Frank Goldammer
Abstauber
Kriminalroman
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Lektorat: Sven Lang, René Stein
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © olly – Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-3828-8
»Ich hab’s gewusst!«, fluchte Tauner, betrat den Raum und warf heftig die Tür hinter sich zu. »Ich hab’s gewusst!«, wiederholte er noch einmal, nachdem der Knall verhallt war und wedelte seinem Kollegen mit einem Zettel vor der Nase herum. Tauner war ein wenig kleiner als der Durchschnitt, wirkte sportlich trotz leichten Bauchansatzes; er nahm wieder ein wenig zu, seitdem er sich vorgenommen hatte, nicht mehr zu viel zu trinken. Gerade war ihm danach, diesen Vorsatz in den Wind zu schießen.
Uhlmann, der Angewedelte, groß und massig, vollbärtig bis zur Unkenntlichkeit und nach schwerer Dienstverletzung steif im Genick, wischte den Zettel aus seinem Gesicht wie eine lästige Fliege. »Was regst du dich auf, du hast doch keinen Urlaub gebucht.« Er nutzte das Bewegungsmoment seiner Hand, um noch einen Knopf seines Hemdes zu öffnen. Es galt, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Ihm war warm. Allen war warm. Es war Juni und schönster Sommer, so schön, wie er nur sein konnte, wenn man in einem stickigen Büro saß an einer der abgasreichsten Kreuzungen Dresdens.
Tauner ließ sich auf seinen Stuhl fallen, knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in Richtung Papierkorb. »Darum geht es doch gar nicht! Es geht ums Prinzip. Urlaubssperre. So ein Dreck!«
»Hast du denn schon Urlaub gebucht?«
»Darum geht es nicht.« Tauner kniff die Lippen zusammen und sah aus, als ob er nichts mehr sagen wollte. Lang hielt er das nicht aus. »Da reißen sich die Idioten um dieses dämliche Testspiel, schachern sich die Millionen zu, reden hier, agitieren da, bestechen ein paar Funktionäre. Und dann haben die das Spiel, was so sinnlos ist, wie irgendetwas sinnlos sein kann, und ich kriege deshalb Urlaubssperre.«
»So sinnlos ist das Spiel nicht, es ist ein letzter Test, bevor das Turnier losgeht, und außerdem stand schon lange fest, dass es hier in Dresden sein würde. Du hast deinen Urlaub doch mit Absicht genau in diese Zeit gelegt?«, fragte Uhlmann und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Sonst war er derjenige, der sich beschwerte.
»Ja, mit Absicht, damit ich mir diesen Mist nicht antun muss. Jetzt sitze ich in diesem Büro und muss die Zeit totschlagen, nur weil da ein Spiel läuft, bei dem man sich auf sechs Auswechselspieler geeinigt hat. Keiner will sich mehr verletzen, keiner will sich überanstrengen.«
»Du meinst also, ohne Testspiel würden unsere Jungs besser abschneiden bei der EM?«, fragte Pia, in der Zwischentür stehend. Sie konnte es sich herausnehmen ironisch zu sein, sie kannte Tauner schon sehr lang, seit ihrem ersten Tag als Schreibkraft vor fast zwanzig Jahren. Ihr Haar war kurz und rot gefärbt, ihr Auftreten das einer Frau, die nur mit Brüdern aufgewachsen war. Außerdem hielt sie eine Tasse Kaffee in der Hand, war jedoch nicht bereit, sie Tauner zu überbringen, ehe der geantwortet hatte.
Tauner starrte die Tasse an, als könnte er sie telekinetisch in Besitz nehmen. »Verdreh mir nicht die Worte im Mund! Ich weiß, dass es Testspiele geben muss, aber hier geht’s doch nur darum, Werbezeit zu schinden«, behauptete er halbherzig. Nachdem die erste Wut abgeflaut war, fiel es ihm schwer, seine eigene Argumentation nachzuvollziehen. Und die Telekinese funktionierte auch nicht. »Gib schon her!«, murrte er dann.
Pia stellte die Tasse auf dem Schränkchen neben der Tür ab. »Also ich freu mich, dass mal was in Dresden los ist. Wurde auch Zeit! Bisschen Stimmung in der Stadt. Weißt doch noch, was los war 2006.«
»Ja eben«, maulte Tauner, erhob sich und holte sich seinen Kaffee. »Und ich habe Urlaubssperre!«
»Nicht nur du, alle Polizeibeamten. Und ich! Und die Verkäuferinnen und das Ordnungsamt und die Krankenschwestern und die Feuerwehr.« Pia klimperte mit ihren Wimpern. »Und außerdem sind es nur zwei Tage.«
»Und wieso ausgerechnet in Dresden, das Stadion ist doch gar nicht so groß.« Tauner setzte sich wieder, den randvollen Kaffeebecher ausbalancierend.
»Damit jeder was von der Nationalmannschaft hat«, erklärte Uhlmann gutmütig, offenbar fühlte er sich geehrt.
»Außerdem ist es groß genug. Und weil in einigen anderen Stadien, die infrage kamen, der Rasen nicht bespielbar war.« Pia konnte nicht genug von Fußball bekommen und auch nicht davon, recht zu haben. Und weil das jeder wollte in diesem Raum, kam es selten zum Konsens.
»Bespielbar, pah, früher haben wir auf dem Acker gespielt«, murmelte Tauner und wünschte sich, sie könnten das Thema wechseln, denn ihm war bewusst, wie viel Anlass er damit bot, sich zum Gespött zu machen. »Liegt was an?«, fragte er deshalb schnell hinterher.
Pia nickte knapp. »Staatsanwalt Meyer will noch ein paar Fakten klären zum letzten Fall. Den könntest du besuchen, der hat ein klimatisiertes Büro. Und außerdem heute, ab morgen hat der Urlaub.«
»Urlaub? Der darf also!«
»Ich komme mit.« Uhlmann hatte schnell geschaltet, offenbar animierte ihn die Aussicht auf Klimatisierung.
Tauner nickte schwach und nippte am Kaffee. Dann stellte er ihn auf seinen Tisch. Der viel zu heiße Vormittag verdarb ihm selbst die Freude daran. »Da ist doch noch was«, sagte er leise, denn Pia hatte sich noch nicht verzogen.
Sie zeigte kurz die Zähne und zog Luft ein. »Vorhin kam eine Rundmail, dass alle verfügbaren Beamten für allgemeine Überwachung, Ordnungsaufgaben und Gewaltprävention eingeteilt werden.« Eilig verengten sich ihre Augen zu Schlitzen, um sie vor verbalen Explosionssplittern zu schützen.
Tauner aber explodierte nicht, er schwelte nur. Er verzog den Mund und schüttelte kapitulierend den Kopf. »Jetzt schieb ich zwei Tage Dienst auf der Straße in einer Affenhitze, wegen diesem einen dämlichen Spiel? Kann nur hoffen, dass die Idioten bei der EM gleich in der Vorrunde ausscheiden«, sagte er.
Pia machte einen Schmollmund. »Ein Blödmann bist du, nur weil es dir wieder nicht in den Kram passt.«
»Und wenn schon.«
»Dir passt nie was in den Kram«, gab Uhlmann zu bedenken und schob ein paar Blätter hin und her, während sich Teufelchen und Engelchen in seinem Kopf stritten. Das Teufelchen gewann. »Und hat sich eigentlich deine Frau mal gemeldet?«
»Hans, das hättest du dir jetzt sparen können«, rüffelte Pia ihn.
»Hat sie«, überraschte Tauner beide.
»Ach ja?« Über Pias Gesicht huschte ein Hoffnungsschimmer. Sie mochte Falk Tauner. Sie hatte Tauners Frau gemocht – und Tauner, als er noch eine Frau hatte, noch viel mehr. »Gibt es eine Entwicklung?«
Tauner sah zum Fenster hinaus, sah die Luft flimmern und fragte sich, welche Miene er aufsetzen sollte. Betroffenheit sollte es sein, doch über dieses Stadium war er längst hinaus, denn im Gegensatz zu Pia hatte er keine Hoffnung mehr gehabt. »Sie will sich scheiden lassen.«
Gute Vorsätze gab es nicht wirklich, um sie einzuhalten, gute Vorsätze schuf man sich, um sich seiner Schwächen gewahr zu werden. Dies wiederum half, sich nicht zu überschätzen. Das wusste Hauptkommissar Tauner, Leiter der Mordkommission Dresden. Doch manche Vorsätze deckten nicht nur die mentalen Schwächen auf, sondern rächten sich gar körperlich.
So lag er da, auf seinem Bett, dünstete Wodka aus und Kopfschmerz hämmerte hinter seinen Schläfen. Sämtliche Fenster seiner Wohnung standen offen, aber kein Lüftchen bewegte sich. Nächtliche Hitze drückte schwül und unerbittlich und verursachte Schweißausbrüche bei jeder Bewegung. Tauner keuchte, bereute jeden Schluck und beschloss, das Klingeln seines Handys bis in alle Ewigkeit zu ignorieren – oder jedenfalls, bis er starb. Hundeelend war ihm.
Schließlich, nachdem das Gebimmel mehrmals innegehalten und wieder von vorn begonnen hatte, quietschten unten auf der Straße Reifen. Tauner verzog bei dem Geräusch das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen, und wälzte sich zur Seite. Die Uhr zeigte ein Uhr in der Nacht. Autotüren flogen auf, eilige Schritte klapperten über die Straße, schon schrillte die Wohnungsklingel. Dieser hielt Tauner nicht stand, sie war zu schrill.
Er schleppte sich in den Flur zur Sprechanlage. »Was?«, schaffte er zu fragen.
»Deine Leidenszeit als Streifenpolizist ist schon zu Ende«, schnaufte Hauptkommissar Uhlmann. »Das ist die gute Nachricht.«
»Ein Mord?«, fragte Tauner.
»Und Mordversuch. Einer tot, einer verletzt. Kommst du?«
»Moment mal. Gute Nachricht? Und die schlechte?«
Uhlmann sagte es Tauner. Der schlug sich die Hand auf die Stirn und wischte sich verzweifelt übers Gesicht. »Nicht schon wieder ein Fußballer«, stöhnte er.
Das Licht am Tatort war viel zu grell für Tauners Zustand. Tanzendes Blaulicht, wohin er sah. Er schirmte die Augen mit der rechten Hand ab, betrachtete das Auto, ein silberner Mercedes, in dem noch immer das Opfer saß. Der Tod war eindeutig festzustellen, zwei der drei Körpertreffer mussten tödlich sein, allein der Kopfschuss war es allemal. Das Opfer ein etwa sechzigjähriger Mann.
»Sechs Schuss mit einer Pistole, alle durch die Frontscheibe, vier trafen den Beifahrer, einer den Fahrer, einer verfehlte ihn knapp«, erklärte Martin, der führende Mann bei der Spurensicherung. Er war um die fünfzig, hager, trug eine Brille und seine langen Haare als Zopf und betrachtete Tauner nun mit Kennerblick.
»Was?«, knurrte Tauner ihn an und ärgerte sich über sich selbst. Martin war ein sehr guter Mann, einer, den man auch um einen Gefallen bitten konnte, den andere nicht tun würden. Gut für hilfreiche Tipps, gut, um Gerüchte einzufangen, die sich meist als allzu wahr entpuppten.
Martin hatte Mitleid oder so viel Spaß an der Arbeit, dass er Tauners Tonfall verzieh. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du wirst langsam zu einem Klischeebullen. Das wolltest du nie werden, soviel ich weiß.«
Tauner nickte. »Ich weiß. Es ist bloß so …«, er hob die Schultern, weil er sich nicht auszudrücken wusste.
Martin hatte keine Zeit zum Sinnieren. »Es ist beschissen, aber wir müssen! Ich hab zu tun. Da drüben stehen die Beamten, die zuerst vor Ort waren. Sie haben Ersthilfe geleistet, der Verletzte sitzt da drüben im Rettungswagen. Er ist nicht schwer verletzt, offenbar ein Durchschuss im rechten Oberarm. Aber wahrscheinlich unter Schock.« Er machte eine kleine Pause. »Ich denke die nächsten Tage werden dich ein wenig aufleben lassen.«
Tauner sah ihn neugierig an. »Wie meinst du das denn?«
»Du weißt es noch gar nicht?« Martin lachte. Dann wandte er sich von Tauner ab.
Falk Tauner hatte keine Zeit sich zu wundern. Uhlmann winkte ihn heran, er hatte schon begonnen, die uniformierten Kollegen zu befragen. »Das ist Polizeiobermeister Behrend und Polizeimeister Ludger. Ich fass mal zusammen: Jemand hat den Notruf gewählt und gesagt, er sei beschossen worden, sein Beifahrer sei schwer verletzt, er selbst sei leicht verletzt. Wo er sich befand, konnte er nicht erklären. Er sagte, er sei von der Autobahn gekommen, Abfahrt Hellerau, dann die Hauptstraße in Richtung Stadtzentrum gefahren und dann links abgebogen. Daraufhin sind sämtliche in der Gegend befindlichen Streifenwagen informiert worden. Die beiden Beamten haben das Auto hier gefunden. Es stand am Straßenrand, der Fahrer bei Bewusstsein, aber geschwächt, offenbar litt er große Schmerzen. Stimmt’s so weit?« Uhlmann sah die Beamten an.
Beide nickten.
»Haben Sie ihn irgendetwas gefragt? Hat er etwas gesagt?«
Behrend übernahm die Antwort. »Ich hab gefragt, ob er mich hören kann, ob er noch andere Verletzungen hat als den Armschuss. Er wusste es aber nicht, schüttelte nur den Kopf, konnte nicht reden, deshalb habe ich ihn sitzen lassen. Und vorerst nur notdürftig die Wunde abgebunden. Der andere war offensichtlich tot.«
»Sind die beiden schon identifiziert?«, wollte Tauner wissen. Behrend sah seinen Kollegen an. Und komischerweise fühlte Tauner sich von Uhlmann angestarrt, als hätte er einen seltenen Käfer im Gesicht.
»Der Tote noch nicht«, meinte Behrend zaghaft. »Der Verletzte ist der Bundestrainer.« Er wartete auf eine Reaktion Tauners. Doch die blieb vorerst aus, weil Tauners Synapsen weiter in Alkohol badeten. »Der Fußballnationalmannschaft«, fügte der Polizist deshalb noch leise hinzu.
»Fehlte nur noch die Träne im Augenwinkel«, schnaufte Tauner, nachdem sich die beiden Polizisten geschäftig entfernt hatten. Er sah sich nach etwas Trinkbarem um und landete unverhofft bei Martin. »Großer Spaß, was? Wo du doch weißt, wie ich große Auftritte liebe. Hast du was zu trinken?«
»In meinem Auto hinter dem Sitz.« Martin kicherte belustigt vor sich hin. Tote machten ihm nichts aus, die hatten nichts mehr auszustehen und mit Angehörigen hatte er so gut wie nie zu tun. »Wirst deinen großen Auftritt schon noch bekommen«, sagte er halblaut, als Tauner fast außer Hörweite war.
Mit einer kleinen Wasserflasche in der Hand gesellte sich Tauner eine Minute später wieder zum großen, schwitzenden Uhlmann, der halb in der Hocke durch das Loch in der Frontscheibe spähte. »Was macht der hier schon in Dresden? Wollten die nicht erst morgen anreisen?«
Uhlmann ächzte sich in die Senkrechte und drückte sich mit der Hand gegen die Hüfte, die meistens schmerzte. »Morgen früh ist Pressekonferenz, die Aufstellung soll bekannt gegeben werden. Offenbar ist sie eine Stunde nach vorn verlegt worden. Da hat er sich kurzfristig entschieden, heute Nacht anzureisen. Für Kurzfristiges ist er ja bekannt.«
»Höre ich da eine leise Kritik?«, fragte Tauner.
Uhlmann gestikulierte, als läge es auf der Hand. »Weiß nicht, warum der den Spechtler so kurz vor der EM aus dem Kader werfen musste. Der ist der beste Torwart. Röhmer ist auch nicht schlecht, hat aber null Erfahrung!«
»Soweit ich es mitbekommen habe, hat er aber mit seiner Kurzentschlossenheit die EM-Quali gesichert. Er selbst ist ja auch kurzfristig berufen worden.«
»Das müssen wir hier nicht erörtern«, würgte Uhlmann ab, der ja auch nicht gern belehrt werden wollte.
Tauner wusste das richtig zu deuten und kam auf das Wesentliche zurück. »Glaubst du, es war ein Anschlag auf den Trainer?«
»Eindeutig. Der Attentäter hat wahrscheinlich vermutet, dass Ehlig Beifahrer ist. Dass der Trainer selbst fährt, ist ungewöhnlich, vor allem weil er einen Fahrer hatte.«
»Der Tote?«
»Ebendieser.«
»Der nun identifiziert ist?«
»Als Holger Jansen, enger Vertrauter von Ehlig, kennen sich seit zwanzig Jahren oder vierzig oder so.«
Tauner atmete durch und hätte sich den Rest vom Wasser am liebsten über den Kopf gekippt. »Also gut. Du weißt, was hier gleich abgeht?«
Uhlmann verzog den Mund, was Ja bedeuten musste.
»Hast du noch ein paar famose letzte Worte?« Tauner grinste schief.
Uhlmann deutete nach hinten, wo zwanzig Meter weit weg von ihnen hinter den provisorischen Absperrungen der erste Übertragungswagen von RTL eingetroffen war. »Da sind sie schon.«
Tauner sah schnell wieder weg. »Wer könnte Interesse daran haben, den Bundestrainer umzubringen?«
»Eine Menge Leute!«
»Ach ja?«
»Sein Konkurrent zum Beispiel.«
»Heiligmann.«
Uhlmann sah Tauner anerkennend an. »Dafür, dass es dich nicht interessiert, bist du gut informiert!«
Tauner wollte dieses Lob nicht, denn es stank nach Hohn. »Was bleibt einem anderes übrig, wenn man wochenlang in der Presse nichts anderes liest. Du meinst also, dieser Heiligmann kommt nach Dresden und schießt den Trainer über den Haufen, damit er vielleicht doch den Posten kriegt?«
»Er hat Insiderwissen, kann zum Beispiel irgendwo erfahren haben, wann Ehlig nach Dresden kommt.«
»Das heißt nichts.«
»Außerdem ist er in Dresden.«
»Ist nicht wahr!« Jetzt staunte Tauner echt.
»Ist es doch. Ist Gastkommentator beim ZDF.«
»Gut, Nummer eins! Nummer zwei würde ich sagen: Spechtler, der geschasste Torwart.«
»Richtig!«
»Das sollte ein Witz sein.«
»Spechtler ist in Dresden«, gab Uhlmann zurück.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Ich habe ihn sogar selbst gesehen, als ich gestern zum Präsidium kam, ging er dort spazieren mit seiner Frau. Wollte wohl auf die Brühlsche Terrasse.«
»Was macht der hier?«
»Hat gesagt, dass er trotzdem bei jedem Spiel dabei sein will. Um der Mannschaft moralisch den Rücken zu stärken. Außerdem sollte er auf einer Bühne auftreten, Spielanalyse.«
»Mensch!« Tauner schüttelte den Kopf. »Und wer noch so? Die Frau vielleicht? Irgendwelche Buchmacher, die Angst um ihre Quoten haben?«
Uhlmann sah sich um, ob noch jemand anderes zuhörte. Dann beugte er sich ein wenig zu Tauner herüber. »Zehntausend Slowaken!«
»Bist du blöd?«
»Wir spielen gegen die Slowakei, in der Stadt sind zirka zehntausend Slowaken, siebentausend haben eine Eintrittskarte. Die sind stinksauer auf uns, weil nämlich der Ehlig etwas nicht sehr Nettes gesagt hat über sie, dass das Ergebnis zweistellig sein müsste, nachdem, was die Slowakei in der Quali abgeliefert hat. Er hat’s noch anders ausgedrückt. Es gibt bestimmt ein paar Fanatiker, die sich irgendwie rächen wollen.«
»Tust du mir bitte den Gefallen und sagst das niemandem.«
Uhlmann machte eine abfällige Handbewegung. Bin ja nicht blöd, konnte das bedeuten. »Wir haben erste Zeugenaussagen, dass hier vor einer halben Stunde eine Gruppe slowakischer Fans durchgezogen ist.«
»Warum hier, so weit ab vom Schuss?«
»Weiter hinten gibt’s ein Hotel bei der Hechtstraße, dort wohnen die wohl.«
»Ja, und da kommt ihnen ein silberner Mercedes entgegen, die erkennen den Bundestrainer, zücken die Knarre und erschießen den Beifahrer.«
»Vielleicht hat einer von denen das Auto erkannt.«
»Ach was. Vergiss den Mist mit den Slowaken. Haben wir denn gar keinen Anhaltspunkt?« Mäßig interessiert sah Tauner sich das Auto an, er erwartete sowieso nichts Aufklärendes daran zu erkennen.
»Der Mörder muss ein guter Schütze sein. Er hat das fahrende Auto sechs Mal an fast der gleichen Stelle getroffen. Sieh mal, fünf Schüsse auf engstem Raum, nur der in den Kopf weicht in der Höhe ein wenig ab. So wie es aussieht, verlaufen die Treffer im Inneren von rechts nach links. Zuerst der Beifahrer vier Stück, rechter Arm, rechte Brust, Kopf, Brustmitte, dann der Fahrer, ein Schuss in den Oberarm und der letzte knapp vorbei in die Fahrertür. Sieht ganz danach aus, als ob der letzte abgefeuert wurde, als das Auto fast auf der Höhe des Schützen angekommen war. In der nächsten Sekunde muss es schon vorbei gewesen sein.«
Tauner verzog skeptisch das Gesicht, hob dann seine Hände – eine Pistole imitierend – und versuchte die Bewegung nachzuvollziehen. Dabei drehte er sich ein wenig, während seine Lippen sechs Mal lautlos ein ›Bumm‹ formten. »Das müsste man ausrechnen, wie viel Zeit dazu blieb. Wenn das Auto schneller als fünfzig fuhr, muss es blitzschnell gegangen sein, fast unmöglich für einen Laien. Hinzu kommt, dass der Schütze den Wagen auch sicher erkennen musste. Und er musste wissen, zu ungefähr welcher Uhrzeit der Wagen aufkreuzt und wohin er fährt. Wo wollten die eigentlich hin?«
Uhlmann kam nicht zum Antworten. Aus dem Notarztwagen stieg ein Rettungsassistent, ignorierte bravourös die ihm zugerufenen Fragen aus der Journalistenmeute, die mittels Absperrbändern vom Tatort getrennt war, und steuerte auf die beiden Kriminalisten zu. »Sind Sie Hauptkommissar Tauner?«, fragte er und starrte Uhlmann an.
»Nö, der da.« Uhlmann deutete auf Tauner.
»Sie können jetzt mit Herrn Ehlig sprechen.«
Tauner betrat den hinteren Teil des Rettungswagens und setzte sich auf den Stuhl des Rettungsassistenten. Uhlmann versuchte erst gar nicht hineinzugelangen, er stellte sich einfach in die Öffnung der Schiebetür. Tauner betrachtete den Verletzten und unterdrückte sein Interesse, konnte es selbst nicht glauben, dass er den Bundestrainer anstarrte wie einen Geist. So viel Einfluss hat das Fernsehen also, dachte er missmutig, dass ausgerechnet ich aufgeregt bin, wenn ein sogenannter Star neben mir sitzt. Äußerlich zeigte er keine Regung. Uhlmann schienen dieselben Gedanken zu bewegen, oder zumindest ähnliche, denn er sah in Klaus Ehlig wohl jemanden, den man nicht leiden mochte, der die Nationalmannschaft aber zu einem Titel führen sollte und deshalb jede Unterstützung brauchte. Ehlig sah dicker aus als im Fernsehen, sein blondes Haar war kurz und zeigte viel weiß. Er hatte eine kurze Nase, die wohl in früher Jugend einmal gebrochen gewesen sein musste, weil sie leicht abgeplattet war, wie bei einem Boxer, der zu viel eingesteckt hatte. Die Augen waren klein und dunkel, fixierten Uhlmann, huschten nicht hektisch hin und her wie auf Pressekonferenzen, bei denen Ehlig hinter jeder Frage einen persönlichen Angriff vermutete.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte Tauner, um gar nicht erst verlegenes Schweigen aufkommen zu lassen.
Ehlig sah ihn an, hob den bandagierten Arm und verzog dann das Gesicht. »Das sollte ich wohl lassen«, keuchte er, grinste schief und schmerzverzerrt. »Sie sind die ermittelnden Beamten?«
»Das ist Hauptkommissar Uhlmann und ich bin Hauptkommissar Tauner, Leiter der Mordkommission Dresden.«
»Ach, Sie sind Tauner.« Ehlig hob den Kopf und zog die Mundwinkel ein wenig nach unten.
Tauner verstand diese Bemerkung nicht, konnte sich nur ausmalen, dass irgendeiner etwas von ihm erzählt haben musste. Vielleicht hatte Ehlig aber im letzten Jahr viel Zeitung gelesen. »Können Sie …«
Ehlig unterbrach ihn. »Wie geht es denn Holger?«
Tauner warf einen Blick zu Uhlmann, der runzelte nur die buschigen Augenbrauen. »Also, der war wohl augenblicklich tot«, sagte Tauner leise.
Ehlig zuckte hoch. »Was?« Sein Blick wechselte von Tauner zu Uhlmann und wieder zurück. »Konnten die denn nichts mehr für ihn tun?«
»Herr Ehlig, da gab es nichts zu tun, er hatte zwei Schüsse im Herzen und einen Kopfschuss. Er musste wenigstens nicht leiden.«
Ehlig sah aus, als wollte er das nicht verstehen, und Tauner bekam eine Stinkwut, dass es nun an ihm hängen blieb, dies zu klären. Er brauchte keinen aufgeregten Zeugen, hatte gehofft, dass Ehlig gefasst war und hilfsbereit. Aber offenbar hatte sich niemand getraut, ihm die traurige Nachricht vom Tod seines Begleiters zu übermitteln.
»Ich denke, heutzutage kann man immer etwas machen, die retten sogar Leute, die zwanzig Minuten unter Wasser waren.« Ehligs Aufbäumen war nur kurz, er sank zusammen, wirkte müde und zerschlagen, doch es war wichtig, gerade jetzt weitere Fakten zu recherchieren. Tauner beschloss, nicht weiter auf den Tod des anderen Mannes einzugehen.
»Herr Ehlig, können Sie mir …«
»Holger war mein Freund, wissen Sie?«
Tauner kniff die Lippen zusammen und lehnte sich zurück. Er schloss eine Sekunde lang die Augen und hoffte, Ehlig würde das nicht sehen.
»Kannten Sie ihn schon lang?«, fragte Uhlmann und Tauner wollte ihn dafür würgen. Er brauchte jetzt kein Psychogeschwafel. Irgendwo rannte gerade jemand davon und gewann mit jeder Sekunde mehr Vorsprung.
»Seit vierzig Jahren«, keuchte Ehlig und bedeckte seine Augen mit der Hand. »Er war mein engster Vertrauter. Ich kenne seine Frau und ich bin der Patenonkel seiner Kinder.« Ehlig nahm die Hand vom Gesicht und versuchte sich zu fassen. Er hatte nicht geweint, eher sah es aus, als hätte er in diesem Augenblick festgestellt, dass er sich nun auch noch darum kümmern müsste, Jansens Frau zu trösten. Als ob er nicht schon genug zu tun hatte.
Tauner wandte seinen Blick ab, ehe ihm Ehlig unsympathischer wurde, als er es sowieso schon war, und betrachtete stattdessen Uhlmann. Und als es den Anschein hatte, er wolle Ehlig tröstend auf das Knie klopfen, schritt er eilig ein. »Können Sie mir beschreiben …«
Ehlig schlug auf die Pritsche, auf der er saß. »Und das nur, weil ich darauf bestanden habe zu fahren!«
»Haben Sie das?«, fragte Tauner und versuchte, seinen Zorn zu mäßigen.
»Holger war müde, er war nicht darauf vorbereitet, heute bis Dresden zu fahren, ihm ging es nicht sehr gut. Scheiße, hätten wir doch bis morgen früh gewartet.«
»Warum sind Sie dann heute aufgebrochen?«
»Ich hatte Angst, dass es zu knapp wird, weil die Pressekonferenz vorverlegt wurde. Morgen wird die Autobahn voll sein, ich hasse es, zu spät zu kommen.«
Tauner verkniff sich eine garstige Bemerkung über seiner Meinung nach ungerechtfertigte Polizeieskorten, die schon des Öfteren vom DFB in Anspruch genommen worden waren. Und außerdem: Was war schon ein Pressetermin. Zurzeit kroch die Presse Ehlig in den Hintern. Die hätten Stunden gewartet, bis er gekommen wäre, und ihm trotzdem verziehen. Stattdessen versuchte er sich zu konzentrieren. »Also gut. Jetzt von vorn. Soweit ich mich erinnere, ist Holger Jansen nicht nur Ihr Freund, sondern hauptsächlich Ihr Assistent, Ihr Fahrer vor allem.«
Ehlig nickte. »Gewesen«, verbesserte er Tauner. Seine Augen zuckten hin zu Uhlmann und wieder zurück zu Tauner.
Darüber mussten sie noch reden, dachte Tauner. »Warum also sind Sie gefahren?«
»Holger war müde, ich habe ihn überrascht damit, dass ich heute noch nach Dresden fahren wollte. Er tankte noch mal und fuhr los, auf der Autobahn aber kam er mir so müde vor, dass ich ihn zum Fahrertausch genötigt habe. Ich glaube, der wäre wirklich eingeschlafen. Als er auf dem Beifahrersitz saß, ist er gleich eingenickt.«
Tauner ließ Luft entweichen und leckte sich über die Zähne, sie fühlten sich stumpf an. Ehlig hätte gar nicht fahren dürfen, dachte er, weil ihm vor einigen Monaten wegen Trunkenheit am Steuer der Führerschein entzogen worden war, und Uhlmann schien dasselbe zu denken, denn seine buschigen Augenbrauenraupen schnupperten Morgenluft. »Kennen Sie sich aus in Dresden?«, fragte er Ehlig.
»Ich habe ein Navi.«
»Und Sie wollten wo hin? Nicht ins Stadtzentrum?«
»In ein Hotel, warten Sie. Weißer Hirsch heißt es. Das Navi sagte, ich müsste hier lang fahren.«
Uhlmann wollte mitreden. »Das Hotel heißt Weißer Hof und befindet sich auf dem Weißen Hirsch. Teure Wohngegend. Wie kommen Sie darauf?«
»Ich war schon mal in Dresden, vor zwei Jahren oder so, ein Benefizspiel. Da hat mich einer herumgefahren und ich habe das Hotel gesehen. Gefällt mir besser als die Nobelabsteigen bei Ihnen.«
Bei Ihnen, wiederholte Tauner in Gedanken, als ob ich was dafür kann, und schüttelte noch in Gedanken den Kopf. »Sie sind also von der Autobahn gekommen, haben sich laut Navigationsgerät links gehalten und sind dann links abgebogen auf die Stauffenbergallee.«
»Und ich dachte noch: Was für eine scheißdunkle Straße! Kopfsteinpflaster und Schlaglöcher, dass es so was noch gibt, bei so viel Solidaritätsbeitrag, wie wir euch gezahlt haben.« Ehlig schmunzelte, und Tauner wunderte sich nicht darüber. Er tippte sich an den linken Nasenflügel und hoffte Uhlmann würde das sehen.
»Wie schnell waren Sie?«
Ehlig winkte ab. »Langsam, nicht schneller als dreißig denke ich, das hat nur so gekracht und gerumpelt.«
»Wo waren Sie, als die Schüsse fielen?«
»Da war so eine Rechts- und dann eine Linkskurve, als ich da rauskam, trat eine schemenhafte Gestalt auf den Gehweg, und ich dachte noch, der war pinkeln, und was macht der überhaupt hier in der Dunkelheit, und da blitzte es. Den Knall hab ich erst gar nicht gehört. Erst dachte ich, ich bin blind, weil die Frontscheibe weiß wurde. Dann bekam ich so einen harten Schlag ab. Da hab ich aufs Gas getreten und bin erstmal nur gefahren.«
»Über die Kreuzung!«
»Welche Kreuzung?«
»Da war eine Kreuzung und später noch eine. Die haben Sie beide passiert.«
»Ich war panisch, ich hab nichts bemerkt. Ich bin einfach nur gefahren und hab mich gefragt, ob Holger gar nichts mitbekommen hat. Und plötzlich sagte das Navi, ich soll links abbiegen. Da hab ich angehalten und die Polizei gerufen.«
»Die Person, die auf sie geschossen hat, können Sie die irgendwie beschreiben?«
»Also, es war stockdunkel. Ich kann nur sagen, dass er sehr groß war.«
»Er?«
»Also ich vermute, es war ein Mann. Das sieht man doch so am Gang. Ziemlich groß, aber mehr weiß ich nicht, hab ihn ja erst gesehen, als es schon fast zu spät war.«
»Gut«, sagte Tauner. Nichts verpasst, dachte er und war keineswegs erleichtert. Er gab Uhlmann ein Zeichen. »Ruf die Zentrale an. Wir suchen einen großen Mann.« Er zögerte einen Moment und überlegte, ob es noch irgendetwas hinzuzufügen gab. »Wahrscheinlich ohne Pistole«, sagte er dann leise, was noch alberner war, als wenn er gar nichts gesagt hätte. »Martin muss sich Verstärkung holen. Er muss mit seinen Leuten da hinter fahren. Die sollen vorerst die Stauffenbergallee komplett sperren.« Tauner zögerte, denn ein dunkler Wagen näherte sich, eine Tür flog auf und zu, Schritte sowie eine Frauenstimme waren zu vernehmen.
»Ist das die Dickmann-Wachtel?«, fragte Tauner. Uhlmann verzog den Mund. Wenigstens darin waren sie sich einig.
Die Staatsanwältin drängte Uhlmann zur Seite und stürmte den Rettungswagen. Zackig streckte sie die Hand aus und Ehlig schüttelte sie artig. »Diekmann-Wachte, ich bin die Staatsanwältin. Gibt’s schon erste Erkenntnisse?«, fragte sie an Tauner gewandt.
Tauner musterte die junge, attraktive Frau, musterte dann Uhlmann, der seinen Platz wieder eingenommen hatte und auf Tuchfühlung mit dem staatsanwältischen Hintern stand. Die Diekmann-Wachte drehte sich ein wenig, um zu sehen, was hinter ihr so vor sich ging. »Glotzen Sie meinen Allerwertesten an?«
»Was bleibt mir anderes übrig«, murrte Uhlmann.
»Müssen Sie nicht mit der Presse reden?«, fragte Tauner gehässig. Er hätte seine Befragung gern fortgeführt, und jeder andere Staatsanwalt wäre ihm recht dabei gewesen, nur nicht diese kühle Karrierefrau, deren Körper etwas wie der heilige Gral für den männlichen Fortpflanzungstrieb war. Soviel Tauner wusste, hatte noch niemand diesen Gral berühren dürfen, und falls doch, war er wahrscheinlich verklagt worden oder zu Stein erstarrt.
»Ich rede schon noch mit der Presse.«
»Waren Sie dran, oder haben Sie gelost?«
»Meyer ist seit gestern im Urlaub!« Diekmann-Wachte trat beleidigt den Rückzug an und Uhlmann freiwillig beiseite. Als der heilige Körper schon draußen war, steckte die Staatsanwältin den Kopf noch mal rein. »Herr Ehlig, wir werden alles Notwendige tun, um den Täter zu stellen. Wir bedauern natürlich den Tod Ihres Freundes sehr.«
Ehlig hob linkisch die Hand, wusste nicht umzugehen mit derlei Floskeln aus so gebildetem Munde. Als die Staatsanwältin weg war, sprach er als Erster. »Die sollte man wohl lieber zum Freund haben.«
Tauner hob die Schultern. Er war froh, dass sie wieder weg war. Tat nur so, als gehörte sie zum Ermittlungstrupp, wollte aber nur die Lorbeeren einheimsen. Wenn allerdings etwas nicht klappte, drosch sie auf die Polizei ein. Das hatten außer ihm auch schon andere zu spüren bekommen, weshalb fast jeder bei der Kripo etwas Interessantes über die Frau zu sagen hatte. Nun konnte er jedoch nichts mehr daran ändern. Er sah Ehlig an. »Wer wusste, in welchem Hotel Sie unterkommen wollten?«
»Ist das denn von Belang?«
Tauner kniff erneut die Lippen zusammen und sammelte sich eine halbe Sekunde. »Ich denke schon, wenn es ein gezieltes Attentat war, hat der Täter auf Sie gewartet, also muss er gewusst haben, dass Sie zum Beispiel nicht, so wie ich vermuten würde, im Hilton oder im Steigenberger an der Frauenkirche, sondern im Weißen Hof absteigen, weil sich dann Ihre Fahrtroute dementsprechend ändert. Also, wer wusste davon?«
»Ich habe einen vom DFB beauftragt, mir das Hotel zu buchen. Seiler war’s – glaub ich. Der hat das an der Rezeption im Berliner Hotel gemacht, soweit ich das gesehen hab, oder war es Holger selbst? Also der wusste das und vielleicht jemand an der Rezeption, aber es kann auch einer mitgehört haben.«
»Und sind Sie sogleich losgefahren?«
»Erst als die Buchung bestätigt war, und Holger war noch tanken.«
»Also hatte jemand Zeit vorwegzufahren.«
»Oder jemand hat sie beide verfolgt«, warf Uhlmann ein. »Dann müsste er nicht unbedingt gewusst haben, wohin die Fahrt geht.«
»Stimmt.« Tauner sah zu Ehlig. »Hatten Sie das Gefühl, jemand fährt Ihnen nach? Oder hat Sie jemand überholt, kurz bevor geschossen wurde?«
»Ich weiß nicht, einige haben mich überholt.« Ehlig sah nachdenklich zu Boden.
»Denken Sie genau nach. Jeder Anhaltspunkt ist wichtig. Kam Ihnen ein Auto vielleicht bekannt vor?« Tauner zähmte seine Ungeduld, tippelte mit den Fingerspitzen auf seinem Oberschenkel.
»Nein, tut mir leid, wirklich. Ich bin so vor mich hin gefahren. Hab über das Spiel nachgedacht und was ich den Presseleuten morgen erzähle. Konnte doch nicht wissen, was passiert.«
»Ist schon gut«, beschwichtigte Tauner und fuhr sich mit der Hand durch das kurze Haar. »Haben Sie Feinde?«
Ehlig hob die Hand und machte einen Gesichtsausdruck, als ob das die dümmste Frage der Welt sei. »Keine Ahnung. Fünfzig Millionen Polen und Ukrainer. Oder die Dänen, die Rumänen, Tschechen?«
»Jemand Spezielles?« Tauners Geduld war am Ende. Er hielt sich nur noch zurück, weil Ehlig zurzeit der einzige Zeuge war und man ihm mit gezielten Fragen vielleicht doch noch eine Information entlocken konnte.
»Haben Sie zufällig einen Kaugummi?«, fragte der Nationaltrainer, und ehe Tauner ausflippen konnte, hatte Uhlmann einen parat.
»Herr Ehlig, ich weiß es ist spät, Sie sind verletzt und Sie haben ein wichtiges Spiel vor sich, aber Ihr Freund ist tot und Sie müssen sich konzentrieren, verstehen Sie? Verlängerung, noch zehn Minuten. Haben Sie jemand Speziellen im Sinn, wenn ich Sie nach Ihren Feinden frage?«
»Ich kann doch jetzt nicht zehn Namen aufzählen, damit Sie die morgen alle verhaften!« Ehlig entblätterte den Kaugummi und schob ihn sich in den Mund.
»Die werden nicht verhaftet, wir werden einfach deren Alibis prüfen, das ist unser Recht und Ihres auch, schließlich wollen Sie doch wissen, wer Ihren Freund ermordet hat.«
»Natürlich will ich das!«, kaute Ehlig hervor. »Die sind gut«, meinte er dann an Uhlmann gewandt.
»Mach du weiter!«, zischte Tauner zu Uhlmann und stieg aus dem Wagen.