Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 - 24. Dezember 2009)
Unser gesamtes lieferbares Programm und viele
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© 2008, 2009, 2011 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten.
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on Characters by Rober Arthur.
ISBN 978-3-440-12902-9
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Der Mann schien wie gelähmt von dem grauenvollen Anblick, der sich ihm bot: Die kleine Brücke hob sich nur undeutlich von dem düsteren Waldrand ab, über den schemenhafte Nebelfetzen wie ein Heer gestaltloser Geister wehten. Zwar rannte die junge Frau, so schnell sie konnte, doch die Ungeheuer, die aus dem Wald gestürmt kamen, waren ihr dicht auf den Fersen: drei feueräugige Werwölfe, denen das Blut von den blitzenden Fängen troff. Das Gesicht verzerrt vor panischer Angst, jagte die Frau über die froststarre Wiese auf die kleine Brücke zu, hinter der sich die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne wie geschmolzenes Gold über den Boden ergossen. Dorthin musste sie es schaffen! Dort wäre sie gerettet! Doch die drei Monster hatten sie fast erreicht …
Langsam hob der Mann die Augenbrauen, und ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen. ›Die Rache der Blutwölfe‹, las er mit gespieltem Entsetzen den Titel des Videos, der nachtschwarz über dem gruseligen Coverbild prangte. »Jungs, ihr solltet euch nicht so einen Käse reinziehen, wirklich. Lest lieber ein paar anständige Krimis, da habt ihr mehr davon!« Kopfschüttelnd gab er Justus den Film zurück. Er hatte ihn wahllos aus dem Haufen Videokassetten gezogen, die verstreut auf dem Boden des Postamtes lagen.
»Vielen Dank.« Justus nahm das Video an sich. Er wusste, dass er rot geworden war. »Aber das hier sind nicht unsere Videofilme.«
»Nein, natürlich nicht!«, erwiderte der Mann todernst.
»Nein, sind sie auch nicht. Die gehören seiner Tante«, sagte Peter trotzig ohne aufzusehen und klaubte weiter die heruntergefallenen Kassetten zusammen.
»Seiner Tante?« Jetzt brach der Mann in schallendes Gelächter aus. »Oh Jungs, das mit den Ausreden müsst ihr aber wirklich noch üben.« Grinsend wandte er sich ab und verließ das Postamt.
»Toll!«, knurrte Peter. »Spart Tante Mathilda neuerdings an Paketpapier, oder warum hat sie das Zeug nicht besser verpackt? Wir machen uns hier drin völlig zum Affen. Alle starren uns an!«
»Ich kann auch nichts dafür«, verteidigte sich Justus. Ihm war die Sache mindestens genauso peinlich wie seinem Freund. Mitten in der Schalterhalle war der Boden des großen Pakets, das sie für seine Tante aufgeben sollten, einfach durchgerissen, und der ganze Inhalt hatte sich mit lautem Geklapper auf dem Boden verteilt. »Seien wir froh, dass uns das hier in Los Angeles und nicht in Rocky Beach passiert ist. Hier kennt uns wenigstens keiner.«
»Was verschickt sie da eigentlich für Krempel? Und an wen? Wieso?« Peter hielt Justus eine Kassette vor die Nase, auf der ein grünes Schleimmonster den Rachen aufriss. ›Das grüne Grauen‹! Mannomann!«
»Du kennst sie doch.« Justus musste sich jetzt ganz flach auf den Boden legen, um eine Videokassette unter einem Regal hervorzufischen. »Sie liebt eben Horrorfilme aller Art. Und in der Zeitung hat sie von einem Tauschforum gelesen. Jetzt verschickt sie einige ihrer Videos und bekommt dafür welche, die sie noch nicht kennt.«
»Gibt es solche überhaupt?« Peter stand mit einem Arm voller Kassetten auf und vermied es dabei, sich umzusehen. Sicher waren immer noch alle Augen auf sie gerichtet.
»Hab sie!« Justus kroch unter dem Regal hervor und erhob sich ebenfalls. »Jetzt müssen wir nur noch irgendwo Paketpapier herbekommen und die Videos neu verpacken.«
»Entschuldige bitte?« Eine weiche Stimme hinter Peters Rücken.
Der Zweite Detektiv verdrehte die Augen und wandte sich genervt um. »Nein, das sind nicht unsere –« Mitten im Satz hielt er verblüfft inne. Er blickte in das schönste Paar grüner Augen, das er je gesehen hatte. Dazu kurze, rotbraune Haare, ein leicht gebräuntes, ebenmäßiges Gesicht. Makellos. »… Ha-Ha-Hallo!«, brachte Peter gerade noch heraus.
Das Mädchen, das etwa in seinem Alter war, lächelte ihn an. Auch das bezaubernd. »Könntest du mir vielleicht helfen? Ich komme mit euren Briefmarken nicht klar.«
»Aber … sicher.« Peter war immer noch etwas benommen vom Liebreiz des Mädchens.
»Die klebt nicht auf dem Kuvert.« Das Mädchen streckte ihm eine Briefmarke hin. »Ich habe sie schon ein Dutzend Mal abgeleckt, aber die hält irgendwie nicht.«
Erst jetzt gewann der Zweite Detektiv die Gelassenheit zurück, die er normalerweise im Umgang mit hübschen Mädchen an den Tag legte. »Du bist nicht von hier, oder?«
»Nein, ich mache hier nur Urlaub. Ich komme aus Deutschland.«
»Dafür sprichst du aber perfekt Englisch!« Peter lächelte sie charmant an.
»Aber nicht doch, ich kann es kaum.« Das Mädchen schüttelte verlegen den Kopf.
»Zweiter, wir müssen dann auch noch in diesen Computerladen«, mischte sich Justus jetzt in das Gespräch ein und nickte dem Mädchen freundlich zu. »Der macht bald zu, und du weißt, dass ich –«
»Ja, ich weiß. Da, halt mal!« Peter drückte ihm seinen Stapel Videokassetten in den Arm. »Geh schon mal vor, ich komme gleich nach.«
»Aber –«
»Ja, Justus.« Und zu dem Mädchen gewandt: »Ich bin Peter. Und wie heißt du?«
»Barbara.«
Justus sagte nichts mehr. Er wusste, dass er Peter jetzt nicht davon abbringen konnte, sich mit Barbara zu unterhalten. Dazu flirtete der Zweite Detektiv zu gerne. Leise grummelnd und bepackt mit zahllosen Videos machte er sich auf den Weg zum Schalter.
»Also die Briefmarke ist es?«
»Ja, sie klebt nicht.«
Peter zwinkerte Barbara schelmisch zu. »Unsere Briefmarken kleben von alleine. Man muss nur«, er nahm ihr das Postwertzeichen aus der Hand und drehte es um, »den Falz hinten abziehen. Damit legt man die selbstklebende Fläche frei, und voilà!« Er zog das weiße Schutzpapier ab und hielt ihr die Briefmarke hin. »Schon hält das Ding, wo immer du es haben willst!«
Barbara grinste. »Ich bin so dämlich.« Kopfschüttelnd nahm sie die Marke und klebte sie auf ihren Brief.
»An deinen Freund zu Hause?« Peter zeigte auf den Brief.
»An meine Mutter.«
»Ah ja?«
»Mit meinem Freund bin ich hier.«
»Ah … so.« Peter räusperte sich. »Na dann …«
»Und wo ist hier der Briefkasten?«, wollte Barbara noch wissen.
Peter deutete auf einen großen blauen Metallkasten, der an der Wand stand. »Dort.«
»Der Mülleimer?«
Peter schmunzelte. »So sehen die Dinger bei uns aus. Komm mit, ich zeige dir noch, wie man ihn einwirft.« Ein paar Augenblicke wollte der Zweite Detektiv noch mit dem hübschen Mädchen verbringen.
Zusammen gingen die beiden zu dem Einwurfkasten, und Peter zog die große Klappe auf. Barbara steckte den Brief hinein und ließ ihn fallen.
»Danke dir vielmals, Peter, du bist sehr liebenswürdig.« Sie hielt ihm die Hand hin und schenkte ihm ein hinreißendes Lächeln.
»Und du bist ausgesprochen –«
»Hey!«
Der laute Schrei ließ Peter herumfahren.
»Lass los! Hörst du!«
Mitten in der Schalterhalle rangelten ein junger, blonder Mann und ein Teenager mit einer blauen Irokesenbürste um ein großes Kuvert. Beide zerrten sie wie wild daran.
»Was soll das?«, rief der Mann. »Gib sofort her!«
Doch der Jugendliche tat ihm den Gefallen nicht. Dreckig lachend drehte er sich, ohne das Kuvert loszulassen, einmal um den Mann und riss dabei immer wieder heftig an dem Umschlagpapier. Die Leute drum herum sahen erschrocken, aber tatenlos zu.
»So tut doch was!« Der Mann sah sich Hilfe suchend um. »Das gehört mir! Der Kerl will es mir stehlen!«
Peter entdeckte Justus. Er hatte sich an den vorderen Schaulustigen vorbeigedrängt und war nur wenige Schritte von den beiden Kontrahenten entfernt. Der Zweite Detektiv gab ihm ein Zeichen, und sie liefen los.
Doch in diesem Moment zerriss das Kuvert mit einem hässlichen Geräusch. Der Mann und der Jugendliche torkelten nach hinten, ruderten mit den Armen, jeder mit einem Stück des Umschlages in der Hand.
Aus dem zwei Gegenstände zu Boden fielen. Zwei dicke Bündel Geldnoten!
Ein Raunen ging durch die Umstehenden. Auch Peter und Justus hielten für einen Moment inne.
Aber der Teenager fing sich sofort und stürzte auf die beiden Geldbündel zu. Im Laufen schnappte er sie sich, ließ seinen Teil des Umschlages fallen und wirbelte auf der Stelle herum. Dann jagte er Richtung Ausgang.
»Haltet ihn! Haltet ihn auf!«, schrie der junge Mann.
Alle Anwesenden sahen verblüfft dem Flüchtenden hinterher. Aber niemand rührte sich von der Stelle. Außer Peter und Justus.
»Zweiter! Schnapp ihn dir!«, rief Justus und rannte los.
Doch das hätte er Peter gar nicht sagen müssen. Der Zweite Detektiv sah sich kurz um, wo der Ausgang war, sprang ein paar Schritte zur Seite und blieb dann wie ein Footballspieler mit ausgebreiteten Armen stehen. Der jugendliche Dieb kam direkt auf ihn zu.
»Dich krieg ich, du Sacknase!«, zischte Peter gefährlich und kniff die Augen zusammen.
Doch der andere bemerkte ihn frühzeitig. Für einen Moment blitzte so etwas wie Erstaunen in den Augen des Teenagers auf, dann schlug er einen Haken und rannte mitten in ein älteres Ehepaar hinein. Der Mann konnte seine Frau gerade noch zur Seite ziehen.
»Du Rüpel!«, rief er dem Jungen nach und wedelte mit seinem Stock.
»Na warte!« Peter war jetzt richtig wütend. Er drehte sich um und lief dorthin, wo er dem Halunken den Weg abschneiden konnte. Justus hetzte inzwischen auf die große Glastür zu.
Aber der Dieb war schnell. Katzengleich setzte er über eine Absperrung hinweg, rannte eine junge Frau über den Haufen und hatte dann nur noch wenige Meter zwischen sich und dem Ausgang.
Doch in diesem Augenblick schoss Peter heran, stieß sich ab und warf sich auf den Teenager. In bester Rugby-Manier flog er durch die Luft, schrie dabei auch noch, riss Mund und Augen weit auf – und segelte an dem Jungen vorbei! Der war nämlich geistesgegenwärtig einfach stehen geblieben und sah jetzt Peter hinterher, wie er durch eine Absperrung hindurch in einen Stapel versandbereiter Pakete schlitterte.
»Toller Flug!«, spottete der Teenager, während der Zweite Detektiv unter den Paketen begraben wurde. Dann rannte er zur Tür, und noch bevor Justus heran war, sprang er hinaus ins Freie.
»Peter! Ist mit dir alles klar?« Justus eilte zu seinem Freund und schob ein paar Pakete zur Seite, die auf Peters Kopf und Rücken lagen. Auch Barbara kam hinzu und half.
»Ja, ja, geht schon!« Peter rappelte sich auf und rieb sich die Brust. »Unsanfte Landung. Wo ist die Kanaille hin?« Er sah sich benommen um. »Habt ihr ihn?«
»Er ist abgehauen«, sagte Barbara und deutete zur Tür. »Rannte vor einer Sekunde raus.«
»Was?« Peter sprang auf. »Den Knaben kauf ich mir! Kümmere du dich um den Mann, Just.« Peter zeigte auf das Diebstahlopfer, das immer noch reichlich desorientiert in der Schalterhalle stand. »Ich krall mir den Typen und schlepp ihn hierher zurück.«
»Ist gut, Zweiter.«
»Bis gleich.« Peter sprintete los und jagte hinaus auf die Straße.
Voller Bewunderung sah ihm Barbara hinterher. »Ist der immer so … dynamisch und mutig?«, fragte sie Justus.
»Meistens«, antwortete der einsilbig. Dass Peter immer so gut bei Mädchen ankam, verstimmte den Ersten Detektiv dann doch hin und wieder.
Draußen sprang Peter eben die Treppen hinab und blieb auf dem Bürgersteig stehen. Wo war der Junge hingerannt? Hektisch sah sich der Zweite Detektiv um.
»Da!« Die Irokesenbürste verschwand eben um die Ecke, und Peter nahm die Verfolgung auf.
Zehn Sekunden später bog der Zweite Detektiv von der West College Street in den North Broadway ein. Etliche Passanten kreuzten seinen Weg und versperrten ihm die Sicht, so dass er während des Laufens immer wieder hochspringen musste, um den Dieb nicht aus den Augen zu verlieren. Aber er sah ihn. Die blauen Haare stachen deutlich aus dem sonstigen Hüte- und Haaremeer heraus.
»Wo will der hin?« Peter setzte über eine Hundeleine hinweg und wich einem Inlineskater aus.
Ein wenig näher war er ihm schon gekommen, da der Junge nicht allzu schnell lief. Offenbar hatte er von der Verfolgung noch nichts bemerkt. Plötzlich bog der Gauner nach links in eine Seitenstraße ab.
»Oh nein! Bloß nicht dahin!«, entfuhr es Peter. »Nicht nach Chinatown!«
Unübersehbar prangte der Eingang zu dem berühmt-berüchtigten Stadtviertel an der Stelle, wo der Lei Min Way vom North Broadway abzweigte. Ein Portal aus roten Säulen, über denen sich fünf kleine Dächer mit den typisch geschwungenen Dachsparren treppenförmig nach oben hangelten.
Was Peter bisher über diesen Stadtbezirk zu Ohren gekommen war, hatte in ihm nicht unbedingt das Verlangen geschürt, ihm einen Besuch abzustatten. Aber für derlei Gedanken war jetzt keine Zeit. Ohne auf das ungute Gefühl in seiner Magengegend zu achten, bog er in den Lei Min Way ein und flitzte unter dem Portal hindurch hinein nach Chinatown.
Ein betonierter Platz, rundherum pagodenähnliche und sehr bunte Häuser, in der Mitte eine vergoldete Götterstatue auf einem weißen Marmorsockel. Wo war der Dieb?
»Ah!« Peter sauste nach links. Der Junge wand sich gerade zwischen den Schirmen eines Restaurants hindurch, das einige Tische und Stühle ins Freie gestellt hatte. Als Peter fast einen der Schirme umrannte, schimpften zwei ältere Touristen lautstark.
Da drehte sich der Dieb zum ersten Mal um. Und erschrak heftig. Maßloses Erstaunen lag in seinem Blick, und er stieß gegen eine Auslagentisch voller Souvenirs.
»Bleib stehen!«, schrie ihm Peter zu. Auch der Besitzer der Souvenirs brüllte etwas, und die Gäste zeterten ebenfalls noch hinter dem Zweiten Detektiv her. Peter und der Junge zogen alle Aufmerksamkeit auf sich. Die ganze Gasse glotzte sie an.
»Haltet ihn auf!«, rief Peter und zeigte auf den Teenager. »Er hat was geklaut!«
Alle Blicke richteten sich auf den Jugendlichen.
»Nein! Haltet ihn auf!«, schrie der zurück. »Er will mich verprügeln!«
Jetzt starrten alle Peter an.
»Bitte? Spinnst du? Was für ein – ach!« Der Zweite Detektiv sparte sich jedes weitere Wort und setzte die Verfolgung fort.
Der Junge grinste boshaft, warf Peter einen letzten Blick zu und rannte dann ebenfalls weiter. Jetzt um einiges schneller als vorhin.
Nach einigen Metern bog er in den Sun Mun Way ein, ein kleines Gässchen, in dem es vor Menschen geradezu wimmelte. Unmengen von Touristen schoben sich an den Verkaufsläden vorbei, bewunderten dieses, fotografierten jenes. An ein Rennen war nicht mehr zu denken. Der Dieb musste sich genauso durch die Massen zwängen wie Peter. Das einzig Gute war, dass der ihn dank seiner blauen Haare nicht so leicht aus den Augen verlor.
Immer wieder trafen sich ihre Blicke, immer wieder versicherte sich der Junge, dass ihn Peter nicht einholte. Und Peter gab ihm mit seinen grimmigen Blicken zu verstehen, dass er genau das tun würde.
Schüsse! Eine ganz Salve davon! Peter zuckte zusammen und ging unwillkürlich in Deckung. Dann das Lachen einiger Menschen, die sich um einen Verkaufsstand herumdrückten. Und ein paar kleine Feuerwerkskörper, die zwischen ihren Füßen auf dem Boden verglühten. Peter atmete auf und lief weiter.
Wieder ging es links. »Jung Jing Road«, las der Zweite Detektiv von einem Schild ab. Er wollte sich den Weg so gut wie möglich einprägen, falls er den Jungen doch nicht zu fassen bekam. Immer noch Menschen über Menschen, hunderte von Stimmen, die wie ein gigantischer Bienenschwarm durch die Gasse dröhnten, laute Musik, zahllose Gerüche, Farben, überdimensionale Werbetafeln und Banner mit chinesischen Schriftzeichen, Girlanden mit bunten Wimpeln und riesigen Lampions, die sich hoch über den Köpfen quer über die Straße spannten, blinkende Statuen fremder Götter – Peter sauste der Kopf vor lauter Eindrücken, und er hatte jetzt doch alle Mühe, den blauen Haarschopf nicht aus den Augen zu verlieren, zumal er immer wieder angerempelt wurde und ihm auch ab und an jemand oder etwas die Sicht versperrte.
Und dann war er weg! Die blaue Irokesenbürste war verschwunden! Dabei ging hier keine Straße ab. Es gab hier nur Läden, Geschäfte, Restaurants.
Peter blieb stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen und sah sich um. Links ein Porzellangeschäft, rechts eine Art chinesischer Schnellimbiss. Gegrillte Enten, Tauben, Hasen, Tintenfische und schwarze Hühner hingen an blitzenden Metallhaken im Fenster. Darunter lagen in mehreren Brätern Frühlingsrollen, grüne Eier, Aalköpfe, Hühnerkrallen, gesottene Schlangenstücke und noch so einiges andere, von dem Peter gar nicht so genau wissen wollte, was es war.
Und plötzlich war er wieder da, der blaue Haarschopf! Im hinteren Teil des Ladens öffnete sich soeben eine Tür, und durch diese floh der Junge. Offenbar gab es einen Hinterhof.
Peter zögerte keine Sekunde und rannte in den Laden. Vorbei an den verdutzten Gesichtern mehrerer Gäste preschte er auf den Hinterausgang zu und landete tatsächlich in einem Hof. Der Dieb kletterte gerade eben behände über eine niedrige Mauer.
»Auch das noch!«, motzte Peter und hastete auf die Mauer zu.
Durch ein Gewirr von winzigen Gässchen, die sicher auf keinem Stadtplan verzeichnet waren, ging die Jagd weiter. Hierher verirrte sich mit Bestimmtheit nie ein Tourist. Peter schlüpfte unter Leinen voller Wäsche hindurch, umkurvte überquellende Mülltonnen, musste einen aufdringlichen Hund verscheuchen, erschreckte spielende Kinder – aber er ließ nicht locker. Jetzt nicht mehr. Diesen Kerl musste er einfach erwischen!