Inhalt

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Spuren der Vergangenheit
  4. Kapitel 1
  5. Kapitel 2
  6. Kapitel 3
  7. Kapitel 4
  8. Kapitel 5
  9. Kapitel 6
  10. Kapitel 7
  11. Kapitel 8
  12. Kapitel 9
  13. Kapitel 10
  14. Kapitel 11
  15. Kapitel 12
  16. Kapitel 13
  17. Leserseite
  18. Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

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Spuren der Vergangenheit

von Manfred Weinland

Yucatán, Anfang des 16. Jahrhunderts

Das monotone Trommeln des Regens wurde von plötzlichem Donnergrollen überlagert. Es hörte sich bedrohlich an, gar nicht wie ein normales Gewitter, und schreckte die Bewohner des kleinen Dorfes auf, die ins Freie traten und sich verstört zusammenfanden. Vom ersten Morgengrauen an war der Tag trüb geblieben. Jetzt aber schien er sich noch mehr zu verfinstern. Das Dröhnen schwoll immer lauter an – und dann riss die Wolkendecke auf, als eine Feuerkugel sie durchbrach! Viele der Dorfbewohner ließen sich vor Entsetzen in den Schlamm fallen. Wenig später erzitterte der Boden, und am Horizont stieg Feuer auf …

Tage später

Roo hustete und spuckte Blut. Für einen Moment schwanden ihm die Sinne.

Seit jenem verfluchten Tag, an dem das Unheil seinen Lauf genommen hatte, regnete es pausenlos.

Durch die offene Tür behielt Roo die Dorfstraße im Blick. Sie war verlassen, nichts rührte sich. Die Schwüle trieb süßlichen Gestank ins Haus. Tod und Verwesung.

War außer ihm überhaupt noch jemand am Leben?

Er schüttelte sich wie ein nasser Hund.

Zusammengerollt wie ein Kleinkind lag Roo in eine Decke gehüllt auf dem Lehmboden. Schläfrig veränderte er die Lage seines Kopfes ein wenig. Er wusste, dass es auch in ihm steckte. Er wusste, dass er genauso elend sterben würde wie die anderen Bewohner des abgelegenen Dorfes. Die nächste größere Stadt, Ah Kin Pech, lag zwei oder drei Tagesmärsche entfernt, von dort würde niemand kommen. Und selbst wenn, wer hätte den Willen der Götter brechen können?

Roo röchelte. Er hatte Tonkrüge ins Freie gestellt, damit sich Wasser darin sammeln konnte. Zum Brunnen war es zu weit. Hin hätte er es vielleicht geschafft, aber gewiss nicht mehr zurück, erst recht nicht mit einer schweren Last.

Aber obwohl sein Mund mit den aufgesprungenen Lippen wie ausgedörrt war, fehlte ihm der Antrieb zu trinken. Ihm fehlte der Antrieb zu allem.

Er seufzte.

Da! War da nicht … Bewegung gewesen? Mit größter Anstrengung hob er den Kopf und spähte angestrengt nach draußen.

Einmal heute hatte er einen abgemagerten Hund gesehen, der zwischen den Häusern herumschlich. Der Hund hatte auch ihn bemerkt und zu ihm herübergestarrt. Er hatte geschnuppert und geknurrt. Dann war er weitergetrottet.

War er zurückgekehrt?

Nach einer Weile gelangte Roo zu dem Schluss, dass er sich getäuscht hatte. Da war nichts.

Niemand.

Doch plötzlich sagte jemand ganz nah bei ihm, in seiner Behausung: »Was ist hier passiert? Warum sind alle krank – oder tot?«

Roo ruckte herum. Seine Blicke durchkämmten den Raum.

Nichts. Niemand war hier. Der Nahrungsmangel und die Krankheit gaukelten ihm Stimmen vor, die gar nicht existierten.

Tränen rannen ihm übers Gesicht. Er wünschte, er hätte alles rückgängig machen können, hätte seiner verdammten Neugier nicht nachgegeben. Damit hatte alles angefangen. Mit seiner unstillbaren Neugier …

»Warum antwortest du nicht? Ich fragte dich: Was ist hier passiert?«

Obwohl er auch jetzt nicht damit rechnete, dass die Stimme echt war, drehte Roo langsam das Gesicht in ihre Richtung. Zu seiner Verblüffung sah er einen Mann. Er wirkte fahl, farblos. Aber gesünder als Roo.

»Verschwinde!«, fauchte der Maya. »Du holst dir den Tod!«

Das schien den Fremden zu amüsieren, obwohl er nicht lachte. »Ich kann nicht sterben.«

Roo nickte. »Ich dachte es mir. Weil du gar nicht wirklich bist. Du siehst auch nicht aus wie einer von uns.«

»Ich bin fremd hier. Ich folge der Spur des Himmelssteins. Ihr müsst ihn gesehen haben. Es ist noch nicht lange her, dass er herabfiel.«

Roo hatte ein Gefühl, als flöße ihm jemand kochendes Wasser ein, das die Kehle hinab rann bis in den Bauch und ihn mit Schmerzen füllte. Er hustete und schnitt eine Grimasse. »Verschwinde!«

»Du hast also nichts gesehen?«

»Doch!« Die Erinnerung fühlte sich an, als würde eine Dornenschnur durch sein Gehirn gezogen. »Nicht nur gesehen …«, brabbelte er, »sondern auch gefunden …«

Das Trugbild – denn nichts anderes konnte es sein – beugte sich tief zu ihm herab, bis seine fremdartigen Züge Roos Gesichtsfeld ausfüllten. Schockiert versuchte er wegzurutschen, doch das Gespenst folgte jeder seiner Bewegungen.

»Du warst an der Einschlagstelle? Du hast den Asteroiden gefunden? Wo ist er jetzt?«

Roo kniff die Augen zusammen. Er war so unendlich müde. »Geh«, flüsterte er. »Lass mich allein.«

Die dröhnende Stimme des anderen ließ ihn die Lider wieder aufreißen. »Begreifst du nicht, wer ich bin? Ich wurde von den Göttern gesandt! Ich bestimme, ob du im düsteren Xibalbá landest oder im hohen Himmel! Sieh nur, welch schrecklichen Folgen es hatte, dass du den Himmelsstein an dich nahmst! Gib ihn heraus und ich mildere dein Leiden!«

»Aber …«, krächzte Roo und bäumte sich auf. Der hohle Klang der Stimme in seinem Schädel war kaum zu ertragen. »Ich habe ihn doch zurückgebracht! Dorthin zurück, wo ich ihn fand!«

»Wo ist das? Führe mich hin!«

Roo zitterte wie Espenlaub. »D-das kann i-ich nicht!«

»Du kannst!« Der Unheimliche erhob sich. »Und du musst! Steh auf!«

Roo war selbst erstaunt, dass er tatsächlich hochkam. Auf allen vieren kroch er durch die schmale Tür nach draußen, wo Hände und Füße bis zu den Knöcheln im aufgeweichten Boden versanken. Der Unheimliche blieb ganz nah bei ihm, ohne selbst einzusinken. Unablässig trieb er Roo an und peitschte ihn mit Worten voran.

»Zeig es mir! Führ mich hin!«

Trotz seiner Schwäche folgte der Dorfbewohner den Befehlen. Der Unheimliche hatte ihm mit der Xibalbá gedroht, der Unterwelt. Dort aber wollte er nicht landen – unter keinen Umständen. Er mobilisierte alles, was an Kräften noch in ihm steckte.

Indes kam er an Hütten vorbei, durch deren offene Türen er vertraute Gesichter entdecken konnte, auf denen sich Schwärme von Fliegen niedergelassen hatten.

Er keuchte qualvoll. Ich bin schuld. Ich habe sie auf dem Gewissen. Ich hätte den Stein niemals herbringen dürfen …

Aber genau das hatte er getan. Er war immer der Mutigste von allen im Dorf gewesen, und so hatte er es auch als Einziger gewagt, dem Feuer entgegenzugehen, das dem kurzen Beben gefolgt war. Er hatte das Dorf in Richtung der Rauchwolke verlassen und war zu einem Krater gelangt, dessen qualmende Ränder er hinabkletterte und …

… und schließlich etwas fand, das nur die Götter geschaffen haben konnten: Dunkelheit, die dem hellen Tage trotzte!

Seine Hände waren hineingetaucht in die Schwärze und hatten etwas Festes in deren Zentrum ertastet, das sich ohne Mühe hatte aufheben und mitnehmen lassen.

Ein Götterstein, hatte er gedacht und ihn zum Dorf getragen, um ihn den anderen zu zeigen. Alle hatten es geschaut und waren entsetzt darüber gewesen.

Und als am nächsten Tag die Seuche ausbrach, gaben sie ihm und dem Götterstein die Schuld.

Dabei gehörte der Tote einem Jagdtrupp an, der zwei Tage zuvor heimgekehrt war. Er war von einem Affen gebissen worden und die Wunde hatte sich entzündet. Obwohl man ihm Medizin verabreichte und für ihn betete, ging es ihm immer schlechter.

Gestorben war er aber erst, nachdem Roo das Dunkel-das-der-Sonne-trotzt angeschleppt hatte. Grund genug, um dem Götterstein die Schuld zu geben. Roo hatte sich bereit erklärt, ihn dorthin zurückzubringen, wohin die Götter ihn geschleudert hatten.

Die Dorfbewohner hatten aufgeatmet. Aber das Sterben war weitergegangen. Als Nächstes starb die Mutter des Jägers, die ihn gepflegt hatte, dann seine Schwester.

Inzwischen war auch Roo nur noch ein Schatten seiner selbst – den ein zorniger Geist durch Dorf und Wildnis bis hin zu der Stelle trieb, wo das Dunkel-das-der-Sonne-trotzt lag.

»Hier?«, vergewisserte sich der bleiche Mann, als Roo schließlich mit erlöschender Kraft am Rand des Einschlagskraters anlangte, der sich mit Wasser gefüllt hatte. »Zeig ihn mir! Ich will ihn sehen! Hol ihn mir herauf!«

Roo wusste, dass er dazu nicht in der Lage sein würde. Zu tief, dachte er. Viel zu tief … Trotzdem rollte er sich über den Rand und tauchte in das kalte Wasser ein. Und ertrank darin.

Er bekam nicht mehr mit, wie der Unheimliche neben ihm selbst hinabtauchte … und wenig später völlig trocken wieder an die Oberfläche zurückkehrte. Obwohl er den Stein nicht bei sich trug, wirkte der Mann in Weiß sehr zufrieden. »Hier ruht mehr, als mein Herr zu hoffen wagte«, sagte er zu sich selbst.

Dann verschwand er.

1.
Gegenwart
Madrid

Kein Gast hatte je so viel gesoffen wie der schmerbäuchige Hausherr selbst. Die Stammgäste des Último Refugio – eine Mischung aus billiger Absteige und baufälliger Bodega – tolerierten jedoch der günstigen Preise wegen die vom Alkohol diktierten Launen, die Álvaro Suárez gleichermaßen an der Kundschaft wie an der eigenen Familie ausließ. Wer das heruntergekommene Gebäude nahe des Madrider Armenviertels Cañada Real Galiana betrat, wusste in aller Regel, worauf er sich einließ. Oder er trollte sich ganz schnell wieder.

»Papá! Es ist gerade erst Mittag und du riechst schon wie ein offenes Weinfass!«, zischte Maria Luisa Suárez aufgebracht ihrem Vater zu, der hinter dem Tresen hing, die Gläser einiger Kunden füllte und auch sein eigenes nie leer werden ließ. Der Ausschank erfolgte im Erdgeschoss des Último Refugio, täglich während der Mittagsstunden. Abends blieb die Bodega zu Maria Luisas Erleichterung aber geschlossen – weil ihr Vater sich dann ohnehin kaum noch auf den Beinen halten konnte.

»Cierra el pico! Wie redest du mit deinem Vater? Du ungezogenes Ding!« Der Wirt und Hotelier in Personalunion stellte die Flasche ab und holte mit der flachen Hand aus. Seine Tochter wich erschrocken zurück.

Álvaro fackelte nicht lange, wenn es darum ging zu zeigen, wer der Herr im Hause Suárez war. Er hatte Maria Luisa schon öfters grün und blau geprügelt. Der Einzige, an dem er sich nie vergriff, war Alejandro, sein Sohn, den er aber ungeniert bei jedem sich bietenden Anlass idiota schimpfte. Was selten geschah, denn Alejandro verließ sein Zimmer so gut wie nie.

Neben der Bodega und dem Hotelbetrieb musste sich Maria Luisa auch noch um ihren Bruder kümmern. Der Dank, den sie dafür von ihrem Vater erhielt, waren Zornausbrüche und Vorhaltungen, sie würde lieber nach den Kerlen schauen, als ihren Pflichten nachzugehen.

Álvaro Suárez hatte in den wenigen Monaten seit dem Tod seiner Frau jeden Kredit bei Maria Luisa verspielt. Das Einzige, was sie noch bei ihrem tyrannischen Vater hielt, war ihr Bruder, der es nicht verstanden hätte, wenn sie fortgegangen wäre. Alejandro war Autist, lebte in seiner eigenen Welt.

Ausgerechnet der einarmige Jorge, der mittags der Erste war, der die Bodega betrat, und nachmittags als Letzter durch die Tür ging, ergriff Partei für Maria Luisa. »Lass sie in Ruhe und mach die Augen auf, Álvaro! Dann siehst du, wer hier den Laden schmeißt!«

Die Einmischung war ihr unangenehm, denn Jorge war ein Grabscher, der trotz seiner Behinderung keine Gelegenheit ausließ, Maria Luisa über den Hintern zu streichen und ihr eindeutige Avancen zu machen. Sie wollte nicht in seiner Schuld stehen.

Angewidert von allem und jedem schleuderte sie das Tuch, mit dem sie den Tresen sauber gewischt hatte, vor die Füße ihres Vaters, drehte sich wortlos um und lief in die kleine Küche, von der aus ein Gang in den Hotelbereich führte. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte sie die knarrende Treppe hinauf in den ersten Stock, wo Alejandros Zimmer lag.

Tränen standen ihr in den Augen, ihre Wangen waren gerötet. Sie merkte nicht, wie ihre Schritte auf den Dielen dröhnten. Vor Alejandros Raum blieb sie stehen, kramte den Schlüssel aus ihrer Schürze und steckte ihn ins Schloss. Bevor sie ihn umdrehte, atmete sie noch einmal tief durch.

Ihr Bruder hatte ein feines Gespür für Befindlichkeiten. Sie wollte nicht, dass er sich sorgte. Er hatte es so schon schwer genug.

Sie wollte den Schlüssel gerade umdrehen, als neben ihr eine Stimme erklang. »Verzeihung. Dürfte ich Sie etwas fragen?«

Sie wirbelte herum. Vor ihr im dämmrigen schmalen Flur stand der momentan einzige Gast der »Letzten Zuflucht«.

»Ich wollte Sie nicht erschrecken, Señorita, ganz bestimmt nicht. Es tut mir leid –«

»Ich bin nicht erschrocken«, log sie. »Ich war nur in Gedanken.« Sie schluckte und bemühte sich um ein Lächeln. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

Der Gast war um fast einen Kopf größer als sie; Maria Luisa schätzte ihn auf mindestens einsfünfundachtzig. Er hatte blondes Haar und strahlend blaue Augen. Unglaublich, dass dieser Mann schon Mitte fünfzig sein sollte – sie hatte es bei der Anmeldung in seinem Pass gelesen. Tom Ericson, so sein Name, sah höchstens aus wie fünfunddreißig.

»Ich wollte mir gerade an der Rezeption eine Auskunft einholen«, sagte Ericson. »Aber ich halte mich ehrlich gesagt lieber an Sie als an Ihren Vater.«

»An mich?« Sie merkte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann.

»Nun, ohne Sie wäre ich schließlich gar nicht hier. Vielleicht können Sie mir noch einmal helfen. Ich will es auch nicht umsonst.« Er griff in eine der Taschen seiner Cargo-Hose und förderte einige Geldscheine zu Tage. Als er anfing, sie abzuzählen, unterbrach ihn Maria Luisa halb verlegen, halb verärgert. »Sie müssen mich nicht bezahlen. Sagen Sie einfach, was Sie von mir wollen.« Sie stockte kurz. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte leise: »Ich hoffe nicht, dass Sie für mich bezahlen wollen. Ich bin nicht käuflich!«

Tom Ericson wirkte ehrlich betroffen. Er schüttelte den Kopf. »Aber nein! Ich brauche einfach nur Hilfe. Ich bin momentan in einer etwas misslichen Lage und kann mich nicht so frei bewegen, wie ich gerne möchte. Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie ein paar Besorgungen für mich erledigen könnten … dafür ist das Geld!«

Ihr Blick irrte kurz zu der Tür, hinter der Alejandros Zimmer lag. Es würde ihm nicht gefallen, wenn sie sich verspätete. Er hatte seinen Tag genau eingeteilt und jede Abweichung konnte ihn schnell aus der Fassung bringen. Andererseits war das die Gelegenheit, ihren Gast näher kennen zu lernen.

Ericson hielt ihr mehrere Scheine hin, insgesamt dreißig Euro. »Wären Sie so freundlich?«

»Sie haben mir noch nicht gesagt, was ich tun soll – falls ich es tue.«

Er nickte und griff in die Brusttasche seines Hemdes. Diesmal war es kein Geld, was er zum Vorschein brachte, sondern ein zusammengefalteter Zettel, den er ihr reichte. »Bücher«, sagte er. »Ich benötige dringend etwas Fachliteratur aus der nächstgelegenen Bibliothek. Was meinen Sie, wäre das machbar?«

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Tom taxierte die hübsche Tochter des Hotelbesitzers unaufdringlich und hoffte, dass er nicht wie jemand auf sie wirkte, der einer jungen Frau auflauerte.

Obwohl er genau das getan hatte, während er wie eine eingesperrte Raubkatze in seinem schäbigen Zimmer auf und ab getigert war. Seine Gedanken kreisten unentwegt um die »Beutestücke« aus Víctor Javier Tirados Penthouse. Der spanische Kunstsammler hatte den Überfall der Indios nicht überlebt – und auch Tom nur knapp und nach einer halsbrecherischen Flucht mit einem Hängegleiter.1) Seither befanden sich ein rätselhaftes Artefakt und eine nicht minder rätselhafte Kladde im Besitz des Abenteurers.

Ein Artefakt, das allen Naturgesetzen spottete!

Und an der Niederschrift biss er sich die Zähne aus.

Noch.

Er beherrschte die spanische Sprache recht gut, aber der Inhalt der Kladde war in mittelalterlichem Spanisch abgefasst, dem so genannten Altkastilisch, und da waren seine Kenntnisse eher rudimentär. Ohne Übersetzungshilfen war er aufgeschmissen. Gerne hätte er im Internet nach Hilfe gesucht, aber das gebraucht erstandene Netbook – für ein neues hatte sein Bargeld nicht gereicht und er wollte nicht das Risiko eingehen, seine Kreditkarte zu benutzen – war leider defekt, was er zu spät bemerkt hatte.

Und deshalb wartete er schon geschlagene drei Stunden darauf, endlich Schritte auf dem Flur zu hören, die einer zarten Person wie Maria Luisa Suárez zugeordnet werden konnten.

hatte er das?

Die Gegenstände, die sich jetzt in Toms Besitz befanden, schienen wertvoll genug für die Verbrecher, um den Verlust von Menschenleben billigend in Kauf zu nehmen.

Maria Luisas tiefer Seufzer klang bereits wie ein Versprechen. »Ich will sehen, was ich tun kann«, sagte sie, »Aber ich verspreche nichts. Und zuerst muss ich nach meinem Bruder sehen.« Sie zeigte auf die Tür, in deren Schloss sie kurz zuvor einen Schlüssel geschoben hatte.

»Natürlich«, sagte Tom. »Wenn Sie Hilfe brauchen – ich bin nur eine Tür entfernt.«

Sie lächelte dieses Nett-von-Ihnen-aber-nein-danke-Lächeln und schien zu warten, dass Tom in sein Zimmer zurückkehrte.

Er nickte und wandte sich um und vernahm, wie die Tür geöffnet wurde. Gedämpft hörte er noch ein »Da bin ich!«, dann war er in seiner eigenen Unterkunft und ließ die Tür hinter sich einrasten.