Alexandre Dumas
Der Graf von Monte Christo
Roman
Titel der Originalausgabe
Le Comte de Monte-Cristo
Aus dem Französischen übersetzt
ISBN 978-3-8412-0094-5
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2010
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die vorliegende Übersetzung erschien erstmals 1955 bei
Rütten & Loening; Rütten und Loening ist eine Marke der
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Ankunft in Marseille
Vater und Sohn
Das Katalonierdorf
Die Verschwörung
Das Verlobungsmahl
Der Zweite Staatsanwalt
Das Verhör
Das Château d’If
Das kleine Kabinett in den Tuilerien
Der Korse
Vater und Sohn
Die Hundert Tage
Der gefährliche Gefangene und der wahnsinnige Gefangene
Nummer 34 und Nummer 27
Ein italienischer Gelehrter
Die Zelle des Abbés
Der Plan
Der Schatz
Der dritte Anfall
Der Friedhof des Château d’If
Die Insel Tiboulen
Das Schmugglerschiff
Die Insel Monte Christo
Gold
Der Unbekannte
Die Herberge vom Pont du Gard
Der Bericht
Die Register der Gefangenen
Das Haus Morrel
Der fünfte September
Sindbad der Seefahrer
Das Erwachen
Was der Wirt erzählte: Die Geschichte Luigi Vampas
Der Graf von Monte Christo
In Paris
Die Vorstellung
Bertuccio
Das Haus in Auteuil
Die Vendetta
Der Blutregen
Der unbegrenzte Kredit
Die Apfelschimmel
Haidee
Pyramus und Thisbe
Die Lehre von den Giften
Der Major Cavalcanti und sein Sohn
Das Diner
Der Bettler
Heiratspläne
Das Arbeitszimmer des Staatsanwalts
Brot und Salz
Das Versprechen
Das Protokoll
Ali Tebelin
Die Limonade
Die Anklage
Man schreibt uns aus Janina
Der Einbruch
Die Hand Gottes
In der Pairskammer
Die Beschimpfung
Die Nacht
Auf der Walstatt
Mutter und Sohn
Der Selbstmord
Die Krankheit
Der Kontrakt
Das Gesetz
Die Erscheinung
Die Giftmischerin
Valentine
Maximilian
Die Unterschrift Danglars’
Der Friedhof Père-Lachaise
Die Teilung
Die Löwengrube
Der Richter
Vor dem Schwurgericht
Sühne
Die Abreise
Die Vergangenheit
Peppino
Luigi Vampas Speisenkarte
Die Verzeihung
Der fünfte Oktober
Alexandre Dumas
1829
Zeichnung von Achille Devéria
Am 24. Februar 1815 zeigte die Hafenwache von Notre-Dame de la Garde in Marseille das Herannahen des Dreimasters »Pharao« an, der von Smyrna, Triest und Neapel kam.
Ein Küstenlotse verließ sofort den Hafen, fuhr am Château d’If vorbei und erreichte das Schiff zwischen dem Kap Morgion und der Insel Rion.
Auf der Terrasse des Forts Saint-Jean war, wie immer bei Ankunft eines Schiffes, sofort eine neugierige Menschenmenge zusammengeströmt. Jeder Marseiller erkannte den »Pharao«, da er einem Reeder der Stadt gehörte.
Das Schiff näherte sich indessen so langsam, und alles an Bord machte einen so niedergeschlagenen Eindruck, daß die Neugierigen instinktiv ein Unglück ahnten und sich fragten, was für ein Unfall sich an Bord zugetragen haben könnte. Nichtsdestoweniger erkannten die Schiffskundigen gleich, daß, wenn sich ein Unfall zugetragen hätte, dieser nicht das Schiff selbst betroffen haben konnte, denn dieses fuhr in aller Ordnung daher, und neben dem Lotsen, welcher die Leitung des »Pharao« durch die enge Einfahrt des Marseiller Hafens übernommen hatte, stand ein junger Mann, der jede Bewegung des Schiffes mit lebhaftem Auge überwachte und jeden Befehl des Lotsen schnell und sicher wiederholte.
Die unbestimmte Unruhe unter der Menge auf der Esplanade des Forts Saint-Jean hatte ganz besonders einen der Zuschauer ergriffen, der offenbar die Einfahrt des Schiffes in den Hafen nicht erwarten konnte; er sprang in eine kleine Barke und befahl, dem »Pharao« entgegenzurudern, den er gegenüber der Anse de la Réserve erreichte.
Als der junge Seemann diesen Mann kommen sah, verließ er seinen Platz an der Seite des Lotsen und trat mit dem Hute in der Hand an die Reling.
Es war ein junger Mann von achtzehn bis zwanzig Jahren, groß und schlank, mit schönen schwarzen Augen und tiefschwarzem Haar; seine ganze Person trug jenen Stempel der Ruhe und Entschlossenheit, wie er Männern, welche von Kindheit an daran gewöhnt sind, mit der Gefahr zu kämpfen, eigentümlich ist.
»Ah, Sie sind’s, Dantès!« rief der Mann in der Barke. »Was ist denn passiert, und warum trägt alles an Bord diesen Ausdruck der Trauer?«
»Ein großes Unglück, Herr Morrel«, antwortete der junge Mann, »besonders für mich! Auf der Höhe von Civitavecchia haben wir den braven Kapitän Leclère verloren.«
»Und die Ladung?« fragte rasch der Reeder.
»Die ist unversehrt, Herr Morrel, und ich glaube, daß Sie in dieser Beziehung zufrieden sein werden; aber der arme Kapitän …«
»Was ist ihm denn zugestoßen?« fragte der Reeder, sichtlich ruhiger.
»Er ist tot.«
»Ins Meer gestürzt?«
»Nein, er ist am Nervenfieber gestorben. Er hat fürchterlich gelitten.« Dann, sich zu der Mannschaft wendend, befahl er: »Holla! Jedermann an seinen Posten! Anker klar!«
Die Mannschaft gehorchte; jeder der acht bis zehn Matrosen nahm seinen Posten ein.
Der junge Mann warf einen flüchtigen Blick auf den Anfang des Manövers, und da er sah, daß seine Befehle ausgeführt wurden, wandte er sich wieder dem Reeder zu.
»Aber wie ist denn das Unglück gekommen?« nahm dieser die Unterhaltung wieder auf.
»Mein Gott, Herr Morrel, ganz unvorhergesehen: Nach einer langen Unterhaltung mit dem Hafenkommandanten verließ der Kapitän in großer Erregung Neapel; nach vierundzwanzig Stunden befiel ihn das Fieber; drei Tage darauf war er tot … Wir haben ihm die gewohnte Totenfeier bereitet, und er ruht, eingehüllt in eine Hängematte, mit einer Kugel von sechsunddreißig Pfund an den Füßen und einer am Kopf, auf der Höhe der Insel Giglio. Sein Ehrenkreuz und seinen Degen bringen wir seiner Witwe. Es war auch der Mühe wert«, fuhr der junge Mann melancholisch lächelnd fort, »sich zehn Jahre lang mit den Engländern zu schlagen, um schließlich wie jeder andere im Bett zu sterben.«
»Je nun, Herr Edmond«, entgegnete der Reeder, der sich mehr und mehr zu trösten schien, »wir sind alle sterblich, und die Alten müssen den Jungen Platz machen, wie säh’s sonst mit dem Avancement aus, und da Sie mir versichern, daß die Ladung …«
»Ist in gutem Zustande, Herr Morrel, dafür bürge ich. Die Fahrt bringt Ihnen über fünfundzwanzigtausend Franken ein.«
Dann wandte er sich wieder der Mannschaft zu und erteilte seine Befehle, die so genau ausgeführt wurden wie auf einem Kriegsschiff.
Alle Segel wurden eingezogen, und das Schiff näherte sich mit fast unmerklicher Bewegung dem Hafen.
»Und jetzt, Herr Morrel«, sagte Dantès, der die Ungeduld des Reeders sah, »können Sie an Bord kommen, wenn Sie wünschen … Da kommt Ihr Rechnungsführer, Herr Danglars, eben aus seiner Kajüte, der wird Ihnen jede gewünschte Auskunft geben. Ich meinerseits muß das Ankerwerfen überwachen und das Schiff Trauer anlegen lassen.«
Der Reeder ergriff ein Tau, das Dantès ihm zuwarf, und kletterte mit einer Gewandtheit, die einem Seemanne Ehre gemacht hätte, die Sprossen an der Seite des Schiffes hinauf, während Dantès auf seinen Posten zurückkehrte. Unterdessen ging der Rechnungsführer Danglars dem Reeder entgegen.
Danglars war ein Mann von etwa fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, von finsterem Aussehen, unterwürfig gegen seine Vorgesetzten, anmaßend gegen seine Untergebenen. Rechnungsführer werden von der Mannschaft immer scheel angesehen, aber Danglars war den Leuten auch persönlich verhaßt, ganz im Gegensatz zu Edmond Dantès, den alle liebten.
»Nun, Herr Morrel«, sagte Danglars, »Sie wissen das Unglück schon, nicht wahr?«
»Ja, ja; der arme Kapitän! Ein braver und ehrenwerter Mann!«
»Und vor allem ein ausgezeichneter Seemann, der zwischen Himmel und Wasser alt geworden war. Er verdiente es, die Interessen eines so bedeutenden Hauses wie Morrel und Sohn wahrzunehmen«, antwortete Danglars.
»Nun«, sagte der Reeder, dessen Augen Dantès folgten, welcher einen Platz zum Ankerwerfen suchte, »mir scheint, Danglars, man braucht nicht solch alter Seemann zu sein, wie Sie sagen, um sein Fach zu verstehen; unser Freund Edmond erfüllt seine Pflichten scheint’s wie ein Mann, der nicht nötig hat, einen andern um Rat zu fragen.«
»Ja«, entgegnete Danglars, indem er auf Dantès einen Seitenblick voll heimlichen Hasses warf, »ja, ein junger Mensch, der sich alles zutraut. Kaum, daß der Kapitän tot war, so übernahm er das Kommando, ohne vorher mit jemand Rücksprache zu nehmen, und er hat uns anderthalb Tage bei der Insel Elba verlieren lassen, statt direkt nach Marseille zu gehen.«
»Daß er das Kommando übernahm«, sagte der Reeder, »war seine Pflicht als Erster Offizier, daß er anderthalb Tage bei der Insel Elba verlor, war unrecht, falls das Schiff nicht irgendwelche Havarie erlitten hatte, so daß er ausbessern mußte.«
»Dem Schiff fehlte ebensowenig etwas wie Ihnen oder mir, Herr Morrel; diese anderthalb Tage haben wir bloß des Vergnügens wegen, ans Land zu gehen, verloren.«
»Dantès«, wandte sich der Reeder zu dem jungen Manne, »kommen Sie einmal her.«
»Einen Augenblick«, erwiderte Dantès, »ich bin sofort bei Ihnen.« Dann erteilte er den Befehl, den Anker zu werfen. Trotz der Anwesenheit des Lotsen blieb er auf seinem Posten, bis das Manöver ausgeführt war.
»Sehen Sie«, bemerkte Danglars, »er hält sich schon für den Kapitän.«
»Er ist’s auch tatsächlich«, entgegnete der Reeder.
»Ja, bis auf Ihre und Ihres Herrn Teilhabers Unterschrift, Herr Morrel.«
»Nun, warum sollten wir ihn nicht auf diesem Posten lassen?« fragte der Reeder. »Ich weiß wohl, er ist noch jung, aber er scheint mir dem Posten gewachsen zu sein und hat große Erfahrung in seinem Fache.«
Die Stirn Danglars’ verfinsterte sich.
»Entschuldigen Sie, Herr Morrel«, sagte Dantès näher tretend; »jetzt, da das Schiff vor Anker liegt, stehe ich vollständig zu Ihrer Verfügung.«
Danglars trat einen Schritt zurück.
»Ich wollte Sie fragen, warum Sie sich auf der Insel Elba aufgehalten haben.«
»Es geschah, Herr Morrel, um einen letzten Befehl des Kapitäns Leclère zu erfüllen, der mir sterbend ein Paket für den Großmarschall Bertrand übergeben hatte.«
»Haben Sie ihn denn gesehen, Edmond?«
»Wen?«
»Den Großmarschall?«
»Jawohl.«
Morrel sah sich um und zog Dantès beiseite.
»Und wie geht’s dem Kaiser?« fragte er lebhaft.
»Gut, wenigstens soweit ich es mit meinen Augen habe beurteilen können.«
»Sie haben also auch den Kaiser gesehen?«
»Er trat bei dem Marschall ein, während ich dort war.«
»Und Sie haben mit ihm gesprochen?«
»Das heißt, er hat mit mir gesprochen, Herr Morrel«, entgegnete Dantès lächelnd.
»Und was hat er zu Ihnen gesagt?«
»Er stellte mir Fragen über das Schiff, die Zeit der Abreise nach Marseille, den Weg, den es genommen hatte, und die Ladung. Ich glaube, wäre es leer gewesen und hätte es mir gehört, so hätte er es zu kaufen gewünscht; aber ich sagte ihm, daß ich nur der Erste Offizier wäre und das Schiff dem Hause Morrel und Sohn gehörte. – ›Aha‹, erwiderte er, das Haus ist mir bekannt; die Morrels sind Reeder vom Vater auf den Sohn, und ein Morrel diente mit mir in demselben Regiment, als ich zu Valence in Garnison stand.‹«
»Das stimmt!« rief der Reeder hocherfreut. »Das war der Hauptmann Policar Morrel, mein Onkel. Dantès, Sie müssen meinem Onkel sagen, daß der Kaiser sich seiner erinnert hat, und Sie werden den alten Soldaten weinen sehen. Ja, ja«, fuhr der Reeder fort und klopfte dem jungen Mann freundschaftlich auf die Schulter, »es war recht von Ihnen, daß Sie die Anweisung des Kapitäns befolgt haben, obgleich es Sie kompromittieren könnte, wenn man erführe, daß Sie dem Marschall ein Paket übergeben und mit dem Kaiser gesprochen haben.«
»Inwiefern könnte mich denn das kompromittieren?« entgegnete Dantès. »Ich weiß nicht einmal, was ich überbracht habe, und der Kaiser hat nur Fragen an mich gerichtet, wie er sie an den ersten besten auch gerichtet hätte. Doch entschuldigen Sie, da kommen die Sanitäts- und Zollbeamten; Sie erlauben, nicht wahr?«
»Gehen Sie, gehen Sie, mein lieber Dantès.«
Der junge Mann entfernte sich, und Danglars trat wieder näher.
»Nun«, fragte dieser, »er scheint Ihnen gute Gründe für sein Anlegen in Porto Ferrajo gegeben zu haben?«
»Ausgezeichnet, mein lieber Danglars.«
»Nun, um so besser«, antwortete dieser, »denn es ist immer peinlich, zu sehen, daß ein Kamerad nicht seine Pflicht tut.«
»Dantès hat die seinige getan«, erwiderte der Reeder, »und es trifft ihn kein Vorwurf. Kapitän Leclère hatte ihm diesen Aufenthalt befohlen.«
»Da Sie den Kapitän erwähnen – hat er Ihnen nicht einen Brief von ihm gegeben?«
»Wer?«
»Dantès.«
»Mir, nein. Hatte er denn einen?«
»Ich glaubte, daß ihm der Kapitän Leclère außer dem Paket noch einen Brief anvertraut hätte.«
»Von welchem Paket sprechen Sie, Danglars?«
»Nun, von demjenigen, welches Dantès in Porto Ferrajo abgegeben hat.«
»Woher wissen Sie, daß er dort ein Paket abgegeben hat?«
Danglars errötete.
»Ich ging an der Tür des Kapitäns vorbei, die halb offen stand, und sah ihn Dantès das Paket und den Brief übergeben.«
»Er hat mir nichts davon gesagt; wenn er aber diesen Brief hat, wird er ihn mir geben«, bemerkte der Reeder.
Danglars sann einen Augenblick nach.
»Dann bitte ich Sie, Herr Morrel, sprechen Sie mit Dantès nicht hierüber; ich werde mich getäuscht haben.«
In diesem Augenblick kam der junge Mann zurück; Danglars entfernte sich.
»Nun, mein lieber Dantès, sind Sie jetzt frei?« fragte der Reeder.
»Jawohl, Herr Morrel, alles in Ordnung.«
»Dann können Sie also mit uns speisen?«
»Entschuldigen Sie mich, Herr Morrel, nach der Ankunft gehe ich immer zuerst zu meinem Vater. Ich bin darum nicht weniger dankbar für die Ehre, die Sie mir erweisen.«
»Ganz recht, Dantès, ganz recht. Ich weiß, Sie sind ein guter Sohn.«
»Und …«, fragte Dantès etwas zögernd, »er befindet sich wohl, soviel Sie wissen?«
»Nun, ich denke doch, mein lieber Edmond, obgleich ich ihn nicht gesehen habe.«
»Ja, er hält sich in seinem Zimmerchen verschlossen.«
»Das beweist wenigstens, daß es ihm in Ihrer Abwesenheit an nichts gefehlt hat.«
Dantès lächelte.
»Mein Vater ist stolz, Herr Morrel, und wenn es ihm an allem gefehlt hätte, so zweifle ich doch, daß er von irgend jemand auf der Welt etwas verlangt hätte, außer von Gott.«
»Gut denn; aber nach dem Besuch bei Ihrem Vater rechnen wir auf Sie.«
»Entschuldigen Sie nochmals, Herr Morrel; aber nach diesem Besuche habe ich noch einen zweiten zu machen, der mir nicht weniger am Herzen liegt.«
»Ah, wahrhaftig, Dantès; ich vergaß, daß im Dorf der Katalonier jemand ist, der Sie ebenso ungeduldig erwarten muß wie Ihr Vater: die schöne Mercedes.«
Dantès lächelte wieder.
»Dreimal ist sie zu mir gekommen, um sich nach dem ›Pharao‹ zu erkundigen«, sagte der Reeder. »Wahrhaftig, Edmond, Sie können mit Ihrer Geliebten zufrieden sein, sie ist ein hübsches Kind.«
»Sie ist nicht meine Geliebte, Herr Morrel«, entgegnete der junge Seemann ernst; »sie ist meine Braut.«
»Das kommt manchmal auf eins heraus«, sagte lachend der Reeder.
»Bei uns nicht, Herr Morrel.«
»Nun, mein lieber Edmond«, fuhr der Reeder fort, »dann will ich Sie nicht länger zurückhalten. Sie haben meine Geschäfte so gut besorgt, daß ich Ihnen Zeit lasse, soviel Sie wollen, auch die Ihrigen zu besorgen. Brauchen Sie Geld?«
»Nein, ich habe meine ganze Löhnung für ein Vierteljahr.«
»Sie sind ein ordentlicher Junge, Edmond.«
»Fügen Sie hinzu, daß ich einen armen Vater habe, Herr Morrel.«
»Ja, ja, ich weiß, daß Sie ein guter Sohn sind. Gehen Sie also jetzt zu Ihrem Vater. Ich habe auch einen Sohn und würde es sehr übelnehmen, wenn ihn jemand nach dreimonatiger Abwesenheit von mir fernhielte.«
»Sie erlauben also?« fragte der junge Mann.
»Ja, wenn Sie mir nichts mehr zu sagen haben.«
»Nein.«
»Hat Ihnen der Kapitän Leclère kurz vor seinem Tode nicht einen Brief für mich gegeben?«
»Es wäre ihm unmöglich gewesen, zu schreiben; aber das erinnert mich daran, daß ich Sie um vierzehn Tage Urlaub bitten muß.«
»Um Hochzeit zu halten?«
»Einmal das, und dann, um nach Paris zu reisen.«
»Schön, schön, nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen, Dantès; das Ausladen des Schiffes wird etwa sechs Wochen in Anspruch nehmen, und wir werden vor Ablauf eines Vierteljahres wohl kaum wieder in See gehen … In einem Vierteljahr müssen Sie aber da sein. Der ›Pharao‹«, fuhr der Reeder fort, indem er dem jungen Seemann auf die Schulter klopfte, »könnte ohne seinen Kapitän nicht wieder in See stechen.«
»Ohne seinen Kapitän!« rief Dantès mit vor Freude strahlenden Augen. »Sie hätten die Absicht, mich zum Kapitän des ›Pharao‹ zu ernennen?«
»Wenn ich allein zu bestimmen hätte, würde ich Ihnen die Hand reichen, mein lieber Dantès, und Ihnen sagen: Abgemacht; aber ich habe einen Teilhaber, und Sie kennen das Sprichwort: Wer einen Teilhaber hat, hat einen Befehlshaber. Aber von zwei Stimmen haben Sie wenigstens schon eine, und in betreff der andern verlassen Sie sich auf mich, ich werde das meinige tun.«
Der junge Mann, dem die Tränen in den Augen standen, ergriff die Hände des Reeders.
»O Herr Morrel«, rief er, »ich danke Ihnen im Namen meines Vaters und Mercedes’!«
»Schön, schön, Edmond; Gott läßt es einem braven Kerl nicht schlecht gehn auf der Welt. Suchen Sie Ihren Vater auf, gehen Sie zu Mercedes, und dann kommen Sie zu mir.«
»Soll ich Sie nicht an Land bringen?«
»Nein, ich danke; ich will noch die Rechnungen mit Danglars durchgehen. Sind Sie während der Reise mit ihm zufrieden gewesen?«
»Das kommt darauf an, wie Sie diese Frage meinen, Herr Morrel. Meinen Sie als Kamerad, dann nein, denn ich glaube, er kann mich nicht leiden, seit ich eines Tages die Dummheit beging, ihm infolge eines Streites, den wir miteinander hatten, den Vorschlag zu machen, zehn Minuten an der Insel Monte Christo haltzumachen, um diesen Streit auszutragen, einen Vorschlag, den ich ihm nicht hätte machen sollen und den er mit Recht zurückwies. Meinen Sie als Rechnungsführer, so glaube ich, daß nichts an ihm auszusetzen ist und daß Sie mit seinen Leistungen zufrieden sein werden.«
»Aber hören Sie, Dantès«, fragte der Reeder, »wenn Sie Kapitän des ›Pharao‹ wären, würden Sie Danglars gern behalten?«
»Ich werde stets, ob Kapitän oder Erster Offizier, diejenigen achten, die das Vertrauen meiner Reeder besitzen.«
»Nun, Dantès, ich sehe, daß Sie in jeder Beziehung ein braver Junge sind. Jetzt will ich Sie aber nicht länger aufhalten; gehen Sie, ich sehe ja, Sie stehen wie auf Kohlen.«
»Ich habe also meinen Urlaub?« fragte Dantès.
»Gehen Sie nur.«
»Sie erlauben, daß ich Ihr Boot nehme?«
»Nehmen Sie nur.«
»Auf Wiedersehen, Herr Morrel, und tausend Dank!«
»Auf Wiedersehen, mein lieber Edmond, viel Glück!«
Der junge Mann sprang in das Boot, und zwei Matrosen ruderten ihn auf seinen Befehl dem Lande zu.
Der Reeder folgte ihm lächelnd mit den Augen, sah, wie er am Kai ausstieg und sich sofort in der Menge verlor.
Als der Reeder sich umwandte, sah er Danglars hinter sich, der dem Anschein nach seine Befehle erwartete, in Wirklichkeit aber gleichfalls dem jungen Seemanne nachgeblickt hatte.
Nachdem Dantès die Cannebière in ihrer ganzen Länge durcheilt hatte, bog er in die Rue de Noailles ein, betrat ein an der linken Seite der Allées de Meilhan gelegenes Haus, stieg klopfenden Herzens schnell eine dunkle Treppe bis zum vierten Stock hinauf und blieb vor einer angelehnten Tür stehen, durch die man bis in den Hintergrund eines kleinen Zimmers sehen konnte.
Dieses Zimmer war das seines Vaters.
Die Nachricht von der Ankunft des »Pharao« war noch nicht bis zu dem Greise gedrungen, der, auf einem Stuhle stehend, damit beschäftigt war, mit zitternder Hand einige Kapuzinerblumen und Rebwinden, die das Fenster umrankten, mit Latten zu stützen.
Plötzlich fühlte er, wie ein Paar Arme sich um ihn legten, und eine wohlbekannte Stimme rief:
»Vater, mein guter Vater!«
Der Greis stieß einen Schrei aus und wandte sich um. Als er seinen Sohn erblickte, sank er zitternd und bleich in dessen Arme.
»Was hast du denn?« rief der junge Mann beunruhigt. »Bist du krank?«
»Nein, nein, mein lieber Edmond, mein Sohn, mein Kind, nein; es ist nur die Freude über dieses unvermutete Wiedersehen – ich hatte dich nicht erwartet – o Gott, mir ist, als ob ich sterben müßte!«
»Nun, nun, fasse dich doch, Vater! Die Freude soll ja keinen Schaden tun, und deshalb bin ich hier so ohne Vorbereitung eingetreten. Komm, sei doch fröhlich, anstatt mich so mit wirren Augen anzusehen. Ich bin zurück, und wir werden glücklich sein.«
»Ah so, Junge!« entgegnete der Greis. »Aber wieso werden wir glücklich sein? Du verläßt mich also nicht mehr? Komm, erzähle mir dein Glück!«
»Gott verzeihe mir«, sagte der junge Mann, »daß ein Ereignis mein Glück ist, das Trauer über eine Familie bringt! Aber Gott weiß, daß ich dieses Glück nicht gewünscht habe; es ist nun einmal so gekommen, und ich kann nicht anders als mich darüber freuen. Der brave Kapitän Leclère ist tot, Vater, und es ist wahrscheinlich, daß ich auf Verwendung des Herrn Morrel seine Stelle erhalte. Begreifst du, Vater? Mit zwanzig Jahren Kapitän! Hundert Louisdors Gehalt und Anteil am Gewinn! Wie hätte ich armer Matrose jemals ein solches Glück erhoffen können?«
»Ja, mein Sohn, in der Tat«, antwortete der Greis, »das ist ein Glück.«
»Und von dem ersten Gelde, welches ich erhalte, sollst du ein Häuschen mit einem Garten bekommen, worin du dir deine Rebwinden, deine Kapuzinerblumen und Jelängerjelieber pflanzen kannst … Aber was ist dir denn, Vater, bist du krank?«
»Geduld, Geduld! es ist weiter nichts.«
Die Kräfte verließen den Greis, und er sank nach hinten über. »Laß sehen, ein Glas Wein, Vater; das wird dich wieder auffrischen. Wo steht dein Wein?«
»Nein, ich danke, such nicht; ich brauche keinen«, sagte der Alte.
Er versuchte seinen Sohn zurückzuhalten.
»Doch, doch, Vater, zeig mir den Platz.« Und er öffnete einige Schränke.
»Laß sein …«, bemerkte der Greis, »es ist kein Wein mehr da.«
»Wie, es ist kein Wein mehr da!« rief Dantès, seinerseits erbleichend und abwechselnd die blassen, eingefallenen Wangen des Greises und die leeren Schränke betrachtend. »Hat es dir an Geld gefehlt, Vater?«
»Es hat mir an nichts gefehlt, nun, da du da bist«, antwortete der Greis.
»Aber ich hatte dir doch zweihundert Franken zurückgelassen, als ich vor einem Vierteljahr abreiste«, sagte Dantès bestürzt.
»Ja, ja, Edmond, freilich; aber du hattest vergessen, vor der Abreise eine kleine Schuld beim Nachbar Caderousse zu bezahlen; er hat mich daran erinnert und wollte, wenn ich nicht für dich bezahlte, sich das Geld von Herrn Morrel geben lassen. Und siehst du, da ich befürchtete, daß dir das schaden könnte …«
»Nun?«
»So habe ich es bezahlt.«
»Es waren ja aber hundertvierzig Franken, die ich Caderousse schuldete!«
»Jawohl«, sagte der Greis.
»Und die hast du ihm von den zweihundert Franken ganz gegeben?«
Der Greis nickte.
»So daß du also ein Vierteljahr von sechzig Franken gelebt hast?« rief der junge Mann.
»Du weißt, wie wenig ich brauche«, sagte der Alte.
»O Gott, o mein Gott, verzeih mir!« rief Edmond, indem er sich vor seinem Vater auf die Knie warf.
»Was machst du denn?«
»Oh, du hast mir das Herz zerrissen!«
»Du bist ja da«, sagte der Greis lächelnd; »nun ist alles wieder gut.«
»Ja, ich bin da«, entgegnete der junge Mann, »und ich habe Geld mitgebracht. Da, Vater, nimm und laß sofort einholen.« Und er entleerte seine Taschen, die ein Dutzend Goldstücke, fünf oder sechs Fünffrankenstücke und kleine Münzen enthielten, auf den Tisch.
Das Gesicht des alten Dantès erheiterte sich.
»Wem gehört das?« fragte er.
»Nun mir, dir, uns! Nimm, kauf ein, sei fröhlich! Morgen gibt es mehr.«
»Sachte, sachte«, mahnte der Alte lächelnd; »mit deiner Erlaubnis werde ich deine Börse nur mäßig in Anspruch nehmen; wenn man mich zu viel auf einmal kaufen sähe, würde man denken, ich hätte bis zu deiner Rückkehr warten müssen, um Einkäufe zu machen.«
»Wie du willst, Vater; aber vor allen Dingen nimm dir jemand zur Bedienung; du sollst nicht mehr allein bleiben. Ich habe geschmuggelten Kaffee und ausgezeichneten Tabak in einem kleinen Koffer an Bord. Doch still! Da kommt jemand.«
»Das ist Caderousse. Er hat wohl gehört, daß du gekommen bist, und will dir guten Tag sagen.«
»Das ist auch so einer, der mit Worten freundlich tut und im Herzen anders denkt«, murmelte Edmond. »Doch einerlei, es ist ein Nachbar, der uns früher einen Dienst erwiesen hat, er sei willkommen.«
In der Tat sah man gleich darauf in der Flurtür den schwarzen, bärtigen Kopf des Schneiders Caderousse erscheinen. Es war ein Mann von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren.
»Ei, da bist du also zurück, Edmond?« sagte er im ausgesprochensten Marseiller Dialekt und mit einem breiten Lächeln, welches seine elfenbeinweißen Zähne sehen ließ.
»Wie Sie sehen, Nachbar Caderousse, und bereit, Ihnen in jeder Weise dienlich zu sein«, antwortete Dantès, der seinen Widerwillen nur schlecht unter diesem Anerbieten verbarg.
»Danke, danke; glücklicherweise brauche ich nichts, und es sind sogar manchmal die andern, die mich brauchen.«
Dantès machte eine Bewegung.
»Das geht nicht auf dich, Junge; ich habe dir Geld geliehen, du hast mir’s wiedergegeben, und wir sind quitt; so was kommt unter guten Nachbarsleuten vor.«
»Man ist denen gegenüber, die einem einen Dienst erwiesen haben, nie quitt«, antwortete Dantès; »denn wenn man ihnen das Geld nicht mehr schuldet, so schuldet man ihnen Dankbarkeit.«
»Wozu darüber sprechen! Was vorbei ist, ist vorbei. Sprechen wir von deiner glücklichen Rückkehr, Junge. Ich war also nach dem Hafen gegangen, um braunes Tuch zu holen, und wen treffe ich? Freund Danglars, der mir erzählte, daß du auch wieder da bist. Da komme ich denn, um einem Freunde die Hand zu drücken.«
»Der gute Caderousse«, sagte der Greis, »er liebt uns so!«
»Gewiß liebe ich Sie, da die ehrbaren Leute rar sind. Aber du scheinst ja reich zu werden, Junge«, fuhr der Schneider fort, indem er einen Seitenblick auf die Handvoll Gold und Silber warf, die Dantès auf den Tisch geschüttet hatte.
Der junge Mann bemerkte den gierigen Blick in den schwarzen Augen des Nachbarn.
»Lieber Gott«, warf er nachlässig hin, »das Geld gehört nicht mir; ich fragte meinen Vater, ob es ihm in meiner Abwesenheit auch an nichts gefehlt hat, und um mich zu beruhigen, hat er den Inhalt seiner Börse auf den Tisch geschüttet. Komm, Vater«, fuhr Dantès fort, »steck das Geld wieder in deine Sparbüchse, das heißt, wenn Nachbar Caderousse es nicht braucht, in welchem Falle es zu seiner Verfügung steht.«
»Nein, Junge«, sagte Caderousse, »ich brauche nichts. Gott sei Dank! Das Handwerk nährt seinen Mann. Behalte dein Geld, man hat nie zu viel; trotzdem bin ich dir für dein Anerbieten ebenso verbunden, als ob ich’s angenommen hätte.«
»Es war aufrichtig gemeint«, erwiderte Dantès.
»Daran zweifle ich nicht. Du stehst dich also mit Herrn Morrel sehr gut? Du verstehst es offenbar, dich beliebt zu machen.«
»Herr Morrel ist immer sehr gütig gegen mich gewesen«, antwortete Dantès.
»Dann tust du unrecht, seine Einladung zum Essen nicht anzunehmen.«
»Was?« fiel der alte Dantès ein; »er hat dich zum Essen eingeladen?«
»Ja, Vater«, antwortete Edmond, über das Staunen des Alten lächelnd.
»Und warum hast du abgelehnt, Junge?« fragte der Greis.
»Um desto eher zu dir zu kommen, Vater«, erwiderte der junge Mann. »Ich hatte Eile, dich zu sehen.«
»Das wird den guten Herrn Morrel verletzt haben«, nahm Caderousse wieder das Wort; »und wenn einer Absicht auf den Kapitänshut hat, so darf er seinen Reeder nicht vor den Kopf stoßen.«
»Ich habe ihm den Grund meiner Ablehnung erklärt«, entgegnete Dantès, »und ich hoffe, er hat Verständnis dafür gehabt.«
»Je nun, wenn man Kapitän werden will, muß man seinem Patron ein bißchen schmeicheln.«
»Ich hoffe, ohne das Kapitän zu werden.«
»Desto besser, desto besser, da werden sich alle alten Freunde freuen, und ich kenne da unten hinter der Zitadelle von Saint-Nicolas jemand, der auch nicht böse darüber sein wird.«
»Mercedes?« fragte der Greis.
»Ja, Vater«, entgegnete Dantès, »und jetzt, da ich dich gesehen habe und weiß, daß es dir gut geht und du alles hast, was du brauchst, erlaubst du wohl, daß ich im Katalonierdorf einen Besuch abstatte.«
»Geh, mein Sohn«, sagte der alte Dantès, »und Gott segne dich in deiner Frau, wie er mich in meinem Sohne gesegnet hat!«
»Seine Frau!« bemerkte Caderousse. »Wie Sie gleich losgehen, Vater Dantès! Ich dachte, sie ist es noch nicht.«
»Nein; aber sie wird es bald sein«, antwortete Edmond.
»Einerlei, einerlei«, meinte Caderousse, »es war gut, daß du dich beeilt hast, Junge.«
»Wieso?«
»Weil die Mercedes ein schönes Mädchen ist und es den schönen Mädchen nicht an Liebhabern fehlt, besonders dieser nicht; sie laufen ihr dutzendweise nach.«
»So«, sagte Edmond mit einem Lächeln, hinter dem eine leichte Unruhe bemerkbar war.
»Jawohl«, fuhr Caderousse fort, »und sogar schöne Partien, aber sieh her, du wirst Kapitän werden, und man wird sich hüten, dich abzuweisen.«
»Das heißt«, entgegnete Dantès, dessen Lächeln seine Unruhe nur schlecht verbarg, »wenn ich nicht Kapitän würde …«
»Je, nun.« Caderousse zog die Schultern hoch.
»Nun«, erwiderte der junge Mann, »ich habe eine bessere Meinung von den Frauen im allgemeinen und von Mercedes im besonderen und bin überzeugt, daß sie mir treu bleiben wird, einerlei, ob ich Kapitän bin oder nicht.«
»Um so besser, um so besser«, warf Caderousse hin; »es ist immer gut, dem Mädchen zu vertrauen, das man heiraten will; aber einerlei, glaube mir, Junge, verliere keine Zeit, zu ihr zu gehen und ihr deine Ansichten mitzuteilen.«
»Ich gehe sofort«, sagte Edmond.
Er umarmte seinen Vater, verabschiedete sich von Caderousse und ging.
Caderousse blieb noch einen Augenblick, dann verabschiedete er sich von dem alten Dantès, ging die Treppe hinunter und suchte Danglars wieder auf, der ihn an der Straßenecke erwartete.
»Nun«, fragte Danglars, »hast du ihn gesehen?«
»Ich komme direkt von ihm.«
»Und hat er gesagt, daß er Kapitän zu werden hofft?«
»Er spricht davon, als ob er’s schon wäre.«
»Geduld«, sagte Danglars. »Er scheint es etwas zu eilig zu haben.«
»Es sieht so aus, als ob Herr Morrel es ihm zugesagt hat.«
»Dann ist er wohl sehr heiter?«
»Sogar anmaßend; bietet mir seine Dienste an, als ob er was Vornehmes wäre; wollte mir Geld leihen wie ein Bankier.«
»Und du hast es zurückgewiesen?«
»Strikte weg; obschon ich’s ganz gut hätte annehmen können, zumal ich es war, der ihm die ersten Goldstücke in die Hand gegeben hat. Aber jetzt braucht Herr Dantès niemand mehr; er wird ja Kapitän.«
»Pah«, sagte Danglars, »noch ist er’s nicht.«
»Teufel auch! Gut wär’s, wenn er’s nicht würde«, entgegnete Caderousse, »denn sonst würde er unsereinen gar nicht mehr ansehen.«
»Wenn wir wollten«, warf Danglars hin, »so bliebe er, was er ist, ja würde vielleicht noch weniger.«
»Was meinst du?«
»Nichts, ich rede nur so. Und er ist noch immer in die schöne Katalonierin verliebt?«
»Wahnsinnig verliebt. Er ist hin zu ihr; aber ich müßte mich sehr täuschen, wenn ihn nicht Unannehmlichkeiten erwarteten.«
»Erkläre dich.«
»Wozu?«
»Es ist wichtiger, als du denkst. Du kannst doch Dantès nicht leiden, he?«
»Ich habe die Hochnäsigen im Magen.«
»Nun, dann sage mir, was du von der Katalonierin weißt.«
»Positives weiß ich just nichts; was ich aber gesehen habe, läßt mich glauben, daß der zukünftige Kapitän, wie gesagt, in der Gegend da Unannehmlichkeiten haben dürfte.«
»Was hast du denn gesehen? Sprich doch.«
»Nun denn, allemal wenn Mercedes nach der Stadt kommt, wird sie von einem großen Katalonier mit schwarzen Augen und roter Haut begleitet, einem brünetten, hitzigen Burschen, den sie Vetter nennt.«
»So! und glaubst du, daß dieser Vetter ihr den Hof macht?«
»Ich nehm’s an.«
»Und Dantès ist zu der Katalonierin gegangen, sagst du?«
»Er ist vor mir fortgegangen.«
»Wenn wir in die Gegend gingen, könnten wir in der ›Réserve‹ einkehren und bei einem Glase Wein Neuigkeiten abwarten.«
»Wer soll uns denn die geben?«
»Wir würden Dantès sehen, und sein Gesicht würde uns sagen, was passiert ist.«
»Komm«, sagte Caderousse; »aber du bezahlst doch?«
»Gewiß«, erwiderte Danglars.
Und beide schlugen mit schnellen Schritten den Weg nach dem bezeichneten Orte ein. Dort angekommen, ließen sie sich eine Flasche und zwei Gläser geben.
Vater Pamphile hatte Dantès vor noch nicht zehn Minuten vorübergehen sehen.
Nachdem sie sich so vergewissert hatten, daß Dantès bei der Katalonierin war, setzten sie sich unter die mit dem ersten Grün sich schmückenden Platanen, in deren Zweigen eine Schar fröhlich zwitschernder Vögel einem der ersten schönen Frühlingstage zujubelte.