8. LITHAIRT’Y’SHAKARA

Die Reise war zu Ende.

Nach langer Pilgerschaft, die ihn immer weiter nach Norden geführt hatte, durch die Ebene von Scaria und die ausgedehnten Wälder, die sich zwischen Schwarzgebirge und Zwergenreich erstreckten, und über die steilen Pässe des Nordwalls, hatte Aldur endlich die Weiten der Eiswüste erreicht.

Hier lag der Ort, an dem sich sein Schicksal erfüllen sollte. Schon bald, sagte er sich, würde seine Ausbildung vollendet sein, und er würde die Nachfolge all jener antreten, die vor ihm die Wege der Magie beschritten hatten. Der Gedanke machte ihn unsagbar stolz.

So schwer es ihm zunächst gefallen war, die vertraute Umgebung zu verlassen, so sehr hatte er inzwischen Gefallen an der Fremde gefunden. Von innen betrachtet, war ihm der väterliche Hain stets wie ein schützender Hort erschienen, dessen Mauern aus dichtem Geäst ihn in all den Jahren beschützt hatten; von außen jedoch kam er ihm wie ein Gefängnis vor, und er war froh, ihn hinter sich gelassen zu haben.

Aldurs Vater war niemals müde geworden, ihm einzuschärfen, dass sein bisheriges Leben lediglich als Vorbereitung auf das gedient hatte, was nun folgen würde. Weshalb also sollte Aldur auch nur ein einziges Mal zurückblicken, da es nun endlich so weit war?

Breitbeinig, mit vor der Brust verschränkten Armen, stand er auf dem Vordeck des Schiffs, das mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Eiswüste schnitt, ohne dass der Kiel den Schnee je berührte; denn das keilförmige Gefährt, an dessen Bug sich ein kunstvoll gearbeiteter Schwan als Galionsfigur erhob und dessen steil aufragendes Deck die Quartiere der Passagiere und Mannschaften barg, ruhte auf drei langen, schmalen Kufen, auf denen es beinahe lautlos dahinglitt. Zu hören war nur das Knarren der Wanten und Segel, die sich unter dem rauen Nordwind blähten und den Eissegler unaufhaltsam seinem Ziel entgegentrieben.

Obwohl die Fahrt durch die Weiten der yngaia vergleichsweise wenig Zeit in Anspruch nahm, schien sie Aldur gar kein Ende nehmen zu wollen. Stundenlang stand er vorn am Bug und blickte ungeduldig nach Norden, sah jedoch nichts als die endlos scheinende Weite der Weißen Wüste, die nur hin und wieder von steil aufragenden Eisnadeln durchbrochen wurde. Die Luft war so kalt, dass der Atem fast gefror, dabei aber kristallklar. Die letzten Nebelfetzen waren am Fuß des Nordwalls zurückgeblieben, die Eiswüste selbst zeigte sich als blendend weiße Fläche, die sich nach allen Seiten hin scharf gegen den immergrauen Himmel abgrenzte.

Je weiter es nach Norden ging, desto weniger Macht hatte die Nacht über den Tag; nur wenige Stunden währte die Dunkelheit, dann konnte der Eissegler seinen Weg schon wieder fortsetzen. Und endlich, als Aldur aus seiner Kajüte trat, um den neuen Tag zu begrüßen, erblickte er in der Ferne, worauf er die ganze Zeit über so ungeduldig gewartet hatte.

Shakara.

Dieser Augenblick, da die Ordensburg in der Ferne auftauchte und er jenen Ort, den er bislang nur aus Erzählungen kannte, zum ersten Mal mit eigenen Augen sah, würde ihm für immer unvergesslich bleiben, davon war Aldur überzeugt.

Stolz und erhaben hob sich die Eisfestung gegen das Grau des Himmels ab, ein trutziges Bollwerk inmitten der Schneewüste, umgeben von Eisnadeln, die die Ordensburg wie stumme Wächter umgaben. Die Festung selbst mutete auf den ersten Blick wie ein riesiger zerklüfteter Eisberg an; wer sich ihr jedoch näherte, der erkannte, dass sie aus glitzernden Mauern und blendend weißen, von Zinnen gekrönten Türmen mit schmalen Fenstern bestand. Am auffälligsten war die Flamme, die auf dem höchsten Punkt der Zitadelle loderte und blaues Licht verbreitete. Sie war das Symbol des Ordens und stand für jene hohe Kunst, die im ehrwürdigen Shakara gelehrt und betrieben wurde.

Magie …

Weder erhielt die Flamme Nahrung, noch stiegen von ihr Rauch oder Hitze auf. Zauberkraft war es, die sie nährte, jene Energie, die den Elfenkristallen innewohnte und die ihnen nur die Weisen zu entlocken vermochten. Schon von Weitem wies die Wächterflamme jenen, die nach Shakara gelangen wollten, den Weg – und schreckte zugleich jene ab, die sich der Festung in unlauterer Absicht näherten.

Und das seit Jahrtausenden.


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