Inhaltsverzeichnis
 
Vorwort
 
Götterdichtung
1. Der Seherin Gesicht
2. Das Wafthrudnirlied
3. Das Grimnirlied
4. Balders Träume
5. Die kürzeste Seherinnenrede
6. Das Thrymlied
7. Das Hymirlied
8. Das Skirnirlied
9. Lokis Zankreden
10. Das Harbardlied
11. Das Alwislied
12. Das Merkgedicht von Rig
13. Bruchstücke und Einzelstrophen
14. Das Fjölswinnlied
15. Das Hyndlalied
16. Das Walkürenlied
 
Spruchweisheit
17. Das alte Sittengedicht
18. Die Lehren an Loddfafnir
19. Das dritte Sittengedicht
20. Einzelstrophen und Splitter
21. Priameln
22. Die Odinsbeispiele
23. Die Geizhalsstrophen
24. Die Heidreksrätsel
25. Die Runenlehren
26. Die Zauberlieder
27. Der Zaubergesang der Groa
28. Der Fluch der Busla
29. Die Wölsistrophen
30. Der Urfehdebann
 
Heldengesänge
31. Das Wölundlied
32. Das Hunnenschlachtlied
33. Das Alte Sigurdlied
34. Das Alte Atlilied
35. Das Alte Hamdirlied
36. Das Jüngere Sigurlied
37. Das grönländische Atlilied
38. Das Lied vom Drachenhort
39. Die Vogelweissagung
40. Die Erweckung der Walküre
41. Sigurds Vaterrache
42. Gripis Weissagung
43. Gudruns Gattenklage
44. Gudruns Lebenslauf
45. Gudruns Sterbelied
46. Gudruns Gottesurteil
47. Brünhildens Helfahrt
48. Oddruns Klage
49. Die ältere Dichtung von Helgi dem Hundingstöter
50. Das jüngere Lied von Helgi dem Hundingstöter
51. Die Dichtung von Helgi Hjörwardssohn
52. Das Mühlenlied
53. Starkads Rückblick
54. Der Kampf auf Samsey
55. Hjalmars Sterbelied
56. Das Herwörlied
57. Odds Männervergleich
58. Das Innsteinlied
59. Das Hroklied
60. Hildibrands Sterbelied
 
Anhang
Copyright

Vorwort

1. Die Edda: Voraussetzungen

Als im Jahre 1912 mit der »Heldendichtung« der erste Band der Edda-Übersetzung von Felix Genzmer erschien, bedeutete dies in zweifacher Hinsicht ein wichtiges Ereignis. Zum ersten Mal war es einer deutschen Edda-Übersetzung gelungen, nicht nur den Wortlaut des Urtextes ins Deutsche zu übertragen, sondern etwas von Geist und Atmosphäre der altnordischen Vorlagen lebendig werden zu lassen. Außerdem aber bildete diese Ausgabe den ersten Band einer neuen Reihe, die unter dem Namen »Sammlung Thule« in den folgenden Jahren bis 1930 auf 24 Bände und einen Einleitungsband anwachsen sollte. Es war und ist noch heute die umfangreichste Sammlung von Übersetzungen altnordischer Literatur.
1920 folgte der zweite Band der Edda-Übersetzung mit der Götter- und Spruchdichtung, und auch danach bis zu seinem Tod im Jahre 1959 hat Felix Genzmer an der Übersetzung der Edda gearbeitet, ständig bemüht, seinen Text dem Altnordischen weiter anzunähern, Bedeutungsnuancen genauer wiederzugeben oder dem Rhythmus der Vorlage noch enger zu folgen, als er es schon in der ersten Auflage getan hatte. Vor allem aber spiegeln sich in den von Auflage zu Auflage zu beobachtenden Veränderungen auch die unterschiedlichen wissenschaftlichen Bewertungen der Edda selbst wider.
Mit dem Begriff Edda verbindet man oft die Vorstellung von Dichtungen, die in eine graue germanische Vorzeit zurückreichen, von urtümlichen Heldenliedern, alten, germanischen Mythen oder von geheimnisvollem Wissen. Solche Vorstellungen führen jedoch in die Irre. Zunächst muß man die Edda-Lieder als Schöpfungen des Hochmittelalters betrachten, und erst in zweiter Linie kann man untersuchen, wieweit ihre Stoffe oder ihre Formen oder auch ihre geistige Haltung weiter zurückreichen und Vorstellungen viel früherer Epochen wiedergeben. Denn unter dem Namen Edda faßt man Dichtungen zusammen, die vor allem im 13. Jahrhundert in Island niedergeschrieben worden sind, also zu einer Zeit, als die Bewohner der Insel seit mehr als zwei Jahrhunderten Christen waren und gewiß nicht mehr einfach an die alten heidnischen Götter des Nordens glaubten. Dabei ist der Name Edda selbst erklärungsbedürftig, denn zu Recht kommt er nur einem großen poetologischen Handbuch von Snorri Sturluson (1178/79-1241) zu, das gewöhnlich als Jüngere Edda bezeichnet wird (vgl. Sammlung Thule, Bd. 20). – Eine Handschrift dieses Werkes enthält die Überschrift: »Dieses Buch heißt Edda, Snorre Sturlas Sohn hat es zusammengesetzt, so wie es hier geordnet ist«, und damit gehört die Handschrift zu den wenigen altnordischen, in denen ein Verfassername angegeben wird. Allerdings ist die Bedeutung des Namens Edda nicht gesichert: möglicherweise bezieht er sich auf den Ort Oddi in Südwestisland, an dem Snorri erzogen wurde; dann würde der Name »Buch von Oddi« bedeuten. Vielleicht – so meinte man vor allem in früherer Zeit und vereinzelt auch noch heute – ist es zu einem altnordischen Wort edda, »Urgroßmutter«, zu stellen. Der Name kann aber auch zu einem Wort óðr, »Gesang, Dichtung«, gehören und seine eigentliche Bedeutung wäre dann einfach »Buch von der Dichtung, Poetik«.
Snorri hatte versucht, die Dichter der Zeit, die Skalden, mit dem Rüstzeug für die Kunst der Skaldendichtung vertraut zu machen, mit den Metren, den für die Skaldik charakteristischen metaphorischen Umschreibungen, den kenningar (Singular f. kenning) und den zum Verständnis der Kenningar erforderlichen Mythen und Heldensagen. So folgt in seinem Buch auf den ersten Teil mit dem Titel Gylfaginning, »Verblendung des Gylfi«, in dem Snorri eine zusammenfassende Darstellung der heidnischen Mythologie des Nordens gibt, ein zweiter Teil, Skáldskaparmál, »Dichtersprache«, mit einer systematischen Behandlung des Kenning-Systems, und endlich das Mustergedicht Háttatal, »Metren-Verzeichnis«, in dem alle Skaldenmetren verwendet und interpretiert werden. Vor allem im ersten Teil, Gylfaginning, benutzt Snorri zu seiner Schilderung des ganzen kosmologischen Ablaufs von der Entstehung der Welt bis zu ihrem Untergang zahlreiche Strophen aus Liedern, deren Namen er häufig nennt, von denen man aber lange Zeit nichts wußte. Snorris Edda blieb in Island auch in den folgenden Jahrhunderten bekannt und wurde in mehreren Handschriften verbreitet. Wegen der Zitate im ersten Teil meinte man aber, es müßte noch ein älteres Werk geben, aus dem Snorri diese Strophen entnommen hatte. Als der isländische Bischof Brynjólfur Sveinsson wahrscheinlich im Jahre 1643 in den Besitz einer Handschrift mit poetischen Texten kam, von denen mehrere mit den von Snorri zitierten übereinstimmten, nahm man an, die lange gesuchte Liedersammlung vor Snorris Edda gefunden zu haben. Man nannte deshalb dieses Werk ebenfalls Edda oder – um es von Snorris Buch zu unterscheiden Ältere Edda und schrieb es dem berühmtesten isländischen Gelehrten vor Snorri zu, dem Priester Sæmundr Sigfússon mit dem Beinamen inn fróði, »der Geschichtskundige« (1056-1133). Deshalb benutzte man für das Werk lange Zeit auch den Namen Sæmundar Edda im Gegensatz zur Snorra Edda. Aber die Handschrift mit dieser Liedersammlung, wegen ihrer späteren Aufbewahrung in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen Codex Regius der Lieder-Edda genannt, wurde wohl erst um 1270 geschrieben, und auch eine ihr wahrscheinlich vorausgehende, jetzt aber verlorene Handschrift dürfte kaum vor 1250 entstanden sein. So ist die Lieder-Edda, die man oft als Ältere Edda bezeichnete, jünger als die Snorra Edda, häufig jüngere Edda genannt, und von Sæmundr kann die Lieder-Edda schon gar nicht stammen. Wie soll man den Begriff Edda-Lied definieren? Dies ist tatsächlich mit Schwierigkeiten verbunden, denn zunächst kann man so nur die poetischen Werke bezeichnen, die im Codex Regius stehen. Im Jahre 1691 wurde jedoch ein Handschriftenfragment mit einigen Götterliedern bekannt, die sich auch im Codex Regius fanden. Darüber hinaus aber enthielt dieses Fragment A, das bald danach die Signatur AM 748 1, 4to bekam, ein bisher unbekanntes Lied der gleichen Art mit dem Titel Baldrs draumar, »Balders Träume« (Nr. 4). Inhaltlich und formal verwandte Dichtungen fanden sich jedoch bald auch in anderen Texten, vor allem in manchen Fornaldarsǫgur (»Vorzeitsagas«), also Sagas über Heldensagenund Wikingerstoffe, die in der uns vorliegenden Gestalt meist nicht weiter als bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, teilweise aber älteren Stoff enthalten. So weitete sich der Begriff Eddalieder aus und wird heute als Gattungsbegriff verwendet. Man könnte ihn am einfachsten definieren als »Lieder von der Art, wie sie sich im Codex Regius der Lieder-Edda finden«.
Die älteren Ausgaben der Lieder-Edda hatten sich in der Regel darauf beschränkt, außer den Liedern des Codex Regius nur einige wenige Lieder aus dem Edda-Fragment A und aus Handschriften der Snorra-Edda wiederzugeben. Im Jahre 1903 war jedoch von Andreas Heusler und Wilhelm Ranisch eine wichtige Sammlung herausgegeben worden mit dem Titel Eddica minora. Dichtungen eddischer Art aus den Fornaldarsögur und anderen Prosawerken. Hier war zum ersten Mal der Versuch gemacht worden, alle Texte, die ihrem Inhalt und/oder ihrer Form nach den Liedern des Codex Regius nahekamen, aus den verstreuten Sagas zusammenzufassen. 1905 war der junge Jurist Felix Genzmer, der sich schon länger für die altnordische Dichtung interessierte, nach Berlin zu Andreas Heusler gegangen, dem damals führenden Forscher im Bereich der altnordischen Literatur; von ihm erhielt er die entscheidenden Anregungen für seine Beschäftigung mit den altnordischen poetischen Texten. Andererseits war es auch Heusler, der sich dafür einsetzte, daß die Genzmersche Übersetzung der Lieder-Edda die groß angelegte Reihe der »Sammlung Thule« eröffnete.
Freilich: Wer diese erste Ausgabe der Edda-Übersetzung Genzmers mit der vorliegenden Ausgabe vergleicht, wird viele Unterschiede feststellen können, und keineswegs nur nebensächliche. Viele Lieder enthalten in der jetzigen Übersetzung mehr Strophen als in der Edition von 1912 und 1920, und auch die Anordnung der Lieder – vor allem im Götterliedteil – ist ganz anders als in der ersten Ausgabe. Diese Edition hat zwar der Forschung kräftige Impulse gegeben, aber in ihrer wechselnden Gestalt spiegelt sie selbst die Entwicklung der Edda-Forschung über viele Jahrzehnte wider. Was für einer Edda begegnen wir denn in dieser Ausgabe? Um dies zu erkennen, muß man auf eine Strecke den verschlungenen Pfaden der Edda-Forschung folgen.

2. Genzmers Übersetzung im Spiegel der Edda-Forschung

Die erste Ausgabe der Übersetzung trägt in vielfacher Hinsicht die Spuren von Andreas Heusler. Genzmer bezog in seine Ausgabe nicht nur die klassischen Edda-Lieder ein, sondern einen großen Teil der Texte, die Heusler und Ranisch in den Eddica minora herausgebracht hatten. So wurde die Übersetzung Genzmers die vollständigste Sammlung eddischer Dichtungen, die damals überhaupt existierte – nicht einmal die verschiedenen Editionen des Urtextes erreichten sie in ihrem Umfang, und auch heute noch gibt es keine Ausgabe des altnordischen Textes, der den Rahmen so weit zieht, wie es Genzmer getan hatte. Heuslers Einfluß zeigte sich aber auch noch in anderer und – wie man heute meint – vielleicht weniger glücklicher Weise. Der alten romantischen These, daß Dichtungen wie die Heldenlieder »vom Volk« geschaffen worden seien, war Heusler entschieden entgegengetreten: Nicht aus dem anonymen, romantisch überhöhten »Volk« seien die Heldenlieder entstanden, sondern sie seien Schöpfungen individueller Dichter. Das bedeutet aber, daß man sie als individuelle Kunstwerke behandeln muß, nicht als Leistung des anonymen Volkes oder gar der »Volksseele«. Eine längere schriftliche oder mündliche Überlieferung konnte einen solchen einmal geformten Text verändern und stören, und Edda-Herausgeber des späten 19. Jahrhunderts hatten konsequenterweise das Skalpell der »höheren Textkritik« an die Lieder angelegt und versucht, sie wieder in ihre alte, vermeintlich ursprüngliche Gestalt zurückzuführen. Häufig wurden zahlreiche Strophen, die man für späte Zutat hielt, gestrichen. Die Zeit der ärgsten Auswüchse eines solchen Verfahrens war zum Glück schon vorbei, als Genzmer seine Übersetzung schuf, aber ganz freigeblieben sind Heusler und er von solchen Versuchungen nicht. In zwei Punkten griffen sie in den überlieferten Textbestand ein: in der Anordnung der Lieder insgesamt sowie bei der Behandlung einzelner Lieder und insbesondere der sie begleitenden Prosastellen. In der Einleitung zum ersten Band der Edda-Übersetzung heißt es:
 
(Unsere Edda hat sich) »erlaubt, an den Gedichten etwelche »höhere Kritik« zu üben: störende Zutaten zu entfernen, Lücken zu füllen, Verschobenes umzustellen. Die Prosaabschnitte besonders forderten zu schärferer Sichtung heraus. […] Bei diesem ganzen Verfahren schwebt das Ziel vor: die Eddagedichte als Kunstwerke dem kunstliebenden deutschen Leser in die Hand zu legen, sie tunlich zu befreien von den kunstwidrigen Zufällen, womit ihnen die mehr stoff- als formbegierigen Schreiber zusetzten.«
 
Auch die Reihenfolge der Lieder änderte Genzmer. Im Codex Regius sind sie nach einem bestimmten System geordnet; der erste Teil mit Götterliedern ist deutlich vom zweiten Teil mit Heldenliedern getrennt, und jeder Teil hat eine bestimmte innere Ordnung, zu deren Aufhellung die Forschung in den letzten Jahrzehnten viel Mühe aufgewandt hat. Genzmer hat in der ersten Ausgabe seiner Übersetzung diese von der isländischen Handschrift vorgegebene Anordnung der Texte aufgegeben, und er begründet dies so:
 
Dieser Sammler ordnet die Stücke nach inhaltlichen, nicht künstlerischen Eigenschaften. […] Das vorliegende Werk hat die alte Reihenfolge grundsätzlich aufgegeben. Oberster Einteilungsgrund ist auch hier der stoffliche: wir scheiden die drei Massen Heldendichtung, Götterdichtung, Spruchdichtung. […] Soweit es diese inhaltlichen Gruppen zulassen, ordnen wir nach Merkmalen der dichterischen Gattung. […] Unser Vorgehen stellt die künstlerische Eigenart, das Unterscheidende der einzelnen Denkmäler klarer heraus.
Bei all den vielfältigen und im Laufe der Jahre noch gewachsenen Pflichten – seit 1920 war Genzmer Professor für öffentliches Recht – arbeitete er ununterbrochen an der Edda-Übersetzung weiter, und man kann von Auflage zu Auflage beobachten, wie intensiv er nicht nur ständig den Text zu verbessern versuchte, sondern wie er auch neue wissenschaftliche Forschungen verfolgte und deren Resultate benutzte. Dabei war gerade er selber einer von jenen, die neue Betrachtungsweisen erarbeiteten. Er wandte sich als einer der ersten gegen die alte Heuslersche Vorstellung, Heldensage habe nur in Form von Heldendichtung existiert. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1948 mit dem Titel Vorzeitsaga und Heldenlied wendet er sich entschieden gegen diese Auffassung: Manche der älteren Heldenlieder in der Edda haben ja eine ganze Heldensage zum Inhalt und nicht nur eine Episode; aber auch in diesen Edda-Liedern wird das Geschehen so knapp und oft nur in Andeutungen wiedergegeben, daß man ein solches Lied nur richtig verstehen kann, wenn man mit der Sage schon von vornherein vertraut ist. Also muß es auch schon vorher eine Textüberlieferung in Prosa in irgendeiner Form gegeben haben. Damit mußte man den überlieferten Texten selbst wieder größeren Wert beimessen. In den späteren Auflagen der Edda-Übersetzung näherte sich Genzmer immer mehr dem originalen Text an: Manche früher ausgeschiedene oder verschobene Strophe wurde wieder aufgenommen oder an ihrem ursprünglichen Platz zurückversetzt; und sogar in der Abfolge der Lieder folgte er jetzt etwas enger als vorher der vom Codex Regius vorgegebenen Reihung. Innerhalb der Heldendichtung war Genzmer mit seiner Umarbeitung schon recht weit fortgeschritten, aber seinen Plan, die Edda-Übersetzung ganz neu zu gestalten und den Ergebnissen der neueren Forschung, aber auch seinen eigenen neuen Erkenntnissen anzupassen, diesen Plan hat er nicht mehr verwirklichen können. Die vorliegende Sammlung beruht auf den letzten von Genzmer selbst besorgten Ausgaben der Edda, verschiedenen einbändigen Ausgaben, aber auch auf einer Ausgabe ausgewählter Heldenlieder in Reclams Universal-Bibliothek 1952 und 1958, erweitert 1961, sowie vor allem auch auf handschriftlichen Korrekturen, Notizen, Briefen und anderen Vorarbeiten Genzmers. Es ist somit der wohl vollständigste Text der Edda-Übersetzung, der Genzmers letzte Vorstellungen von dem Werk am besten wiedergibt.

3. Edda und Edda-Übersetzung: Götterdichtung und Spruchweisheit

Die Götterlieder bilden den ersten großen Teil der Genzmerschen Edda, im zweiten Teil faßte er die Spruchdichtungen zusammen und im dritten die Heldenlieder. Dies entspricht nicht ganz der Einteilung im Codex Regius; auch da bildet zwar die Heldendichtung einen eigenen Teil, aber innerhalb der Götterdichtung stehen auch die Hávamál, »Sprüche des Hohen«, eine Sammlung von Spruchdichtungen, die von Genzmer – wie schon erwähnt – in Einzelgedichte aufgelöst wurde und nun einen guten Teil der Texte in seinem Abschnitt »Spruchweisheit« bildet. Die Götter- und Spruchdichtungen im Codex Regius sind offenbar in einer bewußten Reihenfolge angeordnet. Am Anfang steht die Vǫlospá (»Der Seherin Gesicht«), ein großer visionärer Überblick über das Geschick des Kosmos, von der Entstehung der Welt und der Götter, der Riesen und Menschen bis zum Untergang der Welt und ihrer Wiedererstehung. Darauf folgen drei Lieder, in deren Mittelpunkt Odin und sein Wissen steht: die »Sprüche des Hohen« (Hávamál), in denen Spruchweisheit zusammengefaßt wird, die mit Odin in Verbindung gebracht werden, sowie das »Wafthrudnirlied« (Vafprúðnismál) und das »Grimnirlied« (Grímnismál). Im Mittelpunkt des Geschehens im nächsten Lied, dem »Skirnirlied« (Skírnismál, auch Fǫr Skírnis), steht eine Werbungsgeschichte des Gottes Freyr um die Riesentochter Gerd. Nun kommen vier Lieder, in denen Thor eine besondere Rolle spielt: das »Harbardlied« (Hárbarðzlióð) handelt von einem Zankgespräch zwischen Odin und Thor, daran schließt das »Hymirlied« (Hymiskviða) an, das von einem Thorsabenteuer berichtet und das durch eine Prosapassage direkt mit »Lokis Zankreden« (Lokasenna) verbunden ist. Hier tritt Thor erst ganz am Schluß auf und erst ihm gelingt es, Loki zum Schweigen zu bringen. Daran schließt das burleske »Thrymlied« (Þrymskviða) an. Darauf folgt scheinbar unvermittelt das »Wölundlied« (Vǫlundarkviða), das heute gewöhnlich zu den Heldendichtungen gezählt wird und bei Genzmer auch in dieser Liedergruppe steht. Nach der Edda ist Wölund albischer Herkunft, und es mag sein, daß das Lied deshalb unter die Götterdichtungen gezählt wurde. Das Ende des Götterliedteils im Codex Regius bildet das »Alwislied« (Alvíssmál), das einen Wissenswettstreit zwischen Thor und dem Zwerg Alviss zum Inhalt hat. Der Bogen spannt sich also von den großen mythologischen Überblicksdichtungen über die mythologische Wissensdichtungen zu Liedern, die Einzelmythen zum Gegenstand haben. Insgesamt macht dieser Teil der Lieder-Edda im Codex Regius den Eindruck einer geschlossenen und bewußt aufgebauten Komposition, freilich, wie Genzmer zu Recht beobachtet hatte, nach inhaltlichen Gesichtspunkten, nicht nach künstlerischen oder ästhetischen. – Eine eingehende Untersuchung der Paläographie und Orthographie des Götterliedteils durch den Schweden Gustaf Lindblad hat gezeigt, daß in diesem Teil die Schreibung ziemlich einheitlich ist, man muß also wohl damit rechnen, daß diese Lieder auf eine ältere, schriftliche Sammlung zurückgehen.
Genzmer fügte diesen Liedern noch einige hinzu, die sich nicht im Codex Regius finden. »Balders Träume« (Baldrs draumar) stehen in dem oben erwähnten Edda-Fragment A, das »Merkgedicht von Rig« (RígsÞula) findet sich in einer Handschrift der Snorra-Edda, das »Hyndlalied« (Hyndlolióð) ist in einer großen Sammelhandschrift aus dem späten 14. Jahrhundert überliefert, der Flateyjarbók, und einen Teil des »Hyndlaliedes« bildet die »Kürzere Seherinnenrede« (Vlospá in skamma). Das »Fjölswinnlied« (Fiǫlsvinnzmál) ist – zusammen mit dem von Genzmer unter der Spruchdichtung übersetzten »Zaubergesang der Groa« (Grógaldr) nur in jungen Papierhandschriften überliefert. Das »Walkürenlied« (Darraðarlióð) endlich, das bereits der Skaldendichtung nahesteht, wird in der »Geschichte vom weisen Njal« (Njáls saga) überliefert.
Diese 16 Texte sind nach Inhalt, Form und Alter sehr verschieden. Ehe wir uns aber einige von ihnen etwas näher betrachten, muß eine generelle, für das Verständnis der eddischen Götterdichtung allerdings entscheidende Frage gestellt werden. Wenn es sich bei diesen Liedern oder zumindest bei einigen von ihnen wirklich um Texte handelt, die in die Zeit des Heidentums zurückgehen, heidnische Mythen und Vorstellungen wiedergeben und damit etwas vom Glaubensleben des Nordens in paganer Zeit widerspiegeln, dann ist es schwer zu begreifen, wie sie im 13. Jahrhundert, also mehr als zwei Jahrhunderte nach der Einführung des Christentums in Island, aufgezeichnet werden konnten. Bis auf ganz geringe und vereinzelte Ausnahmen können wir in keinem Land germanischer Sprache etwas Ähnliches beobachten. Wenn man in England oder Deutschland Spuren heidnischer Vorstellungen erkennen kann, so findet man sie meist in Abschwörungsformeln, in Synodalberichten und dergleichen, in Texten also, in denen man sich gerade gegen solche Äußerungen des Heidentums wendet. Wirkliche Götterlieder wie im Norden gibt es im germanischen Sprachgebiet sonst nicht. In Island aber existiert nicht nur eine solche überraschende Fülle an Götterdichtungen, sondern mit der Prosa-Edda des Snorri Sturluson besitzen wir sogar eine geschlossene, systematische Darstellung der heidnischen Mythologie, ein Unikum nicht nur in der germanischen, sondern auch in den anderen volkssprachlichen Überlieferungen des Kontinents. Man kann das sicher nicht damit erklären, daß sich hier, in der Abgeschiedenheit Islands, solche alten Traditionen eben besser erhalten hätten als im Süden. Denn erstens war Island keineswegs so abgeschieden, wie man sich das oft vorstellt, es hatte regen Anteil an den theologischen, wissenschaftlichen und literarischen Entwicklungen Europas, und außerdem ist es mit der Erhaltung alter Überlieferungen allein nicht getan: Damit sie die Zeiten überdauern, müssen sie ja auch niedergeschrieben werden. Die Kunst des Schreibens aber ist erst mit dem Christentum nach Island gekommen, und wer im 13. Jahrhundert in Island wie auch sonst in Skandinavien diese Fähigkeit beherrschte, war entweder selbst Geistlicher oder war von Geistlichen erzogen worden oder in einem geistlich bestimmten Umkreis aufgewachsen. Dies gilt auch für Snorri, der seine Jugend auf dem Hofe Oddi in Südwestisland verlebte, einem der großen Zentren geistlicher Gelehrsamkeit, wo ein paar Jahrzehnte vor Snorri auch Sæmundr Sigfússon gewirkt hatte. Die Niederschrift von eddischen Götter- und Heldenliedern konnte ebensowenig gegen den Willen der Geistlichkeit erfolgen wie Snorri seine Prosa-Edda gegen den Willen der Kirche hätte schreiben können, aber diese Frage stellte sich gar nicht. Das eigentlich Erstaunliche an der altisländischen Literatur ist nicht, daß sich hier so viele ältere Überlieferungen halten konnten, sondern daß sie sich auch unter ganz anderen geistigen und religiösen Bedingungen weiterentwickelten und daß sie am Ende aufs Pergament gebracht wurden. Dieses Phänomen vor allem gilt es zu erklären, doch kann das hier nur mit ein paar kurzen Andeutungen geschehen.
Die erste Voraussetzung für das Weiterbestehen älterer Traditionen war die Art, wie in Island das Christentum angenommen wurde. Viele Isländer waren schon vorher in Kontakt mit dem neuen Glauben gekommen, manche waren auch bereits während des 10. Jahrhunderts Christen geworden. Gegen Ende des Jahrhunderts verstärkte der norwegische König Olav Tryggvason seine Missionsbestrebungen, es gab widerstreitende Parteien in Island, und die Frage des Glaubens bedeutete auch und vor allem eine politische Entscheidung. Das Allthing des Jahres 999 oder 1000 bestimmte einen als besonders verständig geltenden Mann, einen Anhänger der heidnischen Partei, der allein für alle die Entscheidung treffen sollte, und er entschied für das Christentum. So brachte die Einführung des Christentums in Island keine tiefgreifenden Glaubenskämpfe mit sich, und die Kirche hatte keinen Anlaß, scharf gegen alte Vorstellungen vorzugehen. Dazu kam, daß es durch die neue Religion auch kaum gesellschaftliche Verschiebungen gab; die alten bedeutenden Familien büßten durch die Christianisierung kaum etwas von ihrer Macht ein, und nicht wenige Goden, die sich vorher vielleicht mehr schlecht als recht um den Vollzug der heidnischen Opfer gekümmert hatten, errichteten nun Kirchen bei ihrem Hof. Überdies wurde die schwierige traditionelle Kunst der Skaldendichtung nach wie vor gepflegt, und es dauerte nicht lange, bis sich die Skaldik auch christlichen religiösen Stoffen zuwandte. Eines der wichtigsten Kunstmittel der Skaldik sind die anfangs schon genannten Kenningar; das sind metaphorische Umschreibungen, die man nicht verstehen kann, wenn man nicht eine erhebliche Anzahl von Mythen und Heldensagen genau kennt. Solange in Island die Skaldendichtung weiter gepflegt wurde, und das war noch fast drei Jahrhunderte der Fall, konnte auch die Kenntnis alter, auch heidnischer Mythen und Heldensagen nicht ganz verschwinden.
Dies alles sind Faktoren, die zwar die Bewahrung älterer Überlieferungen und sogar deren Weiterentwicklung plausibel machen können, die aber nicht erklären, weshalb alte, mündlich tradierte Texte jetzt literarisiert und – mehr oder weniger verändert – schriftlich fixiert wurden. Ein solcher Vorgang beruht auf zwei Voraussetzungen, auf der Fähigkeit zu schreiben und auf der Kenntnis der alten traditionellen Texte. Viele Geistliche waren Isländer und gehörten selbst alten und traditionsreichen Familien an, die – so müssen wir annehmen – auch für die Bewahrung von älteren Überlieferungen besonders wichtig waren. Nicht wenige Isländer, ob Geistliche oder Laien, die der Kunst des Schreibens fähig waren, dürften deshalb auch mit alten traditionellen Stoffen vertraut gewesen sein. Dazu kam wohl noch ein für Island besonders glücklicher Umstand: In Island wurden in diesen ersten Jahrhunderten ausschließlich Benediktiner- und Augustinerklöster eingerichtet, wobei allem Anschein nach die Benediktinerklöster und vor allem das Kloster Thingeyrar (Þingeyrar) in Nordisland für die Entwicklung der Literatur besondere Bedeutung erlangten. Benediktiner beschäftigten sich auch auf dem Kontinent intensiv mit der Geschichte und den Wissenschaften auch vor dem Christentum; Vergil und Livius, Sallust und viele andere antike Autoren wurden von Benediktinern hochgeschätzt und fleißig gelesen. Benediktinisches Denken war offen auch für die Zeugnisse der Vergangenheit. Zwar ist es sicher, daß Mönche des Klosters Thingeyrar wichtig waren für die Entwicklung der Sagaliteratur, ob sie freilich in irgendeiner Weise die Niederschrift älterer Götter- und Heldenlieder unmittelbar beeinflußten, das wissen wir nicht. Benediktinischer Geist äußerte sich aber wohl auch hier in einer grundsätzlichen Aufgeschlossenheit gegenüber der Vergangenheit und ihrer Literatur und bereitete so die Voraussetzung, daß sich Männer wie Snorri, aber vor ihm auch andere, uns nicht namentlich bekannte Isländer, mit Götter- und Heldenliedern und Spruchdichtungen beschäftigen und sie niederschreiben konnten. G. Lindblad hat jedenfalls gezeigt, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Codex Regius zwei getrennte schriftliche Sammlungen vorausgegangen sind, eine mit Heldenliedern, eine mit Götterliedern. Sie dürften zwischen 1210 und 1240, vielleicht noch etwas früher entstanden sein. Es gibt nach Lindblad sogar Hinweise darauf, daß einzelne Edda-Lieder schon um 1200 niedergeschrieben wurden.
Dies sind Fragen und Ergebnisse der neueren Edda-Forschung, die Genzmer noch nicht bekannt sein konnten, die aber insbesondere für die Interpretation der Götterdichtungen große Bedeutung haben. Sehr oft wird man damit rechnen müssen, daß Lieder Spuren und Reflexe von christlichen Vorstellungen zeigen. Doch Lieder können sich im Laufe der Zeit auch wandeln und Merkmale verschiedener Zeiten annehmen; in vielen Fällen ist es deshalb gar nicht möglich, das Alter eines Edda-Liedes einigermaßen genau zu bestimmen, vor allem auch, weil sichere Kriterien für eine Datierung weithin fehlen. Deshalb ist es nicht zu verwundern, daß sich die Datierungsvorschläge einzelner Forscher manchmal so stark unterscheiden. Während etwa Jan de Vries, Verfasser einer noch heute wertvollen Altnordischen Literaturgeschichte die Lieder »Balders Träume«, »Skirnirlied«, »Thrymlied« und das »Merkgedicht von Rig« in die Zeit zwischen 1150 und 1300 datierte, meinte der Isländer Einar Ólafur Sveinsson fast zur gleichen Zeit (1962), diese Lieder seien alle vor 1000 entstanden, also noch in heidnischer Zeit. Auch in unseren Tagen gehen die Schätzungen über die Entstehungszeit einzelner eddischer Lieder oft weit auseinander.
Am Anfang des Codex Regius wie am Anfang der vorliegenden Sammlung steht »Der Seherin Gesicht« (Vlospá), ein Lied, das in der germanischen Literatur kein Gegenstück hat. Der Text ist einer Seherin in den Mund gelegt, sie sieht tief in die Vergangenheit und weit in die Zukunft und verkündet das Geschick der Welt von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende. In großartigen Bildern werden die wichtigsten Ereignisse beschrieben, oft wird auf sie nur angespielt; der Stoff muß also im allgemeinen als bekannt vorausgesetzt worden sein. Viele Mythen werden ganz kurz genannt: wie Bors Söhne die Welt erschaffen, indem sie die Erde vom Grunde des Meeres emporheben, wie die Gestirne und die Zeiten geordnet werden. Das Lied beschreibt kurz das anscheinend glückliche Leben der Götter, aber auch den ersten Krieg zwischen den Asen und Wanen. Im Mittelpunkt des Liedes steht der Tod des Gottes Balder durch einen auf ihn geschossenen Mistelzweig, dem dann der allmähliche Verfall der sittlichen Ordnungen folgt (S. 38):
»Brüder kämpfen und bringen sich Tod,
Brudersöhne brechen die Sippe;
arg ist die Welt, Ehbruch furchtbar
Schwertzeit, Beilzeit, Schilde bersten,
Windzeit, Wolfzeit, bis die Welt vergeht.«
Die Feinde der Götter nahen heran, die Riesen, der Fenriswolf, die Midgardschlange, auch Loki, der ausgestoßene Gott. Odin unterliegt dem Fenriswolf und Thor seinem Erzwidersacher, der Midgardschlange, aber er tötet sie auch selbst. Mit wenigen eindrucksvollen Versen wird der Untergang der Welt geschildert (S. 40):
Die Sonne verlischt, das Land sinkt ins Meer;
vom Himmel stürzen die heitern Sterne.
Lohe umtost den Lebensnährer;
hohe Hitze steigt himmelan.
Und dann steigt zum zweiten Male die Erde aus dem Meer empor, eine neue goldene Zeit bricht an:
»Unbesät werden Äcker tragen;
Böses wird besser, Balder kehrt heim.«
Bei kaum einem anderen Eddalied kann man so viele Fragen stellen wie bei der Vlospá; kommen hier nur heidnische Vorstellungen zum Ausdruck? Oder ist das Wiedererstehen der Welt nach ihrem Untergang christlich zu erklären, ist der goldbedeckte Saal Gimle (S. 41) ein Abbild des himmlischen Jerusalem? Vieles spricht dafür, daß das große Visionsgedicht zu Ende des 10. Jahrhunderts geschaffen wurde, wohl in heidnischer Umgebung, aber vielleicht bereits als Reaktion auf die christliche Meinung, die Welt werde im Jahre 1000, zu Ende des tausendjährigen Reiches nach der Offenbarung des Johannes, untergehen. Da läßt es sich nicht einfach sagen, ein solches Lied sei christlich oder heidnisch, es spiegelt vielmehr die historische Situation in faszinierender Weise wider.
Genzmers Interesse richtete sich aber eher – es wurde oben schon gesagt – auf das Lied als Kunstwerk, als literarisches Gebilde. Verse, Strophen oder Strophenteile, die offensichtlich mangelhaft oder gestört überliefert sind, läßt Genzmer gelegentlich aus. Um ein Beispiel zu nennen: Auf S. 36f. wird in Str. 25 und 26 vom Tode Balders berichtet; die Str. 26 (der Übersetzung) setzt sich aber aus zwei Teilen zusammen, der ersten Hälfte der Str. 32 (des Originals) und der zweiten Hälfte der Str. 33. Dazwischen liegen vier Kurzzeilen, die den Fluß des Textes stören. Aber in ihnen wird berichtet, daß Balders Bruder, ein Sohn Odins, erst eine Nacht alt, den toten Bruder rächte: »Er wusch nicht die Hände und kämmte nicht das Haar, bis er Balders Widersacher auf den Scheiterhaufen brachte«. Dieser Rache-Mythos ist auch durch andere Quellen bezeugt, es muß sich also sicher um eine alte Vorstellung handeln.
Es gibt nur wenige Edda-Lieder, die einer Interpretation nicht erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Als Beispiel seien »Lokis Zankreden« (Lokasenna) genannt. Loki schmäht bei einem Gastmahl alle Anwesenden mit immer neuen Vorwürfen, den Göttinnen freilich wirft er stereotyp immer das gleiche vor, sie seien mannstoll. Erst als Thor dazukommt, zieht Loki ab:
Kann ein solches Lied, in dem alle Götter und Göttinnen in zuweilen außerordentlich grober Weise geschmäht werden, denn überhaupt in der Zeit des Heidentums entstanden sein, als man noch an diese Gottheiten glaubte? Viele halten das für unmöglich und nehmen deshalb an, die Lokasenna sei in christlicher Zeit entstanden und richte sich bewußt gegen die heidnischen Götter. Dies ist aber kaum ein Argument; Götterkomik, oft sehr drastischer Art, ist aus vielen Kulturen bekannt – man denke daran, wie Dionysos in Komödien des Aristophanes geschmäht wird, und das sogar, obgleich diese Komödien am Festtag des Gottes selber aufgeführt wurden. Die Spruchdichtung ist im Codex Regius vor allem durch ein großes Werk vertreten, die Hávamál, »Sprüche des Hohen«. 164 Strophen umfaßt das Gedicht da, und man kann leicht erkennen, daß es offensichtlich aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist. Aber was eigentlich alles zusammengehört und nach welchem Prinzip diese einzelnen – ihrerseits teilweise nur locker zusammenhängenden – Teile in ein Ganzes gefügt werden, das ist gerade in den letzten Jahrzehnten recht umstritten. Genzmer hat – darin wohl wieder Heusler folgend – versucht, aus den Hávamál die vermeintlich ursprünglichen kleineren Gedichteinheiten herauszulösen, und jetzt findet man sie unter den Titeln »Das alte Sittengedicht«, »Die Lehren an Loddfafnir«, »Priameln«, »Odinsbeispiele«, »Die Runenlehren«, oder »Die Zauberlieder«. Die »Runenlehren« sowie »Das dritte Sittengedicht« enthalten auch Strophen aus Sigrdrífomál, dessen Hauptteil sich bei Genzmer unter den Heldengesängen, Nr. 40, »Die Erweckung der Walküre« findet.
Auch andere Textkategorien sind unter der Spruchdichtung zusammengefaßt; Nr. 28 (»Fluch der Busla«) und 29 (»Die Wölsistrophen«) erwecken den Eindruck, alte heidnische Kultdichtung zu sein, aber ob es wirklich so ist oder ob es sich um später nachempfundene Texte handelt, das mag hier offenbleiben. Dagegen ist der formelhafte Rechtstext Nr. 30, der »Urfehdebann« (Tryggðamál) gleich interessant als »amtlicher« Text zum Abschluß einer Friedensvereinbarung wie auch in seiner poetischen Aussage.
Besonders beachten sollte man auch Nr. 24, die »Heidreksrätsel« (Heiðreks gátur). In einer späten Vorzeitsage, der »Geschichte von Herwör und König Heidrek« (Hervarar saga ok Heiðreks konungs), sind mehrere poetische Texte verschiedener Art und unterschiedlichen Alters bewahrt (hier Nr. 24, Nr. 32, Nr. 54, 55 und 56). Zu ihnen gehören auch die Heidreksrätsel, die größte altnordische Rätseldichtung. Manche der Rätsel sind seit altersher in vielen Sprachen verbreitet, andere wohl für die Sammlung erst geschaffen worden.

4. Felix Genzmer und die Eddische Heldendichtung

Die Heldenlieder ordnet Genzmer nach ästhetischen Kriterien und – zumindest zu Beginn – nach ihrem mutmaßlichen Alter. Am Anfang stehen damit die Lieder, die gewöhnlich als besonders archaisch gelten: Nr. 31 das »Wölundlied« (Vo̧lundarksviða), Nr. 32 das »Hunnenschlachtlied« (Hlǫðsksviða), Nr. 33 das »Alte Sigurdlied« (Brot of Sigurðarksviðu), Nr. 34 das »Alte Atlilied« (Atlaksiða) und Nr. 35 das »Alte Hamdirlied« (Hamðismál). Das »Hunnenschlachtlied« ist nur in der schon genannten »Sage von Herwör und König Heidrek« überliefert, die anderen Lieder finden sich alle im Codex Regius. Sie gehören aber verschiedenen Sagenkreisen an. Das »Wölundlied« enthält eine der altertümlichsten literarischen Versionen der Geschichte vom kunstfertigen Schmied Wölund (Wieland), und einige Namen deuten auf Zusammenhänge mit deutscher Dichtung. Das »Hunnenschlachtlied« hat Auseinandersetzungen zwischen Goten und Hunnen zu einem nicht näher zu fixierendem Zeitpunkt zum Inhalt. Die zwei nächsten Lieder gehören dem Sagenkreis um die Nibelungen und den Burgundenuntergang an, und das »Hamdirlied« berichtet von dem Ende des ostgotischen Königs Ermanarich – einer der großen, ursprünglich gotischen Sagenkreise, der in der deutschen Überlieferung nur in späten Zeugnissen sichtbar wird.
Im Codex Regius folgt die Anordnung der Heldenlieder dagegen ganz anderen Prinzipien. Dort beginnt der Heldenliedteil mit den drei »Helgiliedern« (unsere Nr. 49, 50 und 51), darauf folgen mehrere Lieder über Sigurd (unsere Nr. 42, 38, 39, 40 und 33), und im weiteren Umkreis gehören hierher auch die daran anschließenden »Gudrunlieder« und ähnliche Texte (unsere Nr. 43, 36, 47, 44, 46 und 48). Die zwei nächsten Lieder (unsere Nr. 34 und 37) haben den Burgundenuntergang zum Inhalt, und am Ende stehen zwei Lieder über den Tod des Ermanarich (Nr. 45 und 35). Zunächst fällt auf, daß im Codex Regius vor allem am Anfang des Heldenliedteils die Lieder nicht die Namen tragen, mit denen wir sie meist bezeichnen und wie es bei den Götterliedern der Fall ist; die Lieder Reginsmál, Fáfnismál und Sigrdrífomál (in dieser Ausgabe Nr. 38, 39 und 40) sind nicht einmal deutlich voneinander abgehoben, sondern gehen ineinander über. Charakteristisch für die Heldenlieder im Codex Regius ist jedoch, daß sie miteinander genealogisch verbunden sind: Helgi der Hundingstöter ist der Halbbruder von Sigurd, die Sigurddichtungen werden mit den Dichtungen vom Burgundenuntergang durch die Person der Gudrun verbunden; sie, die Witwe Siegfrieds, heiratet Atli den Hunnenkönig, und dies ist auch in der deutschen Nibelungenüberlieferung der Fall. Gudrun bildet auch das Bindeglied zu »Gudruns Sterbelied« (Nr. 45) und dem »Alten Hamdirlied« (Nr. 35), so daß alle genealogisch miteinander verbunden sind. Mehrere der Heldenlieder im Codex Regius, vor allem im Anfang des Heldenliedteiles, enthalten viele Prosastellen, manchmal machen sie den Eindruck, als wechselten hier Prosaabschnitte mit Strophen ab. Durch den Versuch, alle Heldenlieder im Codex Regius zu verknüpfen, entsteht auf längere Strecken eine fortlaufende Handlung – ganz anders als im Götterliedteil: Während dort die Lieder systematisch geordnet sind, werden die Heldenlieder chronologisch aneinandergereiht, und wenn man den Götterliedteil nach Gustaf Lindblad als »Liedersammlung« bezeichnen kann, so bilden die Heldenlieder einen Liederzyklus, ja vielleicht sogar eine »Familiensaga in Versen«.
Diese Struktur der Liedersammlung Edda wurde zu der Zeit, als Genzmer seine Übersetzungen schuf, nicht so deutlich gesehen wie heute. Auf diese Weise spiegelt auch die Übersetzung von Genzmer ein gutes Stück der Geschichte der Edda-Forschung überhaupt wider. Man muß zugeben, daß die Anordnung der Texte und die Auflösung bestimmter Lieder in vermeintlich ältere Einheiten den Blick auf die Edda als Ganzes erschweren. Andererseits ist es Genzmers großes Verdienst, ein Textcorpus geschaffen zu haben, in dem fast alles zu finden ist, was man überhaupt unter dem Begriff »eddische Dichtung« zusammenfassen kann.
Vor allem aber ist es seine Sprache, die seine Übersetzung zu einem kaum übertreffbaren Meisterwerk macht. Gegen seine Übersetzung ist zuweilen eingewendet worden, sie sei zu frei und nicht philologisch genau genug. Selbst dieser Einwand trifft nicht zu. Versucht man einmal, einige Edda-Strophen zu übersetzen und dabei den Rhythmus einigermaßen zu bewahren und den Stabreim so zu verwenden, daß er natürlich klingt, und die Wortbedeutungen so genau wie möglich ins Deutsche zu übertragen – dann wird man entweder scheitern oder bei einer Übersetzung landen, die bestenfalls der von Genzmer nahe kommt, ohne sie freilich in der Regel erreichen zu können. Genzmer hat mit seiner Edda-Übersetzung ein Werk geschaffen, das allein durch seine Sprache den Leser, den Liebhaber großer Literatur zu faszinieren vermag, zugleich aber auch dem fachlich interessierten Benutzer eine Fülle von Erkenntnissen und Anregungen gibt.
 
 
Kurt Schier

Götterdichtung

1. Der Seherin Gesicht
Der Sammler des Codex Regius hat dieser Dichtung die erste Stelle gegeben, und als der gelehrte Isländer Snorri um 1220 seine Mythenlehre schuf, nahm er das Fachwerk von diesem dichtenden Vorgänger. In der Tat fühlen wir uns hier auf hoher Warte und überschauen das Geschick der Götter – nicht des Menschenvolkes! – von der Urzeit bis in die ferne Zukunft. Weltschöpfung, Balders Tod, Götteruntergang und Neue Erde: zwischen diese Pfeiler fügt sich das übrige ein. Der Zukunft, den »letzten Dingen«, fällt am meisten Raum zu: aus zerstreuten Einzelsagen baut sich eine Art Geschichte des Weltendes auf.
Diesen vielgliedrigen Stoff fassen einige fünfzig Strophen. Das war nicht zu erreichen mit dem gewohnten eddischen Erzählen, das in lebhaften Redeauftritten vorschreitet. Unser Lied handhabt eine eigenartige Kunst: Bilder reibt es auf, ruhende und bewegte, mit außergewöhnlich anschauungweckender Kraft der sparsamen Zeilen; auch der mythischen Landschaft gibt es Gestalt: Gesätze wie 5, 49 und namentlich 51 sind ohne Gegenstücke; und es weiß die Bilderreihe in die seherhafte Stimmung zu tauchen, die den Hörer empfänglich macht.
Das ganze gibt sich als Ansprache einer idealisierten Seherin. Sie teilt das Wissen ihrer riesischen Verwandten, nicht deren Götterhaß: vor Odin als ihrem Meister hat sie sich bewahrt, in Odins Auftrag spricht sie zu den Menschen als einer aufhorchenden Thinggemeinde. Die kehrreimhaften Worte, die uns an die Sprecherin immer wieder erinnern, tragen viel zu dem prophetischen Klange bei.
An der Seherin Gesicht als einem Gipfel altgermanischer Dichtkunst können wir uns freuen, auch wenn wir uns eingestehn, daß uns recht vieles halbklar bleibt.
Heusler
1
Gehör heisch ich
heilger Sippen,
hoher und niedrer
Heimdallssöhne:
du willst, Walvater,
daß wohl ich künde,
was alter Mären
der Menschen ich weiß.
 
2
Weiß von Riesen,
weiland gebornen,
die einstmals mich
auferzogen;
weiß neun Heime,
neun Weltreiche,
des hehren Weltbaums
Wurzeltiefen.
 
3
Urzeit war es,
da Ymir hauste:
nicht war Sand noch See
noch Salzwogen,
nicht Erde unten
noch oben Himmel,
Gähnung grundlos,
doch Gras nirgend.
 
4
Bis Burs Söhne
den Boden hoben,
sie, die Midgard,
den mächtgen, schufen:
von Süden schien Sonne
aufs Saalgestein;
grüne Gräser
im Grund wuchsen.
 
5
Von Süden die Sonne,
des Monds Gesell,
schlang die Rechte
um den Rand des Himmels:
die Sonne kannte
ihre Säle nicht;
die Sterne kannten
ihre Stätte nicht;
der Mond kannte
seine Macht noch nicht.
 
6
Zum Richtstuhl gingen
die Rater alle,
heilge Götter,
und hielten Rat:
für Nacht und Neumond
wählten sie Namen,
benannten Morgen
und Mittag auch,
Zwielicht und Abend,
die Zeit zu messen.
 
7
Die Asen eilten
zum Idafeld,
die Heiligtümer
hoch erbauten;
sie setzten Herde,
hämmerten Erz;
sie schlugen Zangen,
schufen Gerät.
 
8
Sie pflogen heiter
im Hof des Brettspiels
nichts aus Golde
den Göttern fehlte -,
bis drei gewaltge
Weiber kamen,
Töchter der Riesen,
aus Thursenheim.
 
9
Zum Richtstuhl gingen
die Rater alle,
heilge Götter,
und hielten Rat,
wer der Zwerge Schar
schaffen sollte
aus Brimirs Blut
und Blains Knochen.
 
10
Motsognir ward
der mächtigste da
aller Zwerge,
der zweite Durin;
die machten manche
menschenähnlich,
wie Durin es hieß,
die Höhlenzwerge.
 
11
Bis drei Asen
aus dieser Schar,
stark und gnädig,
zum Strand kamen:
sie fanden am Land,
ledig der Kraft,
Ask und Embla,
ohne Schicksal.
 
12
Nicht hatten sie Seele,
nicht hatten sie Sinn,
nicht Lebenswärme
noch lichte Farbe;
Seele gab Odin,
Sinn gab Hönir,
Leben gab Lodur
und lichte Farbe.
13
Eine Esche weiß ich,
sie heißt Yggdrasil,
die hohe, benetzt
mit hellem Naß:
von dort kommt der Tau,
der in Täler fällt;
immergrün steht sie
am Urdbrunnen.
 
14
Von dort kommen Frauen,
vielwissende,
drei, aus dem Born,
der unterm Baume liegt:
Urd heißt man eine,
die andre Werdandi
sie schnitten ins Scheit -,
Skuld die dritte;
Lose lenkten sie,
Leben koren sie
Menschenkindern,
Männergeschick.
 
15
Da kam zuerst
Krieg in die Welt,
als Götter Gullweig
mit Geren stießen
und in Heervaters
Halle brannten,
dreimal brannten
die dreimal geborne.
 
16
Man hieß sie Heid,
wo ins Haus sie kam,
das weise Weib;
sie wußte Künste:
sie behexte Kluge;
sie behexte Toren;
immer ehrten sie
arge Frauen.
 
17
Zum Richtstuhl gingen
die Rater alle,
heilge Götter,
und hielten Rat,
ob Zins die Asen
zahlen sollten
oder alle Götter
Opfer haben.
 
18
Den Ger warf Odin
ins Gegnerheer:
der erste Krieg
kam in die Welt;
es brach der Bordwall
der Burg der Asen,
es stampften Wanen
streitkühn die Flur.
 
19
Zum Richtstuhl gingen
die Rater alle,
heilge Götter,
und hielten Rat,
wer ganz die Luft
mit Gift erfüllt,
Ods Braut verraten
Riesensöhnen.
 
20
Nur Thor schlug zu,
zorngeschwollen:
selten sitzt er,
wenn er solches hört;
da wankten Vertrag,
Wort und Treuschwur,
alle Eide,
die sie ausgetauscht.
 
21
Ich weiß Heimdalls
Horn verborgen
unterm heilgen
Himmelsbaume;
Flut seh ich fallen
in feuchtem Sturz
aus Walvaters Pfand
wißt ihr noch mehr?
 
22
Saß einsam draußen,
als der Alte kam,
der furchtbare Ase,
und ins Aug mir sah:
Was fragst du mich?
Was forschst du bei mir?
Ich weiß, Odin,
wo dein Auge du bargst.
 
23
Ich weiß Odins
Auge verborgen
in Mimirs Quell,
dem märchenreichen;
Met trinkt Mimir
allmorgendlich
aus Walvaters Pfand –
wißt ihr noch mehr?
 
24
Halsschmuck und Ringe
gab Heervater,
für Zukunftwissen
und Zauberkunde:
weit sah ich,
weit die Welten alle.
 
25
Ich sah Balder,
dem blutenden Gott,
Odins Sohne,
Unheil bestimmt:
ob der Ebne stand
aufgewachsen
der Zweig der Mistel,
zart und schön.
 
26
Ihm ward der Zweig,
der zart erschien,
zum herben Harmpfeil:
Hödur schoß ihn;
und Frigg weinte
in den Fensälen
um Walhalls Weh –
wißt ihr noch mehr?
 
27
Geknebelt sah ich
im Quellenwald
den Leib Lokis,
des listenreichen.
Da sitzt Sigyn,
ihr Gesell bringt ihr
wenig Wonne –
wißt ihr noch mehr?
 
28
Durch Gifttäler
gleitet von Osten
mit Schneiden und Schwertern
der Schreckenstrom.
 
29
Im Norden stand
auf dem Nachtfelde
für Sindris Sippe
ein Saal aus Gold;
ein andrer hob sich
auf heißem Grund,
der Biersaal des Riesen,
der Brimir heißt.
 
30
Einen Saal sah ich,
der Sonne fern,
am Totenstrand,
das Tor nach Norden:
tropfendes Gift
träuft durch das Dach;
die Wände sind
aus Wurmleibern.
 
31
Dort sah ich waten
durch Sumpfströme
Meineidige
und Mordtäter;
dort sog Nidhögg
entseelte Leiber,
der Wolf riß Leichen –
wißt ihr noch mehr?
 
32
Eine Alte östlich
im Erzwald saß;
die Brut Fenrirs
gebar sie dort.
Von ihnen allen
wird einer dann
des Taglichts Töter,
trollgestaltet.
 
33
Er füllt sich mit Fleisch
gefallner Männer,
rötet mit Blut
der Rater Sitz.
Schwarz wird die Sonne
die Sommer drauf;
Wetter wüten –
wißt ihr noch mehr?
 
34
Dort saß auf dem Hügel
und schlug die Harfe
der Riesin Hüter,
der heitre Eggdir;
es krähte bei ihm
im Kiefernbusch
der feuerrote Hahn,
der Fjalar heißt.
 
35
Doch Güldenkamm
bei den Göttern kräht:
er weckt die Helden
bei Heervater;
unter der Erde
ein anderer kräht,
in Hels Halle,
ein braunroter Hahn.
 
36
Gellend heult Garm
vor Gnipahellir:
es reißt die Fessel,
es rennt der Wolf.
Vieles weiß ich,
Fernes schau ich:
der Rater Schicksal,
der Schlachtgötter Sturz.
 
37
Brüder kämpfen
und bringen sich Tod,
Brudersöhne
brechen die Sippe;
arg ist die Welt,
Ehbruch furchtbar,
Schwertzeit, Beilzeit,
Schilde bersten,
Windzeit, Wolfzeit,
bis die Welt vergeht –
nicht einer will
des andern schonen.
 
38
Es gärt bei den Riesen;
des Gjallarhorns,
des alten, Klang
kündet das Ende.