Inhalt

  1. Cover
  2. Über den Autor
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Widmung
  6. Kapitel Eins
  7. Kapitel Zwei
  8. Kapitel Drei
  9. Kapitel Vier
  10. Kapitel Fünf
  11. Kapitel Sechs
  12. Kapitel Sieben

Über den Autor

Ken Follett, geb. 1949 in Wales, von Beruf Journalist, wurde mit seinem Thriller »Die Nadel« weltberühmt. Follett ist Autor von mehr als einem Dutzend Bestsellern. Brillante Erzählkunst verbindet sich in seinen Büchern mit fundierter Sachkenntnis.

KEN FOLLETT

DAS GEHEIMNIS
DER MASKEN

Aus dem Englischen von
Axel März

BASTEI ENTERTAINMENT

In Liebe gewidmet

Timothy und Rachel Dodge,

Lieblingscousin und Lieblingscousine

Kapitel Eins

Mick Williams schob die letzte Abendzeitung in einen Briefkastenschlitz und sprang auf sein Fahrrad. Schnell fuhr er zurück zum Zeitungsladen. Diesen Teil der Arbeit genoss er am meisten: die Tasche, die zu Beginn seiner Tour so schmerzhaft schwer über der Schulter gehangen hatte, flatterte nun leer im Windschatten hinter ihm.

Er bog um eine Ecke, überquerte die Straße und steuerte geradewegs auf den Bürgersteig zu. Einen Sekundenbruchteil vor Erreichen der Bordsteinkante riss er am Lenker und wuchtete das Vorderrad in die Höhe. Das ganze Rad hob ab und landete perfekt auf dem Bürgersteig. Mike stieg in die Rücktrittbremse und schleuderte elegant mit dem Hinterrad herum. Ein Trick, den er schon vor langer Zeit gelernt hatte. Genau neben dem großen Schaufenster kam er zum Stehen.

Er lehnte das Rad gegen die Hauswand und wollte den Laden betreten. Als er die Tür öffnete, sah er einen Jungen, den er nicht kannte. Er stand vor dem Schaufenster, eine Hand auf dem Sattel eines Rennrads. Mick hoffte, dass er den Fremden mit seinem Schleudertrick gebührend beeindruckt hatte.

„Draußen wartet ein neuer Junge, Mick“, sagte Mr Thorpe, der Zeitungshändler. „Zeigst du ihm die Tour Nummer sieben?“

„Klar doch“, sagte Mick. Er bekam jede Woche für den einen oder anderen Gelegenheitsauftrag zusätzliches Geld. Er kannte alle Touren in- und auswendig, und wenn einer der anderen Jungs nicht zur Arbeit erschien, sprang Mick ein. Wenn es einmal keine zusätzliche Arbeit gab, kehrte er den Laden aus und fuhr anschließend nach Hause.

Mick klopfte gegen die Scheibe und winkte dem anderen Jungen zu, er solle hereinkommen.

„Mick Williams wird dir deine Tour zeigen, Junge!“, rief Mr Thorpe nach draußen.

Mick musterte den anderen. Er schätzte, dass sie ungefähr im gleichen Alter waren, auch wenn der Kerl größer und schwerer wirkte als Mick. Sein Gegenüber hatte kurze blonde Haare, und Mick fiel auf, dass er ein Hemd mit zugeknöpftem Kragen trug.

„Wie heißt du?“, fragte Mick.

„Randall Izard“, antwortete der andere.

„Eigenartiger Name.“

„In meiner alten Schule haben mich alle Izzie genannt“, erwiderte er.

Mick nahm die Zeitungstasche des Jungen und legte sie flach auf die Ladentheke, zusammen mit den News of the World. „Weißt du, wie man die Zeitungen einpackt?“

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„Ich schätze schon.“

„Dann mal los“, sagte Mick. Er beobachtete den anderen Jungen eine Minute lang, während dieser sich vergeblich abmühte. „Hast du schon mal Zeitungen ausgefahren?“, fragte er schließlich.

„Nein.“

„Dachte ich mir.“ Mick zeigte ihm, wie man die Zeitungen richtig in die Tasche schob, dann half er ihm, die Tasche über die Schulter und den Kopf zu schlingen.

„Ganz schön schwer!“, sagte Izzie, als sie auf die Straße traten.

„Warte nur bis Freitag“, lachte Mick. „Freitags sind die Zeitungen immer viel dicker.“

„Beeilt euch, Jungs!“, rief Mr Thorpe den beiden hinterher. „Nur zu, oder die Acacia Avenue 35 kommt sich wieder beschweren, weil ihre Zeitung zu spät ausgeliefert wurde.“

Mick starrte voller Bewunderung auf Izzies Rad. Es hatte einen Rennlenker und eine Zehngangschaltung. Als Izzie aufstieg und dabei mit der Zeitungstasche kämpfte, sah Mick, dass er gerade mal so groß genug für sein Fahrrad war. Für ihn selbst wäre es zu groß gewesen, dachte Mick.

Er sprang auf sein eigenes Rad. Als sie gemeinsam losfuhren, sagte er: „Schade um dein Rad.“

Izzie errötete ein wenig. „Wieso?“, fragte er. „Was stimmt denn nicht damit?“

„Es ist ein gutes Rad“, sagte Mick. „Aber es macht die Arbeit unnötig schwer. So ein Rad wie das hier ist viel besser.“ Micks Rad hatte einen hochgezogenen Lenker und dicke Reifen mit grobem Profil.

„Ich habe es nicht fürs Zeitungsausfahren bekommen“, murmelte der Junge.

Sie bogen in die Acacia Avenue und Mick zeigte auf das erste Haus. Während sie die Zeitungen austeilten, erzählte er Izzie, welche Abonnenten ihre Zeitung auf der Türschwelle und welche sie durch den Briefkastenschlitz geschoben haben wollten, damit sie bei Regen nicht nass werden konnte, und welche Abonnenten nicht wollten, dass er über den Rasen stiefelte oder eine Abkürzung über die Hecke nahm.

„War das früher deine Tour?“, fragte Izzie.

„Ich hab schon alle Touren das eine oder andere Mal abgefahren“, antwortete Mick. Er mochte den neuen Jungen nicht besonders, das wurde ihm jetzt bewusst. Izzie redete so vornehmes Zeugs. Leute, die so sprachen, waren normalerweise versnobt.

Mick schaute sich Izzies Fahrrad genauer an, während er darauf wartete, dass Izzie von einer langen Auffahrt zurückkam. Die schmalen Felgen trugen Hochdruckreifen mit Rennprofil. Das musste ein teures Rad gewesen sein. Mick fragte sich wirklich, warum Izzie Zeitungen ausfuhr.

Izzie kam durch das Tor wieder auf die Straße. Seine Tasche war inzwischen fast leer. „Woher hast du das Fahrrad?“, fragte Mick.

„Es war ein Geburtstagsgeschenk von meinem Vater“, antwortete Izzie. „Und woher hast du deins?“

„Geklaut“, antwortete Mick und fuhr weiter zum nächsten Haus.

Einige Blocks weiter fragte er: „Was ist dein Vater von Beruf?“

„Er macht Filme“, antwortete Izzie.

Mick war beeindruckt. „Was denn, so Cowboy- und James Bond-Filme und so was?“

„Nein. Hauptsächlich Fernsehwerbung.“

„Oh“, sagte Mick. Fernsehwerbung fand er nicht annähernd so interessant.

„Was ist mit deinem?“, fragte Izzie.

„Was, meinem?“

„Deinem Vater.“

„Ich hab keinen“, sagte Mick. Izzie runzelte die Stirn und öffnete den Mund, um eine weitere Frage zu stellen, doch Mick kam ihm zuvor. „Das ist das letzte Haus“, sagte er, „dann sind wir fertig. Los, mach.“

Auf dem Weg zurück zum Laden fragte Mick: „Auf welche Schule gehst du eigentlich?“

„Auf die Radley.“

Das war Micks Schule. „Ich hab dich noch nie gesehen“, sagte er.

„Ich hab gerade erst gewechselt“, erklärte Izzie. „Vorher war ich auf einer Privatschule.“

Vor dem Laden zeigte Mick wieder seinen Schleudertrick, während Izzie sein Rad vorsichtig am Bordstein abstellte. Die beiden gingen hinein.

„In Ordnung, mein Junge“, sagte Mr Thorpe zu Izzie. „Morgen dann um Viertel nach vier wieder hier.“

„Und, wie hat er sich angestellt?“, wollte Mr Thorpe von Mick wissen, als Izzie gegangen war.

„Ganz okay“, antwortete Mick. Er nahm eine Abendzeitung vom Tresen und legte ein Geldstück auf die Kasse.

„Scheint ein netter Junge zu sein“, bemerkte Mr Thorpe.

Mick steckte die Zeitung in seine Tasche. „Er ist vielleicht ein wenig hochnäsig, aber ich glaube, seine Eltern machen gerade eine harte Zeit durch.“

„Ach, tatsächlich?“, fragte Mr Thorpe und um seine Mundwinkel spielte ein schwaches Lächeln.

„Bis dann“, sagte Mick und fuhr nach Hause. Izzie fuhr, so schnell er konnte, den Kopf tief über den Lenker gebeugt, während er flott durch die Gänge schaltete. Es ist ein großartiges Fahrrad, dachte er bei sich. Ganz egal, was Mick Williams dazu sagt. Sein alter Drahtesel sieht aus wie selbst gebastelt und er wiegt wahrscheinlich eine Tonne.

Aber egal, jetzt hatte er den ganzen Abend für sich. Keine Schule bis zum nächsten Morgen. Er fürchtete sich bei dem Gedanken, wieder zur Radley zu müssen. Der Schulwechsel war für ihn ganz furchtbar. Er hatte keine Freunde dort, auch wenn seine Mutter meinte, er würde schnell welche finden. Vielmehr wünschte er sich auf seine alte Schule zurück, wo er sogar in der Fußballmannschaft gewesen war.

Um sich selbst ein wenig aufzumuntern überlegte er, was er tun würde, wenn er zu Hause war. Vielleicht konnte er seine Soldaten hervorholen. Es war lange her, dass er mit ihnen eine Schlacht nachgespielt hatte.

Er sprintete die Auffahrt zum Haus seiner Eltern hinauf und stoppte schlagartig, indem er mit blockiertem Hinterrad auf dem Kies herumschleuderte. Das war noch nicht ganz so gut wie bei Mick Williams, aber mit etwas mehr Übung würde er sich schon noch verbessern.

Seine Mutter war in der Küche und holte Fleisch aus dem Gefrierschrank. Früher hatten sie immer ein Aupair-Mädchen, das ihnen beim Kochen und im Haushalt geholfen hatte, doch damit war es vorbei.

„Hallo Randall. Wie war es beim Zeitungsausfahren?“, begrüßte ihn seine Mutter.

„Prima.“ Er erzählte seiner Mutter längst nicht mehr von seinen Sorgen. Er schätzte, dass sie genug Dinge im Kopf hatte, um die sie sich Gedanken machen musste, gerade jetzt, wo Vater keine Arbeit mehr fand wegen der Krise in der Filmindustrie. Also behielt er alles für sich und erzählte immer nur, dass es prima lief.

„Ich spiele mit den Soldaten“, sagte er zur Mutter.

„Schön“, sagte sie. „Aber mach nicht zu lange. Um Sieben gibt es Abendessen und du musst vorher noch baden.“