Inhalt

  1. Cover
  2. Space Troopers NEXT – Die Serie
  3. Über die Autorin
  4. Impressum
  5. Folge 1 – Neu Terra
  6. Folge 2 – Kalter Entzug
  7. Folge 3 – Ohne Kontakt
  8. Folge 4 – Der Hüter
  9. Folge 5 – Boarding

Space Troopers NEXT – Die Serie

Das Jahr 2136: Die Menschen haben den Krieg gegen die Insekten-Aliens verloren. Die Erde ist verloren, die Menschheit so gut wie ausgelöscht. Die wenigen Überlebenden haben Zuflucht auf dem unwirtlichen Planeten Neu Terra gefunden. Doch die Zukunft der menschlichen Rasse wird zum politischen Spielball verschiedener Spezies. Und in den Tiefen des Weltalls lauert ein alter Feind – bereit zu einem letzten vernichtenden Schlag.

Über die Autorin

P.E. Jones ist das Pseudonym einer deutschen SF-Autorin. Sie wurde 1964 geboren, lebt und arbeitet in der Pfalz. Seit ihrer Kindheit faszinieren sie vor allem Science-Fiction- und Fantasy-Stoffe. Sie ist ein begeisterter Trekkie und besucht die verschiedensten Universen regelmäßig in Rollenspielen.

beBEYOND

P.E. JONES

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Folge 1:
NEU TERRA

beBEYOND

Prolog

Angespannt beugte Mrin sich über den Monitor des Schiffscomputers. Zahlenkolonnen fluteten den Bildschirm.

Zahlen waren gut. Mrin liebte Zahlen. Zahlen waren durchschaubar und verlässlich. Sie waren um so vieles leichter zu verstehen als die Exemplare fremder Spezies.

Und doch brachten die Zahlen Mrin zum Grübeln. Etwas stimmte nicht. Die Zahlen sagten Dinge, die unmöglich waren. Die Zahlen behaupteten, dass ein Sprungtor an einem Ort existierte, wo laut Sprungtorkarte keines eingetragen war.

Nur der mannigfache Feind hatte neue Sprungtore geschaffen. Aber der mannigfache Feind war besiegt worden. Mrin hatte gegen ihn gekämpft – und war gestorben.

Mrin war dankbar, dass die Erinnerungen der Gefallenen nicht Teil des Kollektivs geworden waren. Denn Mrins Erinnerungen mussten freigehalten werden von Gewalt, Tod und Irrtümern. Irrtümer waren der Tod. Und Mrins einziges Ziel war das Überleben.

Mrin musste weitere Zahlen sammeln, um diesen Fehler zu beheben. Dann erst konnte er seine Erinnerungen wieder im Zentralarchiv speichern. Das schuldete er Mrin.

Denn er war Mrin. Sie alle waren Mrin. Und Mrin duldete weder Fehler, noch den Tod.

1. Kapitel

Carl hielt das Motorrad an und stellte einen Fuß am Boden ab. Die batteriebetriebene Maschine lief lautlos. Als das Knirschen erstarb, mit dem die Stollenreifen über den felsigen Grund rollten, war die Stille nahezu vollkommen. Nur der nicht enden wollende, kalte Wind heulte über die schroffen Bergketten aus grauem Stein, die hier und da von dornigen Sträuchern und graugrünen Grasbüscheln unterbrochen wurden. Der Wind zerrte hellblonde Haarsträhnen unter der Kapuze von Carls Hoodie hervor.

Nach einer kleinen Weile begriff Carl, was fehlte: das Summen von Insekten, das Zwitschern von Vögeln, das Rauschen von Blättern im Wind. Dieser Dreckklumpen von einem Planeten war so tot und kalt, wie er sich fühlte. Die Kälte und Leere waren ein Teil von ihm geworden. Die zusammengewürfelte Kleidung, die er übereinander trug, täuschte nur vor, dass er sich vor der Kälte der Umgebung schützen wollte.

Er hauchte in seine froststarren Finger, die aus den abgeschnittenen, dreckigen Handschuhen ragten. Der Anblick der beiden fehlenden Finger seiner linken Hand ließ die Kälte in seinem Innern schneidend werden. Heftig ballte er die Hände und sondierte die Umgebung.

Wenige Meter von ihm entfernt bewegte sich der graue Sand und der handtellergroße Rücken eines gepanzerten Insekts wurde sichtbar. Es hatte starke Ähnlichkeit mit einer Assel. Und wie Asseln tauchten die Viecher überall auf, sogar in der Siedlung. Plötzlich durchschnitt ein hoher Schrei am Himmel die Stille und ein vogelartiger Körper mit ledernen Schwingen stürzte in die Tiefe hinab. Knapp über dem Boden kam er zum Halt und bohrte seine scharfen Klauen in den Rückenpanzer des Insekts. Dann erhob sich das Flugreptil mit einigen Flügelschlägen wieder in die Lüfte. Mit der Beute in seinen Klauen entfernte es sich und verlor sich schließlich im grauen Himmel.

Einmal hatte Carl beobachtet, wie ein Flugreptil von einer Gruppe zweibeiniger Landreptilien, die sie Velos nannten, gerissen wurde. Er wunderte sich, was die Velos gefressen hatten, ehe die Menschen kamen. Denn die Menge an Flugreptilien, die er bisher gesehen hatte, reichte nicht aus, um die vielen Velos zu ernähren. Es musste weitere Beutetiere geben. Beutetiere, die sie nicht kannten und die vielleicht essbar waren. Aber niemand schien ihm zuzuhören, wenn er davon erzählte. Es kümmerte niemanden, obwohl es wichtig sein könnte für ihr Überleben auf diesem Planeten.

Er konnte das verstehen. Es war gut, sich nicht zu kümmern, nichts an sich heranzulassen. Nichts zu fühlen. Niemanden zu lieben. Niemanden zu haben, den man verlieren konnte. Nichts in sich zu tragen, außer grauer Kälte.

Das war auch der Grund, warum er die schwarzen Knollen sammelte. Er würde sie gegen Stardust tauschen. Damit die graue Kälte in ihm nicht schwinden konnte. Damit er nichts fühlen musste. Wenn Stardust doch auch seine Gedanken töten würde! Aber die konnte er nur hier draußen zum Verstummen bringen – wo die anderen Menschen nicht lärmten.

Carls Blick fand hangaufwärts ein Grasbüschel, um das eine Ansammlung dunkler Steine lag. Das konnten welche von den Knollen sein, wegen derer er sich hier den Arsch abfror. Er bockte die Maschine auf, stieg ab und klemmte sich die kurzläufige Schrotflinte unter den linken Arm. Mit langen Schritten erklomm er den Hang. Das graue Geröll gab unter ihm nach. Die kalte Luft biss schmerzhaft in seiner Lunge. Als er das Grasbüschel erreichte, stützte er sich mit den Händen auf seinen Knien ab, um kurz auszuruhen. Tatsächlich! Eine Handvoll der schwarzen Knollen lag auf der Erde verstreut.

Carl sammelte sie auf und stopfte sie in die Taschen seiner Lederjacke, eines der wenigen Kleidungsstücke, das ihm gehörte. Die trotz aller Kälte geringe Wärme seiner Finger genügte, um den Schwefelgeruch aus den Knollen ausdünsten zu lassen. Carl ging jede Wette ein, dass die Knollen letztendlich nur Velo-Scheiße waren.

Aber was juckte es ihn? Solange er die Knollen bei den Vierarmigen gegen Stardust tauschen konnte, würde er auch Scheiße sammeln. Und wozu? Für Wendy und Ben etwa? Das konnte er vielleicht anderen vormachen, aber nicht sich selbst. Es lag ihm nichts an den beiden. Diejenigen, an denen ihm etwas gelegen hatte, waren tot. Diejenige, verbesserte er sich. Der Gedanke glich einer glühenden Nadel in seinem Kopf. Schnell verbannte er ihn.

Die heutige Ausbeute an Knollen war zu gering, um im Tausch die Batterie für das Motorrad neu aufzuladen. Das Tal, das er seit einigen Tagen absuchte, war abgegrast. Er hätte auf seinen Bauch hören und eine andere Route einschlagen sollen. Nun musste er sich einen Weg über die Hügelkette suchen, um ins nächste Tal zu gelangen. Hoffentlich fand er dort mehr von den Knollen, bevor die Dämmerung hereinbrach und ihn dazu zwang, zum Camp zurückzukehren. Denn mit der Dämmerung kamen die Velos – und die liebten Menschenfleisch. Carl glaubte nicht, dass Menschen besser schmeckten als diese Flugreptilien. Aber sie waren mit Sicherheit leichter zu fangen.

Carl blickte sich um. Hinter dem schroffen Hangrücken zu seiner Linken musste ein weiteres Tal liegen. Der Grat senkte sich an einer Stelle ab. Auch waren dort keine großen Felsen auszumachen. Wenn er den Hang im Zick-Zack-Kurs hinauffuhr, konnte er es schaffen. Die wichtigere Frage aber war, ob er von diesem Tal zur Siedlung zurückfinden würde.

Andererseits – wen kümmerte es? Es würde ihn ohnehin niemand vermissen.

***

Hartfield hatte sich lange auf sein Gespräch mit Phil vorbereitet. Dennoch ließ er sich vom Anblick des Hünen im Rollstuhl überrumpeln. Automatisch trat ihm ein anderes Bild vor Augen. Phil im Combatsuit, mit dem Raketenwerfer im Anschlag. Das war der Phil, den er kannte. Nicht dieser ausgezehrte Mann mit dem bitteren Zug um den Mund.

»Was gibt´s?«, grüßte Phil ihn, während er von einem Schriftstück aufsah.

Sofort nahm Hartfield Haltung an, verfluchte sich aber im selben Moment dafür. Phil war zwar sein Vorgesetzter, aber Hartfield wusste, wie sehr er es hasste, als Militärangehöriger behandelt zu werden. Vielleicht, weil er nicht an früher erinnert werden wollte. Und wer sollte ihm das übel nehmen?

»Wie geht es dir?«, fragte Hartfield und lockerte seine Haltung.

Phil schnaubte. »Erwartest du wirklich eine ehrliche Antwort?« Hartfield wusste darauf keine Antwort, aber Phil sprach auch schon weiter: »Setz dich bitte! Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn man auf mich herunterschaut.«

Mit einem Seufzen nahm Hartfield auf dem roh gezimmerten Stuhl auf der anderen Seite des Tisches Platz. Das Mobiliar in dem Raum wirkte ebenso provisorisch wie die Blechhütte, in der Phil sein Quartier bezogen hatte. Wie die anderen Baracken im Camp war sie aus leeren Containern oder Schiffsteilen zusammengeschweißt. Nur die Flagge der Vereinten Nationen, die über dem Eingang hing, verriet, dass in ihr der Übergangspräsident der Überlebenden des Insektoidenangriffs hauste.

Mit gerunzelter Stirn wandte Phil sich wieder dem Schriftstück zu. Hartfield wartete, bis er mit einem verärgerten Grunzen seine Faust darauf niederfallen ließ.

»Was ist? Ärgert dich etwas?«

»Lies selbst!« Phil gab dem Schreiben einen Stoß, sodass es über die Tischplatte in Hartfields Reichweite rutschte. »Eine offizielle Petition von Dawson. Glaubt der Idiot eigentlich wirklich das, was er da von sich gibt?«

Hartfield nahm das Schreiben auf. »Lasst die Erde nicht im Stich!«, las er als Überschrift. Darunter folgte ein Aufruf, sich dessen zu besinnen, was sie zurückgelassen hatten: die geliebten Menschen, ihre Traditionen, ihre Werte. Man sei es den Toten schuldig, die Erde zurückzuerobern. Es folgte eine Tirade gegen die Reptiloiden, die die Menschen übervorteilt und ihnen diesen Planeten nur geschenkt hätten, um ihnen dabei zuzusehen, wie sie elendig verreckten.

»Das höre ich nicht zum ersten Mal«, bekannte Hartfield und legte das Papier zurück auf Phils Schreibtisch. »Wenn du dich draußen umhörst, vertritt jeder Zweite diese Ansichten. Aber ich glaube nicht, dass ernsthaft jemand glaubt, wir könnten die Erde zurückerobern. Womit denn?«

Das einzige Kriegsschiff, dass sie besaßen, war die Washington, die mit Captain Fajid und einer Rumpfcrew im Orbit um den Planeten kreiste.

»Das habe ich Dawson auch gefragt. Du hast ja seine Antwort gelesen. Dieser Idiot!« Wütend knüllte Phil das Papier zusammen und warf es in eine Ecke. »Glaubt der Wichser, wir drehen hier nur Däumchen? Denkt der auch nur ein bisschen darüber nach, was er damit anrichten kann?«

Hartfield wusste, worauf Phil anspielte. Erst vor zwei Tagen hatte Bolko Kowalski mit seiner Polizeitruppe ein paar Männer festgenommen, die ein Lagerhaus überfallen hatten. Er war sicher, dass Ronald Held seine Finger im Spiel hatte. Der und dieser Emanuele Esposito hatten fast überall ihre dreckigen Finger im Spiel, wenn es um irgendwelche Verbrechen in der Kolonie ging – ob Drogenhandel, Schmuggel, Raub, Überfälle oder Mord.

»Was ist eigentlich mit Harlan? Konnte er irgendetwas ausrichten, was die Auswahl des Planeten angeht?«

Mit aufeinandergepressten Lippen stierte Phil an Hartfield vorbei auf das Fenster. Nach einer gefühlten Ewigkeit nahm er einen tiefen Atemzug und sah seinen alten Kameraden an. »Also, spuck´s endlich aus! Weshalb bist du hier?«

»Nichts weiter. Lass es gut sein!«, sagte Hartfield und stand auf. Angesichts der vielen Probleme, die Phil innerhalb der letzten Minuten erwähnt hatte, kam er sich schäbig vor, dem Mann im Rollstuhl noch weitere aufzubürden.

»So nicht!«, rief Phil. »Wenn du schon hier bist, dann sag auch, was dich hergetrieben hast. Dass du dich nur nach meinem Befinden erkundigen wolltest, nehme ich dir nämlich nicht ab.«

»Ich wollte wissen, ob Harlan sich gemeldet hat.« Das stimmte zwar. Aber sein Hauptanliegen war ein anderes.

»Nein, Harlan hat sich nicht gemeldet. Jedenfalls nicht seit deinem letzten Besuch, und das weißt du auch. Hätte er sich gemeldet, hätte ich dich nämlich gerufen. Also, was willst du?« Es war, als könnte Phil seine Gedanken lesen. »Und verkauf mich bitte nicht für dumm! Ich kenne dich schon lange genug, um zu wissen, dass dich irgendetwas quält – Sergeant Hartfield!«

Die militärische Anrede ließ ihn erneut Haltung annehmen. »Sir! Ja, Sir!«

Herrgott, war er schon so alt, dass er diese Angewohnheiten nicht ablegen konnte?

Zu seiner Überraschung stahl sich ein schmales Lächeln auf Phils Gesicht. »Gewohnheiten können nervig sein, stimmt´s?«

Ertappt setzte Hartfield sich wieder. »Es geht um die Truppe.«

»Die Truppe?«, wiederholte Phil erstaunt.

Die Truppe bestand aus vierzig Mann, die mit Hartfield in der behelfsmäßigen Kaserne hausten und Kowalski bei der Polizeiarbeit unterstützten. Hinzu kamen knapp neunhundert Mann, die unter Fajids Kommando die Washington betriebsbereit hielten. Nicht mehr als eine Rumpfcrew. Zur Gefechtsbereitschaft fehlten etwa zweihundertfünfzig Mann, vor allem nautisches Personal sowie Flugpersonal inklusive Piloten. Bei den Troopers fehlten wenigstens vierhundert Mann.

»Ich bitte dich darum, mir zu erlauben, die Truppe auf fünfhundert Mann aufzustocken.«

Phil starrte ihn an. Hatte er ihn mit seiner Bitte wirklich überrascht? »Wozu?«, antwortete Phil endlich. »Kowalski wollte doch bereits für seine Polizeitruppe weitere Männer rekrutieren. Mit mäßigem Erfolg. Warum solltest du mehr Erfolg haben?«

»Deshalb!« Hartfield hob das zerknüllte Papier auf und strich es auf dem Schreibtisch glatt. »Und weil ich glaube, dass sie zurückkehren werden.«

»Die Insektoiden?«

Hartfield nickte. »Darum habe ich auch gefragt, was mit Harlan ist. Ich gehe davon aus, er würde sich melden, wenn er Hinweise von ihnen findet.«

»Aber es gibt keine. Nicht die geringsten. Sämtliche Tore zu ihnen sind versperrt oder zerstört. Du solltest das wissen. Du warst dabei!«

Und ob Hartfield dabei gewesen war. Er war dabei gewesen, als John Flanagan sein Leben geopfert hatte, um die Menschheit vor der Auslöschung zu retten. Es war ein Himmelfahrtskommando gewesen. Aber nur so konnte John das Sternentor schließen, welches die Insektoiden zur Erde geöffnet hatten. John war bei weitem nicht der einzige Trooper gewesen, der im Krieg gegen diese grausame Spezies sein Leben gelassen hatte. Tausende Soldaten waren gefallen. In wenigen Wochen würde sich der Tag der Großen Schlacht zum dritten Mal jähren. Wie so oft fragte sich Hartfield, ob es das hier war, wofür John gekämpft hatte? Ein armseliges Leben auf einem kalten Klumpen Dreck. Vielleicht hatte Dawson ja doch recht. Vielleicht war es besser, heroisch bei dem Versuch, die Erde zurückzuerobern, unterzugehen, als auf diesem Planeten an Kälte und Hunger zu krepieren.

Aber deshalb war er nicht hier. Deshalb wollte er die Truppe nicht aufstocken. Er war auch nicht wegen der Albträume hier, die ihn Nacht für Nacht plagten und um den Schlaf brachten. Albträume von spinnenartigen, monströsen Wesen, die menschliche Körper in Stücke rissen wie Spielzeugpuppen. Albträume von Strahlen aus rotem Licht, die ganze Schiffe zerteilten, als schnitten sie durch Butter.

Nein, der Grund war ein anderer. Sein Bauchgefühl. Dieses Rumoren in seinen Eingeweiden, das ihm schon so oft das Leben gerettet hatte und ihn seit Monaten davor warnte, sich in Sicherheit zu wiegen. Aus diesem Grund war er hier. Weil er sich nicht irgendwann die Frage stellen wollte, weshalb er nicht gehandelt hatte.

»Ich weiß selbst, dass ich bei der Großen Schlacht dabei war«, sagte Hartfield mit fester Stimme. »Aber ich weiß auch um mein Bauchgefühl. Und das sagt mir, dass das noch nicht alles war. Dass sie wiederkommen werden. Und dass wir vorbereitet sein müssen. Denn wenn wir es nicht sind, dann …«

»… sind wir tot«, beendete Phil den Satz. Sekundenlang starrte er durch das Fenster neben Hartfield. Nach einer Weile griff er stirnrunzelnd nach dem zerknitterten Schreiben, strich darüber und hob endlich den Kopf.

»Tu, was du für richtig hältst! Aber mach es öffentlich. Keine Geheimnistuerei. Vielleicht gibt Dawson dann ja endlich Ruhe.«

***

Der Hang geriet ins Rutschen. Nur noch eine Kehre, dann würde Carl den Grat erreichen. Schweiß rann ihm an der linken Schläfe hinab. Vorsichtig ließ er das Gas kommen. Nicht zu viel, wenn er auf einen Felsen mit zu viel Steigung kam, ging ihm die Maschine durch.

Steine polterten laut zu Tal, als er etwas mehr Gas gab. Scheiße, scheiße! Er würde noch alle Velos aufschrecken. Kupplung, Gas. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass nun auch vom Hangrücken aus erste Steine den Hang hinabrollten. Er hatte nur noch zwei Möglichkeiten. Aufgeben oder alles auf eine Karte setzen.

Mit einem lautstarken Fluch gab Carl Vollgas, er hörte das Prasseln unzähliger Steine, fühlte, wie der Boden nachgab, während er das Motorrad auf dem Hinterrad herumriss und mit vollem Tempo den Hangrücken ansteuerte.

Gerade noch rechtzeitig sah er den Felsen, der aus dem Geröll ragte, bremste abrupt, schlitterte auf dem Hinterrad herum, bis er schweißgebadet und keuchend in Gegenrichtung zum Stehen kam. Unter ihm rauschte der halbe Hang mit lautem Getöse zu Tal. Das Hinterrad seiner Maschine war direkt auf dem Rand des Felsens zum Halten gekommen. Langsam ließ Carl das Motorrad ein paar Zentimeter weiterrollen, ehe er den Fuß abstellte und durchatmete.

Das hatte er toll hingekriegt! Wenn die Velos nicht ohnehin schon auf ihn aufmerksam geworden waren, hatte er spätestens jetzt ihre volle Aufmerksamkeit. Noch immer rollte eine Lawine aus Steinen und Geröll den Abhang hinunter.

Carl richtete seinen Blick auf die gegenüberliegende Seite. Tatsächlich lag dort ein weiteres graues Tal. Es erschien ihm noch felsiger und unwegsamer als das, durch das er gekommen war. Aber Carl konnte viele der schwarzen Steine entdecken, wegen derer er hier war. Falls diese Knollen tatsächlich Velo-Scheiße waren, befand er sich mitten in ihrem Scheißhaus.

Als sein Blick nach rechts wanderte, entdeckte Carl noch etwas. Etwas sehr viel Größeres als die schwarzen Knollen. Für einen Monat vergaß er zu atmen. Etwa einen Kilometer entfernt ragten, versteckt zwischen Felsen, die Umrisse eines Raumschiffes hervor. An der langgestreckten Form mit den stark abgesetzten Triebwerken erkannte Carl sofort, wem das Schiff gehörte. Es war ein Schiff der Vierarmigen.

Seltsam. Es war streng verboten, außerhalb des provisorischen Raumhafens zu landen. Am gesündesten wäre es, sich schleunigst aus dem Staub zu machen. Die Vierarmigen würden keine Sekunde davor zurückschrecken, ihn zu töten, damit er sie nicht verraten konnte. Denn würde man sie erwischen, würden sie ein unbefristetes Landeverbot auf diesem Dreckklumpen riskieren.

Carl musste nicht lange nachdenken. Er brauchte diese Knollen. Außerdem waren die Vierarmigen bestimmt nicht ohne guten Grund hier. Er wollte verdammt sein, wenn er nicht wenigstens versuchte, diesen Grund herauszufinden.

2. Kapitel

Zentimeter für Zentimeter tastete Carl sich vorsichtig den Hang hinab. Der Schweiß stand ihm trotz der Kälte auf der Stirn. Die Maschine mit den Füßen über das Geröll zu schieben, war verflucht anstrengend. Zumal er jede Sekunde dazu bereit sein musste, den Motor zu starten, um schnell manövrieren zu können, sollte der Hang ins Rutschen geraten. Seine Muskeln zitterten vor Anspannung.

Aus den Augenwinkeln glaubte er eine Bewegung zu erhaschen. Falls das ein Velo war, war er am Arsch. Dann half im Notfall nur durchstarten und das Beste hoffen.

Gerade als er die Hälfte des Hangs hinabgerollt war, spürte er, wie das Geröll unter seinen Füßen nachgab. Reflexartig startete er die Maschine. Ein paar Steine schossen talabwärts. Wenn er jetzt Vollgas gab, würde der ganze Hang wie eine Lawine hinabrauschen. Unmöglich, dass die Vierarmigen das nicht mitbekamen. Keuchend hielt er inne und ließ zu, dass er samt Motorrad tiefer rutschte. Nach einem halben Meter stockte die Abwärtsbewegung plötzlich. Mit hämmerndem Herzen lauschte Carl. Aber nur ein einzelner Stein polterte ins Tal.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wagte Carl, seinen Weg fortzusetzen. Angestrengt lauschte er, ob der Hang erneut ins Rutschen geriet. Aber es waren nur noch kleine Steinchen, die unter dem Gewicht der Maschine hinab rieselten. Die Sonne sank währenddessen dem Horizont entgegen. Die Zeit wurde langsam knapp.

Als die Reifen seiner Maschine endlich über festen Boden rollten, atmete Carl erleichtert aus. Er lenkte das Motorrad hinter einen größeren Felsen und klappte den Ständer aus. Seine Hände und Beine zitterten, bis er sich mit ein paar tiefen Atemzügen wieder zur Ruhe gezwungen hatte.

Sollte er sich dem Raumschiff lieber zu Fuß oder auf seinem Motorrad nähern? Mit seiner Maschine konnte er leichter entdeckt werden. Ohne sie würde er schwerer fliehen können – vor den Vierarmigen und auch den Velos. Und die würden ganz sicher auftauchen, sobald es dunkel wurde. Aber zuvor musste er ohnehin noch seine Taschen mit den Knollen füllen.

Steifbeinig saß er ab. Die ersten Knollen fand er bereits nach wenigen Schritten. Sie lagen hier auf dem Boden, als hätte sie jemand ausgesät. Waren die Vierarmigen deswegen hier? Um Knollen zu sammeln?

Carl raffte zusammen, was er sehen konnte, kämmte mit den Fingern durch den Dreck und schaufelte ganze Hände voller Knollen in die Taschen seines Motorrads. Nach kurzer Zeit waren beide bis zum Rand gefüllt. Je eine Handvoll stopfte er noch in die Taschen seiner Lederjacke. Es dämmerte, als er die Motorradtaschen verschloss. Eigentlich sollte er sich längst auf dem Rückweg befinden, zumal er nicht wusste, wie er aus diesem Tal zurück zur Siedlung fand.

Dennoch klopfte er sich den Dreck aus den Handschuhen und stieg auf die Maschine. Ein leises Knirschen war zu hören, als er den Weg Richtung Raumschiff einschlug.

***

Das waren Stimmen.

Carl lauschte. Die Sprache der Vierarmigen bestand vor allem aus Klicklauten. Ein paar davon kannte er. Aber er war noch zu weit entfernt, um die Fetzen, die der Wind herantrug, zu verstehen. Zudem wollte er lieber zunächst aus sicherer Entfernung beobachten, was die Mistkerle da trieben. Er versteckte seine Maschine hinter einem Felsen und packte seine Schrotflinte.

Nachdem er den Felsen umrundet hatte, vergewisserte er sich, dass sein Motorrad nicht zu sehen war und prägte sich die Umgebung genau ein, damit er später schneller zurückfand. Mit der Waffe in der rechten Armbeuge im Anschlag sah er sich nach Anzeichen der Velos um. Aber die Drecksviecher schienen ihn tatsächlich in Ruhe lassen zu wollen. Fragte sich nur, wie lange.

Entschlossen begann Carl, sich einen Weg durch das Gewirr aus Steinen und Felsbrocken in Richtung Raumschiff zu suchen. Er arbeitete sich dabei hangaufwärts, um das Geschehen von oben überblicken zu können. Er umrundete gerade einen mannshohen Stein, als ihn ein greller Lichtstrahl traf. Es war, als sei plötzlich die Sonne aufgegangen. Geblendet schloss er die Augen und duckte sich zu Boden.

Mit der verkrüppelten Linken beschattete er seine Augen und öffnete vorsichtig seine Lider. Unterhalb von ihm, etwa zweihundert Meter entfernt, fluteten taghelle Strahler den gegenüberliegenden Hang, wo auch das Raumschiff gelandet war. Mehrere Vierarmige umstanden mit Strahlwaffen den lichterfüllten Bereich. Innerhalb des Lichtbereichs sah Carl mehrere Dutzend Angehörige unterschiedlicher Spezies, die in eine Art Bergarbeiterausrüstung gekleidet waren. Die Arbeiter schnitten mit Lasern quadratische Stücke mit einer Kantenlänge von etwa einem Meter aus den Felsen, die den Hang säumten. Die Fragmente hoben sie auf flache Antigravitationsschlitten, auf denen sie die Felsstücke durch die offen stehende Frachtluke ins Innere des Raumschiffs beförderten.

Carl hörte, wie einer der Vierarmigen irgendwelche Anweisungen rief. Es war ein großer, ausgesprochen dürrer Kerl. Carl erkannte ihn sofort. Sein Name war Klegh.

Natürlich ließ der Mistkerl irgendwelche Arbeiter die Drecksarbeit machen. Offenbar ließ er sie hier irgendein Erz abbauen. Aber welches? Und wofür war es gut? Es musste verdammt wichtig für ihn sein, sonst würde Klegh das damit verbundene Risiko nicht eingehen.

Mit gerunzelter Stirn strengte Carl seine Augen an. Die Steine, die die Sklaven aus dem Fels schnitten, wiesen bläulich schimmernde Schnittflächen auf. Carls Blick glitt über die Steine in seiner näheren Umgebung. Tatsächlich. Nun, da er darauf achtete, entdeckte er ein paar Exemplare, die den gleichen blauen Glanz besaßen. Er griff nach einem Stein in Reichweite und rieb den Staub ab. Je sauberer er den Stein polierte, desto deutlicher konnte er eine bläuliche Maserung erkennen, die den Stein durchzog.

Nachdenklich steckte Carl den Stein in die Tasche seiner karierten Flanelljacke, die er unter der Lederjacke trug. Irgendjemand im Camp würde ihm schon sagen können, was es damit aufsich hatte.

Aufgeregte Rufe ließen ihn zusammenzucken. Er verstand ein Schimpfwort und »Vorsicht«. Einen irren Augenblick lang glaubte Carl, er sei entdeckt worden. Doch plötzlich peitschte ein Schuss durch die Dämmerung, und einer der Arbeiter sackte zusammen. Anscheinend hatte er zu fliehen versucht. Die anderen Arbeiter duckten sich zu Boden. Erst jetzt bemerkte Carl, dass sich auch zwei Menschen darunter befanden.

»Arbeiten«, hörte Carl einen der Vierarmigen rufen.

Der Wink mit seiner Waffe war unmissverständlich und die Arbeiter setzten ihr Werk fort. Die Leiche ihres Kameraden blieb unbeachtet im Dreck liegen.

Carl hatte genug gesehen. Außerdem würde der Blutgeruch die Velos anlocken. Es war Zeit, sich auf den Rückweg zu machen, ehe die Raubtiere ihn witterten.

***

»Ich brauche Hilfe«, hatte er zu Gallagher gesagt.

Dabei hatte Hartfield nicht im Traum daran gedacht, dass Gallagher sich selbst als Hilfe anbieten würde. Samt zwei Computern, auf denen die Akten und Personaldaten der Washington-Crew sowie die aktuelle Einwohnerliste von Neu Terra gespeichert waren. Gallagher mochte zwar unkonventionell sein, doch seine Methoden waren meist sehr effektiv. Das war sicher auch einer der Gründe, warum er als einer der wenigen Offiziere die Große Schlacht überlebt hatte.

»Was ist eigentlich mit Garcia?«, fragte Gallagher.

»Garcia?«, erwiderte Hartfield zerstreut.

Es dunkelte bereits. Die Baracke, in der Hartfields Büro lag, und die als einzige von außerhalb des abgegrenzten Kasernenbereichs zugänglich war, war nicht geheizt und die Kälte drang in Hartfields Knochen.

Den ganzen Tag hatte er zusammen mit Gallagher vor den Computern verbracht und nach Namen gesucht. Nach Namen der alten Soldaten, der ehemaligen Polizisten und Feuerwehrmänner, der wenigen Special-Forces-Kräfte. Er kannte bereits alle. Die meisten gehörten zu Bolko Kowalskis Polizeitruppe. Ein paar wenige hatten sich Hartfields Militäreinheit verschrieben. Da war kein neuer Name, der ihm von Nutzen sein konnte.

»Ich meine Ophelia Garcia. John Flanagans Herzblatt. Sie ist eine hervorragende Soldatin. Weshalb steht sie nicht auf der Liste?«

Hartfield sah auf. »Sie hat ein Kind. Das wissen Sie doch.«

»Na und?«

»Was heißt hier ›na und‹? Ich nehme keine Mütter in die kämpfende Truppe auf.«

»Ich glaube, Garcia sieht das anders.«

»Es ist mir egal, wie Garcia das sieht. Ich habe nicht vor, den kleinen John zum Waisen zu machen.«

Gallagher seufzte und streckte sich so ausgiebig, dass der Stuhl unter ihm bedenklich knarrte. »Das bringt nichts«, sagte er.

»Was?«, fragte Hartfield gereizt. Im Dämmerlicht der Computermonitore war Gallaghers Gesicht nur ein bleicher Fleck in dem sonst kahlen Raum.

»Unsere Suche. Sie müssen kreativer werden, wenn Sie die Truppe aufstocken wollen. Und ich fürchte, Sie werden sich auch von einigen Ihrer alten Prinzipien verabschieden müssen.«

»Welche Prinzipien?«

»Prinzipien wie solche, dass Mütter nicht Soldat werden können. Oder dass man integer sein muss, um Soldat werden zu können. Oder den Willen haben muss, seinem Vaterland zu dienen …«

»Wir haben kein Vaterland mehr«, unterbrach Hartfield ihn scharf. So schlau war er auch.

»Dann sage ich es eben anders. Sie dürfen nicht nur nach denen Ausschau halten, die Sie für geeignet halten. Sondern Sie müssen das nehmen, was Sie kriegen können.«

»Ich will keine Miliz aufbauen, ich brauche Soldaten!«

Gallagher grinste schief und stand auf. »Ach ja? Denken Sie mal an Flanagan! Hätten Sie damals Ihre ehrenhaften Kriterien an ihm angelegt, wäre er niemals ein Space Trooper geworden.«

Im ersten Reflex wollte Hartfield protestieren. Doch es blieb ein stummer Protest. Gallagher hatte recht. John war besser als jeder andere für den Kampf gegen die Insektoiden geeignet gewesen. Es hatte anfangs nur niemand erkannt – selbst er nicht. Genau das war es, was Gallagher meinte. Dass auch jene, denen man es auf den ersten Blick nicht ansah, das Herz eines Soldaten haben konnten.

»Und wie soll ich diese Leute finden?«, fragte er.

Gallagher zuckte mit den Schultern, trat an Hartfields Computer, klickte sich durch die Daten und rief eine Datei auf.

»Keine Ahnung. Propagandaveranstaltungen?«

›Blödsinn‹, wollte Hartfield antworten, da las er die Überschrift der Datei, die sich auf dem Monitor aufbaute. Die Datei war Teil des Supersoldatenprogramms, zu dem auch John Flanagan gehört hatte.

»Ein kleines Geschenk.« Gallagher grinste. »Eine der Versuchspersonen lebt hier auf Neu Terra. Ihr Name ist Jekaterina Orlowa. Gehen wir jetzt einen trinken?«

Hartfield gab ihm keine Antwort. Die Frage war überflüssig. Gallagher wusste genau, dass er nach dieser Entdeckung ganz sicher keinen trinken gehen würde. Nicht, ehe er mehr über diese Jekaterina Orlowa herausgefunden hatte.

***

Velos!

Im Schein der untergehenden Sonne konnte Carl die Schatten erahnen, die ihm zu beiden Seiten folgten. Er rannte so schnell er konnte und fürchtete schon, die Stelle verpasst zu haben, wo er das Motorrad versteckt hatte. Da tauchte es hinter dem nächsten Felsen auf. Atemlos schwang er sich in den Sattel und startete die Maschine. Dabei erhaschte sein Blick einen grauen Körper, der sich oben am Hang parallel zu ihm bewegte. Versuchten die Drecksviecher etwa, ihn einzukreisen?

»Ihr wollt Spaß?«, schrie er. »Den könnt ihr haben. Fangt mich, wenn ihr könnt!«

Dann gab er Gas.

Mannsgroße Felsen, die wie achtlos weggeworfenes Spielzeug den Talboden bedeckten, behinderten seinen Weg. Die untergehende Sonne im Rücken war der einzige Kompass, den er hatte, um den Kurs zu halten. Trotzdem jagte er mit einer irren Geschwindigkeit das Tal entlang. Doch die Drecksbiester waren schnell. Nicht schnell genug, um ihn einzuholen. Aber ein kleiner Fehler genügte, und er würde mit einem der Felsen kollidieren. Dann war es aus und vorbei.

Da endlich wurden die Abstände zwischen den Felsen größer, das Tal breiter. Jetzt erst wagte Carl, sich im Stehen über die Maschine zu beugen und bis zum Anschlag zu beschleunigen. Die Landschaft raste an ihm vorbei und schon bald war er überzeugt, die Velos hinter sich gelassen zu haben. Er wollte gerade aufatmen, als er den Hangabbruch entdeckte, der den Weg vor ihm versperrte.

»Scheiße!«

Er schrie das Wort den grauen Bergen entgegen, die im roten Licht des Sonnenuntergangs aufglühten. Das Schicksal fickte ihn mal wieder. Fieberhaft sah er sich nach einem anderen Weg um. Links türmten sich mannsgroße Felsen. Der einzige Ausweg schien der Hang zur Rechten zu sein. Wenn er den in halber Höhe nahm, konnte er den Hangabbruch umfahren. Aber wenn dieser Hang genauso nachgiebig war wie die anderen, die er an diesem Tag kennengelernt hatte, war er erledigt.

Carl drosselte die Geschwindigkeit und steuerte in flachem Winkel auf den Hang zu. Für einen Herzschlag legte sich dabei das Bild einer Motocross-Strecke darüber, auf der er in einem anderen Leben einen Pokal gewonnen hatte. Fast glaubte er, Naomi an der abgesteckten Route zu erkennen.

Vorbei, für immer verloren.

Mit gefletschten Zähnen umklammerte Carl den Lenker. Es war ihm egal, ob der Hang ins Rutschen geriet. Er gab Gas. Weiter. Er hörte das Prasseln von Steinen hinter sich, während er den Hang hinaufschoss und dabei einen imaginären Punkt oberhalb der Felsbrocken anvisierte. Der kalte Zorn, der ihn erfüllte, machte ihn gleichgültig gegenüber den Konsequenzen.

Die Zeit dehnte sich wie Kaugummi, während der Hang unter den Reifen seiner Maschine dahinschmolz. Als sein Hinterrad auf dem höchsten Punkt plötzlich keinen Grip mehr hatte, wusste er, dass es vorbei war. Es war, als würde er fliegen. Doch nicht über die Kuppe hinweg – sondern zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde war er versucht, die Maschine von sich zu stoßen. Dann griff er fester zu, krümmte sich über sie wie ein Bullenreiter, nicht dazu bereit, sie aufzugeben.

Seine Reaktion verhinderte, dass er sich überschlug. Aber das Hinterrad grub sich beim Aufkommen so tief im Geröll ein, dass die Maschine abrupt zum Halt kam. Die Erschütterung pflanzte sich durch seinen Körper. Er gab Gas, spürte, wie die Reifen sich in den Dreck wühlten und plötzlich wieder freikamen. Steine prasselten ins Tal.

Einen irren Moment glaubte er, dass er das Motorrad gegen jegliche Vernunft voran prügeln konnte. Da brach der Hang unter ihm weg und riss ihn samt der Maschine in einer Lawine aus Steinen hinab in die Tiefe.

Verkackt, war alles, was er dachte.

***

Sein Körper schmerzte überall, als er zu sich kam. Stöhnend schnappte er nach Luft. Steine rieselten von ihm herunter, als sich sein Brustkorb dabei bewegte. Ein heißer Stich jagte durch seine Brust. Weckte eine Erinnerung. Das Stadion war unter den Schüssen der Insektoiden eingestürzt. Er musste Naomi retten!

Keuchend bewegte er die Finger und öffnete die Lider. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Die Bewegung jagte einen neuerlichen Stich durch seinen Brustkorb. Naomi! Mit Tränen in den Augen wühlte er sich aus dem Dreck und begann mit pochendem Herzen im Geröll zu wühlen, erst langsam, dann immer hektischer, mit blutenden Fingern. Er erwartete, jeden Augenblick auf einen lebendigen Körper zu treffen. Doch da war nichts, nur Steine und Geröll.

Langsam legte sich das Bild des Geröllhangs über das des zerstörten Stadions aus seiner Erinnerung. Neue Tränen rannen über seine Wangen und tropften in den grauen Staub. Naomi war tot, für immer verloren. Er konnte nur versuchen, ohne sie weiterzuleben – gleichgültig, wie sehr er sich dafür hasste.

Zitternd sah er sich um, fand das Motorrad nur wenige Schritte entfernt im Staub. Die Maschine wirkte ebenso intakt wie seine Gliedmaßen. Er wunderte sich, dass die Velos die Gelegenheit nicht genutzt hatten. Da huschte ein Schatten auf ihn zu.

Carls Blick saugte sich an der kurzläufigen Schrotflinte fest, die in Griffweite über den Satteltaschen seiner Maschine befestigt war. Mit einer Rolle katapultierte er sich ihr entgegen, riss die Waffe aus ihrer Befestigung und feuerte blind auf den dunklen Schatten. Der Kolben der Waffe hämmerte gegen seine schmerzende Schulter.

Der Knall hallte im Tal wider, gefolgt von einem geisterhaften Schrei. Carl roch den schweren Geruch des Blutes. Irgendwo ertönte ein Zischen. Krallen klackerten auf Fels.

Carl warf den Riemen der Flinte über seinen Kopf und hechtete auf sein Motorrad zu. Irgendwie schaffte er es, die schwere Maschine aufzurichten. Noch ehe er den Schwerpunkt unter sich gebracht hatte, startete er die Maschine und gab Gas. In einem Halbkreis riss er das Fahrzeug auf dem Hinterrad hoch und hielt direkt auf den Schatten zu, der ihm den Weg versperrte.

Was auch immer es war, es wich ihm aus. Er spürte, wie etwas ihn streifte. Die Waffe schlug ihm ins Gesicht. Dann war er vorbei. Er schmeckte Blut. Die Flinte baumelte zwischen seinem Oberkörper und dem Motorblock. Dunkle Schatten huschten an ihm vorbei. Felsen. Wenn er einen von ihnen bei dieser Geschwindigkeit erwischte, war das ebenso tödlich wie die Velos.

Auch gut! Dann wäre dieses elende Leben endlich vorbei. Dann würde er endlich bekommen, was er verdiente.

Aber wer erinnerte sich dann an Naomi?

Carls Blick verschwamm bei dem Gedanken. Doch er blinzelte die Nässe weg, den Blick stur geradeaus gerichtet. Die Sterne und einer der Monde spendeten gerade genug Licht, dass er die Felsen rechtzeitig erkannte, um ihnen ausweichen zu können. Er ignorierte seine stechende Brust und die hinderliche Waffe. Im Stehen duckte er sich tiefer über seine Maschine, als die Felsen weniger wurden, und beschleunigte. Der Wind biss in sein ungeschütztes Gesicht.

Nach einer Weile sickerte die Erkenntnis in sein Bewusstsein, dass er blindlings drauflos gefahren war. Ein bitteres Lachen lauerte in seiner Kehle. Sollte das Schicksal eben entscheiden, ob er von den Velos zerrissen wurde oder das Camp erreichte. Ihm war beides recht.

— 1. Intermezzo —

Licht.

Friede.

Sein.

3. Kapitel

Beim Anblick der Lichter zu seiner Linken war Carl nicht überrascht. Er korrigierte seinen Kurs und hielt nun konstant auf diese zu. Seit er auf der Ebene angekommen war, lagen die hinderlichen Felsen weit verstreut. Das größere Problem waren hier die Höhlen der Asseln, in die er bereits mehrfach eingebrochen war. Obwohl er dabei nicht gestürzt war, fuhr er seitdem ein wenig langsamer.

Die Konturen des Schutzwalls, der die Siedlung umgab, schälten sich aus dem kargen Lichtschein. Carl konnte bereits eines der Tore erkennen. Da entdeckte er den Schatten am Rande seines Gesichtsfeldes. Die Velos waren ihm bis hierhin gefolgt! Und sie versuchten, ihm den Weg abzuschneiden. Wie intelligent waren diese Biester?

Sollte er einen Bogen schlagen? Carl lauschte auf seine bebenden Muskeln. Das würde er nicht schaffen. Zudem – weshalb nicht das Schicksal erneut würfeln lassen? Tief über die Maschine geduckt verlangte er ihr alles ab und schoss direkt auf das Tor zu. Löcher im Boden oder Felsen im Weg – er hasste dieses Leben! Wenn er draufgehen sollte, dann mit voller Geschwindigkeit.

Das Tor kam rasend schnell näher. Die Wache musste ihn bereits sehen. Im letzten Moment bremste er, riss die Maschine herum, schlitterte mit der Breitseite auf das Tor zu und traf mit einem donnernden Schlag gegen das Blech. Das musste selbst die letzte noch schlafende Wache geweckt haben. Noch während sich die Erschütterung des Aufpralls durch seinen Körper pflanzte, riss Carl die Waffe hoch. Keinen Moment zu spät. Der Schuss zerriss den Kopf des Velos, der auf ihn zustürmte.

Aus der Dunkelheit lösten sich mehrere Schatten, hetzten zischend auf ihn zu. Carl ignorierte, dass sein rechtes Bein unter der Maschine eingeklemmt war, und kramte mit bebenden Fingern nach der Munition in der Brusttasche seiner Jacke. Seine Finger fanden eine Patrone, eine zweite. Er ergriff sie, klappte parallel den Hahn der Schrotflinte auf. Zu seiner eigenen Überraschung fiel keine Patrone zu Boden. Zu spät. Einer der Velos war schon herangekommen. Da bellte ein Schuss in der Nacht und die Bestie überschlug sich mitten im Lauf. Ein zweiter Schuss erledigte den Räuber dahinter.

Carl schloss den Hahn seiner Waffe. Mit einem Schrei jagte er zwei Schüsse auf die nächsten Bestien. Der Schütze auf der Mauer hatte anscheinend Gesellschaft erhalten, denn ein Kugelhagel deckte die Velos ein. Die Schüsse gaben Carl für den Moment genug Deckung, dass er versuchen konnte, sein Bein unter dem Motorrad herauszuziehen. Schwitzend und stöhnend stemmte er den freien Fuß gegen den Sattel. Zog und zerrte, bemerkte das Blut, das an seinem Oberschenkel herabrann, als sein Bein endlich frei war. Seine Hände luden nach, während er rückwärts auf das Tor zu humpelte.

Schießen, nachladen. Schießen, nachladen.

Sein Rücken traf auf das Tor. Weiter zurückweichen konnte er nicht. Seine Finger griffen ins Leere. Keine Munition mehr. Ein Velo rannte auf ihn zu. Carl drosch ihm den Waffenkolben ins geifernde Maul und der Kopf des Velos zerplatzte in einem Regen von Blut.

Carls Beine gaben nach. Langsam rutschte er mit dem Rücken am Tor zu Boden. Da begriff er, dass keine Velos mehr übrig waren.

Scheiße! Das Schicksal war an diesem Tag verdammt gnädig, als hätte es Spaß daran, ihn zu ficken.

Neben ihm knarrte es. Jemand hatte das Manntor geöffnet und packte ihn am Arm.

»Steh auf! Es wird nicht lange dauern, bis die nächste Welle kommt.«

Ein großer, hagerer Mann mit einer dunklen Haarmähne zerrte ihn auf die Füße und in Richtung Tor. Er trug die Uniform der Polizeikräfte von Neu Terra.

»Mein Motorrad«, keuchte Carl.

Die Maschine lag nur wenige Schritte entfernt. Zu zweit war es kein Problem, sie zu bergen.

»Vergiss es, wenn du leben willst!«

Während dieser Worte zog der Mann Carls Arm über seine Schultern und schleppte ihn zum Manntor.

Carl entdeckte den Schatten, der sich aus dem Dunkel löste und auf sie zurannte. Zu spät. Der Polizist stieß Carl durch das Tor und schlug die Tür zu. Draußen donnerte etwas mit Wucht dagegen, während Carl zu Boden stürzte und der Polizist den Riegel vor die Tür hämmerte.

»Bist du irre, Grant?«, schrie jemand von der Mauer herunter. »Wolltest du die Mistviecher etwa reinlassen, nur um diesen Idioten zu retten, der sie hergelockt hat?«

Carls Retter namens Grant ignorierte die Worte. Stattdessen packte er Carl am Handgelenk und half ihm beim Aufstehen.

»Hast du Munition?«, fragte Carl und nahm die Schrotflinte in die Armbeuge.

Grant musterte ihn aus dunklen Augen. In der spärlichen Beleuchtung erkannte Carl die stoische Miene auf seinem vom Wetter gegerbten und bartlosen Gesicht.

Wortlos nickte Grant und wies mit dem Kopf zu einer Leiter, die auf den Schutzwall führte. Ohne sich umzudrehen, stieg er hinauf.

***

Unschlüssig stand Hartfield vor der Baracke, die er in der nächtlichen Dunkelheit der Siedlung endlich gefunden hatte. Sie war größer als die meisten anderen Gebäude und bot bestimmt rund fünfzig Personen Platz. Aus ein paar Fenstern drang Licht. Irgendwo dahinter weinte ein Kind.

Auf dem behelfsmäßigen Schild über der Tür las Hartfield das Wort Waisenheim. Was in aller Welt trieb Orlowa in einem Waisenheim?

Nachdem er vergeblich nach einer Klingel gesucht hatte, klopfte er gegen die Tür.

Keine Antwort. Einen Moment lang war er versucht, Gallaghers Angebot doch anzunehmen und sich mit ihm in Angies Bar zu betrinken. Aber da er schon mal hier war, klopfte er ein zweites Mal – dieses Mal energischer und mit einem lauten »Hallo«.

Als er nach einigen Sekunden angestrengten Lauschens nichts hören konnte, außer dem weinenden Kind, wollte er sich schon resigniert abwenden. Da wurde plötzlich die Tür geöffnet.

Im warmen Lichtschein, der aus dem Innern drang, blickte eine gebeugte, alte Farbige mit unzähligen Falten im hageren Gesicht zu ihm auf. »Wer ist da?«, fragte sie zittrig.

Hartfield schnürte es die Kehle zu. Er brauchte einen Augenblick, bis er seine Stimme wiederfand. »Latty! Kennst du mich nicht mehr?« Hartfield hatte Latty damals mit einigen anderen von der von den Insektoiden eingenommenen Erde gerettet. Nun, da er die Alte vor sich sah, schämte er sich, dass er sich nie gefragt hatte, was aus ihr geworden war.

»Sergeant Hartfield, richtig?«

»Sergeant Major«, berichtigte er sie.

»Ich nehme an, das bedeutet, dass Sie befördert wurden.«

»Das ist korrekt.«

Latty lächelte. »Das haben Sie verdient. Es ist nett, dass Sie vorbeigekommen sind, um mich zu besuchen. Aber es ist ein wenig spät. Die Kinder schlafen schon. Wollen Sie vielleicht morgen wiederkommen?«

Hartfield räusperte sich. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, bin ich nicht deinetwegen hier, sondern …«

»Wer ist da?«, unterbrach ihn eine weibliche Stimme scharf. Eine hochgewachsene Frau mit kinnlangen, dunklen Locken trat neben Latty.

Unwillkürlich nahm Hartfield Haltung an. »Sergeant Major Hartfield. Spreche ich mit Feldwebel Jekaterina Orlowa?«

»Sie sprechen mit Jekaterina Orlowa, der Leiterin dieses Waisenheims.«

»Trina, das ist der Mann, der mich gerettet hat. Ich habe dir von ihm erzählt«, flüsterte Latty.

»Wenn Sie Latty besuchen wollen, kommen Sie morgen wieder. Die Kinder schlafen endlich.«

Tatsächlich fiel Hartfield in diesem Moment auf, dass das Weinen des Kindes aufgehört hatte – rückblickend wahrscheinlich kurz bevor Jekaterina aufgetaucht war.

»Ehrlich gesagt, bin ich Ihretwegen hier.«

»Ich wüsste nicht, was wir miteinander zu schaffen hätten.«

»Trina, bitte«, mischte sich Latty mit leiser Stimme ein. »Lass ihn doch reden! Er ist ein guter Mann.«

Schweigend fixierte Orlowa ihn.

Der Kragen seiner Uniformjacke schien Hartfield mit einem Mal zu eng. »Ich suche Soldaten. Gute Soldaten. Männer und Frauen, die dazu bereit sind, ihr Leben einzusetzen, um den letzten Rest der Menschheit zu verteidigen. Für den Fall, dass die Insektoiden zurückkehren. Und dieser Fall wird ganz sicher eintreten.« Die letzten Worte sagte er voller Überzeugung.

»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei Ihrer ehrenhaften Aufgabe, Sergeant Major Hartfield. Aber ich habe bereits eine Aufgabe.« Ihr Blick richtete sich Richtung Westen. »Und ich glaube, dass auch Sie im Moment dringendere Aufgaben haben.«

Hartfield folgte ihrem Blick. Jetzt hörte er sie auch. Schüsse, die vom westlichen Schutzwall kamen. Insektoiden? Nein, viel wahrscheinlicher war, dass eine Horde Velos die Siedlung angriff. Orlowa hatte recht, er wurde dort gebraucht. Gallagher würde vergeblich in Angies Bar auf ihn warten.

Als er sich den beiden Frauen wieder zuwenden wollte, um sich zu verabschieden, stand er nur noch der verschlossenen Tür gegenüber.

***

Die Patrone fiel aus Carls zitternden Händen, als er nachladen wollte. Zum wievielten Mal er nachlud, wusste er nicht. Der Rest der Nacht war einem blutigen Albtraum gewichen, der darin bestand, immer neue Wellen von Velos abzuwehren.

Carl fror und schwitzte gleichermaßen. Neben ihm schrie Boucher, der Stellvertreter des Polizeichefs, irgendetwas, was durch die Watte, die Carls Kopf umgab, nicht in sein Bewusstsein drang. Sein Blick fiel wie durch einen Tunnel auf die Patrone, die zu seinen Füßen lag. Er bückte sich, um sie aufzuheben. Doch seine Beine gaben unter ihm nach und er fand sich am Boden wieder.

Stardust! Er brauchte eine Dosis. Und zwar schnell, ehe er sich sabbernd und zitternd am Boden wand.

Von weit entfernt rief ihm jemand etwas zu.

Die Patrone … Wo war die verdammte Patrone? Ziellos tastete er danach – und bekam sie tatsächlich zu fassen.

Jemand packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn. Carl zuckte zusammen, die Patrone fiel erneut aus seinen Händen. Ein bartloses, vom Wetter gegerbtes Gesicht tauchte in seinem Gesichtsfeld auf. Eine raue Hand lag auf seiner Stirn.

»Geh nach Hause, Mann! Lass dich verbinden.«

Endlich erinnerte er sich. Das war Grant.

»Hast du mich verstanden?«

»Die Velos«, keuchte Carl. Er hatte sie zur Siedlung gelockt, also …

Grant schüttelte den Kopf. »Es ist Morgen.«

Ehe Carl antworten konnte, packte Grant ihn unter der Achsel und zog ihn auf die Füße. Die Welt drehte sich. Die Schrotflinte fiel aus Carls Hand. Er wäre ebenfalls gefallen, wenn Grant ihn nicht gehalten hätte.

Boucher tauchte auf einmal in Carls Blickfeld auf. Sein hageres, grau stoppeliges Gesicht war verächtlich verzogen, während er Grant Carls Schrotflinte in die freie Hand drückte. »Bring den Idioten weg, ehe ich mich vergesse.«

»Aye, Sir«, erwiderte Grant und zog Carl auf die Leiter zu, die nach unten führte. »Muss ich dich tragen?«

Lieber starb er! Carl schüttelte den Kopf. Das waren nur die Symptome eines Stardust-Entzugs. Damit kam er klar. Er musste sich nur langsam bewegen, damit ihm nicht schwindelig wurde. Auch wenn sich das leichter anhörte, als es war.

Carl schwitzte, als er unten anlangte. Gleichzeitig war ihm so kalt, dass er nicht einmal mehr zitterte. Über den Dächern des Camps waren die ersten Strahlen der Morgensonne zu sehen.

Er wurde erneut geschüttelt. Grant. »Hörst du mich?«

Mühsam richtete Carl den Blick auf Grants verschwommenes Gesicht. »Mein Motorrad …« Seine Zunge war so schwer, dass sie ihm nicht gehorchen wollte.

»Ernsthaft?« Grants braune Augen glichen zwei dunklen Brunnen.

Natürlich war das sein Ernst. Die Maschine war wichtig. In den Seitentaschen waren die Knollen, die er gesammelt hatte. Und wenn er ohne die zurückkehrte … »Mein Motorrad«, wiederholte er.

Mit einem Seufzen schüttelte Grant den Kopf. »Warte«, sagte er und ließ ihn stehen.

Wie durch einen Schleier sah Carl, wie Grant das Manntor öffnete und hindurchtrat. Die Morgensonne blendete Carl, sodass er die Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, stand Grant mit dem Motorrad neben ihm.

»Hier.« Durch den Nebel drang Grants Stimme in Carls Kopf. »Schaffst du das?«

Carl nickte. Als sich seine Hände um den Lenker schlossen, ließ das Zittern ein wenig nach. Wenn ihm nur nicht so schwindelig gewesen wäre!