Über das Buch:
König Hiskia hat sich entschieden: Er stellt die Tributzahlungen an die Assyrer ein und vertraut darauf, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs seine schützende Hand über Juda hält. Derweil baut Eljakim, der fähige Baumeister, den Tempel wieder auf. Und da jederzeit mit der Invasion der Assyrer zu rechnen ist, setzt er auch die Stadtmauern instand. Eine wichtige Beraterin findet er in der hübschen Jeruscha, die jahrelang von den Assyrern gefangen gehalten wurde. Sie bringt Eljakim auf die Idee, König Hiskia ein ambitioniertes Projekt vorzuschlagen: Ein Tunnel soll Jerusalem bei einer Belagerung mit Wasser aus der Gihonquelle versorgen. Von zwei Seiten aus wird gegraben, aber die Zeit drängt. Gehen seine Berechnungen auf ? Seine volle Konzentration gilt dem Tunnelprojekt, sein Herz aber erobert Jeruscha ...
Über die Autorin:
Lynn Austin ist eine weltweit bekannte Bestsellerautorin. Mit Titeln wie »Die Apfelpflückerin«, »Luisas Töchter« oder »Im Sand der Erinnerung« schrieb sie sich in die Herzen ihrer Leser. Sie wurde für ihre historischen Romane achtmal mit dem Christy Award ausgezeichnet, dem bedeutendsten christlichen Romanpreis in den USA, und ist eine gefragte Rednerin bei Tagungen und Konferenzen. In Deutschland gilt sie als die beliebteste christliche Romanautorin. Lynn und ihr Mann haben drei Kinder großgezogen und leben in Holland, Michigan. Mehr erfahren Sie unter www.lynnaustin.org.
Kapitel 4
Die unheimliche Stille, die plötzlich in dem Hain herrschte, ängstigte Jeruscha mehr, als die Schreie es getan hatten. Sie lag auf dem Boden, starr vor Schock und Schmerzen, und lauschte. Die qualvollen Schreie hatten allesamt aufgehört. Die anderen Mädchen waren tot. Und jetzt würde Jeruschas Peiniger auch sie töten. Er rollte von ihr herunter und stand auf. Voller Entsetzen sah sie zu, wie er einen kurzen Dolch aus seinem Gürtel zog.
»Nein – bitte! Bitte töte mich nicht.« Ihre Stimme war kaum zu hören.
Sie starrte in sein dunkles Gesicht und sah ihn jetzt zum ersten Mal deutlich. Er war schlank und muskulös, mit welligem schwarzem Haar und einem kurzen, eckig geschnittenen Bart. Seine tief liegenden Augen blickten kalt und grausam drein. Sie hob die Hände, als wollte sie den Hieb seines Messers abwehren.
»Bitte nicht!«, flehte sie.
Seine Augen verengten sich, als würde er über ihre Bitte nachdenken. Jeruscha wappnete sich für den ersten schmerzhaften Messerstich, aber er streckte die Hand aus, packte sie am Handgelenk und zog sie auf die Beine. Jeruscha konnte kaum stehen, geschweige denn gehen, aber er schob sie auf dem Weg vor sich her, während er die Spitze seines Messers in ihren Rücken drückte, damit sie weiterging.
Während sie zwischen den Bäumen hindurchstolperte, entdeckte Jeruscha, welches Schicksal die anderen Gefangenen ereilt hatte. Ihre Leichen lagen überall im Hain verstreut. Als sie ihre Cousine Sera sah, die nur noch an ihrem bestickten Brautkleid zu erkennen war, sank Jeruscha auf die Knie und übergab sich. Ihr assyrischer Entführer lachte. Das Geräusch passte gar nicht zu dem Schrecken um sie herum. Dann griff er Jeruscha plötzlich am Haar, riss ihren Kopf zurück und drückte ihr die Klinge des Messers an den Hals. Angst durchflutete sie. Sie würde sterben.
Aber einen Augenblick später ließ er sie los. Er sagte etwas in seiner Sprache und seine buschigen Augenbrauen wanderten nach oben, so als hätte er ihr eine Frage gestellt. Jeruscha verstand. Er ließ ihr die Wahl: Entweder sie fügte sich ihm oder sie starb. Sie hatte nur eine Sekunde, um ihre Entscheidung zu treffen. Sie verneigte sich vor ihm und umklammerte seine Füße.
»Bitte, ich tue alles … ich will nicht sterben.« Er lachte und zog sie an den Haaren wieder hoch, dann stieß er sie erneut den Weg entlang.
Sie trafen auf die anderen Soldaten, die bei den Pferden warteten. Jeruschas Entführer bellte einige Befehle und sie sah, dass die Männer ihm eilig gehorchten. Er war älter als die anderen – wahrscheinlich Mitte dreißig – und eindeutig der Anführer der Truppe. Einer der Männer fesselte Jeruschas Hände und warf sie wie einen Sack über den Rücken eines Pferdes. Dann stiegen sie alle auf und ritten mit ihr davon.
Beinahe eine Woche lang reisten die Soldaten mit ermüdender Geschwindigkeit in Richtung Nordosten, wobei sie gelegentlich haltmachten, um eine ahnungslose Stadt zu überfallen, so wie sie es mit Dabbeschet getan hatten. Sie brandschatzten, töteten und vernichteten. Jeruscha konnte keinen Grund dafür erkennen, außer dem, im ganzen Land Angst und Schrecken zu verbreiten. Zwischen den Dörfern hinterließen sie eine Spur verbrannter Felder, geschlachteter Tiere und zerstörter Weinberge und Olivenhaine. Jeruscha fragte sich, ob die Assyrer auch die kleine Farm ihres Vaters zerstört hatten, bevor sie Dabbeschet angegriffen hatten. Sie hoffte nicht, weil sie wusste, wie sehr Abba sein Land liebte. Geliebter Abba. Jeruscha weinte, wenn sie an ihn dachte und daran, wie verzweifelt er sie hatte retten wollen. Sie versuchte sich an sein Lächeln und seine Stimme zu erinnern, aber jedes Mal, wenn sie ihn sich vorstellte, sah sie das Schwert des Assyrers, das auf ihn einhieb, und Abbas blutüberströmtes Gesicht.
Bitte, Gott, betete sie. Bitte mach, dass er am Leben ist.
Sie dachte an Mama und ihre Schwester Maacha, die unter dem Wagen gekauert hatten, und fragte sich, ob die Soldaten sie entdeckt hatten. Hatten sie Maacha etwa auch entführt?
Bitte, Gott …
In den folgenden Tagen dachte Jeruscha immerzu an ihre Familie und schwor, dass sie irgendwie, irgendwann einen Weg finden würde zu fliehen und nach Hause zurückzukehren. Sie würde all dies irgendwie überleben und eines Tages wieder mit ihren Angehörigen vereint sein. Ihre Liebe zu ihnen gab ihr den Willen, die scheinbar endlosen Tage voller Schrecken und Grausamkeit zu überleben. Aber je weiter sie sich von zu Hause entfernten und je unbekannter die Gegend wurde, desto mehr schwand ihre Hoffnung. Wie Wasser, das aus einem zerbrochenen Krug sickert.
Jeruscha hatte inzwischen gelernt, dass ihr Entführer Iddina hieß. Er hatte den Namen gebrüllt und auf sich selbst gezeigt und dann hatte sie den Namen wiederholen müssen. Iddina machte ihr schreckliche Angst. Die Grausamkeit in seinen dunklen Augen, seine Gewaltbereitschaft und sein Durst nach Blutvergießen waren nicht zu verkennen. Sein Anblick, sein Geruch widerten sie an, wenn er sie Nacht für Nacht in sein Zelt zwang. Aber sie dachte an die verstümmelten Leichen in dem kleinen Platanenhain und wusste, dass völlige Unterwerfung ihre einzige Hoffnung war, wenn sie überleben wollte.
Sechs Tage nach dem Überfall auf Dabbeschet erreichten die assyrischen Angreifer endlich ihr Ziel viele Meilen nördlich. Jeruscha roch das assyrische Lager, bevor sie es sah, ausgedehnt wie eine riesige schwarze Einöde um eine belagerte Stadt herum. Dichter Rauch und der Gestank des Todes hingen überall in der Luft; es roch nach Blut und Verwesung. Alle Bäume – jahrhundertealte Olivenhaine, Weinberge und Obstgärten, wie Jeruscha vermutete – hatte man abgeschlagen und das Ackerland war unter einer Decke aus schwarzen Zelten niedergetrampelt worden. Die ganze Welt der Assyrer wirkte auf Jeruscha dunkel und bedrückend und sie sah mehr Soldaten und Wagen und Pferde, als sie für möglich gehalten hatte. Einem so trostlosen Ort entfliehen zu wollen, schien aussichtslos.
Es war früher Abend, als sie im Lager eintrafen, und Iddina führte sie zum Bereich der Offiziere, wo die größeren Zelte mit drei Kammern mehr Luxus boten als die Unterkünfte der gewöhnlichen Söldner. Iddina blieb unter einem der wenigen verbliebenen Bäume stehen, wo drei andere Assyrer, die in die gleichen Offiziersgewänder gekleidet waren wie er, auf Matten unter dem Baum saßen und ihre Abendmahlzeit aßen. Die anderen Männer schienen erfreut, Iddina zu sehen, und begrüßten ihn mit deftigen Rufen. Er stieß Jeruscha in ihre Mitte, ein Jäger, der stolz seine Trophäe vorzeigt, und die Männer verloren schnell das Interesse an ihrem Essen und starrten sie mit unverhohlener Lust an.
»Nein … oh nein, bitte …«, wimmerte Jeruscha und wich zurück.
Ohne Vorwarnung schlug Iddina ihr ins Gesicht und stieß sie wieder zu den anderen Männern. Dann schrie er etwas und eine Frau, die an der Feuerstelle gekniet hatte, sprang auf und eilte zu ihnen herüber. Sie war die erste Frau, die Jeruscha seit Tagen sah, aber sie wirkte eher wie ein Tier und nicht wie ein Mensch und sie bewegte sich so geduckt und ängstlich wie ein geprügelter Hund. Jede ihrer Bewegungen roch nach Angst.
»Ich heiße Mara«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Sie wollen, dass ich für dich übersetze.«
Jeruscha war überrascht, dass sie perfektes Hebräisch sprach. »D-du bist aus Israel?«, stammelte sie. Mara nickte. Trotz der toten Augen und der Blässe ihrer Haut konnte Jeruscha sehen, dass sie einmal eine schöne Frau gewesen war. Sie schien geradezu durch Jeruscha hindurchzusehen, während sie Iddinas wütende Tiraden übersetzte.
»Iddina sagt, dass die Assyrer ihre Beute immer teilen. Er sagt, er wird nicht selbstsüchtig sein und dich für sich behalten. Du gehörst jetzt ihnen allen.«
Jeruscha wich instinktiv zurück. »Nein … nein!«
So schnell wie eine Katze auf der Jagd packte Iddina sie von hinten und hielt ihr seinen Dolch an die Kehle. Jeruscha wusste, was er sagte, noch bevor Mara es übersetzte. »Iddina sagt, du hast die Wahl. Willst du immer noch leben?«
Die Angst lähmte Jeruscha.
»Entscheide dich«, wiederholte Mara.
Jeruscha begann zu schluchzen. Sie hatte keine Wahl. Beide Alternativen waren entsetzlich; beide würden sie vernichten. Ihre Tränen riefen bei den Männern nur Gelächter hervor und kein Mitleid. Sie wirkten mehr wie Tiere denn wie Menschen.
»Stirb, du Närrin!«, flüsterte Mara heiser. »Stirb, während du noch die Chance hast, schnell zu sterben!«
Jeruscha konnte die wartenden Männer durch ihre Tränen hindurch nicht mehr sehen, aber sie spürte die Anspannung und Kraft in Iddinas Armen, als er sie hielt, die Klinge an ihren Hals gedrückt.
»Oh Gott, bitte hilf mir«, schluchzte Jeruscha. »Ich will nicht sterben.«
Mara murmelte etwas und Jeruscha fühlte, wie Iddinas Arm locker ließ. Er schien mit ihrer Entscheidung zufrieden zu sein. Lachend steckte er sein Messer in die Scheide und schob sie zu den wartenden Männern.
Kapitel 5
König Hiskia musterte die Gesichter der Männer, die sich vor ihm verneigten und ihre Unterstützung gelobten, während er sich fragte, wie er die Ehrlichen von den Heuchlern unterscheiden sollte. Sie versammelten sich vor seinem Thron und warteten darauf, dass er das Wort an sie richtete.
Vor den Fenstern des Palasts prasselte immer noch kalter, heftiger Regen auf die Stadt und verwandelte den sandfarbenen Stein in eine tiefgoldene Farbe. Die Frühjahrsniederschläge waren für die Wirtschaft seines Landes so kostbar wie Gold und in diesem Jahr waren sie reichlich gefallen. Hiskia hoffte, dass sie den Beginn göttlichen Segens bedeuteten.
Die Fenster des Thronsaals waren gegen Regen und Wind fest verschlossen worden und ließen nur wenig Licht herein. Hiskia hatte Anweisung gegeben, dass alle Fackeln und Bronzeleuchter entzündet werden sollten, aber trotzdem war es im Saal düster und die Atmosphäre war angespannt, als die versammelten Männer darauf warteten, dass er das Wort ergriff.
»Unser Volk irrt schon viel zu lange in der Finsternis herum, ohne dass Gottes Licht uns geführt hätte«, begann er. »Aber das wird sich jetzt ändern. Ich werde diese Regierung von Grund auf erneuern und ich gedenke, dieses Volk nach den Gesetzen des Mose zu führen. Das bedeutet, dass wir einiges anders machen werden als in der Vergangenheit. Von jetzt an werdet ihr bei jedem Urteil und jeder Entscheidung, die ihr trefft, sowie bei allem, was ihr tut, die Leviten und die Gesetzeslehrer konsultieren. Wir müssen den Gesetzen der Thora treu bleiben. Eine Stellung in meiner Regierung wird Männern vorbehalten sein, die nach diesen Gesetzen leben und die beim Götzendienst keine Kompromisse eingegangen sind.«
Ein Windstoß pfiff um das Gebäude und der Regen hämmerte gegen die hölzernen Läden, als Hiskia eine Pause machte. Als niemand die Tatsache hinterfragte, dass Schebna – ein Ungläubiger – zu seiner Rechten saß, wusste Hiskia, dass er einem Publikum erfahrener Politiker gegenüberstand, die darin geübt waren, ihre Gedanken und Gefühle für sich zu behalten. Es war kalt im Thronsaal, aber trotzdem spürte Hiskia, wie ihm der Schweiß den Nacken hinunterlief.
»Zunächst werde ich die Verwaltung auf allen Regierungsebenen überwachen, um Bestechung und Korruption, die während der Herrschaft meines Vaters üblich waren, auszumerzen. Außerdem werde ich öffentliche Versammlungen abhalten, um alle Gesuche anzuhören, damit die Ungerechtigkeit gegenüber den Armen aufhört. Micha von Moreschet hat mir jüngst bewusst gemacht, wie zornig Gott angesichts solcher Ungerechtigkeiten ist«, sagte er und zeigte auf den Propheten, »und ich verlasse mich darauf, dass er uns alle auch in Zukunft zur Rechenschaft ziehen wird.«
»Ja, natürlich, Majestät«, erwiderte Micha. Sein linker Arm wurde von einer Schlinge gehalten und seine vielen Prellungen hatten einen dunklen Lilaton angenommen. Mit seinem gebräunten Gesicht und seiner schlichten Kleidung wirkte er zwischen den wohlhabenden Edelmännern regelrecht fehl am Platze.
»Ich habe den Priestern und Leviten Anweisung gegeben, den Tempel neu zu weihen«, fuhr Hiskia fort, »damit die regelmäßigen täglichen Opfer wieder dargebracht werden können. Aber zuerst müssen am Tempel Reparaturen durchgeführt werden und alles, was nicht von Jahwe befohlen wurde, muss daraus entfernt werden. Ich habe Eljakim, den Sohn Hilkijas, heute zu unserer Ratssitzung eingeladen.« Hiskia gab dem jungen Mann ein Zeichen vorzutreten, dann wartete er, während der junge Mann sich tief verneigte. »Eljakim, du wurdest mir als fähiger Baumeister und als treuer Anhänger Jahwes empfohlen. Ich übertrage dir die Verantwortung für die baulichen Maßnahmen am Tempel. Außerdem wirst du von jetzt an als Mitglied meines Beraterstabs dienen.«
Hiskia vernahm ein leises Murmeln, das Überraschung auszudrücken schien oder vielleicht auch Unzufriedenheit, weil ein Neuling ohne königliche Empfehlung einen so wichtigen Auftrag erhielt. Eljakims verdutzte Miene zeigte eine Vielfalt von Gefühlen, darunter Erstaunen und Ehrfurcht, aber er fasste sich schnell wieder und verneigte sich erneut.
»Es … es ist mir eine Ehre, Eure Majestät. Und es ist ein großes Vorrecht.«
»Was die Reparaturen betrifft«, fuhr Hiskia fort, »habe ich eine kleine Goldmenge wiederbeschafft, die Uria vom Tribut für die Assyrer gestohlen hatte. Da diese Schätze ursprünglich aus dem Tempel stammen, werde ich sie dazu verwenden, die Bauarbeiten zu finanzieren. Wenn der Tempel fertig ist, will ich ein Opfer für die Sünden unseres Volkes darbringen und unseren Bund mit Gott erneuern. Ich werde Tiere aus den königlichen Stallungen beisteuern, aber die Mitglieder meines Hofstaats und die Beamten der Stadt sind eingeladen, sich daran zu beteiligen, ebenso wie jeder in Juda, der Vergebung für seine Sünden erbitten möchte.«
Er blickte in die Gesichter vor ihm und versuchte zu erkennen, was die Männer dachten. Er war sich sicher, dass es unter ihnen Unzufriedenheit, Missfallen und vielleicht sogar Verschwörungspläne gab, aber äußerlich war niemandem etwas anzumerken. Er wollte sie überrumpeln, damit sie in einem unbedachten Augenblick ihre Meinung sagten, wollte sie aus ihrem Versteck locken und sehen, wo die Front verlief. Secharja hatte ihm geholfen, ein explosives Thema vorzubereiten, und er beschloss, es jetzt zur Sprache zu bringen in der Hoffnung, eine Reaktion auszulösen und aufzudecken, wo es Spaltungen gab.
»Es gibt noch eine letzte Frage, die wir besprechen müssen. Das Gesetz des Mose verlangt, dass die Bevölkerung den Priestern und Leviten den Zehnten gibt, damit sie sich dem Tempeldienst und den Opfern widmen können. Aber die Menschen leiden schon unter den hohen Steuern, die mit dem assyrischen Tribut verbunden sind. Wie es scheint, stehen das Gesetz Gottes und die Forderungen der Assyrer in direktem Widerspruch. Wenn unser Volk eine Zukunft haben soll, müssen wir überlegen, was wir deswegen unternehmen wollen. Ich will, dass wir nicht mehr unter der Kontrolle der Assyrer stehen und stattdessen auf Gott vertrauen, aber zuerst muss ich überlegen, was passieren wird, wenn wir aufhören, den Tribut zu zahlen.«
»Ihr würdet Selbstmord begehen!«, rief einer der früheren Berater von Ahas. Er war ein erfahrener Staatsmann, der nicht nur unter Ahas, sondern auch schon unter König Jotam gedient hatte. »Die Assyrer würden mit ihrer riesigen Armee gen Jerusalem marschieren, sobald ihnen unsere Rebellion zu Ohren kommt.«
»Das stimmt«, fügte ein anderes Ratsmitglied hinzu. »Ihr würdet ohne Not das ganze Volk gefährden.«
»Aber unser Volk ist dazu berufen, Jahwe zu dienen, nicht dem Assyrischen Reich«, wandte Asarja ein. Hiskia hatte den neuen Hohenpriester instruiert, die Gegner gezielt aus der Reserve zu locken, doch ein dritter Berater fuhr ihn scharf an.
»All die anderen Völker um uns herum zahlen ebenfalls Tribut. Glaubst du, das sind alles Narren? Es gibt einen sehr guten Grund, warum unsere Steuern zu den Assyrern gehen und nicht zum Tempel.«
»Er hat recht, Majestät«, fügte General Jonadab hinzu. »Ich kann einen detaillierten Bericht über die Assyrer erstellen, wenn Ihr wollt. Das wird eine erschreckende Lektüre für euch sein, da bin ich mir sicher. Sie sind ein brutales, gnadenloses, blutrünstiges Volk.«
»Und wir können es uns nicht leisten, noch mehr Steuern für den Tempel zu zahlen«, ergänzte der ehemalige Schatzmeister von Ahas. »Die assyrischen Forderungen sind schon jetzt kaum zu stemmen.«
»Aber es war die Sünde unseres Volkes, die unsere Knechtschaft unter das Assyrische Reich überhaupt erst bewirkt hat«, erwiderte der Prophet Micha. Er war aufgestanden und seine Leidenschaft für das Thema war unverkennbar. »Wenn wir Jahwe wieder zum Haupt unseres Volkes machen, können wir das Joch der Assyrer abwerfen.«
»Einen Moment!«, sagte Schebna. Er saß auf der Kante seines Stuhls, als er Micha widersprach. »Wenn du eine religiöse Erweckung herbeiführen willst und verlangst, dass alle ihre Götzenbilder wegwerfen, um Jahwe anzubeten, dann ist mir das gleichgültig. Aber es wäre katastrophal, wenn dein religiöser Eifer unsere politischen Entscheidungen beeinflusst.«
Micha gab nicht nach. »Wenn wir erst einmal unseren Bund mit Gott erneuert und das Land vom Götzendienst gereinigt haben, können wir keinem Herrn mehr dienen außer Jahwe. Und den Assyrern zu geben, was Jahwe zusteht, wäre eine schwere Sünde.«
»Du verstehst nichts von Weltpolitik«, gab Schebna zurück. »Wenn wir aufhören, den Tribut an die Assyrer zu zahlen, werden wir vernichtet. Wir dürfen religiösen Idealismus nicht mit der politischen Realität verwechseln.«
»Da irrst du dich.« Michas Stimme war leise, aber entschlossen. »Es gibt keinen Unterschied zwischen beiden. König Hiskia ist nicht der eigentliche Herrscher von Juda – das ist Jahwe. Unsere Vorväter wollten einen König wie alle anderen Völker, aber unser wahrer König ist Gott selbst. Deshalb besteht kein Unterschied zwischen unserer Religion und unserer Politik. Sie sind ein und dasselbe.«
Es beunruhigte Hiskia, dass Schebna dem Propheten gegenüber einen so scharfen Ton anschnitt, und er fragte sich, ob seine Ernennung nicht doch ein schwerer Fehler gewesen war. Aufmerksam beobachtete er die versammelten Männer, als sich immer mehr von ihnen in die Debatte einschalteten, und bemerkte, dass die meisten sich auf Schebnas Seite schlugen. Der Graben zwischen dem religiösen und dem weltlichen Lager war offenbar sehr tief. Aber während Hiskia den Argumenten beider Seiten lauschte, wurde er zunehmend unsicher, wem er zustimmte. Schebna hatte ihn gelehrt, pragmatische, wohlüberlegte, vernunftorientierte Entscheidungen zu treffen; Secharja drängte ihn, allein auf Gottes Macht zu vertrauen. Diese beiden Seiten in Hiskia schienen so unvereinbar wie die beiden streitenden Gruppierungen.
Plötzlich leuchtete ein Blitz vor den verschlossenen Fenstern auf und gleich darauf hörte Hiskia das dazugehörige Donnergrollen. Zum Wohl seines Volkes würde er versuchen, beide politischen Lager und auch beide Seiten in sich selbst zu besänftigen – solange es möglich war. Mit einer am Boden liegenden Wirtschaft, den tief gespaltenen Edelleuten und seinem verängstigten Volk würden die nächsten Monate seiner Herrschaft noch schwer genug werden.
* * *
Prinz Gedalja kochte vor Wut, während er in der Ratssitzung des Königs saß. Endlich hatte Hiskia einen Palastverwalter ernannt – aber nicht ihn. Er hatte Gedalja überhaupt keine Position zugewiesen, nicht einmal die Aufgabe, die Bauarbeiten am Tempel zu überwachen. Irgendein gewöhnlicher Bürger namens Eljakim hatte diesen Auftrag erhalten und Gedalja war deswegen außer sich vor Wut. Er war getrieben von dem Wunsch, sich an Hiskia zu rächen, weil der ihm keinerlei politische Gefälligkeiten erwiesen hatte, und während er die erbitterte Gegnerschaft zwischen den Beratern seines Vaters und dem neuen religiösen Lager beobachtete, reifte in ihm eine Idee, wie er vielleicht seine Rache bekommen konnte – und mehr noch als das. Warum sollte Schebna sich mit der Rolle des zweiten Mannes im Staat zufriedengeben, wenn er stattdessen König sein konnte?
Hiskias neue Politik hatte viele Mächtige im Land und wichtige Männer im Adel verärgert. Gedalja wäre ihre offensichtliche Wahl, wenn sie beschlossen, dass sie von Hiskias Religion genug hatten. Aber zuerst musste er sie wissen lassen, dass er die Dinge so sah wie sie. Er hatte sich alle Berater gemerkt, die sich dagegen ausgesprochen hatten, die Tributzahlungen an die Assyrer einzustellen, und als er sah, dass Schebna zu ihnen gehörte, wusste er genau, wie er die Unterstützung des Ägypters gewinnen konnte. Gedalja wartete vor dem Thronsaal auf ihn und überquerte dann an seiner Seite den Innenhof des Palastes.
»Du sollst wissen, dass ich da drin auf deiner Seite war, Schebna.«
»Ich weiß nicht, was Ihr mit ›Seite‹ meint«, antwortete der Ägypter kühl. Er ging weiter, aber Gedalja hielt mit ihm Schritt.
»Komm schon – wir kennen uns doch schon lange, Schebna.«
»Ja, seit Ihr ein Kind wart.«
»Und seitdem sagst du klar und deutlich, dass du das ganze religiöse Zeug nicht glaubst.«
»König Hiskia weiß genau, was ich glaube. Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Unser König hat in der Sitzung gerade verkündet, dass alle Schlüsselpositionen in der Regierung an Männer vergeben werden, die Gottes Gesetze befolgen. Kommt es dir da nicht merkwürdig vor, dass die oberste Stellung an dich gegangen ist – einen Ungläubigen?«
»Ganz und gar nicht. Ich habe mich dem König gegenüber bereit erklärt, nach den Gesetzen der Thora zu leben, obwohl ich nicht an Jahwe oder irgendeinen anderen Gott glaube.« Schebna war auf der Hut, ganz eindeutig. Daher beschloss Gedalja, weniger auf Konfrontation zu gehen.
»Das versuche ich dir ja gerade zu erklären. Ich bin auf deiner Seite. Und viele andere, deren Namen ich dir nennen könnte, sind es auch. Ich weiß nicht, was mein Bruder mit diesen frommen Reformen beweisen will, aber ehrlich gesagt glaube ich, dass er sich zu einem religiösen Fanatiker entwickelt. Wenn ich König wäre, würde ich es nicht so machen wie er. Ich würde den Priestern die religiösen Dinge überlassen und du und ich würden die Regierung übernehmen. Mit anderen Worten, Schebna, deine Ansichten stimmen eher mit meinen überein als mit denen meines Bruders. Verstehst du, was ich damit sagen will?« Er hatte den Köder ausgelegt. Jetzt wartete er auf die Reaktion. Schebna blieb stehen.
»Ja, ich weiß genau, was Ihr damit sagen wollt. Und ich glaube, Ihr unterschätzt meine Loyalität gegenüber Eurem Bruder. Guten Tag.« Er wandte sich zum Gehen.
»Ich bin noch nicht fertig, Schebna.«
»Ich aber. Ich habe Euch nichts mehr zu sagen.«
»Aber ich habe dir etwas zu sagen und du solltest besser zuhören. Ich bin sicher, dass Hiskia nicht alles über dich weiß.«
Schebna wandte sich ihm wieder zu und funkelte Gedalja mit seinen dunklen Augen an. »Ich habe nichts zu verbergen.«
»Ich frage mich nur, ob Hiskia die wahre Geschichte kennt, wie unsere Mutter gestorben ist – und warum.«
Schebna kehrte ihm so plötzlich den Rücken zu, dass Gedalja nicht sehen konnte, ob sich in Schebnas Miene Schuldgefühle oder Angst widerspiegelte. »Das können wir nicht hier draußen besprechen«, sagte der Ägypter und schritt zu seinen Gemächern. Gedalja beeilte sich, ihn einzuholen, dann wartete er, während Schebna alle seine Bediensteten fortschickte.
»Also, was wollt Ihr wirklich?«, fragte Schebna, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Gedalja sah sich in den Räumen um, in denen Uria gewohnt hatte, und spürte, wie seine Wut zurückkehrte. Diese Suite sollte eigentlich er bewohnen.
»Was ich will?«, wiederholte Gedalja. »Reden wir zuerst über meine Mutter. Ich war noch ein Säugling, als sie starb, deshalb erinnere ich mich nicht an sie. Aber ich bin mir sicher, dass das bei Hiskia anders ist. Und ich glaube, bei dir auch, Schebna. Habe ich recht?« Schebna antwortete nicht, aber er wirkte beunruhigt. »Genau genommen glaube ich, wenn Hiskia die wahren Umstände ihres Todes kennen und erfahren würde, was du damit zu tun hattest – ganz zu schweigen von der Rolle, die du bei der langen Gefangenschaft unseres Großvaters gespielt hast –, hätte er gute Gründe, dich zur Verantwortung zu ziehen. Meinst du nicht?«
»Ich habe König Ahas lediglich erzählt, dass Euer Großvater Hiskia unterrichtet hat. Ich war neu im Palast; ich konnte unmöglich wissen, dass der König so reagieren würde, wie er es getan hat.«
Gedalja sah Schebnas Angst und genoss die Macht, die er über den Mann hatte. »Oh, ich glaube dir, Schebna. Aber die Frage ist doch: Wird Hiskia dir glauben?«
»Ich habe nichts Verwerfliches getan.«
»Nein … oder besser gesagt, du hast gar nichts getan – nicht einmal, als mein Vater den Befehl gab, meine Mutter vor deinen Augen hinzurichten. Es war alles deine Schuld und du hast nichts dagegen unternommen.«
»Ahas war der König! Wie hätte ich ihn aufhalten sollen?«
»Es war deine Schuld, dass er überhaupt herausgefunden hat, was meine Mutter und mein Großvater getan hatten, oder etwa nicht?«
»Ja. Aber wie hätte ich wissen können, was Ahas daraufhin tun würde?«
»Könige sind rätselhafte Geschöpfe, Schebna. Sie tun mit Menschen, die sie verraten, was ihnen gefällt. Deshalb ist es auch nicht so einfach zu wissen, wie Hiskia reagieren würde – wenn er das alles herausfände.«
Schebna sah blass aus. »Was genau wollt Ihr von mir? Eine Stellung in der Regierung?«
»Ja, das wäre ein Anfang. Ich brauche deine Hilfe, Schebna, und du wirst meine brauchen. Du kannst doch nicht allein gegen diese religiösen Fanatiker kämpfen. Sie sind heute bei der Sitzung förmlich über dich hergefallen. Und mein Großvater und Jesaja haben beide viel mehr Einfluss auf Hiskia als du.«
»Nein. Sie haben beide eine Regierungsposition abgelehnt.«
»Mach dir doch nichts vor. Sie mögen keinen offiziellen Titel führen, aber ihr Einfluss auf Hiskia ist enorm – vor allem der meines Großvaters. Ich weiß nicht, warum mein Bruder sich mit einem Haufen religiöser Eiferer verbündet hat, aber es wird alles in einer Katastrophe enden, wenn wir nicht gemeinsam ein Gegengewicht bilden. Du hast doch ihre verrückten Ideen von einer Rebellion gegen die Assyrer gehört. Diese Leute sind gefährlich.«
Schebna verschränkte die Arme. »Was schlagt Ihr vor?«, fragte er gereizt.
»Wenn gleichgesinnte Männer wie wir sich zusammentun, um diesen Fanatikern Einhalt zu gebieten, wäre mein Bruder gezwungen, Vernunft anzunehmen. Wir müssen zusammenarbeiten. Du brauchst mich in deiner Regierung, Schebna. Und im Gegenzug werde ich dafür sorgen, dass Hiskia nie von den Sünden deiner Vergangenheit erfährt – dass du unsere Mutter verraten und dann tatenlos dabei zugesehen hast, wie unser Vater ihre Hinrichtung befohlen hat!« Gedaljas Stimme war immer lauter geworden, bis er schließlich schrie.
»Ihr habt Euren Standpunkt deutlich gemacht und ich werde dafür sorgen, dass Ihr eine Regierungsposition bekommt. Aber zwei Dinge müsst Ihr verstehen«, fügte Schebna hinzu und zeigte auf Gedalja. »Erstens werdet Ihr alle Eure Pflichten mit Integrität erledigen. Ich werde keine Korruption dulden. Und zweitens, auch wenn Ihr und ich manchen Rat hinterfragen, den König Hiskia von den religiösen Extremisten erhält, werden wir niemals seine Herrschaft anfechten. Verstanden?«
»Verstanden. Und ich vermute, mit deinen Forderungen muss ich leben – jedenfalls im Moment. Aber wenn diese Radikalen noch mehr Macht erhalten, werden sie garantiert deine Entfernung aus dem Amt fordern, weil du ein Ungläubiger bist.«
»Das werden wir ja sehen.«
»Ja. Das werden wir.«
* * *
Nach der Sitzung eilte Eljakim so schnell den Berg hinunter zu seinem Haus, dass sein Gewand im Wind flatterte. Er konnte es gar nicht abwarten, seinem Vater die Neuigkeit zu erzählen, dass es ihm gleichgültig war, ob es eines königlichen Beraters würdig war, im Regen durch die Straßen zu rennen. Als er durch das äußere Tor seines Hauses trat, hatte er kaum Zeit, seine Finger zu küssen und die Mesusa zu berühren, die am Türpfosten hing, bevor sein Vater die Tür aufriss.
»Und? Was ist los, mein Sohn? Warum hat der König nach dir geschickt?«
»Du wirst es nicht glauben, Abba! Ich kann es selbst kaum fassen!« Eljakim lehnte sich an den Türrahmen und rang keuchend um Atem. Hilkija packte ihn am Arm.
»Nun sag schon! Was wollte der König von meinem Sohn?«
»Er will, dass ich für ihn arbeite.«
»Dass du für ihn arbeitest?«
»Ja!«
Hilkija drückte beide Hände auf sein Herz. »Entschuldige, ich muss mich setzen.« Er wankte ins Haus und sank auf die Bank am Eingang. Eljakim folgte ihm mit breitem Grinsen.
»Bitte«, sagte Hilkija, »fang von vorne an, Eljakim.«
»Erinnerst du dich noch an die Nacht, in der ich Micha geholfen habe? Die Nacht, in der er dem König geweissagt hat? König Hiskia hat auf ihn gehört, Abba. Er hat ihm wirklich zugehört und …«
»Ja, ja, das ist mir bekannt. Ich bin doch mit ihnen zum Tempel gegangen, um Secharja zu besuchen, erinnerst du dich?«
»Nein … ich weiß nur noch, dass ich im Gefängnis saß und mir die Kehle durchgeschnitten werden sollte.« Eljakim runzelte die Stirn, als er den Verband um seinen Hals berührte. Hilkija machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich weiß, ich weiß. Vergiss deine Kehle.«
»Eine solche Erfahrung zu vergessen, ist nicht so einfach, Abba!«
»Der König hat dich also heute in den Palast geladen, um mit dir über deine Kehle zu sprechen, Eljakim? Nun rede keinen Unsinn!«
»Abba, König Hiskia ist ganz anders als sein Vater. Er wird alle Götzen aus dem Land entfernen und das Volk nach Gottes Gesetz regieren.«
»Gott sei gepriesen!«
»Ich weiß. Ich konnte es selbst kaum glauben. Dein Freund Secharja und all die anderen Leviten werden ihn beraten. Es wird damit anfangen, dass er den Tempel reinigen lässt und ihn wieder für die täglichen Opfer öffnet. Dann, wenn der Tempel fertig ist, wird das ganze Volk ein Opfer darbringen und unseren Bund mit Gott bekräftigen.«
Hilkija stieß einen Freudenschrei aus. Er sprang auf und umarmte Eljakim. »Gott sei Dank! Was für ein herrlicher Tag! Das ist zu viel. Ich kann es gar nicht glauben!«
»Du setzt dich besser wieder hin, Abba. Das Beste kommt erst noch.«
»Was könnte besser sein als die Wiedereröffnung von Jahwes Tempel? Und die Opfer? Nach all den Jahren, all unseren Gebeten? Was könnte noch besser sein?«
»Der König hat mich damit beauftragt, die Reparaturen am Tempel zu überwachen.«
Mit weit aufgerissenen Augen stand Hilkija da. »Oh, Eljakim. Gottes heiliger Tempel? Du?«
»Ja, Abba, ich. Ich trage die Verantwortung für den Wiederaufbau. Aber nicht nur das: König Hiskia hat mich außerdem zu einem Mitglied seines Beraterstabs gemacht – mit all den Edelmännern. Er hat gesagt, dass er nur diejenigen Männer ernennt, die Jahwe treu geblieben sind und nie an irgendwelchen Götzenverehrungen beteiligt waren. Offensichtlich hat dein alter Freund Secharja mich empfohlen und Micha war natürlich auch für mich.«
»Und du wolltest Micha nicht helfen. Am Tag des Aufstands hast du gesagt, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.«
Eljakim verdrehte die Augen. »Lass uns nicht wieder davon anfangen. Ich habe doch zugegeben, dass ich im Unrecht war und du im Recht.«
»Könige haben Gefallen an ehrlicher Rede, Eljakim. Sie lieben es, wenn jemand die Wahrheit sagt.«12
»Ich weiß, ich weiß …«
»Ach, mein Junge, ich bin ja so stolz auf dich.« Er packte Eljakim und küsste ihn auf beide Wangen.
»Setz dich bitte wieder hin, Abba. Ich will dir noch etwas erzählen.«
»Tatsächlich?«
»Als der König mich in seinen Rat berufen hat, habe ich mich an einen Zwischenfall erinnert, der vor langer Zeit geschehen ist. Weißt du noch, als ich ein Junge war und du mich spätabends mit einer Nachricht von Secharja zu Jesajas Haus geschickt hast?«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Jedenfalls ist in der Nacht damals etwas geschehen. Ich glaube, du würdest sagen, dass Jesaja mir geweissagt hat.«
Hilkija starrte ihn wortlos an und wartete.
»Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut, Abba, aber er sagte, eines Tages würde ich Gottes Diener sein – Gott würde mich dazu berufen, ein Vater für das Haus Davids zu sein. Er sagte, ich würde umfassende Macht haben, die nur von der Macht des Königs überboten wird – wie der Palastverwalter, würde ich sagen.«
»Und das alles hast du mir nie erzählt?«
»Mir schien es damals weit hergeholt, Abba. Ich war noch jung. Genau genommen kommt es mir immer noch höchst unwahrscheinlich vor. König Hiskia hat seinen ehemaligen Lehrer Schebna zum Palastverwalter ernannt.«
»Wer ist denn dieser Schebna? Ist das nicht ein fremdländischer Name?«
»Ja, er ist Ägypter. Das war die einzige Ernennung durch den König heute, die für mich keinen Sinn ergibt. Schebna ist kein Jude und nach allem, was ich gehört habe, glaubt er überhaupt nicht an irgendeinen Gott. Ich persönlich traue dem Mann nicht. Er hat etwas an sich …«
»Wenn König Hiskia die Thora befolgt und wenn du recht hast, was die Prophezeiung von Jesaja betrifft, dann wirst du Schebna vielleicht irgendwann ablösen. Denk daran: Menschen haben den Kopf voller Pläne, doch nur der Beschluss des Herrn wird ausgeführt.«13
Eljakim grinste. »Also, mir genügt es, die Arbeiten an Salomos Tempel durchzuführen. Es ist fantastisch!«
Hilkija jubelte wieder und klatschte in die Hände. »Ruf alle Dienstboten. Wir werden ein Fest feiern. Wir bringen ein Dankopfer dar und preisen Gott für die große Ehre, die er diesem Haus erwiesen hat. Wir werden Onkel Mosche einladen und …«
»Oh nein, bitte nicht Onkel Mosche.«
Hilkija hielt mitten im Satz inne und runzelte die Stirn. »Warum nicht?«
»Weil er dann Tante Hanna mitbringt und die hat dann eine lange Liste mit all den reizenden Bräuten dabei, die sie für mich ausgesucht hat.«
»Und? Ist das so schrecklich? Willst du denn nicht heiraten und mir ein paar Enkel bescheren?«
»Nicht eine von Tante Hannas Bräuten, auf keinen Fall. Alle, die sie aussucht, sind so dick wie sie selbst.«
»Vielleicht sind manche von ihnen ein bisschen füllig. Na und? Was ist daran so schlimm?«
»Was ist so schlimm an Schönheit, Abba? Schön wäre viel besser.«
»Hör zu. Du wirst sehen, die Ehestifterinnen werden sich überschlagen, jetzt wo du zum Beraterstab des Königs gehörst. Jeder reiche Vater in Jerusalem wird wollen, dass du seine Tochter heiratest.«
»Meinst du?«
»Ich weiß es. Du bist gar keine schlechte Partie. Gut aussehend … intelligent …« Er fuhr mit der Hand durch Eljakims feuchtes Haar. »Vielleicht ein bisschen zu dünn und zu blass. Doch, du könntest eine gute Ehefrau gebrauchen, oder?«
»Aber lass mich sie aussuchen, Abba, nicht Tante Hanna.«
»Aber wir müssen sie zu unserem Fest einladen. Es wäre nicht recht, sie zu übergehen.«
»Na gut, einverstanden«, erwiderte Eljakim lachend. Dann öffnete er die Tür. »Wir sehen uns später. Ich bin nur gekommen, um dir die guten Neuigkeiten zu überbringen.«
»Und wohin willst du jetzt?«
»Ich habe zu tun – ich muss den Tempel reparieren, erinnerst du dich?«
»Jetzt? Du fängst jetzt an, wo es regnet?«
»Warum denn nicht?« Er grinste. »So kann ich sehen, ob das Dach leck ist.«
»Oh, Gott sei Preis und Dank, Eljakim! Dass ich das noch erleben darf! Deine liebe Mutter – möge sie in Frieden ruhen – würde vor Freude tanzen.«
12 Sprüche 16,13
13 Sprüche 19,21