Christoph Ruf
Reisen in die Fußballprovinz
VERLAG DIE WERKSTATT
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3. Auflage 2010
Copyright © 2008 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
ISBN 978-3-89533-662-1
Inhalt
Vorwort
»So ein geiler Verein – warum merkt das nur keiner?«
Wer einmal im Fanmuseum der Spielvereinigung Bayreuth war, vergisst schon bald, dass die Vereinsfarben Schwarz und Gelb gemeinhin mit einem Bundes-ligisten aus dem Ruhrgebiet verbunden werden. Und das nicht nur wegen einer Spielerattrappe, für die ein Fan eine Brusthaarspende leistete
»In Ruhe den Schiedsrichter beschimpfen«
Thomas Traumer (47) ist in seiner Freizeit Museumsdirektor bei Altona 93. Nebenbei hat er die Zuschauerzahl des Oberligisten verdoppelt. Das freut auch den Fan, der beim AFC seine eigene Anzeigetafel hat
»Der rettet mal wieder den Verein«
Ivo Burmeister hat kein Handy. Aber mit dem KFC Uerdingen einen Lieblingsverein, der gerade den dritten Insolvenzantrag in fünf Jahren gestellt hat. Also muss seine Lebensgefährtin jedem Anrufer ausrichten, dass Burmeister mal wieder in der Grotenburg weilt, um eine Rettungsaktion zu planen. Der KFC wiederum hat sich in den letzten Wochen häufig eine ziemlich fatale Frage gestellt. Die, ob das Schicksal des Vereins »überhaupt noch jemanden da draußen interessiert«. Seit dem 22. Januar 2008 kennt er die Antwort
»Hurra, das ganze Haus ist da!«
TeBe Berlin hat nur wenige Fans. Weil sich das herumgesprochen hat, bleiben auch die Neugierigen und die Jugendlichen weg. Was sie verpassen, ist eine Fankultur, die sich in prallvollen Stadien nicht umsetzen ließe
Attraktiv wie eine Villa an der Côte d’Azur
Aus zwei Regionalligen wird eine, aus neun Oberligen deren drei. Ob das die unteren Ligen wie geplant aufwertet, ist mehr als fraglich. Dass dadurch zig Traditionsvereine in der Versenkung verschwinden oder gar Insolvenz anmelden werden, steht hingegen fest. Die eingleisige Profiliga scheint so attraktiv zu sein, dass sie sich kaum einer leisten kann
Manfred Vobiller versteht die Welt nicht mehr
Der SC Pfullendorf gehörte jahrelang zum Inventar der Regionalliga Süd. Der Verein hat sich nie verschuldet, stattdessen wurden fehlende infrastrukturelle Möglichkeiten durch kaufmännische Solidität und viel ehrenamtliches Engagement ausgeglichen. Nach der Reform wird der SCP eine Klasse tiefer spielen. Er fühlt sich als Opfer des Verbandes und der Lobby der Vereine mit viel Geld und wenig Knowhow
»Keulenschlag über ganz Deutschland«
Dieter Bühler ist der Vorsitzende des Oberligisten Bahlinger SC, der ein Opfer der Ligareform werden wird. Im Interview berichtet er, wie es zu den Neuerungen kam, wem sie nützen und warum die Maßstäbe des DFB den Fußball pervertieren
Schweinsteiger, Lahm, Rensing …
Hermann Gerland ist sauer. Da verschwören sich ein paar Funktionäre gegen die Nachwuchsabteilungen der Profivereine. Dabei sind sie es doch, die die Stars von morgen ausbilden, sagt er
»Party bei Elke«
So lange Jean Löring noch lebte, gehörte Fortuna Köln zum Inventar der Zweiten Bundesliga. Doch mit dessen Abstieg ging auch der des Klubs einher. Es ist heute schwerer denn je, in Köln Fortunafans zu finden. Doch die wissen umso genauer, was sie an ihrem Klub haben
Frieren für den Klassenerhalt
Tolles Stadion, krawallfreie Fans, heimeliges Umfeld – fast nirgendwo ist Fußballschauen so gemütlich wie bei den Stuttgarter Kickers. Doch die Erwartungshaltung beim »Blauen Adel« ist nach wie vor enorm – vielleicht ist das der Hauptgrund, warum in den letzten Jahren die Erfolge ausblieben
»Im Westen gibt es nur Helden und Loser«
Es wird noch eine Weile dauern, bis Ost und West zusammengewachsen sind – das gilt auch für den Fußball, wo viele ehemalige Ost-Renommierklubs heute in der Viertklassigkeit herumdümpeln. Hans Meyer, prominentester ostdeutscher Trainer, hält die Entwicklung im Fußball für symbolhaft. Zur Wiedervereinigung und dem Goldenen Westen äußert er sich kritisch. Ein Interview
Vier Georgier in einem Auto
Das Beispiel Jena zeigt: Man kann auch durch seriöse, kontinuierliche Arbeit in den Profifußball gelangen. Schwieriger scheint es zu sein, dort nicht vom Kurs abzukommen
»Jede Landesregierung hat die Fanszene, die sie verdient«
In vielen Stadien gehören rechtsradikale Parolen zur Choreographie eines Spiels. Dass das in Jena nicht so ist, liegt auch an der Arbeit des Fanprojekts, dessen Leiter der gelernte Jurist Matthias Stein ist
»Das waren Affereien«
Chemie Halle zog früher die Massen in seinen Bann. Dann fiel die Mauer und der Traditionsverein stand plötzlich ohne Sponsoren da. Doch Margot Langner ließ sich nicht mit abwickeln und wurde selbst für ihren Verein aktiv. Dass der Geburtstag des Filius anno 2008 auf ein Heimspielwochenende der ersten Mannschaft fällt, raubt ihr bereits seit Wochen den Schlaf, denn dadurch verpasst sie ein Heimspiel. Margot Langner würde alles für den HFC tun. Sie ist 85 Jahre alt
»Ein paar Kaputte«
Ein Brausekonzern wollte den Oberligisten Sachsen Leipzig mit 50 Millionen Euro in die deutschen Top Five hieven – ein Unterfangen, das nicht zuletzt am Widerstand der Fans scheiterte. Die sind mittlerweile so von ihrer Vereinsführung genervt, dass sie die drohende Insolvenz fast schon gleichmütig hinnehmen. Für Aufregung sorgt nur noch die hasserfüllteste Rivalität im deutschen Fußball
Und immer wieder: Jetzt erst recht
Lok Leipzig hat fraglos eine der problematischsten Fanszenen der Republik. Doch zu dem Verein, dem die Fans auch in der untersten Spielklasse die Treue hielten, bekennen sich ebenfalls sympathische Zeitgenossen wie Lok-Aktivist Matthias Löffler
»Wir holen die Leute ab und nehmen sie auf unserem Weg mit«
Die NPD hat die unteren Ligen als Ziel ihrer Agitation entdeckt. Holger Apfel, der Vorsitzende der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, betont da schon mal gerne, was für ein authentischer Fußballfan er doch sei. Klar ist: Der Weg zur Mitte der Gesellschaft führt über die Fußballplätze der Republik
»Woanders ist es doch viel schlimmer«
Ein Mitarbeiter der Schröder-Regierung sagte einmal, es gäbe in Ostdeutschland »Gegenden, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen«. Dafür bekam er mächtig Ärger. Jakob kann das nicht verstehen, der habe schließlich Recht. Jakob ist ein 20-jähriger Jugendlicher mit etwas dunklerem Teint, er wohnt in einer Kleinstadt in Ostsachsen. Was er erzählt, ist beunruhigend. Dabei lebt Jakob gerne in seiner Heimatstadt
»Tendieren in die rechte Richtung«
Im Chemnitzer Stadion ging es nach dem Mauerfall fußballerisch bergab – von der zweiten Liga stürzte man in die Viertklassigkeit ab. Parallel gründete sich neben dem Platz mit HOONARA (Hooligans-Nazis-Rassisten) eine der gefährlichsten Hooligan-Bewegungen Deutschlands. Zudem gründeten sich vor wenigen Jahren die NS-BOYS. Ein Treffen mit beiden Gruppierungen und seine Folgen
Fieber in der Luft
Immer wieder kommt Dynamo Dresden wegen Fanausschreitungen in die Schlag-zeilen. Sein schlechtes Image hat der Verein nicht von ungefähr. Und dennoch: Dynamo Dresden ist einer der faszinierendsten Klubs der Republik
»Viele hier können nur drei Sätze«
Der SV Waldhof 07 ist tief im proletarischen Milieu verwurzelt. Von den Schnöseln im Mannheimer Süden werden die »Barackler« deshalb seit jeher als Schläger und Proleten verspottet. Und darauf sind sie beim Waldhof erst recht stolz
»Werdet doch erst mal mehr«
Sportlich läuft es bestens in Aalen, auch das Stadion ist fast schon zweitligatauglich. Nur die Fans fühlen sich nicht ernst genommen, dem überschaubaren Grüppchen fehlt die Lobby
Die Düngefabrik
Ralf Rangnick zitiert gerne ein chinesisches Sprichwort: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Dann ergänzt er: Aber man kann es gießen und düngen. Mit dieser Devise passt Rangnick optimal zur TSG Hoffenheim. Denn deren Boss Dietmar Hopp gießt und düngt in einer Größenordnung, die alles in Deutschland je Dagewesene in den Schatten stellt. Die TSG Hoffenheim ist auf dem besten Weg, vom beschaulichen Dorfklub zum meistgehassten Verein der Republik zu werden. Zu Unrecht
Die Szene rockt weiter
Die Fans von Göttingen 05 zählen traditionell zu den kreativsten der Republik. Das gilt auch weiterhin. Dass es Göttingen 05 eigentlich gar nicht mehr gibt, hat die Fanszene nicht aus dem Konzept gebracht
Im Hinterzimmer
Der FFC war bis in 1990er Jahre Freiburgs populärster Klub. Doch spätestens nach dem Abstieg aus der zweiten Liga fiel der Verein nur noch durch Dilettantismus und zügellose Arroganz auf. Nach Jahren der Agonie will man nun einen Neustart wagen. Ein Anfang scheint gemacht: Selbst hauptberufliche SC-Fans schauen neuerdings wieder beim Deutschen Meister von 1907 vorbei
Urlaub in Straelen
Mit viel Engagement und einem Kompagnon hat Peter Wingen eine Internetseite geschaffen, die bevorzugtes Informationsmedium für all diejenigen ist, die finden, dass Fußball mehr ist als das, was Premiere zeigt. In der Oberliga Nordrhein freuen sich 17 von 18 Vereinen, wenn Peter Wingen über ihr Spiel berichtet. Nur bei seinem früheren Lieblingsverein, dem großbürgerlichen ETB Schwarz-Weiß Essen, hat er Stadionverbot
»Deutscher Meister wird nur der HFC«
Der Hanauer FC, Hessens ältester Fußballverein, lag am Boden, als Thomas Tamberg und sein Team den Klub übernahmen. Mit seinem Enthusiasmus und Engagement brachte er den Verein wieder nach vorne. Neue Spieler, neue Sponsoren, das nachgeholte Endspiel um die Deutsche Meisterschaft – es tat sich wieder was beim HFC. Doch ein Fußballverein wäre kein Verein, wenn es in ihm nicht primär um persönliche Eitelkeiten und kleinkarierte Intrigen ginge. Thomas Tamberg ist mittlerweile zurückgetreten
Literatur
Fotonachweis
Zum Autor
Danksagung
Von der „Deutschen Akademie für Fußballkultur”
als Fußballbuch des Jahres 2008 ausgezeichnet.
www.fussball-kultur.org
Vorwort
Wer sich bei 35° Grad vor den Fernseher setzt, um sich samstags die Bundesliga-Konferenz anzuschauen, bewegt sich im gesellschaftlichen Mainstream. Wer hingegen – wie einer der Protagonisten in diesem Buch – schon unzählige Male in Homberg und Straelen war, aber erst ein einziges Mal auf Schalke, muss sich manch kritischer Frage nach seinem Geisteszustand erwehren. Genau wie der Bayreuther, der lieber zum Verein um die Ecke als zu den Münchner Bayern geht. Und nur deshalb weiß, dass das wahrscheinlich einzige, ganz sicher aber einzigartige Fanmuseum der Republik weder in München noch in Hamburg steht.
Auch als freier Journalist merkt man schnell, dass man mit Themenangeboten aus den Ligen drei bis fünf in den Redaktionen der Republik vieles ernten kann – nur keinen Auftrag. Und vielleicht haben die Sportchefs sogar Recht: Das Gros der Leser interessiert wahrscheinlich der 323. Artikel über Bayern München oder Werder Bremen mehr als der erste überregionale über den Halleschen FC oder Altona 93. Also verbringt man die Wochenenden in den Irgendwas-Arenen oder Something-Domes der Republik. Man kann zugegebenermaßen auf unangenehmere Art und Weise seine Brötchen verdienen. Doch lustigerweise erzählen viele Kollegen, wenn die Laptops am Samstag zwischen 18 und 19 Uhr runtergefahren sind, sie würden die Bratwurst zum Brötchen auch gerne mal wieder auf einem Stehplatz in die Pflicht nehmen. Mit einem Bier in der anderen Hand. In einem richtigen Stadion. »So wie früher eben«.
In der Tat gibt es ungeheuer viel zu erzählen aus den Stadien, in denen alles eine Nummer kleiner ist. Wie bei Schwarz-Weiß Essen, wo schon eine Handvoll Fans schwere Verwerfungen im Gesamtverein auslösen können. Oder wie bei Altona 93, wo ein Fan die Zuschauerzahl seines Vereins verdoppelte. Und da wäre natürlich der Wahnwitzige, der eine gut dotierte Stelle aufgab, um ehrenamtlich den Vollzeit-Präsidentenjob bei seinem Herzensklub anzunehmen. Und die 85-Jährige, die lieber vier Tage in der Woche mit dem Halleschen FC verbringt als sich auch nur an einem einzigen mit Gleichaltrigen über deren Zipperlein zu unterhalten. Und natürlich gibt es den Vereinsmitarbeiter, der schon als Kind 1.000 Kilometer zum Heimspiel und wieder zurück fuhr und heute geradezu stolz das Alleinstellungsmerkmal seines Vereins präsentiert: »Das hier ist richtig Scheiße!«
So habe ich mich auf die Reise durch die fußballerischen Niederungen der Republik gemacht. Manchen Verein habe ich auch deshalb besucht, weil zu befürchten steht, dass es ihm schon bald so gehen wird wie der Brauerei um die Ecke. Über 100 Jahre nach der Gründung dürften mancherorts bald die Lichter ausgehen – auch weil das Publikum scheinbar nur noch das schätzt, was es täglich im Fernsehen sieht.
Um eines gleich vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist keine sozialromantische »Wir da unten, ihr da oben«-Lyrik. Das Gros der Verbandsligaspieler spielt eben in der Verbandsliga, weil es für die Bundesliga nicht gereicht hat. Und einen Dietmar Hopp hätten sie auch in Leipzig oder Darmstadt gerne. In den unteren Ligen agieren nicht die besseren Menschen – nur die weniger erfolgreichen. Aber dort spielen sich auf den Rängen, auf dem Platz und hinter den Kulissen die Geschichten ab, die den Fußball liebenswert machen.
Freiburg, im Frühjahr 2008 |
Christoph Ruf |
»So ein geiler Verein – warum merkt das nur keiner?«
Wer einmal im Fanmuseum der Spielvereinigung Bayreuth war, vergisst schon bald, dass die Vereinsfarben Schwarz und Gelb gemeinhin mit einem Bundesligisten aus dem Ruhrgebiet verbunden werden. Und das nicht nur wegen einer Spielerattrappe, für die ein Fan eine Brusthaarspende leistete.
Vereine wie die Spielvereinigung Bayreuth sind ein wenig wie Michael Dukakis – man verbindet vage Erinnerungen mit dem Namen, nur absolute Fachidioten wissen hingegen Genaueres. Dukakis, war das nicht irgendein US-Politiker? Spielvereinigung Bayreuth, haben die nicht auch mal höher gespielt? Richtig, die Gelb-Schwarzen haben wirklich zwölf lange Jahre in der zweiten Liga gekickt, ehe sie 1990 aus dem bezahlten Fußball und damit aus dem öffentlichen Bewusstsein ent schwanden. Und Dukakis war der Gegenkandidat von George Bush senior im 1988er Präsidentschaftswahlkampf. Doch uns sollen hier nicht die Dinge interessieren, die über Google herauszufi nden sind.
Uns interessiert die andere Sicht, die, die Mrs. Dukakis, deren Kinder und deren Freunde haben, die in den letzten 20 Jahren Wichtigeres mit Dukakis erlebt haben mögen als eine unglücklich verlaufene Wahlkampagne. Oder die der Menschen, die von »Altstadt« sprechen, wenn sie den fränkischen Oberligisten meinen. Es ist die Perspektive von Menschen wie Christian Höreth, der nach einem Heimsieg gegen die Amateure von Greuther Fürth einmal ausrief: »Mein Gott, was für ein geiler Verein!« Und kurz darauf nachschob: »Warum merkt das nur keiner?«
Nun ja, 1.000 Fans im Schnitt kamen immerhin zu den Oberligaspielen in der Saison 2007/08, darunter auch Höreth, der Radiomann, der schon eine Tour von Boris Becker moderierte. 1.000 Zuschauer sind nicht wenig, aber auch nicht besonders viel für einen Verein, der zu Hause ungeschlagen blieb und mit 42 Punkten aus 20 Spielen vergleichsweise unangefochten als Tabellenführer überwinterte. Auf die Zuschau erzahl angesprochen, wollte dann auch Trainer Klaus Scheer seine Enttäuschung nicht verbergen, relativierte dann aber schnell: »Die Fans, die kommen, sind dafür Weltklasse.« Scheer hatte vorher Elversberg trainiert, einen Dorfverein mit dem geringsten Zuschauerschnitt der Regionalliga Süd. Das mag Scheers Enthusiasmus erklären. Berechtigt sind die lobenden Worte dennoch, denn die Fans legen in der Tat eine erstaunliche Kreativität an den Tag. Und das nicht erst mit dem Anpfiff.
Auch wenn Höreth es völlig unverständlich finden mag – Fakt ist derzeit, dass europaweit deutlich ausführlicher über Bayern München als über die Spielvereinigung geschrieben wird. Wenn in der kleinen, aber reisefreudigen Community der Fans von Regional- und Oberligisten das Reich der Gelb-Schwarzen dennoch eines der bevorzugten Reiseziele ist, liegt das daran, dass sie in Eigenregie etwas geschaffen haben, um das sie selbst Fans von Bayern München beneiden würden: Ein liebevoll eingerichtetes Fanmuseum, das gleichzeitig an Spieltagen als Kneipe fungiert. Gerne lud man in seligen Regionalligazeiten auch die Fans der Gastmannschaft hierher zum Umtrunk ein (wenn sie nicht gerade aus Hof kamen). Von der Polizei, die so etwas »deeskalierende Maßnahme« nennt, gab’s dafür ein dickes Lob. Kaufen konnte man sich davon nicht viel, schließlich war man abgestiegen, obwohl man sportlich den Klassenerhalt in der Regionalliga souverän geschafft hatte. 250.000 Euro fehlten im Frühsommer 2006 zur Lizenz. Als Uli Hoeneß die Summe erfuhr, soll er einen Offiziellen verdutzt gefragt haben: »Und warum habt ihr nichts gesagt?« Hoeneß half dann beim Wiederaufbau: Er schickte die Bayern prompt zum »Erste Hilfe«-Spiel in die Wagnerstadt. Selbst Radiomann Christian Höreth ist seither voll des Lobes über die Bayern.
Zu Besuch bei »Bratwurst-Rudi«
Das Fanmuseum des Vereins liegt direkt hinter dem Bahnhof: Zunächst führen ein paar Stufen zum Eingang eines reizlosen Bürogebäudes, dann eine breite Wendeltreppe hoch, links halten, zweite Tür links. Wer neugierig ist, sollte einfach eintreten, an Spieltagen trifft man sich hier bereits deutlich vor Anpfiff. Manch einer der etwa 30 Gäste wird vielleicht zunächst etwas skeptisch schauen, vielleicht wird er sogar fragen, ob man aus Hof stamme. Wer das verneint, bekommt mit ziemlicher Sicherheit ein oder zwei Flaschen Bier ab. Ansonsten einfach nach Jürgen Rank fragen. Der weiß, wie man einen Verein sympathisch präsentiert.
Rank ist in seinem eigentlichen Beruf Trikotdesigner in Herzogenaurach. Allein im vergangenen Jahr ist er in textiler Mission nach England, Spanien, China, Thailand, Amerika, Polen und in die Ukraine geflogen. Privat mag er es heimeliger: Mit Frau und Töchterchen wohnt er in seiner Geburtsstadt, was ihm zusätzlich zur 50-Stunden-Woche noch einmal mindestens zehn Stunden auf der Autobahn einträgt. Doch Bayreuth ist nun einmal die Heimat des 37-Jährigen, nicht zuletzt, weil in der Heimatstadt »die Altstadt« spielt. Beide Städte kann man nicht einfach so verlassen. Höchste Zeit, den seltsamen Vereinsnamen zu erläutern: Die SpVgg wurde im Bayreuther Stadtteil Altstadt gegründet und in ganz Oberfranken benutzt niemand einen anderen Begriff, wenn er über die SpVgg, also über »die Altstädter« bzw. von der »Oldschdod« spricht. In einem Landstrich, in dem man statt Bratwurst »Drei im Weckla« bestellt, klingt das nicht weiter merkwürdig.
Während im Thekenbereich die Laune proportional zum Alkoholspiegel steigt, lädt Rank zur Führung durch die Räumlichkeiten. Sie beginnt mit dem Tresen: Unter die transparente Oberfläche sind Eintrittskarten aus aller Herren Bundesländer und allen geschichtlichen Epochen der Neuzeit gebettet. Auffallend viele davon stammen aus Mönchengladbach, St. Pauli und Liverpool, Fußballstätten, mit denen der ein oder andere »Oldschdäder« fremdgeht. Ein paar internationale Spiele sind dabei. Und natürlich die Grounds, über die man als Fan hoppen muss, wenn die Liebe ausgerechnet beim Verein vor der eigenen Haustür hängen geblieben ist und der sich seit Jahren weigert, endlich einmal bei Real Madrid zu spielen: Ansbach, Weismain, Unterhaching, Quelle Fürth.
An der gegenüberliegenden Wand hängen – feinsäuberlich auf Kleiderbügeln, versteht sich – die Spielertrikots der letzten Jahrzehnte. Dezenter Textilgeruch steigt in die Nase, als Rank die Trikots durchgeht und scheinbar zu jedem Jahrgang eine Geschichte zu erzählen weiß. Dressin, ARO, Großschlachterei Wölfel, NKD, DOMO: all die Sponsoren, die sich einmal etwas davon versprochen haben, auf der Brust der Spielvereinigung Werbung in eigener Sache zu machen. Bereits nach wenigen Minuten des Durchschauens kann man nicht mehr nachvollziehen, warum die Vereinsfarben Gelb und Schwarz gemeinhin einem Bundesligisten aus dem Westfälischen zugeschrieben werden. Der Verein wirkt mittlerweile schon lange deutlich vertrauter als Michael Dukakis.
»Und das da«, unterbricht Rank die eigenen Gedanken, »ist unser Bratwurst-Rudi.« Der Blick fällt auf die Büste einer Schaufenster puppe, die erst bei näherer Betrachtung als solche zu erkennen ist. Gelbschwarzes Trikot, eine Afro-Perücke, mit der man sich auch als ein Fünftel der Jackson Five fühlen könnte, ein hufeisenförmiger Schnauzbart. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass dünne braune Härchen aus dem V-Ausschnitt von Bratwurst-Rudi quillen – die Spende eines Fans, der an sein eigenes Brusthaar Hand anlegte, um das Idol authentischer aussehen zu lassen. Zusammengenommen ergibt das: Eine Puppe von Rudolf Hannakampf, dem legendären Abwehrspieler aus den 1970er Jahren. Aber warum »Bratwurst-Rudi«? Der Legende nach, erläutert Rank, habe er, der unbedingt nach Bayreuth wechseln wollte, einst seinen Rauswurf beim 1. FC Nürnberg erzwungen, indem er sich in der Halbzeitpause eines Bundesligaspiels selbst auswechselte. Doch damit nicht genug: Anstatt mit seinen Kollegen in die Kabine zu gehen, reihte er sich brav im Trikot in die Schlange ein, die hungrige Fans am Wurststand bildeten. Wenig überraschend, dass er dort auffiel wie ein bunter Hund. Noch weniger überraschend, dass er kurz darauf suspendiert wurde.
Zusammen mit Hannakampf spielte einst Wolfgang Mahr bei der Spielvereinigung. 271 Zweitligaspiele hat er als Torwart für die »Oldschdäder« bestritten, heute arbeitet er beim Verein. »Schreiben Sie doch bitte Geschäftsführer. Nicht Manager – so groß sind wir doch nicht.« Mit Armin Eck, der später bei Bayern München und dem HSV zu bescheidenem Ruhm gelangte, hat die Spielvereinigung einen weiteren prominenten Kicker hervorgebracht. Wie Hannakampf schaut auch er noch oft im Museum vorbei. Und sei es, um sich nach dem Zustand seines weinroten Ausgehanzuges aus HSV-Zeiten zu erkundigen, der hier im Museum mottensicher ausgestellt ist, »inklusive dem Inhalt der rechten Jackentasche«, grinst Rank und zaubert ein »Freident«-Kaugummi hervor. Eck trainierte zu Beginn der Saison den Erzrivalen aus Hof, nach wenigen Spieltagen flog er, das rechnen sie ihm hier im Bayreuther Fanmuseum noch immer hoch an.
»Euer Stammbaum ist ein Kreis«
Als die Spielvereinigung zuletzt in Hof spielte, war Eck noch deren Trainer. Und Menschen, für die Hof und Bayreuth bislang Dörfer in der Nähe von Böhmen waren, merken nicht unbedingt, warum die nördlichere Stadt nun Sodom und ihr Fußballverein Gomorrha sein sollte. Wie eben auch nur Menschen aus Bochum, Gelsenkirchen oder Dortmund fundamentale Unterschiede zwischen ihren Städten feststellen. Zurück
»Bratwurst-Rudi« zu Ehren: Damit der einstige Publikumsliebling möglichst lebensecht aussieht, spendete ein Fan sein Brusthaar.
nach Hof: Noch im Zug hatte ein Sachse in Erinnerung an seine DDR-Vergangenheit gewitzelt: »Hof, unerreichbar«, so habe man in seiner Heimatstadt Karl-Marx-Stadt früher gescherzt. Hof war der Grenzort, aus Sicht ausreisewilliger Ossis der Vorposten zum El Dorado. Aus westdeutscher Sicht der Arsch der Welt. Für die Bayreuther ist Hof mittlerweile seit fast 50 Jahren ein besonderer Bezugspunkt. Der Ursprung der Feindschaft soll der Legende nach im Jahr 1960 zu finden sein. Damals soll der erfolgreiche Bayreuther Stürmer Lindner von Hofer Funktionären regelrecht »entführt« worden sein, um die eigene Mannschaft zu verstärken. Der »Altstadt«-Trainer soll sogar noch zur Verfolgungsjagd geblasen haben. Er hatte jedoch das langsamere Auto.
Je weiter die Menschen von Bayern entfernt wohnen, desto zwanghafter assoziieren sie das Bundesland mit den Klischees, die sie vom »Musikantenstadl« kennen. Aber nicht nur Edmund Stoiber und Florian Silbereisen stammen aus Bayern, sondern auch Hans Söllner und Gerhard Polt. Wer einmal in einer Dorfkneipe im Bayrischen oder Fränkischen war, vor der nicht allzu viele Autos mit ortsfremden Kennzeichen geparkt haben, merkt, dass das Bayern-Bild, das in den Volksmusik-Orgien transportiert wird, in etwa so viel mit der Realität zu tun hat wie Ivan Rebroff mit Russland. Im Selbstversuch empfiehlt sich das Vereinsheim eines bayrischen Fußballvereins. Nehmen wir das von Bayern Hof.
Schon auf dem Weg ins Kneipeninnere schlagen einem Rauchschwaden entgegen. Eine Schiefertafel behauptet, es gebe hier Schweinsbraten oder Currywurst. Doch es isst niemand. Getrunken wird dafür umso mehr, aus Halblitergläsern versteht sich. Gesiezt wird hier niemand, das Klo ist auf dem Gang. Und gut besucht. Die Menschen, die hereinkommen, nicken allen Anwesenden kurz zu, ehe sie sich setzen, einige klopfen sogar vorher kurz auf jede Tischplatte. Beides passiert jedoch dezent und vergleichsweise leise, wer in Ruhe gelassen werden will, wird in Ruhe gelassen. Jeder andere kann sich nett unterhalten, am liebsten natürlich über Fußball. Doch die penetrant lärmende Fröhlichkeit aus dem Fernseher findet man hier nicht. Gott sei Dank.
Draußen gießt es aus Kübeln, es ist empfindlich kalt. Wer seinen Terminkalender verlegt hat, würde nicht glauben, dass es Ende Juli und nicht November ist. Die Menschen aus der Kneipe kämpfen sich trotzdem zum Spiel. Mittlerweile hat sich herum gesprochen, dass bereits so mancher Fanbus aus Bayreuth am Stadion angekommen ist. In der Tat: Auf der Geraden stehen schon einige hundert Gästefans, beim Anpfiff werden es um die 1.000 sein.
Eigentlich passt nichts in diesem Stadion zusammen: die flache Holztribüne nicht zur Gegengerade mit der künstlich aufgepflanzten modernen Haupttribüne, die nur ein Drittel der Geraden überspannt. Der flache Erdwall hinter der einen Kurve nicht zu der wohl steilsten und höchsten Kurve im deutschen Fußball, seit der Bökelberg zu Mönchengladbach von geschichtsvergessenen Modernisierungsfanatikern dem Erdboden gleich gemacht wurde. Und dennoch: Die Grüne Au ist eines jener Stadien, das Fußballhungrige aus Köln, Leipzig oder Hamburg dazu veranlasst, zu Fußballtrips nach England zu fliegen. Immerhin weiß ein Hofer Fan zu berichten, dass im Gegenzug auch schon britische Groundhopper ihre Aufwartung im östlichen Franken gemacht hätten. So kompliziert kann Globalisierung sein.
Noch fünf Minuten bis zum Anpfiff. Nach »Run to the hills« von Iron Maiden läuft AC/DCs »Hell’s bells«, nach »Hell’s bells« kurz »Thunderstruck«, dann laufen die Spieler ein. Zur Halbzeit dann Motörhead, dessen Sänger Lemmy kürzlich all das sagte, was es über den US-Präsidenten zu sagen gibt: »Bush? Ich würde nicht einmal in seinen Mund pissen, wenn ich wüsste, dass seine Zähne brennen.« Das Spiel wogt hin und her, Bayreuth ist spielerisch überlegen, doch die Gastgeber halten dagegen, mit dem Endstand von 1:1 können schließlich alle Seiten leben.
Mitte der ersten Hälfte zeigte sich allerdings, dass nicht alle Klischeevorstellungen über Bayern falsch sind. Denn da wurde ein Mann, der beim Pinkeln übersehen hatte, dass über ihm zehn Polizisten durchs Plexiglas der Tribünenabgrenzung lugten, nach allen Regeln der Kunst zusammengefaltet. Ein Beamter klopfte an die Scheibe, ein anderer wies den Mann minutenlang zurecht. Der wiederum, ein eher bemitleidenswert aussehender Mittvierziger mit angeklatschten schwarzen Haaren, war kurz davor, sich wie einst in der Schule zur Strafe in die Ecke zu stellen.
Links neben ihm versuchte der Hofer Fanblock derweil, seine zahlenmäßige Unterlegenheit durch martialisches Gehabe zu kompensieren. »Wann? Wo?«, lautete eine per Transparent gestellte Frage, »Schwule« ein Ruf, »Gayreuth sucks« ein weiteres Transparent. Viel Stoff und viel Farbe für wenig Hirn. Dass man mit einem alten Bettlaken auch Intelligenteres zustande bringen kann, zeigte kurz darauf die Bayreuther Kurve mit einem selbst bemalten Schmäh-Transparent: »Euer Stammbaum ist ein Kreis!«
Mit Pfeil und Bogen gegen Löwen
Wie in Museen nicht unüblich, spielt die Vergangenheit auch in Bayreuth eine entscheidende Rolle. Und die der Spielvereinigung begann nicht erst 1985, als Armin Eck gegen den Ball trat. Ganze Aktenordner mit uralten Presseartikeln und Stadionzeitungen finden sich im Fanmuseum, an den Wänden prangen gerahmte Bilder von Menschen, an die sie sich auch nach Jahrzehnten noch gerne erinnern. Selbst wenn sie wie Jürgen Rank und viele seiner Mitstreiter noch gar nicht geboren waren, als die Aufnahmen entstanden.
Doch Papa Rank, seit früher Jugend mit starken Eintracht-Frankfurt-Prägungen behaftet, ging bereits vor Jürgens Geburt in das abgerissene und mittlerweile zur Legende gewordene Stadion an der Jakobshöhe, das noch »Oldschdod«-Stadion hieß, als der Filius das Licht der Welt erblickte. Auch deshalb erzählt Rank junior die Geschichten, die sich dort abspielten, so authentisch, als sei er selbst dabei gewesen. Wie die vom Spiel gegen den 1. FC Nürnberg, als der Torpfosten brach, nachdem ein Spieler dagegen geschossen hatte. Der Pfosten wurde ersetzt und diesmal gleich eingemauert. Allerdings ein wenig zu gründlich: Der nur etwa 1,60 Meter große Gästetrainer Tschik Cajkovski konnte danach an die Latte fassen.
Einiges zu erzählen gab es auch von einem Spiel gegen die Löwen: Jürgen erinnert sich, wie sein Vater mit Pfeil und Bogen im Anschlag vor der Wohnungstür ausharrte und jeden pinkelwilligen Löwen-Fan sofort lautstark auf die Bewaffnung aufmerksam machte. Ein anderes Mal lieferten sich die ’60er-Fans wilde Schlägereien mit der Polizei, indem sie ihre metallenen Gürtelschnallen in den Fanschal wickelten und drauflosprügelten. Dennoch blutete auch so mancher Fan auf dem Rückweg zum Bus, der am Rank’schen Haus vorbeiführte. Doch Rettung nahte: Der damals 15-jährige Jürgen reichte Taschentücher durch den Gartenzaun.
Weiter geht es mit dem Geschichtsunterricht in Sachen Bayreuth. Rank deutet auf ein Schwarz-Weiß-Foto in einer Ecke des Raumes. Es zeigt einen offenbar recht lebensfrohen älteren Herrn, der mit emporgereckten Armen, den Rücken zum Spielfeld, von der Seitenlinie aus Richtung Zuschauerränge gestikuliert. »Ronny. Der war damals ein stadtbekannter Sexshopbetreiber.« Im Stadion, so habe man ihm erzählt, habe der das ganze Spiel über »Gas gegeben – die Stimmung muss damals gigantisch gewesen sein«. Kostbarkeiten wie das Bild von Ronny häufen sich zusehends, seit es sich in der Stadt herumgesprochen
Mittlerweile eine Legende: das Stadion an der Jakobshöhe.
hat, dass das Andenken an die Vergangenheit auch in der Gegenwart hochgehalten wird. »Alte Mitglieder vererben ihren Schatz nach dem Tod dem Museum«, sagt Rank und zeigt auf einen handgefertigten hölzernen Fußballspieler. Der wurde in den 1960er Jahren als Geldsammeldose benutzt.
Wer sich hin und wieder auf den Seiten eines großen Internet-Auktionshauses umschaut, weiß, welchen Verkaufswert Preziosen wie die hier ausgestellten erzielen können. Ohne Erbstücke toter oder lebendiger Fans wäre das Museum deshalb bei allem Idealismus seiner Betreiber nicht zu finanzieren. Zumal sie keinen Eintritt verlangen und lieber selbst in die Tasche greifen. Und das recht tief: Jeden Monat zahlen 25 Mitglieder des Fanklubs »Altstadt-Kult« 25 Euro Mietanteil, 300 Euro pro Jahr und Nase also – es gibt Fitnessstudios, die günstiger sind als das Hobby, das sich die Jünger der »Oldschdod« gönnen.
Im Herbst haben sie anlässlich der »Bayreuther Museumsnacht« ihr Wohnzimmer einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren können. Die Gäste waren genau so angetan wie die Journalisten vom Lokalsender. Das mit dem Lob aus prominentem Mund kennen sie bei der »Oldschdod«: Aus lauter Frust über die andauernde Stagnation ihres Vereins konzipierten die Fans 2001 ein 100-seitiges Konzept zum Umbau des Stadions als reines Fußballstadion. Das Minimalziel, die Überdachung
»Euer Stammbaum ist ein Kreis«: Den Transparent-Contest gewann die»Oldschdod« per Kantersieg. Das Spiel auch.
der Gegengerade, wurde sogar vom Stadtrat beschlossen, jedoch gleich nach Bekanntwerden des Regionalligaabstiegs wieder gestoppt.
Die Begehrlichkeiten der Fans bekommen derzeit alle zwei Wochen neue Nahrung. Ist doch das Hans-Walter-Wild-Stadion nichts weiter als eine austauschbare Laufbahn-Stätte aus den 1970ern. Und obwohl sich Gerüchte hartnäckig halten, wonach sich in der Stadionfrage schon bald etwas tun könnte – noch müssen sie mit dem vorliebnehmen, was sie haben. Umso unverständlicher, dass es Jahrzehnte dauerte, bis der aktive Teil der Fanszene beschloss, die angestammte Gegengerade in Richtung der überdachten Tribüne zu verlassen. 200 bis 300 engagierte Fans, deren Gesänge vom Dach auf den Rasen geschleudert werden – für die Bayreuther Fans muss das bei der Premiere im Rückspiel gegen Hof eine ganz neue Erfahrung gewesen sein. Noch Wochen später schwärmte manch älterer Fanaktivist von der Stimmung gegen den Erzrivalen.
Hier, in der Oberliga Bayern, ist vieles wie beim großen Fußball. Wie sich Busladungen voller Fans in Stimmung bringen, indem sie unausg-gorene Internetgerüchte ventilieren, wonach zig, wenn nicht sogar tausende Hools eigens zum gleich beginnenden Spiel angereist seien, ist auch hier der Blick in die gegnerische Kurve der entscheidende. Der Einzelne bekommt dabei eine gerade groteske Wichtigkeit: Zwei (2!) Fans aus Hof (woher sonst?) seien im Gästeblock gesichtet worden, berichtet ein Späher. Der eine hätte noch schnell versucht seine Jacke über dem verräterischen T-Shirt zu schließen, sei da aber schon enttarnt gewesen. Sekunden später gibt es im Bayreuther Block kaum noch ein anderes Gesprächsthema. Im Nachhinein werden sie den 4:0-Sieg abtun. Ein Sieg von vielen in dieser so erfolgreichen Hinrunde.
Es scheint, als laufe diese Saison mal ausnahmsweise alles gut für die »Altstadt«. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Ruhe in Bayreuth als trügerisch erweist. Zu viel Geld hatte der Verein in seiner jüngeren Geschichte jedenfalls noch nie.
»In Ruhe den Schiedsrichter beschimpfen«
Thomas Traumer (47) ist in seiner Freizeit Museumsdirektor bei Altona 93. Nebenbei hat er die Zuschauerzahl des Oberligisten verdoppelt. Das freut auch den Fan, der beim AFC seine eigene Anzeigetafel hat.
Es ist ja schon außergewöhnlich, einen Oberligisten als Lieblingsverein zu haben. Wie aber kam es zu der Idee, für Altona 93 auch noch ein Museum einzurichten?
Präsident Dirk Barthel hatte das schon länger vor, wir sind eben ein Traditionsverein. Im Juni vor einem Jahr trafen wir uns dann auf ein Glas Wein in seinem Restaurant und beschlossen, seine Idee mit einem Fanshop zu kombinieren. Der wiederum war seit Jahren mein Traum.
Was erwartet den Besucher?
Allerlei Pokale und Schwarz-Weiß-Bilder, teilweise über 100 Jahre alt. Am besten gefallen mir diese gestellten Studioaufnahmen vor gemalten Landschaftshintergründen. Aber von 1903, als der AFC im Halbfi nale der Deutschen Meisterschaft war, gibt’s gar nichts mehr. Das Stadion ist im Krieg ordentlich bombardiert worden. Was noch übrig blieb, fand man im Keller des Klubhauses. Jetzt ist alles mit dem Fanshop unter einem Dach.
Und dort gibt es Strampelanzüge und Fähnchen von Altona 93?
Keine Strampler, aber vom Trikot über den Aschenbecher bis zur Mütze sind wir gut sortiert. Der Umsatz ist natürlich gering, aber ein paar hundert Klamotten habe ich schon verkauft. Wir haben auch Videos von den Spielen.
90 Minuten Altona gegen Eintracht Nordhorn?
Gegen Bergedorf. Und natürlich ohne lästigen Kommentator. Es gibt Leute, die kaufen das. Für Altona ist das alles ein Quantensprung, die haben vorher gar nichts verkauft. Zumal keine Personalkosten anfallen, ich arbeite ehrenamtlich. Seit ein paar Wochen bin ich arbeitslos, da kann ich auch mal außerhalb der Öffnungszeiten eine Führung veranstalten oder mir Gedanken über ein neues Sweatshirt machen.
Die Nachfrage stimmt offensichtlich?
Ich habe schon Fanartikel nach Österreich geschickt. Und hier im Laden waren schon Leute aus Singapur, Hongkong und Australien.
Kundschaft aus Singapur: ThomasTraumer verkauft AFC-Fanartikel.
Jetzt übertreiben Sie aber, südlich der Elbe kennt den Verein doch kein Mensch.
Das sind Hamburger, die bis in die 1950er Jahre zum AFC gegangen und danach ausgewandert sind. Als 80-Jährige wollten die dann noch mal ihre Familien besuchen. Jetzt fahren die wohl mit einem AFC-Aufkleber durch Sydney. Aber Sie täuschen sich: Altona 93 ist immer noch ein Name. Wenn du dich als AFCer zu erkennen gibst, sagen auch Süddeutsche: Mensch, da war doch mal was.
Und wie sieht die Gegenwart aus – ist da noch was?
Wir stehen gut da in der Oberliga Nord, die Regionalliga ist also drin. Zwischenzeitlich hatte unser Präsidium ja beschlossen, dass sie lieber gar nicht melden – eine Verarschung sondergleichen. Wie hätten sich denn jetzt die Spieler noch motivieren sollen, wo es ganz egal ist, wie sie am Saisonende abschneiden? Was sie bisher geleistet haben, war ja super. Und das trotz unseres Etats von gerade einmal 300.000 Euro. Cloppenburg oder Kiel laufen hier mit einem Etat von 2,5 Millionen auf. In Altona wird jeder Ehrenamtliche und jeder Zuschauer gebraucht.
Sie sollten zusätzlich noch Zuschauer werben …
Mache ich doch. Im vorletzten Sommer habe ich zum Präsidenten gesagt, lass uns doch mal die Zuschauerzahlen pushen. Fand er eine gute Idee.
Und dann?
Zu unseren Zuschauern gehören traditionell die Punks vom Altonaer Bauwagenplatz. Ich habe die gefragt, ob sie vor den Spielen 10, 15 Plakate in Apotheken und Läden aufhängen würden. Im Gegenzug hat der Präsident jedem eine ermäßigte Dauerkarte versprochen.
Klingt nicht gerade nach Tariflohn.
Die fanden das aber toll, weil sie sich keine Sorgen mehr um das Eintrittsgeld machen mussten. Die Plakate hängen jetzt auch im Schanzenviertel und auf St. Pauli. Auch Familien mit Kindern kommen jetzt verstärkt zu uns. Da wird die Decke ausgebreitet, die Kinder und die ganzen Punk-Hunde spielen rum, die Mütter klönen miteinander, auch mancher Ex-Hool trinkt hier sein Bier. Seit kurzem gibt es sogar Pommes. War ein langer Kampf, aber mit dem Argument, dass er nur so auch die Kinder als Kunden gewinnen könne, konnten wir den Pächter der Vereinsgaststätte schließlich davon überzeugen, dass das eine gute Idee wäre.
Zurück zu den Zuschauerzahlen. Wie erfolgreich war denn Ihre Drückerkolonne?
Drückerkolonne? Statt 450 Leuten kommen jetzt jedenfalls fast 800 im Schnitt. Und viele davon waren früher am Millerntor.
Sie auch?
Ich auch. Jahrzehntelang, aber irgendwann war mir da selbst auf den Rängen zu viel Kommerz und Dogmatismus. Mit diesen ganzen Choreographien und dem einstudierten Support machte das keinen Spaß mehr, das war irgendwie der gleiche Leistungsdruck wie auf dem Rasen. Vielen St.-Pauli-Fans ging’s wie mir, die kommen jetzt hierher, weil sie in Ruhe Fußball schauen wollen. Einfach geil meckern, dumme Sprüche reißen, was eben so dazu gehört.
Und die beiden großen Konkurrenten verspotten.
Über den HSV ist doch jedes Wort zu viel. Und St. Pauli schlagen wir nur mit ihren eigenen Waffen. Als sie mal wieder pleite waren, hat doch sogar Bürgermeister Ole von Beust »Retter«-T-Shirts für St. Pauli verkauft. Und selbst zum Cheeseburger konntest du die Lappen kaufen. Mein Trauzeuge, ein gebürtiger Gelsenkirchener vom Bauwagenplatz, hatte dann vor dem Spiel gegen die St.-Pauli-Amateure ein lustiges Transparent gemalt: »St. Pauli, McDonald’s und die CDU«. Das kann man wunderbar skandieren und danach schön ein »Und Geld stinkt doch« hinterher brüllen.
Gemein.
Wir dürfen das, schließlich haben wir den Dino unter den St.-Pauli-Fans in unseren Reihen: Mabuse, der brachte damals den Totenkopf von der Hafenstraße ans Millerntor.
Der ist heute Symbol des Klubs und prangt selbst auf den Spielertrikots.
Dabei fand Mabuse nur die Vereinsfarben braun-weiß hässlich, also hat er sich von seinem Sozi-Geld auf dem Dom (der Hamburger Jahrmarkt, d.V.) so eine Fahne gekauft, auf einen Besenstiel getackert und ist damit ab ins Stadion. Irgendwann haben das dann Hunderte gemacht. Mabuse ist das egal, der war seit zehn Jahren nicht mehr am Millerntor. So einen Service wie bei uns bekommt er da nicht geboten.
Es gibt also doch VIPs beim AFC.
Zumindest hat Mabuse seine eigene Mini-Anzeigetafel. Immer wenn er betrunken war, hat er alle genervt mit seiner Fragerei nach dem Spielstand. Irgendwann ist ein Kollege mit einer Mütze rumgegangen. Mit dem Geld hat er eine Holztafel gebastelt, etwa ein Meter auf einen Meter, die jetzt bei Spielen in den Zweigen über deren Kurve hängt und per Hand betätigt wird. Jetzt ist auch Mabuse immer im Bilde und die anderen können in Ruhe den Schiedsrichter beschimpfen.
»Der rettet mal wieder den Verein«
Ivo Burmeister hat kein Handy. Aber mit dem KFC Uerdingen einen Lieblingsverein, der gerade den dritten Insolvenzantrag in fünf Jahren gestellt hat. Also muss seine Lebensgefährtin jedem Anrufer ausrichten, dass Burmeister mal wieder in der Grotenburg weilt, um eine Rettungsaktion zu planen. Der KFC wiederum hat sich in den letzten Wochen häufig eine ziemlich fatale Frage gestellt. Die, ob das Schicksal des Vereins »überhaupt noch jemanden da draußen interessiert«. Seit dem 22. Januar 2008 kennt er die Antwort.
Der Dienstag war ein guter Tag. Wobei die Lage beim KFC mal wieder so ist, dass man eigentlich gar nicht von guten Tagen sprechen kann. Schon gar nicht in der Geschäftsstelle des Vereins. Als sie gerade schließen wollten, kam jedenfalls noch dieser Mann mit den 200 Euro. Er habe in der Zeitung gelesen, dass es bald keinen höherklassigen Fußball mehr geben solle in Krefeld, sagte er. Er aber sei Fußballfan, Krefelder Fußballfan, und könne den nahenden Exitus so nicht hinnehmen. Also orderte der Mann einen kompletten Satz Fanartikel – ;vom Trikot bis zum Feuerzeug – ;und eine Rückrundendauerkarte gleich mit dazu. Schwupps, wanderten über 200 Euro über den Tresen.
Wohl nicht einmal ein Tropfen auf einem Stein, der mit einem Fehlbetrag von über 100.000 Euro mal wieder ganz schön heiß geworden ist. Doch so fatalistisch darf man nicht denken, wenn es nur darum geht, jeden Tag möglichst viel Geld einzunehmen, um die Gläubiger zu besänftigen. Denn die drohen dem Verein diesmal wirklich den Saft abzudrehen. Der Insolvenzantrag ist gestellt – ;der dritte innerhalb von fünf Jahren. Man darf gar nicht daran denken, mit welchem Dilettantismus die oberen Herren im Verein Jahr für Jahr so getan haben, als seien 200 Euro ein Betrag, den man mal eben verschleudern könne, weil sich das Selbstwertgefühl mittelmäßiger Funktionäre eben an der Höhe der Beträge bemisst, mit denen sie um sich werfen.
Als zwei Gehaltszahlungen ausstanden, sind fast alle Spieler in einen Streik getreten. Trainer Alexander Ristic, der Mitte März entlassen werden sollte, stand ein paar Tage lang ziemlich verloren auf dem Trainingsplatz herum. Zwischenzeitlich war das Arbeitsamt eingesprungen, doch das will seine Auslagen am 15. Januar ebenso zurückhaben wie manch eiliger Gläubiger. Insgesamt brauchte man 150.000 Euro bis Mitte Januar, danach dann noch mal mindestens 200.000 Euro. 350.000 Euro also – ;solch einen Betrag streicht ein Spielervermittler als Provision für den Transfer eines leicht überdurchschnittlichen Bundesligaspielers ein. In Uerdingen, wo die Sektkorken knallen, wenn zwei Fantrikots verkauft werden, sind das astronomische Summen.
Zum letzten Rückrundenspiel in Speldorf haben sich die Spieler dann doch noch einmal breitschlagen lassen, ihrer Arbeit nachzugehen. Der Gegentreffer zum 1:1 fiel zum dritten Mal in dieser Saison in der Nachspielzeit. Nicht auszudenken, wie gut man dastünde, wenn man einmal ein kleines bisschen weniger Pech hätte. Es überrascht ihn auch nicht, dass ausgerechnet der KFC bei den Krefelder Hallen-Stadtmeisterschaften nicht teilnimmt. Nur zwei Spieler hatten ihre Teilnahme zugesagt, der Rest wartet auf die ausstehenden Gehälter.
Ivo Burmeister war natürlich vor Ort, als der unerwartete Geldsegen eintraf. Seine bemitleidenswerte Lebensgefährtin Lotte musste mal wieder dutzenden Anrufern mitteilen, dass ihr handyloser Freund leider nicht zu sprechen sei: »Der rettet mal wieder den Verein.« Burmeister hat sich noch am nächsten Tag in seiner Düsseldorfer Wohnung über den Mann mit den 200 Euro gefreut. Gar nicht einmal über die zwei grünen Scheine als solche. Sondern weil er die Frage, die ihn seit Jahren umtreibt, endlich einmal wieder mit einem »Ja« beantworten konnte. Es ist die Frage, die sich wohl jeder zigmal gestellt hat, der in den letzten Jahren mit dem KFC Uerdingen zu tun hatte. Sie lautet: »Interessiert das hier überhaupt noch jemanden?«
Der Traum von der Sechstklassigkeit
Im schlimmsten Fall – ;die Alternativen haben sie auf der Vereinshomepage bereits Ende Dezember skrupulös aufgelistet – ;wird das Insolvenzverfahren mangels Masse gar nicht erst eröffnet. Der Verein würde dann aufgelöst und müsste nach einer etwaigen Neugründung ganz unten in der Kreisklasse neu anfangen.
Im besten Fall würde der Verein so viel Geld einnehmen, dass er die Saison ganz normal zu Ende spielen könnte. Einen Großteil der Leis tungsträger würde man wohl dennoch abgeben müssen, allein, um sich die Gehaltskosten zu sparen. Schnitte man dennoch besser als auf Platz elf ab, wäre man dann in der kommenden Saison Fünft-, bei jeder schlechteren Platzierung sogar nur Sechstligist. Schließlich hat der Westdeutsche Fußball- und Leichtathletikverband beschlossen, zusätzlich zur bundesweiten Ligareform noch eine NRW-spezifische durchzuführen: Künftig wird es also noch eine »Nordrhein-Westfalen-Liga« geben, die sich aus den Fünft- bis Elftplatzierten der bisherigen Oberligen Niederrhein und Westfalen zusammensetzt. Für den Zwölften, der noch eine Saison zuvor locker die Klasse gehalten hätte, heißt das allerdings, dass er in der Spielzeit 2007/2008 statt in der Viert- in der Sechstklassigkeit spielen wird.
Für den KFC, findet Burmeister, wäre das allerdings bei weitem nicht die schlimmste Option. Wenn der Insolvenzantrag nicht zurückgezogen werden kann, droht nicht mehr und nicht weniger als das Ende des Vereins. Die Sechstklassigkeit ist also bis zum Jahreswechsel Burmeisters Idealvorstellung für die Zeit ab Sommer 2008. Nun gilt es Geld heranzuschaffen, es bleibt keine Zeit mehr, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die den Klub sehenden Auges in die Misere geritten haben. Von Misswirtschaft möchte Burmeister dennoch nicht sprechen: »Misswirtschaft hieße für mich, vorhandenes Geld mit vollen Händen auszugeben. Hier aber war kein Geld, was einzelne Fälle von Größenwahn nicht ausschließt.« Vor der Saison habe man einen Etat auf- und eine Mannschaft in der Hoffnung zusammengestellt, somit gut gerüstet die Plätze eins bis vier anzugreifen. Mit der Qualifikation für die dreigleisige vierte Liga vor Augen würden flugs weitere Sponsoren dazukommen, so das halsbrecherische Kalkül. Da der Klub meist eher remis spielte, wo er hätte gewinnen sollen, entstand die kalkulierte Euphorie jedoch nie.
Allerdings wären die Rahmenbedingungen auch für einen Manager Hoeneß oder Allofs in Uerdingen schwer. Allein schon deshalb, weil das Viertel, das dem Verein den Namen gab, eben zu Krefeld gehört. Von dort aus sind es nur 21 Kilometer nach Mönchengladbach, 39 nach Duisburg, 60 nach Köln oder Schalke. Nicht nur, dass die Konkurrenz nicht schläft, sie logiert quasi im Nachbarhaus. Mancher Klub an Rhein und Ruhr könnte im Mittelkreis ein Skatturnier abhalten; es würde dennoch wohl Jahre dauern, bis nicht mehr alle zwei Wochen über 40.000 Zuschauer in deren Stadien pilgern würden. Beim KFC waren sie in der zweiten Liga froh, wenn so viele in einer Halbserie kamen.
Doch mit dem Standort-Malus hat man zu leben gelernt. Schlimmer in der gegenwärtigen Krise wiegt der Umstand, dass die wenigen Krefelder Unternehmer, die überhaupt etwas mit dem Thema Fußball anfangen können, die Tür in etwa so freundlich öffnen, als hätten die Zeugen Jehovas um einen ausgiebigen Gesprächstermin über das Alte Testament nachgesucht. Die heimatliche Erde ist gründlich verbrannt für seinen Fußballverein, da macht sich auch Ivo Burmeister keine Illusionen: »Die Bank richtet dir kein Konto ein, die Druckerei, der du die Stadionzeitung bringst, lacht dich aus. Es ist nur noch frustrierend.«