Anselm Grüns
Buch der Antworten
Herausgegeben von
Anton Lichtenauer
Originalausgabe
© Verlag Herder Freiburg im Breisgau 2007
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-33362-0
ISBN (Buch) 978-3-451-29630-7
„Wer wir waren, was wir geworden sind, wo wir waren,
wohin wir geworfen wurden, wohin wir eilen,
wovon wir erlöst werden,
was Geburt und was Wiedergeburt ist.“
„Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?
Was erwarten wir? Was erwartet uns?
Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt,
sie wissen nicht warum und von was.
Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter,
so ist er Furcht.“
Nicht nur Theologen kennen den Vorwurf, sie würden Antworten geben, ohne zu wissen, was die wirklichen Probleme des Menschen sind. Aber sie trifft der Verdacht besonders hart, sie würden auf etwas antworten, was die Menschen gar nicht mehr interessiert. Zugespitzt kommt das in der Reaktion auf den Slogan evangelikaler Christen zum Ausdruck, dass Jesus die Antwort auf alle Fragen ist: „Jesus ist die Antwort. Aber was war gleich wieder die Frage?“
Wer immer nur Antworten bekommt auf Fragen, die er gar nicht gestellt hat, wird bald weghören. Und nur wer die richtigen Fragen stellt, kann Antworten finden, die ihm selber weiter helfen. In einer Diskussion erleben wir es immer wieder, wie der, der die besten Fragen stellt, das Gespräch voranbringt und auch am meisten zur Lösung eines Problems beiträgt.
Die Antwort hängt immer von der Frage ab, und am Anfang allen Denkens steht das Wissen wollen, die Neugier, stehen die Fragen. Die Philosophen sehen darin die Hebammenkunst der Wahrheitsfindung. Sokrates zum Beispiel praktiziert seine Philosophie, indem er immer wieder nur nachfragt, was die Menschen wirklich wollen und denken und wie sie ihr Leben verstehen. Und Martin Heidegger hat in unserer Zeit das ganze menschliche Dasein sogar von diesem Impuls her definiert: Menschliches Dasein kann – und es muss – fragen. Zentral für den Philosophen ist die Frage nach dem Sinn des Seins schlechthin. Der Mensch muss sich diese Frage nach dem Sinn des Seins stellen. Erst dann kann er nach dem Sinn einzelner Dinge fragen, nach dem Sinn des Seienden, wie Heidegger es formuliert. Der Theologe Karl Rahner hat die Sicht seines philosophischen Lehrers Heidegger übernommen. Er formuliert es so: „Der Mensch fragt notwendig.“ Die philosophische Anthropologie sieht also die Sonderstellung des Menschen gerade darin, dass er ein fragendes Wesen ist und dass ihm alles, was ihm begegnet, zunächst einmal als fraglich erscheint.
Nicht nur die großen Denker von der Antike bis zur Gegenwart stellen sich Fragen nach dem Sinn des Ganzen. Jeder nachdenkliche Mensch stellt sie immer wieder, bis heute: „Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?“ Alle diese Fragen stellen uns in eine Beziehung – zu uns selber, zu anderen, zu Gott. Und nur wenn wir auf sie eine Antwort suchen, werden sich uns diese Beziehungen und der Sinn, der sich darin auftun kann, immer neu erschließen.
Es sind keine fiktiven Fragen, auf die ich in diesem Buch eingehe. Wenn ich einen Vortrag halte, gebe ich immer auch Gelegenheit zum Gespräch. Manchmal kommen wenige, manchmal aber viele und sehr zentrale Fragen. Da spüre ich, was die Menschen bewegt. Bestimmte Fragen werden mir immer wieder gestellt. Oft ganz direkt, manchmal verstecken sie sich aber auch hinter scheinbar ganz anderen Problemen. Es sind Fragen ganz normaler Menschen, und doch sind es die „Königsfragen“ – zu allen großen Themen des Lebens. Es sind Fragen, auf die keine noch so spezialisierte Wissenschaft eine fachlich gesicherte Antwort weiß. Trotzdem bewegen sie uns, lassen uns nicht los. Diese Fragen kommen von jungen Menschen, von Menschen in allen Lebenssituationen. So hoffe ich, dass ich mit meinen Antworten in diesem Buch auch die Fragen möglichst vieler Leser und Leserinnen treffe.
Weil es nicht um Wissensfragen und auch nicht um objektiv überprüfbare Antworten geht, ist meine eigene Antwort immer subjektiv, ausgehend von eigener Lebenserfahrung. Und ich gebe sie natürlich auf dem Hintergrund der Theologie, wie ich sie selbst studiert habe. Aber ich versuche immer auch, mir selbst eine befriedigende Antwort zu geben, eine Antwort, die ich selbst verstehe und die ich vor mir, vor meinem Verstand und vor meinem Glauben verantworten kann.
Die Fragen, mit denen ich konfrontiert werde, regen mich selber zum Denken an. Ich kenne die Antwort nicht im voraus. Aber indem ich versuche, darauf einzugehen und zu antworten, wird mein eigenes Nachdenken herausgefordert. Und manchmal darf ich dankbar erfahren, dass in mir Antworten entstehen, die ich selbst vorher nicht gewusst habe, die also von den Fragenden hervorgelockt wurden.
Die Antworten, die ich auf die Fragen dieses Buches gebe, mögen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, anregen, selbst nachzudenken und selbst nach Antworten zu suchen, die Sie sich selbst geben würden auf Ihre tiefsten Fragen. Vielleicht rufen die Fragen oder die Antworten in diesem Buch in Ihnen auch neue Fragen hervor. Gerade das sind dann möglicherweise Fragen, die für Sie selber zentral sind und von deren Beantwortung das Gelingen Ihres Lebens abhängt. Trauen Sie solchen Fragen, die in Ihnen aufsteigen. Versuchen Sie, auf dem Hintergrund der im Buch vorgelegten Fragen, sich selber zu antworten, im Vertrauen, dass der Heilige Geist in Ihnen wirkt und Ihnen eingibt, was Ihre eigenen Fragen und Zweifel zur Ruhe bringen kann.
Glück heißt: gelingendes Leben. Darüber ist leichter Einigkeit zu erzielen als über die Frage, ob oder wie dauerhaftes Glück möglich ist. Ist alles nur eine Frage des Lebensstils? Eine Frage der Einstellung? Oder der Umstände – wie manche meinen? „Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten“, hat der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud behauptet. Aber es gibt ein gelingendes Leben wirklich. Das ist meine Erfahrung. Und es ist nicht nur meine, sondern die Erfahrung vieler Menschen. Glück heißt auch: mit sich selbst im Reinen sein, einverstanden sein mit sich und seinem Leben. Auch diese Erfahrung gibt es. Aber es stimmt ebenso, dass das absolute Glück uns Menschen verwehrt ist. Was wir erleben, ist immer nur ein relatives Glück. Das absolute Glück, so sagen es die Theologen in ihrer Sprache, wird uns erst nach dem Tod im Himmel erwarten. In unserem Alltag ist das Glück immer auch angefochten und gefährdet. Vor allem können wir es nie besitzen im Sinne von „festhalten“. Nur manchmal dürfen wir den Zustand absoluten Glücks erleben. In solchen Momenten sind wir ganz eins mit uns selbst und mit allen Menschen, mit der Welt und mit dem letzten Grund der Wirklichkeit. In dem Augenblick, in dem wir diese Erfahrung machen, fehlt nichts. Doch im nächsten Augenblick fühlen wir uns möglicherweise schon wieder zerrissen. Etwas geht schief in unserem Leben. Und schon fühlen wir uns nicht mehr so glücklich. Trotzdem: Wer Glück erfahren hat, wird dadurch auch gestärkt. Und jemand, der normalerweise mit sich im Reinen ist, wird Kritik von außen oder ein Missgeschick oder einen Schicksalsschlag anders verkraften als einer, der mit sich immer unzufrieden ist. Aber auch er wird nicht im Zustand seliger Harmonie bleiben, wenn ihm zum Beispiel ein lieber Mensch im Tod entrissen wird. Von einem solchen Schicksalsschlag wird auch er erst einmal aufgewühlt. Er wird sich todunglücklich fühlen. Aber wenn er sich diesen Gefühlen nicht versperrt und sich der Trauer stellt, wird er trotz allem, auch wenn er das Auf und Ab des Daseins erlebt, doch eine Grundmelodie des Glücks in sich verspüren. Manchmal wird sie übertönt von anderen Melodien. Es werden sich Dissonanzen einstellen, die die Harmonien überlagern. Aber in der Stille können wir wieder in Berührung kommen mit dieser Grundmelodie des Glücks in unserem Herzen. Und wir können in der Hoffnung leben, dass diese Grundmelodie des Glücks mehr und mehr alle Bereiche unseres Leibes und unserer Seele durchdringt.
Obwohl es ein intuitives Verständnis von Glück gibt – was Glück eigentlich und in einem tieferen Sinn ist, diese Frage hat die Denker zu allen Zeiten bewegt. Es hat zur Unterscheidung geführt zwischen einem Verständnis von Glück als unberechenbarem Zufall und dem Verständnis von Glück, das der tiefsten inneren Bestimmung des Menschen entspricht. Wir unterscheiden auch zwischen einem Wohlfühl-Glück, das man empfindet, wenn von außen her alles gut läuft, wenn man anerkannt wird und Erfolg hat und einem Glück, das von innen her kommt. Es bedeutet, dass der Mensch mit sich im Einklang ist. Ob das der Fall ist, das ist nicht einfach „gegeben“, es hängt immer auch davon ab, ob ich an mir selbst arbeite und ob ich mich dafür entscheide, mich selbst bedingungslos anzunehmen und mich zu verabschieden von Illusionen, denen ich bisher nachgejagt bin. Dieses zweite Glück ist Ausdruck einer Lebenseinstellung, zu der ich mich selbst entscheiden muss und die mir nicht immer leicht fallen wird.
Die stoische Philosophie sieht das vollkommene Glück des Menschen darin, dass er sich ganz und gar dem Willen Gottes unterwirft. Für Epiktet, einen wichtigen Vertreter der stoischen Philosophie, der auch viele spätere Denker beeinflusst hat, muss der Mensch lernen, jede Sache zu wollen, die sich ereignet. Er schreibt: „Strebe nicht danach, dass die Ereignisse eintreten, wie du es wünschest, sondern wünsche die Ereignisse so, wie sie eintreten, und du wirst ein glückliches Leben führen.“ Und an einer anderen Stelle: „Erhebe endlich dein Haupt, wie ein Mensch, der von der Knechtschaft befreit ist; wage es, deinen Blick zu Gott zu erheben und ihm zu sagen: Verfahre mit mir von nun an nach deinem Belieben; meine Gedanken gehören Dir. Ich gehöre Dir. Ich weise nichts von dem zurück, was Dir gut scheint; führe mich, wohin Du willst; bekleide mich mit dem Gewand, das Dir gefällt.“ Das klingt sehr schön. Doch wohl nur wenige Menschen werden zu solcher Haltung unmittelbar fähig sein. Die christlichen Autoren, die Epiktet folgen, sprechen davon, dass der Mensch glücklich wird, der sich ganz in Gott hinein ergibt, der eins wird mit Seinem Willen und der in allem, was ihm geschieht, Gottes Liebe erkennt. Aber auch das ist nicht einfach zu haben. Es ist Ziel des geistlichen Weges. Und ein Weg hat immer auch etwas Prozesshaftes. Er ist zudem nicht immer nur durch die leichteste und schnellste Strecke definiert. Aktive Elemente des Sichbemühens und des Übens können sich also durchaus mit diesem Element des Sich-Hineinergebens verbinden. Und nur wenige werden von sich behaupten können, dass sie bereits und in jedem Fall ganz und gar einverstanden sind mit dem, was Gott ihnen zumutet, und daher glücklich, ganz gleich, was von außen geschieht.
Wir sind durchaus fähig, an unserem Glück zu arbeiten. Normalerweise wird es uns nicht einfach in den Schoß gelegt, aber natürlich gibt es das, dass uns etwas Glückliches zufällt. Die Griechen nennen das „eutyche“. Das heißt: Das Schicksal meint es gut mit mir und ich gewinne z. B. im Lotto. Aber diese Form von Glück ist für die Griechen nur die minderwertigste. Das eigentliche Glück besteht in der „eudamonia“, in der guten Beziehung zu seinem „daimon“, zum inneren Seelenbegleiter, zum göttlichen Kern, den jeder in sich trägt. Und an dieser guten Beziehung kann man arbeiten. Durch Kontemplation kommt man in Berührung mit seiner Seele, also mit der Wirklichkeitsebene, in der Gott seine Spur im Menschen hinterlassen hat.
Glück ist Ausdruck von erfülltem Leben. Am Glück arbeiten, das heißt also einmal: bewusst zu leben, mit allen Sinnen zu leben, die Kraft, die in mir liegt, auch einzusetzen und mich einer Aufgabe oder einem Menschen hinzugeben. Aber man kann das Glück nicht in dem Sinn machen, dass man etwa joggt, um auf diese Weise Glückshormone auszuschütten, die im Gehirn positive Emotionen auslösen. Dieses Glück ist nur ein momentanes Gefühl, das nicht trägt. Es gibt keine schnellen Methoden, sich glücklich zu machen. Glück, das von Dauer sein soll, verlangt eine innere Haltung. Erasmus von Rotterdam nennt den Kern des Glücks: „der sein zu wollen, der du bist“. Das ist keine leichte Vorgabe, das verlangt innere Arbeit. Das heißt: Ich muss Abschied nehmen von den Illusionen, die ich mir von mir gemacht habe, von der Illusion, perfekt zu sein, der Größte, der Intelligenteste, der Erfolgreichste zu sein. Es heißt aber auch: Ich söhne mich nicht nur mühsam aus mit dem, was ich bin. Vielmehr sage ich bewusst „Ja“ zu mir. Ich will der sein, der ich bin. Ich bin einverstanden mit mir und meinem Leben. Ich möchte gar kein anderer sein. Ich höre daher auf, mich mit anderen zu vergleichen und auf andere neidisch zu sein, die mehr haben als ich. Ich bin ich selbst. Und ich will mit ganzem Herzen der sein, der ich bin. Das verlangt eine Änderung der Einstellung. Dies ist kein einfacher und schnell wirkender Trick. Einsicht in die Notwendigkeit der eigenen Einstellung kostet durchaus Mühe, denn sie kränkt unser grandioses Selbstwertgefühl und unsere narzisstischen Vorstellungen vom Leben.
Heute gibt es viele Berater, die gegen teures Geld Kurse oder Einzelbegleitung anbieten, um die Menschen glücklicher zu machen. Der große Zulauf sagt etwas über die Hoffnungen und über das Hilfebedürfnis der Menschen aus. Doch der beste Coach kann mir kein Erfolgsrezept zum Glücklichwerden anbieten. Der Weg zum Glück liegt immer in mir. Und wenn ich nicht bereit bin, mich von manchen Illusionen zu verabschieden, – eben: dass mein Leben perfekt ist, dass ich der beste bin und dass mir alles glückt, – dann werden mir die vielen Kurse, die mir das Glück versprechen, nicht weiter helfen. Der Weg zum Glück liegt in mir. Nur der Begleiter, der mich unterstützt, dass ich in Einklang komme mit meinem eigenen Wesen, kann eine Hilfe sein auf dem Weg zum Ziel. Aber er kann mir das Glück nicht garantieren.
Es liegt immer in meiner Entscheidung, ob ich glücklich bin. Und dazu gehört letztlich auch ein Stück Demut, die Bereitschaft, mich mit meiner Begrenztheit auszusöhnen. Allzu große Sprüche, wie sich das Glück anfühlt, führen nur in die Enttäuschung oder in die kurzfristige Euphorie, die aber schnell der Ernüchterung weichen wird.
Wir können das Glück durchaus bewusst und aktiv suchen. Jede Philosophie war letztlich Suche nach dem Glück. Die Philosophen haben ja auch immer wieder Wege aufgezeigt, wie wir das Glück finden können. Aber diese Wege fordern uns als Menschen ganz und gar heraus. Notwendig ist beides: Es braucht die Anstrengung des Denkens, was wirkliches Glück ist. Und es braucht den Übungsweg, der immer über die Begegnung mit der eigenen Wahrheit geht, um uns – nicht immer, aber immer öfter – glücklich fühlen zu können.
Manche Menschen meinen, sie hätten das Glück gar nicht gesucht, es habe sie vielmehr gefunden. Das ist durchaus möglich. Aber auch das braucht eine bestimmte innere Einstellung, die Einstellung der Offenheit und der Dankbarkeit. Wenn ich das, was mir von außen begegnet, dankbar annehme, dann wird das Glück mich oft finden, auch wenn ich es gar nicht gesucht habe oder ihm gar ständig hinterhergejagt bin. Aber weil ich in der Haltung der Dankbarkeit lebe, bin ich überhaupt erst fähig, das Glück, das mich sucht, wahrzunehmen, es dankbar zu genießen und innere Zufriedenheit zu finden.
Wir gebrauchen den Begriff der Zufriedenheit auf verschiedene Weise. Wir nennen einen Menschen zufrieden, wenn er mit sich im Frieden ist. Dieser Zustand gleicht dem Glück: Ich bin einverstanden mit mir, im Frieden mit mir und mit all dem Gegensätzlichen in mir. Diese Art von Zufriedenheit hängt eng mit der Dankbarkeit zusammen. Ich bin dankbar für das, was ich habe und was ich bin. Ich bin im Einklang mit dem, der mich so geschaffen hat, wie ich bin. Und ich bin ihm dankbar für das, was er mir in meinem Leben zugemutet und zugetraut hat.
Aber Zufriedenheit kann auch eine Haltung sein, in der ich mich zu schnell zufriedengebe. Dann ist es die Haltung des Sattseins, des selbstzufriedenen Menschen, der nichts mehr an sich heranlässt. Das führt dann zur Erstarrung des Menschen. Solche selbstzufriedenen Menschen schotten sich gegen jede Kritik ab. Wir haben den Eindruck, dass solche Menschen alles besser wissen. Sie können sich für nichts begeistern und lassen sich durch nichts in Frage stellen.
Und es gibt schließlich auch Menschen, die sich zufriedengeben mit dem Erreichten, weil sie keinen Mut haben, weiter zu gehen und der eigenen Berufung oder Kraft zu trauen. Das wäre dann Resignation, die uns nicht glücklich macht, sondern eher nach unten zieht. Das wäre gleichzusetzen mit dem „wunschlosen Unglück“. Peter Handke hat diese Haltung an seiner Mutter, die sich in ihr seelisches Elend fast fatalistisch ergeben hat, beschrieben. Menschen, die in einer solchen Resignation leben, ohne Sehnsucht und ohne den Drang zur Veränderung, schränken sich auf die kleine Wirklichkeit ein, die sie kennen. Sie haben das Staunen und die Hoffnung verlernt. Und sie sind daher nicht offen für das Große, das Gott dem Menschen zutraut – auch in Zeiten, die, von außen gesehen, gerade nicht sehr strahlend und „rosig“ scheinen.
Jesus hat uns in den acht Seligpreisungen einen achtfachen Weg zum wahren Glück aufgezeigt. Er spricht die Glückseligkeit Menschen zu, die trauern, die Verfolgung leiden, die arm sind, die Unrecht erdulden müssen. Der Weg zum wahren Glück geht also nicht an den negativen Erfahrungen unseres Lebens vorbei. Jesus überblickt vielmehr auf dem Berg der Seligpreisungen unser Leben, so wie es ist, und weist uns einen Weg, wie wir in der Realität unserer oft genug bedrohlichen Welt dennoch glücklich werden können. Ich möchte nur zwei Seligpreisungen herausgreifen, die das veranschaulichen. In der zweiten Seligpreisung verheißt Jesus denen, die trauern, wahres Glück. Das Leben ist nicht immer nur Erfolg und äußeres Glück. Wir verlieren liebe Menschen. Und wir verpassen manche Chancen. Wer die Verlusterfahrungen seines Lebens nicht betrauert, der erstarrt innerlich. Wahre Freude empfindet nur der, der auch die Trauer zulässt. Wer alle negativen Gefühle verdrängt, der wird auch abgeschnitten von der Freude.
Das gilt auch für die Beziehung zu uns selbst, die für den Weg zum Glück so wichtig ist: Auch wenn einer seine Defizite und Schwächen anerkennt und sie also in diesem Sinn betrauert, dann erfährt er darin den Beistand Gottes. Gott steht ihm bei, dass er durch das Defizit hindurch in Berührung kommt mit seinem eigentlichen Wesen: Das, was ich nicht leben kann, wird durch das Betrauern herbeigerufen. Es kommt von einer anderen Seite her neu auf mich zu. Noch einen anderen Weg hat uns Gregor von Nyssa, der griechische Mystiker des 4. Jahrhunderts, gewiesen. Er deutet die Seligpreisung Jesu derer, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, vom Bild des sportlichen Wettkampfes aus. Wenn ich mit andern Sportlern laufe, verfolgen sie mich, um mich schneller zum Ziel zu treiben. Das Geheimnis des Lebens – so meint Gregor – liege nun darin, dass uns auch Feindliches und Böses, also Krankheit, Not, Tod, Hass und Feindschaft von außen, letztlich nicht schaden können, wenn wir sie im Licht dieser achten Seligpreisung verstehen. Auch eine Krankheit kann uns antreiben, auf Gott, unser eigentliches Ziel hin, zu laufen. Auch die Verfolgung durch böse Menschen kann uns nicht vom wahren Glück abhalten, das uns am Ziel unseres Laufes erwartet. Das ist keine Vertröstung auf später. Vielmehr zeigt uns diese Seligpreisung einen Weg, wie wir in der Realität einer Welt, die uns bedroht und verfolgt, trotzdem unser Glück finden können. Wer von Glück redet, redet also nicht von Spaß und oberflächlichem Vergnügen. Es ist kein billiges und schnelles Glück, in dem wir nur um uns kreisen und alles Negative der Welt ausklammern, sondern ein Glück, das in der Wirklichkeit, so wie wir sie vorfinden, möglich ist.
Die Religion will dem Menschen Wege zeigen, wie er auf Dauer glücklich sein kann. Und sie geht davon aus, dass der Mensch nur glücklich wird, wenn er seinem Wesen gemäß und im Einklang mit Gott lebt. Manche neigen zum schnellen Genuss. Aber vieles, was kurzfristig Spaß macht, kann auf Dauer auch Freude und Spaß verderben. Man kann sich auch unter Druck setzen, immer Spaß haben zu müssen.
Das deutsche Wort „Spaß“ kommt ja vom italienischen „spasso“ und meint ursprünglich: Zerstreuung, Zeitvertreib, Vergnügen. Spaß ist etwas anderes als Freude. Freude weitet das menschliche Herz und tut ihm gut. Spaß zerstreut und hat daher auf Dauer keine heilende Funktion. Die Frage ist doch, wie der Mensch zur wahren Freude finden kann. Und genau das ist das Thema vieler Religionen.
Zwar gibt es in allen Religionen immer auch Tendenzen, die Lust und Sexualität als etwas Negatives sehen. Doch das entspricht sicher nicht dem Wesen der jüdischen und christlichen Spiritualität. Das Alte Testament besingt die Lust im sexuellen Einswerden zwischen Mann und Frau als das größte Geschenk, das Gott dem Menschen gewährt hat. Die frühe Kirche hat diese lustbetonte Spiritualität übernommen. Aber es gab den Einfluss der leibfeindlichen manichäischen Richtung, der manche christliche Einsicht verdunkelt hat. Es ist wichtig, dass wir die positive Würdigung der Lust, der Freude, des Glücks wieder sehen, die uns die Bibel anbietet. Allerdings weiß die Bibel auch, dass unsere Beziehung zur Lust und zur Sexualität immer auch brüchig ist. Die Sexualität kann den Menschen verzaubern, sie kann aber auch verletzen. Und Menschen leiden heute daran, nicht weil die Kirche sie ihnen verbietet, sondern weil sie gerade auch in der Sexualität tiefe Verletzungen erfahren. Daher will die gesunde Spiritualität das Leben so schildern, wie es ist. Sie will nicht das Leiden in den Mittelpunkt stellen. Aber sie klammert es auch nicht aus. Denn nur wenn wir unsere Sehnsucht nach Lust und Glück auf dem Hintergrund unserer oft auch brüchigen Existenz sehen, finden wir den Weg zum wahren Glück, ohne die Augen zu verschließen vor dem, was wahres Glück immer schon bedroht.
Das Christentum spricht von der unzerstörbaren Freude, die auch durch Widerwärtigkeiten nicht aufgelöst werden kann. Johannes Chrysostomus, ein Kirchenvater aus dem 4. Jahrhundert fragt in einer Predigt, wie es möglich sei, sich beständig zu freuen. Er zählt viele Dinge auf, die uns an der Freude hindern, wie der Verlust lieber Menschen, der Verlust der eigenen Ehre oder der Gesundheit. Und dann zeigt er uns den Weg zu der beständigen Freude: „Wer sich im Herrn freut, kann durch keinen Zufall um diese Freude gebracht werden. Alles andere, worüber wir uns freuen, ist veränderlich, flüchtig und unterliegt leicht einem Wechsel.“
Die Weisen in allen Religionen haben in der Reflexion ihres eigenen Lebens Wege entwickelt, wie das Leben gelingen kann. Übereinstimmung besteht – über alle kulturellen und zeitlichen Grenzen hinweg – darin: Askese und Glück sind keine Gegensätze. Wir sollen nicht verzichten, weil uns die Religion oder irgendein Gesetz etwas nicht gönnt, sondern weil wir auf Dauer glücklich sein wollen. Hildegard von Bingen sagt einmal von der Disziplin, sie sei die Kunst, sich immer freuen zu können. Wenn wir ein Stück Torte essen, können wir uns daran freuen. Wenn wir das fünfte Stück in uns hineinschlingen, dann ist das nicht mehr mit Lust verbunden, sondern eher mit einem schlechten Gewissen und mit der Enttäuschung, dass wir uns nicht beherrschen können und mit dem Wissen, dass unser Magen dagegen rebellieren wird.
Glaube und Vernunft sollten miteinander in Verbindung stehen. Das gilt nicht nur für die intellektuelle Ausgestaltung von Religion, sondern auch für die Lebenspraxis und die Moralverkündigung. Und wenn es in der Geschichte des Christentums viele Forderungen gegeben hat, die man im Namen der Religion gestellt hat, die aber eher einem frustrierten und unglücklichen Herzen entsprungen sind, dann braucht es eben immer wieder diese Vernunft, um zu beurteilen, ob die Forderungen wirklich dem langfristigen Glück des Menschen dienen oder ob sie ihm das Glück nicht gönnen.
Das Glück, das mir ein Mensch schenkt, das Glück, das ich durch das Gelingen des Lebens erfahre, ein glückliches Erlebnis durch die Erfahrung der Schönheit in der Kunst oder in der Schöpfung, all das hat immer auch eine größeren Horizont. In all dem beschenkt mich letztlich Gott. Und in all dem Glück liegt die Verheißung eines unzerstörbaren und bleibenden Glücks. Und nur wenn die Glückserfahrungen im Licht dieser Verheißung gemacht werden, kann ich sie ganz und gar genießen, ohne Angst haben zu müssen, dass sie mir genommen werden. Das vordergründige Glück kann vorübergehen. Doch die Verheißung, die ich in ihm wahrnehme, vergeht nicht. Sie wird erfüllt werden. Ein Grund für Dankbarkeit – jetzt schon.
Dankbarkeit kommt von denken. Wer denkt, der erkennt, wie er täglich für vieles dankbar sein kann. Er sieht auf die vielen kleinen Geschenke, die ihn im Alltag erreichen: Das Geschenk eines freundlichen Blicks, einer guten Begegnung, eines Wortes, das ihn aufrichtet und berührt. Der römische Philosoph Cicero hat die Undankbarkeit als Vergessen bezeichnet. Für ihn ist die Dankbarkeit die wichtigste Haltung des Menschen. Sie ist die Voraussetzung für die „concordia“, für die Eintracht unter den Menschen und für das Zusammenklingen der Herzen. Das Fehlen der Dankbarkeit bedroht für ihn die „Humanitas“, die Menschlichkeit. Daher haben viele Denker die Undankbarkeit als eine der elementarsten Sünden bezeichnet. Der Talmud sagt, Undank sei schlimmer als Diebstahl. Und Johann Wolfgang von Goethe meint: „Der Undank ist immer eine Art Schwäche. Ich habe nie gesehen, dass tüchtige Menschen wären undankbar gewesen.“
Gerade wenn wir uns auf unser eigenes Selbst besinnen, erkennen wir: Keiner ist eine Insel. Dankbarkeit macht den Menschen aus, weil wir uns in dieser Haltung unserer existentiellen Bezogenheit bewusst werden, die Verbundenheit mit anderen spüren und anerkennen, dass wir nicht allein leben. Das gilt für unsere Beziehung zu anderen Menschen, auf die wir verwiesen sind und ohne die wir gar nicht leben könnten. Es gilt aber auch für unsere Beziehung zu Gott, der der tiefste Grund für unser Dasein ist. Dankbarkeit sei das tiefste Gebet, hat der Benediktinermönch David Steindl-Rast einmal gesagt. Der Undankbare ist nicht wirklich Mensch, schon deswegen, weil er wichtige positive Möglichkeiten gar nicht wahrnehmen und leben kann. Cicero ist überzeugt: Nur dankbare Menschen können Freundschaft eingehen und miteinander Gemeinschaft leben. Undankbare Menschen sind unangenehme Menschen. Mit ihnen möchte man am liebsten nichts zu tun haben. In der Nähe undankbarer Menschen fühlt man sich unwohl. Man hat das Gefühl, dass man es ihnen nie recht machen kann. So hält man sich von ihnen fern. Denn von ihnen geht eine negative und destruktive Stimmung aus. Der Undankbare zerstört das Zusammenklingen der Herzen. Er vermag nicht zu feiern und ist letztlich unfähig zur Freude. Undankbaren Menschen kann man keine Freude machen. Sie sind unersättlich und nie zufrieden. Mit gedankenlosen Menschen lässt sich nicht gut auskommen. Wer nicht denken kann oder will, der lebt nicht wirklich. Dankbarkeit gibt dem Leben einen wunderbaren Geschmack.
Die Dankbarkeit verwandelt mein Leben. „Wer anfängt zu danken, beginnt das Leben mit neuen Augen zu sehen.“ (Irmela Hofmann) Albert Schweitzer gibt den Rat: „Wenn du dich schwach und matt und unglücklich fühlst, fang an zu danken, damit es besser mit dir werde.“ Wenn ich mein Leben mit Dankbarkeit anschaue, wird sich das Dunkle erhellen und das Bittere wird einen angenehmen Geschmack bekommen. Die Dankbarkeit bewahrt mich vor Kleinmut und Verbitterung und bringt mich Gott näher. Von dem Heiligen Philipp Neri wird berichtet, dass er folgendes Abendgebet sprach: „Herr, ich danke Dir, dass heute die Dinge nicht so gelaufen sind, wie ich wollte, sondern wie Du wolltest.“ Wer mit einer solchen Haltung der Akzeptanz – die Humor und eine Relativierung der Ich-Perspek- tive zugleich ist – auf den vergangenen Tag schaut, der ärgert sich nicht, und der gerät nicht in die Versuchung der Selbstzufriedenheit, sondern für den wird alles zu einer Quelle der Freude und des Friedens.
Zwei Missverständnisse sollten erwähnt werden. Zunächst: Dankbarkeit ist nichts, was man als Pflicht von anderen einfordern kann. Und: Dankbarkeit heißt nicht, dass ich für das Schlechte in der Welt danke. Das Schlechte sollen wir sehen, wie es ist. Wir dürfen ihm keine Macht über uns geben. Und oft genug müssen wir es auch bekämpfen. Die Dankbarkeit übersieht das Schlechte nicht. Aber sie ist auch nicht darauf fixiert, sie sieht in dieser oft genug unvollkommenen Welt doch das Gute, das uns täglich begegnet. Sie sieht das Ganze der Wirklichkeit und weitet unsere Wahrnehmung. Und so eröffnet uns der Blick der Dankbarkeit die Augen für das Geschenk, das das Leben in sich schon ist. Wir sind dankbar, dass wir jeden Tag gesund aufstehen dürfen, dass wir atmen, dass wir ganz wir selbst sind, dass wir Menschen begegnen, die uns achten. Das höchste Glück freilich ist, dass wir selber, als Menschen, mit Gott eins werden dürfen und uns in seiner Liebe finden können.
Jeder Mensch sehnt sich danach zu lieben und geliebt zu werden. Diese Sehnsucht ist so tief im menschlichen Herzen verankert, dass wir sie nicht aus uns herausreißen können. Wenn wir verliebt sind, fühlen wir uns wie verzaubert. Die Liebe hat nicht nur zu tiefen menschlichen Freundschaften und zu gelingenden Ehen geführt, sondern auch wunderbare Kunstwerke in Dichtung, Musik und Malerei hervorgebracht. Ohne die Liebe wäre das Leben wesentlich ärmer. Natürlich machen wir auch die Erfahrung, dass die Liebe uns zwischen den Fingern zerrinnen kann und dass wir nirgendwo so tief verletzt werden wie gerade in der Liebe. Aber all das spricht nicht gegen die Liebe. Wenn wir nach der Liebe fragen, geht es um etwas anderes: Es geht um die Frage, wie es gelingen kann, auf Dauer zu lieben und so zu lieben, dass es nicht in Chaos und Verletzung endet. Damit die Liebe auf Dauer gelingt, darf ich sie nicht mit dem Gefühl verwechseln. Liebe ist nicht ewiges Verliebtsein. Das Verliebtsein muss sich wandeln zu einer Liebe, die den anderen so annimmt, wie er ist. Oft stülpen wir dem andern unsere eigenen Bilder und Wünsche über und lieben dann mehr das Bild, das wir uns vom andern gemacht haben, als ihn so, wie er in Wirklichkeit ist. Den andern so lieben, wie er ist, das ist nicht leicht. Es verlangt, Abschied zu nehmen von allen Illusionen, die ich mir über ihn gemacht habe. Und es verlangt auch den Abschied von der Illusion, dass Liebe immer ein wunderbares Gefühl ist. Oft ist sie einfach Treue zum andern. Das ist mehr als ihn nur zu ertragen. Sie bedeutet: Ja sagen zu ihm in seiner Durchschnittlichkeit und Banalität. Und Liebe ist nicht dauerndes Glück. Es gibt keine Liebe ohne Schmerz. In der Liebe öffne ich mich dem andern und werde dadurch verletzlich. Ohne diese Offenheit wäre Liebe nicht möglich. In der Liebe zueinander lernen wir uns mit all den Verletzungen kennen, die wir im Leben erfahren haben. Liebe kann verletzen. Und Liebe vermag diese Verletzungen auch zu heilen.
Aber wenn die Liebe die Verletzung in uns aufdeckt, meinen wir nicht selten, der andere würde uns verletzen. Und wir zahlen es ihm heim, indem wir ihn auch kränken. So entsteht ein Teufelskreis der gegenseitigen Verletzungen, die die Liebe nicht vertiefen, sondern zerstören. Wer sich auf den Weg der Liebe einlässt, muss wissen, dass es ein Weg in die Wahrheit ist, ein Weg, auf dem ich meine eigene Wahrheit entdecke und die des andern. Die Erkenntnis der Wahrheit ist das wirklich Schmerzliche. Aber die Liebe ist auch die Chance, diese Verletzung zu heilen. Wenn ich mich selbst mit meinen Wunden annehme und den andern wegen seiner Verwundungen nicht verurteile, sondern ihn gerade so liebe, wie er ist, dann vermag die Liebe meine und seine Wunden zu heilen.
Die Liebe zu Gott und zu den Menschen spricht in uns die gleichen Gefühle an. Aber dennoch gibt es Unterschiede. Die Griechen haben nicht nur das eine Wort für Liebe, sondern drei Begriffe, die uns die Beziehung zwischen Gottesliebe und Liebe zum Menschen besser begreifen lassen.
Da ist eros, das ist die begehrliche Liebe. Wir fühlen uns vom anderen angezogen. Die Griechen stellen sich den Eros als einen jungen Mann mit Pfeilen vor, der seine Liebespfeile verschießt. Wer vom Pfeil des Eros getroffen ist, der ist unsterblich verliebt in diesen Menschen. Er will ihn unbedingt haben und mit ihm eins werden.
Philia ist die Freundesliebe. Es ist die Liebe, die sich am Sosein des Freundes freut. Sie lässt ihn, wie er ist. Sie steht an seiner Seite. Das Lob der Freundschaft haben die Griechen immer wieder besungen. Freundesliebe war für die Griechen ein hohes Gut.
Und dann gibt es die agape. Das ist die Gottesliebe oder auch die reine Liebe zum Menschen. Es ist eine Quelle von Liebe, die einfach strömen möchte. Die Erfahrung, die wir mit der menschlichen Liebe machen, ist immer die von Erfüllung und Enttäuschung. Sowohl die Erfüllung als auch die Enttäuschung verweist uns auf die Quelle einer Liebe, die tiefer ist als das Lieben und Geliebt werden. Auf einmal spüren wir, dass wir nicht nur lieben und geliebt werden, sondern zugleich Liebe sind. In uns ist eine Quelle der Liebe, die einfach strömt. Die Liebe durchfließt unsern Leib. Sie strömt zu den Menschen, zur ganzen Schöpfung – zu den Pflanzen und Tieren um uns, zu allem, was uns umgibt. Wir müssen uns nicht zwingen, dass wir den oder jenen lieben. Die Liebe ist einfach da. Von dieser Liebe gilt, was der 1. Johannesbrief sagt: „Gott ist Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“ (1 Joh 4,16) Es ist eine göttliche Liebe. Aber diese Liebe strömt nicht nur zu Gott, sondern auch zum Menschen.
So sehr eros, philia und agape unterschieden sind, so gehören sie auch zusammen. Die agape nährt sich aus dem eros und der philia. Und die begehrliche und freundschaftliche Liebe braucht immer auch etwas von der göttlichen Quelle der unerschöpflichen Liebe, die uns von Gott her zukommt.