Carl von Clausewitz
Vom Kriege
Mit einem Essay von Alexander Schug
Impressum
ISBN 978-3-940621-12-2
Digitalisat basiert auf der Ausgabe von 1935 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags; bibliografische Angaben:
Carl von Clausewitz, Vom Kriege. Hinterlassenes Werk. Als Volksausgabe herausgegeben von A.W. Bode, Leipzig 1935
Digitalisierung: Vergangenheitsverlag. Bearbeitung: Dr. Alexander Schug
Die Marke „100% - vollständig, kommentiert, relevant, zitierbar“ steht für den hohen Anspruch, mehrfach kontrollierte Digitalisate klassischer Literatur anzubieten, die – anders als auf den Gegenleseportalen unterschiedlicher Digitalisierungsprojekte – exakt der Vorlage entsprechen. Antrieb für unser Digitalisierungsprojekt war die Erfahrung, dass die im Internet verfügbaren Klassiker meist unvollständig und sehr fehlerhaft sind. Die in eckigen Klammern gesetzten Zahlen markieren die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe; durch die Paginierung ist auch die digitale Version über die Referenz zur gedruckten Ausgabe zitierbar.
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Inhaltsübersicht
EINLEITUNG: WAS MANAGER UND ANDERE STRATEGEN VON CLAUSEWITZ LERNEN KÖNNEN
Wovon Clausewitz schreibt
Clausewitz als Lehrmeister fürs Big Business von heute?
Vom Kriege zur klugen Heiratspolitik?
[23] VORREDE [ZUR ERSTEN AUFLAGE]
NACHRICHT
VORREDE DES VERFASSERS
[33] ERSTES BUCH: ÜBER DIE NATUR DES KRIEGES
[35] ERSTES KAPITEL: WAS IST DER KRIEG?
[53] ZWEITES KAPITEL: ZWECK UND MITTEL IM KRIEGE
DRITTES KAPITEL: DER KRIEGERISCHE GENIUS
VIERTES KAPITEL: VON DER GEFAHR IM KRIEGE
FÜNFTES KAPITEL: VON DER KÖRPERLICHEN ANSTRENGUNG IM KRIEGE
SECHSTES KAPITEL: NACHRICHTEN IM KRIEGE
[87] SIEBENTES KAPITEL: FRIKTION IM KRIEGE
ACHTES KAPITEL: SCHLUEMERKUNGEN ZUM ERSTEN BUCH
[91] ZWEITES BUCH: ÜBER DIE THEORIE DES KRIEGES
[93] ERSTES KAPITEL: EINTEILUNG DER KRIEGSKUNST
ZWEITES KAPITEL: ÜBER DIE THEORIE DES KRIEGES
[118] DRITTES KAPITEL: KRIEGSKUNST ODER KRIEGSWISSENSCHAFT
VIERTES KAPITEL: METHODISMUS
FÜNFTES KAPITEL: KRITIK
[143] SECHSTES KAPITEL: ÜBER BEISPIELE
[149] DRITTES BUCH: VON DER STRATEGIE ÜBERHAUPT
[151] ERSTES KAPITEL: STRATEGIE
ZWEITES KAPITEL: ELEMENTE DER STRATEGIE
[159] DRITTES KAPITEL: MORALISCHE GRÖßEN
VIERTES KAPITEL: DIE MORALISCHEN HAUPTPOTENZEN
FÜNFTES KAPITEL: KRIEGERISCHE TUGEND DES HEERES
[165] SECHSTES KAPITEL: DIE KÜHNHEIT
SIEBENTES KAPITEL: BEHARRLICHKEIT
ACHTES KAPITEL: ÜBERLEGENHEIT DER ZAHL
[174] NEUNTES KAPITEL: DIE ÜBERRASCHUNG
[178] ZEHNTES KAPITEL: DIE LIST
[180] ELFTES KAPITEL: SAMMLUNG DER KRÄFTE IM RAUM
ZWÖLFTES KAPITEL: VEREINIGUNG DER KRÄFTE IN DER ZEIT
DREIZEHNTES KAPITEL: STRATEGISCHE RESERVE
VIERZEHNTES KAPITEL: ÖKONOMIE DER KRÄFTE
[190] FÜNFZEHNTES KAPITEL: GEOMETRISCHES ELEMENT
SECHZEHNTES KAPITEL: ÜBER DEN STILLSTAND IM KRIEGERISCHEN AKT
SIEBZEHNTES KAPITEL: ÜBER DEN CHARAKTER DER HEUTIGEN KRIEGE
ACHTZEHNTES KAPITEL: SPANNUNG UND RUHE
[199] VIERTES BUCH: DAS GEFECHT
[201] ERSTES KAPITEL: ÜBERSICHT
ZWEITES KAPITEL: CHARAKTER DER HEUTIGEN SCHLACHT
DRITTES KAPITEL: DAS GEFECHT ÜBERHAUPT
VIERTES KAPITEL: FORTSETZUNG
FÜNFTES KAPITEL: ÜBER DIE BEDEUTUNG DES GEFECHTS
SECHSTES KAPITEL: DAUER DES GEFECHTS
SIEBENTES KAPITEL: ENTSCHEIDUNG DES GEFECHTS
ACHTES KAPITEL: EINVERSTÄNDNIS BEIDER TEILE ZUM GEFECHT
NEUNTES KAPITEL: DIE HAUPTSCHLACHT
ZEHNTES KAPITEL: FORTSETZUNG
ELFTES KAPITEL: FORTSETZUNG
ZWÖLFTES KAPITEL: STRATEGISCHE MITTEL, DEN SIEG ZU BENUTZEN
DREIZEHNTES KAPITEL: RÜCKZUG NACH VERLORENER SCHLACHT
VIERZEHNTES KAPITEL: DAS NÄCHTLICHE GEFECHT
[255] FÜNFTES BUCH: DIE STREITKRÄFTE
[257] ERSTES KAPITEL: ÜBERSICHT
ZWEITES KAPITEL: ARMEE, KRIEGSTHEATER, FELDZUG
DRITTES KAPITEL: MACHTVERHÄLTNIS
VIERTES KAPITEL: WAFFENVERHÄLTNIS
FÜNFTES KAPITEL: SCHLACHTORDNUNG DES HEERES
SECHSTES KAPITEL: ALLGEMEINE AUFSTELLUNG DES HEERES
[281] SIEBENTES KAPITEL: AVANTGARDE UND VORPOSTEN
ACHTES KAPITEL: WIRKUNGSART VORGESCHOBENER KORPS
NEUNTES KAPITEL: LAGER
ZEHNTES KAPITEL: MÄRSCHE
ELFTES KAPITEL: FORTSETZUNG
ZWÖLFTES KAPITEL: FORTSETZUNG
[305] DREIZEHNTES KAPITEL: QUARTIERE
VIERZEHNTES KAPITEL: DER UNTERHALT
FÜNFZEHNTES KAPITEL: OPERATIONSBASIS
SECHZEHNTES KAPITEL: VERBINDUNGSLINIEN
SIEBZEHNTES KAPITEL: GEGEND UND BODEN
ACHTZEHNTES KAPITEL: ÜBERHÖHEN
[337] SECHSTES BUCH: VERTEIDIGUNG
[339] ERSTES KAPITEL: ANGRIFF UND VERTEIDIGUNG
ZWEITES KAPITEL: WIE VERHALTEN SICH ANGRIFF UND VERTEIDIGUNG IN DER TAKTIK ZUEINANDER
DRITTES KAPITEL: WIE VERHALTEN SICH ANGRIFF UND VERTEIDIGUNG IN DER STRATEGIE ZUEINANDER
[349] VIERTES KAPITEL: KONZENTRIZITÄT DES ANGRIFFS UND EXZENTRIZITÄT DER VERTEIDIGUNG
FÜNFTES KAPITEL: CHARAKTER DER STRATEGISCHEN VERTEIDIGUNG
SECHSTES KAPITEL: UMFANG DER VERTEIDIGUNGSMITTEL
SIEBENTES KAPITEL: WECHSELWIRKUNG VON ANGRIFF UND VERTEIDIGUNG
ACHTES KAPITEL: WIDERSTANDSARTEN
NEUNTES KAPITEL: DIE VERTEIDIGUNGSSCHLACHT
[378] ZEHNTES KAPITEL: FESTUNGEN
ELFTES KAPITEL: FORTSETZUNG DES VORIGEN KAPITELS
ZWÖLFTES KAPITEL: DEFENSIVSTELLUNG
DREIZEHNTES KAPITEL: FESTE STELLUNGEN UND VERSCHANZTE LAGER
VIERZEHNTES KAPITEL: FLANKENSTELLUNGEN
[405] FÜNFZEHNTES KAPITEL: GEBIRGSVERTEIDIGUNG
SECHZEHNTES KAPITEL: FORTSETZUNG
SIEBZEHNTES KAPITEL: FORTSETZUNG
[423] ACHTZEHNTES KAPITEL: VERTEIDIGUNG VON STRÖMEN UND FLÜSSEN
NEUNZEHNTES KAPITEL: FORTSETZUNG
ZWANZIGSTES KAPITEL:
A. Verteidigung von Morästen
B. Überschwemmungen
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VERTEIDIGUNG VON WÄLDERN
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DER KORDON
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: SCHLÜSSEL DES LANDES
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: FLANKENWIRKUNG
FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: RÜCKZUG IN DAS INNERE DES LANDES
SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VOLKSBEWAFFNUNG
SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VERTEIDIGUNG EINES KRIEGSTHEATERS
[483] ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL: FORTSETZUNG
NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL: FORTSETZUNG. SUKZESSIVER WIDERSTAND
[498] DREIβSTES KAPITEL: FORTSETZUNG. VERTEIDIGUNG EINES KRIEGSTHEATERS, WENN KEINE ENTSCHEIDUNG GESUCHT WIRD
[521] SKIZZEN ZUM SIEBENTEN BUCH: DER ANGRIFF
ERSTES KAPITEL: DER ANGRIFF IN BEZIEHUNG AUF DIE VERTEIDIGUNG
ZWEITES KAPITEL: NATUR DES STRATEGISCHEN ANGRIFFS
DRITTES KAPITEL: VOM GEGENSTANDE DES STRATEGISCHEN ANGRIFFS
VIERTES KAPITEL: ABNEHMENDE KRAFT DES ANGRIFFS
FÜNFTES KAPITEL: KULMINATIONSPUNKT DES ANGRIFFS
SECHSTES KAPITEL: VERNICHTUNG DER FEINDLICHEN STREITKRÄFTE
SIEBENTES KAPITEL: DIE OFFENSIVSCHLACHT
ACHTES KAPITEL: FLUβÜERGÄNGE
NEUNTES KAPITEL: ANGRIFF VON DEFENSIVSTELLUNGEN
ZEHNTES KAPITEL: ANGRIFF VERSCHANZTER LAGER
ELFTES KAPITEL: ANGRIFF EINES GEBIRGES
ZWÖLFTES KAPITEL: ANGRIFF VON LINIENKORDONS
DREIZEHNTES KAPITEL: MANÖVRIEREN
[542] VIERZEHNTES KAPITEL: ANGRIFF VON MORÄSTEN, ÜBERSCHWEMMUNGEN, WÄLDERN
FÜNFZEHNTES KAPITEL: ANGRIFF EINES KRIEGSTHEATERS MIT ENTSCHEIDUNG
SECHZEHNTES KAPITEL: ANGRIFF EINES KRIEGSTHEATERS OHNE ENTSCHEIDUNG
SIEBZEHNTES KAPITEL: ANGRIFF VON FESTUNGEN
ACHTZEHNTES KAPITEL: ANGRIFF VON TRANSPORTEN
[556] NEUNZEHNTES KAPITEL: ANGRIFF EINER FEINDLICHEN ARMEE IN QUARTIEREN
ZWANZIGSTES KAPITEL: DIVERSION
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: INVASION
[573] SKIZZEN ZUM ACHTEN BUCH: KRIEGSPLAN
[575] ERSTES KAPITEL: EINLEITUNG
ZWEITES KAPITEL: ABSOLUTER UND WIRKLICHER KRIEG
DRITTES KAPITEL
A. Innerer Zusammenhang des Krieges
[583] B. Von der Gröβdes kriegerischen Zweckes und der Anstrengung
VIERTES KAPITEL: NÄHERE BESTIMMUNGEN DES KRIEGERISCHEN ZIELES. NIEDERWERFUNG DES FEINDES
FÜNFTES KAPITEL: FORTSETZUNG. BESCHRÄNKTES ZIEL
SECHSTES KAPITEL
A. Einfluβes politischen Zwecks auf das kriegerische Ziel
B. Der Krieg ist ein Instrument der Politik
SIEBENTES KAPITEL
Beschränktes Ziel. Angriffskrieg
[613] Achtes Kapitel
Beschränktes Ziel. Verteidigung
[617] NEUNTES KAPITEL: KRIEGSPLAN, WENN NIEDERWERFUNG DES FEINDES DAS ZIEL IST
Sie haben eine gute Wahl getroffen! „Vom Kriege“ von Carl von Clausewitz (1780-1831) ist eines der berühmtesten und berüchtigtsten Sachbücher der Literaturgeschichte. Kritiker überboten sich ganz unpazifistisch mit Attacken auf dieses Buch und sprachen von „mentaler Verstopfung“, die sich Unwissende bei der Lektüre zuzögen. Nicht wenige sahen von Clausewitz sogar als Vordenker der Massaker des Ersten Weltkriegs. Und einige haben in Clausewitz’ Überlegungen zum „absoluten Krieg“ (ein Terminus, den Clausewitz einführte) das ideelle Fundament des „totalen Kriegs“ gesehen, wie ihn Erich Ludendorff (Generalstabschef der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg) konzipiert und Hitler später bittere Realität werden ließ. Tatsächlich wurde die Rezeption dieses Klassikers lange von eigenwilligen Interpretationen und Vereinnahmungen bestimmt.
Clausewitz auf den Index? Für konsensorientierte Gesellschaften vielleicht. Aber wir wissen: Wir leben in einer kriegerischen Welt. Fraglich ist, ob Clausewitz bei der Analyse des Charakters des Kriegs und damit bei seiner Vermeidung hilft, oder doch vielleicht eher ermuntert, Krieg zu führen. In großen Teilen liest sich das Buch tatsächlich wie ein bloßer Lobgesang auf den Krieg mit all seiner Brutalität. Clausewitz propagierte möglichst schnelle Feldzüge und akzeptierte opferreiche Entscheidungsschlachten: „Zwar ist [die Hauptschlacht] kein bloßes gegenseitiges Morden. [ … ] Allein immer ist Blut ihr Preis und Hinschlachten ihr Charakter wie ihr Name“, schrieb er.
Clausewitz’ unvollendetes Werk „Vom Kriege“ ist eine mehr oder weniger philosophische Abhandlung über das Wesen und die bestimmenden Prinzipien des Krieges. Nach seiner heute noch gültigen Definition ist „die Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zwecke des Krieges“. In der Armee sah er das Mittel, den Zweck des Kriegs, den Sieg, zu erringen, während in der Strategie für ihn dieser Sieg nur Mittel ist, den Zweck der Strategie (den Frieden), zu erreichen. Die höhere Strategie nähert sich so der Politik an und geht in sie über. Clausewitz erkannte als Erster den politischen Instrumentalcharakter des Krieges bei der Untersuchung des Verhältnisses von Krieg und Politik. „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ In dieser am häufigsten zitierten Kernaussage ist die politische Aufgabe der Zweck, während der Krieg lediglich das Mittel zur Erreichung dieses Zweckes ist. Für Clausewitz ergab sich hieraus die Unterordnung des Militärs unter die Politik und die von ihr bestimmten Zielsetzungen, nämlich „die Interessen der gesamten Gesellschaft darzustellen“ und den Frieden zu gewährleisten. Nach Clausewitz muss auch im Krieg die Politik fortgesetzt werden.
Wenn Sie jemals in ein Gespräch über Clausewitz verwickelt werden sollten: obiges Zitat(„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“) sollten Sie kennen – und auch die Schlussfolgerung, dass immer der Primat der Politik zählt, selbst wenn in Extremsituation kurz und heftig zu den „Waffen“ gegriffen wird.
Wer über Clausewitz mitreden will, muss auch wissen: Es ist nicht so einfach, über dieses Buch zu parlieren, denn viele Eindrücke und biografische Einflüsse verbinden sich in diesem Klassiker des strategischen Denkens. Dazu gehören Clausewitz’ soldatische Erfahrungen und sein autodidaktisches Studium von Geschichte, historischen Feldzügen und der Philosophie; seine Verehrung für Friedrich den Großen und Napoleon; die Freundschaft mit dem preußischen Heeresreformer von Gneisenau; die preußische Auffassung vom Heer als wichtigster Verkörperung der Nation; das moralfreie Verständnis des Kriegs als „blinder Naturtrieb“, aber auch als höchste Form der Selbstbehauptung eines Volks. Das alles wird zu einer Melange von preußisch-militaristischer Mentalität bis hin zu aufgeklärt-klugen und sogar pazifistischen Befindlichkeiten. Dass Clausewitz nicht ganz einfach zu lesen und zu verstehen ist, hängt aber wohl auch mit der eigenartigen Arbeitsmethode von ihm zusammen: Über Jahre schrieb er an seinem großen Werk, überarbeitete, verwarf, ergänzte – am Ende blieb das Buch unvollendet und war ein Stückwerk, das viele Bonmots bietet, aber nicht unbedingt der große Wurf aus einem Guss ist.
Trotzdem: Der preußische Kriegsphilosoph hat sich zu einem der populärsten Strategielehrmeister aller Zeiten gemausert. „Vom Kriege“ wurde in unzählige Sprachen übersetzt und zählt zu den erfolgreichsten Bestsellern weltweit. Kaum ein Managerkurs verzichtet auf eine Weisheit aus „Vom Kriege“. Gleichzeitig wird kaum ein anderes Buch von so vielen Leuten zitiert, die es selbst nie gelesen haben.
Vorab: Treten Sie immer für den Weltfrieden ein! Wenn Sie aber in den Wirren des irdischen Lebens in Konflikte geraten, kann es durchaus befriedigend und klärend wirken, nicht unbedingt Krieg zu führen, aber doch strategisch zu handeln, um ans Ziel zu kommen. Nehmen Sie das als wichtigste Botschaft dieses Buches. Und zweitens: Falls Sie in Ihrem Unternehmen noch nicht als Großmeister der strategischen Planung gefeiert werden, dann nehmen Sie noch folgende Information auf: Bei Clausewitz war es nicht anders! Für einen heute noch hochgehandelten Kriegstheoretiker stand Clausewitz überraschend oft zur falschen Zeit auf der falschen Seite. Nach der vernichtenden Niederlage der Preußen gegen Napoleon 1806 dörrte er über Monate in französischer Kriegsgefangenschaft. Als er dann sechs Jahre später auch noch zur Armee des russischen Zaren überlief, wurde er bei den Preußen nur noch als „Lausewitz“ gemobbt. Zwar wurde er wieder ins preußische Heer aufgenommen, schob aber über Jahre eine mehr oder weniger ruhige Kugel als Verwaltungsdirektor einer Kriegsschule. Sein Ende war ebenso wenig glorreich: 1831 starb Clausewitz – nicht etwa an vorderster Front, sondern im Bett an Cholera. Sein Buch “Vom Kriege“ blieb deshalb unvollendet und musste schließlich von seiner Frau Marie veröffentlicht werden.
Clausewitz war ein Mobbingopfer. Offensichtlich ist: Es ist noch kein Meister der Strategie vom Himmel gefallen.
Immerhin machte das Werk post mortem eine bemerkenswerte Karriere. Nicht nur unter Militärstrategen, auch in der zivilen Welt las man aufmerksam „Vom Kriege“. Allein die Tatsache des millionenfachen Verkaufs dieses Titels in der ganzen Welt und dem damit offensichtlich bekundeten Interesse an Kriegsführung auch außerhalb des Militärs lässt Staunen. Steckt da eine archaische Kriegsbegeisterung in uns allen? Nehmen wir den Alltag vielleicht als Lebenskampf wahr, der strategisch zu meistern ist? Vor allem in den Unternehmen und unter Managern werden alte Weisheiten wie die von Clausewitz hoch gehandelt (zumindest als Steinbruch für eigene Powerpoint-Präsentationen). Ob Mitarbeiterführung, feindliche Übernahmen oder globale Expansionsfeldzüge - zu fast jeder Herausforderung halten die Militärstrategen der Geschichte ein wirkungsvolles Bonmot parat.
Dass Clausewitz in einer anderen Welt als heute lebte, scheint seiner Attraktivität keinen Abbruch zu tun. Wer das Schlachtengetümmel im Krieg durchschaute, der scheint auch Jahrzehnte später noch als Coach für eine komplexe, sich ständig ändernde, unüberschaubare Realität geeignet
Nehmen Sie Clausewitz also zumindest als Gehirnjogging und als Vorlage zum Abgleich, wie vorausblickend und umsichtig Sie ihr Handeln gestalten und wie weit es mit Ihrem strategischen Denken ist.
Strategie – das ist das große Stichwort von Clausewitz. Gleichzeitig ist es einer der Begriffe in der Unternehmenswelt, der am häufigsten missverstanden wird. Rein sprachgeschichtlich ist die Analogie von der Unternehmensführung und der Kriegsführung naheliegend. Dass sich ausgerechnet Manager im Begriffsarsenal der Militärs bedienen, ist also nicht abwegig. Schließlich stammt der Begriff „Strategie“ aus dem Griechischen und bedeutet „Heeresführung“ - von „stratos“ (Heer) und „agein“ (führen). Und die Armee ist die älteste Führungs- und Organisationsform, die wir kennen. In der Armee finden sich zahlreiche Aspekte, die auch für Unternehmen relevant sind: Führung, Logistik, Psychologie, Sieg und Niederlage, aber auch langfristige Planungen.
Strategien sind immer an eine Epoche gebunden. Der Luftkrieg kommt natürlich bei Clausewitz noch nicht vor. Und ausgerechnet der wichtigste Faktor des Wirtschaftslebens - der Kunde – findet kein Pendant in Clausewitz Gedankenspielen. Ergo: Alles ist in seinen historischen Kontext einzubinden, die Übertragbarkeit historischen Wissens ist relativ.
Unternehmensziele unterscheiden sich letztlich sehr deutlich von militärischen Targets. Das, was die Wirtschaft häufig als Unternehmensstrategie bezeichnet, sind eher Pläne, um gewisse Ziele umzusetzen. Streng gesehen ist das mehr Taktik als Strategie. Strategisches Denken bedeutet jedoch nach Clausewitz Denken in Räumen und Regionen – das betrifft in der Wirtschaft etwa die globalisierten Märkte. Manager definieren ihre Strategie dabei häufig zu eng und lassen größere Zusammenhänge oft außen vor. Strategie heißt aber vor allem, in die Zukunft zu denken: Das beinhaltet die Entwicklung neuer Technologien, Produkte und Märkte oder neue Kundenbindungsansätze.
Strategisches Denken bedeutet Denken in Räumen und Regionen über größere Zeiträume hinweg. Eine Strategie ist ein nachhaltiges Instrument der Unternehmensführung und orientiert sich nicht an kurzfristigen Zielen.
Ein falsches Verständnis von Strategie ist auch dann vorhanden, wenn strategisches Denken zu starr wird und unabänderlich durchgesetzt werden soll. Solche Vorhaben sind zum Scheitern verurteilt. Hier ist Clausewitz ungemein modern: Die Unwägbarkeiten des Krieges und des Wirtschaftslebens (Clausewitz nennt sie „Friktionen“) führen zwangsläufig dazu, dass Unsicherheit keine Störung, sondern unvermeidbarer Begleiter jeder Strategie ist: „Es gibt keine menschliche Tätigkeit, welche mit dem Zufall so beständig und so allgemein in Berührung stünde als der Krieg.“ Im Zentrum der Clausewitzschen Definition von Strategie ist deshalb Flexibilität. Entsprechend müssen Eventualitäten als Realitäten behandelt und ihre Konsequenzen abgeschätzt werden. Zugleich definiert Clausewitz bereits die Entwicklung strategischer Ziele als permanenten Prozess.
Kern der Strategie ist Flexibilität. Strategie findet im Rahmen eines Koordinatennetzes permanenter neuer Entscheidungen und unter dem Druck ständiger Unsicherheit statt. Die beste Strategie ist immer die, die am flexibelsten ist.
Was kann man von Clausewitz noch lernen? Vielleicht das: Ziele zu durchdenken und zu definieren, Ressourcen abzuschätzen, eigene Stärken und Schwächen und die des Gegners zu analysieren. Eine Strategie ordnet Kräfte, Mittel, Zeit, Raum und Methoden zu einer Leitidee des Handelns - und ist damit nichts anderes als ein effizienter Erfolgsplan.
Das übergeordnete Ziel im Blick, pendeln die Überlegungen des Generals oder Managers zwischen Alternativen und Szenarien hin und her - bis Talent und Erfahrung den Punkt zum Handeln bestimmen.
Wer glaubt, dass die hier zusammengefassten Lehrsätze eine archaische Vorstellung von Führung präsentieren, hat vielleicht Recht. Ein Krieg hat immer etwas Brutales. Der Frieden wird in unserer Kultur gerade aufgrund der Kriegserfahrungen der letzten Jahrhunderte mit Recht höher geschätzt: Krieg bedeutet immer auch Verletzung und Verlust. Das wusste schon Clausewitz. Und auch wenn man seine Gedanken auf die heutige Welt und das Management von Unternehmen überträgt und Krieg eher metaphorisch versteht (soweit man das kann), wird immer ein Legitimationsproblem bleiben. Vielleicht ist es da doch besser an andere Strategieüberlegungen anzuknüpfen. Schließlich kann man auch anders. Wer die kriegerische Auseinandersetzung nicht will und die Feinde scheut, die der Krieg hervorbringt, muss neue Wege gehen. Oder doch alte? Auch hier hilft die Geschichte, in der sich zahlreiche Anregungen finden lassen: Nicht nur durch Krieg, auch durchs Heiraten können ganze Weltreiche entstehen – und das wesentlich unblutiger. Wenn Sie also den Clausewitz durch haben, können Sie sich alternativ die Heiratspolitik des Adels vornehmen. Territoriale Zugewinne und Reichtum des Adels bauten auch auf einer klugen Heiratspolitik auf, deren Ergebnisse in vollem Ausmaß manchmal erst Jahrzehnte oder Jahrhunderte später deutlich wurden. Auch Preußen, Frankreich oder Großbritannien wurden nicht nur auf dem Schlachtfeld groß. Es brauchte genauso Dutzende Hochzeiten, um diese Länder über die Jahrhunderte stark zu machen. Die richtigen Entscheidungen dabei erforderten mindestens so viel strategisches Geschick wie im Kriege… und wenn es mit dem Heiraten, oder auf die heutige Wirtschaftswelt übertragen: mit dem Fusionieren und Akquirieren nicht klappt, können Sie immer noch auf Clausewitz zurückgreifen.
Es wird mit Recht befremden, daß eine weibliche Hand es wagt, ein Werk von solchem Inhalt wie das vorliegende mit einer Vorrede zu begleiten. Für meine Freunde bedarf es hierüber keiner Erklärung, aber auch in den Augen derer, die mich nicht kennen, hoffe ich durch die einfache Erzählung dessen, was mich dazu veranlaßte, jeden Schein einer Anmaßung von mir zu entfernen.
Das Werk, dem diese Zeilen vorangehen sollen, hat meinen unaussprechlich geliebten, mir und dem Vaterlande leider zu früh entrissenen Mann während der letzten zwölf Jahre seines Lebens fast ausschließend beschäftigt. Es zu vollenden, war sein sehnlichster Wunsch; aber nicht seine Absicht, es während seines Lebens der Welt mitzuteilen; und wenn ich mich bemühte, ihn von diesem Vorsatz abzubringen, gab er mir oft, halb im Scherz, halb aber auch wohl im Vorgefühl eines frühen Todes, zur Antwort: »Du sollst es herausgeben.« Diese Worte (die mir in jenen glücklichen Tagen oft Tränen entlockten, sowenig ich damals geneigt war, ihnen eine ernsthafte Bedeutung unterzulegen) sind es nun, die es mir nach der Ansicht meiner Freunde zur Pflicht machen, den hinterlassenen Werken meines geliebten Mannes einige Zeilen voranzuschicken; und wenn man auch hierüber verschiedener Meinung sein kann, so wird man doch das Gefühl gewiß nicht mißdeuten, das mich veranlaßt hat, die Schüchternheit zu überwinden, welche einer Frau jedes auch noch so untergeordnete Auftreten der Art so sehr erschwert.
Es versteht sich von selbst, daß ich dabei auch nicht die entfernteste Absicht haben kann, mich als die eigentliche Herausgeberin eines Werkes zu betrachten, das weit über meinem Horizont liegt. Nur als eine teilnehmende Begleiterin will ich demselben bei seinem Eintritt in die Welt zur Seite stehen. Diese Stelle darf ich wohl in Anspruch nehmen, da mir auch bei seiner Entstehung und Ausbildung eine ähnliche vergönnt wurde. Wer unsere glückselige Ehe gekannt hat und weiß, wie wir alles miteinander teilten, nicht allein Freude und Leid, sondern auch jede Beschäftigung, jedes Interesse des täglichen Lebens: der wird begreifen, daß eine Arbeit [24] dieser Art meinen geliebten Mann nicht beschäftigen konnte, ohne auch mir genau bekannt zu sein. Es kann also auch niemand so wie ich, Zeugnis geben von dem Eifer, von der Liebe, mit der er sich ihr widmete, von den Hoffnungen, die er damit verband, sowie von der Art und dem Zeitpunkt ihres Entstehens. Sein so reich begabter Geist hatte von früher Jugend an das Bedürfnis des Lichts und der Wahrheit empfunden, und so vielseitig er auch gebildet war, hatte sich sein Nachdenken doch hauptsächlich auf die Kriegswissenschaften gerichtet, welchen sein Beruf ihn widmete, und welche von so großer Wichtigkeit für das Wohl der Staaten sind. Scharnhorst hatte ihn zuerst auf die richtige Bahn geführt, und seine im Jahre 1810 erfolgte Anstellung als Lehrer bei der Allgemeinen Kriegsschule, sowie die Ehre, die ihm in derselben Zeit zuteil wurde, Seiner Königlichen Hoheit dem Kronprinzen den ersten militärischen Unterricht zu erteilen, waren ihm neue Veranlassungen, seinen Forschungen und Bestrebungen diese Richtung zu geben sowie dasjenige niederzuschreiben, worüber er mit sich selbst aufs reine gekommen war. Ein Aufsatz, mit welchem er im Jahre 1812 den Unterricht Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen schloß, enthält schon die Keime seiner folgenden Werke. Aber erst im Jahre 1816 in Koblenz fing er wieder an, sich mit wissenschaftlichen Arbeiten zu beschäftigen und die Früchte zu sammeln, welche die reichen Erfahrungen von vier so gewichtigen Kriegsjahren in ihm zur Reife gebracht hatten. Er schrieb seine Ansichten zuerst in kurzen, untereinander nur lose verbundenen Aufsätzen nieder. Der nachfolgende, der sich ohne Datum unter seinen Papieren fand, scheint auch aus jener früheren Zeit herzustammen.
»Durch die hier niedergeschriebenen Sätze sind nach meiner Meinung die Hauptsachen, welche die sogenannte Strategie ausmachen, berührt. Ich sah sie noch als bloße Materialien an und war ziemlich so weit gekommen, sie zu einem Ganzen zu verschmelzen.
Es sind nämlich diese Materialien ohne vorher gemachten Plan entstanden. Meine Absicht war anfangs: ohne Rücksicht auf System und strengen Zusammenhang über die wichtigsten Punkte dieses Gegenstandes dasjenige in ganz kurzen, präzisen, gedrungenen Sätzen niederzuschreiben, was ich darüber mit mir selbst ausgemacht hatte. Die Art, wie Montesquieu seinen Gegenstand behandelt hat, schwebte mir dabei dunkel vor. Ich dachte mir, solche kurze, sentenzreiche Kapitel, die ich anfangs nur Körner nennen wollte, würden den geistreichen Menschen anziehen ebensosehr durch das, was weiter aus ihnen entwickelt werden konnte, als durch das, was sie selbst feststellten; es schwebte mir also ein geistreicher, schon mit der Sache bekannter Leser vor. Allein meine Natur, die mich immer zum Entwickeln und Systematisieren treibt, hat sich am Ende auch hier wieder hervorgearbeitet. Eine Zeitlang vermochte ich es über mich, aus den Abhandlungen, welche ich über einzelne Gegenstände schrieb, weil sie mir dadurch selbst erst recht klar und sicher werden sollten, nur die wichtigsten Resultate [25] herauszuheben und also den Geist in ein kleineres Volumen zu konzentrieren; später aber ist meine Eigentümlichkeit völlig mit mir durchgegangen, ich habe entwickelt, was ich gekonnt habe, und mir dann natürlich dabei einen mit dem Gegenstand noch nicht bekannten Leser gedacht.
Je mehr ich fortgearbeitet, je mehr ich mich dem Geiste der Untersuchung hingegeben habe, um so mehr bin ich auch auf das System zurückgeführt, und so sind denn nach und nach Kapitel eingeschaltet worden.
Meine letzte Absicht war nun, alles noch einmal durchzugehen, in den früheren Aufsätzen manches mehr zu motivieren, in den späteren vielleicht manche Analyse in ein Resultat zusammenzuziehen und so ein erträgliches Ganze daraus zu machen, welches einen kleinen Oktavband bildete. Aber auch dabei wollte ich durchaus alles Gewöhnliche, was sich von selbst versteht, hundertmal gesagt, allgemein angenommen ist, vermeiden; denn mein Ehrgeiz war, ein Buch zu schreiben, was nicht nach zwei oder drei Jahren vergessen wäre, und was derjenige, welcher sich für den Gegenstand interessiert, allenfalls mehr als einmal in die Hand nehmen könnte.«
In Koblenz, wo er viele Dienstgeschäfte hatte, konnte er seinen Privatarbeiten nur abgebrochene Stunden widmen; erst durch seine im Jahre 1818 erfolgte Ernennung zum Direktor der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin gewann er die Muße, seinem Werk eine weitere Ausdehnung zu geben und es auch durch die Geschichte der neueren Kriege zu bereichern. Diese Muße söhnte ihn auch mit seiner neuen Bestimmung aus, die ihm in anderer Hinsicht wohl nicht ganz genügen konnte, da nach der einmal bestehenden Einrichtung der Kriegsschule der wissenschaftliche Teil der Anstalt nicht unter dem Direktor steht, sondern von einer besonderen Studien-Kommission geleitet wird. So frei er auch von jeder kleinlichen Eitelkeit, von jedem unruhigen, egoistischen Ehrgeiz war, so fühlte er doch das Bedürfnis, wahrhaft nützlich zu sein und die Fähigkeiten, mit welchen Gott ihn begabt hatte, nicht ungebraucht zu lassen. Im tätigen Leben stand er nicht an einer Stelle, wo dies Bedürfnis Befriedigung finden konnte, und er machte sich wenig Hoffnung, noch einst zu einer solchen zu gelangen; sein ganzes Streben richtete sich also auf das Reich der Wissenschaft, und der Nutzen, den er einst durch sein Werk zu stiften hoffte, wurde der Zweck seines Lebens. Wenn trotzdem der Entschluß, dies Werk erst nach seinem Tode erscheinen zu lassen, immer fester in ihm wurde, so ist dies wohl der beste Beweis, daß kein eitles Verlangen nach Lob und Anerkenntnis, keine Spur irgendeiner egoistischen Rücksicht diesem edlen Drange nach einer großen und dauernden Wirksamkeit beigemischt war.
So arbeitete er eifrig fort, bis er im Frühjahr 1830 zur Artillerie versetzt und seine Tätigkeit nun auf eine ganz andere Weise, und zwar in so hohem Grade in Anspruch genommen wurde, daß er, wenigstens fürs erste, allen schriftstellerischen Arbeiten entsagen mußte. Er ordnete seine Papiere, versiegelte die einzelnen Pakete, versah sie mit Aufschriften und nahm einen [26] wehmütigen Abschied von dieser ihm so liebgewordenen Beschäftigung. Er wurde im August desselben Jahres nach Breslau versetzt, wo er die zweite Artillerie-Inspektion erhielt, aber schon im Dezember wieder nach Berlin zurückberufen und als Chef des Generalstabes bei dem Feldmarschall Grafen von Gneisenau (für die Dauer des demselben verliehenen Oberkommandos) angestellt. Im März 1831 begleitete er seinen verehrten Feldherrn nach Posen. Als er nach dem schmerzlichen Verlust im November von dort nach Breslau zurückkehrte, erheiterte ihn die Hoffnung, sein Werk wieder vornehmen und vielleicht im Laufe des Winters vollenden zu können. Gott hatte es anders gewollt; er war am 7. November nach Breslau zurückgekehrt, am 16. war er nicht mehr, und die von seiner Hand versiegelten Pakete wurden erst nach seinem Tode eröffnet! -
Dieser Nachlaß ist es nun, der in den folgenden Bänden mitgeteilt wird, und zwar ganz so, wie er sich vorfand, ohne daß ein Wort hinzugefügt oder gestrichen worden wäre. Dennoch war bei der Herausgabe desselben vieles zu tun, zu ordnen und zu beraten, und ich bin mehreren treuen Freunden für den mir hierbei geleisteten Beistand den herzlichsten Dank schuldig, namentlich dem Herrn Major O’Etzel, der die Korrektur des Drucks, sowie die Anfertigung der Karten, welche den historischen Teil des Werkes begleiten sollen, gütigst übernommen hat. Ich darf auch wohl meinen geliebten Bruder hier nennen, der meine Stütze war in der Stunde des Unglücks, und der sich auch um diesen Nachlaß in so vieler Hinsicht verdient gemacht hat. Er hat unter anderm bei dem sorgfältigen Durchlesen und Ordnen desselben die angefangene Umarbeitung gefunden, welche mein geliebter Mann in der im Jahre 1827 geschriebenen und weiter unten folgenden Nachricht als eine beabsichtigte Arbeit erwähnt, und hat sie an den Stellen des ersten Buches, für welche sie bestimmt war (denn weiter reichte sie nicht), eingeschaltet.
Noch vielen anderen Freunden möchte ich danken für den mir erteilten Rat, für die mir erwiesene Teilnahme und Freundschaft, aber wenn ich sie auch nicht alle nennen kann, werden sie doch gewiß an meiner innigsten Dankbarkeit nicht zweifeln. Diese ist um so größer, je fester ich überzeugt bin, daß alles, was sie für mich taten, nicht allein um meinetwillen geschah, sondern dem Freunde galt, den ihnen Gott so früh entrissen hat.
War ich einundzwanzig Jahre lang hochbeglückt an der Hand eines solchen Mannes, so bin ich es auch noch ungeachtet meines unersetzlichen Verlustes durch den Schatz meiner Erinnerungen und meiner Hoffnungen, durch das reiche Vermächtnis von Teilnahme und Freundschaft, das ich dem geliebten Verstorbenen verdanke, und durch das erhebende Gefühl, seinen seltenen Wert so allgemein und so ehrenvoll anerkannt zu sehen.
Das Vertrauen, mit welchem ein edles Fürstenpaar mich zu sich rief, ist eine neue Wohltat, für die ich Gott zu danken habe, da es mir einen [27] ehrenvollen Beruf eröffnet, dem ich mich freudig widme. Möchte dieser Beruf gesegnet sein, und möchte der teure kleine Prinz, der in diesem Augenblick meiner Obhut anvertraut ist, einst dieses Buch lesen und durch dasselbe zu Taten begeistert werden, ähnlich denen seiner glorreichen Ahnen!
Geschrieben im Marmor-Palais bei Potsdam, den 30. Juni 1832
Marie von Clausewitz
geborene Gräfin Brühl
Oberhofmeisterin Ihrer Königlichen Hoheit der
Prinzessin Wilhelm
»Ich betrachte die ersten sechs Bücher, welche sich schon ins reine geschrieben finden, nur als eine noch ziemlich unförmliche Masse, die durchaus noch einmal umgearbeitet werden soll. Bei dieser Umarbeitung wird die doppelte Art des Krieges überall schärfer im Auge behalten werden, und dadurch werden alle Ideen einen schärferen Sinn, eine bestimmte Richtung, eine nähere Anwendung bekommen. Diese doppelte Art des Krieges ist nämlich diejenige, wo der Zweck das Niederwerfen des Gegners ist, sei es, daß man ihn politisch vernichten oder bloß wehrlos machen und also zu jedem beliebigen Frieden zwingen will - und diejenige, wo man bloß an den Grenzen seines Reiches einige Eroberungen machen will, sei es, um sie zu behalten, oder um sie als nützliches Tauschmittel beim Frieden geltend zu machen. Die Übergänge von einer Art in die andere müssen freilich bestehenbleiben, aber die ganz verschiedene Natur beider Bestrebungen muß überall durchgreifen und das Unverträgliche voneinander sondern.
Außer diesem faktisch bestehenden Unterschied in den Kriegen muß noch der ebenfalls praktisch notwendige Gesichtspunkt ausdrücklich und genau festgestellt werden, daß der Krieg nichts ist als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln. Dieser Gesichtspunkt, überall [28] festgehalten, wird vielmehr Einheit in die Betrachtung bringen, und es wird sich alles leichter auseinanderwirren. Obgleich dieser Gesichtspunkt hauptsächlich erst im achten Buche seine Wirksamkeit haben wird, so muß er doch schon im ersten Buche vollständig entwickelt werden und auch bei der Umarbeitung der ersten sechs Bücher mitwirken. Mit einer solchen Umarbeitung werden die ersten sechs Bücher manche Schlacke loswerden, manche Spalte und Kluft wird sich zusammenziehen, und manche Allgemeinheit wird in bestimmtere Gedanken und Formen übergehen können.
Das siebente Buch, Vom Angriff, wozu die Skizzen der einzelnen Kapitel bereits entworfen sind, ist als ein Reflex des sechsten Buches zu betrachten, und soll sogleich nach den eben angegebenen bestimmteren Gesichtspunkten bearbeitet werden, so daß es keiner neuen Umarbeitung bedürfen wird, sondern vielmehr bei der Umarbeitung der sechs ersten Bücher als Norm dienen kann.
Zum achten Buch, Vom Kriegsplan, d. h. überhaupt von der Einrichtung eines ganzen Krieges, finden sich mehrere Kapitel entworfen, die aber nicht einmal als wahre Materialien betrachtet werden können, sondern ein bloßes rohes Durcharbeiten durch die Masse sind, um in der Arbeit selbst erst recht gewahr zu werden, worauf es ankommt. Diesen Zweck haben sie erfüllt, und ich denke nach Beendigung des siebenten Buches gleich zur Ausarbeitung des achten zu schreiten, wo dann hauptsächlich die beiden oben angegebenen Gesichtspunkte geltend gemacht werden und alles vereinfachen, aber auch zugleich vergeistigen sollen. Ich hoffe in diesem Buche manchen Faltenkniff in den Köpfen der Strategen und Staatsmänner auszubügeln, und wenigstens überall zu zeigen, worum es sich handelt, und was bei einem Kriege eigentlich in Betracht zu ziehen ist.
Bin ich nun durch die Ausarbeitung dieses achten Buches mit meinen Ideen ins klare gekommen, und haben die großen Lineamente des Krieges sich gehörig festgestellt, so wird es mir dann um so leichter werden, diesen Geist in die ersten sechs Bücher überzutragen und jene Lineamente auch hier überall durchschimmern zu lassen. Also erst alsdann werde ich die Umarbeitung der ersten sechs Bücher vornehmen.
Sollte mich ein früher Tod in dieser Arbeit unterbrechen, so wird das, was sich vorfindet, freilich nur eine unförmliche Gedankenmasse genannt werden können, die, weil unaufhörlichen Mißverständnissen ausgesetzt, zu einer Menge unreifer Kritiken Veranlassung geben wird; denn in diesen Dingen glaubt jeder das, was ihm einfällt, indem er die Feder ergreift, eben gut genug, um gesagt und gedruckt zu werden, und hält es für ebenso unzweifelhaft, als daß zwei mal zwei vier ist. Wollte er sich die Mühe geben, wie ich, jahrelang über den Gegenstand nachzudenken, und ihn immer mit der Kriegsgeschichte zu vergleichen, so würde er freilich mit der Kritik behutsamer sein.
Aber trotz dieser unvollendeten Gestalt glaube ich doch, daß ein vorurteilsfreier, nach Wahrheit und Überzeugung dürstender Leser in den sechs [29] ersten Büchern die Früchte eines mehrjährigen Nachdenkens und eifrigen Studiums des Krieges nicht verkennen und vielleicht darin die Hauptgedanken finden werde, von denen eine Revolution in dieser Theorie ausgehen könnte.«
Berlin, den 10. Juli 1827.«
Außer dieser Nachricht fand sich noch in dem Nachlasse folgender unvollendete Aufsatz, der, wie es scheint, von sehr neuem Datum ist.
»Das Manuskript über die Führung des großen Krieges, welches man nach meinem Tode finden wird, kann, so wie es da ist, nur als eine Sammlung von Werkstücken betrachtet werden, aus denen eine Theorie des großen Krieges aufgebaut werden sollte. Das meiste hat mich noch nicht befriedigt, und das sechste Buch ist als ein bloßer Versuch zu betrachten; ich würde es ganz umgearbeitet und den Ausweg anders gesucht haben.
Allein die Hauptlineamente, welche man in diesen Materialien herrschen sieht, halte ich für die richtigen in der Ansicht vom Kriege; sie sind die Frucht eines vielseitigen Nachdenkens mit beständiger Richtung gegen das praktische Leben, in beständiger Erinnerung dessen, was die Erfahrung und der Umgang mit ausgezeichneten Soldaten mich gelehrt hatten.
Das siebente Buch sollte den Angriff enthalten, wovon die Gegenstände flüchtig hingeworfen sind; das achte den Kriegsplan, worin ich die politische und menschliche Seite des Krieges noch besonders aufgefaßt haben würde.
Das erste Kapitel des ersten Buches ist das einzige, das ich als vollendet betrachte, es wird wenigstens dem Ganzen den Dienst erweisen, die Richtung anzugeben, die ich überall halten wollte.
Die Theorie des großen Krieges oder die sogenannte Strategie hat außerordentliche Schwierigkeiten, und man kann wohl sagen, daß sehr wenig Menschen von den einzelnen Gegenständen deutliche, d. h. bis auf das Notwendige in beständigem Zusammenhange zurückgeführte Vorstellungen haben. Beim Handeln folgen die meisten einem bloßen Takt des Urteils, der mehr oder weniger gut trifft, je nachdem mehr oder weniger Genie in ihnen ist.
So haben alle großen Feldherren gehandelt, und darin lag zum Teil ihre Größe und ihr Genie, daß Sie mit diesem Takt immer das Rechte trafen. So wird es auch für das Handeln immer bleiben; und dieser Takt reicht dazu vollkommen hin. Aber wenn es darauf ankommt, nicht selbst zu handeln, sondern in einer Beratung andere zu überzeugen, dann kommt es auf klare Vorstellungen, auf das Nachweisen des inneren Zusammenhangs an; und weil die Ausbildung in diesem Stück noch so wenig vorgeschritten ist, so sind die meisten Beratungen ein fundamentloses Hin- und Herreden, wobei entweder jeder seine Meinung behält, oder ein bloßes Abkommen aus gegenseitiger Rücksicht zu einem Mittelwege führt, der eigentlich ohne allen Wert ist.
[30] Die klaren Vorstellungen in diesen Dingen sind also nicht unnütz; außerdem hat der menschliche Geist nun einmal ganz allgemein die Richtung auf Klarheit und das Bedürfnis, überall in einem notwendigen Zusammenhang zu stehen.
Die großen Schwierigkeiten, welche ein solcher philosophischer Aufbau der Kriegskunst hat, und die vielen sehr schlechten Versuche, welche darin gemacht sind, hat die meisten Leute dahin gebracht, zu sagen: Es ist eine solche Theorie nicht möglich, denn es ist von Dingen die Rede, die kein stehendes Gesetz umfassen kann. Wir würden in diese Meinung einstimmen, und jeden Versuch einer Theorie aufgeben, wenn sich nicht eine ganze Anzahl von Sätzen ohne Schwierigkeit ganz evident machen ließe. Daß die Verteidigung die stärkere Form mit dem negativen Zweck, der Angriff die schwächere mit dem positiven Zweck ist,- daß die großen Erfolge die kleinen mitbestimmen,- daß man also die strategischen Wirkungen auf gewisse Schwerpunkte zurückführen kann; daß eine Demonstration eine schwächere Kraftverwendung ist als ein wirklicher Angriff, daß sie also besonders bedingt sein muß,- daß der Sieg nicht bloß in der Eroberung des Schlachtfeldes, sondern in der Zerstörung der physischen und moralischen Streitkraft besteht, und daß diese meistens erst im Verfolgen der gewonnenen Schlacht erreicht wird,- daß der Erfolg immer am größten ist, wo man den Sieg erfochten hat, daß also das Überspringen von einer Linie und Richtung auf die andere nur als ein notwendiges Übel betrachtet werden kann, daß die Berechtigung zum Umgehen nur von der Überlegenheit überhaupt oder von der Überlegenheit der eigenen Verbindungs- und Rückzugslinie über die des Gegners entstehen kann,- daß Flankenstellungen also auch durch dieselben Verhältnisse bedingt werden,- daß sich jeder Angriff im Vorgehen schwächt.«
Daß der Begriff des Wissenschaftlichen nicht allein oder hauptsächlich im System und seinem fertigen Lehrgebäude besteht, bedarf heutigentags keiner Auseinandersetzung. - System ist in dieser Darstellung auf der Oberfläche gar nicht zu finden, und statt eines fertigen Lehrgebäudes sind es nichts als Werkstücke.
Die wissenschaftliche Form liegt in dem Bestreben, das Wesen der kriegerischen Erscheinungen zu erforschen, ihre Verbindung mit der Natur der Dinge, aus denen sie zusammengesetzt sind, zu zeigen. Nirgends ist der [31] philosophischen Konsequenz ausgewichen; wo sie aber in einem gar zu dünnen Faden ausläuft, hat der Verfasser es vorgezogen, ihn abzureißen und an die entsprechenden Erscheinungen der Erfahrung wieder anzuknüpfen; denn so wie manche Pflanzen nur Früchte tragen, wenn sie nicht zu hoch in den Stengel schießen, so müssen in praktischen Künsten die theoretischen Blätter und Blumen nicht zu hoch getrieben, sondern der Erfahrung, ihrem eigentümlichen Boden, nahegehalten werden.
Unstreitig wäre es ein Fehler, aus den chemischen Bestandteilen des Weizenkorns die Gestalt der Ähre erforschen zu wollen, die es treibt, da man nur aufs Feld zu gehen braucht, um die Ähren fertig zu sehen. Untersuchung und Beobachtung, Philosophie und Erfahrung dürfen nie einander verachten noch ausschließen; sie leisten einander gegenseitige Bürgschaft. Die Sätze dieses Buches stützen sich daher mit dem kurzen Gewölbe ihrer inneren Notwendigkeit entweder auf die Erfahrung oder auf den Begriff des Krieges selbst als einen äußeren Punkt und entbehren also der Widerlagen nicht.1
Es ist vielleicht nicht unmöglich, eine systematische Theorie des Krieges voll Geist und Gehalt zu schreiben, unsere bisherigen aber sind weit davon entfernt. Ihres unwissenschaftlichen Geistes gar nicht zu gedenken, strotzen sie in dem Bestreben nach dem Zusammenhang und der Vollständigkeit des Systems von Alltäglichkeiten, Gemeinsprüchen und Salbadereien aller Art. Will man ein treffendes Bild davon, so lese man Lichtenbergs Auszug aus einer Feuerverordnung.
»Wenn ein Haus brennt, so muß man vor allen Dingen die rechte Wand des zur Linken stehenden Hauses und hingegen die linke Wand des zur Rechten stehenden Hauses zu decken suchen; denn wenn man zum Exempel die linke Wand des zur Linken stehenden Hauses decken wollte, so liegt ja die rechte Wand des Hauses der linken Wand zur Rechten, und folglich, da das Feuer auch dieser Wand und der rechten Wand zur Rechten liegt (denn wir haben ja angenommen, daß das Haus dem Feuer zur Linken liege), so liegt die rechte Wand dem Feuer näher als die linke, und die rechte Wand des Hauses könnte abbrennen, wenn sie nicht gedeckt würde, ehe das Feuer an die linke, die gedeckt wird, käme; folglich könnte etwas abbrennen, das man nicht deckt, und zwar eher, als etwas anderes abbrennen würde, auch wenn man es nicht deckte; folglich muß man dieses lassen und jenes decken. Um sich die Sache zu imprimieren, darf man nur merken: wenn das Haus dem Feuer zur Rechten liegt, so ist es die linke Wand, und liegt das Haus zur Linken, so ist es die rechte Wand.«
[31] Um mit solchen Gemeinsprüchen den Leser von Geist nicht zurückzuschrecken und das wenige Gute durch den wäßrigen Aufguß unschmackhaft zu machen, hat der Verfasser es vorgezogen, was vieljähriges Nachdenken über den Krieg, der Umgang mit gescheiten Leuten, die ihn kannten, und manche eigene Erfahrung in ihm hervorriefen und feststellten, in kleinen Körnern gediegenen Metalls zu geben. So sind die äußerlich nur schwach verbundenen Kapitel dieses Buches entstanden, denen es doch hoffentlich nicht an innerem Zusammenhange fehlt. Vielleicht erscheint bald ein größerer Kopf, der statt dieser einzelnen Körner das Ganze in einem Guß gediegenen Metalls ohne Schlacken gibt. -
[34]
Einleitung
Wir denken die einzelnen Elemente unseres Gegenstandes, dann die einzelnen Teile oder Glieder desselben und zuletzt das Ganze in seinem inneren Zusammenhange zu betrachten, also vom Einfachen zum Zusammengesetzten fortzuschreiten. Aber es ist hier mehr als irgendwo nötig, mit einem Blick auf das Wesen des Ganzen anzufangen, weil hier mehr als irgendwo mit dem Teile auch zugleich immer das Ganze gedacht werden muß.
Definition
Wir wollen hier nicht erst in eine schwerfällige publizistische Definition des Krieges hineinsteigen, sondern uns an das Element desselben halten, an den Zweikampf. Der Krieg ist nichts als ein erweiterter Zweikampf. Wollen wir uns die Unzahl der einzelnen Zweikämpfe, aus denen er besteht, als Einheit denken, so tun wir besser, uns zwei Ringende vorzustellen. Jeder sucht den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen; sein nächster Zweck ist, den Gegner niederzuwerfen und dadurch zu jedem ferneren Widerstand unfähig zu machen.
Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.
Die Gewalt rüstet sich mit den Erfindungen der Künste und Wissenschaften aus, um der Gewalt zu begegnen. Unmerkliche, kaum nennenswerte Beschränkungen, die sie sich selbst setzt unter dem Namen völkerrechtlicher Sitte, begleiten sie, ohne ihre Kraft wesentlich zu schwächen. Gewalt, d. h. die physische Gewalt (denn eine moralische gibt es außer dem Begriffe des Staates und Gesetzes nicht), ist also das Mittel, dem Feinde unseren Willen aufzudringen, der Zweck. Um diesen Zweck sicher zu erreichen, müssen wir den Feind wehrlos machen, und dies ist dem Begriff nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung. Es vertritt den Zweck und verdrängt ihn gewissermaßen als etwas nicht zum Kriege selbst Gehöriges.
[36] Äußerste Anwendung der Gewalt
Nun könnten menschenfreundliche Seelen sich leicht denken, es gebe ein künstliches Entwaffnen oder Niederwerfen des Gegners, ohne zuviel Wunden zu verursachen, und das sei die wahre Tendenz der Kriegskunst. Wie gut sich das auch ausnimmt, so muß man doch diesen Irrtum zerstören; denn in so gefährlichen Dingen, wie der Krieg eins ist, sind die Irrtümer, welche aus Gutmütigkeit entstehen, gerade die schlimmsten. Da der Gebrauch der physischen Gewalt in ihrem ganzen Umfange die Mitwirkung der Intelligenz auf keine Weise ausschließt, so muß der, welcher sich dieser Gewalt rücksichtslos, ohne Schonung des Blutes, bedient, ein Übergewicht bekommen, wenn der Gegner es nicht tut. Dadurch gibt er dem anderen das Gesetz, und so steigern sich beide bis zum äußersten, ohne daß es andere Schranken gäbe als die der innewohnenden Gegengewichte.
So muß man die Sache ansehen, und es ist ein unnützes, selbst verkehrtes Bestreben, aus Widerwillen gegen das rohe Element die Natur desselben außer acht zu lassen.
Sind die Kriege gebildeter Völker viel weniger grausam und zerstörend als die der ungebildeten, so liegt das in dem gesellschaftlichen Zustande, sowohl der Staaten in sich als unter sich. Aus diesem Zustande und seinen Verhältnissen geht der Krieg hervor, durch ihn wird er bedingt, eingeengt, ermäßigt: aber diese Dinge gehören ihm nicht selbst an, sind ihm nur ein Gegebenes, und nie kann in die Philosophie des Krieges selbst ein Prinzip der Ermäßigung hineingetragen werden, ohne eine Absurdität zu begehen.