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Im Netz des Drachen

erzählt von Marco Sonnleitner

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 - 24. Dezember 2009)

 

 

 

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© 2010, 2011 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten.

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

 

Based on Characters by Rober Arthur.

 

ISBN 978-3-440-12914-2

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

 

Das Monster im Wald

Der Mann musste lebensmüde sein. Oder wahnsinnig. Oder beides. Völlig bewegungslos stand er am Rand der leicht überhängenden Klippe, zwanzig Meter über der Wasseroberfläche, vielleicht fünfundzwanzig, und sah in die saphirblaue, unergründliche Tiefe. Die bald untergehende Sonne brach sich in kupfernen Lichtblitzen auf den kleinen Wellenkämmen und tauchte die zerklüfteten Felsen in ein beinahe unwirkliches, scharlachrotes Leuchten. Jede Kante, jeder Vorsprung der Klippe schien vor Blut zu triefen.

»Das … das kann er doch nicht … tun«, hauchte Peter fassungslos und starrte zu dem Mann empor.

»Der ist doch völlig irre!« Auch Bob brachte nur ein Flüstern zustande. »Komplett verrückt.«

Der Mann trat noch einen kleinen Schritt nach vorne. Sein muskulöser Brustkorb hob und senkte sich. Eine kleine Windböe strich ihm durch die schwarzen Haare, aber der Mann schien es gar nicht wahrzunehmen. In tiefster Konzentration verharrte er über dem Abgrund, atmete ein, atmete aus, langsam, bedacht.

Auch Justus spürte ein Kribbeln im Nacken. Vor allem, wenn er sich vorstellte, er würde jetzt dort oben stehen. »Der weiß genau, was er tut.« Der Erste Detektiv hörte sich so an, als wollte er vor allem sich selbst überzeugen.

Peter atmete unwillkürlich im Rhythmus des Mannes. »Dann ist er noch irrer, als ich dachte. Man kann nicht klaren Verstandes sein und sich dann da raufstellen.«

Bob nickte nach oben. »Er tut’s. Er tut es wirklich!«

Tatsächlich breitete der Mann jetzt die Arme aus. Als würde er sich jeden Moment in den Himmel schwingen wollen, hob er die Arme und hielt sie seitlich vom Körper, die Handflächen nach unten, jede Faser seines Körpers aufs Höchste gespannt. Ein Kreuz aus Muskeln und Sehnen. Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen.

»Unfassbar!«, keuchte Peter.

Der Mann ließ sich wieder zurück auf die Fersen sinken, ging leicht in die Hocke und drückte sich kraftvoll vom Felsen ab. Wie eine Sprungfeder schnellte er in die Höhe, legte sich waagrecht in die Luft und schwebte für den Bruchteil einer Sekunde wie eingefroren über dem Abgrund.

Peter hielt den Atem an. Ein Bild schoss ihm durch den Kopf. Er saß in einer Achterbahngondel, die eben den höchsten Punkt erklommen hatte. Einen Herzschlag lang schien die Welt stillzustehen, dann raste der Wagen in die Tiefe.

Die Schwerkraft erfasste den Mann. Sein Körper kippte leicht vornüber und begann zu fallen.

»Ich mach mir gleich ins Hemd.« Peter war nur noch Augen und Mund und Bob faltete unwillkürlich die Hände.

Der Mann fiel immer schneller. Doch immer noch war sein Körper bis in den letzten Muskel gespannt, immer noch streckte er die Arme aus, als wollte er bis zuletzt daran glauben, dass er fliegen konnte. Den Rücken leicht durchgedrückt und den Kopf im Nacken, raste er auf das Wasser zu.

»Die Hände nach vorne, die Hände nach vorne«, murmelte Justus. Als wollte er es dem Mann vormachen, legte er seine Hände über Kreuz und verschränkte die Daumen.

Noch fünf Meter. Erst jetzt ging der Mann in den senkrechten Fall über. Er streckte den Rücken, nahm den Kopf zwischen die Schultern, zog den Hals ein und erhörte Justus’ Flehen. Die Arme jetzt in gerader Verlängerung des Körpers, verhakte er die Finger. Im nächsten Augenblick stieß er wie ein fleischgewordener Pfeil ins Wasser, das ihn mit einem kaum wahrnehmbaren Zischen verschluckte.

Alles schwieg und starrte reglos ins Meer. An der Stelle, wo der Mann eingetaucht war, brodelte die See für einen Moment, als Luft und Wasser in einer gurgelnden Blase an die Oberfläche stiegen. Doch von dem Mann selbst war nichts zu sehen.

»Wie tief ist es da noch mal?«, fragte Bob leise, während er mit unsteten Blicken die Wasseroberfläche absuchte.

»Über zwölf Meter angeblich.« Auch Justus hielt angespannt nach dem Mann Ausschau.

Plötzlich jagte ein spitzer Schrei über das Wasser. Die drei ??? rissen die Köpfe herum. Eine junge Frau in einem der anderen Boote deutete hektisch auf eine Stelle der Bucht. Die Jungen blickten dorthin, erkannten jedoch nichts, weil die Sonne so blendete. Erst als sie die Augen mit den Händen abschirmten, sahen sie ihn.

»Da ist er!«, rief Peter erleichtert. »Er hat es geschafft!«

Am Rand der Bucht war der Kopf des Klippenspringers aufgetaucht. Fröhlich lächelte der Mann den Zuschauern zu und streckte eine Faust als Zeichen seines Triumphes aus dem Wasser.

»Meine Herrschaften! Applaus für Roberto Cavalli!«, verkündete der Sprecher durch sein Megafon. Zusammen mit der vierköpfigen Jury saß er auf einem größeren Motorboot, das in der Mitte der Bucht vor Anker lag. »Das war ein klasse Sprung!«

»Wahnsinn!«, entfuhr es Bob, und wie alle anderen begann er frenetisch zu klatschen und zu jubeln.

»Super!«, schrie Peter und pfiff, so laut er konnte, durch die Finger.

»Äußerst bemerkenswert. Dazu gehört wirklich Mut.« Justus nickte anerkennend und applaudierte ebenfalls, während der Springer zu einer kleinen Plattform kraulte und aus dem Wasser stieg. Oben auf der Klippe machte sich zwischenzeitlich der nächste Sportler bereit.

Insgesamt hatten sich neun Klippenspringer für diesen Wettbewerb angemeldet, der hier am Rande des kleinen Dorfes Santa Clara in der Nähe von Malibu ausgetragen wurde. Vor einigen Jahren hatten Mitglieder des örtlichen Surfclubs herausgefunden, dass sich die Teufelsklippe, wie der Felsen im Volksmund genannt wurde, hervorragend für das Klippenspringen eignete. Seitdem fand hier jährlich ein Wettkampf statt, dessen Sieger sich neben einem kleinen Preisgeld das Recht sicherte, an internationalen Klippenspringen rund um den Globus teilnehmen zu dürfen.

Natürlich war Peter nicht mehr zu halten gewesen, als er im Internet darüber gelesen hatte. Als Sportass der drei ??? interessierte er sich für so ziemlich jede Art von sportlichem Wettkampf. Klippenspringen kannte er bisher nur aus dem Fernsehen und wollte es unbedingt einmal live erleben.

Bob hatte sofort begeistert zugestimmt und auch Justus war gerne mitgekommen, obwohl der Erste Detektiv sportlichen Aktivitäten im Allgemeinen nicht sonderlich viel abgewinnen konnte. Was man im Übrigen auch an den paar Pfunden zu viel erkannte, die Justus mit sich herumtrug. Doch die Entscheidung war ihm leichtgefallen, denn zu Hause auf dem Schrottplatz wartete die Arbeit in Form einer Wagenladung Elektromüll, die Onkel Titus ergattert hatte. Und den zu sichten, zu prüfen und zu katalogisieren machte noch viel weniger Spaß, als welche Sportveranstaltung auch immer zu besuchen.

Aber nach anfänglicher Skepsis zog das Klippenspringen auch Justus in seinen Bann. Die extreme Körperbeherrschung, der Mut und auch die Gefahr, die mit diesem Sport verbunden waren, übten einen ganz besonderen Reiz aus, dem sich keiner der Zuschauer entziehen konnte. Hin und her gerissen zwischen Gänsehaut-Feeling, atemloser Spannung und erleichtertem Jubeln verfolgten die drei Jungen das Spektakel bis zum Schluss. Ihrer Meinung nach hätte jedoch eher Wayne Carrick den Sieg verdient gehabt, der sogar einen Salto in seinen Sprung eingebaut hatte, und nicht Nathan Cole, der zwar kerzengerade und ohne einen Spritzer, aber eben recht unspektakulär ins Wasser eingetaucht war.

Nach dem Ende der Veranstaltung wurden alle Zuschauer um die Bucht zu einem kleinen Strand gerudert, von wo ein Pfad nach Santa Clara führte. Dort am Ortsrand befand sich der Parkplatz, auf dem auch Bobs Käfer stand.

Der Weg führte die Jungen zunächst ein steiles Stück die Küste hinauf und dann in einen lichten Wald. Sie unterhielten sich angeregt über Sprungtechniken, Springer und die Platzierungen und blieben dabei immer weiter hinter den anderen Zuschauern zurück. Auch die einsetzende Dämmerung nahmen sie kaum wahr, so sehr waren sie in ihr Gespräch vertieft.

Aber plötzlich zuckten alle drei zusammen. Ein grässlicher Schrei war durch den Wald gedrungen! Der Schrei einer Frau in Todesangst!

»Woher … woher kam das?« Bob fuhr erschrocken herum und blickte den Weg zurück, den sie genommen hatten.

»Nein, von dort!« Peter deutete aufgeregt den Hang hinauf, wo der Wald viel dichter und dunkler stand. »Der Schrei kam von dort! Ganz sicher!«

Wieder ertönte der Schrei. Lauter, näher.

»Peter hat recht. Das kommt von da oben«, bestätigte Justus. »Kommt, Kollegen!«

Die drei Jungen rannten los. Quer durch den Wald hasteten sie in die Richtung, aus der die Schreie gekommen waren. Je weiter sie in den Wald vordrangen, desto unwegsamer wurde es. Zweige schlugen ihnen ins Gesicht, sie stolperten über Wurzeln und Äste, und schließlich trat Peter in ein Fuchsloch und fiel der Länge nach hin.

»Wartet!« Justus blieb stehen und lauschte.

Schritte! Sie hörten jemand rennen! Die Geräusche kamen von rechts.

»Hallo!«, rief Bob und eilte voraus. »Hallo! Ist alles in Ordnung? Brauchen Sie Hilfe?«

»Wir sind zu dritt!« Peter tat der Fuß weh, aber er ignorierte den Schmerz.

»Oh Gott!«, hörten sie die gehetzte Stimme einer Frau. »Oh mein Gott!«

»Warten Sie! Wir sind gleich bei Ihnen!« Justus dirigierte seine Freunde. »Da rüber!«

Die Jungen schwenkten nach links. Noch sahen sie die Frau nicht, aber sie vernahmen ihre Schritte immer deutlicher. Weit konnte sie nicht mehr entfernt sein.

»Da ist sie!« Peter hatte einen Schatten zwischen zwei Baumstämmen vorbeihuschen sehen.

»Miss!« Justus scherte nach rechts aus und schnitt ihr den Weg ab. »Hier sind wir! Wir tun Ihnen nichts.«

Im nächsten Moment rannte die Frau mit einem spitzen Aufschrei in den Ersten Detektiv hinein. Justus konnte sich nicht mehr halten und fiel zu Boden. Die Frau stolperte über seine Beine und schlug ebenfalls hin. Dann waren Peter und Bob bei den beiden.

»Miss, was ist los? Werden Sie verfolgt? Können wir Ihnen helfen?«, fragte Bob und wollte der Frau beim Aufstehen behilflich sein. Sie war noch sehr jung und recht hübsch. Doch im Augenblick verzerrte panische Angst ihre Züge.

Die Frau klammerte sich an Bobs Arm fest und zog sich keuchend hoch. »Monster!«, stammelte sie und deutete den Hügel hinauf. »Da oben ist ein Monster! Macht, dass ihr von hier wegkommt! Schnell!« Ein vor Furcht flackernder Blick traf Bob. Dann stieß ihn die Frau zur Seite und rannte weiter.

In den Klauen des Drachen

»Warten Sie!«, rief Bob. »So bleiben Sie doch stehen!« Der dritte Detektiv machte Anstalten, der verstörten Frau hinterherzulaufen, doch Justus hielt ihn zurück.

»Lass gut sein, Dritter. Sie wird gleich den Weg finden und auf andere Menschen treffen. Ich glaube nicht, dass sie weitere Hilfe benötigt. Sie war nur zu Tode erschrocken und wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden.«

Peter sah weder der Frau hinterher noch hörte er seinen Freunden zu. Sein Blick war hangaufwärts gerichtet. Geheimnisvoll und bedrohlich lag der Wald in der schwindenden Dämmerung. Kein Geräusch war zu hören.

»Hab ihr das gehört?«, fragte der Zweite Detektiv tonlos. »Monster. Sie hat was von einem Monster gesagt.«

»Ja, in der Tat«, erwiderte Justus. »Eine äußerst interessante Bemerkung, der wir unbedingt auf den Grund gehen sollten.«

Peter drehte sich langsam um. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee? Ich meine, es wird bald dunkel, wir haben … keine Taschenlampen dabei«, er stockte, »wir … kennen uns hier überhaupt nicht aus und überhaupt …« Peter warf Bob einen inständigen Blick zu. »Sag du doch auch mal was!«

Der dritte Detektiv verbarg mit Mühe ein Schmunzeln. Dass Peters Nervenkostüm nicht das stabilste war, wurde nicht zum ersten Mal offenbar. Schon oft, wenn ihnen in ihren Fällen vermeintlich Übernatürliches oder Gruseliges begegnet war, hatte er mit Fracksausen zu kämpfen gehabt.

»Komm schon, Zweiter«, sagte Bob beruhigend. »Wahrscheinlich war die Frau einfach ein bisschen überdreht oder hat eine lebhafte Fantasie. Sicher hat sie sich nur über ein Schattenspiel oder einen knorrigen Baum erschrocken.«

Peter schien nicht überzeugt. »Ein knorriger Baum, der wie ein Monster aussieht? So mit Klauen, Riesenzähnen und einem Schuppenpanzer?«

»Ja, so was. Da ist nichts, du wirst sehen.«

Peter lächelte säuerlich. »Und warum sehen wir dann nach, wenn da gar nichts ist?«

Justus grinste. »Weil wir, wenn wir Glück haben, vielleicht doch mal auf ein echtes Monster treffen.« Lachend lief der Erste Detektiv los und Bob folgte ihm.

»Das ist nicht lustig!«, rief ihm Peter hinterher. »Nicht lustig!« Dann setzte auch er sich in Bewegung.

Der Wald wurde immer dichter. Zu den hohen Laubbäumen gesellte sich mehr und mehr Nadelgehölz, dornige Büsche und Dickicht erschwerten ihnen zudem das Vorankommen. Einen Weg entdeckten sie nirgends. Der Wald schien völlig unberührt, fast urtümlich. Erschwerend kam hinzu, dass das Tageslicht immer mehr schwand. Außerhalb des Waldes mochte man um diese Zeit noch halbwegs gut sehen können, aber hier drin blieb von der Dämmerung nur noch diffuses, gräuliches Licht übrig.

Peters ungute Gefühle wurden mit jedem Schritt größer. Dieser Wald war kein gewöhnlicher, irgendetwas stimmte hier nicht, da war er sich sicher. Die Monster in seinem Kopf nahmen immer deutlichere Gestalt an, zumal sie auf nichts stießen, was die Panik der Frau erklärt hätte. Kein Felsen, kein Baum, auch kein Tier. Hatte die Frau am Ende doch gesehen, was sie gesehen hatte?

»Da, Kollegen! Seht ihr das?«, rief Bob plötzlich.

Peter zuckte zusammen. »Was?«

»Da vorne, hinter diesen Büschen. Ist das ein Zaun?«

Justus sah genauer hin. »Ja, du hast recht. Ein sehr massiver und hoher Zaun sogar.«

»Wer hier draußen so völlig abgeschieden wohnt, hat sicher seine guten Gründe«, unkte Peter.

»Vielleicht sind wir schon in der Nähe von Santa Clara«, überlegte Justus. »Es könnte sein, dass der Wald dort vorne aufhört und wir auf die ersten Anwesen am Ortsrand stoßen.«

»Na hoffentlich«, sagte Peter. Je näher ein Ort, desto unwahrscheinlicher ein Monster.

»Ich weiß nicht«, zerstörte Bob sogleich diese Hoffnung. »Das sieht mir doch noch ziemlich nach Wald aus dahinten. Ich habe viel eher den Eindruck, dass sich hier jemand sein Haus mitten ins Nirgendwo gebaut hat.«

»Sehen wir’s uns an.« Justus lief in die Büsche und hielt auf den Zaun zu.

Wenig später standen sie vor einem imposanten Wall aus gusseisernen Speeren. Schwarz und mächtig bildeten sie einen Zaun, der mindestens drei Meter hoch war und oben in geschmiedeten Spitzen auslief. In regelmäßigen Abständen standen massive Mauerpfeiler, in denen die Zaunabschnitte verankert waren. Ein Gebäude oder ein Eingang war nicht zu entdecken.

»Da will jemand auf keinen Fall Besuch, würde ich sagen.« Peter sah an den Eisenstäben hinauf.

Justus nickte. »Aber als Nirgendwo würde ich den Ort hier trotzdem nicht bezeichnen. Hört ihr das?«

Peter und Bob lauschten.

»Das Meer!«, erkannte Bob. »Ich höre das Meer!«

»Offenbar sind wir einen Halbkreis gelaufen, denn wir sind nicht allzu weit von der Küste entfernt«, bestätigte der Erste Detektiv. »Und es würde mich nicht wundern, wenn das Grundstück irgendwo da vorne«, er deutete nach links, wo der Zaun in gerader Linie weiterlief, »ans Wasser grenzt. Hier wohnt jemand, der seine Ruhe haben will und genügend Geld für solch ein riesiges Anwesen am Meer hat.«

»Ein Multimillionär?« Peter sah seine Freunde fragend an. »Vielleicht ein Filmstar? Oder ein Musiker?«

Justus zögerte und sagte dann nachdenklich: »Oder ein sehr reiches Monster.«

»Ich lach mich tot.« Peter lächelte gekünstelt.

Justus lachte und klopfte ihm auf die Schulter. »Komm schon. Sehen wir uns ein wenig um.«

Die drei Jungen entschieden sich, nicht zurück zum Meer zu gehen, sondern den Zaun in der anderen Richtung zu verfolgen. Dort würden sie vermutlich eher auf den Eingang zu dem Anwesen stoßen. Hintereinander liefen sie an der beeindruckenden Einfriedung entlang und warfen dabei immer wieder neugierige Blicke auf das Grundstück. Doch eine dichte Hecke aus Liguster und Kirschlorbeer gleich hinter dem Zaun verhinderte, dass sie etwas erkennen konnten. Nur hin und wieder wies die Hecke eine kleine Lücke auf, aber selbst dann konnten die Jungen nur seltsame Büsche und verkrüppelte Bäume, einen kleinen, zugewachsenen See und ein Areal erspähen, das aussah wie ein riesiger Sandkasten. Von Weitem glaubten sie auch einen Turm oder vielmehr eine Turmruine ausmachen zu können, doch von einem bewohnten Gebäude war nichts zu sehen.

Auf einmal blieb Peter stehen. »Wartet!« Völlig bewegungslos verharrte er und lauschte.

»Was ist?« Bob drehte sich um.

»Habt ihr das gehört?« Peter deutete in Richtung Zaun.

»Was denn?«

»Da hat was … geknurrt.«

Justus versuchte durch die Hecke zu sehen. »Ein Hund?«

»Nein, das hat viel tiefer geklungen. Eher … wie ein leises Donnern.«

Der Erste Detektiv schüttelte den Kopf. »Ich höre nichts.«

Bob zuckte die Schultern. »Ich auch nicht.«

Peter sah seine Freunde beunruhigt an. »Aber da war was. Ganz sicher.«

Der Zaun beschrieb einen weiten Bogen landeinwärts. Wie eine Wand zog er sich durch den Wald, lückenlos und monoton. Die Jungen überlegten schon, ob sie nicht doch besser Richtung Meer laufen sollten, als sie endlich vor dem Eingangstor standen.

»Wow!« Peter legte den Kopf in den Nacken und sah sich suchend um. »Dagegen ist das Tor zu eurem Schrottplatz eine Hühnerklappe.«

Justus nickte. »Imposant.«

Zwei mächtige, nach oben rund zulaufende Flügel aus reich verzierten Eisenstäben bildeten ein Portal, das mindestens vier Meter hoch und sechs Meter breit war. Über das Tor spannte sich ein schwerer Steinbogen, der nach unten und zu den Seiten in eine mächtige Mauer überging. Überall in der Mauer fanden sich behauene Ornamente in Form von fantastischen Pflanzenmotiven, Tierfratzen und Antlitze von Wesen, die irgendeinem sehr düsteren Märchenbuch entsprungen schienen. In der zunehmenden Dunkelheit wirkten manche der Gesichter geradezu Furcht einflößend lebendig.

»Keine Klingel, kein Namensschild«, stellte Justus fest.

»Und wo steckt der Postbote die Briefe rein?« Der Zweite Detektiv musterte einige der Steinmetzarbeiten. »Vielleicht ins Maul von diesem Gnom da. Oder dem Troll unter den Arm.« Er zeigte auf zwei große Spalten an den Figuren. Aber reinfassen würde er da auf keinen Fall.

Bob ging ganz nahe an das Tor heran. »Kollegen, seht mal. Ist das dahinten ein Haus? Ich kann schon fast nichts mehr erkennen.« Er umfasste die Stäbe mit beiden Händen und schob seinen Kopf so weit wie möglich nach vorne.

Justus kam näher. »Die Konturen sehen zumindest recht regelmäßig aus, wenn du dieses große Gebilde dahinten meinst.«