Leonardo Boff
Die Erde ist uns anvertraut
Leonardo Boff
Die Erde ist uns anvertraut
Die Eine ökologische Spiritualität
Aus dem Portugiesischen übersetzt von Bruno Kern
Butzon & Bercker
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ISBN 978-3-7666-1355-4
E-BOOK ISBN 978-3-7666-4125-0
EPUB ISBN 978-3-7666-4126-7
© 2010 Butzon & Bercker GmbH, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de
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Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagfoto: © Clinton Friedman – getty images
Umschlaggestaltung: Christoph Kemkes, Geldern
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Druck: Bercker Graphischer Betrieb, Kevelaer
Einleitung: Das Prinzip Erde
Erstes Kapitel:
Die Lebensgeschichte der Erde
1. Wie die Erde entstand und Gestalt gewann
2. Die Besonderheit der Erde
3. Wie die Kontinente entstanden
4. Die schönste Ausdrucksgestalt: das Leben
5. Das menschliche Leben bricht sich Bahn
6. Die große Zerstreuung und die Zivilisationen
7. Die aktuelle Phase der Erdgeschichte: die Mundialisierung
Zweites Kapitel:
Die Erde als Gaia und Gemeinsames Haus
1. Die Entdeckung der Erde
2. Gaia, die neue Weise, die Erde zu sehen
3. Die Verwüstungen, denen die Erde ausgesetzt war und ist
4. „Wir sind Erde, die empfindet und liebt.“ – Was bedeutet dieser Satz?
Drittes Kapitel:
Die Bedrohungen, denen Gaia ausgesetzt ist
1. Die gekreuzigte Erde
2. Warnende Stimmen
3. Das Fallbeispiel Amazonien
Viertes Kapitel:
Das Ende der Gattung Mensch?
1. Die Erde wird eines Tages verschwinden
2. Bedeutet der weltweit durchgesetzte Kapitalismus Selbstmord?
3. Reale Möglichkeit des Endes der Gattung Mensch
4. Konsequenzen des Verschwindens der Menschheit
5. Wer könnte uns in der Evolution des bewussten Lebens ersetzen?
6. Wie sieht die Theologie das mögliche Ende der Gattung Mensch?
Fünftes Kapitel:
Die Option für die Erde und die Dringlichkeit der Ökologie
1. Die Ökologie als Antwort auf die Krise der Erde
2. Die unterschiedlichen Dimensionen von Ökologie
a) Umweltökologie: die Gemeinschaft des Lebens
b) Politische und soziale Ökologie: nachhaltige Lebensweise
c) Mentale Ökologie: ein neues Denken und ein neues Herz
d) Integrale Ökologie: Wir gehören dem Universum an
3. Kann uns die Nanotechnologie retten?
4. Die ökologische Ethik: Sorge und Verantwortung für den Planeten
Sechstes Kapitel:
Ein neues Paradigma der Zivilisation
1. Überwindung des herrschenden Paradigmas
2. Das Paradigma und seine Grundzüge
3. Die Gemeinschaft des Lebens
4. Das Universum: Ausdehnung, Selbstschöpfung und Selbstorganisation
5. Das Paradigma der Komplexität und die Logik der Gegenseitigkeit
6. Hat das Universum eine geistig-spirituelle Dimension?
7. Der Gottespunkt im Gehirn
8. Das Ganze in den Teilen und die Teile im Ganzen
Siebentes Kapitel:
Planetarische Ethik und Spiritualität
1. Tragödie oder Krise und Chance?
2. Ein neues Modell der Produktion, der Verteilung und des Konsums
3. Orientierungspunkte für eine notwendige Moralität
4. Spiritualität der Erde
Achtes Kapitel:
Die Erdcharta: jenseits der Entzauberung
1. Wie die Erdcharta entstand
2. Die wichtigsten Inhalte der Erdcharta
3. Verständnis, Mitgefühl und Liebe zur Erde
a) Für die Gemeinschaft des Lebens in Verständnis sorgen
b) Für die Gemeinschaft des Lebens in Mitgefühl sorgen
c) Für die Gemeinschaft des Lebens in Liebe sorgen
4. Die Erdcharta: von Neuem bezaubert
Neuntes Kapitel:
Praktische Vorschläge, um Gaia zu schützen
1. Veränderungen in unserem Denken
2. Veränderungen im alltäglichen Leben
3. Veränderungen in Bezug auf die Umwelt
4. Ökologische Ratschläge des Padre Cícero Romão
5. Ökologische Prinzipien eines Meisters und Weisen
Schluss: Feier der Mutter Erde
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Niemals zuvor wurde so viel über die Erde gesprochen wie in jüngster Zeit. Man könnte fast meinen, die Erde sei erst vor Kurzem entdeckt worden. Die Menschen haben unglaublich viele Entdeckungen gemacht: Indigene Völker, die in noch nicht erkundeten Waldgebieten verborgen lebten, neue Lebewesen, ferne Länder und ganze Kontinente … Doch die Erde selbst ist nie wirklich entdeckt worden. Es bedurfte erst der Tatsache, dass wir die Erde verließen und sie von außerhalb sahen, um sie als Erde zu entdecken, als das Gemeinsame Haus und die Weltkugel, wie sie sich vom dunklen Hintergrund des Universums abhebt.
Dies geschah in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts im Zuge der sowjetischen und nordamerikanischen Raumfahrten. Die Astronauten übermittelten uns Bilder, die man niemals zuvor gesehen hatte, und sie beschrieben sie mit bewegenden Worten. So sagten sie zum Beispiel: „Die Erde kommt einem wie ein Weihnachtsbaum vor dem dunklen Hintergrund des Universums vor“; „sie ist unbeschreiblich schön, leuchtend, blau-weiß, sie hat in meiner Hand Platz und ich kann sie mit meinem Daumen verdecken.“ (White 1987) Andere zeigten angesichts der Erde Gefühle der Ehrfurcht und Dankbarkeit, ja sie beteten sogar. Alle kehrten sie aus dem Weltall mit einer neu entfachten Liebe zum Gemeinsamen Haus, unserer guten, alten Erde, unserer Mutter, zurück.
Dieses Bild von der von außerhalb betrachteten Weltkugel wurde via Fernsehen in der ganzen Welt verbreitet und findet sich auf großen Postern in den Schulklassen. Es erweckt in uns ein Gespür für die Heiligkeit und schafft ein neues Bewusstseinsstadium. Aus der Perspektive der Astronauten, vom Weltall aus, bilden Erde und Menschheit eine Einheit. Wir leben nicht nur auf der Erde. Wir sind die Erde, die aufrecht geht, wie es der argentinische Dichter und Sänger Atahualpa Yupanqui ausdrückte (Galasso 1992, 102 und 184). Wir sind die Erde, die denkt, die Erde, die liebt, die Erde, die träumt, die Erde, die verehrt, die Erde, die sich um Andere sorgt. Wir gehören zu den vielen Söhnen und Töchtern, die die Erde hervorgebracht hat und die gemeinsam die große Gemeinschaft des Lebens bilden, angefangen von den Bakterien, den Pilzen, den Viren, den Pflanzen, den Fischen und den Tieren bis hin zu uns Menschen.
Doch in jüngster Zeit sind schwerwiegende Bedrohungen sichtbar geworden, die die Erde in ihrer Gesamtheit betreffen. Daher rührt die neuerliche Sorge um sie, denn sie ist die Vorbedingung von allem: Sie ist es, die die Existenz aller Lebewesen aufrecht erhält und allererst ermöglicht; sie ist die Grundbedingung aller unserer Vorhaben. Ohne die Erde ist nichts möglich (Hart 2006, 61 – 78). Doch die Erde ist nun erkrankt, weil sie Jahrhunderte lang die Aggression vonseiten der Gattung Mensch zu ertragen hatte – jenes Menschen, der zugleich homo sapiens (intelligent) und demens (dumm) ist. Beim Menschen handelt es sich um eine Gattung, die nur allzu oft bewiesen hat, dass sie zum Brudermord, zum Völkermord fähig ist, indem sie Menschen und ganze Ethnien ausgerottet hat, und die nun möglicherweise die Ökosysteme und das Leben vernichtet und auf tragische Weise auch die lebendige Erde selbst töten kann.
Die Daten, die der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Changes, das heißt der wissenschaftliche Beirat der UNO zu Fragen des Klimawandels) im Zeitraum vom 2. Februar 2007 bis zum 17. November in Valencia veröffentlicht hat, machen uns bewusst, dass wir in eine neue Epoche der Erde eintreten, in die Phase der globalen Erwärmung, die plötzliche und irreversible Veränderungen bewirken wird. Diese Erderwärmung kann je nach Region zwischen 1,4 und 6 Grad Celsius schwanken. Im globalen Durchschnitt wird sie sich zwischen 2 und 3 Grad Celsius bewegen. Diese Erwärmung, die grundsätzlich etwas sein könnte, was der Physiologie der Erde eigen ist, hat sich in den letzten Jahrhunderten durch das Handeln des Menschen stark beschleunigt. Das menschliche Handeln ist nun ihre Hauptursache. Die klimatischen Veränderungen sind anthropogen, das heißt, der Mensch und der von ihm ins Werk gesetzte Industrialisierungsprozess, der nun schon drei Jahrhunderte andauert und seine Spuren in der Umwelt hinterlässt, sind deren Hauptverursacher.
Diese Veränderungen machen sich im Abschmelzen der Polkappen, in Taifunen, in länger anhaltenden Dürreperioden, verheerenden Überschwemmungen, im kontinuierlichen Rückgang der Artenvielfalt, in einer noch nie da gewesenen Wüstenbildung (die bereits 40 % des Bodens betrifft), in einer alarmierenden Trinkwasserknappheit und einer Zerstörung der Wälder bemerkbar. Wenn wir hier nichts unternehmen, erwartet uns ein trostloses Szenario: Das Leben von Millionen Menschen könnte ernsthaft bedroht sein.
So wie wir auf unverantwortliche Weise zur Zerstörung beigetragen haben, müssen wir nun dringend an der Regeneration der Erde arbeiten. Die Heilung der Erde fällt nicht vom Himmel, sie muss vielmehr das Ergebnis unserer Mitverantwortung und einer erneuten Sorge der gesamten Menschheitsfamilie sein (Colon 2007, 108 – 119). Deshalb bildet die Option für die Erde den neuen zentralen Bezugspunkt des weltweiten Denkens und der weltweiten historisch-gesellschaftlichen Praxis. So dramatisch die Situation auch ist: Wir glauben dennoch fest daran, dass der Mensch nach Millionen Jahren Evolutionsgeschichte nicht für ein solch tragisches Ende vorherbestimmt ist. Er hat keinen Grund, zum Satan der Erde zu werden, er kann vielmehr ihr Schutzengel sein. Seine Berufung ist es, für die Erde Sorge zu tragen wie jemand, der einen Garten – wie den Garten Eden – kultiviert (Boff 2002, 89 – 93). Dies ist die Lehre, die den ersten Seiten der Heiligen Schrift der Juden und Christen, die mit dem Buch Genesis beginnt, entnommen werden kann.
Angesichts dieser Situation ist die Erde tatsächlich zum großen Objekt der Sorge und Liebe der Menschen geworden. Sie ist nicht das physische Zentrum des Universums, wie man in der Antike und im Mittelalter annahm, doch sie wurde in den letzten Jahren zum Zentrum der Affektivität der Menschheit (Toolan 2001, 22 – 44). Wir haben keinen anderen Planeten, auf dem wir wohnen könnten. Hier haben wir uns entwickelt. Von hier aus betrachten wir das gesamte Universum. Hier lieben, weinen, hoffen, träumen wir und empfinden Ehrfurcht. Von der Erde aus beginnen wir unsere große Reise zum Jenseits, zum neuen Himmel und zur neuen Erde.
Allmählich entdecken wir, dass der höchste Wert darin besteht, das Weiterbestehen des Planeten Erde – des Erbes, das uns das Universum und Gott übereignet haben, um es zu behüten und zu vervollkommnen – sicherzustellen. Doch dieser Wert besteht auch darin, die physisch-chemischen, ökologischen und geistigen Bedingungen für die Selbstverwirklichung der Gattung Mensch, der gesamten Gemeinschaft des Lebens und jedes einzelnen ihrer Mitglieder so umfassend und solidarisch wie möglich zu garantieren (O’Murchu 2002, 197 – 206).
Aufgrund dieses neuen Bewusstseins sprechen wir vom Prinzip Erde, das eine neue Radikalität begründet. Jeder Wissenszweig, jede Institution, jede spirituelle und religiöse Tradition und jede einzelne Person müssen sich folgende Frage stellen: Was mache ich, um die gemeinsame Heimat, die Erde, zu erhalten und ihre Zukunft zu sichern, die aus dem bereits 13.700 Millionen Jahre alten Universum hervorgegangen ist und es wert ist, weiter zu bestehen? Auf welche Weise trage ich dazu bei, dass die Menschheit weiterhin am Leben bleiben, sich entwickeln und ihr weltweites Projekt verwirklichen kann? Das ist der Sinn unseres vorliegenden Buches „Die Erde ist uns anvertraut“: Die Lösung für die Erde fällt nicht vom Himmel.1
Die hier dargebotenen Überlegungen stehen in engem Bezug zum Hauptanliegen, das uns in den letzten Jahren beschäftigt und seinen Niederschlag in Vorlesungen, Tagungen und Artikeln gefunden hat (s. meine einschlägigen Zeitschriftenartikel und Bücher im Literaturverzeichnis).
All diese Überlegungen haben zum Ziel, eine neue Liebe und ein überwältigendes Gefühl der Ehrfurcht für die Erde zu erwecken. Diese Erde ist, wie wir weiter unten sehen werden, ein lebendiger Großorganismus, sie ist Gaia (griechisch: Erde), unsere gemeinsame Heimat, die Pacha Mama (Mutter Erde) unserer lateinamerikanischen Völker, die Mutter und Schwester des Franz von Assisi und von uns allen. Unser Schicksal ist an das ihre geknüpft. Und weil wir Erde sind, wird es ohne die Erde keinen Himmel für uns geben.
Angesichts der dramatischen Situation aufgrund der Klimaveränderungen scheint es uns dringend notwendig zu sein, das Prinzip Erde und die Option für die Erde zu betonen. Die Heilung der Erde wird das Ergebnis einer neuen Praxis sein, die von der Logik des Herzens, der Sorge, dem Mitleid, der Mitverantwortung, der empfindsamen Vernunft und der spirituellen Intelligenz geprägt ist. Diese Eigenschaften werden uns helfen, zu einem vernünftigen, solidarischen und demokratischen Umgang mit den Ressourcen und Gaben zu finden – sie alle sind endlich, einige sind erneuerbar und andere nicht –, die die Erde für die Gemeinschaft des Lebens bereithält.
Die überwiegende Mehrheit der Menschen kennt nicht die Geschichte des Hauses, das sie bewohnt: der Erde. Sie kennt nicht einmal ihr eigenes unmittelbares ökologisches Umfeld. Sie weiß nicht, wie sich die Böden gebildet haben, wie alt die Berge ihrer Region sind, wie viele Tier- und Pflanzenarten das lebendige Ökosystem bilden. Sie kennt kaum die Geschichte der Menschen in der eigenen Gegend, weiß kaum, wer sie früher bewohnt hat, welche Helden, Künstler, Dichter, Heilige und Weise es dort gab. Wir alle sind mehr oder weniger ökologische Analphabeten, wissen nichts über den Ursprung der Erde und unsere eigenen Anfänge. Viele interessiert es nicht einmal, warum sie auf dieser Welt sind, was ihre besondere Stellung innerhalb der Gesamtheit der Lebewesen ist, und noch viel weniger beschäftigt sie die Frage, welches ihre Aufgabe angesichts des Universums und der Gemeinschaft des Lebens ist.
Nun, da die Erde und die Menschheit Gefahr laufen, großen Schaden zu nehmen, möchten wir dringend wissen, wie wir in diese Situation geraten sind. Doch zuvor ist es notwendig, die Biographie der Erde zu kennen und zu wissen, wie wir selbst aus ihrem Inneren, aus ihrem geheimnisvollen und aufnahmebereiten Mutterschoß hervorgegangen sind.
Im Folgenden möchten wir in knapper Form die Hauptabschnitte des Lebens der Erde beschreiben (vgl. Boff 1995; Brahic 2001; De Duve 1997; Hawking 1992, 2001; Küng 2007).
Zuerst gab es die Ursprungsquelle allen Seins, diesen unbenennbaren und praktisch unendlichen energetischen Hintergrund, der dem gesamten Universum und jedem einzelnen Wesen, das existiert, zugrunde liegt. Die Astrophyiker nennen das „Quantenvakuum“. Das ist eine in gewisser Weise unzutreffende Bezeichnung, denn das Vakuum, auf das man sich bezieht, ist alles andere als ein Vakuum im landläufigen Sinne. Es ist von einer unergründlichen und geheimnisvollen Energie erfüllt. Es ist das Zuvor des Zuvor, allem vorausliegend, was existiert und existieren kann, selbst dem Raum und der Zeit.
Zweitens: Aus diesem geheimnisvollen energetischen Hintergrund ging ein unendlich kleiner Punkt hervor, der jedoch von außerordentlicher Dichte und unvorstellbar heiß war. In ihm war alles in verdichteter Form da: Energie, Materie, Information, Raum, Zeit und praktisch alle Wesen, die später im Lauf der Evolution entstanden sind. Wir wissen nicht, warum, aber dieser Punkt dehnte sich aus, bis er schließlich die Größe eines Apfels erreichte, und explodierte mit einem Knall, der so gewaltig war, dass die Wissenschaftler sein entferntes Echo noch heute über die sogenannte „Hintergrundstrahlung des Universums“ vernehmen können. Dabei handelt es sich um eine Strahlung von äußerst niedriger Frequenz und konkret von drei Grad Kelvin.
Unmittelbar nach dieser großen Explosion entstanden Materie und Antimaterie zu praktisch gleichen Anteilen. Innerhalb einer Milliardstel Sekunde begann alles so weit abzukühlen, dass die ersten Elementarteilchen, die Quarks und die Antiquarks, entstehen konnten. Diese stießen nun miteinander zusammen und begannen sich gegenseitig zu zerstören. Sie setzten dabei ein energiehaltiges Photon frei. Die Symmetrie war aber nicht vollkommen. Innerhalb einer jeden Einheit von je einer Milliarde Quarks und Antiquarks gab es ein Quark zu viel. Und genau aus dieser überaus kleinen Restmasse bildete sich das gesamte Universum, das sich über eine riesige Ausbreitung von Gasen und daraus entstehender Materie entwickelte. In dem Maße, in dem es sich abkühlte, bildeten sich weitere Elementarteilchen wie die Protonen, die Neutronen, die Elektronen, die Positronen und die dunkle Materie. Aus der Verschmelzung dieser Elementarteilchen entstand das erste, einfachste Element, das Helium, das das gesamte Universum erfüllt. Es entstand Hunderttausende von Jahren vor dem Wasserstoff.
Die Ursprungsenergie, die einfach „Energie X“ genannt wird, entwickelte sich zu den vier Kräften, die dem gesamten Kosmos und jedem Wesen in ihm zugrunde liegen: Die Gravitation, die elektromagnetische Kraft, die starke und die schwache Kernkraft. Zusammen mit der Lichtgeschwindigkeit bilden diese vier Kräfte die kosmologischen Grundkonstanten. Sie alle wirken stets zusammen und verwandeln so das ursprüngliche Chaos in neue Ordnungen und komplexe Strukturen. So machen sie aus der Expansion einen Prozess der Evolution, der Entwicklung zu immer höherer Komplexität, Ordnung und Selbstorganisation (Autopoiese).
Drittens: Nach Abermillionen von Jahren verdichtete sich dieses erste Gas immer mehr. Es bildeten sich daraufhin die großen roten Sterne, die wie wahrhafte Hochöfen funktionierten, denn in ihrem Inneren herrschte ein andauernder Zustand der Blasenbildung und atomarer Explosionen. Daraus gingen die ersten physisch-chemischen Elemente hervor, die uns vom Periodensystem Mendelejews her bekannt sind, wie Kalzium, Schwefel, Silizium usw. Die roten Sterne leuchteten Abermillionen Jahre lang, dann hörten sie auf zu strahlen, und alle Elemente wurden aus ihrem Inneren in alle Richtungen hinausgeschleudert.
Viertens: Mit der Explosion bildeten sich im Universum auf unregelmäßige Weise unvorstellbar große Gaswolken, die sich aufgrund der Schwerkraft verdichteten und so zirka hundert Milliarden Milchstraßen und Milchstraßenhaufen entstehen ließen. Jede von ihnen umfasste etwa 200 Milliarden Sterne, in deren Innerem sich andere, schwerere Elemente bildeten, die für den heutigen Zustand des Universums wesentlich sind. Unsere Galaxie, die unter dem Namen „Milchstraße“ bekannt ist, hat eine Größe, die hunderttausend Lichtjahren entspricht.
Fünftens: Einer dieser Sterne ist von besonderer Art, denn er ist unsere kosmische Großmutter, der Vorfahr unserer heutigen Sonne. In seinem Inneren bildeten sich die übrigen Elemente wie Sauerstoff und Schwefel, die die Grundlage des Lebens bilden, Phosphor, der die Photosynthese ermöglicht, Kohlenstoff und Stickstoff, die für die Kombinationen, die den Strukturen des Lebens zugrunde liegen, für die Erbinformation, das Gedächtnis und das reflexive Bewusstsein fundamental sind. Auch dieser Stern explodierte, nachdem er Abermillionen Jahre lang geleuchtet hatte, und auch seine Elemente wurden über das gesamte Universum hinausgeschleudert. Ohne das Opfer seiner Existenz wären die Erde, das Leben allgemein und das menschliche Leben im Besonderen unmöglich gewesen.
Sechstens: Die riesige Gaswolke, die sich im Anschluss an die Explosion bildete und die voller Trümmer jeglichen Typs und jeglicher Größe war, wurde immer dichter, bis sie einen leuchtenden Stern bildete. So entstand vor fünf Milliarden Jahren die Sonne, wie wir sie heute kennen, die Herrscherin unseres Sonnensystems. Die Trümmer, die unter dem Namen Planetoiden bekannt sind, bildeten Haufen, aus denen schließlich die Planeten entstanden, die noch heute die Sonne umkreisen. Einer davon ist die Erde, die erst ca. 100 Millionen Jahre nach Bildung des Sonnensystems entstand.
Die Erde ist im Vergleich mit den anderen Planeten des Sonnensystems etwas Besonderes, denn sie weist einige optimale Eigenschaften auf, die dafür sorgen, dass sie das sein kann, was sie heute ist. Sie hat die ideale Entfernung zur Sonne, um eine große Menge an flüchtigen chemischen Elementen anzuziehen bzw. zu bewahren und zu vermeiden, dass das Wasser verdampft. Wenn sie der Sonne näher wäre, wie etwa die Venus, hätten sie die Solarwinde verbrannt. Wenn sie, wie Jupiter oder Saturn, weiter weg von der Sonne wäre, dann bestünde sie hauptsächlich aus Gasen, Helium und Wasserstoff, und die physisch-chemischen Elemente wiesen nicht jene Dichte auf, die die Bildung einer Atmosphäre, der Ozeane, der Flüsse und der Gesamtheit der Faktoren ermöglichte, die die Biosphäre ausmachen – die Biosphäre als die geeignete Umgebung für das Leben in all seinen Formen.
Doch bis dahin bedurfte es einer Reihe von dramatischen Prozessen. Achthundert Millionen Jahre lang war die Erde in einem Schmelzzustand aufgrund ihrer ungeheuren Hitze, die von ihrem stellaren Ursprung herrührte und die noch durch Einschläge von Asteroiden und Meteoriten vergrößert wurde. Ein Teil von ihr löste sich ab und ermöglichte die Entstehung des Mondes. Als sich dank der geeigneten Entfernung von der Sonne die Erdoberfläche abkühlte, bildeten sich die für die Entstehung des Lebens in all seinen Formen nötigen Bedingungen heraus (Lovelock 1991).
Das Leben ist ein Teil der Evolution des Kosmos und gehorcht der Logik der Quantenphysik und den chemischen und physikalischen Gesetzen unter den Bedingungen hoher Komplexität und eines Zustandes, der weit entfernt ist vom Gleichgewicht. (Absolutes Gleichgewicht wäre der Tod). Wenn die Gravitation nicht das richtige Maß hätte und die Gesetze auch nur leichte Abweichungen von ihrer faktischen Geltung aufwiesen, dann wäre diese Art von Leben niemals entstanden.
Simulationen, die man unter höchst ausgeklügelten Versuchsanordnungen realisiert hat, legen es nahe, dass das Leben zwangsläufig entsteht, wenn eine Reihe von Aminosäuren, Proteinen und Nukleinsäuren ein bestimmtes Maß an Wechselwirkung und Komplexität erreichen (De Duve 1997).
Nachdem das Leben einmal entstanden war, schuf es sich die für seine Selbstentfaltung günstigsten Bedingungen. Wir können deshalb in Übereinstimmung mit James Lovelocks Gaia-Hypothese behaupten, dass die Biosphäre eine Schöpfung des Lebens selbst ist. Es entwickelt sich also eine Art Feedback: Das Leben bringt die Biosphäre hervor, und diese wiederum bringt das Leben hervor. Beide unterstützen sich gegenseitig darin, dass die Erde allen Formen des Lebens stets förderlich ist. Das Leben entwickelte sich innerhalb unserer Galaxie, des Sonnensystems und des Planeten Erde immer weiter, erreichte immer höhere Stufen von Komplexität, bis es als menschliches Leben hervorbrach, das heißt als ein mit Bewusstsein ausgestattetes, zur Liebe fähiges, fürsorgliches, der Synergie und der Wahrnehmung Gottes im Universum fähiges Leben. Das geschah vor etwa sieben Millionen Jahren. All diese Entwicklungen stellen auch für die Wissenschaften ein Geheimnis dar. Diese sind zwar in der Lage, zu beschreiben, wie diese Prozesse vonstatten gingen, doch den tieferen Grund ihres Ursprungs können sie nicht entdecken (Collins 2007, 70 – 71).
Möglicherweise gibt es ein inneres kosmologisches Prinzip, einen geheimnisvollen Impuls, der das gesamte Universum mitsamt allem, was in ihm existiert, nach vorne und nach oben bewegt, der ihm die Richtung zu immer höher entwickelten Formen von Ordnung, Komplexität und Bewusstheit vorgibt. Wohin wird dieser Prozess letztendlich führen? Die Wissenschaft hüllt sich in Schweigen. Die Religionen und spirituellen Weltanschauungen hingegen haben den Mut, eine Wette dafür einzugehen, dass dieser gewaltige Prozess einen Kulminationspunkt hat, einen „Punkt Omega“, der ins Innerste des großen Mysteriums hineinreicht, das Gott genannt wird.
Bereits vor 4,4 Milliarden Jahren erreichte die Erde ihre endgültige Gestalt mit den Größen, wie wir sie heute kennen: einem Radius von 6400 Kilometern und einem Erdumfang von ca. 40.000 Kilometern. Und sie wird von konzentrisch angeordneten Schichten, ähnlich einer Zwiebel, gebildet. Die äußerste Schicht bildet die aus Gasen bestehende Atmosphäre. Auf der Oberfläche gibt es die Hydrosphäre, die aus den Ozeanen, den Meeren und den Flüssen auf den Kontinenten besteht. Dann haben wir die aus dem Wasser ragenden Landmassen und den Meeresgrund. Dann kommt der Erdmantel, der etwa 70 % des Erdvolumens ausmacht, und 2900 Kilometer unter unseren Füßen befindet sich der Erdkern, der im Wesentlichen aus flüssigem Eisen und festem Nickel besteht (Morris 2001).
Dies ist nur eine oberflächliche, ich würde sogar sagen dürftige Beschreibung. In Wirklichkeit ist die Erde viel mehr: Sie ist das Zusammenleben und die gegenseitige Vernetzung all dieser Faktoren, die stets voneinander abhängig und auf eine solche Weise miteinander verbunden sind, dass sie aus unserem Planeten ein lebendiges und dynamisches System machen, das stets in Bewegung und in Entwicklung begriffen ist.
Während ihrer ganzen langen Geschichte hat sich die Erde im geologischen Sinn als äußerst aktiv erwiesen. Immer wieder brachen Vulkane aus oder es schlugen riesige Meteoriten ein, die riesige Krater auf der Erdoberfläche hinterließen, aber auch beträchtliche Mengen von Wasser und mineralischen Stoffen mit sich brachten. Einigen Forschern zufolge haben wir diesen Meteoriten die Moleküle zu verdanken, die die Grundlage für das Entstehen des Lebens bildeten (Collins 2007, 94 – 100).
Die Geologen und Paläontologen sagen uns, dass im Archaikum (das ist die älteste Epoche der Erdgeschichte von ihrer Entstehung vor etwa 4,4 Milliarden Jahren bis 2,7 Milliarden Jahre) die Kontinente noch nicht existierten. Vielmehr bedeckte das Wasser die gesamte Erdoberfläche, nur da und dort gab es riesige Vulkaninseln.
Vor etwa 3,8 Milliarden Jahren tauchten da und dort verstreut liegende große Landflächen auf, die ständig in Bewegung waren. Diese Landflächen vereinigten sich und produzierten so große Brüche, Seebeben und Verwerfungen. Eine Milliarde Jahre später hatten sich auf diese Weise bereits große Teile des Festlandes gebildet. Sie glitten auf einer Basaltschicht, veränderten ihre Lage, bis sie sich schließlich zu einem einzigen großen Kontinent vereinigten, dem man den Namen Pangäa gab. Fünfzig Millionen Jahre lang bewegte sich dieser Superkontinent frei über den Globus hinweg. Millionen Jahre später zerfiel Pangäa in Teile, und nach und nach traten an seine Stelle die Kontinente, wie wir sie heute kennen. Unter ihrer Oberfläche befinden sich die tektonischen Platten, die ständig aktiv sind, miteinander zusammenstoßen (und auf diese Weise Gebirge hervorbringen) oder sich überlagern bzw. sich in einer Bewegung, die man „Kontinentaldrift“ nennt, voneinander entfernen. Jedes Mal, wenn die tektonischen Platten aufeinanderstießen, löste das unvorstellbare Katastrophen aus, so wie auch vor 245 Millionen Jahren, als Pangäa auseinanderbrach. Dabei wurden 75 % bis 95 % der damals existierenden Lebewesen vernichtet.
Die Erde hat bereits mehrere große Massenvernichtungen der auf ihr existierenden Lebewesen erfahren. Zwei davon haben zu einer völligen Neuorganisation der Ökosysteme auf dem Festland und im Meer geführt. Die erste dieser Massenvernichtungen haben wir bereits beschrieben: Sie ereignete sich, als Pangäa auseinanderbrach und verschiedene Kontinente bildete. Die zweite fand vor 65 Millionen Jahren statt. Sie wurde von Klimaveränderungen, deutlichen Veränderungen des Meeresspiegels und dem Einschlag eines Meteoriten von etwa 9,6 Kilometern Durchmesser in Yucatan im Südosten Mexikos ausgelöst. Es brachen höllische Brände aus, unvorstellbar heftige Tsunamis (Seebeben) entstanden, zahlreiche giftige Gase breiteten sich aus und verursachten eine lang andauernde Verdunkelung der Sonneneinstrahlung. Die Dinosaurier, die 130 Millionen Jahre lang die Erde beherrscht hatten, verschwanden vollständig und erlitten damit dasselbe Schicksal wie 50 % aller lebenden Arten. Die Erde brauchte zehn Millionen Jahre, um sich zu erholen und ihre immense Artenvielfalt wiederzuerlangen. Doch da sie Gaia ist, das heißt ein lebendiger Großorganismus, verfügt sie über „Resilienz“2, das heißt eine große Fähigkeit, Einflüssen von außen standzuhalten und aus den Katastrophen Chancen entstehen zu lassen, um neue Formen des Lebens hervorzubringen und Anpassungen der Ökosysteme zu bewerkstelligen. Die eben geschilderte Katastrophe war der Ausgangspunkt dafür, dass den Säugetieren das Überleben ermöglicht wurde und dass schließlich der Mensch entstehen konnte.
Geologen und Biologen behaupten, dass eine weitere große Katastrophe in Gang sei. Ihnen zufolge habe sie vor 2,5 Mio. Jahren ihren Anfang genommen: Große Eisflächen begannen den Planeten zu bedecken und veränderten so das Klima und den Meeresspiegel. In dieser Zeit sei der homo habilis entstanden, der den Werkzeuggebrauch erfand (ein Stein, ein Stock …), um effektiver ins Naturgeschehen eingreifen zu können. Später, als er sich bereits zum homo sapiens sapiens weiterentwickelt hatte, legte er nicht nur eine unglaubliche schöpferische Kraft, sondern zugleich auch eine Zerstörungskraft von solchem Ausmaß an den Tag, dass er mit einem gewaltigen Meteoriten verglichen werden kann.
In den letzten drei Jahrhunderten hat der Mensch aufgrund eines verantwortungslosen und gedankenlosen Konsums eine systematische Zerstörung der Ökosysteme praktiziert. Er beschleunigt deshalb den Prozess der massenhaften Auslöschung der lebenden Arten in einem Tempo, das selbst den unerbittlichen Rhythmus der Natur bei Weitem übersteigt. Die „Treibhausgase“ (Kohlendioxid, Methan, Stickoxid, Wasserdampf und Ozon) sind die Hauptverursacher der globalen Erwärmung und der Klimaveränderungen, unter denen die Erde spürbar leidet.
Wir sind also von einigen Kräften abhängig, die sich unserer Kontrolle entziehen und die unsere Gattung vernichten können, so wie sie in der Vergangenheit bereits so viele andere Arten vernichtet haben. Doch das Leben selbst wurde niemals ausgelöscht. Nach jeder Vernichtung fand eine neue Genesis statt. Da die Intelligenz in erster Linie im Universum selbst angelegt ist und erst sekundär eine Qualität von uns Menschen ausmacht, kann man davon ausgehen, dass sie in anderen Lebewesen weiter existieren wird, die hoffentlich ein besseres Verhalten an den Tag legen als wir. Peter Ward, Geologe an der Universität Washington, meinte:
„Was spricht dagegen, dass einige Arten, die heute unbedeutend sind, zu Vorläufern irgendeiner großen Intelligenz werden, die Größeres vollbringt, und mehr Weisheit und Weitsicht an den Tag legt als wir? Wer hätte es denn vorhergesehen, dass die kleinen auf Bäumen lebenden Säugetiere, die vor 75 Millionen Jahren vor den Dinosauriern aus Furcht zitterten, eines Tages uns hervorbringen würden?“ (Ward 1997, 289) Hier liegt ein Grund dafür, warum wir alle Arten erhalten sollten: nicht, weil sie wirtschaftlich, medizinisch und wissenschaftlich für uns wertvoll sind, sondern wegen ihres evolutiven Potenzials, das sie möglicherweise enthalten. Die Zukunft der Intelligenz und des Bewusstseins kann anfanghaft in ihnen vorhanden sein.
Schließlich haben wir die Erde in ihrer bereits reifen Gestalt mit ihren heutigen Merkmalen vor uns: mit ihren Ozeanen und Flüssen, ihren Vulkanen, ihrer Atmosphäre, ihrer Flora und Fauna mitsamt deren immenser Artenvielfalt. Die verschiedenen Bestandteile (Felsen, Berge, Gewässer, Pflanzen, Tiere, Menschen und Mikroorganismen) sind einander nicht entgegengesetzt, sie alle sind vielmehr eng miteinander verknüpft und voneinander abhängig, sodass sie ein einziges komplexes und lebendiges System bilden. Dieses System ist Gaia; es weist ein so fein abgestimmtes Gleichgewicht seiner verschiedenen Bestandteile auf (Sauerstoffgehalt der Luft, Stickstoff im Boden, der Salzgehalt der Ozeane und die Gesamtheit der übrigen physisch-chemischen Elemente), wie es nur ein Lebewesen aufweisen kann. Innerhalb dieses komplexen und weitergehenden Prozesses bildet das Leben das erstaunlichste Phänomen, das auf unserem Planeten und möglicherweise innerhalb unserer Galaxie, der Milchstraße insgesamt, entstanden ist.
Bis vor einiger Zeit hat man sich das Leben als etwas außerhalb des Entstehungsprozesses des Kosmos vorgestellt, als etwas Mirakulöses, das direkt von Gott kommt. Doch seit 1953, als Watson und Crick den genetischen Code entdeckten, wie er in der DNA von Zellen lebendiger Organismen vorhanden ist, änderte sich unsere Auffassung von der Entstehung des Lebens radikal. Es befindet sich nicht außerhalb des universalen Prozesses der Entstehung des Kosmos. Ganz im Gegenteil, es ist seine höchste Ausdrucksform. Die Forschung hat gezeigt, dass das Leben aus denselben physikalisch-chemischen Elementen besteht wie alle anderen Entitäten des Universums; sie organisieren sich in hoch komplexen Beziehungen zueinander. Alle lebenden Organismen verfügen über dasselbe grundlegende Alphabet: Zwanzig Aminosäuren und vier in den „Nukleotiden“ enthaltene Basen als Grundstoffe: Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Wir alle sind Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen. Wir unterscheiden uns jedoch durch unterschiedliche Silbenkombinationen dieses lebendigen Alphabets (Watson 2005).
Zu Beginn der 70er-Jahre begriff man im Zuge der thermodynamischen und physikalische Chaosforschung (wir erinnern an dieser Stelle nur an einen bedeutenden Wissenschaftler dieser Richtung, an den im Jahr 2003 verstorbenen russisch-belgischen Wissenschaftler Ilya Prigogine), dass das Leben auf einer sehr hohen Komplexitätsstufe der Materie und im Zusammenhang mit Turbulenzen und chaotischen Verhältnissen der Erde selbst entsteht. Das Chaos ist niemals nur chaotisch. Von Anfang an, seit dem Urknall, erweist es sich als produktiv, indem es immer komplexere und höhere Ordnungen hervorbringt. Das Leben ist eine Ausdrucksform dieser Organisation des Chaos. Es stellt die Selbstorganisation der Materie dar, wenn diese sich in einem Zustand außerhalb ihres Gleichgewichts befindet. Durch das Leben überwindet die Materie das Chaos, findet zu einem neuen dynamischen, sich selbst organisierenden und sich selbst regenerierenden Gleichgewicht. Sobald ein bestimmter Grad an Komplexität erreicht ist, entsteht das Leben als kosmischer Imperativ, wie dies der Mediziner, Biologe und Nobelpreisträger C. De Duve so unübertrefflich zum Ausdruck gebracht hat (Duve 1997).
Das Leben bricht überall dort im Universum hervor, wo diese Komplexitätsstufe erreicht ist. Das Leben ist die schönste uns bekannte Kreatur des Universums, das entzückendste Kind, das die Evolution jemals hervorgebracht hat, es ist stark und zärtlich zugleich, zerbrechlich und dennoch bis heute unzerstörbar.
Es geschah vor ungefähr 3,8 Millionen Jahren, möglicherweise in den Tiefen eines Urozeans oder in einem der alten Sümpfe auf diesem winzigen Planeten Erde innerhalb eines Sonnensystems von nur einem winzigen Bruchteil der Größe der Galaxie in einem ihrer Winkel (29.000 Lichtjahre von ihrem Zentrum entfernt, im Inneren des Orion-Spiralnebels): Die erste lebendige Zelle brach hervor, ein Urbakterium, das Aries genannt wurde. Es ist die Mutter aller Lebenden, die wahre Eva, denn von ihm ausgehend entwickelten sich alle Lebewesen, auch die Menschen.
Mit dem Entstehen dieses Neuen beginnt ein äußerst intensiver Dialog zwischen dem Leben, der Sonne, der Erde mit all ihren Elementen und mit dem ganzen Universum. Die Erde arbeitet ebenso mit dem Leben zusammen wie umgekehrt. Wie James Lovelock mit seiner Gaia-Theorie aufzeigte, ist die Atmosphäre zum großen Teil eine Schöpfung des Lebens selbst, das sich die geeigneten Bedingungen dafür schuf, dass sich sein Umfeld reproduzieren und erweitern kann. Langsam hörte die Erde auf, Erde zu sein, und wurde zu Gaia. James Lovelock definiert sie folgendermaßen: „Gaia ist ein evolvierendes System, bestehend aus allem Lebendigen und seiner Oberflächenumwelt, den Meeren, der Atmosphäre, dem Krustengestein … ein System, das aus der gemeinsamen und wechselseitigen Evolution der Organismen und ihrer Umwelt im Laufe der Entwicklungszeitalter des Lebens auf der Erde hervorgegangen ist. In diesem System geschieht die Regulation von Klima und chemischer Zusammensetzung völlig selbsttätig. Die Selbstregulation bildet sich mit der Evolution des Systems heraus … Das Leben oder die Biosphäre regelt oder stabilisiert das Klima und die Zusammensetzung der Atmosphäre so, wie sie für den eigenen Bestand optimal sind.“ (Lovelock 1991, 11)
Ausgehend von den Studien des deutschen Physikers Winfried Otto Schumann stellte man auch fest, dass die Erde von einem komplexen System elektromagnetischer Wellen umgeben ist. Es entsteht aus der Interaktion zwischen der Sonne, der Erde (ihren Böden, dem Magma, den Gewässern, den Ökosystemen) und dem unteren Teil der Ionosphäre in etwa 55 km Höhe. Es produziert – von einigen Abweichungen abgesehen – eine mehr oder weniger konstante Resonanz von 7,8 Hertz, die auch Schumann-Resonanz genannt wird. Dies entspricht der Frequenz, die vom Gehirn von Säugetieren, auch des Menschen, ausgeht. Es ist, als würde der Herzschlag der Erde als Schrittmacher alle Verhältnisse ins Gleichgewicht bringen, die das Leben aufrechterhält. Dieses Gleichgewicht ist von grundlegender Bedeutung für die Meteorologie, für die Folge der Jahreszeiten, das Leben der Vulkane, den Rhythmus der Ozeane und die Bewegung der tektonischen Platten.
Es gibt nicht wenige Wissenschaftler, die in Übereinstimmung mit diesen Tatsachen behaupten, dass das Gleichgewicht der Herztätigkeit und das emotionale Gleichgewicht der Lebewesen, besonders der Menschen, von der Schumann-Resonanz abhängig sei. Wir haben es hier jedenfalls mit einem Hinweis mehr darauf zu tun, dass die Erde tatsächlich einen lebenden Gesamtorganismus bildet: Gaia. Doch zu Beginn der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts änderte sich dieser Rhythmus. Von 7,8 Hertz beschleunigte er sich auf 11 und bis zu 13 Hertz. Das Herz der Erde begann zu rasen. Möglicherweise ist die Veränderung der Magnetresonanz eine der Ursachen für Naturkatastrophen, Klimaveränderungen, ja sogar der Zunahme von gesellschaftlichen Konflikten auf der ganzen Welt.
Innerhalb von mehr als drei Milliarden Jahren brachte die Erde eine riesige Vielzahl von Viren, Bakterien, Protozoen, Pilzen, Pflanzen und Tieren hervor. Aufgrund der zahlreichen Krisen, die sie durchmachte und die zu Massenvernichtungen führten, verschwand der größere Teil dieser Arten wieder. Vielleicht blieb nur 1 % erhalten. Und selbst das ist noch viel. Man schätzt, dass es 5000 Arten von Bakterien, 100.000 Arten von Pilzen, 300.000 verschiedene Baumarten und 850.000 verschiedene Arten von Insekten gibt. Niemand weiß das genau. Die Biologen vermuten 30 Millionen verschiedener Arten insgesamt.