Joachim Ringelnatz
Kuttel Daddeldu
Gedichte und mehr
© , 2007
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 65.)
Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm erweckt.
Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 165.)
» Wo sitzt«, so frug der Globus leise
Und naseweis die weise, weiße,
Unübersehbar weite Wand,
»Wo sitzt bei uns wohl der Verstand?«
Die Wand besann sich eine Weile.
Sprach dann: »Bei dir – im Hinterteile!«
Nun dreht seitdem der Globus leise
Sich um und um herum im Kreise –
Als wie am Bratenspieß ein Huhn,
Und wie auch wir das schließlich tun –
Dreht stetig sich und sucht derweil
Sein Hinterteil, sein Hinterteil.
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 65.)
Es war eine Schnupftabaksdose,
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war sie natürlich stolz.
Da kam ein Holzwurm gekrochen.
Der hatte Nußbaum gerochen.
Die Dose erzählte ihm lang und breit
Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.
Sie nannte den alten Fritz generös .
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann:
»Was geht mich Friedrich der Große an!«
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 198.)
Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
Still und verklärt wie im Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
Morgens wieder vorbei,
Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise - ich atmete kaum -
Gegen den Wind an den Baum,
Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 308.)
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
»Wo ist das Meer?«
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 139.)
Aus dem Paket entglitt ein Räucheraal
Und fiel ins Wasser und trieb fort gen Süden.
»Bitte nach Ihnen!« sagte am Kanal
Ein Lebensmüder einer Lebensmüden.
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 161.)
Es hatte ein Igel sich geckenhaft und blasiert
Am ganzen Körper von oben bis unten rasiert,
Weil er abstechen wollte.
Stach wirklich auch ab. Da nahte ein Fuchs.
Worauf der Igel sich igelartig zusammenrollte.
Aber der Fuchs verschluckte ihn flugs.
Igel bat Fuchsen, ihn doch wieder auszubrechen;
Er sei ein Igel und könnte empfindlich stechen.
Und mittelst bauchrhetorischer Worte
Sprach der Fuchs: „Sie müssen verzeihn;
Ich hielt Sie für ein kindliches Schwein,
Werde nun aber sofort Sie befrein.
Wenn ich bitten darf – durch die Hinterpforte.“
Der Igel gab keinen Laut
Mehr von sich. Er war schon verdaut.
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 2: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 92-93.)
„Weißt Du noch,“ so frug die Eintagsfliege
Abends, „wie ich auf der Stiege
Damals dir den Käsekrümel stahl?“
Mit der Abgeklärtheit eines Greises
Sprach der Fliegenmann: „Gewiß, ich weiß es!“
Und er lächelte: „Es war einmal –"
„Weißt du noch“, so fragte weiter sie,
„Wie ich damals unterm sechsten Knie
Jene schwere Blutvergiftung hatte?“ –
„Leider“, sagte halb verträumt der Gatte.
„Weißt du noch wie ich, weil ich dir grollte,
Fliegenleim-Selbstmord verüben wollte?? –
Und wie ich das erste Ei gebar?? –
Weißt du noch, wie es halb sechs Uhr war?? –
Und wie ich in Milch gefallen bin?? – –
Fliegenmann gab keine Antwort mehr,
Summte leise, müde vor sich hin:
„Lang, lang ist’s her – – lang – – –“
(aus: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, hg. v. Walter Pape, Zürich 1994, S. 105-106.)
Mahagoni auf Eiche furniert .
Deckel sauber scharniert .
Alle Bretter gefedert, gespundet.
Die Ecken fein weich gerundet.
Die Seitenwände mit tief geschnitzten
Weintrauben und Schellfischen geziert.
Das war bei Weber in Osnabrück
Mein Gesellenstück.
Selbst Wasmann und Peter sagten 1910:
Solch einen Sarg hätten sie noch nie gesehn.
Ohne mich rühmen. Das soll einer machen.
Und dabei alles selber gemacht.
Die Griffe kupfergeschmiedete Drachen,
Die Füße gedrechselt (((Acht, sacht, Pracht, lacht, gedacht))),
Auf den Deckel in Rundschrift fein säuberlich
Eingebrannt: »Sarg für Frau (Doppelpunkt Strich)«.
Inwendig ein roßhaargepolstertes Bett,
Rosa Pünktchen auf Gelb-Violett.
Ich habe manchmal des Studiums wegen
24 Stunden darin gelegen.
Da war ein durch schöne Bilder verdecktes
Speiseregal zur linken Hand,
Wo Camembert, Zwieback und Butter stand
Und Trockengemüse und Eingewecktes. –
Auf den leisesten Druck mit der Zehe im Schlaf
Löste sich zu Fußende ein Kinematograph
Und zeigte abwechselnd »Brudermord«
Und »Torpedoangriff an Steuerbord«.
Alle zwei Stunden von selbst automatisch
Spielte ein Grammophon ganz zart:
»Ich bin der Doktor Eisenbarth.«
Außerdem roch es dort sehr sympathisch
Nach Moschus, Kampfer und kalter Küche.
Von wegen die Leichengerüche.
Und dann die Technik und das Komfort:
Kalender, das Telefon rechts am Ohr,
Glühbirnen und Klingeln. Ein tolles Gewirr.
Auch ein kleines, versilbertes Nachtgeschirr. –
Und Wasserstandglas und Thermometer.
Kurz herrlich! herrlich! – Wasmann und Peter