Über dieses Buch:

Ein dunkles Kapitel der Geschichte beginnt im Jahre 560: Kurz hintereinander sterben die Könige der Gepiden und der Langobarden, die sich stets um Frieden zwischen den Volksstämmen bemüht haben. Nun kommen ihre Söhne an die Macht – und beide warten schon seit Jahren darauf, den anderen vernichten zu können. Nur Rosamunde, die schöne Prinzessin der Gepiden, hat noch Hoffnung, das Blutvergießen zu verhindern. Gelingt es ihr, im letzten Moment die Gunst des Langobardenkönigs Alboin zu gewinnen … oder ist, als die ersten Schwerter aufeinanderprallen, auch ihr Schicksal besiegelt?

Über den Autor:

Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.

Das vorliegende eBook ist Teil der Tetralogie ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: Der Waffensohn; Zweiter Roman: Der Pokal des Alboin; Dritter Roman: Die Verschwörung; Vierter Roman: Die Tragödie von Ravenna

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits den Roman XANTHIPPE – Die Frau des Sokrates und zwei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: Demetrias Rache; Zweiter Roman: Saxnot stirbt nie; Dritter Roman: Pater Diabolus; Vierter Roman: Die Witwe; Fünfter Roman: Pilger und Mörder; Sechster Roman: Tödliche Brautnacht

DIE MEROWINGER

Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums; Zweiter Roman: Schwerter der Barbaren; Dritter Roman: Familiengruft; Vierter Roman: Zorn der Götter; Fünfter Roman: Chlodwigs Vermächtnis; Sechster Roman: Tödliches Erbe; Siebter Roman: Dritte Flucht; Achter Roman: Mörderpaar; Neunter Roman: Zwei Todfeindinnen; Zehnter Roman: Die Liebenden von Rouen; Elfter Roman: Der Heimatlose; Zwölfter Roman: Rebellion der Nonnen; Dreizehnter Roman: Die Treulosen

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Überarbeitete Neuausgabe März 2015

Die vierteilige Serie ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN beruht auf den Büchern Rosamunde – Königin der Langobarden und Die Mörderin Rosamunde – Königin der Langobarden, die 1998 als Wunderlich-Taschenbuch im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen. Für die Neuausgabe wurde der Text vom Autor durchgesehen, erweitert und bearbeitet.

Copyright © der Originalausgabe 1998 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

ISBN 978-3-95824-026-1

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Robert Gordian

ROSAMUNDE

Königin der Langobarden

Zweiter Roman

Der Pokal des Alboin

dotbooks.

Was bisher geschah

Im sechsten Jahrhundert nach Christus siedeln an der mittleren Donau die Gepiden, den Goten verwandte Ostgermanen. Sie werden bedrängt von den Langobarden, die in den Stürmen der Völkerwanderung ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete an der unteren Elbe verlassen haben und nach Süden gezogen sind. Nach der Schlacht auf dem Asfeld im Jahre 552 wird zunächst ein Friedensvertrag geschlossen, doch kommt es immer wieder zu Spannungen.

Erst als Alboin, der Sohn des Langobardenkönigs Audoin, überraschend den Hof der Gepiden besucht, scheint eine längere Friedenszeit zwischen den Stämmen anzubrechen: Alboin bittet König Turisind, ihn als »Waffensohn« anzunehmen, damit er – wie es der Brauch seines Volkes vorsieht – von einem fremden Herrscher geehrt an der Tafel seines Vaters, des Königs Audoin, einen Platz einnehmen darf. Trotz anfangs starker Bedenken erfüllt Turisind die Bitte des früheren Feindes und überreicht ihm zeremoniell ein Schwert – eine Geste, die er als Versöhnung versteht, die aber von mächtigen Männern seiner Umgebung missbilligt wird. Angeführt wird diese Gruppe von Kunimund, Turisinds Sohn, der Alboin des Mordes an seinem Bruder Turismod beschuldigt. Teilnehmer jener Schlacht auf dem Asfeld wollen jedoch gesehen haben, dass Turismod im ehrlichen Kampf mit Alboin fiel.

Nur mühsam kann Kunimund seine Rachegelüste verbergen, er hetzt zum Überfall auf Alboin und provoziert einen gefährlichen Zwischenfall, doch Turisind schützt seinen Gast. Eine Entscheidung zwischen den beiden Widersachern muss fallen, wird aber aufgeschoben.

Zum Ärger seiner Gegner gewinnt der freundliche, leutselige, im männlichen Wettstreit allen überlegene Alboin auch Sympathien unter den Gepiden. Die Witwe des angeblich von ihm Ermordeten, Raunhild, kann ihn nicht länger hassen. Sie beginnt, ihn zu bewundern, und wird seine Geliebte. Der siebenjährigen Rosamunde, Kunimunds Tochter, erscheint Alboin wie ein Märchenprinz aus einer fremden Welt. Die kleine, lebhafte, phantasiebegabte Prinzessin verliebt sich in ihn und erträumt sich eine Zukunft als Königin an seiner Seite. Doch auch Raunhild hofft, dass er Brautwerber schicken werde – vergeblich.

Acht Jahre vergehen. Der Frieden zwischen Langobarden und Gepiden hält noch immer, doch nun entsteht eine neue Situation: König Turisind, der alles getan hat, um ein erneutes Aufflammen der Kämpfe zu vermeiden, kehrt von einer winterlichen Expedition todkrank zurück und stirbt. Bei der Wahl seines Nachfolgers herrscht unter den Gepiden zunächst Uneinigkeit, weil die Mehrheit der wahlberechtigten Männer vermeiden will, dass der kriegslüsterne Kunimund auf den Thron gelangt. Doch da erreicht sie eine alarmierende Nachricht: Fast zur gleichen Zeit ist Audoin gestorben – und Alboin ist ihm als König der Langobarden gefolgt. Jetzt gibt es nur einen, der diesem gefürchteten Nachbarn im Fall eines Angriffs Widerstand leisten kann: Kunimund.

Rosamunde, inzwischen fünfzehn Jahre alt, trauert um ihren Großvater, dessen Liebling sie war – und macht zur gleichen Zeit erste Erfahrungen in der Liebe. An Alboin denkt sie nur noch selten, er ist für sie unerreichbar geworden. Auch Raunhild hofft nicht mehr auf ihn, nachdem er die Tochter eines Frankenkönigs geheiratet hat. Mit einem Giftmord mischt sie sich in die Ränke um die Nachfolge Turisinds ein, um ihren Sohn Reptila, einen Enkel des Verstorbenen, an die Macht zu bringen. Die friedlichen Zeiten sind vorbei – alle Zeichen stehen wieder auf Sturm.

Dramatis personae

Kunimund, König der Gepiden

Rosamunde, seine Tochter

Calvina, Kammerfrau Rosamundes

Raunhild, Witwe von Kunimunds Bruder

Reptila, ihr Sohn

Alboin, König der Langobarden

Helmichis, sein Vetter und Schildträger

Rambod, Herzog der Gepiden

Asbad, Herzog der Gepiden

Drog, Herzog der Gepiden

Willrich, Marschalk der Gepiden

Osdas, gepidischer Krieger

Zaban, Herzog der Langobarden

Peredeo, Kommandant der Leibwache Alboins

Lopichis, Alboins Mundschenk

Arichis, Gefolgsmann Alboins

Gellios, griechischer Gelehrter

Bassus, wohlhabender Bürger Veronas

Gallitta, seine Frau

Kapitel 1

Was für ein Unglück! Plötzlich war die Lage völlig verändert. Mein Name ist Gellios, und ich will berichten, was geschah.

Die ungünstigste und gefährlichste aller denkbaren Möglichkeiten war eingetreten: An die Spitze der beiden Nachbarvölker, der Gepiden und der Langobarden, traten fast zur gleichen Zeit zwei Heißsporne, von denen zumindest der eine gegen den anderen einen unversöhnlichen Hass hegte. Der von den verstorbenen Königen und den Vernünftigen unter den Großen der beiden Stämme so mühsam bewahrte Frieden war in höchster Gefahr.

Dass ich, Gellios, sofort in Ungnade fiel, bedarf wohl kaum der besonderen Erwähnung. Umsonst hatte ich mir die Hände schmutzig gemacht, um Turisinds Vermächtnis zu retten. Sogar mit der machtlüsternen Raunhild und ihrem missratenen Sohn hatte ich mich dazu verbündet, erschienen mir doch eine Frau und ein Schwächling von einer Gruppe entschlossener Männer beherrschbar. Die Umstände waren gegen mich. Ab sofort wurden weder ich noch einige andere, die konsequentesten Vertreter der Friedenspartei, zum Rat und zur Tafel des Königs zugelassen. Einige Würdenträger verloren ihre Hofämter, darunter auch der Kämmerer Munolf, obwohl er von Jugend auf zur engsten Gefolgschaft des neuen Königs gehört hatte. Herzog Rambod, der unverbesserliche Scharfmacher, war nun der bevorzugte Ratgeber des Herrschers der Gepiden.

Was sollte ich tun? Wohin sollte ich mich wenden? Mein erster Gedanke war, die vor elf Jahren unterbrochene Reise fortzusetzen. Ich traf schon die Vorbereitungen zum Aufbruch, als Rosamunde plötzlich in mein Zimmer trat. Sie bat, sie beschwor mich, zu bleiben und sie jetzt nicht im Stich zu lassen. Sie hätte mit ihrem Vater gesprochen, sagte sie, und die Erlaubnis erhalten, dass ich mich weiter um ihre Ausbildung kümmern dürfte. Wie konnte ich den Bitten – und gar den Tränen – meiner reizenden Schülerin widerstehen? Ich blieb also. Und vorerst hatte ich keinen Grund, meine Entscheidung zu bereuen.

Nach und nach widmete ich mich fast ausschließlich der Prinzessin, wobei ich das Unterrichtsprogramm immer mehr erweiterte. Ich lehrte sie griechische und römische Geschichte, wir lasen gemeinsam die Werke des Herodot und des Tacitus. Wir beschäftigten uns, indem wir die alten Autoren studierten, mit auswärtiger Politik und dem Abfassen von Korrespondenzen. Meine Schülerin war nicht nur gelehrig, sondern entwickelte auch – von gelegentlichen Temperamentsausbrüchen abgesehen – eine für ein junges Mädchen in so hoher Stellung erstaunliche Ernsthaftigkeit und Ausdauer.

Denn im Grunde nahm sie schon damals, bei den Gepiden, so etwas wie den Rang einer Königin ein. Da Kunimund sich auch nach seiner Erhebung zum Herrscher nicht zu einer zweiten Heirat entschließen konnte, ergab es sich wie von selbst, dass Rosamunde in die Pflichten einer Königin oder einer ersten Dame des Hofes hineinwuchs. Anfangs gefiel es ihr gut, hübsch aufgeputzt, als buntes Vögelchen Empfänge und Feste zu zieren und von aller Welt begafft und bewundert zu werden. Doch auf die Dauer genügte ihr das nicht, sie wollte mehr. Was sie im Unterricht gelernt hatte, wollte sie anwenden. Am Gepidenhof gab es noch keine Kanzlei, von einer geordneten Hofhaltung konnte bis dahin nicht die Rede sein. Mit meiner Hilfe, besonders aber mit der des ebenfalls in Ungnade gefallenen Munolf begann Rosamunde, Steuerlisten, Gerichtsprotokolle, Urkunden über Erbschaften und Schenkungen anzufertigen. Verträge und Verordnungen wurden sorgfältig archiviert. Ein paar Schreiber wurden angestellt, und wir bemühten uns alle nach Kräften, aus Stammesangelegenheiten, die bisher eher zufällig und nach Bedarf geregelt wurden, geregelte Staatsangelegenheiten zu machen.

Das alles war aber nur möglich, weil der Krieg, der bei Alboins und Kunimunds Machtantritt unvermeidlich schien, zunächst nicht ausbrach. Die beiden neuen Herrscher begnügten sich mit Drohgebärden und den üblichen Grenzübergriffen. Bei den gepidischen Großen schwand bald die Angst vor Alboin zugunsten der Überzeugung, dass auch dieser langobardische König sich an Schwur und Vertrag halten und den gegenwärtigen Besitzstand nicht antasten würde. Kunimund mochte noch so viel grollen und zum entscheidenden Waffengang drängen – seine Gefolgschaft blieb unlustig. Sechs Jahre lang ging noch alles gut. Doch dann 

Plötzlich, im Sommer 566, erschien ein langobardisches Heer vor unserer Festung Sirmium. Kunimund scharmützelte gerade mit den Sklaveniern, weit entfernt an unserer Nordgrenze. In der Festung, die nur von schwachen Kräften verteidigt wurde, machten sich Angst und Schrecken breit. Die Langobarden verlangten die Übergabe. Doch Herzog Drog, der Kommandant, ließ die Tore verschließen und postierte Bogenschützen an der Mauer. Da rückte Verstärkung für die Belagerer an, und man hörte Trompeten und Jubel. Wir stürzten alle an die Brustwehr, und plötzlich sahen wir unten einen prächtig gerüsteten Reiter mit Goldhelm und wehendem Purpurmantel heransprengen. Es war niemand anders als König Alboin!

Mit schmetternder Stimme forderte er, ihm das Tor zu öffnen. Herzog Drog wies das Ansinnen grimmig zurück. Da ritt der König noch näher heran und stieß furchtbare Drohungen aus. Nicht weit von mir sah ich Rosamunde, die bleich und erregt von der Brustwehr herabblickte.

Es kam zu einem Zwischenfall.

Leichtsinnig war der König unten bis auf Pfeilschussweite herangekommen. Ein Scharfschütze spannte den Bogen – legte an. Das sah Rosamunde, und mit einem Aufschrei stieß sie ihn so heftig zur Seite, dass er auf dem Wehrgang hinstürzte. Das ging alles sehr schnell und wurde nur von wenigen wahrgenommen. Rosamunde behauptete dann, sie wäre selbst ausgerutscht und hätte den Schützen zufällig angestoßen. Doch später, als Königin, bekannte sie mir, was damals ohnehin alle Zeugen glaubten: dass sie das Leben des Feindes schützen wollte. Alboin bemerkte von alldem nichts und zog sich zurück.

Wie anders wäre alles vielleicht ohne diesen »Zufall« gekommen!

Eine Woche lang wurden wir belagert. Dann gelang es Kunimund mit Hilfe byzantinischer Verstärkung, uns zu befreien. Den abziehenden Langobarden rief er zu, sie sollten im nächsten Jahr wiederkommen, dann würden sie ihn sofort kampfbereit finden.

Und dieses Jahr 567 brach an.

Der Entscheidungskampf war nicht mehr zu vermeiden. Nach den Ereignissen des Vorjahrs war nun alles auf Krieg eingestellt, die Waffenfähigen wurden aufgeboten und strömten von überall herbei. Um den Menschen aus dem Karpatengebirge und den Gebieten diesseits und jenseits der Tamis den schwierigen Übergang über die Donau zu ersparen, hatte Turismods Palast, für alle bequem zu erreichen, als Treffpunkt den Vorzug vor Sirmium erhalten. Auch wir als Kanzlei zogen mit. Rosamunde überzeugte ihren Vater, der sie lieber in der Sicherheit der Festung zurücklassen wollte, dass ein so riesiges Aufgebot registriert und seine Unterbringung und Verpflegung organisiert werden müsste.

Dass sie noch etwas anderes im Sinn hatte, wurde mir erst viel später klar. Sie hoffte auf einen Friedensschluss im letzten Augenblick und wollte anwesend sein, wenn vielleicht zur Bekräftigung des Abkommens eine Heirat in Betracht gezogen wurde. Sie wusste, dass Alboins Frau, die Fränkin, gestorben war.

Ich habe nie gewagt, sie zu fragen, was sie in dieser Situation wohl getan hätte, wäre ihr geweissagt worden, auf welch schaurig-groteske Weise ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen sollte.

Es war wieder Frühjahr, und nach und nach trafen nun also die Aufgebotenen ein. Das größte Heer, das die Gepiden jemals zusammengebracht hatten, sammelte sich am Ufer der Tamis.

Da erreichten uns plötzlich Schreckensnachrichten. Eine neue Gefahr zog heran 

Kapitel 2

»Ein fremdes Volk! Nie hat man solche Menschen gesehen. Es sind Teufel, von Teufelinnen geboren, sie kommen aus den Tiefen der Hölle!« Die alte Frau mit schlohweißen wirren Haaren und mit unruhig flackernden Augen, die mehr noch als ihre Worte über die jüngst erlebten Schrecken aussagten, wiederholte dies immer wieder verzweifelt.

Dreißig, vierzig Zuhörer umstanden sie mit ernsten Gesichtern. Einige riefen ihr Fragen zu. »Wie viele waren es? Wie sind sie bewaffnet? Hast du nur Reiter gesehen, oder gab es auch Fußvolk? Wo, glaubst du, stehen sie jetzt?«

»Ach, hohe Herren, wenn ich das wüsste! Wie böse Geister tauchten sie auf, kamen mäuschenstill über die Pässe herab. Vor Morgengrauen umstellten sie unsere Gehöfte, und plötzlich mit wildem Gekreisch drangen sie vor, warfen Brände, trieben uns und das Vieh aus den Hütten. Ich habe nur Reiter gesehen, kein Fußvolk. Wie viele es waren? Wer könnte sie zählen? Kleine Kerle sind es mit bräunlichen Fratzen und schwarzen Zöpfen über den Ohren, in langen Mänteln aus Fell. Auf den ersten Blick könnte man sie für Tiere halten! Mein armer Mann und meine zwei Söhne … sie wollten sich wehren, aber sie waren ja nackt, so wie sie vom Stroh aufgesprungen waren. Ohne Umstände wurden sie niedergemacht! Mit ihren krummen Schwertern schlugen die Bestien auf alles ein, was ihnen entgegentrat. Uns Alte, die Frauen und die Kinder trieben sie auf einer Wiese zusammen … mit Peitschenhieben! Wenn einem eine Frau gefiel, warf er ihr eine Schlinge um den Hals und riss sie, sosehr sie sich sträubte, aus der Menge heraus. An eine klammerten sich ihre Kinder, gleich wurden ihnen die Köpfe gespalten. Und zwischen den blutigen Leichen, die auf der Wiese herumlagen, wurden die Mütter geschändet. Ach, was für Greuel könnte ich noch berichten! Nie wurden wir so entsetzlich heimgesucht. Nie ist eine solche Plage über die Menschheit gekommen!«

Der alten Frau versagte die Stimme, sie schlug die Hände vor das Gesicht, und ihr schmaler, gebeugter Körper wurde vom heftigen Weinen geschüttelt.

»Und wie habt ihr euch retten können?«

»Uns Alte haben sie fortgejagt!«, rief ein einäugiger Greis, der hinter der Frau stand, mit fistelnder Stimme. »Sie selber lagerten sich, um die Beute zu teilen. Wir schlugen uns zu unseren Nachbarn durch. Die da, die ihr dort seht … sie gaben uns Kleider und zu essen. Und dann beluden sie ihre Wagen und flohen mit uns.«

»Lass die Leute herein!«, sagte Kunimund. »Und gebt meiner Tochter Bescheid, damit sie sie unterbringt. Die Männer sollen sich mit ihren Waffen an einem Sammelpunkt einfinden. Verteilt sie dann auf die Hundertschaften, die nicht vollzählig sind.«

Der König war selbst am Tor erschienen und ließ nun die Flüchtlinge mit ihren Lasttieren und hochbeladenen Karren an sich vorüberziehen. Es war an diesem Tag schon der zweite Treck aus dem Norden, der Turismods Palast erreichte. Am Tage zuvor waren mehrere Dutzend Bauernfamilien aus dem Osten gekommen, ebenso Hals über Kopf geflohen, weil in den Donau-Niederungen jenseits der Berge Horden des fremden Volkes aufgetaucht waren.

Unter den Männern des Kriegsrates und den Würdenträgern des Hofes, die den König umstanden und die Berichte der beiden Alten gehört hatten, machte sich Unruhe breit.

»Eine Gefahr, die wir nicht unterschätzen dürfen« meinte Herzog Asbad, ein Kriegsveteran mit von Narben zerstückelten Wangen und einem Holzstumpf anstelle des rechten Beines. »Sie rücken aus zwei Richtungen an. Wenn sie die Berge hinter sich haben, werden sie sich vereinen und angreifen.«

»Bis dahin dürfte aber noch reichlich Zeit vergehen«, entgegnete Herzog Rambod, dessen Blicke den Treck nach brauchbaren Männern und Pferden durchforschten. »Anscheinend ist ihre Raubgier stärker als ihre Kampfbereitschaft.«

»Dass sie uns ausgerechnet jetzt belästigen!«, schimpfte Willrich, der Marschalk.

»Glaubt ihr noch immer, dass es Zufall ist?«, fragte der König. »Wir stehen vor der Entscheidungsschlacht mit den Langbärten, und da erscheinen auf einmal die Awaren. Wer mag diese Wilden gerufen haben? Wer hat sie aus ihren Steppen im Osten herbeigeholt, damit sie uns in den Rücken fallen? Nun, wer? Ist das so schwer zu erraten?«

»Wenn es Alboin ist, umso schlimmer!«, fand Asbad. »Dann ist es ein schlauer Plan. Wir wissen nun endlich, warum wir vergebens auf einen Teil unseres Aufgebots warten. Die Awaren beschäftigen es in den Bergen, und wir hier unten können ihm nur noch mit verminderter Kraft …«

»Was redest du, Herzog?«, fuhr Kunimund heftig dazwischen. »Sieh dich um! Ist das vielleicht verminderte Kraft?«

So weit das Auge blicken konnte, war die Ebene rings um Turismods Palast mit bunten Zelten übersät. Zwischen ihnen waren Tausende geschäftig, die einen bei Übungen mit Schwertern und Lanzen, die anderen bei der Pflege der Pferde oder bei der Instandsetzung der Ausrüstungen.

Unter der Märzsonne breitete sich ein scheinbar endloses Panorama aus Farben und Glanzpunkten. Unzählige Helme, Panzerhemden, Schwerter und Lanzenspitzen reflektierten die Strahlen.

»Noch nie hatten wir ein Heer wie dieses beisammen«, fuhr Kunimund fort. »Dass einige ausgeblieben sind, schwächt uns nicht im Geringsten. Sie handeln richtig, indem sie die Awaren in Kämpfe verwickeln und uns vom Leibe halten. So können wir uns mit aller Wucht auf den Hauptfeind werfen!«

»Du willst uns wirklich gegen die Langbärte führen, König«, fragte Asbad, »während uns die Awaren schon mit ihren Säbeln am Hintern kitzeln?«

»Ah, bist du neuerdings unter den Zauderern?«

»Das nicht, doch ich habe Kriegserfahrung und deshalb …«

»Alt und müde bist du geworden, hast Fett angesetzt wie viele andere. Aber diesmal werdet ihr mich nicht umstimmen! Sieben Jahre bin ich nun euer König, sieben Jahre habt ihr mich hingehalten. Schon mehrmals war die Gelegenheit günstig, wir hätten die Langbärte längst vernichten können. Aber ihr wolltet ja erst einen Anlass. Nun, ihr habt ihn bekommen, als sie im letzten Sommer unsere Hauptstadt belagerten, während wir uns mit den Sklaveniern herumschlugen. Wir haben sie zwar noch abwehren können …«

»Mit Hilfe der Byzantiner, vergiss das nicht!«, erwiderte Asbad unbeeindruckt. »Mein Vorschlag ist deshalb, noch einmal beim Kaiser anzufragen …«

»Und in aller Ruhe auf Antwort zu warten? Während Awaren und Langbärte unser Land besetzen und unter sich aufteilen? Wahrhaftig, ich habe umsichtige und tapfere Heerführer!«

»Wir stehen zu dir, König«, rief Rambod, »und wir folgen deinem Befehl!«

»Ihr habt auch keine andere Wahl«, sagte Kunimund. »Unsere Feinde sind auf dem Marsch, jetzt heißt es siegen oder sterben. Etwas anderes gibt es nicht mehr.«

Die Flüchtlinge waren hinter dem Tor verschwunden, und der König begab sich in das Lager zu seinem täglichen Rundgang. Weil man bis jetzt noch immer auf Nachzügler gewartet hatte, lagen viele der Aufgebotenen seit Wochen in Bereitschaft. So war die Stimmung gereizt, jeden Augenblick gab es irgendwo Streit und Tätlichkeiten. Obwohl Kunimund die Flüchtlinge hinter Mauern und Zäunen versteckte, war das Gerücht von den Einfällen der Awaren ins Lager gedrungen, und viele, die ihre Dörfer und Familien bedroht sahen, wollten wieder nach Hause und waren kaum noch zurückzuhalten.

Der König verurteilte einige Raufbolde und Unruhestifter zu Leibesstrafen, sprach aber auch geduldig zu den Hundertschaften und stellte den baldigen Abmarsch und einen raschen siegreichen Krieg in Aussicht. Wenn erst das größere Unheil, die Langobardenplage, abgewendet wäre, würde man auch mit dem kleineren, den Awaren, fertig werden.

Der Rundgang bestätigte seine Ansicht, dass schnelles Handeln vonnöten war. Seine Vertrauten stimmten ihm zu, dennoch drängten ihn viele, er sollte noch einen – den letzten – Versuch machen, wie im Vorjahr byzantinische Waffenhilfe zu erhalten. Ein Eilbote nach der benachbarten Präfektur Illyrien könnte in wenigen Tagen am Ziel sein. Widerwillig erklärte sich Kunimund einverstanden. Doch er nahm sich im Stillen vor, einige unbotmäßige Herren, die ihm noch immer ihren Willen aufzwangen, nach den Siegen über die Feinde Gehorsam zu lehren.

***

Er kehrte zurück auf das Gut, betrat das Saalhaus und sah sich nach Rosamunde um. Wie meistens fand er sie zwischen den Tischen der Schreiber inmitten eines Schwarms von Männern, denen sie Anweisungen erteilte oder Auskünfte gab. Ihr rotes, streng aufgestecktes Haar leuchtete aus einem grauen Gewirr von Bärten, Fellmützen, Mänteln und Kitteln.

Die überraschende Ankunft der Flüchtlinge stellte die nunmehr Zweiundzwanzigjährige vor eine neue, schwierige Aufgabe. Da ihr Vater die Leute vor Heer und Gefolgschaft verbergen wollte, musste sie sie, inzwischen einige hundert, auf dem Gut unterbringen. Ihre Tante Raunhild, die Herrin von Turismods Palast, schützte Krankheit vor und ließ sich nicht blicken, machte allerdings auch keine Schwierigkeiten. Die Scheunen und Arbeitshäuser waren überfüllt, sogar in den Ställen waren schon viele Menschen einquartiert. Und ständig war Rosamunde von Männern umringt, die alle möglichen Wünsche vorbrachten: Stroh für ein undichtes Dach, Decken, Kochkessel.

Einer bat um Bretter und Nägel, er wollte eine Kiste bauen.

»Wozu denn?«, fragte Rosamunde.

»Als Sarg für meinen Sohn, Herrin.«

»Ist er unterwegs gestorben?«

»Heute Nacht.«

»Wie alt war er?«

»Es wäre sein vierter Sommer geworden. Aber er sollte ihn nicht mehr erleben. Die Berggeister haben ihn umgebracht. Hätten wir nicht fortgehen müssen …«

»Rosamunde!«

Der König winkte ihr im Vorübergehen.

Sie löste sich augenblicklich aus der Gruppe der Bittsteller. »Wende dich an Crispin, den Zimmermann!«, rief sie dem Mann noch zu. »Und an den Priester. Du findest ihn in der Hütte neben der Kapelle. Er soll am Grab deines Kindes beten!«

Der König ging voraus in den kleinen Raum, der an den Saal grenzte. Hier, wo sein Vater Turisind gestorben war, fanden in diesen Tagen die endlosen Beratungen im Kreise seiner Vertrauten statt. Auch Rosamunde hatte hier ihren Platz. Es war der einzige am Tisch, wo ein Kodex mit Wachstafeln und ein Griffel lagen. So konnte sie gleich Aufträge notieren und an Ort und Stelle Briefe und Anordnungen entwerfen. Sie hatte allerdings auch eine Stimme im Rat, und nicht selten kam es vor, dass Kunimund den anderen Schweigen gebot, um ihre Meinung zu hören. Die meisten der Berater des Königs schätzten sie, weil Rosamunde oft aussprach, was sie selber nur dachten. Gerade in letzter Zeit hatte sie, nicht immer zur Freude ihres Vaters, manche mutige Ansicht geäußert.

Kunimund schnallte den Schwertgurt ab und hängte die Spatha an die Wand. Er löste die Fibel am Hals, warf seinen Mantel auf eine der Bänke und ließ sich ächzend in seinen Armstuhl sinken. Mehrmals strich er sich über den mächtigen, nun schon fast kahlen Schädel und sagte missgestimmt: »Einen Brief an den Präfekten von Illyrien. Es ist Zeitverschwendung, doch sie sind hartnäckig und bestehen darauf. Es darf aber nicht wie eine Bitte klingen. Ich bin König, das wäre demütigend. Eher wie eine Mahnung, dass wir auch diesmal Waffenhilfe erwarten. Schreibe also und verbessere, wenn ich nicht das Richtige treffe.«

»Vater!«

»Was gibt es?«

»Ich bin froh, dass du endlich kommst. Ich muss unbedingt mit dir reden. Jetzt gleich. Es ist wichtig.«

»Was hast du, Füchslein?«

Er beugte sich vor und sah sie aufmerksam an. Es geschah nur noch selten, dass er sie »Füchslein« nannte, fast unbewusst war das zärtliche Wort über seine Lippen gekommen. Sie war kein Kind mehr, sie war eine junge Frau. Keine Jungfrau, das hatte sich längst bestätigt, aber es störte ihn nicht. Sie hatte Liebhaber, und er ließ ihr die Freiheit. Als Achtzehnjährige war sie mit einem toten Knaben niedergekommen. Damals hatte er tage- und nächtelang vor ihrem Lager gekniet und Gott angefleht, sie nicht sterben zu lassen. Er liebte sie, und er brauchte sie. An eine zweite Heirat dachte er niemals mehr. Für seine Leibesbedürfnisse genügten die beiden wislanischen Kebsen, die er von seinem Vater übernommen hatte. In jeder anderen Beziehung ersetzte ihm Rosamunde die Frau.