundheit
Heim und Herd
Kunst und Kultur
Liebe
Merkel
Miteinander
Mode
Musik
Paare
Reisen
Tierleben
Verzeichnis der Erstdrucke
Verzeichnis der Glossen
25 Jahre Glossen
Im Frühjahr 1982 veröffentlichte ich meine erste feministisch-linguistische Glosse, »Die Menstruation ist bei jedem ein bißchen anders«, in der Zeitschrift Courage. Jeden Monat lieferte ich eine neue Glosse, die das Publikum mit feministischer Sprachkritik unterhalten sollte.
Zwei Jahre später gab es die Zeitschrift leider nicht mehr, und ich suchte eine neue Heimat für meine Glossen. Hin und wieder konnte ich sie in Zeitungen und beim Rundfunk unterbringen. Die Redakteurinnen brauchten viel Mut und Zähigkeit, um meine Texte gegen den Widerstand ihrer Chefs durchzusetzen.
So entstanden in den Courage-Jahren 24 Glossen, zwischen 1984 und 1990 22 Glossen, und zwischen 1990 und 1999 ganze zehn, etwa jedes Jahr eine. Gesammelt erschienen sie im Suhrkamp Verlag als Beigabe zu meinen drei Bänden mit »seriösen« feministischen Sprachanalysen.
Ich hielt im ganzen deutschsprachigen Raum Vor träge über feministische Sprachkritik, und da das ein sperriges Thema ist, versuchte ich das Publikum mit meinen Glossen bei Laune zu halten, was auch zuverlässig gelang. Viele gestanden mir, sie kämen überhaupt nur wegen der Glossen, und ich sollte lieber nur noch Glossen schreiben.
Es gab damals außer mir nur wenige, die feministische Themen sowohl wissenschaftlich als auch satirisch aufbereiteten. Deshalb wurde ich von Frauenbeauftragten, die verzweifelt versuchten, ihrer Klientel den Feminismus ohne »Verbissenheit« nahezubringen, immer häufiger als Humoristin und Allzweckfeministin eingeladen.
Seit 2001 betreibe ich ein frauenbiographisches Web-Portal, www.fembio.org. Glossen sollten helfen, Publikum auf die Seite zu locken. Ab Mitte 2006 konnte ich dank neuer Software meine Texte selbst ins Netz stellen. Erst zögernd, bald immer zuversichtlicher kommentierte ich eine Vielfalt von Themen, wie all die anderen BloggerInnen auch.
Es kam das Jahr 2007 – 25 Jahre Glossen! Das mußte doch irgendwie gefeiert werden. Um das Publikum für seine in all den Jahren nicht nachlassende Nachfrage zu belohnen, beschloß ich, im Jubiläumsjahr jede Woche eine neue Glosse ins Netz zu stellen. Es fiel mir erstaunlich leicht. Die Welt ist voller Anlässe für feministische Sprachkritik und Wortschöpfungen, das Thema ist keineswegs ausgereizt, wie ich zunächst befürchtet hatte. Im Gegenteil – dank regelmäßiger Beackerung und lebhafter online-Kommentare entfaltet es sich jetzt in viele Richtungen, bunt und aufregend.
Die meisten Leute, die mir per E-Mail Kommentare zur FemBio-Website schicken, schreiben anerkennend bis begeistert und heben so die Arbeitsfreude beträchtlich. Immer mal wieder aber gibt es auch Kritik, und die kommt bisher nur von Männern. Neulich schrieb mir ein Ernst Adam aus Bremen (Name und Adresse geändert):
»Guten Tag Frau Pusch!
Ich möchte Sie hiermit darum bitten, mir Ihren Newsletter nicht mehr zuzuschicken.
Ich war doch ein wenig erstaunt, in Ihrer Aufstellung bedeutender Frauen solche Gestalten wie Margot Hon necker [sic] und Eva Braun zu finden. Schon die Männer dieser Personen sind höchstens aus historischer Sicht interessant, eine weitere Beschäftigung mit der Person an sich scheint mir wenig sinnvoll. Was ist das Besondere an solchen Frauen, die sich bloß, um es einmal sehr drastisch zu sagen, von historisch wichtigen Psychopathen haben besteigen lassen (oder vielleicht auch nicht)? Was sollen sie in einer Datenbank, die sich das löbliche Ziel gesetzt hat, bedeutenden Frauen die ihnen zustehende Aufmerksamkeit zu verschaffen? Es sollte doch darum gehen, daß Frauen wegen ihrer eigenen Leistungen Respekt und Aufmerksamkeit verdienen und nicht als bloße ›Frau von …‹ in Erinnerung bleiben. Oder sehe ich das aus meiner männlichen Perspektive falsch?«
So weit Herr Adam. Da sich der Besserwessi nicht die Mühe gemacht hatte, dem Newsletter-Link nachzulicken, sich über Margot Honecker zu informieren und dabei herauszufinden, daß »Miss Bildung« nicht nur »Frau von …«, sondern über ein Vierteljahrhundert Bildungsministerin der DDR war, machte ich mir auch nicht die Mühe, ihm zu antworten. Die Frage war ja wohl auch rein rhetorisch, denn den Newsletter hatte er ja auf alle Fälle schon mal abbestellt.
Aber das Problem, das er anspricht, bewegt wahrscheinlich nicht nur ihn. Auch ich mache mir gelegentlich noch Gedanken darüber, wie die Datenbank »Bedeutende Frauen International« mit Frauen wie Eva Braun verfahren soll. Bisher haben wir ihr, die tatsächlich nur durch ihre Beziehung zu Hitler bekannt wurde, auch noch kein Porträt gewidmet; sie kam nur in einer Quizfrage vor.
Es geht letztlich um die Frage: Welche Bedeutung hat »bedeutend«? Um einige Aspekte dieser komplexen Frage zu erörtern, möchte ich Herrn Adams Schreiben hier öffentlich beantworten:
Guten Tag Herr Adam,
Mit der Frage nach der Bedeutung des Wortes »bedeutend« beschäftigen auch wir uns seit Anfang des FemBio-Projekts. Wird ein Mensch »bedeutend« nur durch eigene und obendrein gute Taten? Oder sind bedeutende Personen solche, die historische Bedeutung erlangt haben, und sei es auch durch Untaten oder durch bloßen Zufall wie das Geschlecht, die Geburt in eine bestimmte Familie, die Stellung in der Geschwisterreihe, die Verwandtschaft oder Verbandelung mit einer historisch wichtigen Person? Und was hat es mit der »exemplarischen Bedeutung« auf sich (eine wichtige feministische Kategorie, unter die viele weibliche Opfer fallen, beispielsweise Johanna die Wahnsinnige oder Anna Göldin, die letzte in Europa als »Hexe« verbrannte Frau)? Kurz gesagt: Sollen die FemBio-Datenbank und die FemBio-Website nur »Frauenlob« verbreiten, oder sollen sie historische Auskünfte erteilen?
Bei berühmten Männern – seien sie nun »bedeutend« im positiven Sinn, »historisch wichtig« durch Zufall oder berüchtigt (letztere nennen Sie Psychopathen) – scheint sich diese Frage so nicht zu stellen. Denn beim Mann verwischen sich diese Kategorien, weil ihm traditionell die »wichtigen« Aufgaben im Vordergrund zufallen, an denen er u. U. auch wachsen kann, während die Frau in den Hintergrund und »in die Bedeutungslosigkeit« verbannt wird. Es bedarf feministischer Anstrengungen, um die verzerrten Perspektiven wieder zu entzerren. Dabei zeigt sich dann, daß viele »bedeutende« Männer herzlich unbedeutend und viele »unbedeutende« Frauen die eigentlich bedeutenden waren.
Feministische Geschichtsarbeit erschöpft sich nicht darin, die Frau auf Normalmaß hochzuloben (Sie sprechen von dem »löblichen Ziel, bedeutenden Frauen die ihnen zustehende Aufmerksamkeit zu verschaffen«). Ebenso wichtig ist es, den Mann auf Normalmaß gesundzuschrumpfen. Anbei ein Beispiel dieses vergnüglichen Denksports, zur Nachahmung empfohlen:
Sie fragen: »Was ist das Besondere an solchen Frauen, die sich bloß, um es einmal sehr drastisch zu sagen, von historisch wichtigen Psychopathen haben besteigen lassen (oder vielleicht auch nicht)?«
Ihre drastischen Ungalantheiten will ich als Dame von Welt mal überhört haben und erlaube mir eine Gegenfrage: Was ist das Besondere an Männern wie etwa den deutschen Kaisern Wilhelm I. und Wilhelm II., außer daß sie zufällig Mitglied des Herrscher hauses, zufällig Erste in der Erbfolge und zufällig männlichen Geschlechts waren? Solche Art von Männern bestimmten die Geschicke Europas (trotz der Französischen Revolution) bis 1918 – egal, ob sie für ihr zufällig ererbtes Amt irgendwelche Qualifikationen besaßen. Meistens besaßen sie bekanntlich keine. Die wenigen Blütezeiten der europäischen Geschichte waren interessanterweise genau diejenigen, da eine Frau an der Spitze des Landes stand: Königin Isabella die Katholische von Spanien, Königin Elizabeth I. von England, Kaiserin Maria Theresia von Österreich, Katharina die Große von Rußland.
Sie schreiben: »Es sollte doch darum gehen, daß Frauen wegen ihrer eigenen Leistungen Respekt und Aufmerksamkeit verdienen und nicht als bloße ›Frau von …‹ in Erinnerung bleiben.« Wenn wir dies Kriterium auch für bloße männliche Erstgeburten gelten ließen, könnten wir gut die Hälfte der Männer aus den Lexika streichen. Ich hätte ja nichts dagegen, aber ich bin sicher, das Publikum wäre befremdet bis verärgert.
Und deshalb, aus Gründen der Gleichberechtigung, ver fahren wir weiter nach folgendem Grundsatz: Auch wenn eine Person nicht durch eigene Leistung, sondern nur durch ihre historische Stellung, sei es als »bloße männliche Erstgeburt« (Wilhelm II. und seinesgleichen) oder als »bloße Frau von« (Eva Braun) bekannt wurde, sollte sie in einem Lexikon nicht fehlen.
Mit feministischen Grüßen
Luise F. Pusch (bloße weibliche Zweitgeburt)
August 2002
Am vergangenen Freitag lag ich aufgesperrten Mundes auf dem Zahnarztstuhl, die Zahnärztin hatte das Zimmer verlassen, hinter mir hantierte die Zahnarzthelferin, das Radio spielte sanfte Country-Musik, gelegentlich unterbrochen von Wortbeiträgen. Ich döste vor mich hin, wurde aber – naturgemäß – sofort hellwach, als der Moderator folgendes von sich gab: »Warum gibt es eigent lich keine Arzthelfer?«
Seine Interviewpartnerin widerspach ihm lebhaft: »Doch, es gibt sie schon, aber nur ganz wenige, da haben Sie recht.« Der Moderator beharrte: »Und warum gibt es nur so wenige? Was meinen Sie?« Die Angespro chene lachte und meinte nur: »Ja anscheinend ist das traditionell ein reiner Frauenberuf.«
Von dieser tiefschürfenden Analyse mußte die Feministin auf dem Zahnarztstuhl sich erst mal erholen.
Zahnarztstuhl? Wo die Frau Doktor (Doktorin?) doch eine Zahnärztin ist? Zahnarzthelferin?? Ach lassen wir das, frau kann sich nicht um alles kümmern, vor allem nicht betäubt und hingestreckt auf dem Zahnärztinnenstuhl. Die Zahnärztinhelferin hatte wohl gar nicht hingehört und arbeitete weiter an ihren Abdrücken.
»Warum gibt es eigentlich keine Ärztinhelfer?« Das hatte der Moderator nicht gefragt. Während die Zahnärztin und ihre Helferin sich peinvoll mit meinen Zähnen abmühten, sann ich darüber nach und kam nur auf die alten Erklärungen: Schon in der Bibel wird verkündet, daß Gott die Frau erschuf, weil der Mann eine Gehülfin brauchte. So kam also mit Eva nicht nur die Sünde auf die Welt, sondern auch die Arzthelferin und alle anderen Männer-Helferinnen.
Alleine kommt Adam eben nicht zurecht. Er braucht Beistand. Das Wort im Alten Testament, das Luther mit »Gehülfin« übersetzte, ist »ezer«. Es bedeutet »Hilfe, Beistand von oben«, wie in »göttlicher Beistand«. Da diese Tatsache sich bisher noch kaum herumgesprochen hat, konnte sie auch nicht stilbildend wirken.
»Traditionelle Frauenberufe« orientieren sich – an einem Übersetzungsfehler Luthers.
Wieder wurde ich eine Weile allein gelassen, doch plötzlich huschte ein junger Mann herein. Doch nicht etwa ein Ärztinhelfer? Vielleicht der neue Arzt in der Gemeinschaftspraxis? Zunächst fragte er mich freundlich, ob er das Radio abstellen sollte. Ach lassen Sie nur, winkte ich ab. Dann teilte er mit, er nähme jetzt mal diesen Stuhl mit. So was tut doch ein Arzt nicht – der schleppt keine Stühle rein und raus, und vor allem legt er einer Patientin keine Rechenschaft über sein Tun ab.
Ich war verwirrt über diese Erscheinung aus einer anderen Welt, aber die verwirrenden Signale gaben mir nun doch einen neuen Gedanken ein zu der uralten Problematik des Mannes und seiner Helferin.
Warum es soviel mehr Zahnärztinnen als Ärztinhelfer gibt? Eine Frau kann schon mal in männliche Ränge aufsteigen und zum Beispiel Zahnärztin werden, aber der Abstieg des Mannes in den zweiten Rang geht nicht so einfach. Und warum nicht? Damit wir immer gleich Bescheid wissen: Der Mann in Weiß – das kann nur der Arzt sein, denn Arzthelfer gibt es nicht. Demütigende oder erheiternde Verwechslungen bleiben dem Mann in der Regel erspart.
Carola Stern erzählte gern folgende Anekdote über ihre Erlebnisse mit Fernsehjournalisten: Die Männer gingen zielstrebig in den Konferenzraum, nachdem sie ihr – in der Meinung, sie sei die Garderobenfrau – ihre Mäntel überreicht hatten.
April 2007
Im Mai 2001 brachte Jane Swift, 35, die amtierende Gouverneurin (acting Governor) von Massachusetts, zwei gesunde Mädchen zur Welt, Lauren und Sarah. (Das Amt der Gouverneurin entspricht unserem Amt der Ministerpräsidentin eines Bundeslandes). Schon im Vorfeld hatte es ein Riesentheater gegeben: Swift hatte sich erkühnt, weiterregieren zu wollen – zur Not vom Kreißsaal aus, wie die Oppositionspartei der DemokratInnen unterstellte. Die hatten aus der »unerhörten«, nie dagewesenen Situation politisches Kapital schlagen wollen und heftig gemotzt, weil die werdende Mutter partout am Ruder bleiben wollte, statt ihren Posten für einen Demokraten zu räumen. Endlich – so um den Muttertag herum – kam von oben die Verfügung, das Gemotze sei einzustellen, weil politisch plump und parteischädigend.
Alles ging gut aus, Mutter und Kinder sind gesund, und auch der Staat Massachusetts ist nicht zusammengebrochen. Jane Swift machte Geschichte als erste während ihrer Amtszeit gebärende Governor, und die nächste schwangere Gouverneurin eines amerikanischen Bundesstaats wird es wohl leichter haben.
Alles frauenpolitisch von großer Tragweite. Mir geht es aber auch um einen bisher völlig übersehenen Nebenaspekt der ganzen Geschichte. Jane Swifts Mädchen sind »zweieiige« Zwillinge – in kruder Deutlichkeit wird im Deutschen an unseren Ursprung aus dem Ei erinnert und die Mutter als Eierbehälter hingestellt. Frau denke auch an das Wort »Eierstöcke« (wieviel entrückter, unbestimmter klingt »ovaries«). Kurz, der sprachliche Umgang mit Zwillingsmutter und -kind ist im deutschsprachigen Raum ungalant bis in die Eier.
Nicht so im Englischen – so scheint es auf den ersten Blick. Keine Rede von Eiern. Eineiige Zwillinge sind »identische Zwillinge« (identical twins). Zweieiige Zwillinge (was für eine Zungenbrecherin!) sind – haltet euch fest, ihr Frauen: »brüderliche Zwillinge« ( fraternal twins). Ich wollte es zuerst nicht glauben – alles redete immerfort fröhlich von Jane Swifts »brüderlichen« Zwillingen Lauren und Sarah, und niemand wunderte sich auch nur darüber, nirgends fand ich einen sprachkritischen Kommentar dazu. Erst wenn die brüderlichen Zwillingsschwestern auf die Universität kommen, werden sie sprachlich wieder umsortiert: In den »Fraternities« (Bruderschaften) haben sie nichts verloren – diese Saufgemeinschaften sind jungen Männern vorbehalten. Lauren und Sarah kommen in wohlerzogene »Sororities« (Schwesterschaften).
Inzwischen schlachten die Medien das heiße Thema Swift weiter aus. Nachdem sie die Vereinbarkeit von Regieren und Gebären unter Beweis gestellt hat, ist jetzt das Stillen dran. Kann man, pardon: frau, ordentlich regieren und zugleich ein Kind, pardon: zwei Kinder, stillen?? In der Talkshow »Politically incorrect« beruhigte der Moderator am 21. Mai 2001 die aufgewühlte Nation mit dem Hinweis, daß schon andere Staatsoberhäupter zum Regieren imstande gewesen seien, auch wenn an ihnen herumgenuckelt wurde, als erster fiele ihm da Clinton ein …
Juni 2001
»Unsere Söhne sind arm dran« – so beginnt Uwe Wittstock in der Welt vom 21. April eine weitere Strophe des seit dem PISA-Schock immer länger und lauter werdenden Klagelieds über unsere benachteiligten Knaben. Der Schock wäre uns erspart geblieben, hätte man nur die Mädchen getestet, die spitzenmäßig abschnitten.
Schon im Oktober 2002 verarbeitete Jochen Bölsche im Spiegel diese Kränkung des männlichen Egos mit einem Tadel an die Frauen: Sie seien schuld, ganz besonders die Feministinnen. Sie hätten aus unseren Vor- und Grundschulen jungenfeindliche Biotope gemacht. Und nun Wittstock: »Das Erziehungssystem fördert immer noch stärker Mädchen, obwohl die Probleme der Jungen viel größer sind.«
Die »Probleme« der Jungen schildert Wittstock eingangs anschaulich mit einer Erzählung über seinen Sohn: Er kann noch kaum laufen, aber ist bereits bestens imstande, ein Mädchen zu drangsalieren.
Erst stößt er sie um, dann wirft er ihr Sand ins Gesicht, und zum Schluß haut er ihr mit der Schaufel eins auf die Nase.
Der arme Junge.
Wenn dies jungentypisches Verhalten ist (und daran zweifelt Wittstock nicht), dann haben nach meiner bescheidenen weiblichen Auffassung die Mädchen grö ßere Probleme als die Jungen.
Sie sind in jeder Hinsicht besser als die Jungen, in ihren schulischen Leistungen, in ihrem sozialen und kommunikativen Verhalten, aber sämtliche Spitzenpositionen in unserem Land und sonst in der Welt sind besetzt von Männern. Kein Wunder, daß die Welt Probleme hat. Die Autorin einer preisgekrönten Studie über das unerträglich rüpelhafte Verhalten der Jungs in der Schule formulierte es privat so: Die Analphabeten sind an der Macht.
Tatsächlich wäre es zu begrüßen, wenn in den Schulen mehr Männer sich der schweißtreibenden Aufgabe der Zivilisierung des männlichen Nachwuchses unterziehen würden. Auch bei der undankbaren Familien-, Hausund Erziehungsarbeit wären sie uns sehr willkommen, sie können daraus gern weniger »jungenfeindliche Biotope« machen. Aber sie finden halt die ihnen qua Geschlecht zustehenden Spitzenpositionen, jene bekannten frauenfeindlichen Biotope, viel attraktiver.
April 2004
Bachmannpreis-Wettlesen, erster Tag. Startnummer 3 hat Silvio Huonder aus der Schweiz gezogen. Er liest eine Geschichte über eine ungeplante Schwangerschaft, aus der sich eine etwas gleichgültig hingenommene Geburt entwickelt. Mutter und Vater kannten sich bei der Zeugung gerade mal ein Stündchen, bei der Geburt kennen sie sich nicht viel besser, und wir, das Publikum, kennen sie auch kaum. Das Geschlecht des Kindes – was doch die meisten immer als erstes über so ein Neugeborenes wissen wollen – verrät der Autor auch nicht.
Die Jury ist nicht sehr begeistert, insgesamt so unentschlossen wie das Elternpaar bei der Produktion des Kindes. Zwei Frauen lehnen den Text ab (März und Rakusa), zwei finden ihn ok (Strigl und Radisch). Zwei Männer mögen den Text gar nicht (Nüchtern und Spinnen), drei finden ihn ganz gut (Detering, Ebel und Corino).
Alles nicht so berichtenswert, bis auf dies: Obwohl das Geschlecht des Kindes, wie gesagt, nicht verraten wurde, haben Burkhard Spinnen und Daniela Strigl es doch irgendwie vernommen. Jedenfalls sagt Spinnen, der Vater habe »Na mein Kleiner« zu dem Baby gesagt, und Strigl meint, er habe sich nett um »seinen Sohn« gekümmert.
Woher sie das Geschlecht wissen? Es gibt da ein Gesetz in der deutschen Herrenkultur und Männersprache. Es besagt: Ein Mensch ist männlich, es sei denn, das Gegenteil wird bekanntgegeben.
Juni 2006
Im März erschien das Buch Die Frauen der Brentanos, von Armin Strohmeyr. Es wurde sehr positiv im Radio besprochen.
Als Cover Girl dient die bekannteste Brentano: Das frühreife Kind Bettine im Alter von etwa elf Jahren – also weder eine Frau noch eine »richtige« Brentano, denn bekannter ist sie allemal unter ihrem Ehe- und Verfasserinnen-Namen Bettina von Arnim, den sie fast fünfzig Jahre lang trug.
Bettine ist inzwischen sicher berühmter als der andere ziemlich berühmte Brentano: ihr Bruder Clemens. Sein Porträt erschien nie auf einem Geldschein, kein Inter city-Zug wurde nach ihm benannt. Bettine hingegen kam nicht nur zu Intercity- und Briefmarken-Ehren, ihr Kinderbild zierte auch lange den Fünfmarkschein. Bettine ist, neben Clara und Annette, die