Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung, Paderborn 2012

Translated from the book Humanizing Health Care, ISBN 9781892005267, by Melanie Sears, Copyright © Fall 2010 by PuddleDancer Press. All rights reserved. Used with permission. For further information about Nonviolent Communication please visit the Center for Nonviolent Communication on the Web at: www.cnvc.org

Übersetzung: Karsten Petersen, Hamburg (www.translibri.com)

Fachliche Begleitung der Übersetzung: Monika Oboth

Coverfoto: © Lebazele, www.istockphoto.com

Coverentwurf/Reihengestaltung: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe 978-3-87387-784-9
ISBN dieses eBooks: 978-3-87387-828-0

Vorwort: Warum ich dieses Buch geschrieben habe

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich in jeder medizinischen Einrichtung, in der ich arbeitete, so viel Leid gesehen habe – sowohl bei Patienten als auch bei Mitgliedern des Personals. Als ich auf meiner eigenen, persönlichen Reise zur Heilung der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) begegnet bin, wusste ich, dass ich ein vielversprechendes Instrumentarium gefunden hatte, um solches Leiden zu beenden. Als Mensch, der im Gesundheitswesen beruflich tätig ist, fühle ich mich nach wie vor motiviert von den Möglichkeiten, jene Organisationen zu heilen, denen wir uns anvertrauen, um selbst geheilt zu werden.

In unseren derzeitigen Systemen leiden viele Patienten, weil die Pflege, die ihnen in Krankenhäusern zuteilwird, wenn sie am anfälligsten sind, sehr häufig mechanisch und wenig mitfühlend ist. Man konzentriert sich ausschließlich auf die Krankheit des Patienten und lässt seine emotionalen Bedürfnisse völlig außer Acht. Und noch beunruhigender ist, dass unsere Krankenhäuser von der völlig falschen Annahme ausgehen, dass die körperliche und die emotionale Seite des Selbst zwei völlig getrennte Systeme sind. Wenn wir so tun, als könnten wir das eine behandeln, ohne das andere zu berücksichtigen, sind die Folgen schädlich und manchmal sogar katastrophal.

Auch viele Mitglieder des medizinischen Personals leiden, weil sie in einer Umgebung arbeiten müssen, die geprägt ist von künstlichem Licht, fortwährender Lärmbelastung, langen Arbeitszeiten, Unterbesetzung und Notfällen, bei denen es um Leben und Tod geht. Unter solchen extrem belastenden Bedingungen sind die Interaktionen zwischen Arbeitskollegen häufig feindselig und abwehrend. In Situationen, die Teamwork erfordern, um adäquate Pflege leisten und Leben retten zu können, sind zwischenmenschliche Konflikte und Kommunikationsabbrüche eher die Regel als die Ausnahme. Doch am meisten haben medizinische Pflegekräfte darunter zu leiden, dass ihre besten Absichten und mitfühlendsten Regungen, nämlich, Fürsorge zu leisten und Menschen zu heilen, von Organisationen untergraben und korrumpiert werden, die künstliche Machthierarchien fördern und systematisch das Gefühlsleben sämtlicher Beteiligten herabwürdigen.

Ich hoffe, dass ich einen Beitrag zu einer friedlicheren Welt und einem stärker von Mitgefühl geprägten Gesundheitssystem leisten kann, indem ich über die Hilfsmittel berichte, die meine eigene Reise zur Heilung erleichtert haben. Ich bin zuversichtlich, dass mithilfe dieser Tools Systeme geschaffen werden können, die den Menschen besser dienen, indem sie Verbundenheit statt Gewalt fördern.

Ich glaube, dieses Buch wird für Verwaltungskräfte nützlich sein, denen Heilerfolg, weniger Burn-out im Mitarbeiterstab und bessere Beziehungen im Kollegenkreis am Herzen liegen. Ich hoffe, dass es auch meinen wunderbaren Kollegen in der Medizin dienen wird, die sich mit ihren beruflichen und zwischenmenschlichen Erlebnissen verstanden wissen wollen. Und ich glaube, dieses Buch wird auch Patienten helfen können, die medizinische Hilfe in Anspruch genommen haben und unzufrieden waren, ohne dass sie sagen könnten, in welcher Hinsicht und warum ihre Bedürfnisse nicht erfüllt wurden.

In diesem Buch beschreibe ich immer wieder bestimmte Herausforderungen und Problemlösungen, die ich im Rahmen meiner Arbeit als Krankenschwester in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung erlebt habe, und zeige anhand solcher Beispiele, wie wichtig GFK für das Gesundheitswesen sein könnte. Ich bin davon überzeugt, dass GFK, wenn sie Harmonie und Frieden sogar in der emotional aufgeladenen Atmosphäre einer psychiatrischen Station schaffen kann, auch in allen anderen Bereichen eines Krankenhauses sehr wirkungsvoll eingesetzt werden kann.

Es gibt schlechterdings keine bekannte körperliche Krankheit oder geistige Störung, die nicht mithilfe von Mitgefühl besser behandelt werden könnte als ohne. Und wenn Krankenhausmitarbeiter darin unterstützt werden, ihr natürliches Mitgefühl zu zeigen, die Wahrheit zu sagen und ihre Gefühle und Bedürfnisse zu äußern, verbessert sich die Qualität der Fürsorge ganz erheblich. Es steht in unserer Macht, das Leid zu beenden, das durch unsere medizinischen Institutionen verursacht wird – worauf warten wir also noch?

Danksagung

Ich möchte Dr. Marshall Rosenberg dafür danken, dass er den Prozess der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) entwickelt hat. Durch Einsatz der GFK-Handwerkszeuge war ich in der Lage, mein Verhalten stärker von meinen inneren Wertvorstellungen leiten zu lassen als von meiner Konditionierung. Ich bin mir der Gewalt in meiner Familiengeschichte bewusst geworden und habe gelernt, auf einfühlsamere Weise mit mir selbst und anderen umzugehen. Die GFK-Prinzipien haben meine Arbeit als Krankenschwester bereichert und mich in die Lage versetzt zu verstehen, warum es für so viele Menschen immer wieder emotional schmerzlich ist, im Gesundheitssystem zu arbeiten.

Die wahre Macht der GFK entdeckte ich, als ich an meinen eigenen Problemen arbeitete, und zwar in Therapiegruppen, deren Mitglieder mir ihre Herzen öffneten und mir mit Empathie und Ehrlichkeit begegneten. Ich bin sehr dankbar für die mir zuteilgewordene Heilung und danke von Herzen all jenen, die mir dieses Geschenk gemacht haben.

Mein Dank geht auch an die Menschen, die mir beim Lektorat dieses Buches geholfen haben: Matt Harris, Michael Smith, Joanne Lane, Jocelyn Brown, Elizabeth Burton und Jen Witsoe.

Mit großer Bewunderung danke ich Sara Saltee dafür, dass sie die zweite Auflage dieses Buches neu strukturiert und überarbeitet hat. Durch ihre gekonnten Formulierungen und Korrekturen ist das Buch wesentlich ansprechender geworden.

1. Eine Krise im Gesundheitswesen

Vieles deutet darauf hin, dass es um das Gefühlsleben zahlreicher Menschen, die in einem medizinischen Beruf arbeiten, nicht zum Besten steht. Studien zeigen, dass die Suizidrate unter männlichen Ärzten etwa 1,4-mal so hoch ist wie in der Gesamtbevölkerung, und Ärztinnen nehmen sich über doppelt so oft das Leben wie Frauen in der Gesamtbevölkerung.1 In jedem Jahr erleiden 9,6 Prozent der in den medizinischen und technischen Berufen im Gesundheitswesen beschäftigten Menschen mindestens eine depressive Episode – 2,6 Prozent mehr als der Durchschnittswert unter Vollzeitbeschäftigten.2 Warum sind Ärzte und Ärztinnen, Krankenschwestern und -pfleger so unglücklich?

In der medizinischen Fachzeitschrift Lancet wurde 1996 eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass Ärzte und Pflegepersonal häufig mit emotionaler Erschöpfung, Entpersönlichung (einem unpersönlichen, gefühllosen Umgang mit anderen Menschen), Geringschätzung der eigenen Leistung, Arbeitsüberlastung, schlechtem Management und unzureichenden Ressourcen zu kämpfen haben. Der tägliche Umgang mit leidenden Patienten und ihren besorgten, wütenden oder vorwurfsvollen Angehörigen ist extrem belastend.

Die Ärzte, die an der Lancet-Studie teilgenommen hatten, berichteten, dass ihre Hauptquellen beruflicher Zufriedenheit gute Beziehungen zu ihren Patienten, deren Angehörigen und zum medizinischen Personal waren, sowie ihr beruflicher Status und die Anerkennung für ihre Arbeit. Sie gaben an, es trage zu ihrer Arbeitszufriedenheit bei, vom Management verstanden zu werden, weitgehend selbstständig arbeiten zu können und abwechslungsreiche Arbeit zu haben. Bezeichnenderweise waren nur 45 Prozent der befragten Ärzte der Meinung, ihre Kommunikationsfertigkeiten seien ausreichend ausgebildet worden, wogegen alle glaubten, für die Behandlung von Krankheiten und den Umgang mit Symptomen adäquat ausgebildet worden zu sein. Die Studie betont: „Die psychische Gesundheit [von Ärzten] kann dennoch aufrechterhalten werden, wenn man ihre Arbeitszufriedenheit bewahrt oder steigert ... indem man ihnen selbstständiges und abwechslungsreiches Arbeiten ermöglicht und ihnen wirkungsvolle Weiterbildung ihrer Kommunikations- und Managementfertigkeiten anbietet.“3

Es scheint, dass zumindest einige Faktoren, die das Wohlbefinden von Menschen in Heilberufen beeinträchtigen, etwas mit den persönlichen, zwischenmenschlichen Dimensionen ihrer Arbeit zu tun haben und nicht etwa mit den technischen Aspekten: Weniger als die Hälfte von ihnen fühlt sich ausreichend darauf vorbereitet, effektiv mit anderen zu kommunizieren, was wiederum bedeutet, dass weniger als die Hälfte sich kompetent fühlt, in bedeutsamer und effektiver Weise eine Verbindung zu den Menschen in ihrer Umgebung herstellen zu können. Außerdem schrecken viele Ärzte davor zurück, einem Patienten mit Empathie zu begegnen, weil sie befürchten, das würde zu viel Zeit kosten. Dieses Fehlen von bedeutsamer Verbundenheit trägt sicherlich zu Entfremdung und Depression bei, die den bedrückenden Suizidstatistiken zugrunde liegen.

Darüber hinaus bekommen medizinische Institutionen die Kosten dieser Faktoren zu spüren: Mangelnde Arbeitszufriedenheit und hohe Fluktuation sind außerordentlich kostspielig für ein Krankenhaus, dem durch einen Mitarbeiterwechsel Kosten von durchschnittlich etwa 60.000 Dollar entstehen. Und so ist es kein Wunder, dass viele Krankenhäuser nach Wegen suchen, um die durchschnittliche Beschäftigungsdauer zu verlängern und ihre Anwerbungskosten zu senken.

1.1 Einige vielversprechende Interventionen

Etliche Beispiele zeigen, dass medizinische Institutionen ihre Mitarbeiter länger halten und ihre Rekrutierungskosten senken können, indem sie die Arbeitszufriedenheit ihrer Beschäftigten steigern, und darüber hinaus, dass bessere Kommunikation ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Insbesondere ein Kommunikationsmodell, das als „Gewaltfreie Kommunikation“ (GFK) bekannt ist, wurde in zahlreichen medizinischen Einrichtungen eingeführt, und zwar mit beeindruckenden Ergebnissen. Einige Beispiele:

Auswirkungen von GFK auf die forensische Station des Mendota Mental Health Institute

2003 (vor GFK)

2006 (nach GFK)

Vorfälle von Isolierung und Fixierung

33

6

Vorfälle von Isolierung und Fixierung, Stunden

92,57

6,4

verlorene Arbeitszeit durch Verletzungen unter Mitarbeitern

mehrere Monate

0,0

Kosten durch Einzelbetreuung

über 10.000 Dollar

0,00 Dollar

 

Was aber ist GFK eigentlich? Und wie kann sie so wirkungsvoll die Zufriedenheit von Patienten und Personal steigern, die Betreuungskosten senken und eine Kultur der Heilung schaffen?

2. Gewaltfreie Kommunikation – Eine Einführung

2.1 Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist eine Philosophie, eine Führungsmethode und ein Kommunikationssystem, das Menschen in die Lage versetzt, mehr Empathie für andere zu entwickeln, indem sie sich ihrer eigenen Gefühle und Bedürfnisse besser bewusst werden. GFK kann eingesetzt werden, um emotionale Wunden zu heilen, emotionale Intelligenz zu entwickeln, Konflikte zu lösen und Win-win-Problemlösungen herbeizuführen. Sie kann in allen Beziehungen eingesetzt werden: am Arbeitsplatz, in Eltern-Kind-Beziehungen, zwischen Lebenspartnern und Freunden. Sie stärkt die emotionale Sicherheit, sodass auch andere Stimmen gehört werden können, wodurch die Kommunikation offen wird und Verständnis entsteht. Durch Anwendung der Prinzipien und Methoden der GFK kann ein Mensch ein selbstbestimmteres Leben führen und seine persönliche Integrität in Übereinstimmung mit seinen zutiefst empfundenen Wertvorstellungen bewahren.

Dr. Marshall Rosenberg, Gründer und Leiter des Trainingsbereichs des Center for Nonviolent Communication (Zentrum für Gewaltfreie Kommunikation), entwickelte Anfang der 1960er-Jahre das GFK-Modell. Auf der Suche nach Strategien zur Förderung einer friedlichen Aufhebung der Rassentrennung begann er, die Praktiken guter Kommunikatoren zu studieren. Seine Studien führten zu einem Vier-Stufen-Modell der Kommunikation, welches neben Ehrlichkeit und Empathie das Bewusstsein betont, dass Worte die Macht haben, die Wahrnehmung der Realität zu formen. Heute reist Dr. Rosenberg rund um die Welt und lehrt diesen Prozess, löst Konflikte in von Kriegen heimgesuchten Ländern und hilft vielen Menschen, ein friedliches und erfreuliches Leben zu führen, indem er ihre Art zu kommunizieren umformt.4

Als er über die Frage „Wodurch bleibt der Mensch seinem von Natur aus mitfühlenden Wesen verbunden?“ nachdachte, begann Dr. Rosenberg zu erkennen, dass unsere Kommunikationsmuster buchstäblich die Welt erschaffen, die wir erleben. Die Botschaften, die man im eigenen Kopf an sich selbst schickt und die Botschaften, die man Menschen übermittelt, mit denen man lebt und arbeitet, formen die eigenen Wahrnehmungen und Beziehungen. Am Arbeitsplatz verbinden sich solche Kommunikationspraktiken und erschaffen so die Kultur, die man mit anderen teilt.

Wenn man destruktive Kommunikationsmuster auslebt, ohne sich dessen bewusst zu sein, wird man ungewollt zum Miturheber jener entmenschlichenden Kulturen, die nie die wirklichen Bedürfnisse der Beteiligten berücksichtigen oder erfüllen. Wenn man sich aber seiner Kommunikationsmuster bewusst wird und sich bewusst dafür entscheidet, wie man denkt und reagiert, verändert man damit buchstäblich die Welt, in der man lebt. Wenn man die Worte, die man spricht, mit seinen wahren Gefühlen und Bedürfnissen verknüpft und sie einsetzt, um klare Bitten an andere zu richten, schafft man bedeutsame Verbindungen zu anderen und sich selbst und führt wirkungsvolle und beständige Veränderungen herbei. Medizinische Institutionen können durch Einführung von GFK zu Umfeldern werden, die dem Leben dienen und den Bedürfnissen von Patienten und Mitarbeitern besser gerecht werden.

2.2 Wie funktioniert GFK?

Das GFK-Modell gliedert die Kommunikation in vier Schritte: Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten. Häufig vermengt man in seinem gewohnten Sprachgebrauch diese Schritte miteinander und lässt dabei die Gefühle und Bedürfnisse weg. In der Gesellschaft – und ganz gewiss am Arbeitsplatz – spricht man normalerweise nicht über Gefühle und Bedürfnisse, sondern konzentriert seine Aufmerksamkeit auf Äußeres, zum Beispiel in bestimmten Mustern: Man beurteilt, analysiert, beschuldigt, etikettiert, kritisiert und komplimentiert. Solche Kommunikationsaktivitäten richten sich allesamt auf einen äußeren Fokus der Aufmerksamkeit, nicht auf einen inneren. Wenn man lernt, sich mithilfe der GFK auszudrücken, verlagert sich der Fokus der Aufmerksamkeit nach innen und ermöglicht dadurch ehrliche Äußerungen, Heilung und Weiterentwicklung.

Schritt 1: Beobachtungen

Der erste Schritt auf dem Weg zu klarer Kommunikation besteht darin, Beobachtungen klar ausdrücken zu können, ohne sie mit Urteilen zu vermengen. Beobachtungen sind Dinge, die eine Videokamera erfassen kann – sie enthalten die sichtbaren Tatsachen. Wenn Beobachtungen mit Gefühlen vermengt werden, entstehen Bewertungen oder Beurteilungen.

Ein Beispiel: „Du bist offensichtlich zu faul, um den Müll rauszubringen“ ist eine Aussage, die eindeutig eine Beobachtung mit einem Urteil kombiniert. Die Aussage „Ich sehe, dass du heute den Müll nicht rausgebracht hast“ ist dagegen eine Beobachtung.

Schritt 2: Gefühle

Der zweite Schritt besteht darin, „Gefühle“ klar auszudrücken, ohne andere zu beschuldigen oder zu analysieren. Vielen Menschen fällt dieser Schritt schwer, weil sie keinen „Gefühlswortschatz“ haben. Worte, die Gefühle mit Analysen oder anderen Formen von Beurteilung vermengen, werden weit häufiger verwendet als „Gefühlsworte“.

Häufig gebrauchte Worte, die Gefühle und Urteile vermengen, sind zum Beispiel: benutzt, missbraucht, betrogen, angegriffen, manipuliert, vernachlässigt, abgelehnt und bedroht. Diese Worte wollen eher analysieren, was jemand anders falsch macht, als Gefühle ausdrücken. Wenn man sich mit solchen Worten äußert, löst man damit häufig eine Abwehrreaktion aus.

Gefühlsworte wie verletzt, ängstlich, traurig, begeistert, froh, verärgert, verwirrt und überrascht schaffen dagegen Verbundenheit.

Schritt 3: Bedürfnisse

Der dritte Schritt des GFK-Prozesses betrifft „Bedürfnisse“. Wenn jemand spricht, erfüllt er ein Bedürfnis. Wenn jemand einem anderen auf die Nase haut, drückt er ein Bedürfnis aus. Wenn man herausfindet, welches Bedürfnis dieser Mensch ausdrückt, kann man eine Verbindung zu ihm herstellen und beginnen, seine unbewussten Motive zu entschlüsseln und ihm zu mehr Selbsterkenntnis verhelfen.

Wenn man sich äußert, ist man sich häufig der Bedürfnisse nicht bewusst, die man zum Ausdruck bringen will. Ein Grund dafür ist, dass wir in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, die einen nach außen gerichteten Fokus hat statt einen nach innen gerichteten, und dass wir daher von unseren Bedürfnissen abgetrennt sind. Viele von uns sind dafür bestraft worden, ihre Bedürfnisse geäußert zu haben; ihnen wurde gesagt, sie seien egoistisch oder rücksichtslos, wenn sie um das baten, was sie haben wollten. Um die Bedürfnisse anderer Menschen verstehen zu können, ist es wichtig, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden.

Entsprechend versucht man nicht oft, die Bedürfnisse zu verstehen, die andere Menschen durch ihre Kommunikation zeigen. Wenn man seine Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse von Menschen konzentriert, anstatt sie zu verurteilen, weil sie etwas sagen oder tun, was einem nicht gefällt, sieht man ihr wirkliches Selbst. So kann man erkennen, dass sie sich nicht allzu sehr von einem selbst unterscheiden.

Hat man die Verbindung zu den eigenen Bedürfnissen und denen anderer Menschen verloren, entsteht Disharmonie und die Lösung von Konflikten wird verhindert. Wenn man die eigenen Bedürfnisse ausdrückt und auf diejenigen anderer hört, entdeckt man das gemeinsame Menschsein und trennende Barrieren werden abgebaut. Konflikte werden gelöst, wenn beide Beteiligten die Bedürfnisse des jeweils anderen wahrnehmen können. Versucht man, Probleme oder Konflikte zu lösen, bevor man sich über die zugrunde liegenden Bedürfnisse klar geworden ist, entstehen Disharmonie und unangenehme Gefühle.

Es gibt vielerlei Bedürfnisse, die alle Menschen teilen (eine Liste mit Beispielen finden Sie im Anhang). Der chilenische Ökonom und Umweltschützer Manfred Max-Neef hat sie in die folgenden neun Kategorien eingeteilt: Nahrung, Schutz, Zuneigung, Verständnis, Teilnahme, Muße, Kreativität, Identität, Freiheit.5

Schritt 4: Bitten

Der vierte Schritt ist die „Bitte“. Wird man sich darüber klar, was man von anderen zurückbekommen will, wenn man spricht, entsteht Sicherheit und Selbstverantwortung, und außerdem wird die Effizienz gesteigert. Eine Bitte kann man sich auch vorstellen als die Strategie, die eingesetzt wird, um das Bedürfnis zu befriedigen. Häufig höre ich Menschen viele Worte machen und sich wiederholen, wenn sie sprechen. Sie sind sich nicht im Klaren darüber, welches Bedürfnis sie durch das, was sie sagen, erfüllen wollen, und was sie von der Person zurückbekommen wollen, zu der sie sprechen. Wenn sie sich darüber klar wären, dass sie (zum Beispiel) Empathie brauchen, könnten sie direkt darum bitten, und dann wäre der Kontakt wahrscheinlich für alle Beteiligten befriedigender.

Es gibt zwei Arten von Bitten: die verbindende Bitte und die Bitte um eine Lösung. Die Erstgenannte schafft eine Verbindung zwischen Ihnen und einer anderen Person. Eine solche Bitte könnte sich zum Beispiel so anhören: „Was hältst du davon, was ich gerade gesagt habe?“ Die zweite Art Bitte zielt auf die Lösung eines Problems ab; sie könnte sich zum Beispiel so anhören: „Wärest du bereit, den Müll rauszubringen?“ Bitten sind aktionsorientiert und sofort „ausführbar“.

Zusammenfassung

Indem man seine Kommunikation in diese vier Schritte aufgliedert, lernt man besser, wie man seine Bedürfnisse erfüllt bekommt. Wenn man es sich zur Gewohnheit macht,

übernimmt man auf eine ungewöhnliche neue Art Verantwortung und Kontrolle für das eigene Erleben.

2.3 Jenseits der vier Schritte

Die vier Schritte – Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten – sind die Eckpfeiler der praktizierten GFK. Um die GFK jedoch ganz verstehen zu können, muss man sich auch mit den vier Leitsätzen beschäftigen, auf denen diese Praktiken aufbauen:

  1. Jeder von uns ist verantwortlich dafür, seine eigenen Reaktionen auf Menschen und Ereignisse zu bestimmen.
  2. Jeder von uns ist auch für seine eigenen Gefühle verantwortlich.
  3. Die eigenen Bedürfnisse sind ein Geschenk für andere und keine Last.
  4. Das Erleben von Empathie steht im Mittelpunkt effektiver Kommunikation.

Leitsatz 1: Jeder von uns ist verantwortlich dafür, seine eigenen Reaktionen auf Menschen und Ereignisse zu bestimmen.

Sicherlich haben Sie schon einmal die Formulierung gehört, „Jeder schafft sich seine eigene Realität“. Diese Auffassung mag man bezweifeln, wenn man im Laufe eines Tages mit Menschen und Situationen konfrontiert ist, über die man allem Anschein nach keine Kontrolle hat.

Vielleicht können Sie die Menschen und Ereignisse, mit denen Sie es zu tun bekommen, nicht kontrollieren – aber Sie können kontrollieren, wie Sie auf sie reagieren. Als Nelson Mandela im Gefängnis war, überlegte er sich, wie er auf die dort übliche gewalttätige Behandlung reagieren wollte. Anstatt wütend zu werden und den eigenen Hass zu schüren, verhielt er sich mitfühlend, bewahrte sich seine Würde und erwarb sich den Respekt der Gefängniswärter und seiner Mitgefangenen.

Jeder Mensch kann entscheiden, wie er in bestimmten Situationen reagieren will, und die Worte, die er wählt, können ihm dabei helfen, seinen inneren Absichten treu zu bleiben. Sprache enthält eine ganze Palette von Philosophien und Wertvorstellungen. Indem man einen bestimmten Sprachgebrauch wählt, verändert man seine Reaktion auf bestimmte Situationen – und häufig auch die Strategien, die man einsetzt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Durch die Worte, die man wählt, kann man bei anderen Kooperationsbereitschaft erzeugen und ihr Selbstbewusstsein fördern, oder man kann Widerspruch und Ablehnung provozieren. Die Worte, die man wählt, beeinflussen die Ergebnisse, die man erzielt.

Leitsatz 2: Jeder von uns ist auch für seine eigenen Gefühle verantwortlich.

Es gibt etliche Mythen, die besagen, dass Gefühle erst geklärt werden müssten, bevor eine Kommunikation frei fließen kann. Einer davon lautet, dass „andere Menschen deine Gefühle verursachen“. Wenn man einmal logisch über diesen Mythos nachdenkt, erkennt man schnell, dass die eigenen Gefühle keineswegs von anderen Menschen verursacht werden. Andere Leute können Ihre Gefühle anregen, aber ausgelöst werden sie durch Ihre Bedürfnisse. Wenn Ihre Bedürfnisse erfüllt werden, haben Sie angenehme Gefühle; wenn Ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden, haben Sie unangenehme Gefühle.

Man nehme zum Beispiel den Fall, wenn jemand „Nein“ sagt. Wenn es Ihr zweijähriger Sohn ist, sind Sie vielleicht frustriert, weil Sie rechtzeitig zur Arbeit kommen wollen. Wenn es Ihr Chef ist, der „Nein“ sagt, könnten Sie sich gekränkt fühlen, weil Sie Anerkennung für Ihre Ideen bekommen wollen. Wenn es eine Freundin ist, die „Nein“ sagt, könnten Sie sich darüber freuen, dass Ihre Freundin sich in Ihrer Gesellschaft sicher genug fühlt, die Wahrheit zu sagen.

Die Schlüsselerkenntnis daraus lautet: Es sind nicht andere Menschen, sondern Ihre eigenen Bedürfnisse, die Ihre Gefühle hervorbringen. Und das gilt auch umgekehrt: Sie verursachen nicht die Gefühle anderer Personen; deren Gefühle sind vielmehr Ausdruck ihres eigenen inneren Erlebens.

Häufig macht man die Erfahrung, dass es in Ordnung ist, bestimmte angenehme Gefühle zu haben, dass man aber verurteilt wird, wenn man unangenehme Gefühle hat. Viele Menschen neigen zu solchen Urteilen, weil sie nicht wissen, wie sie sonst auf Gefühle reagieren sollen. Außerdem treten bei manchen Menschen ungelöste Probleme zutage, wenn sie mit Gefühlen konfrontiert werden. Es wird einem beigebracht, sich für die Gefühle anderer Menschen verantwortlich zu fühlen, und daher ist es beängstigend, Gefühle zu zeigen oder bei anderen zu erleben.