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Tal des Schreckens

erzählt von Ben Nevis

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

 

 

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© 2001, 2005, 2011, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

 

Based on characters by Robert Arthur.

 

ISBN 978-3-440-12927-2

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

 

Blackout

Das Telefon schellte in einer Tour. Der Anrufer war wirklich hartnäckig. Normalerweise wäre Justus längst aufgesprungen und hätte den Hörer von der Gabel gerissen, neugierig, wie er nun mal war. Aber es gab Momente, da hasste er das Telefon. Der Tag war anstrengend gewesen, zumal im Sportunterricht Konditionstraining auf dem Programm gestanden hatte, das Justus noch mächtig in den Knochen steckte. Entsprechend erschöpft saß er auf der kleinen Treppe des alten Campingwagens, der den drei jungen Detektiven als Einsatzzentrale für ihre kriminologische Arbeit diente.

Er beobachtete eine Katze, die sich eine Maus gefangen hatte und nun mit ihr spielte. Mäuse gab es auf dem Gelände von Onkel Titus Jonas’ Schrottplatz wirklich mehr als genug, obwohl Tante Mathilda schon alle erdenklichen Methoden entwickelt hatte, sie zu fangen. Doch auf einem Gebrauchtwarenlager wie diesem hier gab es einfach zu viele Verstecke. Alte Schränke, Kisten, Flaschen, Seile, Mopeds, Schrauben, Bücher, Motoren – nicht einmal Titus Jonas selbst hatte noch einen genauen Überblick über seine Schätze. Kein Wunder, dass gelegentlich eine der Nachbarkatzen in der Hoffnung auf eine fette Mahlzeit vorbeistrich.

Das lästige Läuten des Telefons versuchte Justus zu ignorieren. Er wusste, dass er früher oder später dem Anrufer nachgeben würde, aber er hatte schon eine bestimmte Vermutung, wer es sein konnte. Die Sonne blendete ihn und er kniff die Augen zusammen. Gerade schlug die Katze wieder zu. Die Maus hatte einfach keine Chance. Immer, wenn sie einen Fluchtweg erwischt zu haben schien, wurde sie von der Katze gepackt und zurückgetragen. Ein böses Spiel bis zum tödlichen Biss.

Eigentlich mochte Justus Katzen, doch diese Eigenschaft konnte er an ihnen nicht leiden. Noch immer klingelte das Telefon. Der Anrufer gab einfach nicht auf. Also gut, dachte Justus, du hast gewonnen. Aber erst rette ich noch die Maus. Er beugte sich ein Stück vor und klatschte laut in die Hände. Wie erwartet zuckte die Katze erschrocken zusammen und warf einen abschätzenden Blick in seine Richtung. Dieser kurze Augenblick reichte der Maus. Sie spurtete davon und verschwand unter einem Holzstapel, der schon seit einigen Wochen nutzlos im Hof herumstand.

Jetzt hat er seinen Zweck erfüllt, dachte Justus, auch wenn es Tante Mathilda nicht gerade gefällt, wenn ihr die Mäuse über die Füße laufen. Zufrieden stieg er in den Campingwagen. Fast wäre er über einen von Bobs Aktenordnern gestolpert, der wieder einmal mitten auf dem Boden lag. Dann endlich schnappte er sich den Telefonhörer.

»Justus Jonas hier. Bist du es, Onkel Titus?«

Die Frau am anderen Ende der Leitung klang mindestens ebenso überrascht wie er. »Onkel? Oh nein, und eigentlich habe ich schon gar nicht mehr damit gerechnet, jemanden zu erreichen. Ich spreche mit Justus Jonas von den drei Detektiven?«

Justus holte Luft. Detektive. Darum ging es also. Und er hatte schon befürchtet, dass sein Onkel, der gerade in Rocky Beach war und einen Hausstand aufkaufte, ihn zum Aufladen des Lastwagens beordern wollte. »Ja, Madam. Ich bin Justus Jonas von den drei ???. Sie haben also ... ein Problem?«

»Ein Problem? Und ob ich das habe, junger Mann. Deswegen wende ich mich ja an dich! Aber ich möchte nicht am Telefon darüber sprechen. Wir sollten uns treffen, um in Ruhe über alles zu reden. Ihr macht doch ... Termine?« Sie stockte.

»Natürlich, Madam, warum nicht?«

»Nun ja, bist du überhaupt ein richtiger Detektiv? Du klingst noch so jung ...«

»Madam, für mein Alter kann ich nichts«, antwortete Justus genervt. Immer wieder bekamen sie diesen Einwand zu hören. »Peter Shaw, Bob Andrews und meine Wenigkeit sind richtige Detektive, das kann ich Ihnen versichern! Wir nennen uns die drei ???. Wir kümmern uns um jeden Fall. Rätsel und Geheimnisse sind unsere Spezialität. Und bisher haben wir fast jedes gelöst«, erklärte er nicht ohne einen Anflug von Stolz. »Ich will sagen, das hat nichts mit unserem Alter zu tun. Oder vielleicht doch. Aber genau umgekehrt wie Sie vermuten, weil man in jüngeren Jahren einfach noch nicht so fantasielos an einen Fall herangeht wie ein abgebrühter Erwachsener.«

»Dann hat er also Recht gehabt.«

»Wer?«, fragte Justus neugierig. »Wie sind Sie eigentlich auf uns gekommen?«

»Der Inspektor. Er sagte, dass ihr mir vielleicht weiterhelfen könnt.«

Justus lachte ungläubig. »Inspektor Cotta? Er hat Ihnen geraten, sich an uns zu wenden?«

»Ja. Inspektor Cotta, so heißt er. Die drei ??? übernehmen jeden Fall, hat er gesagt. Besonders die, um die sich die Polizei nicht kümmern kann.«

Plötzlich war Justus hellwach. »Das klingt interessant, Madam. Aber ein bisschen mehr müssen Sie mir schon verraten.«

»Bitte, Justus, nenne mich nicht immer Madam.«

»Tut mir Leid, Madam. Aber Sie haben Ihren Namen noch nicht genannt.«

»Oh, habe ich das tatsächlich vergessen? Ich heiße Sullivan, Ann Sullivan.«

Justus zog seinen Block hervor und notierte sich den Namen, während sie weitersprach.

»Ich bin, wie soll ich das erklären, ich bin auf der Suche nach ein paar verloren gegangenen Stunden. Es gibt eine Lücke, ein Loch, einen Blackout. Eine gewisse Zeit meines Lebens fehlt.«

»Wie darf ich das verstehen, Mrs Sullivan?«

»Nun, in meiner Erinnerung fehlen ein paar Stunden. Und ich weiß nicht, was ich in dieser Zeit erlebt und gemacht habe. Das quält mich. Vielleicht ist etwas Schreckliches passiert. Vielleicht war aber auch nichts, rein gar nichts. Ich habe einfach keine Ahnung. Aber mehr möchte ich am Telefon nicht erzählen. Würdet ihr mir helfen?«

»Da muss ich erst meine Freunde fragen«, antwortete Justus ausweichend. »Wir entscheiden es zusammen. Aber Ihre Geschichte klingt spannend. Auf alle Fälle glaube ich, dass einem Treffen zwischen uns nichts im Wege steht.«

»Gut. Geht es morgen um eins?«

Justus überlegte. Kurz nach der Schule. »In Ordnung. Wo treffen wir uns?«

»Ich lade euch ins Hooter ein. Holt mich doch einfach bei meiner Arbeit ab. Dann gehen wir zusammen hin. Es ist gleich um die Ecke. Okay?«

»Sehr schön!« Justus war begeistert. Eine Einladung ins Hooter. Das war ein Lokal, das nur mit alten Autoteilen ausgestattet war. Man saß sozusagen in halb geöffneten Autos und speiste auf kleinen nachträglich angeschweißten Tischen. Da das Restaurant nicht gerade preiswert war, waren sie dort nicht häufig zu Gast.

»Morgen um eins. Wir werden pünktlich sein. Wo sollen wir Sie abholen?«

»Sundown TV. Fragt einfach nach Ann Sullivan.«

»Machen wir. Bis morgen.« Justus legte auf und dachte nach: Eine Frau, die beim Fernsehen arbeitete, der ein paar Stunden aus ihrem Leben fehlten und die wissen wollte, was in dieser Zeit mit ihr geschehen ist, das klang viel versprechend. Doch schon wurde er in seinen Spekulationen unterbrochen.

»Justuuuus!« Das war Tante Mathilda. Justus blickte auf die Uhr. Halb sieben. Vermutlich sollte er den Tisch fürs Abendessen decken. Dass man aber auch nie in Ruhe gelassen wurde. Er ging zur Tür und steckte den Kopf raus. »Jaahaa?«

Tante Mathilda stand mitten auf dem Vorplatz und hatte die Hände an die Hüften geklemmt. »Wo steckst du nur wieder? Könntest du bitte ...«

»... das Geschirr aufdecken?«, ergänzte Justus triumphierend. »Mathilda, ich weiß einfach immer, was du willst.«

»Aber nein«, rief seine Tante. »Wie kommst du darauf? Den Tisch decke ich schon selbst. Du wirst dringender gebraucht. Titus hat gerade angerufen. Ob du ihm beim Aufladen des Lastwagens helfen kannst. Ich habe ihm gesagt, dass du dich gleich auf den Weg machst. Es ist nicht so weit. Memorial Road 29.«

»Tante, ich habe Muskelkater!«, protestierte der Erste Detektiv. »Ich sollte mich lieber der Länge nach aufs Bett legen!« Und von dort aus in aller in Ruhe mit Bob und Peter telefonieren, doch das fügte er klugerweise nicht laut hinzu.

»Bitte, Justus. Für Titus allein ist es zu viel!«

Justus stöhnte. Dass seine Tante immer so hartnäckig sein musste! Sie duldete einfach keine Widerrede. »Also gut. Von mir aus. Aber nur, wenn es nachher was Spitzenmäßiges zum Essen gibt.«

»Lasagne und Himbeereis, wäre das dem Herrn genehm?«

»Abgemacht!«, rief Justus. Das war immerhin ein Lichtblick. »Für mich die doppelte Ladung.«

Er schloss die Tür zum Campingwagen ab und lief zum Fahrrad. Hat auch mal wieder eine Wäsche nötig, dachte er.

Unter der Pedale hatte sich inzwischen die Nachbarskatze breit gemacht. Zufrieden döste sie vor sich hin. Justus sah sie kritisch an. War das etwa ein Verdauungsschläfchen? Mit einem sanften Tritt verscheuchte er das Tier.

Kein Fall für die Polizei

Sundown TV war einer der kleineren Fernsehsender der Gegend und lag in der Santora-Street, einer der Einfallstraßen von Rocky Beach. Geschickt lenkte Bob seinen VW-Käfer durch die um die Mittagszeit viel befahrene Straße. Es dauerte nicht lange, da hatte Justus, der neben seinem Freund saß, das dreistöckige Haus der Fernsehfirma entdeckt. »Bob, da ist ein Parkplatz frei, direkt vor dem Eingang.« Der dritte Detektiv nickte, steuerte seinen Wagen auf die eingezeichnete Fläche und wollte den Motor abstellen.

»Hast du nicht das ›Reserviert‹-Schild gesehen?«, warf Peter ein, der hinter den beiden saß. Wenn sie mit Bobs Auto fuhren, war das gewissermaßen sein Stammplatz, da Justus aufgrund seiner Körperfülle mehr Beinfreiheit beanspruchte, die es in einem VW-Käfer nun einmal nur vorne gab.

»Wir sind doch gleich wieder weg«, antwortete Justus und öffnete den Gurt. »Von dieser Plackerei mit Onkel Titus gestern tut mir wirklich jeder Muskel weh. Jeder Meter, den ich nicht laufen muss, ist mir höchst willkommen.«

»Ich glaube, der Grund für deine Schlappheit liegt eher in der doppelten Portion Lasagne«, stichelte Peter. »Oder war es eine dreifache?«

Bob sah kurz zu Justus, doch der nahm es gelassen. Dann drehte er sich nach hinten, um durch das Heckfenster zu blicken. »Wir parken hier«, entschied er, »aber ich stelle wenigstens den Wagen noch gerade hin.« Vorsichtig gab er Gas. »Hoppla!«

Fast hätte er einen Mann angefahren, der eben aus dem Portal gekommen war. Im letzten Moment sprang er zur Seite. »Pass doch auf mit deiner Schrottkiste!«, schimpfte er los. Seine rot gestreifte Baseballmütze war dem Mann ins Gesicht gerutscht, vielleicht hatte sie aber auch vorher schon so schief gesessen.

»Ich hätte Sie schon nicht erwischt«, rief Bob durch das heruntergekurbelte Seitenfenster und murmelte dann leise vor sich hin: »Schrottkiste hat er mein Auto genannt! Blödmann.«

Der Mann schüttelte den Kopf und ging weiter. Justus rümpfte die Nase. »Es weiß halt nicht jeder ein Auto mit Charakter zu schätzen.«

Sie stiegen aus und steuerten den Empfangsraum des Gebäudes an. Eine Couch und ein paar leere Sessel standen rechter Hand, während weiter hinten die Empfangsdame wie ein Drachen vor ihrer Telefonanlage thronte. Sie begutachtete die Ankömmlinge misstrauisch. Bob stufte sie schon als nahezu unüberwindbares Hindernis ein. Dann erinnerte er sich daran, dass sie ja einen Termin hatten. »Wo bleibt denn Justus?«

Peter drehte sich um. Der Erste Detektiv stelzte wirklich ziemlich langsam hinterdrein. »Du gehst wie auf Eiern, Justus«, grinste Peter. »Onkel Titus hat dir also doch ziemlich zugesetzt?«

»Na, wenigstens hat er ein paar Dollar dafür springen lassen. Immer noch besser als dieses öde Konditionstraining für nichts.«

»Ich könnte auch ein bisschen Kleingeld gebrauchen«, bemerkte Bob. »Vielleicht darf ich ja als Aushilfskraft bei Sundown TV ein paar Kabel halten. Ist doch angenehmer, als Waschmaschinen und Bücherkisten abzuladen.«

»Es kommt auf die Fernsehsendung an«, gab Justus zurück. »Stell dir mal vor, du müsstest neunzig Minuten lang eine Talkshow ertragen.«

Inzwischen waren sie am Empfang angekommen. Die Frau schien ihre letzten Worte mitbekommen zu haben.

»Meine Herren, wenn ihr Jobs sucht, dann seid ihr umsonst gekommen. Alles vergeben.«

»Wir möchten gar nicht hier arbeiten«, antwortete Justus. »Wir haben einen Termin bei Mrs Sullivan.«

Ihre Miene änderte sich, wenn auch nur ansatzweise. »Ach so, das ist was anderes, ja ... ich werde euch anmelden. Wartet. Dritter Stock, Zimmer 302. Aber bevor ihr hinaufkönnt ...« Sie wandte sich an Bob. »Würdest du bitte erst einmal dieses Gefährt von Mr Caddys Parkplatz entfernen?«

Bob sah sie mit großen Augen an.

»Na, dieses ... Auto dort. Es steht auf dem Platz von Mr Caddy. Er ist der Inhaber von Sundown TV und wird gleich eintreffen.«

Bob drehte sich um, doch es war bereits zu spät. Ein großer Jeep rollte heran und stellte sich direkt hinter Bobs VW, so dass er zwischen dem großen Glasfenster und dem Geländewagen eingeschlossen war. Ein etwa fünfzigjähriger braun gebrannter Mann stieg aus dem Wagen und lief einen Moment später durch die Empfangshalle. Eine modische Sonnenbrille verdeckte seinen Blick. Er begrüßte die Frau am Empfang mit einem kurzen Nicken und betrat den Aufzug, dessen Türen sich gerade geöffnet hatten.

»Kommt, Jungs«, sagte Justus. Kurz entschlossen stürmten die drei ??? hinterher. Mr Caddy schob für einen Moment seine Brille hoch und sah auf seine teure Armbanduhr. Er beachtete die Detektive kaum.

Die Türen schlossen sich. Sie waren mit dem Mann allein. Bob drückte auf den Knopf zum dritten Stockwerk, dann wandte er sich an den Boss von Sundown TV. »Sir, Sie haben leider meinen Wagen blockiert«, begann er vorsichtig. »Würden Sie bitte die Freundlichkeit haben ...«

Mr Caddy sah überrascht auf. »Also du hast dir meinen Parkplatz geschnappt!«, unterbrach er Bob. Er schien eher belustigt. »Selbst schuld. Na, dann lass dir mal was einfallen. Vielleicht bestellt ihr euch ein Taxi, wenn euer Geld überhaupt dafür reicht. Sonst heißt es laufen, laufen, laufen ... Ich habe Wichtigeres zu tun.« Der Aufzug hielt und die Türen öffneten sich. Mr Caddy bückte sich und nahm seinen Koffer. Mit einem aufgesetzten Lächeln stieg er aus. »Schönen Tag noch, Jungs.«

»Blödmann«, sagte Bob, als sich die Türen wieder geschlossen hatten. »Arroganter Affe.«

»Wahrscheinlich ist er es langsam leid, dass ihm immer sein Parkplatz zugestellt wird«, versuchte Justus noch einen Anflug von Verständnis aufzubringen. »Das passiert ihm bestimmt nicht zum ersten Mal. Aber schau, was er verloren hat!« Justus bückte sich und hob etwas auf, doch da waren sie auch schon im dritten Stock angekommen. Die Aufzugtüren surrten auseinander. »Wir schauen es uns später an«, entschied Justus und steckte seinen Fund in die Hosentasche. »Raus mit euch!«

»Sollen wir es ihm nicht zurückgeben?«, murmelte Peter.

»Diesem Affen?«, gab Bob zu bedenken.

Da standen sie auch schon vor Mrs Sullivans Büro. Deutlich lesbar war ihr Namensschild neben der Tür an die Wand gedübelt, daneben stand die Bezeichnung ›Sekretariat Aufnahmeleitung‹.

Justus trat als Erster ein, Bob und Peter folgten.

Leider war Mrs Sullivan nicht allein im Zimmer. Ihr Chef – es musste ihr Chef sein – stand neben ihrem Schreibtisch, ein Papier in der Hand. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er die Jungen an.

»Was wollt ihr?«, raunzte er. »Wir haben keine Aushilfsjobs! Wie seid ihr überhaupt hier hereingekommen?«

»Entschuldigen Sie, Mr ...«

»... Martin. Fred Martin. Aufnahmeleiter von Sundown TV. Mrs Sullivan, wo ist denn schon wieder meine Brille ...«

»In ihrem Büro, Sir.« Mrs Sullivan, eine Frau von vielleicht dreißig Jahren, stand auf. »Auf dem Schreibtisch. Mr Martin, das mit den Jungs geht schon in Ordnung. Ich habe mich mit ihnen verabredet.« Sie musterte die drei ??? von oben bis unten. »Eigentlich dachte ich, ihr würdet unten warten.«

»Es hat sich gerade so ergeben«, behauptete Justus.

»Na egal, ich habe jedenfalls Hunger wie ein Scheunendrescher«, erklärte sie schon etwas freundlicher. »Kann ich in die Pause gehen, Mr Martin?«

»Nur zu. Ich bin ja froh, dass Sie überhaupt wieder arbeiten!«

Es war wirklich nur ein Katzensprung zum Hooter. Peter bewunderte die alte Autohupe, die über der Eingangstür hing und dem Restaurant seinen Namen verlieh. Innen war alles gerammelt voll wie immer zur Mittagszeit. Doch Mrs Sullivan hatte einen Tisch reserviert. Besser gesagt, einen Rolls Royce, denn alle Gäste saßen in stilvoll restaurierten alten Autokabinen, die zu einer Seite hin offen waren.

Zufrieden ließ sich Justus auf die Rückbank fallen und blickte sich um. »Fast so schön wie bei Morton«, murmelte er.

»Nur das Essen ist besser«, gab Peter zurück, der sich neben ihn auf die Rückbank gesetzt hatte. »Aber vermutlich bist du ja noch satt von gestern Abend.«

»Keine Spur«, sagte Justus und hielt plötzlich inne. »Schau mal, ist das nicht der Mann, den wir eben fast angefahren hätten?«

Peter und Bob folgten seinem Blick. Tatsächlich. Der Mann mit der rotweißen Baseballkappe saß an der Bar und trank ein Bier. Besonders glücklich schaute er nicht gerade aus der Wäsche.

»Meint ihr diesen Sauertopf da?«, fragte Mrs Sullivan. Sie hatte sich genau wie Bob einen Einzelsessel ausgesucht. »Der war doch eben bei Mr Martin.«

»Ach. Was hat er gewollt?«

Statt einer Antwort sah Mrs Sullivan Justus belustigt an. »Ihr seid wirklich Detektive«, sagte sie dann, »so neugierig, wie ihr seid. Aber tut mir Leid, ich weiß es nicht. Er war bei Mr Martin im Zimmer und Mr Martin hat ihn auch persönlich nach unten begleitet.«

»Was ungewöhnlich ist«, bemerkte Justus.

»Stimmt.« Sie musterte ihn überrascht. »Aber woher weißt du das?«

»Nicht schwer zu erraten. Normalerweise bringen die Sekretärinnen die Besucher nach draußen, nicht wahr?«

Mrs Sullivan nickte. Sie blätterte in der Speisekarte. »Hm, da läuft einem ja das Wasser im Munde zusammen. Greift ruhig zu«, ermunterte sie die Jungs, »ohne Hemmungen.«

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen und als der Kellner erschien, konnte er eine stattliche Bestellung entgegennehmen.

Dass Justus als zweite Vorspeise noch einen großen Nudelteller bestellte, war Bob aber dann doch etwas peinlich. »Justus hat gestern wenig zu essen bekommen«, entschuldigte er seinen Freund, doch Mrs Sullivan bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, dass das schon in Ordnung ginge.

»Detektive brauchen was auf die Rippen«, sagte sie, »und ihr wollt mir ja helfen.«

»Ja, Madam.« Justus griff in die Hosentasche und holte eine leicht angeknickte Karte hervor, die er vor Mrs Sullivan auf den Tisch legte. »Sonst wären wir nicht gekommen.«

Mrs Sullivan nahm die Karte auf.

 

Visitenkarte

 

»Das klingt viel versprechend.«