Lukas Glajc
Verlust des Negativs
Eine kulturkritische Reflexion
über die Fotografie
ATHENA
Beiträge zur Kulturwissenschaft
Band 12
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1. Auflage 2011
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Meinen lieben Eltern
Die Geschichte der Fotografie ist eine Geschichte der technischen Erfindungen und Innovationen. Und sie scheint ein abgeschlossenes Kapitel zu sein. Denn die »Fotografie« im ursprünglichen Sinne des Wortes hat mittlerweile aufgehört, den technischen Fortschritt mitzubestimmen. Dabei war sie einst von dem ingeniösen Geist der Renaissance gezeugt worden, um lange Zeit im Schoße der optischen, der mechanischen und der chemischen Gesetzmäßigkeiten zu gedeihen. Als sie dann im 19. Jahrhundert schließlich ins Leben gerufen wurde, gab sie sich sofort als ein im Zuge der technischen Rationalisierung veranstalteter Affront zu erkennen, gerichtet gegen die Originalität des malerischen Könnens, ja sogar gegen die Humanität einer schöpferisch wirkenden Vorstellungskraft. Und in der Tat waren ihre Entdecker Männer, die lediglich einen peripheren Ausblick auf die künstlerischen Reibungen der damaligen Zeit besaßen. In den ersten tätigen Foto-Künstlern sind folglich auch eher experimentfreudige Abenteurer, eher gewinnorientierte Frühkapitalisten, als die idealistisch gestimmten Repräsentanten der Spätromantik oder die Rebellen der aufkommenden Moderne zu sehen. Der ursprüngliche und lang anhaltende Widerwille seitens der traditionsbewussten Kunstgeschichte, die Fotografie ins Blickfeld einer umfangreicheren Kunstanalyse zu nehmen, war deshalb – mehr oder weniger – natürlich. Erst mit der selbstbewusst gewordenen Moderne, als zur Selbstverständlichkeit wurde, daß nichts, was die Kunst betraf, mehr selbstverständlich war[1], konnte die Fotografie zu der schier übergeordneten Kunstgattung emporsteigern. Sie konnte in eine spielerische Umgangsform mit der Kunst treten und so ein Spiegel der Kunst werden. Heute stellt sich die Fotografie nicht nur vor die Kunst als ihre eigentliche Repräsentantin. Sie macht die Kunst in ihren Fotozitaten nicht nur unendlich aktuell oder in den Fotoreproduktionen nahezu omnipräsent. Sie befragt die Kunst sogar nach dem eigentlichen Inhalt. Doch siehe, gleich verwandelt sie schon die ernsthafte Befragung in eine fotomediale Performance. Angesichts dieser Lage vermag heute keine Kunstwissenschaft ohne die Geschichte der Fotografie auszukommen.
Eine künstlerische, kunsttheoretische oder kunsthistorische Perspektive verstellt jedoch die Sicht auf das eigentliche Wesen der Fotografie. Dieses besteht ohne jeden Zweifel in ihrer »genuinen« Eigenschaft des neutralen Abbildens. Bei aller Offenheit des Mediums für die Kreativität der Fotografen ist eben das, was die Fotografie wirklich auszeichnet, ein Prozess der unverfälschten, gleichmäßigen, nicht-hierarchischen Bildwiedergabe. Die fotografischen Bilder sind damit zwiespältige Kunstobjekte: im schlechten wie im guten Sinne des Wortes. Sie müssen gedanklich durchleuchtet sein, um den Rang der Schöpfungen des Geistes zu erreichen. Die aufrichtige Arbeit mit dem Medium »Fotografie« kann also nicht in einer reinen künstlerischen Praxis aufgehen. Sie beinhaltet notwendigerweise eine mentale Hinwendung des Fotografen zum spekulativ-philosophischen Denken.
Aus diesem Denken heraus die Sicht auf einen verborgenen technischen Aspekt der Fotografie freizulegen, zu ihrem inneren Gegenstand, zu der Sache selbst zurückzukehren, bildet den Anlass für die vorliegende Studie. Das, wozu hier zurückgekehrt wird, ist das fotografische Negativ. Die Dringlichkeit einer solchen Rückkehr scheint mir letztendlich dadurch begründet zu sein, dass jener Gegenstand allmählich aus dem alltäglichen Gebrauch, aus dem Sprachgebrauch und folglich aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwindet. Hiermit ist keineswegs eine neue, eine »tiefer greifende« Untersuchung der Technizität der Fotografie gemeint. Dies würde einen latenten Versuch ihrer Abkoppelung von den künstlerischen, kunsthistorischen, soziologischen oder philosophischen Diskursen nach sich ziehen müssen. Ich verfolge eine diametrale Absicht. Ich habe mich bemüht, die Materialität der Fotografie nicht medienspezifisch zu betrachten, sondern sie stets auf ihre ideengeschichtliche Grundlage zurückzuführen. In diesem Sinne ist mein Essay weniger eine methodische Abhandlung über die Fotografie, sondern eine Erörterung der Frage nach dem Nicht-Materiellen des Foto-Materials.
[1] Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie.
Die Belichtung der lichtempfindlichen Schicht steht im Zentrum der Fotografie. Dieses Zentrum wird seit wenigen Jahren von einem digitalen Bildherstellungsverfahren infrage gestellt. So wird die Entstehung des Lichtbildes auf der Filmemulsion durch eine elektronische Funktion ersetzt. Die physikalische Belichtung wird zur mikroprozessualen Berechnung. Infolge einer dynamischen Entwicklung der Informatik wird das ehemals so modern wirkende Attribut zu einer hoffnungslos veralteten »analogen Fotokamera« degradiert. Dabei ist es weniger als zwanzig Jahre her, dass die großen europäischen und japanischen Konzerne eifrig miteinander um die kürzeste Verschlusszeit, um das hellste Objektiv, um die präziseste Belichtungsmessung, um den ultimativsten Filmtransport, ja selbst um die platteste Lage des Films an der Kamerarückwand wetteiferten. Die teuren Spiegelreflexkameras waren damals, wie Handys oder Notebooks heute, Gegenstände konzentrierter technologischer Innovationskraft. Sie waren auch nicht selten die Streitobjekte für »philosophierende« Technokraten. Denn mit dem Kauf einer »SLR« drückte man häufig die Ablehnung oder die Akzeptanz für eine bestimmte Lebensoption aus. Man entschied sich entweder für eine konservative oder für eine progressive Haltung, entweder für die »alten Werte«, wie Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Robustheit, oder für den »neuesten Schrei«, der meistens in einem »ergonomischen« Design oder einer möglichst schnell funktionierenden Elektronik lag.
Wir wollen und können hier nicht die ökonomischen Gründe des gegenwärtigen Zusammenbruchs der fotografischen Technologie untersuchen, wagen aber dennoch eine Feststellung: Wie es einst die marktwirtschaftliche Struktur gewesen ist, die die Fotokamera zum Objekt der industriellen Produktion gemacht hat, so ist es heute dieselbe Struktur, ein Regulationsmechanismus von Nachfrage und Angebot, der sie zu Fall bringt. Es waren in erster Linie die Gesetze des freien Marktes, die die technische Progressivität der Fotografie gewährleisteten, und nicht die Gesetze der Fotografie als solche, dank derer die technischen Verbesserungen zustande kamen. Wohl deshalb sah Walter Benjamin auch die Blüte der Fotografie in dem ersten Jahrzehnt vor ihrer Industrialisierung angesiedelt.[1] Dies war eine Zeit, als die ökonomisch geregelte Arbeitsteilung auf dem Felde der Fotografie noch nicht in Sicht war und die ersten Schöpfer der Lichtbildkunst gleichzeitig auch die tatsächlichen Pioniere, Reformer und Korrektoren einer fotografischen Technik sein konnten.
Und dennoch hielt das neue Bildmedium gerade auch in späterer industrieller Produktionsphase an den geschichtlich vorgezeichneten, logischen Richtlinien einer spezifischen technischen Entwicklung fest, so dass es sich bis dato tatsächlich innerhalb der Grenzen einer nachvollziehbaren Tradition entfaltete. Mit den »geschichtlich vorgezeichneten, logischen Richtlinien« sind hier die alten Wissenschaftsgebiete gemeint, die sich in zwei große systematische, naturwissenschaftliche Forschungsbereiche einteilen lassen und die gerade in der Erfindung der Fotografie zu einem produktiven Zusammenwirken vereinigt wurden.[2] Jene Vereinigung von Physik (Optik/Mechanik) und Chemie basierte keinesfalls auf einer »wilden« Vermischung oder einer »Dekonstruktion« des tradierten Wissens, vielmehr stellte sie eine Art Aufbewahrung von zwei theoretisch-praktischen Aspekten menschlicher Betätigung dar. Damit ist die historische Transparenz der Fotografie, die während ihrer weiteren technischen Entwicklung aufrechterhalten bleiben wird, gesichert. Das Fotografieren kann als das produktive Zusammenwirken von optischen, mechanischen und chemischen Komponenten auf der Basis der Wissenschaftsgeschichte klar begriffen werden. Das, was anfangs als »Zauberei« oder »Teufelskunst« abgetan wird,[3] wird schon bald darauf von einem aufgeklärten modernen Bewusstsein geschätzt. Die bekannte Missachtung der Fotografie durch den Dichter Charles Baudelaire resultierte aus seiner verletzten aristokratischen Gesinnung, sowie aus der Feindschaft gegenüber allem Aufklärerischen und Demokratischen.[4] Sie hinderte ihn freilich nicht daran, sich von Nadar mehrmals fotografisch abbilden zu lassen. Damit gehört Baudelaire neben Schelling jenen letzten großen Gestalten der vormodernen Denktradition an, die mittels der fotografischen Kamera, als Bilder, einer alten und für uns unvorstellbaren Welt entrissen wurden. Der französische Poet und der deutsche Philosoph müssen offensichtlich zu ihren eigenen Imagos eine besondere Beziehung gehabt haben. In einem der Gedichte aus der berühmten Sammlung Fleurs du Mal spricht Baudelaire von den »Himmeln, die seinen Stolz, wie im Spiegel zeigen«[5]. Nun können wir heute seinen »Pseudo-Spiegelbildern« direkt begegnen. Denn lange vor der Erfindung der Fotografie konnten die Menschen gerade vor einem Spiegel erfahren, wie für eine kurze Zeit ihre sichtbare »species« sich gleichsam »verselbstständigt«: Der Spiegel ist der Ort, an dem uns klar wird, daß wir ein Bild haben, und zugleich daß dieses von uns getrennt werden kann, daß unsere »species« oder imago uns nicht gehört – schreibt der italienische Philosoph Giorgio Agamben.[6] Den Gedanken wollen wir hiermit erweitern: Eine fotografische Kamera wurde zu einem Gerät, mittels dessen uns klar wurde, dass die Welt ein Bild hat, und zugleich, dass dieses Bild von der Welt getrennt werden kann. In der Spiegelreflexkamera konzentriert sich somit das geschichtliche Bewusstsein vom »Abfallen des Bildes« auf einzigartige Weise. Hier tritt nun ihre geschichtliche Transparenz in aller Deutlichkeit zutage.
Spricht man heute von einer »digitalen Fotografie«, so geht man dabei von der grundsätzlichen Reorganisation des Begriffs »Fotografie« aus. Die besagte geschichtliche Transparenz, die die Fotografie definierbar und begreifbar macht, fehlt bei der digitalen Bilderherstellung. Die neueste Computertechnologie – aus dieser geht nämlich die Digitalfotografie hervor – hat keine mit der Fototechnologie vergleichbare Vorgeschichte. Man könnte vielleicht auf eine solche hinspekulieren, indem man die Computerisierung mit der Tradition des mathematischen Denkens, das immerhin seit der Antike ausgeprägt ist, zusammenbringt. Man darf bei solcher Spekulation allerdings nicht den Umstand aus den Augen verlieren, dass jene Tradition nicht einer objektiven Forschungsgeschichte untergeordnet ist, sondern sich innerhalb einer Geschichte des Denkens stets selbstständig und subjektiv entfaltet hat. Anders formuliert: Wird aus dem heutigen Interesse für Computerisierung nach historischen Vorlagen für jene Technologie, nach möglichst weit entfernten Vordenkern der »Idee« einer Rechenmaschine gesucht, so wird gleichzeitig der Unterschied zwischen der objektiven Funktion eines Computers und der subjektiven Geschichte dieses oder jenes Denkens missachtet.
Hier wollen wir ein wenig konkreter auf das Problem eingehen. Als einer der prominentesten »Vordenker« des Computers wird immer wieder Reimundus Lullus (1232–1316) genannt. Dieser hatte jedoch nicht an bestimmten objektiven Naturgesetzen geforscht, sondern sich ausschließlich mit seiner eigenen Denkmethode beschäftigt. Hinzu kommt, dass Lullus nicht in einem bestimmten »philosophischen Raum« seine denkerische Technik entwarf, sondern grundsätzlich im Spektrum der christlichen Lehre gedacht hat. Wie die alten Griechen die mathematischen Abstraktionen für kosmologische Zwecke gebraucht hatten, so waren sie bei Lullus theologisch bzw. missionarisch ausgerichtet. Deshalb darf man Lullus neues Vorgehen nicht zu sehr der modernen Computerwelt annähern[7]. So kann man nicht behaupten, dass Lullus durch sein Denken an die Arbeit eines Computers herankam. Man kann hingegen mit Sicherheit sagen, dass der florentinische Künstler und Naturforscher Leon Battista Alberti (1404–1472) in seinen perspektivischen Berechnungen die optischen Prinzipien der Fotografie vorweggenommen hat. Durch das Fehlen einer klaren ideengeschichtlichen Grundlage bleiben die wirklichen Prinzipien der Computertechnologie im Dunkeln. Die elektronische Rechenmaschine verliert sich daher in unvorhersehbarer Zukunft der eigenen Programmmöglichkeiten, da ihr »Wesen« von den sie bedienenden Menschen historisch nicht nachvollziehbar sein kann.
Die Unübersichtlichkeit der Programmierung kontrastiert mit der glatten Hardware, mit der glänzenden und ergonomischen Oberfläche der computergesteuerten High-Tech-Geräte. Auch die Digitalkameras gehören dazu. Indem sie nichts zu verbergen scheinen, suggerieren sie eine reine Funktionalität, die in visuell attraktive und zugleich handliche Form gebracht wurde. Hatte in den klassischen Fotoapparaten die in ihr Inneres eingebrachte Feinmechanik aus Federn und Zahnrädern die Entsprechung in Einstellringen und Hebeln am Äußeren der Gehäuse, so ist die Arbeit eines Mikroprozessors an keinerlei sichtbare oder haptisch erfassbare Elemente gebunden. Gleichen die digitalen Kameras ihrem Aussehen nach auch den klassischen Fotoapparaten, so sind sie der Funktion nach doch deren Attrappen: Digital cameras look much like their analog predecessors, but the viewfinder is different – a tiny TV screen, held at arm’s length – and we don’t have to wait for the mistakes to come back from the drugstore before discarding them – schrieb kürzlich John Updike.[8] So sind ihre vorhandenen »Augensucher« lediglich leere Optionen zu den beleuchteten Displays – den winzigen Fernsehbildschirmen. Waren für die Spiegelreflexkameras die Mattscheiben die charakteristischen Bestandteile, so sind es für die Digitalkameras eben die Displays. Modellhaft können wir anhand jener Bestandteile die erwähnte Reorganisation des Fotografie-Begriffs beobachten. Die Verschiedenheit beider Systeme ist so groß, dass wir geradezu von einem Wesensunterschied sprechen können. Die Unterschiede zwischen »analoger« und »digitaler« Bildtechnik sind nirgendwo deutlicher auszumachen als im Bereich der Lichtaufzeichnung. In diesem Wesensunterschied zwischen der Übertragung eines vom Objektiv eingefangenen Licht-Bildes auf die Mattscheibe und der Umwandlung dieses Bildes in die mikroelektronischen Daten (und dann in die leuchtenden Pixel-Dioden) liegt die klare Ankündigung eines technischen Paradigmenwechsels.
Während im klassischen Aufnahmeverfahren das Bild auf der Filmemulsion von reellen Lichtstrahlen erzeugt wird, werden in dem digitalen die Lichtstrahlen am Sensor des Mikroprozessors zusammengeführt, um das Lichtbild in die elektronischen Impulse zu zerlegen. Diese Zerlegung des Lichtbildes ist de facto die Zerlegung der sichtbaren Wirklichkeitsstruktur, die im gegebenen Moment als ein getreues Abbild abgelichtet werden sollte. Damit kommt es bei der Digitalfotografie eben nicht zu jenem wesentlichen Moment des fotografischen Aufnahmeprozesses, es kommt nicht zur Projektion eines Bildes, die eine Belichtung der lichtempfindlichen Filmschicht hervorrufen könnte.
Der Unterschied zwischen dem Erscheinen des Bildes auf der Mattscheibe und dessen Einschalten auf dem Display hat eine philosophische, genauer genommen eine ontologische Dimension. Man müsste sich hier einmal vergegenwärtigen, was das fotografische Abbilden von sichtbarer Wirklichkeit in einer vertieften Bedeutung eigentlich heißen mag. So wollen wir zunächst die Bilder, die in der Außenwelt von den Gegenständen zu unseren Augen gelangen, sowie ihre Abbilder, die im Inneren der Camera obscura entstehen, als zwei Formen ein und derselben Sichtbarkeit definieren. Folglich können wir daraus schließen, dass diese Formen sich unendlich ähnlich zueinander verhalten. Die unendliche Ähnlichkeit des Bildes mit dem Abbild wird oft als die Transparenz des fotografischen Mediums bezeichnet.[9] Die Fotografie ist sozusagen »innerlich offen«, »durchsichtig« für die sichtbare Wirklichkeit. Insofern spricht man beim fotografischen Prozess häufig und zu recht von einer Widerspiegelung der Wirklichkeit. Piotr Wołyński erweitert diesen Erkenntniszusammenhang um eine schöne kulturkritische Metapher: Zjawisko odzwierciedlania zakłada utożsamienie obrazu z rzeczywistością. Dzięki temu fotografia swobodnie i wymiennie posługuje się dwoma rodzajami przestrzeni: realną przestrzenią będącą przedmiotem rejestracji oraz przestrzenią obrazu. Obydwie te przestrzenie przenikają się nawzajem. W kontekście świata nasyconego obrazami, w którym brakuje już miejsca na ich rozdzielenie, stają się jakby transparentne. Zmienia się w związku z tym odczuwanie zjawiska iluzji.[10]
Das Abbilden eines natürlich gegebenen, d. h. im reellen Raum enthaltenen Bildes versetzt seine faktische Präsenz in den Bild-Raum der Fotografie. Diese Versetzung ist mit einer Art Desillusionierung verknüpft: Die fotografisch verdoppelte Sichtbarkeit lässt keinen Zweifel mehr an der Existenz der objektiv sichtbaren Welt-Bilder. Dabei ist die Fotografie weder eine Nachahmung des »Natur-Urbildes«, noch eine Neuerschaffung des »Kunst-Bildes«. Vielmehr ist sie ein selbstständiges und zugleich transparentes »Pseudogebilde«, aus welchem die beiden genannten Modi der Bildherstellung herausgelöst werden können. Die Nachahmung existiert in der Fotografie nämlich, weil sie ja selbst ihre Existenz der Sichtbarkeit der Dinge verdankt, die Neuerschaffung dagegen existiert, weil sie einen neuen Blick auf diese Dinge freilegt bzw. weil sie die Dinge in einen neuen Kontext innerhalb der Sichtbarkeit rückt.
An dieser Stelle wird verständlicherweise der Nerv der gesamten bildenden Kunst getroffen. Die Fotografie verweist auf die alte und wesentliche Gemeinschaft von »Nachahmung« und »Schöpfung«, von mimetischem und poietischem Kunstverständnis. Indem sie die Natur in die Kunst gleichsam widerstandslos übergehen lässt, verwischt sie die Trennlinie zwischen »gebildeter« und »nicht-gebildeter« Kunstmaterie. Damit stellt sie den künstlerischen Schöpfungsakt, folglich auch die künstlerische Originalität, in ein neues Licht. Sie offenbart, dass diese Originalität, sobald sie mittels der konkreten Materialverarbeitung ausgedrückt werden soll, nicht das halten kann, was der Künstler durch sein Bilden (sich und uns) zu versprechen scheint. Niemals kann er, solange er in einem bestimmten Material bildet, jene unendliche Ähnlichkeit seines materiellen Werkes mit dem Vorbild erreichen, da dieses Vorbild einer anderen Materialität angehört oder gar immateriell ist.
Ein fotografisches Abbild ist immer materialisationsneutral. Die Fotografie braucht nicht zum Bild gebildet zu werden, denn sie ist potenziell als Abbild auf natürliche Weise stets vorhanden. In ihrer ästhetischen Ausgestaltung ist sie deshalb keine mit handwerklicher Raffinesse konstruierte Darstellung, sondern vielmehr ein »nicht durch die menschliche Hand gemachter«, acheiropoietscher Abdruck: eine wirkliche Spur der sichtbaren Realität. Damit steht die Fotografie der Wahrheit näher als die ihr äußerlich verwandte, nachahmende Malkunst. Diese erschafft nämlich lediglich die Scheinbilder der Dinge, um Platon zufolge die Existenz von den gemalten Dingen vorzutäuschen: Also die nachahmende Kunst steht der Wahrheit fern. Ihr Erschaffen der Dinge besteht darin, dass sie nur wenig von ihnen, nämlich nur ein Scheinbild hinmalt.[11] Während das fotografische Abbilden nur von dem wirklich erscheinenden Dinge herkommt und somit seine sinnliche Wahrheit bezeugt, ist das Nachbilden, als eine gezielte Handlung des geschickten Handwerkers, auf die Erzeugung der Scheinwahrheit und der Imagination ausgerichtet. Die nachahmende Kunst erschafft damit die Dinge als Bilder, wodurch Kinder und unverständige Menschen getäuscht werden können[12].
Die Fotografie drängt in die Autonomie der künstlerischen Handlung hinein, die seit Platon in einer hierarchischen Ordnung steht und von dem demiurgischen Akt her abgeleitet wurde bzw. auf ihn zurückgeführt wird. Sind ein Maler, ein Stuhlmacher und ein Demiurg die Schöpfer von Stühlen, die sich in ihrem jeweiligen Wahrheitsgehalt unterscheiden,[13] so ist der Fotograf ein Bildberichterstatter der wahrnehmbaren Tatsache »Stuhl«: jemand, der die Beweise für eine unmittelbar gegebene, sinnlich-bildhafte Existenz liefert. In fotografischen Bildern sind deshalb keinerlei mimetischen Idealisierungen, aber auch keine schöpferischen Gegenentwürfe zur sichtbaren Wirklichkeit zu suchen. Die Fotografien sind in ihrem ästhetischen Daherkommen nicht mehr und nicht weniger als die Bestätigungen für das Vorhandensein der gegebenen sichtbaren Realität. Ein Fotograf muss sich deshalb weder mit dem Demiurgen messen, noch sich für ihn halten. Möglicherweise soll er nur in demütiger Betrachtung über die im Ganzen gelungen erschaffene Welt[14] staunen.
Die unendliche Ähnlichkeit zwischen dem Bild und dem Abbild resultiert nicht aus einem schöpferischen Akt, sie kann nicht durch das absichtsvolle Bilden der rohen Materie erreicht werden. Das Abbild sieht dem Bild nicht aus dem Grund unendlich ähnlich, weil es etwa von einem Genie der Mimesis stamme. Nichts »Gemachtes« tritt zwischen beide, vielmehr existieren Bild und Abbild innerhalb ein und desselben Lichtes. Die existenzielle Gleichheit, also die Anwesenheit beider in demselben Lichte, schafft eine Wesensgemeinschaft, die die sichtbare Wirklichkeit und die fotografische Bildstruktur umspannt. Das natürliche Licht bildet also dieselbe existenzielle Grundlage sowohl für das Bild wie auch für das Abbild. Dadurch entsteht auch die faktische Verbindung zwischen ihnen. Das Licht wird zu einer das »Bild-Sein« schaffenden Instanz. Nicht in einem repräsentativen Sinne, wie das Gemälde es tut, stellt jetzt die Fotografie eine bestimmte Bild-Wirklichkeit dar, sie ist diese aufgenommene Wirklichkeit ja selbst. Das Licht, als eine wirkliche Substanz, führt das Bild und das Abbild, die sich zwar in ihren jeweiligen ästhetischen Formen unterscheiden können,[15] zu einer wirklichen substanziellen Einheit zusammen. Konkret formuliert heißt das: Die sichtbare Wirklichkeit und ihr fotografisches Abbild sind sich formal »nur« ähnlich, existenziell und substanziell sind sie jedoch gleich.
wahres Abbild[16]SubjektObjektwir keine Subjekte mehr sein können, weil es keine Objekte mehr gibt, deren Subjekte wir sein könnten[17]