missing image file
missing image file

Geheimnis der Särge

erzählt von Brigitte Henkel-Waidhofer

Kosmos

Umschlagillustration von Aiga Rasch (9. Juli 1941 - 24. Dezember 2009)

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

 

 

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele
weitere Informationen zu unseren Büchern,
Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und
Aktivitäten finden Sie unter www.kosmos.de

 

 

© 1996, 2011, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

 

Based on characters by Robert Arthur.

 

ISBN 978-3-440-13165-7

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Tödliche Gefahr

Scheinwerfer tauchten den Krater in ein grelles Licht. Im Hintergrund gab eine dröhnende Stimme Anweisungen. Ein knallrotes Nylonseil war zu sehen, an dem ein schwerer silberner Karabiner hing. Rasselnd verschwand er in dem Loch. Ein zweiter folgte. Wieder war aus der Dunkelheit ein knappes Kommando zu hören. Dann geschah einige Augenblicke überhaupt nichts.

Gespannt beobachtete Justus die gespenstische Szene. Plötzlich strafften sich die beiden Seile wie von Geisterhand. Langsam und schwerfällig schob sich etwas aus der Erde, das im ersten Augenblick aussah wie eine überdimensionale Abflussröhre. Einige Hände griffen zu. Sie warfen bizarre Schatten auf das graue Ungetüm, das ruckartig Zentimeter für Zentimeter nach oben wanderte. Schließlich wurde es ganz herausgehoben und glitt langsam auf die Wiese neben dem Krater. Mit zwei raschen Bewegungen nahm einer der Helfer die Seile ab. Er blieb unschlüssig stehen. Hinter ihm kam ein zweiter zum Vorschein, der sich keuchend aus dem Loch herausstemmte. Der Mann trug einen orangefarbenen Helm mit Kopflampe. Sein Gesicht war lehmverschmiert und verschwitzt.

Jetzt begriff Justus. Was da mühsam geborgen worden war, war keineswegs eine Abflussröhre. »Kommt schnell!«, rief er. Hinter sich hörte er die Schritte der anderen. »Wovon ist hier die Rede?«, fragte er Alexandra hastig. Wortlos trat das Mädchen an den kleinen Couchtisch, hinter dem Justus saß, nahm ihm die Fernbedienung aus der Hand und stellte den Ton lauter.

Jetzt waren eine Gruppe von Männern in grellen Anoraks zu sehen, ein Polizeiauto und ein schwarzer Kombi. Dann kam eine farbige Skizze ins Bild.

»Zwei Höhlenforscher hatten einen Unfall«, berichtete Alexandra. »Einer ist tot, der zweite liegt schwer verletzt im Krankenhaus.« Sie hörte wieder einige Zeit zu. »Erfahrene Männer«, fuhr sie fort, als die Nachrichtensprecherin ins Bild kam. »Waren allerdings auf einer schwierigen Route unterwegs. Der Tote wurde gerade geborgen.« Mit einem leisen Zischen verschwand das Bild.

Gedankenverloren starrte Justus auf den Fernsehschirm. »Ein Zinksarg.« Er stellte das Glas, das er die ganze Zeit fest in beiden Händen gehalten hatte, auf dem Tisch ab. Dann schraubte er sich aus dem Sessel hoch. »Passiert das oft?«

Alexandra nickte. »Immer wieder jedenfalls«, sagte sie langsam. »Unsere Höhlen können sehr gefährlich sein.« Sie schaute ernst von Justus zu Peter und dann zu Bob. »Denkt daran, wenn ihr morgen aufbrecht!«

Das Unglück bot beim Abendessen, zu dem Alexandras älterer Bruder Max die neuen Freunde seiner Schwester eingeladen hatte, reichlich Gesprächsstoff. Der zweite Höhlenforscher war inzwischen außer Lebensgefahr. In den Nachrichten hieß es allerdings, dass er zum Hergang des Unfalls noch nicht vernommen werden konnte. Der Tote war ein 38 Jahre alter Umweltwissenschaftler, der sich mit den Auswirkungen von Luftschadstoffen auf das Klima in Höhlensystemen befasst hatte.

Bedächtig berichtete Max von einigen anderen Unfällen in der Vergangenheit. Einer zog sogar mehrere Prozesse nach sich, weil die schlecht ausgerüsteten und unerfahrenen Opfer ihre Retter als übereifrig beschimpft hatten und die hohen Kosten der Aktion nicht hatten zahlen wollen. Missbilligend schüttelte er den Kopf.

Max war seiner Schwester wie aus dem Gesicht geschnitten, hatte die gleichen grünen Augen, eine lustige Stupsnase und kurz geschnittene braune Haare. Allerdings überragte er Alexandra um mindestens fünfzehn Zentimeter. Nach einer Kochlehre, das hatte Max den drei Jungs aus Kalifornien gleich am ersten Tag erzählt, war er einige Zeit lang auf der ›Queen Elizabeth‹ zwischen Europa und Amerika hin- und hergeschippert und hätte danach eigentlich eine Stelle in einem Nobelhotel in der Schweiz antreten sollen, als er von dem leer stehenden Gasthaus in seiner Heimat erfuhr. Er griff zu, übernahm den ›Löwen‹ in Munderkingen im Donautal und erarbeitete sich in nur zwei Jahren bei Einheimischen und Ausflüglern einen ausgesprochen guten Ruf. Außerdem war Max Sportkletterer und kannte sich in den vielen Höhlen in der Umgebung bestens aus. Wissbegierig hingen die drei ??? an seinen Lippen, als er jetzt bei Speck, Käse, Bauernbrot und Most vom Leben auf der Schwäbischen Alb berichtete.

Justus, Peter und Bob hatten seine Schwester in Rom kennen gelernt auf einer Station ihres Europatrips, und nach den begeisterten Erzählungen vom Blautopf, dem Geisterloch oder der Teufelsgrube beschlossen, eine Woche Wanderurlaub in Deutschland anzuhängen.

Gleich nach ihrer Ankunft im Donautal hatte Justus Taschenlampen, zwei bebilderte Führer und umfangreiches Kartenmaterial besorgt. Einiges davon breiteten sie nach dem Essen auf dem abgeräumten Tisch aus.

»Hier sind wir«, sagte Max und deutete auf die mit einem unregelmäßigen grauen Feld gekennzeichnete Kleinstadt.

»Und hier ist Laichingen«, mischte sich der Erste Detektiv ein. »In der Tiefenhöhle könnten wir doch anfangen – oder?«

»Schon geschmökert?«, fragte Max augenzwinkernd. Justus nickte eifrig.

»Macht er immer.« Peter gab dem Freund einen Klaps auf die Schulter. »Er hat den Ruf, ein wandelndes Lexikon zu sein. So was verpflichtet.«

Max lachte und meinte, seine Schwester hätte ihm schon ausführlich vorgeschwärmt vom schier unergründlichen Wissensschatz des Justus Jonas. Dann kam er wieder zur Sache. »Alex könnte euch morgen mit meinem Wagen nach Laichingen bringen. Habt ihr gutes Schuhwerk?«

»Klar«, antwortete Justus.

»Aber keine Schlafsäcke«, schaltete sich Alexandra ein. »Könntest du ihnen aushelfen?« Ihr Bruder nickte und versprach alles herzurichten, was gut ausgerüstete Höhlenwanderer brauchten. Da die Vorhersage gutes Wetter mit warmen Nächten versprach, wollten die drei Jungs mehrere Tage unterwegs sein und im Freien kampieren.

Max machte einige Routenvorschläge. Bob erwähnte, dass sie schon oft in den Bergen und auch in einigen Grotten nordöstlich von Los Angeles unterwegs gewesen waren. Mit weit verzweigten Höhlensystemen hatten sie allerdings ziemlich wenig Erfahrung.

»Deshalb macht ihr am besten eine Führung durch die Tiefenhöhle und haltet euch im Übrigen oberirdisch auf«, sagte Alexandra bestimmt, während sie noch eine Runde Apfelmost brachte.

Justus kam der Zinksarg in den Sinn. »Wir sind doch keine kleinen Kinder«, hörte er Bob drängen. »Und unvorsichtig sind wir auch nicht. Wenn wir schon hier sind, wollen wir den Blautopf auch von innen sehen. Oder diese Teufelsgrube.«

»Beides ausgeschlossen«, winkte Max entschieden ab.

»Weil der Blautopf nur für erfahrene Höhlenforscher ist«, unterbrach ihn Justus.

»Richtig. Und die Teufelsgrube ist viel zu gefährlich, aber hier –«, der junge Mann deutete abermals auf die Karte, »in die Sontheimer Höhle könntet ihr mal einen Blick werfen.«

»Oder auch zwei«, sagte Bob unternehmungslustig und kassierte unter dem Tisch einen freundschaftlichen Tritt von Alexandra.

»Von mir aus, steigt bis ganz hinunter zum Doppelgrab«, sagte das Mädchen mit gespieltem Groll. »Und wenn euch dann so richtig gruselt und ihr euch schüttelt vor lauter Angst, dann denkt an mich.«

Dracula und die Höhlenfrau

Sie stiegen nicht hinunter zum Doppelgrab. Jedenfalls vorerst nicht, sondern ließen sich von Alexandra am nächsten Morgen nach einem deftigen Frühstück nach Laichingen bringen.

Der Eingang zur Tiefenhöhle lag direkt unter einem kleinen Kiosk am Ortsrand. Ausgelassen bemächtigten sich Peter und Justus der Schaukeln auf dem Kinderspielplatz nebenan, während Bob die Eintrittskarten kaufte. Als die Führung begann, verabschiedete sich ihre Freundin, ohne allerdings ihre Warnungen vom Vortag zu wiederholen.

Aufgeregt stiegen die drei ??? auf einer langen, steilen Leiter nach unten. Es war halbdunkel und schon nach wenigen Metern Abstieg um einiges kühler als oben in der sommerlichen Morgensonne.

Leise erinnerte Justus die beiden anderen an einen ihrer ersten Fälle, als sie für Alfred Hitchcock ein Geisterschloss suchten, in dem der berühmte Hollywood-Regisseur einen Film drehen wollte. Peter und er waren in einer Grotte verschüttet worden – und nur mit knapper Not davongekommen.

»Weißt du noch, wie genial wir uns damals befreit haben«, raunte der Zweite Detektiv.

»Wir ist gut«, erwiderte Justus stirnrunzelnd.

Peters Antwort ging in der Begrüßung des Führers, eines schlaksigen jungen Manns mit Pferdeschwanz, unter. Er war sofort zu Erläuterungen auch in Englisch bereit, als er erfuhr, dass drei Gäste aus Kalifornien zu seiner Gruppe gehörten.

Über schmale Leitern, durch einige enge Gänge und zwei hohe, eindrucksvolle Hallen drangen sie immer weiter in die Tiefe vor. Ihr Führer erzählte von der zufälligen Entdeckung der Höhle vor mehr als hundert Jahren. Er zeigte ihnen eine zugemauerte Stelle, hinter der sich ein weiterer Abstieg ins Erdinnere befand. Er war gefährlich und deshalb versperrt.

Die Steine nahmen immer markantere und seltsamere Formen an. Einer davon sah unbestreitbar aus wie ein Totenkopf. Zwei blonde Mädchen, die direkt vor Justus standen, schüttelten sich erschrocken. Die drei ??? dagegen amüsierten sich über das Gebilde und mehr noch über einen Felsbrocken links davon, der aussah wie ein sitzendes Äffchen, das in die Hände klatschte.

Durch mehrere Schächte und einen Durchbruch wanderten sie wieder nach oben. Gleich neben dem Eingang kehrte die Gruppe zurück ans Tageslicht.

Nachdem sich ihr Führer verabschiedet hatte, sah Justus zu den beiden Freunden. Er wusste sofort, was Bob und Peter dachten. »Ganz ordentlich, aber durchaus steigerungsfähig. Hab’ ich Recht?« In Wahrheit war er selbst allerdings ziemlich froh, wieder sicheren Boden unter und blauen Himmel über sich zu haben. Andererseits ließ auch ihn der Wunsch nicht los, ohne Führung durch die Unterwelt zu streifen. Sie waren nicht nur auf die Schwäbische Alb gekommen, um zu wandern. Sie wollten vor allem Höhlenabenteuer erleben.

Die drei ??? zogen ihre Jacken aus, verstauten sie in den Rucksäcken und marschierten in Richtung Süden los. Sie hatten sich vorgenommen, den Verlauf ihrer Wanderung vom Wetter und vor allem von ihrer Laune abhängig zu machen. Unumstößlich fest stand nur die zweite Station: Sie wollten Max’ Empfehlung folgen und die Sontheimer Höhle besuchen, die nur wenige Meilen von Laichingen entfernt war.

»Stimmt das eigentlich mit dem Doppelgrab?«, fragte Peter, während sie am Rande einer frisch gemähten Wiese entlanggingen.

»Wie man’s nimmt«, antwortete Justus und sprudelte sein ganzes Wissen über das schon im 15. Jahrhundert erstmals erwähnte Erdloch hervor.

Justus Jonas war im wahrsten Sinne des Wortes das Hirn des erfolgreichen Detektivbüros, das die drei ??? in ihrer Freizeit in der kalifornischen Kleinstadt Rocky Beach betrieben. Weder gestohlene Akten noch abgestürzte Computerprogramme konnten ihn aus der Fassung bringen. Der Erste Detektiv hatte alles in seinen kleinen grauen Zellen und überzeugte den Rest der Welt obendrein durch seinen außergewöhnlichen Scharfsinn. Peter Shaw, ihr Zweiter, war dagegen unter anderem Experte für knifflige Schlösser, für rasche Entschlüsse und für sportliche Rekorde. Bob Andrews, der Dritte im Bunde, hatte sich schon viele Verdienste als besonders hartnäckiger Frager erworben. Vor allem in Situationen, in denen Justus in sein berühmtes Grübeln verfiel, das fast jedem Geniestreich vorausging, und Peter ungeduldig wurde, weil sich ein Fall zu langsam entwickelte, konnte Bob immer weiter bohren. Auf diese Weise hatte er so manchen Gesprächspartner zermürbt.

Hinter Sontheim entdeckten sie eine Windkraftanlage und wunderten sich, dass es trotz eines steten lauen Lüftchens, das sie seit gestern auf der Alb wahrnahmen, nicht mehr von diesen weißen Propellern gab, die im Hinterland von Los Angeles ganze Hügelketten bedeckten. »Die haben hier vor allem Atomkraftwerke«, meinte Justus, verzichtete aber nach einem drohenden »Weeehe!« aus Bobs Mund auf weitere Ausführungen über die Energieversorgung in Europa.

Die Hochebene wurde von einem Tal zerschnitten. Sie stiegen hinunter und auf der anderen Seite wieder auf, bis ihnen ein verwittertes Schild den Weg zum Höhleneingang wies. Unter einer überhängenden Felswand legten sie eine kurze Rast ein. Dann holten sie Jacken und Taschenlampen aus den Rucksäcken. Justus übernahm die Führung und hielt mit großen Schritten auf das Höhlenportal zu.

Die drei ??? staunten nicht schlecht über die erste Halle, die fast zehn Meter hoch war. Ausgiebig sahen sie sich um, ehe sie in der gerade noch ausreichenden Beleuchtung den gekennzeichneten Weg in die Tiefe entdeckten.

»Auf geht’s!«, rief Bob unternehmungslustig. »Ich hoffe nur, dass wir nicht hinter jeder Kurve auf andere Hobby-Höhlenforscher treffen.« Er freute sich förmlich auf das mulmige Gefühl, das er zu spüren hoffte, wenn sie nur richtig tief in das System von Schächten und Gängen eingedrungen waren. Als kleiner Junge hatte er bei gruseligen Stellen in seinen Lieblingsbüchern immer die Bettdecke ganz fest an sich gezogen und Wort für Wort genossen.

Es war wärmer als in der Laichinger Höhle. Nach knapp hundert Meter öffnete sich der Weg in eine kleinere Halle. Weit und breit war niemand zu sehen. Überall fielen Wassertropfen zu Boden und machten das typische, kurz verhallende Geräusch. Die Felswände waren mit schwarzen, unheimlichen Spuren bedeckt.

»Wär’ doch was für Tante Mathilda, oder?« Peter sprach absichtlich laut. Seine Stimme dröhnte.

Justus sah zu ihm hinüber und nickte. Seit dem Tod seiner Eltern vor mehr als zehn Jahren lebte er bei Onkel Titus, einem Schrott- und Altwarenhändler in der Umgebung von Los Angeles, und seiner Frau Mathilda. Sie hatte zwei ganz besondere Vorlieben – eine für Gruselfilme und eine für Kirschkuchen. Letztere teilte sie mit ihrem Neffen, erstere nicht.

»Lasst uns weitergehen«, drängte Justus, der sich, wie schon in der Tiefenhöhle, nicht ganz wohl fühlte in seiner Haut. Bei aller Abenteuerlust – das Bild des Zinksargs mit dem toten Höhlenforscher darin ging ihm nicht aus dem Kopf.

»Seht mal! Doktor Dracula!«, tönte Bobs Stimme durch die Halle. »Der Blutsauger kommt über uns.« Mit gespielt zitternder Hand deutete er auf einen Schatten an der Höhlenwand, der die Form einer riesigen Fledermaus hatte.

»Blödsinn.« Justus schlug seinen Museumsführerton an. »Das kann gar nicht Doktor Dracula sein, denn der hat vor 500 Jahren in Rumänien gelebt. Außerdem war er kein Doktor.« Herablassend sah er seine Freunde an. »Es handelt sich um Pechspuren von Fackeln. Sie dienten zur Beleuchtung der Höhle, bis Mitte unseres Jahrhunderts elektrische Lampen installiert wurden.«

»Spielverderber«, unterbrach ihn Bob in normaler Lautstärke. »Tante Mathilda wäre gar nicht stolz auf dich, wenn sie wüsste, dass du dich aufführst wie ein Hasenfuß.«

Justus merkte, dass Ärger in ihm aufstieg. Er schluckte zweimal und sagte unfreundlicher als er eigentlich wollte: »Ich bin kein Hasenfuß, das wisst ihr genau. Und Tante Mathilda weiß es auch. Ich finde es nur ziemlich albern, wenn wir versuchen, uns gegenseitig Schreckensszenen vorzuspielen. Wir haben genügend brenzlige Situationen erlebt. Ich jedenfalls –«, er machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Höhlenwand, »– bin auf den blöden Pech-Dracula nicht angewiesen.«

Mit großen Schritten stampfte Justus zu dem gegenüberliegenden Gang, der tiefer in das Höhleninnere führte. Hinter seinem Rücken warf Bob Peter einen fragenden Blick zu. Der reagierte mit einem Schulterzucken. Schweigend folgten sie dem Ersten Detektiv.

Nach wenigen Minuten kamen die drei ??? an eine Engstelle, an der Justus hielt. »Merkt ihr was?«, fragte er versöhnlich. Die beiden anderen schüttelten den Kopf. »Seit wir hier drinnen sind, hat sich …«

Plötzlich hörten sie einen merkwürdig hohen Laut hinter sich. Erschrocken fuhren sie herum, aber niemand war zu sehen. Jetzt kam die Stimme aus der anderen Richtung! Wie auf Kommando drehten die Jungs sich erneut auf dem Absatz um.

Ein winzig kleiner Mann mit großem Kopf und stechenden grauen Augen stand in der Engstelle. Die drei ??? starrten entsetzt auf das ungewöhnliche Wesen.

Erst jetzt kamen verständliche Silben aus seinem Mund. Zu ihrer Verblüffung in astreinem Englisch. »Ein beliebtes Echospiel«, sagte der Mann. »Wir haben euch gehört und auf euch gewartet.«

»Wir?« Justus atmete tief durch.

»Ich bin die Höhlenfrau«, sagte der Mann.

»Wieso Frau?«, fragte Peter wenig charmant.

»Ist nun mal so.« Ihr Gegenüber nickte. Tatsächlich entpuppte es sich auf den zweiten Blick als eine zierliche Frau, die ihren Zopf wie eine Krone um den Kopf geschlungen hatte. Darauf thronte eine riesige blaue Mütze mit Zipfel. »Mein Vater hat hier die elektrischen Leitungen verlegt«, erzählte sie. »Hier in dieser Höhle bin ich zu Hause. Und wisst ihr was?« Sie hielt einen Moment inne. »Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als Kinder durch mein unterirdisches Reich zu begleiten und schaurig-schöne Geschichten zu erzählen.«

Die Frau verzog ihren Mund zu einem schiefen Lächeln. Mit einem Mal erschienen unzählige Fältchen in ihrem Gesicht. Zugleich streckte sie die rechte Hand nach den Jungs aus und machte eine drängende Handbewegung.

Justus betrachtete die dünnen Finger und musste an die Hexe in ›Hänsel und Gretel‹ denken, eines europäischen Märchens, das ihm Tante Mathilda früher immer vorgelesen hatte.