Über dieses Buch:

Schwarze Wolken ziehen auf im Jahre 572. Rosamundes Hoffnung wurde zerstört, ihre Liebe betrogen – und schließlich sollte sie gezwungen werden, sich gegen ihren ermordeten Vater zu versündigen. Aber Rosamunde ist schon lange nicht mehr die friedliebende Prinzessin der Gepiden. An der Seite ihres gehassten Ehemannes, des Langobardenkönigs Alboin, hat sie gelernt, dass dieser nur eine Sprache versteht: die der Gewalt. Und so plant sie mit kühlem Kopf und brennendem Hass ihre Rache …

Über den Autor:

Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.

Das vorliegende eBook ist Teil der Tetralogie ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: Der Waffensohn; Zweiter Roman: Der Pokal des Alboin; Dritter Roman: Die Verschwörung; Vierter Roman: Die Tragödie von Ravenna

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits den Roman XANTHIPPE – Die Frau des Sokrates und zwei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: Demetrias Rache; Zweiter Roman: Saxnot stirbt nie; Dritter Roman: Pater Diabolus; Vierter Roman: Die Witwe; Fünfter Roman: Pilger und Mörder; Sechster Roman: Tödliche Brautnacht

DIE MEROWINGER

Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums; Zweiter Roman: Schwerter der Barbaren; Dritter Roman: Familiengruft; Vierter Roman: Zorn der Götter; Fünfter Roman: Chlodwigs Vermächtnis; Sechster Roman: Tödliches Erbe; Siebter Roman: Dritte Flucht; Achter Roman: Mörderpaar; Neunter Roman: Zwei Todfeindinnen; Zehnter Roman: Die Liebenden von Rouen; Elfter Roman: Der Heimatlose; Zwölfter Roman: Rebellion der Nonnen; Dreizehnter Roman: Die Treulosen

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Überarbeitete Neuausgabe März 2015

Die vierteilige Serie ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN beruht auf den Büchern Rosamunde – Königin der Langobarden und Die Mörderin Rosamunde – Königin der Langobarden, die 1998 als Wunderlich-Taschenbuch im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen. Für die Neuausgabe wurde der Text vom Autor durchgesehen, erweitert und bearbeitet.

Copyright © der Originalausgabe 1998 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

ISBN 978-3-95824-027-8

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Robert Gordian

ROSAMUNDE

Königin der Langobarden

Dritter Roman

Die Verschwörung

dotbooks.

Was bisher geschah

Im sechsten Jahrhundert nach Christus siedeln an der mittleren Donau die Gepiden, den Goten verwandte Ostgermanen. Sie werden bedrängt von den Langobarden, die in den Stürmen der Völkerwanderung ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete an der unteren Elbe verlassen haben und nach Süden gezogen sind. Nach der Schlacht auf dem Asfeld im Jahre 552 wird zunächst ein Friedensvertrag geschlossen, doch kommt es immer wieder zu Spannungen.

Erst als Alboin, der Sohn des Langobardenkönigs Audoin, überraschend den Hof der Gepiden besucht, scheint eine längere Friedenszeit zwischen den Stämmen anzubrechen: Alboin bittet König Turisind, ihn als »Waffensohn« anzunehmen, damit er – wie es der Brauch seines Volkes vorsieht – von einem fremden Herrscher geehrt an der Tafel seines Vaters, des Königs Audoin, einen Platz einnehmen darf. Trotz anfangs starker Bedenken erfüllt Turisind die Bitte des früheren Feindes und überreicht ihm zeremoniell ein Schwert – eine Geste, die er als Versöhnung versteht, die aber von mächtigen Männern seiner Umgebung missbilligt wird. Angeführt wird diese Gruppe von Kunimund, Turisinds Sohn, der Alboin des Mordes an seinem Bruder Turismod beschuldigt. Teilnehmer jener Schlacht auf dem Asfeld wollen jedoch gesehen haben, dass Turismod im ehrlichen Kampf mit Alboin fiel.

Nur mühsam kann Kunimund seine Rachegelüste verbergen, er hetzt zum Überfall auf Alboin und provoziert einen gefährlichen Zwischenfall, doch Turisind schützt seinen Gast. Eine Entscheidung zwischen den beiden Widersachern muss fallen, wird aber aufgeschoben.

Zum Ärger seiner Gegner gewinnt der freundliche, leutselige, im männlichen Wettstreit allen überlegene Alboin auch Sympathien unter den Gepiden. Die Witwe des angeblich von ihm Ermordeten, Raunhild, kann ihn nicht länger hassen. Sie beginnt, ihn zu bewundern, und wird seine Geliebte. Der siebenjährigen Rosamunde, Kunimunds Tochter, erscheint Alboin wie ein Märchenprinz aus einer fremden Welt. Die kleine, lebhafte, phantasiebegabte Prinzessin verliebt sich in ihn und erträumt sich eine Zukunft als Königin an seiner Seite. Doch auch Raunhild hofft, dass er Brautwerber schicken werde – vergeblich.

Acht Jahre vergehen, und noch immer herrscht Frieden zwischen den benachbarten Germanenstämmen. Doch fast gleichzeitig sterben die beiden alten Könige, die alles getan haben, um Konflikte zu entschärfen. Nun gelangen ihre Söhne an die Herrschaft – und ein neuer Krieg ist nicht mehr zu vermeiden. König Alboin verfolgt noch immer den Plan, das Gebiet der Gepiden zu erobern; König Kunimund hat nun endlich die Macht, mit einem Kriegszug Vergeltung zu üben. Beide sinnen auf die Vernichtung des Feindes.

Rosamunde, inzwischen zu einer bewunderten Schönheit und klugen Ratgeberin ihres Vaters herangewachsen, hat Alboin nicht vergessen und versucht, im letzten Augenblick noch einmal Frieden zu stiften. Sie hofft auf ein Treffen mit dem König der Langobarden, dessen fränkische Gemahlin gestorben ist. Ihr heimlicher Wunsch, durch eine Heirat das Glück zu finden, den Krieg zu verhindern und damit zwei Völkern unsägliches Leid zu ersparen, geht jedoch nicht in Erfüllung: Ihr Vater und Alboins Abgesandte verabreden, wie unter Germanen üblich, Ort und Zeit für die Entscheidungsschlacht. Kunimund befiehlt seiner Tochter, sich derweil in der Festung Sirmium in Sicherheit zu bringen, doch sie täuscht ihn und folgt dem Heer. Im Tross versteckt, wird sie Augenzeugin der Katastrophe.

Die Gepiden geraten in eine Falle, werden geschlagen und vollkommen aufgerieben. Die Schlacht des Jahres 567 ist der letzte Auftritt dieses Germanenstammes, der damit aus der Geschichte verschwindet. Als Gefangene muss Rosamunde erleben, wie ihr Vater vom Sieger Alboin vor dem versammelten Kriegsvolk verhört und gedemütigt wird. Aufgefordert, um sein Leben zu bitten, gibt Kunimund eine stolze Antwort und schleudert Anklagen gegen den »Mörder«. Alboin, der sich zunächst mit einem Unterwerfungsakt seines Feindes begnügen wollte, kennt nun keine Gnade mehr. Mit eigener Hand tötet er Kunimund und befiehlt, aus dessen abgeschlagenem Kopf eine Trinkschale zu machen. Als die verzweifelte Rosamunde verlangt, auch sie zu töten, lässt er sie in sein Zelt bringen und nimmt sein Siegerrecht wahr. Unverhofft bietet sich ihr so die Gelegenheit, mit einem Dolchstoß den Mord an ihrem Vater zu rächen. Doch im Widerstreit ihrer Gefühle zwischen Liebe und Hass kann sie sich nicht zu der Tat entschließen.

Der Sieg über die Gepiden hat Alboin und den Langobarden Mut gemacht, ein noch größeres Unternehmen zu wagen: Im Jahre 568 ziehen sie über die Alpen und unterwerfen in den folgenden Jahren fast ganz Norditalien. Die Burg von Verona wird zur Residenz des Germanenkönigs – und seiner Königin: Rosamunde. Unter grausigen Umständen ist ihre Hoffnung doch noch in Erfüllung gegangen – er hat sie geheiratet. Auch von seiner Seite muss es Liebe sein, denn diese Heirat bringt ihm sonst keinen Vorteil. Rosamunde ist nur eine arme Gefangene, ihr Land hat er erobert, ihr Volk vernichtet, den Schatz der Gepiden hat ein Verräter dem byzantinischen Kaiser gebracht.

Trotz allem verlebt die Königin in Verona eine glückliche Zeit. Die Schatten der Vergangenheit verblassen allmählich. Sie verzeiht und will vergessen.

Im Juni 572 kehrt der König der Langobarden von einem letzten Eroberungszug in Italien zurück. Drei Jahre hatte die Stadt Pavia widerstanden, nun haben sich ihre tapferen Verteidiger ergeben. In einer pompösen Feier im Palast von Verona wird die endgültige Niederlage der Byzantiner bejubelt. Auf dem Höhepunkt lässt sich der siegestrunkene Alboin eine Trinkschale bringen, die er sonst vor seiner Gemahlin versteckt hält: den aus dem Haupt des Kunimund gefertigten Pokal. Er lässt ihn mit Wein füllen und fordert Rosamunde auf, »mit ihrem Vater« seinen Sieg zu feiern. Vergebens hat sie gehofft, dass er seinen barbarischen Atavismus überwunden hat. Als sie sich schaudernd abwendet, zwingt er sie, aus dem Schädel zu trinken. Halb ohnmächtig verlässt Rosamunde das Fest …

Dramatis personae

Rosamunde, Königin der Langobarden

Alboin, König der Langobarden

Helmichis, sein Vetter und Schildträger

Albsvinda, Tochter Alboins aus erster Ehe

Peredeo, langobardischer Kriegsheld

Raunhild, Gepidin, Verwandte der Königin

Zaban, Herzog der Langobarden

Cleph, Herzog der Langobarden

Calvina, Zofe Rosamundes, Geliebte des Peredeo

Zuchilo, Vertrauter Peredeos

Arichis, Kommandant der Leibwache

Lopichis, Mundschenk

Julianus, Bischof

Gellios, griechischer Gelehrter

Munolf, Gepide, Kaufmann und Schiffsherr

Taso, Sohn eines langobardischen Herzogs

Kapitel 1

Mein Name ist Gellios.

Vor zwei Jahren hat es mich unvermutet nach Konstantinopel verschlagen, in die alte Kaiserstadt, die früher Byzanz hieß. Man brachte mich mit den Leuten hierher, die zum Gefolge der Königin Rosamunde gehört hatten. Der Statthalter des Kaisers in Italien, Longinus, schickte auch den Schatz der Langobarden mit, was sehr dazu beitrug, dass wir freundlich empfangen wurden.

Danach kümmerte man sich nicht mehr um uns. Nur wer für die byzantinische Politik von Interesse war, zum Beispiel Rosamundes Stieftochter Albsvinda, die Tochter des großen Alboin, blieb am Hofe. Wir anderen, mit geringen Mitteln versehen, machten uns auf, um in der lärmenden Weltstadt unser Glück zu suchen. Nur wenigen bin ich wiederbegegnet, sie schlagen sich irgendwie durch. Ich selber, der ich Rosamundes Lehrer und Ratgeber war, habe es hier auch nicht mehr weit gebracht. Ich verdiene als alter Mann mein Brot, indem ich den Kindern wohlhabender Leute die lateinische Sprache und Grundkenntnisse in griechischer Literatur und in den Wissenschaften beibringe.

Eigentlich lebe ich nur in meinen Erinnerungen. Manches habe ich schon mitgeteilt, doch musste ich Atem holen, bevor ich nun fortfahre. Auch jetzt fällt es mir nicht leicht, den Faden weiterzuspinnen. Ich frage mich immer wieder, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte.

Zweifellos gab es mehrere Ursachen. Die wesentlichste war aber wohl die verhängnisvolle Liebe Rosamundes zu ihrem Gemahl, dem König Alboin. Wie ein Schatten lag diese Liebe über ihrem Schicksal, ein Schatten, der immer länger wurde und sie nicht freigab, als sie zum Schluss aus ihm heraustreten wollte, in eine neue, unbelastete Zukunft. Damals, nach unserer Flucht aus der langobardischen Hauptstadt Verona, hätte sich vielleicht noch einmal alles zum Guten wenden können. Doch die Tragödie nahm ihren Lauf.

Ich will nicht verhehlen, dass ich parteiisch bin. Ich liebte die Königin, die ich schon kannte, als sie ein kleines Kind war. An ihrer Erziehung und Bildung hatte ich keinen geringen Anteil. Später gehörte ich zu ihrem Hofstaat und diente ihr nach Kräften. Sie war eine außerordentlich schöne Frau, groß und schlank, mit feinen, edlen Gesichtszügen und flammend roten Haaren. Sie war klug und empfindsam, konnte aber ebenso willensstark und tatkräftig sein. Unter anderen Bedingungen hätte sie, glaube ich, eine Königin werden können, von der die Geschichtsschreiber, die im Allgemeinen nur dem Wirken der Männer Beachtung schenken, manches Bedeutsame zu berichten gehabt hätten.

Stattdessen werden sie Rosamunde eine ruchlose Mörderin nennen – grausam, unbarmherzig und rachsüchtig. Nur ihrer Untaten wegen wird sie Erwähnung finden und damit für immer gezeichnet sein. Ich kann nicht leugnen, was sie getan hat, und doch bin ich außerstande, sie zu verurteilen.

Sie lebte in einer brutalen Welt, in den Zeiten der großen Wanderbewegung der Völker, die nun hoffentlich zu einem Ende kommt. Bevor sie die Taten verübte, die ihr Bild für immer trüben werden, wurde sie Zeugin unvorstellbarer Greuel und selbst Opfer zügelloser Gewalt. Dass sie sich schließlich wehrte und zum Racheschwert griff, nachdem sie lange gezögert hatte, ist deshalb nicht nur ihrem Charakter anzulasten, in dem auch, wie ich zugeben will, Stolz, Machtbewusstsein und ein gewisser Hang zur Maßlosigkeit ausgeprägt waren.

Sie war ein Kind ihrer Zeit – und, wahrhaftig, es war keine gute Zeit.

Ja, es waren düstere Jahre, in denen sie aufwuchs und schließlich ihre hohe Stellung gewann. Als reisender Gelehrter gelangte ich an den Hof ihres Großvaters, des Königs der Gepiden, dem ich lange als Ratgeber diente. Schon damals gab es Grenzgefechte mit den benachbarten Langobarden, doch der Krieg brach erst richtig aus, als Kunimund, Rosamundes Vater, König geworden war. Zwischen ihm und dem Langobardenkönig Alboin herrschte auch persönliche Feindschaft, weil dieser in einem der erwähnten Gefechte Kunimunds Bruder erschlagen hatte. Wir Friedfertigen am Gepidenhof suchten vergebens, das Unheil abzuwenden – es kam zur Schlacht und zum Zusammenbruch. Die Gepiden, ein den Goten verwandter Germanenstamm, wurden geschlagen und völlig aufgerieben.

Alboin tötete König Kunimund mit eigener Hand und ließ sich aus seinem Schädel – einen Trinkpokal machen. Die gefangene Rosamunde aber musste fortan mit ihm das Bett teilen. Er machte sie allerdings nicht nur zu seiner Geliebten, sondern erhob sie zu seiner rechtmäßigen Gemahlin. Sie wurde Königin der Langobarden.

Das war im Jahre des Herrn 567. Auch ich geriet in Gefangenschaft, hatte aber das Glück, in der Umgebung der Königin bleiben zu dürfen. Zum Klagen und Trauern blieb wenig Zeit, bald rissen uns neue Ereignisse mit. In einem kühnen Eroberungszug führte Alboin sein Volk nach Italien, wo er innerhalb kürzester Zeit die byzantinische Herrschaft fast vollständig niederrang. Regierungssitz wurde die alte Theoderichsburg in Verona. Hier nun ließ Rosamunde sich nieder, und hier verlebte sie, wie mir schien, ein paar glückliche Jahre.

Plötzlich aber endete alles. Wie überraschend kam es zu diesem Skandal, und mit welcher Folgerichtigkeit entwickelte sich daraus das Drama!

Alboin hatte sich nach Verona begeben, um seinen letzten großen Sieg zu feiern. Pavia, die einzige der belagerten Städte, die längeren, ernsthaften Widerstand geleistet hatte, war endlich im Frühjahr 572 gefallen. Mit Ausnahme Roms, Ravennas und einiger Küstenstädte befand sich jetzt ganz Italien in langobardischer Hand. Der König war mächtig wie nie zuvor, es schien nichts mehr zu geben, was ihn aufhalten konnte, und niemanden mehr, vor dem er Respekt haben musste. In seinem frevelhaften Übermut verlor er in jener Nacht jedes Maß. Nie werde ich das grausigste, ekelhafteste aller Siegesgelage vergessen, dessen Folgen nicht auf sich warten ließen.

Doch ich habe nur meine Erinnerungen, die ich wiedergebe, wie sie mir in den Sinn kommen. In dem schmalen Blickfeld, das ich hatte, konnte ich natürlich nicht alles wahrnehmen, was die handelnden Personen bewegte und was sie zu ihren Taten veranlasste. Ich wünsche mir oft, dass ein Schriftsteller diese Geschichte, in der ich selbst nur eine Randfigur bin, ausführlich erzählte und dass ich Gelegenheit hätte, beim Lesen noch einmal alles nachzuerleben. Dann, denke ich, müsste mir manches klarer werden, und viele Fragen, die mich noch immer bewegen, erhielten eine Antwort. Vielleicht würde eine gründliche Darstellung aller Vorgänge nach jener schrecklichen Siegesfeier auch meiner geliebten Königin Rosamunde mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Beginnen müsste der Autor mit dem schweren Erwachen am Morgen danach …

Kapitel 2

»Alboin!«

Von sehr weit her drang der Ruf an das Ohr des Königs. Aus welcher Richtung er kam, war nicht genau auszumachen. Der König strengte sich an, den Kopf zu heben, gab es aber gleich wieder auf. Den scharfen Schmerz, der sein Hirn durchzuckte, konnte ein wohlgezielter Schwerthieb verursacht haben. Wurde ihm gerade der Garaus gemacht? Aber er erinnerte sich nicht, in einen Kampf gezogen zu sein. Es war auch ringsum merkwürdig still, weder Waffengeklirr noch Geschrei war zu hören, nur ein dumpfes Rauschen und Murmeln. Es war wohl schon alles zu Ende, und er hatte den Tod erlitten. Gleich würden Walküren zu ihm herabsteigen, ihn mit ihren starken Armen aufheben, ihn an ihre gepanzerten Brüste drücken und zu Wotan hinauftragen.

»Alboin!«

Diesmal war die Stimme ganz nahe. Ohne Zweifel, sie kam von oben. Aber es war keine göttliche Donnerstimme, sondern der rauhe, etwas heisere Bass eines Mannes, der ihm bekannt war. Wie war sein Name? Der König unternahm eine weitere Anstrengung, indem er versuchte, die Augen zu öffnen. Kaum aber hatte er nur ein wenig die Lider gehoben, schoss grelles Licht durch die schmalen Schlitze, und wieder zuckte der Schmerz. Er kniff die Augen zusammen und stöhnte.

»Wach auf, König, da ist ein Bote gekommen. Aus Forojuli. Es ist wichtig.«

Jetzt erkannte er die Stimme. Es war Peredeo, der Kommandant seiner Leibwache. Der wollte ihn wecken, also schlief er nur, also träumte er. Es musste aber schon heller Tag sein. Ein Bote aus Forojuli, von Herzog Gisulf, seinem Neffen?

Der König hob eine Hand und legte sie auf die Augen. Dann versuchte er nochmals, sie zu öffnen. Diesmal gelang es ohne den stechenden Schmerz, wenn auch mühsam. Er spähte zwischen den Fingern hindurch auf ein Gestrüpp von braunen und grauen Haaren, unter denen rissige Lippen und lange, starke Zähne hervorlugten. Eine Atemwolke traf ihn, die nach Zwiebel und Schafskäse roch.

»Komm zu dir! Ein Bote. Du musst ihn anhören!«

Der König stieß zuerst ein paar krächzende Laute aus, dann brachte er die ersten Worte hervor. »Wein … ich will Wein!«

Kaum war dies ausgesprochen, spürte er schon den metallenen Rand eines Bechers am Munde und auf der Zunge die kühle Flüssigkeit. Man hatte den Wiederbelebungstrank also gleich mitgebracht an sein Lager. Das geschah immer nach einem schweren Rausch, wenn wenig Hoffnung bestand, ihn anders wach zu bekommen. Der Wein war mit irgendwelchen Kräutern gewürzt, die ein Prickeln auf der brettharten Zunge bewirkten. Wohltuend floss er durch die Kehle. Nach ein paar Schlucken wagte der König, die Hand von den Augen zu nehmen und blinzelnd um sich zu blicken.

Er war nicht im ehelichen Schlafgemach. Das befand sich im Südflügel des Palastes, dies aber war die kleine Empfangshalle im Nordflügel. Er erinnerte sich nicht mehr, wie er hierhergekommen war. Man hatte ihn wohl, wie schon des Öfteren nach einem ausgedehnten Gelage, heraufgetragen und auf eine der Polsterbänke gebettet, die zu beiden Seiten des hohen, geschnitzten Armstuhls, auf dem er bei Empfängen zu thronen pflegte, aufgestellt waren. Als er an sich herabblickte, stellte er fest, dass er noch fast vollständig bekleidet war. Allerdings war seine seidene, golddurchwirkte Festtunika befleckt und beschmutzt, und einer der Ärmel war halb abgerissen. Von den Knien, wo sie befestigt waren, hingen die Wadenbinden aufgelöst herab. Nur einer der Füße war beschuht, der andere nackt. Der Gürtel mit den tauschierten Eisenbeschlägen lag neben der Bank auf dem Boden.

»Die wievielte Stunde haben wir?«

»Die sechste«, sagte Peredeo. »Mittagszeit. Willst du die Botschaft nun hören?«

Der Kommandant der königlichen Leibwache hatte sich wieder aufgerichtet und Lopichis, dem Schenken, Platz gemacht. Dieser stand vorgebeugt neben der Bank, um dem König den Morgentrunk einzuflößen, nach einem besonderen Rezept zum Erwachen nach einer Zecherei von ihm selber gemischt. Der riesenhafte Peredeo mit dem wettergebräunten Jungengesicht schob mürrisch ein schmales, behelmtes Männchen nach vorn, das sich mehrmals vor dem König verneigte.

Alboin ergriff selbst den Becher, trank den Rest und richtete sich mit Hilfe des Schenken so weit auf, dass er, die rechte Hand auf das Polster gestützt, eine halb sitzende, halb liegende Stellung einnahm.

»Was gibt es bei euch in Forojuli?«

»Großer König, der Herzog Gisulf und die edlen Häupter der Faren in Venetia entbieten dir zunächst ihren Gruß und beglückwünschen dich zur Einnahme von Pavia, mit der du die Unbesiegbarkeit der langobardischen Waffen wieder einmal bewiesen hast und …«

»Zum Teufel! Was ist geschehen?«

Die aufrechte Haltung fiel dem König noch schwer. Ihm war, als müsste sein Kopf jeden Augenblick vom Rumpf fliegen und zerspringen.

Der schmächtige Bote, durch die in harschem Ton gestellte Frage aus der Fassung gebracht, begann stockend und weitschweifig von einem Überfall des benachbarten Nomadenvolks der Awaren auf eine kleine Festung im Norden Forojulis zu berichten.

Alboin hörte bald nicht mehr zu. Sein Blick schweifte ab und blieb an dem Thronsessel hängen, auf dessen Sitz ein Gebilde lag, das ihn sowohl an etwas Angenehmes als auch an etwas sehr Ärgerliches erinnerte, ohne dass er gleich wusste, warum. Es ähnelte einem Kranz vom Ölbaum, war aber aus Gold, mit ebenso länglichen, glatten Blättern.

Der König sah Peredeo an, als erwartete er Aufklärung, doch der blickte unverwandt mit finsterer Aufmerksamkeit auf den Boten. Alboin schloss die Augen und versuchte, selbst eine Erklärung zu finden. Was hatte es auf sich mit diesem Kranz? Wie war er in seinen Besitz gelangt?

Im nächsten Augenblick fiel es ihm ein. Die Erinnerung überkam ihn so heftig, dass er sich an die Stirn griff und aufstöhnte. Als er Lopichis gleich darauf durchdringend anstarrte, wich dieser erschrocken zwei Schritte zurück. Der Bote des Herzogs schwieg verwirrt.

Alboin sprang auf die Beine. Die rasche Bewegung ließ ihn schwindeln, und er hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. Indem er den Boten, der ihm im Wege stand, wegstieß, taumelte er auf den Armstuhl zu. Er nahm den Goldkranz, betrachtete ihn von allen Seiten, und plötzlich schleuderte er ihn mit einer Geste des Abscheus in eine Ecke der Halle. Dann ließ er sich in den Armstuhl sinken.

»Warum hörst du denn auf? Ist das schon alles? Sprich weiter! Warum hat mein Neffe dich hergeschickt?«

Der Abgesandte aus Forojuli suchte nach Worten, fand aber keine. Er blickte furchtsam auf den Herrscher, der vor ihm saß und ihn missgünstig ansah, den Kopf mit den wirren grauen Haaren zwischen die Schultern gezogen, das Bein mit dem nackten Fuß weit von sich gestreckt.

Peredeo glaubte, es sei an der Zeit, dem Mann zu Hilfe zu kommen. »Hältst du es für eine Kleinigkeit, dass man eine unserer Festungen plündert und viele Bewohner fortschleppt?«

Den König, den der Bericht kaum interessiert hatte, reizte der Tadel in der Frage des Gefolgsmannes.

»Was geschehen ist, kann man nicht ändern«, knurrte er. »Deshalb musstest du nicht meine Ruhe stören.«

»Du selber hast den Befehl erteilt, dir alles, was wichtig ist, unverzüglich zu melden«, sagte der Riese mit störrischem Gleichmut. »Dies hielt ich für wichtig!«

»Nun gut.« Die gequälte Miene des Königs verzog sich zu einem bösen Lächeln. »Wenn es wirklich so wichtig ist, dann wollen wir uns der Sache annehmen. Was schlägst du vor, Peredeo?«

»Schicke zwei Hundertschaften unter der Führung eines fähigen Mannes, der uns die Festung wieder sicher macht.«

»Ein guter Vorschlag. Ein ausgezeichneter Vorschlag! Nimm die frisch ausgebildeten Hilfstruppen. Sarmaten, Pannonier, Sueben … Ich selbst habe diesem Gesindel so viel Zucht beigebracht, dass es einigermaßen brauchbar sein wird. Nimm aber als Unterführer eigene Leute. Und mach dich heute noch auf den Weg!«

»Ich, König?«, rief Peredeo.

»Ich kenne niemanden, der fähiger wäre und der im Festungskrieg mehr Erfahrung hat. Wem soll ich die Sicherheit der Grenze anvertrauen, wenn nicht einem wie dir? Ich ernenne dich zum Festungskommandanten.«

»In einem Gebirgsnest? Mich? Und unter Gisulf, deinem Neffen, der noch in die Windeln schiss, als ich im Kampf bereits Wunden empfing?«

»Ich halte euch beide für vernünftig … jedenfalls so vernünftig, dass euch der Unterschied von Alter und Rang nicht entzweien wird.«

»Eine Herabsetzung wäre das! Schnöder Undank! Ich, der Anführer deiner Leibwache …«

»Ein Mann der Tat braucht von Zeit zu Zeit neue Aufgaben, neue Ziele. Arichis wird an deine Stelle treten …«

»So kannst du nicht mit mir umspringen, König! Meine Kriegerehre gibt mir das Recht …«

»Meine Königswürde gibt mir das größere Recht!«

Das Wortgefecht hatte Alboin angestrengt. Jede heftige Entgegnung dröhnte in seinem Kopf nach und versetzte ihm Nadelstiche an Stirn und Schläfen. Er bereute ein wenig, dem Einfall gleich nachgegeben zu haben, der ihm plötzlich gekommen war, als ihm Peredeo widersprach. Zwar hatte er vorgehabt, den prahlerischen, Unruhe stiftenden Herkules aus seiner Umgebung zu entfernen und ihn möglichst weit fortzuschicken, doch der Augenblick war schlecht gewählt. Er hatte sich von seiner Missstimmung hinreißen lassen. Musste Peredeo aber auch diesen Mann aus Forojuli hereinführen, damit er den König in seinem elenden Zustand sah? Sollte der etwa nach seiner Rückkehr in Venetien verbreiten, dass der große Alboin, der Eroberer Italiens, nur noch ein Wrack, ein heruntergekommener Säufer war? Das sähe Peredeo ähnlich, das würde manchem anderen zupasskommen.

Den König marterte der Gedanke, was jetzt wohl für Schauergeschichten über ihn im Umlauf sein mochten. Es waren ja auf dem Fest über tausend Gäste zugegen gewesen, die alles gesehen, alles miterlebt hatten. Er entsann sich verschiedener Einzelheiten, wenngleich ein paar Glieder der Kette fehlten. Bizarre Bilder erschienen und verschwanden, Fragen bohrten hinter der schmerzenden Stirn.

Einen Augenblick hielt er sich bei dem sinnlosen Einfall auf, mit einem königlichen Machtwort alles Gerede zu verbieten. Dann wieder glaubte er auf einmal, die ganze Geschichte nur geträumt zu haben. Doch ein Blick in die Ecke der kleinen Empfangshalle machte diese Hoffnung zunichte. Da lag der verfluchte goldene Kranz …

Wieder hörte er kaum zu, als diesmal Peredeo zu ihm sprach, mit polterndem Zorn. Der Gefolgsmann, die Schwäche des Königs ausnutzend, konnte den Unmut, der sich in ihm gestaut hatte, nicht mehr zurückhalten. Erst tags zuvor hatte er hinnehmen müssen, dass Alboin eine Zusage, auf die er seine ganze Zukunft gebaut hatte, nicht mehr einzuhalten bereit war. Peredeo hatte gehofft, als Lohn für seine Verdienste ein Herzogtum zu bekommen und damit in das Häuflein der Mächtigen des Langobardenreichs aufgenommen zu werden. Spoleto war noch nicht vergeben, doch auch ein anderes wäre ihm recht gewesen. Unter Ausflüchten hatte der König aber am Vortage sein Versprechen zurückgenommen, womit er dem empfindlichen, sechseinhalb Fuß hohen Helden nicht nur die Siegesfeier verdorben hatte. Und jetzt sollte Peredeo auch noch seinen gegenwärtigen Posten, den des Kommandanten der Leibwache, aufgeben, um in eine Wildnis zu gehen. Seine Empörung war grenzenlos.

Er hielt Alboin vor, einem seiner ältesten Mitstreiter die Gunst zu entziehen, der hundertmal für ihn sein Leben gewagt habe. Kaum dem Knabenalter entwachsen, habe er in der Gefolgschaft des Prinzen, später des Königs Dienst getan, und niemals habe er sich geschont. In Schlachten sei er stets in der vordersten Reihe der Kämpfer gewesen, ebenso immer unter den Ersten, die feindliche Festungsmauern erklommen. Es gebe keinen Ort in Italien, bei dessen Belagerung und Erstürmung er sich nicht hervorgetan habe.

»Die Sänger haben mich in ihren Liedern gepriesen!«, grollte er. »Mein Ruhm ist schon zu den Goten, Franken und Sachsen gedrungen. Von den Römern und Byzantinern zu schweigen. Kommt ein Fremder und fragt einen unserer Stammesgenossen: Wer ist bei euch der Kühnste und Stärkste? Dann erhält er die Antwort: Peredeo! Und fragt er den Nächsten: Peredeo! Und einen Dritten: Peredeo! Alle singen das Lob Peredeos. Nur einem gefällt das nicht: König Alboin. Er schickt seinen besten Mann in die Wälder!«

»Wenn auch die Awaren deinen Ruhm singen«, sagte der leidende König spöttisch, »bist du der Richtige, um sie abzuschrecken. Oder solltest du ihnen unbekannt sein?«

»Du machst dich über mich lustig. Doch du verrätst nur deine Eifersucht. Ich stehe dir in der Sonne, ich verdunkle deinen eigenen Ruhm. Du willst mich loswerden!«

»Ich will nur, dass die Sänger nicht verstummen. Deshalb verschaffe ich dir Gelegenheit, neue Taten zu vollbringen.«

»Das könnte ich auch als Herzog tun!«

»Dazu brauchst du aber außer Mut und Kraft noch Verstand.«

»An meinem Verstand scheinst du nicht gezweifelt zu haben, als du mir Spoleto versprachst.«

»Ich glaubte, du würdest Spaß verstehen. Aber du Dummkopf hast mich ernst genommen und, wie ich höre, schon mit deiner neuen Würde geprahlt. Um einer Frau zu gefallen!«

Peredeo wurde dunkelrot. Einen Augenblick suchte er nach Worten. Dann trat er zwei Schritte vor, streckte den Arm gegen Alboin aus und schrie: »Wie recht du hast, ich gestehe es! Ja, es ist wahr, dass ich ihr ein solches Versprechen machte. Denn ich wünsche mir, dass sie meine Gemahlin wird, damit ich sie erheben und ihr Ehre erweisen kann. Niemals könnte ich sie misshandeln, erniedrigen und sie vor tausend Festgästen zu einer Schändlichkeit zwingen!«

Die letzten Worte trafen den König wie Keulenschläge. Nun war die Bestätigung da, dass er nicht geträumt hatte, dass auch das Schlimmste kein Zerrbild des Trinkerwahns, sondern tatsächlich geschehen war. Er wusste Peredeo nichts zu erwidern und starrte ihn nur abwesend an.

Der entlassene Kommandant der Leibwache ließ den anklagend vorgestreckten Arm langsam sinken und bereute gleich darauf seine Heftigkeit. Noch nie hatte er so zu seinem Gefolgsherrn gesprochen. Verwirrt wandte er sich ab und bemerkte erst jetzt, dass außer den beiden vorherigen noch drei weitere Zeugen alles mit angehört hatten. Zwei Herzöge und ein Verwandter des Königs waren unbemerkt in die Halle getreten.

Peredeo machte dem immer noch reglosen Alboin eine Verbeugung und ging, die drei verlegen grüßend, mit steifen Schritten hinaus. Der Mann aus Forojuli beeilte sich, ihm zu folgen.

Der Schenk gab den Herren zu verstehen, dass der König noch Schonung brauchte, und zog sich dann ebenfalls zurück.

***

Die drei Männer traten näher und verneigten sich vor dem obersten Langobarden.

Cleph und Zaban waren gekommen, weil sie nach längerem Aufenthalt am Hof in Verona um Abschied bitten und sich zurück in ihre Herrschaftsgebiete begeben wollten. Von dem Dritten, Helmichis, einem Milchbruder und Vetter Alboins, der dem König als Schildträger diente und jederzeit Zutritt zu ihm hatte, waren sie an den Wachen vorbei hereingeführt worden.