Über dieses Buch:
Wer alles riskiert, muss auf das Schlimmste gefasst sein. Und doch hegt Rosamunde, Königin der Langobarden, Hoffnung: Sie hat Rache genommen an ihrem Mann, der nun im Grabe liegt – jetzt wird es ihr gelingen, die Zügel der Macht selbst in die Hände zu nehmen. Um ein Auseinanderbrechen des Reiches zu verhindern, macht sie den Vetter des toten Königs zu ihrem Gemahl. Sieben Tage lang soll gefeiert werden. Aber schon nach dem fünften zeigt sich, dass Rosamundes Plan zum Scheitern verurteilt ist. Eine Frau, die regiert? Ein Frevel für die Fürsten der Langobarden! Und schneller, als sie es selbst in ihren dunkelsten Stunden für möglich gehalten hätte, steht Rosamunde mit dem Rücken zur Wand …
Über den Autor:
Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.
Das vorliegende eBook ist Teil der Tetralogie ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN
Erster Roman: Der Waffensohn; Zweiter Roman: Der Pokal des Alboin; Dritter Roman: Die Verschwörung; Vierter Roman: Die Tragödie von Ravenna
Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits den Roman XANTHIPPE – Die Frau des Sokrates und zwei historische Romanserien:
ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN
Erster Roman: Demetrias Rache; Zweiter Roman: Saxnot stirbt nie; Dritter Roman: Pater Diabolus; Vierter Roman: Die Witwe; Fünfter Roman: Pilger und Mörder; Sechster Roman: Tödliche Brautnacht
DIE MEROWINGER
Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums; Zweiter Roman: Schwerter der Barbaren; Dritter Roman: Familiengruft; Vierter Roman: Zorn der Götter; Fünfter Roman: Chlodwigs Vermächtnis; Sechster Roman: Tödliches Erbe; Siebter Roman: Dritte Flucht; Achter Roman: Mörderpaar; Neunter Roman: Zwei Todfeindinnen; Zehnter Roman: Die Liebenden von Rouen; Elfter Roman: Der Heimatlose; Zwölfter Roman: Rebellion der Nonnen; Dreizehnter Roman: Die Treulosen
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Überarbeitete Neuausgabe März 2014
Die vierteilige Serie ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN beruht auf den Büchern Rosamunde – Königin der Langobarden und Die Mörderin Rosamunde – Königin der Langobarden, die 1998 als Wunderlich-Taschenbuch im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen. Für die Neuausgabe wurde der Text vom Autor durchgesehen, erweitert und bearbeitet.
Copyright © der Originalausgabe 1998 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München
ISBN 978-3-95824-028-5
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Robert Gordian
ROSAMUNDE
Königin der Langobarden
Vierter Roman
Die Tragödie von Ravenna
dotbooks.
Im sechsten Jahrhundert nach Christus siedeln an der mittleren Donau die Gepiden, den Goten verwandte Ostgermanen. Sie werden bedrängt von den Langobarden, die in den Stürmen der Völkerwanderung ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete an der unteren Elbe verlassen haben und nach Süden gezogen sind. Nach der Schlacht auf dem Asfeld im Jahre 552 wird zunächst ein Friedensvertrag geschlossen, doch kommt es immer wieder zu Spannungen.
Erst als Alboin, der Sohn des Langobardenkönigs Audoin, überraschend den Hof der Gepiden besucht, scheint eine längere Friedenszeit zwischen den Stämmen anzubrechen: Alboin bittet König Turisind, ihn als »Waffensohn« anzunehmen, damit er – wie es der Brauch seines Volkes vorsieht – von einem fremden Herrscher geehrt an der Tafel seines Vaters, des Königs Audoin, einen Platz einnehmen darf. Trotz anfangs starker Bedenken erfüllt Turisind die Bitte des früheren Feindes und überreicht ihm zeremoniell ein Schwert – eine Geste, die er als Versöhnung versteht, die aber von mächtigen Männern seiner Umgebung missbilligt wird. Angeführt wird diese Gruppe von Kunimund, Turisinds Sohn, der Alboin des Mordes an seinem Bruder Turismod beschuldigt. Teilnehmer jener Schlacht auf dem Asfeld wollen jedoch gesehen haben, dass Turismod im ehrlichen Kampf mit Alboin fiel.
Nur mühsam kann Kunimund seine Rachegelüste verbergen, er hetzt zum Überfall auf Alboin und provoziert einen gefährlichen Zwischenfall, doch Turisind schützt seinen Gast. Eine Entscheidung zwischen den beiden Widersachern muss fallen, wird aber aufgeschoben.
Zum Ärger seiner Gegner gewinnt der freundliche, leutselige, im männlichen Wettstreit allen überlegene Alboin auch Sympathien unter den Gepiden. Die Witwe des angeblich von ihm Ermordeten, Raunhild, kann ihn nicht länger hassen. Sie beginnt, ihn zu bewundern, und wird seine Geliebte. Der siebenjährigen Rosamunde, Kunimunds Tochter, erscheint Alboin wie ein Märchenprinz aus einer fremden Welt. Die kleine, lebhafte, phantasiebegabte Prinzessin verliebt sich in ihn und erträumt sich eine Zukunft als Königin an seiner Seite. Doch auch Raunhild hofft, dass er Brautwerber schicken werde – vergeblich.
Acht Jahre vergehen, und noch immer herrscht Frieden zwischen den benachbarten Germanenstämmen. Doch fast gleichzeitig sterben die beiden alten Könige, die alles getan haben, um Konflikte zu entschärfen. Nun gelangen ihre Söhne an die Herrschaft – und ein neuer Krieg ist nicht mehr zu vermeiden. König Alboin verfolgt noch immer den Plan, das Gebiet der Gepiden zu erobern; König Kunimund hat nun endlich die Macht, mit einem Kriegszug Vergeltung zu üben. Beide sinnen auf die Vernichtung des Feindes.
Rosamunde, inzwischen zu einer bewunderten Schönheit und klugen Ratgeberin ihres Vaters herangewachsen, hat Alboin nicht vergessen und versucht, im letzten Augenblick noch einmal Frieden zu stiften. Sie hofft auf ein Treffen mit dem König der Langobarden, dessen fränkische Gemahlin gestorben ist. Ihr heimlicher Wunsch, durch eine Heirat das Glück zu finden, den Krieg zu verhindern und damit zwei Völkern unsägliches Leid zu ersparen, geht jedoch nicht in Erfüllung: Ihr Vater und Alboins Abgesandte verabreden, wie unter Germanen üblich, Ort und Zeit für die Entscheidungsschlacht. Kunimund befiehlt seiner Tochter, sich derweil in der Festung Sirmium in Sicherheit zu bringen, doch sie täuscht ihn und folgt dem Heer. Im Tross versteckt, wird sie Augenzeugin der Katastrophe.
Die Gepiden geraten in eine Falle, werden geschlagen und vollkommen aufgerieben. Die Schlacht des Jahres 567 ist der letzte Auftritt dieses Germanenstammes, der damit aus der Geschichte verschwindet. Als Gefangene muss Rosamunde erleben, wie ihr Vater vom Sieger Alboin vor dem versammelten Kriegsvolk verhört und gedemütigt wird. Aufgefordert, um sein Leben zu bitten, gibt Kunimund eine stolze Antwort und schleudert Anklagen gegen den »Mörder«. Alboin, der sich zunächst mit einem Unterwerfungsakt seines Feindes begnügen wollte, kennt nun keine Gnade mehr. Mit eigener Hand tötet er Kunimund und befiehlt, aus dessen abgeschlagenem Kopf eine Trinkschale zu machen. Als die verzweifelte Rosamunde verlangt, auch sie zu töten, lässt er sie in sein Zelt bringen und nimmt sein Siegerrecht wahr. Unverhofft bietet sich ihr so die Gelegenheit, mit einem Dolchstoß den Mord an ihrem Vater zu rächen. Doch im Widerstreit ihrer Gefühle zwischen Liebe und Hass kann sie sich nicht zu der Tat entschließen.
Der Sieg über die Gepiden hat Alboin und den Langobarden Mut gemacht, ein noch größeres Unternehmen zu wagen: Im Jahre 568 ziehen sie über die Alpen und unterwerfen in den folgenden Jahren fast ganz Norditalien. Die Burg von Verona wird zur Residenz des Germanenkönigs – und seiner Königin: Rosamunde. Unter grausigen Umständen ist ihre Hoffnung doch noch in Erfüllung gegangen – er hat sie geheiratet. Auch von seiner Seite muss es Liebe sein, denn diese Heirat bringt ihm sonst keinen Vorteil. Rosamunde ist nur eine arme Gefangene, ihr Land hat er erobert, ihr Volk vernichtet, den Schatz der Gepiden hat ein Verräter dem byzantinischen Kaiser gebracht.
Trotz allem verlebt die Königin in Verona eine glückliche Zeit. Die Schatten der Vergangenheit verblassen allmählich. Sie verzeiht und will vergessen.
Im Juni 572 kehrt der König der Langobarden von einem letzten Eroberungszug in Italien zurück. Drei Jahre hatte die Stadt Pavia widerstanden, nun haben sich ihre tapferen Verteidiger ergeben. In einer pompösen Feier im Palast von Verona wird die endgültige Niederlage der Byzantiner bejubelt. Auf dem Höhepunkt lässt sich der siegestrunkene Alboin eine Trinkschale bringen, die er sonst vor seiner Gemahlin versteckt hält: den aus dem Haupt des Kunimund gefertigten Pokal. Er lässt ihn mit Wein füllen und fordert Rosamunde auf, »mit ihrem Vater« seinen Sieg zu feiern. Vergebens hat sie gehofft, dass er seinen barbarischen Atavismus überwunden hat. Als sie sich schaudernd abwendet, zwingt er sie, aus dem Schädel zu trinken. Damit ist alles wieder aufgerührt, was sie vergessen wollte.
Rosamundes Liebe zu Alboin schlägt in Hass um, sie sieht sich zur Blutrache verpflichtet. Kalt und zielstrebig plant sie nun seine Ermordung. Zwei Helfer gewinnt sie dazu: Sie verspricht Alboins neidischem, eifersüchtigem Vetter und »Schildträger« Helmichis, ihn zur Belohnung zu heiraten und für seine Erhebung zum König zu sorgen; den starken Peredeo zwingt sie durch eine infame Täuschung, ihrem Mordbefehl zu gehorchen – als er erkennt, dass er in tiefer Nacht statt mit seiner Geliebten, einer Kammerfrau, mit der Königin selbst das Lager geteilt hat, bleibt ihm keine andere Wahl.
Nach dem Skandal auf der Siegesfeier hat Alboin zunächst reuevoll die Nähe seiner Gemahlin gemieden und sich, zur Sicherung seiner Eroberungen, auf eine Reise begeben. Da erreicht ihn ein Brief Rosamundes, in dem sie ihm verzeiht, ihm ihre ungebrochene Liebe beteuert und ihn sehnsüchtig um schnelle Heimkehr bittet. Erleichtert verliert Alboin keine Zeit und kehrt nach Verona zurück. Rosamunde empfängt ihn scheinbar erfreut im gemeinsamen Schlafgemach … und liefert ihn seinen Mördern aus. Während Helmichis und Peredeo auf ihn eindringen, greift Alboin vergebens nach seinem Schwert: Rosamunde hat es sicher am Bettpfosten festgebunden. Wehrlos wird er erschlagen.
Noch in derselben Nacht senkt man den Leichnam des Königs ins Grab unter der Freitreppe des Palastes. Doch Rosamundes Tat kann nicht folgenlos bleiben …
Rosamunde, Königin der Langobarden
Helmichis, langobardischer Adeliger, Rosamundes zweiter Gemahl
Peredeo, Kommandant der königlichen Gefolgschaft
Arichis, sein Vorgänger
Flavius Longinus, byzantinischer Statthalter in Ravenna
Raunhild, Gepidin, Tante der Königin
Albsvinda, Stieftochter der Königin
Zaban, Herzog der Langobarden
Cleph, Herzog der Langobarden
Willrich, Gote, Marschalk
Munolf, Gepide, Kaufmann und Schiffseigner
Gellios, Grieche, Gelehrter
Taso, junger Adeliger, Sohn eines Herzogs
Zuchilo, Vertrauter des Peredeo
Der plötzliche gewaltsame Tod König Alboins hatte selbst auf mich, Gellios, der ich als Fremder alle diese Vorgänge mit einigem Abstand betrachtete, eine niederschmetternde Wirkung.
Gewiss, der Herrscher der Langobarden war einerseits ein in primitiven Traditionen befangener Barbar, andererseits war er jedoch auch ein Berufener, ein gottbegnadeter, die neue Zeit gestaltender Tatmensch.
Er war, wenn mir das Bild erlaubt ist, ein ebenso kühner wie scharfsichtiger Steuermann, der in den Stürmen der großen Völkerbewegung sein Langobardenschiff auf Rettungskurs hielt und gerade im Begriff war, es durch die letzten Klippen in einen sicheren Hafen zu führen. Nun stand niemand mehr am Steuerruder, und wie viele andere ergriff auch mich das unbehagliche Gefühl, es könnte doch noch Schiffbruch geben.
Hinzu kam, dass ich dem König persönlich nicht gram sein konnte. Er hatte mich meist mit einer gewissen Höflichkeit behandelt und mir Dienste, die ich ihm leistete, stets großzügig gelohnt. Kein Freund der Gelehrsamkeit, sah er jedoch ihren Nutzen ein, und wenn er mich manchmal an seiner Tafel als weltfremden »Kuhhautverderber« (als Verbraucher von Pergament also) verspottete, geschah dies gutherzig, mit freundlicher Nachsicht. Was er meiner geliebten Rosamunde angetan hatte, schmerzte mich sehr, dennoch betrauerte ich ihn als einen großen und ungewöhnlichen Mann und vergoss manche Träne um ihn. Als man ihn unter der Treppe des Palastes ins Grab senkte, stimmte auch ich in das allgemeine Jammern und Klagen ein, und ich hob meine Hände und betete zum allmächtigen Gott, er möge dem Alboin seine guten und bedeutenden Taten gegen die schlimmen aufrechnen und dann zu dem Schluss kommen, dass seine Seele trotz allem den ewigen Frieden verdiente.
Bei der Beerdigung gab es keine Zwischenfälle, doch hinterher kam es noch stundenlang zu Tumulten auf dem Palasthof. Als man den Leichnam auf dem Totenbett durch die Menge getragen hatte, war die schwere Verletzung im Gesicht bemerkt worden, und der Verdacht lebte wieder auf, der König sei anders gestorben, als es Helmichis und Peredeo dargestellt hatten. Arichis und seine Leute warfen den beiden wieder geplanten Meuchelmord vor, und auch die Königin wurde erneut heftig angegriffen. Schließlich kam es sogar zu Tätlichkeiten, und zwei Männer blieben in ihrem Blut liegen. Da griff Peredeo selbst ein, und mit Hilfe seiner Getreuen räumte er den Palasthof. Gegen Abend sammelte Arichis ein Häuflein von etwa dreißig Männern und ritt mit ihnen davon. Die anderen beruhigten sich allmählich, nicht zuletzt, weil Helmichis noch einmal reichlich Gold verteilte. Immerhin blieben von den Leuten der königlichen Gefolgschaft, die nach dem Tode des Gefolgsherrn ihres Eides entbunden waren, mehr als dreihundert.
Rosamunde war nicht nur während der Beisetzung abwesend, man bekam sie auch in den nächsten Tagen und Wochen nicht zu Gesicht. Es hieß, die Trauer hätte sie überwältigt und auf das Krankenbett geworfen. Böse Zungen behaupteten allerdings, dass sie unter ihrem schlechten Gewissen litt und sich nicht in die Öffentlichkeit traute. Ich neige noch heute entschieden zu der ersten Vermutung, obwohl ich inzwischen ja weiß, was wirklich geschehen ist.
Ab Mitte Juli (wir schrieben das Jahr des Herrn 572) empfing die Königin Rosamunde wieder und machte täglich einen Spaziergang. Sie war bleich und abgemagert und hatte dunkle Ringe unter den Augen, zweifellos infolge der durchwachten Nächte. In den ersten Tagen war sie sehr schweigsam, und offensichtlich fiel es ihr schwer, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Sie bat mich, ihr Trauerverse griechischer und römischer Dichter vorzutragen, und ich erinnere mich, dass ihre Tränen flossen, als ich die Worte des Horaz sprach: »Welche Scheu, welches Maß kennt wohl der Sehnsucht Schmerz um ein teures Haupt?«
War das Heuchelei? Ich glaube es nicht. Ich kann es noch immer nicht glauben.
Gegen Ende des Monats Juli, als die Sommerhitze ihren Höhepunkt erreichte, war die Stimmung im Palast von Verona auf dem Tiefpunkt.
Was sollte nun werden? Es herrschte lähmende Ratlosigkeit. In der Gefolgschaft kam es zu endlosen Auseinandersetzungen über die Nachfolge Alboins. Helmichis versuchte weiterhin, die Anführer und die Einflussreichen durch Geschenke zu gewinnen, und immer mal wieder schlug Peredeo vor, ihn durch Zuruf zum neuen König zu machen. Aber jedes Mal erhoben sich Stimmen des Protestes, die dieser Versammlung das Recht absprachen, eine solche Entscheidung zu treffen. Nur die »Speerversammlung« aller Langobarden wäre dazu befugt, und ohne Zustimmung der Herzöge könnte ohnehin kein König regieren.
Doch die Herzöge rührten sich nicht. Kein Einziger ließ sich blicken oder schickte eine Botschaft. Dabei konnte es keinen Zweifel geben, dass sie, jeder auf andere Weise, die Nachricht vom Tode des Königs erhalten hatten. Dieses Schweigen, dieses Abwarten war seltsam und bedrohlich.
Ungünstig wirkte sich auch aus, dass die Gerüchte, die sich um Alboins Tod rankten, nicht verstummen wollten. Trotz der am Tage der Tat getroffenen Maßnahmen, von denen ich später erfuhr, kam manches heraus, was der beharrlich wiederholten Darstellung der Beteiligten widersprach. Immer lauter wurden die Vorwürfe gegen die Königin, die man offen der Mittäterschaft, wenn nicht der Urheberschaft an dem Verbrechen bezichtigte. Das befremdliche Schweigen der Herzöge nährte allerlei Ängste – schon war von einem Strafgericht die Rede, das alle treffen würde, die bei den Tätern aushielten.
Fast täglich verschwanden jetzt Leute. Zumeist in kleinen Gruppen von acht bis zehn Mann gingen sie auf und davon. Dass sie sich einem der Herzöge anschließen und zur Begründung für ihre Flucht die haarsträubendsten Geschichten erzählen würden, war anzunehmen. Unter den Zurückbleibenden gab es bald keinerlei Zucht und Ordnung mehr. Nicht einmal die Wachen zogen noch pünktlich auf, ein Häuflein entschlossener Feinde hätte mühelos den Palast erobern können. Regelmäßig machten sich morgens größere Trupps auf den Weg in die Stadt oder das umliegende Land, um abends schwerbeladen zurückzukehren – mit Beutegut.
Es war Rosamunde, die diesem unerträglichen Zustand ein Ende bereitete. Fast über Nacht gewann sie ihre frühere Tatkraft und Entschlussfähigkeit zurück. Sie begriff wohl, dass weder Helmichis noch Peredeo in der Lage waren, die drohende Auflösung der Gefolgschaft zu verhindern. So entschied sie, mit einem energischen, wenn auch, wie viele meinten, überstürzten Schritt dem Unheil entgegenzuwirken.
Sie entschloss sich, Helmichis zu heiraten. Laut und fest erklärte sie, es sei ohne Zweifel im Sinne ihres verstorbenen Gemahls, wenn sie jetzt dessen Vetter, der immer sein engster Vertrauter war, die Hand reiche. Trotz der tragischen Umstände, die zu Alboins Tod führten, an denen Helmichis aber unschuldig sei, sehe sie sich auch verpflichtet, wieder einen Mann aus der Familie der Gausen zu nehmen, der sie ihren königlichen Rang verdanke. Den warnenden Stimmen (darunter der meinen) hielt sie entgegen, es müsse dringend, ja unverzüglich etwas getan werden, um das Königtum zu retten und das noch ungefestigte Reich der Langobarden in Italien vor dem raschen Zerfall zu bewahren. Als ihrem Gemahl werde man Helmichis die Erhebung auf den Thron nicht verweigern.
Und das war der Hauptzweck des Unternehmens: Rosamunde wollte alle langobardischen Großen auf einer prunkvollen Hochzeitsfeier vereinen und hoffte, dass sich die hochgestimmte Festversammlung ganz zwanglos zur Generalversammlung erklären und den so sehnlich erwünschten Akt vollziehen werde.
Kaum war die Entscheidung gefällt, machten sich Boten auf den Weg. Alle Herzöge wurden eingeladen, auch Festungskommandanten und andere Gebieter über kleinere Herrschaftsbereiche. Im Palast herrschte frohe Erwartung. Ganz Verona beteiligte sich an der Vorbereitung. Niemand verließ mehr die Truppe, alle wollten an dem großen Ereignis teilhaben. Sieben Tage lang sollte gefeiert werden.
Es war am fünften Tag der Hochzeitsfeier, gegen Mittag, als Rosamunde ein paar Getreue in ihre Gemächer rufen ließ …
»Sie sollen aufhören! Ich ertrage es nicht mehr!«
Die Königin hielt sich die Ohren zu und verzog das Gesicht, als empfände sie Schmerzen. Im nächsten Augenblick erhob sie sich, raffte ihr langes Übergewand und trat an ein Fenster. Mit gerunzelten Brauen sah sie hinunter auf das lustige Treiben.
Mitten auf dem Palasthof drehten sich Tänzerinnen. Von hauchdünnen Schleiern umweht, hielten sie sich an den Händen und warfen die Beine. Alle Augenblicke erstarrte die ganze Gruppe in einer frechen, aufreizenden Pose. Dann erhob sich jedes Mal freudiges Gejohle aus zahlreichen Männerkehlen, und ein mehrfacher Kreis von Zuschauern rührte die Hände zum Beifall. Den meisten Lärm vollführten jedoch ein paar zerlumpte Musikanten, die die Darbietung mit einer kreischenden Flöte, Zimbeln, Hand- und Fußklappern begleiteten.
»Wer hat dieses Volk hereingeholt? Wer hat das erlaubt?«