Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 - 24. Dezember 2009)
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© 2002, 2009, 2011 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten.
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on Characters by Rober Arthur.
ISBN 978-3-440-12903-6
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Dumpf hallte der Schlag von den feuchten Wänden wider, als die schwere Holztür ins Schloss fiel. Kurz darauf wurden zwei mächtige Eisenriegel vorgeschoben. Für Bob hörte es sich fast an wie ein Stöhnen, als sie über die verrosteten Halterungen kratzten. Dann, nachdem sich das letzte Echo in den modrigen Mauerritzen verkrochen hatte, war es still. Still wie in einem Grab.
Bob war gefangen.
Beklommen sah sich der dritte Detektiv um. Graue, gemauerte Wände türmten sich um ihn. Nur aus einem winzigen vergitterten Mauerloch weit über seinem Kopf sickerte fahles Tageslicht in staubigen Streifen zu ihm herab. Langsam ging er die steinernen, ausgetretenen Stufen hinunter, die zum Grund des düsteren Verließes führten. Die massiven, grob behauenen Mauersteine glänzten hier und da vor Nässe, und irgendwo tropfte es auch. Pling, plong, pling, plong. Unablässig, nervtötend. In einer Ecke befand sich etwas Stroh, grau wie ein räudiges Fell. Und es roch streng. Bob mochte gar nicht daran denken, wonach. Ein wenig rechts davon lag ein verbeulter Blechnapf auf dem Boden. Verkehrt herum, so als könnte er sich nicht ansehen, wohin er hier geraten war. Und dann entdeckte Bob die schweren Ringe an der Wand. Und die alte Kette darunter, die sich wie eine dunkle, große Schlange auf dem nackten Lehmboden wand. Den dritten Detektiv schauderte. Diesmal konnte er die Bilder, die in seinem Kopf entstanden, nicht verdrängen. Bilder von ausgezehrten Körpern, von Leid, von Qualen und Entbehrungen. Und als dann auch noch eine große, schwarze Ratte an der Mauer entlangtrippelte, packte ihn die Angst. Er musste raus hier. Sofort. Keine Sekunde länger würde er es in diesem furchtbaren Kerker aushalten.
»Hallo?«
Der Ruf verhallte in der muffigen Luft, die Ratte quiekte und rannte schneller. Sonst passierte nichts.
»Hallo! Hören Sie mich?« Bob starrte zur Tür und lief die Stufen wieder hinauf.
Aber nichts tat sich.
»Hallo! Hallo!« Er hämmerte gegen das Holz. »Lassen Sie mich raus! Hallo!«
Ungehört verpufften seine Schläge, obwohl der Schmerz an seiner Handkante fast unerträglich war. Warum machte keiner auf?
»Hallo!«
Die Kälte griff ihm ans Genick, kroch seinen Rücken hinab. Gefangen! Allein!
»Hallo! Hey! Ich will hier –«
Plötzlich wurden die Riegel zurückgezogen, und die Tür öffnete sich mit einem lauten Knarren. Sobald der Spalt groß genug war, zwängte sich Bob hinaus.
»Hoppla! Sieht ganz so aus, als hättest du genug Verlies-Feeling gehabt.« Ein breites Grinsen empfing den dritten Detektiv. Es gehörte Adam Campbell, einem ungefähr 35-jährigen Mann, dessen blaue Augen schalkhaft blitzten. Mit einer jungenhaften Handbewegung strich er sich die blonden Locken aus der Stirn und klopfte Bob freundschaftlich auf die Schulter.
»Kann man wohl sagen!« Bob nickte mit großen Augen. »Das ist ja echt gruselig da drin. Meine Güte!«
»Nicht wahr?« Campbell freute sich sichtlich über Bobs Aussage. »Als hätten da schon Dutzende von Verbrechern ihr schändliches Leben ausgehaucht, oder?«
»Das haben Sie wirklich gut hingekriegt.« Bob rieb sich die schmerzenden Fäuste und verscheuchte den letzten Rest Beklemmung. »Und offenbar völlig schalldicht. Sie haben mich nicht gehört, als ich gerufen und gegen die Tür gehämmert habe, oder?«
»Keinen Mucks.« Campbell verneinte. Er wies mit der Hand den Gang entlang und setzte sich langsam in Bewegung. »Das Verließ ist genauso schalldicht wie seine echten Vorbilder. Die Wachen wollten damals ja nicht die ganze Zeit das Gestöhne und Gejammer hören.« Wieder grinste er spitzbübisch. »Dort geht’s lang. Komm mit. Da vorne ist die Folterkammer. Die musst du dir unbedingt ansehen!«
Bob lächelte verhalten. Campbell machte diese Schlossführung wirklich sehr viel Spaß. Kopfschüttelnd folgte er ihm den Gang hinab.
»Also die Campbells, Ihre Vorfahren, lassen sich in Schottland bis ins 16.Jahrhundert nachweisen. Habe ich das vorhin richtig verstanden?« Der dritte Detektiv klickte auf seinen Kugelschreiber und machte sich auf seinem Handblock ein paar Notizen.
»Die McCampbells, um genau zu sein, ja. William McCampbell, unser Urahn, wurde 1519 urkundlich zum ersten Mal erwähnt.«
»Und wann hat Ihr Vater herausgefunden, dass Sie Vorfahren in Schottland haben?«
»Vor etwa 40 Jahren.« Campbell nahm die Fackel in die andere Hand, damit Bob mehr Licht hatte.
»40 Jahre«, schrieb der dritte Detektiv. Er freute sich schon ungemein auf das Referat. Als er Campbell gestern angerufen hatte, hatte er nur mit ein paar allgemeinen Informationen gerechnet, die er in seinen Vortrag über historische Gebäude in Kalifornien einbauen könnte. Und jetzt bekam er diese phantastische Privatführung!
»Und dann ist Dad rübergeflogen, hat das Schloss der McCampbells in den Highlands entdeckt und sich unsterblich in das alte Gemäuer hier verliebt«, sagte Campbell und machte ein weit ausholende Handbewegung, sodass das Licht seiner Fackel bizarre Schatten an die Wände malte.
Bob blieb verdutzt stehen. »Soll das heißen, dass dieses Schloss hier dasselbe ist, das –«
»Nein, nein«, unterbrach ihn Campbell lachend. »Dad hat es nicht Stein für Stein abtragen lassen und hier rübergeschafft, wie das ein paar dieser durchgeknallten Millionäre mit anderen Bauwerken schon getan haben. Er hat es in mühevoller Kleinarbeit abgezeichnet. So exakt wie möglich. Und dann hat er es hier oben nachgebaut. Zum größten Teil mit seinen eigenen Händen.« Campbell legte eine Hand an die kalte Mauer und setzte wehmütig hinzu. »Es war sein Lebenswerk.«
Bob nickte bewundernd. »Wirklich beeindruckend.«
»Aber«, Campbell deutete auf Bobs Block und lachte, »vergiss nicht, Edward in deinem Artikel zu erwähnen! Er hat sich hier fast ebenso viele Schwielen geholt wie Dad.«
Campbell hatte Bob gefragt, ob er denn vielleicht einen Artikel über das Schloss in seiner Schülerzeitung bringen könnte. Den dritten Detektiv hatte die Bitte zwar zunächst gewundert, aber mittlerweile ahnte er, wieso Campbell so sehr daran lag. So imposant das Schloss war, so heruntergekommen war es. Die Schäden und Mängel an dem Bauwerk waren unübersehbar, und offenbar hatte Campbell nicht genügend Geld, um das Schloss renovieren oder auch nur einigermaßen instand halten zu können. Daher konnte er jede Art von Werbung gut gebrauchen. Auch in einer Schülerzeitung.
»Edward ist der Butler, oder?« Bob nahm sich vor, einen wirklich ausführlichen Artikel zu schreiben. Das war das Mindeste, was er als Gegenleistung für diese Führung tun konnte.
»Pah!« Campbell winkte ab. »Viel mehr als das! Edward ist die gute Seele des Schlosses. Er ist Butler, Hausmeister, Verwalter, Zimmermädchen, Hofnarr, Manager, Beichtvater – ach! Ich weiß gar nicht, was noch alles. Ohne Edward würde es dieses Schloss gar nicht geben.«
»Manager?« Bob sah von seinem Schreibblock auf, weil Campbell vor einer anderen massiven Holztür stehen geblieben war.
»Na ja, die ganzen Events, die hier im Schloss stattfinden. Die organisiert vor allem er. Mittelalterliche Rollenspiele …« Campbell hielt inne und lächelte Bob auffordernd zu. Und als der dritte Detektiv nicht gleich verstand, nickte er fast unmerklich zu dem Block hin.
»Ah so«, fiel bei Bob der Groschen, und beide grinsten sich vielsagend an. »Mittelalterliche Rollenspiele …«
»Spiritistische Sitzungen …«
»Spiritistische Sitzungen«, notierte Bob gewissenhaft.
»Esoterik-Kongresse …«
»Esoterik-Kongresse.«
»Hochzeiten.«
»Hochzeiten.« Bob fragte sich kurz, ob das für die Schüler von Interesse war, schrieb aber brav weiter.
»Und Gruselwochenenden.«
»Und Gruselwochenenden.«
»Toll!« Campbell reckte den Daumen in die Höhe. »Und jetzt – auf zur eisernen Jungfrau!«
Die Folterkammer fand Bob fast noch beeindruckender als das Verlies. Campbell hatte alle möglichen Folterinstrumente zusammengetragen und sie so ausgestellt, als wären sie immer noch in Gebrauch. Eine Streckbank, ein spanischer Stiefel, diverse Daumenschrauben, Mundsperren, Peitschen und sogar die besagte eiserne Jungfrau ließen Bob eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Und als einmal der Wind durch die Mauerritzen pfiff, glaubte er im ersten Moment, ganz deutlich den Schrei einer gefolterten Seele zu vernehmen. Es war mehr als gruselig.
Und gruselig ging es weiter bei der Schlossführung. Während weit draußen die Sonne in einem blutroten Meer versank, zeigte Campbell dem dritten Detektiv insbesondere die Stellen in seinem Schloss, die er für besonders werbewirksam hielt. Das Zimmer, in dem die Weiße Lady zu Vollmondnächten erschien, die Brüstung, von der sich der einäugige Ritter Jahr für Jahr zur Sonnwendnacht in den Burggraben stürzte, weil vor über 700 Jahren in dieser Nacht seine Angebetete dort unten den Tod gefunden hatte; den Spiegel, in dem man immer um Mitternacht sein eigenes Ableben sah; das Loch in der Außenwand, das einst von einem Werwolf gerissen worden war, und, und, und. Der Einfallsreichtum von Adam Campbell schien schier unerschöpflich zu sein, wenn es darum ging, sich irgendeine neue Schauermär für sein Schloss auszudenken.
Und doch fiel es Bob ein ums andere Mal auf, dass Campbell wirklich in großen finanziellen Nöten sein musste. Die Ausstattung des Schlosses war oft verschlissen oder schadhaft, die Einrichtung nicht sonderlich hochwertig, und manche Teile des Schlosses waren so baufällig, dass Campbell sie für Besucher gesperrt hatte – er konnte einfach nicht mehr für ihre Sicherheit und Unversehrtheit garantieren. All die Veranstaltungen, Feste und Angebote, die sich Campbell ausgedacht hatte, warfen offenbar nicht annähernd genügend Geld ab, um das Schloss instand halten zu können. Selbst die Bilder waren in einem bedauernswerten Zustand.
»Ian der Blutrünstige«, sagte Campbell und nickte ernst zu dem Bild hin, das sich Bob gerade ansah. Es zeigte einen korpulenten Mann in einer prächtigen, mittelalterlichen Robe. Er hatte einen harten Zug um den Mund, und seine stechenden Augen wirkten auf unheimliche Art lebendig. »Hatte sieben Ehefrauen auf dem Gewissen, bevor er sein Leben auf dem Schafott aushauchte.«
»Aha.« Bob spielte das Spiel gerne mit. Er ging einen Schritt näher und sah sich das Porträt noch einmal an, während sich Campbell schon dem nächsten zuwandte.
Doch plötzlich zuckte der dritte Detektiv zusammen. Die Augen des Mannes hatten sich bewegt! Und jetzt starrten sie ihn geradewegs an!
»Haben Sie das gesehen?« Bob fuhr herum und deutete hektisch auf das Bild.
»Was denn?« Campbell sah ihn fragend an.
»Das Bild! Der Mann! Er hat mich direkt angesehen!«
Campbell zuckte mit den Augenbrauen. »Dann sieh dich mal vor!«, raunte er andeutungsvoll. »Er ist nicht besonders wählerisch, was seine Opfer angeht.«
Bob sah ihn für einen Moment entgeistert an, dann verstand er. »Edward, habe ich recht?« Fast schämte er sich ein bisschen für seine Schreckhaftigkeit.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Campbell grinste ihn breit an. Dann deutete er auf eine große Standuhr, die blechern in einer Ecke tickte. »Schon acht Uhr durch. Wir müssen uns sputen. Die spiritistische Sitzung beginnt gleich.«
»Oh ja, darauf freue ich mich.«
Campbell hatte Bob noch angeboten, an der spiritistischen Sitzung teilzunehmen, die heute Abend veranstaltet wurde, und der dritte Detektiv hatte begeistert angenommen. So konnte er live bei einem der Events dabei sein und sowohl sein Referat als auch seinen Artikel um ein gruseliges Detail bereichern.
»Ähm, Mr Campbell«, fiel Bob plötzlich ein, »könnte ich vielleicht mein Diktiergerät mitlaufen lassen?« Der dritte Detektiv zog einen kleinen Apparat aus der Tasche, den er sich von Justus geliehen hatte. Der hatte ihn einmal bei einer Fernsehshow gewonnen.
»Dein Diktiergerät?«, fragte Campbell verwundert. »Wozu?«
»Na ja, dann könnte ich die Stimmung viel besser einfangen. Außerdem kann ich während der Sitzung ja nicht mitschreiben, oder?«
»Nein, da hast du recht.« Campbell überlegte kurz. »Meinetwegen. Aber mach es bitte so, dass niemand etwas davon mitbekommt, in Ordnung?«
»Natürlich«, versprach Bob. »Darauf gebe ich acht.«
Sie verließen die große Eingangshalle und liefen über die mächtige Steintreppe hinauf in den ersten Stock. Dort geleitete ihn Campbell an etlichen Gemälden, Rüstungen und Waffen vorbei, bis der Gang an zwei steinernen Wendeltreppen endete. Beide führten jeweils in einen der beiden Ecktürme, die Bob schon von außen bewundert hatte. Wie zwei runzlige Riesenfinger standen sie direkt an der Klippe und blickten weit ins Meer hinaus. Campbell nahm die rechte Treppe.
»Und wo geht’s hierhin?«, wollte Bob wissen und zeigte die andere Treppe hinauf.
Campbell antwortete nicht gleich. Er schluckte, blinzelte und sagte dann kurz angebunden: »Der Turm ist gesperrt.«
Bob wunderte sich für einen Moment, denn eine Antwort war das nicht. Aus irgendeinem Grund wollte Campbell ihm nicht mehr sagen. Aber er hakte nicht nach.
Die Wendeltreppe schraubte sich im Inneren des Ostturms immer weiter nach oben und endete schließlich in einem Durchlass am Rand eines Dachzimmers. Das Erste, was Bob sah, als ihn die Stufen über Fußbodenhöhe trugen, waren ein Dutzend Beine. Die Gäste waren schon da.
»Ah, willkommen, Mrs Everett!«. Campbell betrat den Raum und ging mit ausgestreckter Hand auf einen der Gäste zu, eine ältere Frau mit schlohweißem Haar und dicker Brille. »Hat Sie Edward schon heraufgeführt? Das ist schön.«
»Edward?«, erwiderte die Frau spitz. »Edward war nicht da. Ich habe mir erlaubt, uns selbst heraufzugeleiten, zumal ich ja schon des Öfteren hier war.«
»Edward war nicht da?«, wunderte sich Campbell. »Oh, das tut mir leid«, entschuldigte er sich bei der sichtlich missgestimmten Frau. »Verzeihen Sie bitte.« Dann begrüßte er, nicht ohne vorher noch einmal nachdenklich die Stirn zu runzeln, den nächsten Gast.
Nachdem er allen die Hand geschüttelt und ein kurzes, freundliches Wort mit ihnen gewechselt hatte, stellte er Bob vor. Er nannte ihn einen »Novizen der mystischen Wissenschaften« und setzte dabei eine verschwörerische Miene auf.
Außer Mrs Everett nahmen noch fünf weitere Personen an der Sitzung teil. Ihre Freundin Mrs Harkort, die so schüchtern war, dass sie Bob kaum in die Augen sehen konnte. Irgendwie erinnerte sie den dritten Detektiv an eine Spitzmaus. Dann Mr Clayton, ein schweigsamer, gebückt gehender Herr, der sich hinter einem großen Bart versteckte, Mr Prescott, ein gut gekleideter Mann in mittleren Jahren, der arrogant über Bob hinwegsah, und Bill Wever und sein Sohn Max, beide sehr nett und zugänglich.
»Wollten uns das Geister-Spektakel auch mal ansehen«, raunte Bill Bob ins Ohr. Dann lachte er tief und gurgelnd.
»Also gut!« Campbell klatschte auffordernd in die Hände. »Dann wollen wir uns mal an unsere Plätze begeben und sehen, was uns die Geister heute mitzuteilen haben. Bob, setzt du dich bitte neben mich?«
Der dritte Detektiv nickte und folgte Campbell an den großen, runden Eichenholztisch, der in der Mitte des Raumes aufgestellt war. Ansonsten fanden sich in dem Turmzimmer, dessen Innenwände ein regelmäßiges Achteck bildeten, noch vier raumhohe Bücherregale mit zahllosen alten Büchern sowie jeweils dazwischen vier Butzenscheibenfenster, die von fadenscheinigen Vorhängen eingerahmt waren. Über dem Tisch hing ein alter Lüster, und den Boden zierte ein runder, leider abgewetzter Perserteppich.
Nachdem alle sich gesetzt hatten, entzündete Campbell vier Kerzen, die er in die Fensternischen stellte, und löschte das Licht. Dann nahm auch er Platz.
Bob griff noch einmal unauffällig in seine Jackentasche und zog sein Diktiergerät hervor. Er drückte auf den roten Aufnahmeknopf und schob den Apparat wieder ein.
»Lasst uns die Hände auf den Tisch legen«, sagte Campbell mit leiser Stimme. »Sie müssen sich berühren, sodass wir einen geschlossenen Kreis bilden. Nirgendwo darf ein Lücke sein.«
Alle taten wie geheißen und legten ihre Hände mit gespreizten Fingern auf den Tisch. Jeder führte erst seine eigenen Hände zusammen und berührte dann die Finger des Nachbarn.
»Gut. Und nun schließen wir die Augen.«
Bob machte die Augen zu, linste dann aber noch einmal unter einem Lid hervor. Alle folgten Campbells Anweisungen. Keiner schummelte. Schließlich schloss auch er die Augen.
»Atmet ruhig ein und aus.« Campbells Stimme hatte einen einschläfernden Singsang angenommen. »Lasst alle Gedanken davonziehen. Ihr seid nur hier, nirgendwo anders. Ihr seid ganz bei euch.«
Gleichmäßige Atemzüge drangen an Bobs Ohr. Jemand scharrte kurz mit den Füßen, ein anderer schluckte.
»Und jetzt … warten wir … seid offen … offen für den Geist, der uns heute besuchen wird.«
Bob lauschte angestrengt. Was würde passieren? Was hatte sich Campbell einfallen lassen? Es blieb ruhig.
Eine Minute verging, zwei Minuten. Holz knarrte irgendwo, und Mrs Harkort stieß einen spitzen Schrei aus. Dann war es wieder ruhig.
Bill Wever räusperte sich. Offenbar wurde ihm langweilig. Ein Scharren hinter einer Wand. Mäuse? Ratten?
Plötzlich hauchte Campbell: »Ich … spüre … etwas.«
»Ich auch!«, piepste Mrs Harkort, die links neben Bob saß.
»Jemand … nähert sich«, flüsterte Campbell.
»Ja, ja«, fiepte Mrs Harkort.
Bob bemerkte nichts.
»Jemand nähert sich«, wiederholte Campbell ein wenig lauter und nachdrücklicher.
Ein Stöhnen! Weit weg und undeutlich, aber doch ein menschliches Stöhnen! Max erschrak, und Mrs Harkort schnappte nach Luft.
Bob musste ein Lächeln unterdrücken. Campbell hatte Edward das Stichwort gegeben, und der hatte es offenbar nicht gleich gehört.
Dann fuhr ein Windhauch durchs Zimmer. Ein einziger nur, der Bobs rechtes Ohr streifte. Durch die geschlossenen Lider nahm er wahr, dass die Kerzen flackerten.
»Hallo«, wisperte Campbell, »ist da jemand?«
Zur Antwort ruckelte der Tisch! Ganz leicht nur, aber er hatte sich bewegt!
Laute des Erstaunens, Gemurmel, Mrs Harkort schrie wieder leise, Max flüsterte ängstlich »Dad!«.