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  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Über die Autorin
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Widmung
  7. Einleitung
  8. Kapitel 1: Plötzlich Mutter
    1. Neues Leben, neue Rolle – aber wie damit klarkommen?
    2. Schwangerschaft und Geburt – mein unbekannter Körper
    3. Stillzeit – alles anders als gedacht
    4. Interview mit der Hebamme Christiane Borchard
  9. Kapitel 2: Elternsex
    1. Fürsorgliche Mutter sein, sexy Partnerin bleiben – nur eine Wunschvorstellung?
    2. Verschobene Körperbilder
    3. Interview mit der Sexologin Hanna Krohn
  10. Kapitel 3: Warum es Müttern so schwerfällt, mit sich selbst zufrieden zu sein
    1. Überfrachtete Rollenbilder und überzogene Erwartungen an uns selbst
    2. Die Inszenierung perfekter Körper und Leben auf Social Media
    3. Interview mit dem Marketingexperten Prof. Dr. Andreas Baetzgen
  11. Kapitel 4: Die Eltern als Vorbilder ihrer Kinder
    1. Wie unser Verhalten und unsere Haltung unsere Kinder beeinflussen
    2. Interview mit der Psychologin Julia Tomuschat
    3. Ein realistisches Körperbild entwickeln: Die Bedeutung von Nacktheit
    4. (Gemeinsam) essen lernen: Essstörungen und eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers
  12. Kapitel 5: Mutter in den Wechseljahren
    1. Kind groß, Körper alt – was nun?
    2. Interview mit der Journalistin Silke Burmester
  13. Kapitel 6: Perfekt unperfekt
    1. Das Konzept »Gut genug«
    2. Die Sicht des Partners: Auch Väter haben Selbstzweifel
    3. Das Prinzip der umgekehrten Erziehung: Was wir von unseren Kindern lernen können
    4. Interview mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort
  14. Schluss: Die Magie des Loslassens
    1. Warum es das Leben leichter macht, wenn wir uns so akzeptieren, wie wir sind
  15. Danksagung
  16. Literaturverzeichnis

Über dieses Buch

Das Baby kündigt sich an und die werdenden Mütter genießen ihre Schwangerschaft in vollen Zügen. Wie aufregend, denn nun wächst ein neues Leben heran. Doch bereits nach der Geburt blicken die Mütter selbstkritisch auf den Bauch, der sich nur langsam zurückbildet, sehen die Brüste, die ihre Form verlieren und auch die Augenringe nach durchgemachten Nächten. Damit muss Schluss sein! Die Autorin zeigt, was für ein Wunder der eigene Körper vollbringt und möchte, dass sie ihren Töchtern als Vorbilder dienen, um zu zeigen, dass jeder Körper schön ist.

Über die Autorin

Anne Klesse ist Diplom-Ökonomin und wollte ursprünglich Kriegsberichterstatterin werden. Nach dem journalistischen Volontariat arbeitete sie als Redakteurin bei der Welt, Welt am Sonntag und Berliner Morgenpost in Berlin und schrieb vor allem Reportagen und Porträts. Etliche ihrer Arbeiten wurden mit Journalistenpreisen ausgezeichnet.

A N N E K L E S S E

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Warum Mütter
perfekt sind,
wie sie sind.

Für meinen Sohn
Und für alle Mütter dieser Welt

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Mit meinem dreißigsten Geburtstag hatte ich kein Problem gehabt – zusammen mit zwei Freundinnen hatte ich zu einer großen Party in einen Club eingeladen. Meine Dreißiger begannen also super. Ich verdiente genug Geld, um mir ein cooles Leben mit Reisen und Kultur zu finanzieren. Physische Veränderungen bemerkte ich, wenn überhaupt, nur wenige. Im Gegenteil, endlich fühlte ich mich mehr oder weniger wohl in meinem Körper! Nach drei Jahrzehnten wusste ich langsam, wie er funktioniert, was mir guttut, was ich mir nur ausnahmsweise mal gönnen und was ich besser ganz sein lassen sollte. Im neuen Job in einer neuen Stadt lernte ich viele neue Leute kennen. Ich hatte Spaß, ich hatte Sex, ich spürte mich. Es war aufregend, alles war möglich.

Mein vierzigster Geburtstag ging irgendwie im Alltag unter. Vier Jahre zuvor war ich Mutter geworden. In meinem Leben spielte nicht mehr ich selbst die Hauptrolle, sondern mein Kind. Ich liebe meinen Sohn über alles. Durch ihn entdecke ich jeden Tag viele neue Dinge – in der Welt und in mir. Zum Beispiel, dass sich Kellerasseln zu kleinen Kugeln rollen, wenn man sie aufhebt. Oder Pastinake – bis dahin kannte ich die Petersilienwurzel nicht, jetzt gehört sie zu meinem Lieblingsgemüse. Auch, dass ich plötzlich Sätze sage, die ich früher als Kind selbst von meiner Mutter gehört habe (und schrecklich fand): »Hier sieht’s ja aus wie bei Hempels unterm Sofa!«

In den ersten Jahren mit meinem Sohn spielte sich mein Leben hauptsächlich zwischen frühmorgens und frühabends ab, zwischen Babybrei und Sandkiste. Spätestens gegen achtzehn Uhr stellte sich das Gefühl ein, der Tag neige sich dem Ende zu. Ich hatte den Rhythmus meines Kindes angenommen: Wenn es müde wurde, war ich ebenfalls müde. Manchmal schlief ich gleich mit ein, wenn ich es ins Bett brachte.

Meinen Fotostream auf dem Smartphone fluteten statt Schnappschüssen vom letzten Partywochenende nun Kinderbilder. Tausende Fotos schoss ich allein in den ersten Monaten: vom schlafenden Baby, vom lachenden Baby, vom Baby mit Kuscheltier, Baby vorm Weihnachtsbaum, Baby voll Brei, Baby beim Baden, Baby am Strand. Zu Weihnachten verschenkte ich an die Großeltern und Onkels einen aus kurzen Handyvideos zusammengeschnittenen Film. Er ist anderthalb Stunden lang. Ich bin nicht sicher, ob alle das Werk jemals bis zum Ende angesehen haben.

Erst fiel es mir gar nicht auf, aber irgendwann wurde mir bewusst, dass ich eigentlich nur noch als Beobachterin vorkam, hinter der Kamera. Fotos oder Filme von mir selbst gab es so gut wie keine mehr.

Zu dem Zeitpunkt war ich darüber allerdings sogar ganz froh, denn Fotos von mir betrachtete ich gerade nicht mehr so gern. Mir fielen sofort die dunklen Schatten unter meinen müden Augen auf. Bei Bildern, auf denen ich lachte, konnte ich die fächerartig fallenden Krähenfüße kaum ertragen. Während ich »Lachfältchen« bei anderen immer sympathisch fand, dachte ich bei mir sofort: Alt! Verbraucht! Unattraktiv!

Ganzkörperfotos von mir fand ich eine Zeitlang kaum zu ertragen, vom Strand zum Beispiel. Auf einem hocke ich neben meinem Sohn, der eifrig im nassen Sand buddelt. Meine Augen sind samt Schatten und Krähenfüßen immerhin hinter einer großen Sonnenbrille versteckt. In voller Gänze zu sehen hingegen ist mein Bauch, der sich in kleinen übereinanderliegenden Speckwürstchen wellt und gleichzeitig um den Nabel herum irgendwie verschrumpelt aussieht. Immerhin: Der Busen wird glücklicherweise vom Bikinioberteil gehalten.

Dass mein Blick überhaupt diese Makel erfasst und nicht glücklich auf meinem Kind ruhen bleibt, hätte ich mir früher nicht vorstellen können. Da hätte ich mich eher darüber gewundert, dass Ü40-Frauen überhaupt Wert darauf legen, attraktiv auszusehen.

In der Zeitschrift Gala schrieb die Kolumnistin Katja Kessler vor ein paar Jahren anlässlich ihres achtundvierzigsten Geburtstags: »Es gibt so herrlich einfache Tricks, jünger auszusehen, ohne dass es einen Cent kosten würde. Ich denke da an BH-Weglassen. Zieht jede Falte aus dem Gesicht ab einem gewissen Alter.« Ich habe mich vor Lachen damals gebogen und den Text sogar abfotografiert. Es war das befreite Lachen einer Schwester im Geiste. Brüste, die so sehr hängen, dass sie die Haut weiter oben glattziehen – herrlich! Kann man dann je nach Tagesform anwenden: Darf’s heute ein dralles Push-up-Dekolleté sein oder stattdessen lieber die glatte Visage? Ich finde, wir alten Schachteln brauchen viel mehr Selbstironie, sonst ist das alles ja nicht zu ertragen.

Abgesehen von diesem Kolumnentext muss man feine Selbstironie, die nicht ins Gehässige abgleitet, allerdings lange suchen. Stattdessen geht es in solchen Magazinen eher um Fragen wie die, ob eine prominente Frau »was hat machen lassen«. Oder es werden Bikinifotos von Schauspielerinnen und weiblichen Popstars aus St. Barth gezeigt, in denen per Lupenfunktion unbarmherzig auf Cellulite-Dellen und Fettpolster hingewiesen wird.

Wenn ich solche Fotostrecken sehe, bin ich einerseits erleichtert, weil offensichtlich nicht einmal diejenigen vermeintlich perfekt aussehen, die sich rund um die Uhr Personal Training und plastische Chirurgie leisten können. Andererseits stellt sich natürlich die Frage: Was genau soll dieses »Perfekt« überhaupt sein? Wenn doch alle Frauen, ob dick oder dünn, irgendwann Cellulite haben, warum wird das nicht einfach als normal wahrgenommen, sondern immer als Makel? Als wäre es eine Krankheit, die es zu vermeiden oder zu bekämpfen gilt. Ebenso wie Speckröllchen, Fettpolster oder Falten. Es ist ja nicht so, als wären wir Menschen genormt, und wer von der Norm abweicht, ist irgendwie falsch. Als würde in jedem Menschen eine schlanke, ebenmäßige Person stecken, die bloß durch eigene Verhaltensfehler Rundungen und Beulen, Falten und Furchen bekommt.

Ich fand es cool und sympathisch, als die Kosmetikmarke Dove vor fünfzehn Jahren einen kleinen Skandal auslöste, indem sie in ihrer Kampagne Frauen in all ihrer Unterschiedlichkeit zeigte. Ich erinnere mich gerne an die großformatigen Anzeigen, in denen Frauen mit unterschiedlichen Hautfarben und Körperformen zu sehen waren. Lediglich die Bekleidungsmarke Benetton hatte zuvor schon ähnlich kontroverse Reaktionen mit politisch inspirierten Werbefotos ausgelöst.

Nur gegenüber meinem eigenen Aussehen konnte ich diese Coolness und Sympathie nicht aufbringen: Was ich bei anderen schön finde, gilt bis heute nicht für mich selbst. Bei meinem eigenen Körper kann ich keine Gnade walten lassen. So wie mein altes Ich mit der Mutterrolle irgendwie in den Hintergrund getreten ist, schien auch die Verbundenheit mit meinem Körper eine Zeitlang wie vernebelt. Und das nicht nur wegen des permanenten Schlafmangels, der einen – vor dem Hintergrund, dass Schlafmangel eine Foltermethode ist, nicht weiter verwunderlich – tatsächlich zu einem anderen Menschen machen kann.

Als Mutter war ich plötzlich rund um die Uhr in Aktion für jemand anderen. Ich wickelte, fütterte, badete, spielte. Ich kaufte ein, kochte, hängte Wäsche auf. Es drehte sich alles um die Versorgung des Nachwuchses. Dass es so gar keine Pausen gab, nicht einmal für ein paar Minuten auf der Toilette oder unter der Dusche – denn mein Sohn folgte mir ins Bad, sobald er krabbeln konnte –, konnte ich mir vorher nicht vorstellen. Das ist der große Unterschied zur Erwerbsarbeit, denn dort sind regelmäßige Pausen sogar institutionalisiert und oft vertraglich festgehalten. Ich kenne viele Mütter, die ihren Job im Büro weniger herausfordernd finden als den Alltag zu Hause.

Ich selbst bemerkte lange gar nicht, wie sehr ich mich zwischen all den Fragen rund um das Wohlbefinden meines Kindes verlor und dadurch in eine Art Identitätskrise schlitterte. Danach, was mir selbst guttun würde, fragte ich nicht einmal mich selbst – und jemand anderes erst recht nicht.

Warum war ich als Mensch plötzlich so unsichtbar?

Während der Arbeit an diesem Buch ist mir klar geworden, wie sehr ich in einem Gedankenmuster feststecke. Über Jahrzehnte habe ich gelernt, kritisch meinen eigenen wie auch andere Körper zu betrachten. Als Kleinkind habe ich offensichtlich sehr gerne gegessen. Es gibt zahlreiche pausbäckige Fotos von mir, auf denen ich noch nicht richtig laufen kann, aber schon einen großen Hühnerschenkel oder etwas anderes Essbares in der Hand halte. Die Geschichte, die immer wieder dazu erzählt wurde, ist folgende: Weil ich so gerne gegessen habe, habe man mir keine Süßigkeiten gegeben, sondern stattdessen Gurke oder andere Rohkost. Damit ich nicht dick werde.

Klar, bei kleinen Kindern geht es auch darum, sie von Beginn an gesund zu ernähren und sie vor Mangelerscheinungen, Übergewicht oder gesundheitlichen Problemen zu bewahren. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Dick sein ist etwas Schlechtes, das wird uns hierzulande permanent erzählt. Vor allem Frauen versuchen, einem Schönheitsideal zu entsprechen, das nun einmal nicht der Diversität unserer Körper entspricht. Wie alter Wein, der ständig in neuen Schläuchen daherkommt, gibt es eine regelrechte Diätkultur, die unterstellt, dass wir uns nur genügend anstrengen müssten, um ebenfalls dem gesellschaftlichen Ideal zu entsprechen.

Ich bin mir sicher, dass mein Umfeld es damals mit dem Süßigkeiten-Verbot nur gut meinte. Ich mache niemandem einen Vorwurf. Doch abgespeichert habe ich, dass Schlanksein wichtig ist. Erst jetzt, mit vierundvierzig Jahren, ist mir bewusst geworden, wie sehr ich diesen Glaubenssatz verinnerlicht habe. Bis heute spüre ich tief in mir drin eine Art Geringschätzung gegenüber undiszipliniertem Verhalten – und das nicht nur beim Thema Essen. Dafür schäme ich mich jetzt.

Welch ein Gewinn wäre es, wenn wir Frauen, wir Mütter, wir Eltern, wir Menschen weniger übereinander urteilen und stattdessen versuchen würden, uns mehr wertzuschätzen? Wir müssen es ja nicht »Empowerment« nennen – das klingt für mich zu sehr nach den Großstadtcliquen beruflich erfolgreicher Frauen, die sich zwar gegenseitig auf Panels einladen und in ihren Instagram-Storys verlinken, letztendlich aber doch nur in ihrer elitären Bubble und unter sich bleiben. Und wenn ich selbst versuche, weniger zu bewerten – vielleicht mag ich mich dann auch selbst besser leiden? Es heißt: »Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben.« Vielleicht ist das keine Einbahnstraße, sondern gilt auch andersherum: Wer das Liebenswerte im Gegenüber sieht, erkennt eher das Liebenswerte in sich selbst.

Muttersein ist das Faszinierendste und Spannendste, das ich in meinem Leben bisher kennen gelernt habe. Ich liebe mein Kind über alles, und gleichzeitig spüre ich diese permanente Erschöpfung, die selbst nach einmal richtig Ausschlafen nicht verschwindet, und auch die Sehnsucht nach ein bisschen mehr Leben so wie früher. Nach weniger Verantwortung und mehr Leichtigkeit. Nach Tanzen bis in den nächsten Tag hinein. Danach, über die Stränge zu schlagen, mal nicht vernünftig zu sein, nicht so elternmäßig erwachsen.

Ich wünschte, ich könnte jeden Augenblick, jeden Atemzug meines Kindes begleiten, und gleichzeitig wünschte ich, ich hätte mehr Zeit für mich, für meine Interessen, für Kunst und Kultur, dafür, spontan ans Meer zu fahren und nichts zu machen, außer aufs Wasser zu schauen. Mehr Ich in all dem Wir nannten meine Journalistinnen-Kolleginnen und Bloggerinnen Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim ihren zweiten Mama-Mutmacher. Ich finde, die Aussage trifft es ziemlich gut.

Doch das Ich in all dem Wir verblasst, und das hört nicht bei den grauer werdenden Haaren oder den fehlenden Fotos von uns selbst auf. Meine Erfahrung ist, dass der äußere Wandel einhergeht mit einem inneren. Mein Körper verändert sich, und auch mein Leben verändert sich parallel dazu. Nicht nur in dem Sinne, dass es diesen kleinen neuen Menschen gibt, für den ich sorge. Auch Einstellungen mir selbst und anderen gegenüber verändern sich mit ihm. Und sogar der Blick von außen wird mit der Zeit ein anderer.

Es geht also nicht bloß um ein paar Falten hier oder Speckröllchen dort, sondern um ein Leben, das durch die Mutterschaft komplett auf den Kopf gestellt wird. Dinge, die immer selbstverständlich waren, sind plötzlich verschwunden, und das Vorhandene neu zu ordnen ist unsere Aufgabe. In und mit uns selbst. Mit diesem Buch versuche ich, die Dinge für mich zu ordnen.

Dieses Buch ist kein Fachbuch. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder wird in seinen Schilderungen nicht allgemein gültig sein. Ich schreibe über meine eigenen Erfahrungen, Gefühle und Gedanken. Mittlerweile weiß ich, dass ich mit ihnen nicht allein bin. Ich versuche, nicht über andere zu urteilen und niemanden auszuschließen, sondern alle zu inkludieren, die Ähnliches erfahren, fühlen, denken.

Liebe, Beziehung, Partnerschaft, Sex, der Umgang mit dem eigenen Körper, Muttersein – all das hat vielfältige Facetten. Weil ich keine Expertin für Psyche oder Geburt bin oder für das weibliche Geschlecht, habe ich Studien gelesen und Gespräche mit Expertinnen und Experten geführt, die in dieses Buch einfließen.

»Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein«, schrieb der Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso vor gut zweihundert Jahren. Der Satz klingt aus heutiger Sicht einerseits ausgrenzend – für all diejenigen, die nicht Mutter sind (aber vielleicht trotzdem lieben und glücklich sind). Andererseits glaube ich, zu wissen, was er gemeint hat, und das ist universell: Die Liebe zum Kind ist eine andere als die zu Eltern, Geschwistern, Freundinnen und Freunden, Partnerinnen und Partnern. Für mich ist sie bedingungslos. Sie muss nicht auf Gegenseitigkeit beruhen und durch nichts genährt werden. Sie ist einfach da. Und bleibt für immer.

Mutterglück selbst hingegen ist nicht selbstverständlich. Es sagt sich leicht dahin und klingt ein bisschen nach 1950er-Jahre-Kitsch. Wer »Mutterglück« googelt, bekommt zig Ergebnisse ausgespuckt, die ein schräges Bild vermitteln: Hausdekorationsideen auf Pinterest zum Beispiel, schwulstige Sinnsprüche und Fotos von stillenden, selig lächelnden Frauen. Dabei ist das Muttersein begleitet von vielen unterschiedlichen Gefühlen, nicht nur guten. Außer von Glück, unbändiger Freude, Liebe, Neugier, Leichtigkeit und Stolz auch von Sorgen, die ich bis dahin nicht kannte. Von Ängsten, Schmerzen, Unsicherheiten. Von Einsamkeit.

2015 machte der Hashtag #regrettingmotherhood in den sozialen Netzwerken die Runde. Mutterschaft bereuen und offen darüber sprechen? Bis dahin war das ein absoluter Tabubruch. Der Anlass war die Veröffentlichung des gleichnamigen Buches der Soziologin Orna Donath, das auf Interviews mit Müttern in Israel basierte. Diese hatten über die negativen Auswirkungen ihrer Mutterschaft berichtet. Zusammenfassend kann man sagen, sie empfanden einen Verlust an Autonomie und sprachen über mentalen Stress, den die Autorin als Folge widersprüchlicher und unerreichbarer sozialer Normen des Konzepts Mutterschaft interpretierte. Nach Veröffentlichung des Buches auf Deutsch wurden auch hierzulande die Einstellung von Müttern zu ihrer Mutterschaft sowie der gesellschaftliche Entwurf der Mutterrolle und der daraus resultierende Druck diskutiert.

Eine drei Jahre später folgende quantitative Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt, dass sich Frauen, sobald sie Mutter werden, tatsächlich schlechter fühlen. Ihr mentales Wohlbefinden nahm innerhalb der ersten sieben Jahre nach der Geburt des Kindes ab. Bei fast der Hälfte der befragten Mütter nahmen die psychischen und gesundheitlichen Belastungssymptome zu, bei dreißig Prozent sogar substanziell. Knapp ein Drittel der Mütter berichtete allerdings auch über eine Verbesserung ihres mentalen Wohlbefindens. Wie sich die Mutterrolle auswirkt, ist laut DIW abhängig vom sozioökonomischen Status: Wenn genug Geld und Unterstützung vorhanden sind, lassen sich Pausen und Selbstverwirklichung eher realisieren. Dann gibt es die Möglichkeit, neben der Care-Arbeit auch noch eigenen Interessen nachzugehen, Freunde zu treffen, Sport zu treiben. In der Folge wird die Belastung als weniger stark empfunden.

Gerade Alleinerziehenden – in Deutschland sind das zu neunzig Prozent Mütter – fehlt jedoch oft der dafür nötige Rückhalt. Sie sind für alles allein zuständig, sowohl für die großen Dinge, wie Lebensunterhalt verdienen und das Kind im Alltag versorgen, als auch für die vielen kleinen – sichtbaren und unsichtbaren – Dinge, die als »Mental Load« zusammengefasst werden können: daran zu denken, Pausenbrote vorzubereiten, Fingernägel zu schneiden, rechtzeitig Geschenkpapier und Geschenke für Kindergeburtstage zu besorgen, an Elternabenden teilzunehmen und so weiter.

Hinzu kommt, dass rund ein Drittel aller Alleinerziehenden in Deutschland von Armut bedroht sind. Das macht zusätzlich Stress und führt dazu, dass noch weniger Pausen vom Alltag genommen werden können, denn Urlaub und Babysitter sind teuer. Gleichzeitig haben Alleinerziehende das größte Risiko, psychisch zu erkranken: Sie sind – und das ist vielleicht der größte Unterschied zu allen anderen Mitgliedern der Gesellschaft – gleichzeitig finanziell, mental und zeitlich be- und manchmal auch überlastet.

Auf all diese neuen Herausforderungen war ich nicht vorbereitet. Inzwischen glaube ich, die Annahme der Mutterrolle ist vielleicht die größte Anpassungsleistung im Leben einer Frau. Auch ist sie abhängig von vielen Dingen – dem Umfeld zum Beispiel oder der eigenen physischen und psychischen Verfassung, der eigenen Sozialisation, dem Alter und dem sozialen Status der Gebärenden.

Dieses Buch ist deshalb auch eine Reise zu mir selbst. Zurück in meine eigene Kindheit, zurück zu mir als Schwangere, in den Kreißsaal zur Entbindung meines Sohnes, zu den Anfangsjahren meiner Mutterschaft, zu den Unzulänglichkeiten meines Körpers. In der Retrospektive würde ich meinen Körper und das, was er jeden einzelnen Tag in den vergangenen vierundvierzig Jahren geleistet hat, gerne mehr schätzen.

Die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo, bekannt für ihre Selbstbildnisse, auf denen sie sich mit kräftigen Brauen und Damenbart malte, schrieb über ihren eigenen Körper: »Ich mag an meinem Gesicht meine Augenbrauen und die Augen. Ansonsten mag ich nichts. Mein Kopf ist zu klein. Meine Brüste und Genitalien sind normal. Vom anderen Geschlecht habe ich einen Schnurrbart und überhaupt die Gesichtszüge.« Nach meinem Empfinden war Frida Kahlo eine wunderschöne Frau. Sie selbst konnte das offenbar nicht immer so sehen.

Und wie sehe ich mich selbst? An meinem Gesicht mag ich meine Augen. Ich versuche, die Krähenfüße als Beweis dafür zu sehen, dass ich viel zu lachen habe. Über die Größe meines Kopfes habe ich noch nie nachgedacht. Ich mag meine Brüste und Genitalien. Ohne Letztere wäre ich immerhin nicht Mutter. Ich habe glücklicherweise keinen Schnurrbart, und falls mir mal einer wachsen sollte, fände ich es legitim, ihn zu entfernen. Und abgesehen davon: Die Künstlerin schrieb auch, »der wichtigste Teil des Körpers ist das Gehirn«. Wie Recht sie hat!

Ich habe beschlossen, mich von nun an zu mögen. Und ich möchte dankbar sein: Jeden Abend, wenn ich meinen Sohn ins Bett bringe, sehe ich ein sattes, gesundes, glückliches Kind dort liegen, in einem – zugegeben – meist ziemlich unaufgeräumten, aber sicheren, trockenen Zuhause. Angesichts des vielen Leids in der Welt ist das schon ein ordentliches Pfund, das ich viel zu oft nicht beachte. So vieles liegt nicht in meiner Macht. Das fängt schon dabei an, wie dieser kleine Mensch entstanden ist. Die Empfängnis folgt keinem Plan, keiner Kontrolle. Umso wichtiger ist es, immer wieder zu reflektieren und gleichzeitig den Blick zu schärfen für die vielen tollen Dinge, die gut sind im Leben und die noch kommen werden: annehmen, was ist. Zumindest das ist eine bewusste Entscheidung.

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