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Schlucht der Dämonen

erzählt von Marco Sonnleitner

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

 

 

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© 2003, 2005, 2011, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

 

Based on characters by Robert Arthur.

 

ISBN 978-3-440-12781-0

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Der schwarze Teufel

Der Stier donnerte direkt auf Peter zu. Der Sand explodierte förmlich unter seinen Hufen und quoll in zerrissenen Wolken um den dampfenden, kraftstrotzenden Körper. In den Augen des vor Wut kochenden Tieres flackerte der nackte Irrsinn.

Peter wankte voller Entsetzen einen Schritt zurück und wirbelte dann panisch herum, um zu flüchten. Aber weit kam er nicht. Die Männer hinter ihm hatten sich zu einer undurchdringlichen Wand aufgebaut und grinsten belustigt auf ihn herab. Keiner von ihnen machte die geringsten Anstalten, auch nur einen Zentimeter zur Seite zu gehen.

Hinter ihm ließ ein wildes Brüllen die Luft erzittern, und Peter schoss mit schreckgeweiteten Augen wieder herum. Das Untier war nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Schon glaubte er, den stinkenden Atem der Bestie riechen zu können, schon war es ihm, als würde ihr heißer Schweiß auf seiner Haut verdampfen, als die Welt um ihn herum in einem Inferno aus Staub, ohrenzerreißendem Donnern und dutzenden von Schreien versank.

Sekundenlang passierte gar nichts. Die dichten Staubwolken verschluckten jeden Laut und jedes Bild. Schreie, Rumpeln, ächzendes Holz, Keuchen, die Schemen von Menschen, eine graue Wand – alles drang nur noch wie durch Watte zu Peter hindurch, der wie erstarrt auf den Schmerz wartete.

Plötzlich legte sich ihm eine schwere Hand auf die Schulter: »Peter?«

»J-ja?«, stotterte der Zweite Detektiv überrascht. Wo blieb der Schmerz?

»Alles klar bei dir?«

»Äh, wie? Äh, ja, ich … ich glaube schon.«

»War ’n heftiger Rums, nich’ wahr?«

Langsam lichteten sich die Wolken um Peter, und plötzlich tauchte zwischen den letzten Staubschleiern wie bei einem Gespenst ohne Körper ein Gesicht auf. Es war das von Mr Madigan, und ein erstauntes Lächeln darin unterstrich seine letzte Frage, während sich allmählich der Rest von ihm aus den wabernden Fahnen aus Schmutz und Staub schälte.

»Das kann man wohl sagen!«, schnaufte Peter aufgeregt, der langsam realisierte, was passiert war. Hustend klopfte er sich den Sand aus den Kleidern. »Ich war mir hundertprozentig sicher, dass das Biest die Barriere durchbrechen würde!«

Die anderen, fremden Männer, die Peters Panikattacke miterlebt hatten, lachten. Sie waren im Gegensatz zu ihm schon viel öfter bei einer Pferdeshow dabei gewesen und wussten daher, dass es beim Cutting mitunter recht wüst zugehen konnte.

»Nein, nein!«, schüttelte Mr Madigan beruhigend den Kopf. »Die Einfassung hält das sicher aus. Aber der Reiter muss beim Cutting das Rind eben vom Rest der Herde absondern, und da kann in so einer engen Arena schon mal der Platz ausgehen.«

Noch immer etwas benommen setzte sich Peter wieder hin und blickte hinunter in das sandige Viereck, wo sich der Stier endlich dem Reiter und seinem geschulten Pferd ergeben hatte. Schnaubend und mit den Hufen scharrend blieb er in einer Ecke stehen. Der andere Teil der kleinen Herde folgte derweil unruhig dem Spektakel und drängte sich dabei ängstlich zusammen. Plötzlich ertönte von irgendwoher ein Gong, worauf der Cowboy seinen Hut vom Kopf nahm und mit einem breiten Lachen ins Publikum grüßte, das ihm begeistert zujubelte.

Peter beobachtete, wie das einzelne Rind von dem Reiter nun wieder zu seinen Artgenossen durchgelassen wurde. Während einige Cowboys danach die Herde durch ein weites Gatter nach draußen trieben, verkündete der Sprecher der Show mit euphorischer Stimme: »Johnny Hayden belegt mit dieser Leistung den dritten Platz. Das war eine reife Leistung, Johnny! Dreiundsiebzig Punkte!«

Wieder applaudierte die Menge und Johnny Hayden verabschiedete sich hutschwenkend durch ein weiteres Gatter in die Boxenanlage.

»Jetzt, meine Damen und Herren, kommen wir zum Reining-Wettbewerb!«, dröhnte es wieder aus den überdimensionalen Lautsprechern, die von der Decke der großen Halle herabhingen. »Begrüßen Sie mit mir als Erstes aus Wichita, Kansas: Rob Derenger auf Sweetheart! Applaus für Rob!«

»Find ich übrigens wirklich toll von dir, dass du trotzdem mitgekommen bist.« Mr Madigan, der Vater von Peters Freundin Kelly, warf Peter einen anerkennenden Blick zu.

»Na ja«, antwortete Peter, »Sie hatten ja die Karten schon besorgt, und dass Kelly krank würde, konnte ja niemand wissen. Außerdem wollte ich so eine Pferdeshow schon immer mal sehen.«

»Ist doch fantastisch hier, nicht wahr?«

Mr Madigan war ein ausgemachter Pferde- und Westernnarr, und als sich die ›International Horse Show‹ auf ihrem Weg durch die Staaten für Ventura, einer kleinen Stadt westlich von Rocky Beach, angekündigt hatte, hatte er sofort für sich, Kelly und Peter drei Karten besorgt. So einen Event durfte er sich einfach nicht entgehen lassen!

Peter und Kelly waren auch sofort von dieser Idee begeistert gewesen, zumal beide große Tierfreunde waren. Aber Kelly hatte kurz vor der Show eine böse Erkältung bekommen und musste zu Hause im Bett bleiben, während Peter als Nächstes mit offenem Mund Spins, Roll-backs und rasante Sliding Stops bestaunen konnte.

Gerade diese letzte Prüfung hatte es Peter angetan. Die Reiter jagten hierzu auf ihren eigens dafür trainierten Pferden zunächst in einem rasanten Tempo durch die Arena, bevor das Pferd auf ein unsichtbares Kommando hin auf allen vieren bremste und schlitternd durch den Sand rutschte, bis es schließlich zum Stillstand kam. Gewonnen hatte das Pferd, das die harmonischste und kraftvollste Rutschpartie hinlegte, die manchmal bis zu zehn Meter und mehr lang sein konnte. Man ritt bei diesem Wettbewerb hauptsächlich so genannte Quarterhorses, die deswegen so hießen, weil sie auf der Viertelmeile die schnellsten aller Pferde waren und vor dem Sliding Stop daher am meisten Tempo machen konnten.

»Einundzwanzig Fuß für Rob auf Sweetheart! Alle Achtung!«, plärrte der Hallensprecher, als das erste Pferd in einer dichten Staubwolke zum Stehen gekommen war. »Einen donnernden Applaus für Rob Derenger!«

Peter schob sich schnell ein wenig Popcorn in den Mund, das ihm Mr Madigan in einem riesigen, blau-rot-weißen Eimer hinhielt, und klatschte dann begeistert in die Hände. Er konnte es kaum fassen, zu welchen Leistungen diese Pferde fähig waren.

»Warte erst mal, bis das Bull-Riding dran ist«, raunte ihm Mr Madigan da zu, während der nächste Wettbewerber in die Arena ritt. »Da geht es dann richtig zur Sache! Und ein Freund von mir ist auch dabei.«

»Ein Freund von Ihnen?«, fragte Peter nach.

»Hm«, nickte Madigan und genehmigte sich auch ein paar Popcornkrümel. »Ewan Donovan! Bin mit ihm zur Schule gegangen, hab ihn aber schon lange nicht mehr gesehen. Er wohnt jetzt irgendwo bei Las Vegas und tourt das ganze Jahr mit seinem Pferdetross durch die Staaten.«

»Weiß er, dass Sie hier sind?«, wollte Peter wissen, während seine Augen gebannt auf das Pferd starrten, das unten in der Arena durch den Sand fegte.

»Ja«, erwiderte Kellys Vater, »ich hab ihn vor ein paar Tagen angerufen. Hat sich riesig gefreut und meinte, dass wir nach der Show doch mal zu ihm ins Reiterlager kommen sollen. Er würde uns dann seine Pferde zeigen und so.«

»Wirklich?«, freute sich Peter. »Wir können da mal hinter die Kulissen blicken?«

Mr Madigan grinste ihm gut gelaunt zu und deutete auf die Arena. Dort passierte gerade, was manchmal beim Sliding Stop vorkam. Das Pferd rutschte nicht in einem Stück durch den Sand, sondern verkantete mit den Hufen, kam ins Stolpern und bremste daher äußerst holprig und hart ab. Der Reiter konnte sich nur mit äußerster Mühe noch im Sattel halten.

»Meine Güte, das war ja mal ’ne Bruchlandung!«, spottete der Ansager und das Publikum lachte. »Kopf hoch, Jab! Das nächste Mal klappt’s sicher besser!« Die Zuschauer klatschten zwar aufmunternd, aber der glücklose Cowboy trabte dennoch mit hängendem Kopf durch das Gatter aus der Arena.

Vier weitere Reiter ließen ihre Pferde noch durch den Sand rutschen, und schließlich stand ein gewisser Jack Osborn aus Tucson, Arizona, als Sieger im Reining fest. Es folgten ein paar Minuten Pause, in denen einiges in der Arena umgebaut wurde, doch dann war es endlich so weit. Der Höhepunkt der Show stand an, das Bull-Riding!

Die Cowboys mussten sich bei diesem Wettbewerb acht Sekunden auf dem Rücken eines riesigen, wilden Brahmanbullen halten, wobei sie sich nur mit einer Hand an einem Seil festklammern durften, das dem Tier um die Brust gebunden war. Nach diesen unendlich langen acht Sekunden konnten sie dann abspringen, wobei für die Bewertung des Reiters auch noch seine Haltung während des brutalen Ritts zählte. Aber die Bullen gebärdeten sich fast immer so rasend, nachdem man sie aus der engen Box hinaus in die Arena gelassen hatte, dass die meisten Cowboys bereits nach wenigen Augenblicken in hohem Bogen durch die Luft segelten und in den Staub flogen.

Aber dann wurde es eigentlich erst richtig gefährlich. Die bockenden Bullen gingen nämlich in ihrer Wut auf alles los, was sie mit ihren Hörnern aufspießen konnten, und schon mancher Cowboy, der noch halbwegs unverletzt im Sand gelandet war, fand sich nach so einem Angriff in der Notaufnahme wieder, wo man ihn notdürftig wieder zusammenflicken musste. Die so genannten Rodeoclowns sollten daher die tobenden Bestien von den abgeworfenen Cowboys ablenken, aber das gelang ihnen leider nicht immer.

»Ich kann nur hoffen, dass sie Ewan nicht Black Devil zuteilen«, meinte Madigan mit einem besorgten Blick in das Programmheft. In der nächsten Sekunde schoss schon der erste Kandidat aus der Box.

Ein gefleckter Koloss von Bulle, der vor Wut geradezu schäumte, sprang um sich schlagend durch die Arena und schleuderte den Cowboy, der hinter seinem mächtigen Nacken wie ein Gummiball auf und ab hüpfte, innerhalb von zwei Sekunden in den Staub. Sofort drehte sich das Riesenvieh um und raste unter den entsetzten Aufschreien der Zuschauer auf den am Boden liegenden Mann zu. Aber der erfahrene Cowboy konnte sich gerade noch rechtzeitig hinter eine der vielen Absperrungen retten, die am Rand der Arena aufgestellt waren und in die der Bulle nun mit voller Wucht hineindonnerte.

»Wahnsinn!«, hauchte Peter und krallte seine Finger in die Jacke auf seinem Schoß. »Einfach Wahnsinn!« Dann kam ihm allerdings zu Bewusstsein, dass Madigan ja gerade etwas zu ihm gesagt hatte.

»Entschuldigen Sie, was haben Sie gerade gesagt? Ich war so auf diesen Horror da unten konzentriert, dass ich Ihnen gar nicht zugehört habe.«

»Hier!«, tippte Madigan auf das Programmheft. »Nach dem, was hier steht, war dieser Bulle da unten geradezu ein Lämmchen im Vergleich zu einem anderen mit dem viel sagenden Namen Black Devil. Der soll nämlich bei etlichen anderen Shows schon dutzende von Cowboys abgeworfen und einige von ihnen schwer verletzt haben. Bisher, so heißt es hier, ist es noch keinem gelungen, sich länger als drei Sekunden auf ihm zu halten. Er muss ein wahres Monster sein! Und ich meinte vorhin, dass ich nicht hoffe, dass Ewan gerade ihn zugeteilt bekommt.«

Mit einem nervösen Kribbeln im Bauch betrachtete Peter das Bild eines pechschwarzen Brahmanbullen, dem die Bösartigkeit geradezu aus den funkelnden Augen zu springen schien. Er verstand recht gut, warum Madigan hoffte, dass sein Freund nicht auf diesem Ungeheuer reiten musste, und er fragte sich, wie verrückt man überhaupt sein musste, um sich freiwillig auf solch eine Bestie zu wagen.

Aber Madigans Wünsche verhallten ungehört, denn als dritten Reiter kündigte der Sprecher Ewan Donovan aus Las Vegas, Nevada, an, und als das schwere Eisengatter mit einem lauten Knall zur Seite flog, ging ein ängstliches Raunen durch die Zuschauermenge. Dort unten raste die leibhaftige Wut in die Arena, ein pechschwarzer Brahmanbulle, den jeder hier zu kennen schien – der schwarze Teufel!

»Oh mein Gott!«, brachte Madigan noch stöhnend hervor, und dann ging alles sehr schnell.

Nach einer blitzschnellen Wendung um 180 Grad, die man diesem gewaltigen Tier so gar nicht zugetraut hätte, schleuderte der Bulle sein monströses Hinterteil in die Luft und drehte es dabei auch noch nach links. Der Cowboy auf ihm hatte keine Chance. Man sah nur noch einen rot-blauen Fleck durch die Luft wirbeln, der dann nach einer halben Ewigkeit als ein Mann in rotem Hemd und blauer Jeans hart auf den Boden aufschlug.

Wieselflink rappelte er sich allerdings wieder auf und suchte fieberhaft nach der nächsten Absperrung. Dort! Etwa fünf Meter von ihm entfernt war die rettende Bretterwand.

Aber Black Devil wäre nicht Black Devil gewesen, wenn er nicht scheinbar geahnt hätte, was Donovan vorhatte. Mit donnernden Hufen jagte er auf den immer noch im Sand knienden Cowboy zu und senkte den massigen Kopf mit den mächtigen Hörnern. Zwei Rodeoclowns stellten sich ihm schreiend und mit roten Tüchern wedelnd in den Weg, doch der Bulle ignorierte sie. Er wollte Donovan, er wollte dieses Menschlein, das die Frechheit besessen hatte, ihn reiten zu wollen!

Unter dem panischen Schreien der Zuschauer stürzten sich die Rodeoclowns im letzten Moment zur Seite. Der schwarze Bulle fegte schnaubend an ihnen vorbei, stieß noch ein unwirkliches, dumpfes Grollen aus und schoss dann auf Ewan Donovan zu.

Peter schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. Er konnte und wollte nicht mit anschauen, was da unten in der Arena gleich passieren würde.

Eine Dame kommt abhanden

»Ja!«, schrie Madigan im nächsten Moment auf. »Ja! Ja!«

Peter sah aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber, hielt aber die Hände weiterhin so vors Gesicht, dass er die Arena nicht sehen konnte. »Was ist? Was ist los?«, keuchte er ängstlich.

»Sie haben ihn!«, rief Kellys Vater aufgeregt. »Ewan! Er ist außer Gefahr!«

Peter drehte den Kopf nach links und linste durch seine Finger. Dabei konnte er gerade noch erkennen, wie drei Clowns Ewan Donovan hinter eine Absperrung zerrten. Black Devil raste zwar noch auf die Gruppe zu, blieb aber dann unvermittelt stehen, als er merkte, dass er die Menschen nicht mehr erreichen würde.

»Was ist passiert?«, fragte Peter überrascht und nahm die Hände vollends vom Gesicht. »Wieso ist Ewan nicht … ich meine, wie konnte er sich retten?«

Madigan deutete aufgewühlt auf einen der drei Clowns. Er hatte einen großen Schlapphut auf dem Kopf und steckte in einer viel zu weiten, roten Hose. »Der Clown da hat ihm vermutlich das Leben gerettet«, stieß er immer noch atemlos vor Anspannung hervor. »Kurz bevor Black Devil Ewan auf die Hörner nehmen konnte, flog er plötzlich von der Seite heran, rammte Ewan und stürzte mit ihm zusammen in den Sand. Der Bulle schrammte nur um Haaresbreite an den beiden vorbei. Und dann haben sie ihn schnell hinter die Absperrung geschleift.«

»Und Ihrem Freund ist nichts passiert?«, erkundigte sich Peter besorgt.

»Das werden wir gleich feststellen. Komm mit!«, forderte ihn Madigan auf und erhob sich von seinem Sitzplatz.

Kellys Vater lotste Peter zunächst auf einer schmalen Betontreppe zwischen den Sitzreihen die ansteigenden Tribünen hinauf und verließ den Zuschauerbereich dann durch einen gekennzeichneten Ausgang. Von dort führten einige Stufen hinunter in eine schlauchartige Halle, die sich unter den Tribünen um die ganze Arena herumzog. Man konnte dort allen möglichen Schnickschnack rund ums Westernreiten sowie Getränke und etliche Snacks erstehen.

Mr Madigan ließ die Verkaufsstände jedoch unbeachtet links liegen, obwohl er unter anderen Umständen schon an dem einen oder anderen Souvenir Interesse gehabt hätte. Aber diesmal lief er unbeirrbar fast um die halbe Arena herum und blieb schließlich vor einem großen roten Tor stehen, vor dem zwei Security-Leute postiert waren.

»Wir wollen zu Ewan Donovan, er ist ein Freund von mir«, erklärte ihnen Madigan und deutete auffordernd auf das Tor.

Der größere der beiden Wachleute zog gelangweilt die Augenbrauen hoch und musterte Madigan eingehend. Dann fischte er ein kleines Buch aus seiner Brusttasche und fing an, drin zu blättern.

»Name?«, blaffte er kurz angebunden.

»Äh, Madigan, Steven Madigan«, antwortete Kellys Vater.

»Madigan, Madigan, Madigan«, murmelte der Wachmann und überflog die Seiten seines Büchleins. »Ah ja, hier. Steven Madigan. Ist o.k., Ewan hat Sie angemeldet, Sie können durch.« Darauf öffnete er einen Flügel des Tores und Madigan und Peter schlüpften hindurch.

Hinter dem Tor empfing die beiden in einem mit riesigen Zeltplanen überdachten und hoch eingezäunten Areal ein Geruch aus Sägespänen, Pferdeäpfeln und Schweiß. Hektisch liefen Cowboys, Tierpfleger und Veranstaltungspersonal durch die Gegend, und es dauerte eine geraume Zeit, bis Madigan sich zum Wohnwagen von Ewan Donovan durchgefragt hatte.

Schließlich standen sie vor einem wahren Ungetüm von Wohnanhänger, und Peter musste unwillkürlich an die Enge im Hauptquartier der drei ??? denken, einem ausrangierten, alten Campingwagen auf dem Hof des Gebrauchtwarencenters von Justus’ Onkel Titus Jonas. Dann klopfte Kellys Vater sachte an die Türe.

»Ja? Wer, zum Henker, ist da?«, dröhnte es unfreundlich aus dem Inneren. »Ich bin fix und fertig und brauche meine Ruhe! Was ist denn los?«

Im nächsten Augenblick wurde die Türe aufgerissen, und Peter erkannte sofort denselben Mann, den er noch vor wenigen Minuten durch die Luft hatte segeln sehen. Ewan Donovan hatte offenbar noch nicht einmal Zeit gehabt, seine verstaubten, sandverkrusteten Sachen auszuziehen. Zornig funkelte er die beiden ungelegenen Besucher aus seinem dreckverschmierten Gesicht an und wischte sich die schweißverklebten, braunen Haare aus der Stirn.

»Ewan?«

»Ja, der bin ich!«, blaffte der Cowboy.

»Ich bin’s, Steven, Steven Madigan!«

»Ste–!« Donovan verschlug es kurzzeitig die Sprache. »Steven Madigan! Steven!«

Schlagartig hellte sich das gerade noch so düstere Gesicht auf, und in der nächsten Sekunde blitzten Peter und Mr Madigan zwei strahlende, blaue Augen entgegen. Mit einem breiten Lachen winkte Ewan Donovan sie in seinen Wohnwagen herein.

»Steven, du alter Kameltreiber! Hast du’s doch geschafft, hierher zu kommen! Mann, wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen?«

Ein freundschaftlicher, aber heftiger Schlag auf den Rücken ließ Kellys Vater kurz stolpern, bevor er antworten konnte: »Zwanzig, nein, zweiundzwanzig Jahre, glaub ich.«

»Und das hier ist dein Stammhalter, hä? Strammer Bursche!«

Auch Peters Schulterblätter bekamen die Pranke des Cowboys deutlich zu spüren, als er in den Wohnwagen stieg.

»Nein, nein, das ist Peter, Peter Shaw, der Freund meiner Tochter Kelly«, erwiderte Madigan.

»Ah, verstehe, Männerausflug!«, grinste der Rodeostar verschwörerisch.

In dem Wohnwagen sah es ziemlich chaotisch aus. Obwohl er innen geräumiger war als so manche Wohnung, hatte man doch das Gefühl, das Ewan Donovan diesen Platz auch unbedingt brauchte. Alles mögliche Pferdezubehör von übergroßen Mineralfuttersäcken bis zu gewaltigen Westernsätteln lag herum, Kleidung stapelte sich auf irgendwelchen Erhebungen, die wohl Stühle oder Sessel verbargen, und dazu fanden sich überall Dinge, die Ewan Donovans Interesse für alles, was mit Indianern zu tun hatte, überdeutlich verrieten.

Bilder von düster dreinblickenden Häuptlingen hingen an den Wänden, Bücher über Indianer quollen aus den Regalen, hier lag ein alter Tomahawk, dort ein Federschmuck, auf einem Tisch befand sich eine Art Friedenspfeife – kurz, Peter fühlte sich bei all diesen Sachen in ein unaufgeräumtes Museum für indianische Kultur versetzt.

»Na, dann setzt euch mal. ’n Bier?«

Donovan schob Peter und Kellys Vater auf eine gewaltige Sitzecke, die Peter halb so groß vorkam wie das ganze Wohnzimmer bei ihm zu Hause, und ging zum Kühlschrank.