CALLAHAN

Band 13

Söhne des Feuers

Ein Western von Glenn Stirling

IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/ Titelbild: Nach einem Motiv von Charles M. Russell, 2018

Redaktion und Korrektorat: Alfred Wallon

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

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Callahan #13 - Söhne des Feuers

Further Reading: 10 Marshal Western August 2016

Also By Glenn Stirling

About the Publisher

Nach der Niederlage am Little Bighorn River kannte die US Army nur noch eines: die Sioux und Cheyennes sollten sich bedingungslos unterwerfen, oder man würde sie ausrotten. Ich versuchte, was ich konnte, die absolute Unterwerfung von den Cheyennes abzuhalten.

Es gelang mir, den besonnenen Häuptling Sitzender Bär zu überreden, der Forderung der Armee nachzugeben, in die Reservation zu gehen und Frieden zu halten. Als ich mit seinem Stamm bei Fort Crawford ankam, dachte ich, es geschafft zu haben. Sitzender Bär wollte nie mehr Krieg gegen die Weißen führen.

Aber plötzlich war der Krieg über Nacht wieder da. Grausam, hart, tödlich ... und ich steckte wieder mitten drin in einer Menge Ärger ...

Der blonde bärtige Master Sergeant grinste mich mitleidig an und schob mir wortlos einen Becher mit kohlrabenschwarzem Kaffee zu.

Kaffee! Das war genau das, was ich jetzt gebrauchen konnte. In meinem Kopf tobte ein mittlerer Tornado, und ich hatte das Gefühl, mein Schädel hätte sich mittlerweile zu einem gutgeratenen Kürbis ausgeweitet.

Mann, war das eine Nacht gewesen!

Der Kaffee war kochend heiß. Ich schlürfte ihn vorsichtig und blickte über den Becherrand hinweg auf Clooney. Der grinste immer noch. Ich setzte den Becher ab und sah in seine leichtblauen Augen. „Hast du die Mücken abgezählt?“, wollte ich wissen.

Er nickte nur, wippte mit dem Stuhl zurück, zog die Schublade seines Tisches auf und nahm eine Papiertüte heraus. Er warf sie auf den Tisch, und es tat einen harten Schlag.

„Zähl nach, damit du nicht sagen kannst, wir hätten dich beschissen.“ Er lachte wieder.

Ich öffnete die Tüte, nahm zwei Scheine und drei Geldstücke heraus. Ein Betrag, dessen Summe ich mit einem Blick feststellen konnte. Während ich das Geld einsteckte, fragte ich: „War Mike schon da?“

„Der ist ein Problem für sich. Ich habe ihn vorsichtshalber in den Knast getan.“

„Was hast du?“ Ich sprang vom Stuhl auf. Um ein Haar hätte ich den noch halb mit Kaffee gefüllten Becher umgerissen. „Du hast ihn in den Knast gesperrt? Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?“

Er machte eine beschwichtigende Handbewegung und sagte: „Setz dich wieder auf deinen Hintern und werde ruhig. Ich mein’s ja nur gut mit ihm. Er war so voll und hat einen solchen Spektakel gemacht, dass mir gar keine Wahl blieb. Und im übrigen, Callahan, wollte ich ihn vor noch mehr Dummheiten bewahren, als er sowieso schon in seinem Suff begangen hat.“

„Dummheiten?“, fragte ich gereizt. „Ein Mann, der wochenlang unterwegs gewesen ist, hat ein Anrecht darauf, einmal einen über den Durst zu trinken. Und er hat wochenlang nichts bekommen, keinen einzigen Tropfen.“

„Das ist ja das Problem“, erwiderte Clooney. „Deswegen verträgt er nichts, weil er nichts mehr gewohnt ist. Aber das meine ich nicht mit den Dummheiten. Er hat gespielt. Einer der Spieler war Tex Hovey. Ich will dir etwas sagen, Callahan. Tex Hovey mag ein guter Scout sein; aber ich kann den Burschen nicht leiden. In meinem Job kann ich mir es allerdings nicht leisten, jemanden nicht leiden zu können. Ich muss mit allen auskommen. Und die Armee braucht Pfadfinder wie Tex Hovey, wie Mike Hotchkiss und wie dich, Jed Callahan. Ohne euch kämen wir hier in der Wildnis gar nicht zurecht. Aber Hovey ist trotzdem ein Windhund. Und ich sage auch, dass er ein Falschspieler ist. Ein verdammter Trickser, der Mike die letzten Cents aus der Tasche gezogen hätte, wäre Mike schon ausgezahlt gewesen. Aber zum Glück habe ich ihm nur ein Handgeld gegeben, damit er etwas trinken kann. Der Wirt der Kantine, dieser verdammte Hundesohn, hat angeschrieben. Bei ihm hat Mike Schulden gemacht, so dass er sich volllaufen lassen konnte, was ich verhindern wollte.“

„Du weißt nicht, was hinter ihm liegt. Es war ein verdammt harter Job, die Cheyennes dazu zu bewegen, in diese Reservationen im Süden zu ziehen. Nun gut, bis hierher haben wir sie gebracht. Von jetzt an kann die Armee sie begleiten.“

„Da ist noch etwas.“ Der Master Sergeant stieß seinen knochigen Zeigefinger in meine Richtung. „Er hat bei diesem Händler Chunters Grundstücke gekauft.“

Ich verstand immer nur Bahnhof. „Grundstücke?“, fragte ich. „Was denn für Grundstücke?“

Clooney lehnte sich zurück, wippte wieder mit dem Stuhl und grinste schief. Dann sagte er: „Da ist ein Bursche namens Chunters, der sich ausgedacht hat, dass auch das Land, das keiner Menschenseele gehört und wo kein Schwein leben möchte, irgendwie zu verkaufen sein müsste. Er hat also Gebiete, die nur aus Wald und Steppe bestehen, im nördlichen Montana von der Regierung gekauft. Regierungsland ist für einen Apfel und ein Ei zu bekommen, wenn es in solchen Gebieten liegt, wo er sich eingekauft hat. Aber schlau, wie er ist, hat er auch eine Militärkarte, und auf die hat er lauter Parzellen von diesem Gebiet gemacht. Land, das kein Aas bis heute vermessen hat. Aber er hat eine Karte, und auf ihr gibt es Parzellen. Er hat sie schön säuberlich nummeriert und behauptet, es sei das beste Land der Welt. Ein Boden, auf dem drei Ernten gedeihen. Alles Märchen, die ihm nur ein Bescheuerter oder einer, der so besoffen wie Mike ist, abnehmen wird. Und Mike, das sagte ich eben, war so besoffen.“

Dieser Narr, dachte ich. Jetzt macht er es wieder wie beim letzten Mal. Nach wochenlanger Schinderei lässt er sich vollaufen und schmeißt in einer Nacht all das so sauer verdiente Geld unter die Leute. Land! Was will dieser Idiot mit Land? Dazu noch im nördlichen Montana. Der perfekte Schwachsinn. Ich müsste wissen, was er bezahlt hat.

„Was hat er dafür ausgegeben? Zehn Dollar, zwanzig?“

Clooney sah mich an wie einen Geistesgestörten. „Zehn Dollar oder zwanzig? Du hast diesen Chunters noch nicht gesehen. Der hat eine eigene Kutsche, zwei Mädchen, die sich den Jungs auf den Schoß setzen, wenn das nachhelfen soll.“ Er lachte. „Die eine ist in unserem Hospital mit einem gebrochenen Fuß. Trotzdem, er ist ein ganz cleverer Bursche. Nein, Callahan, für zehn oder zwanzig Dollar hätte dieser Chunters noch nicht einmal die Lippen bewegt. Zweitausend!“

Ich musste schlucken. Ich hatte das Gefühl, einen Kloß in der Kehle zu haben. Zweitausend? dachte ich.

„Du machst Augen wie Spiegeleier. Aber es stimmt.“ Er lachte. Es war ein böses Lachen, ohne ein Zeichen von Fröhlichkeit. „Er hat auf zweitausend Dollar unterschrieben. Die zweihundertfünfzig, die er für seine Arbeit bei mir zu bekommen hatte, muss ich diesem Strolch Chunters noch auszahlen. Mike hat sie ihm überschrieben.“

„Aber das geht doch nicht!“, rief ich empört. „Das kann doch keiner mit ihm machen!“

Der Master Sergeant zuckte die Schultern. „Wieso nicht? Mike ist ein Mann von vierundfünfzig Jahren und weiß, was er tut.“

„Er weiß es nicht“, widersprach ich. „Er war stinkvoll!“

„Das ist so eine Frage. Wie voll ist er gewesen, als er unterschrieben hat?“ Clooney beugte sich vor. „Hör zu, Callahan. Ich bin vorhin bei Colonel Mathew gewesen. Ich habe mit ihm gesprochen; ihm die Geschichte vorgetragen. Und weißt du, was er sagt?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Er meint“, fuhr Clooney fort, „dass ein Mann wie Mike nach zwölf Schnäpsen nicht voll sein kann. Und ich habe ihm gesagt, dass er sie hintereinander getrunken hat und nichts gewöhnt war.“

„So ist es auch. Wir haben in diesen Wochen keinen Tropfen angerührt. Wir hatten nicht einmal einen Tropfen bei uns.“

„Sag ich doch! Und ein Bursche, der so lange abstinent war, verträgt einfach nichts.“

„Richtig. Vor allen Dingen hat Mike so gut wie nichts gegessen. Jedenfalls nicht, bevor er anfing zu saufen.“

„Genauso ist es“ bestätigte Clooney. „Aber der Colonel meint, da wäre nichts drin. Er wird sie zahlen müssen, die zweitausend Mücken, da hilft kein Gott.“

„Ich weiß nicht, ob da kein Gott hilft. Ich halte mich ja nicht für Gott, aber ich bilde mir ein, dass ich schon etwas helfen könnte“, widersprach ich ihm und stand auf. „Wo, zum Teufel, finde ich diesen Chunters?“

Clooney lehnte sich zurück, rieb sich zufrieden die Hände und strahlte mich an. „O Junge“, rief er begeistert, „wäre ich doch nicht in dieser verdammten Armee, sondern ein gottverlassener Zivilist wie du. Nichts wünsch’ ich mir im Augenblick mehr, als nicht zur Armee zu gehören, damit ich mit dir gehen könnte. Ich habe schon davon geträumt, diesem Strolch mitten ins Gesicht zu schlagen. Diesem Schweinehund all das Geld wieder abzunehmen, dass er bei vielen unserer Jungs ergaunert hat. Verstehst du, es ist nicht nur Mike, dem er Geld abnehmen konnte. Er hat auch andere geschröpft. Männer der Fortbesatzung. Zwei Offiziere sind dabei. Ich möchte dir die Namen nicht nennen, weil ich mich dafür schäme. Denn die sind nicht betrunken gewesen. Und weißt du was, Callahan, ich habe mit dem Colonel alles durchgesprochen. Er ist genauso empört wie ich. Aber man kann nichts tun. Was dieser Chunters da treibt, ist völlig legal. Er verstößt nicht gegen das Gesetz. Die Leute, die unterschreiben, müssen erwachsen sein, und sie sind es bis jetzt allesamt gewesen. Und wenn der eine oder andere betrunken gewesen sein sollte, so ist es schwer nachzuweisen, wie weit der Grad der Betrunkenheit reichte, denn das Gesetz verurteilt nur die Verträge, die mit einem sinnlos Betrunkenen abgeschlossen wurden.“

„Ich habe die Medizin für ihn. Ich werde mit diesem Chunters sprechen. Und lass Mike ruhig in deiner Zehe. Es war wahrhaftig eine gute Idee von dir, erst mal bis zur Ausnüchterung einzusperren.“

„Oh“, rief Clooney, „der schläft nicht mehr. Der ist so wach wie du. Und er möchte liebend gerne heraus. Aber ich habe mir gedacht, dass ich erst mit dir rede.“

„Deswegen hast du mich vorhin so hinterhältig angegrinst, was?“ Ich musste lachen. „Aber die Idee war nicht schlecht. Ich werde mich sofort um diesen Mr. Chunters kümmern. Wo finde ich ihn?“

„Du musst aufpassen, Callahan.“ Clooneys Stimme klang warnend und mahnend zugleich. „Der Kerl hat ein richtiges Gefolge; er ist nicht allein. Er hat eine Kutsche, wie ich schon sagte, und zwei Wagen. In einem dieser Wagen schläft er ganz allein. Es soll ein Prachtexemplar von einem Wagen sein. Mit einem Bett drin. So etwas hast du noch nie gesehen. In dem anderen Wagen schlafen die drei Mädchen. Aber wie ich schon sagte, hat er noch mehr Leute. Einen Kerl, der zu ihm gehört, konnte ich wegen eines Vergehens festnehmen und einsperren lassen. Aber er hat sich Nachwuchs besorgt. Du wirst es nicht glauben, wer seit gestern Abend in seine Mannschaft eingetreten ist.“

Ich hatte schon eine dumpfe Ahnung. Merkwürdig eigentlich, dass ich sofort an Tex Hovey denken musste. Genauso war es.

Clooney erzählte mir, dass außer Tex ein gewisser Bill Womack bei diesem Chunters war. Und dieser Womack sollte ein gefährlicher Revolvermann sein. Allerdings gab ich da nicht allzuviel auf Clooneys Meinung. Ich wusste, dass er von wirklichen Revolvermännern und solchen, die es gerne sein wollten, nicht viel verstand.

„Ach, das macht nichts“, sagte ich, „ich seh’ mir diesen Burschen trotzdem einmal an.“

„Wir können dir nicht helfen, Callahan. Er befindet sich außerhalb des Forts, und Auseinandersetzungen zwischen Weißen, wenn sie Zivilisten sind, gehen uns nichts an.“

„Mach dir keine Sorgen“, beruhigte ich ihn. „Ich glaube, da gibt es überhaupt nichts zu überlegen.“

Er grinste wieder. „Nein, Callahan. Ich hatte, wenn du es genau wissen willst, von dir nichts anderes erwartet. Ich drück’ dir die Daumen. Schade, dass ich nicht von hier weg kann, um es mir anzusehen.“

„Du wirst nicht viel verpassen“, behauptete ich.

Aber er verpasste einiges. Denn von dem „Gespräch“ sprachen sie in Fort Crawford noch Jahre.

*

AUF DEM WEG ZU DEN Wagen von diesem Chunters kam ich so richtig in Wut. Ich musste daran denken, wie oft mich schon Mike aus der Patsche geholt hatte, und wieviel Meilen ich mit dem alten Pfadfinder gemeinsam durch den Westen geritten war. Ich kannte keinen besseren Fährtensucher als ihn, aber solchen hinterhältigen Geschäftemachern war er nicht gewachsen, und schon gar nicht mit betrunkenem Kopf.

Ich fand die drei Wagen sofort. Man konnte sie gar nicht übersehen. Zwischen den beiden „Schlafwagen“ war eine Plane aufgespannt worden, in deren Schatten ein Mann auf einem Klappstuhl saß. Er hatte ein Gewehr quer über den Oberschenkeln liegen, und neben ihm lag ein großer, gefährlich aussehender Hund.

Es war Mittagszeit. Die Augustsonne brannte auf Fort Crawford und das Flusstal des White River herab. Wie Quecksilber wälzte sich das Wasser des White River nach Nordosten. Oberhalb der Felsen, die das Flusstal einrahmten, begannen die Badlands. Ein Gebiet, aus denen ich die Cheyennes hergeführt hatte.

Die Indianer lagerten weiter flussabwärts und hatten ihre Zelte in einer Talverbreiterung in Richtung der Siedlung Chadron aufgeschlagen. Über zweihundert Familien, die nicht die Flucht nach Kanada antreten wollten, waren schon hierher geführt worden. Für sie blieb nur der Weg in die Reservation. Eine neue Reservation übrigens, die in einem Gebiet lag, das sich weit südlich von hier befand, im Gebiet der Indianer-Territorien. Später würde man dieses Land einmal Oklahoma nennen. Aber davon wusste zu jener Zeit kein Mensch etwas.

Ich ging auf den Burschen zu, der da auf dem Klappstuhl saß und mir entgegenblinzelte. Auch der Hund riskierte ein Auge. Tat aber so, als wäre ich für ihn die nebensächlichste Sache der Welt.

Der Bursche auf dem Stuhl mochte etwa Ende Dreißig sein. Äußerlich ein zäher Bursche. Mich warnten seine Hände. Die waren gepflegt, schmal und feingliedrig. Eigentlich Spielerhände. Aber der Typ eines Stutzers und Spielers war er nicht.

Blieb also, dass ich es mit jenem Bill Womack zu tun hatte. Er trug zwei Revolver. Den einen am langen Holster, nur den zweiten kurzgeschnallt, ziemlich weit vorn am Gürtel. Die Art, wie er ihn trug, verriet mir, dass es die Waffe sein würde, nach der er zuerst griff. Er hätte es mit der linken Hand tun müssen. War er womöglich ein Linkshänder?

Es gibt manchmal lebensrettende Überlegungen, die auf Erfahrung beruhen. Und ich stellte jetzt eine solche Überlegung an und beobachtete ihn. Er hatte das Gewehr mit der Mündung nach rechts auf dem Schoß liegen. Auch das tat nur ein Linkshänder. Er schien wirklich ein Linkshänder zu sein, und ich beobachtete ihn weiter, während ich mich dem Überdach näherte.

Der Hund begann zu knurren. Es war ein schwarz-weißer langhaariger Bursche, bei dem man Mühe hatte, vorne und hinten zu unterscheiden.

„Du bist weit genug“, sagte der Kerl auf dem Klappstuhl mit einer seltsam hohen Stimme. Sie passte überhaupt nicht zu ihm.

Ich wollte ihn nicht unnötig provozieren und zu übereilten Handlungen verleiten. Also tat ich nur noch zwei Schritte, bevor ich stehenblieb.

Auf Verdacht fragte ich: „Bist du Womack?“

Seine Augen wurden noch eine Spur schmaler, und das Knurren des Hundes noch grimmiger.

„Was willst du von mir?“, fragte der Mann.

Also ist es Womack, dachte ich. Er sieht krank aus. Tränensäcke, rote Augen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass eine Krankheit in ihm steckte. Aber meine Erfahrung sagte mir, dass Burschen in einem solchen Zustand doppelt gefährlich waren.

„Ich wollte zu Chunters. Wo steckt er?“

„Du meinst wohl Mister Chunters! Etwas mehr Respekt kannst du dir ruhig angewöhnen, Cowpuncher.“

Ich spürte, dass er mich unterschätzte. Es ist ein beruhigendes Gefühl. Kein Fehler kann schlimmer sein, als seinen Gegner zu unterschätzen. Und er tat es ganz sicherlich im Moment. Aber mein Frohlocken kam zu früh. Denn gerade in dem Augenblick, als ich den nächsten Zug starten wollte, tauchte Tex Hovey auf.

Tex war ein kleiner drahtiger Bursche und hatte etwas von einer Sprungfeder. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals in wachem Zustand wirklich still und ruhig erlebt zu haben.

Er kam aus dem einen dieser beiden merkwürdigen Kastenwagen geklettert, von denen ich wusste, dass es Schlafwagen waren. Im ersten Augenblick war er nur überrascht, dann grinste er und rief begeistert und freudig aus: „Hallo, Callahan!“

„Hallo, Tex!“, erwiderte ich. Zwischen ihm und mir hatte es nie Streit gegeben, obgleich ich ihn nicht übermäßig sympathisch fand und er mich sicherlich auch nicht. Ein paar mal hatten wir gemeinsam Soldaten durch die Wildnis geführt, und einmal waren wir auch zusammen auf Bärenjagd gewesen. Wie gesagt, er war nicht unbedingt mein Fall, aber auch absolut nicht mein Feind.

Womack blickte zu Tex empor und fragte missbilligend: „Du kennst den Kerl?“

Tex lachte. „Schob ein paar Jahre – das ist Jed Callahan.“ Er lachte laut und sah mich weiter an. „Und ich wette, ich weiß, warum du hergekommen bist.“

Womack sah jetzt erst auf mich, dann auf ihn und dann wieder auf mich.

„Und warum bin ich hergekommen?“, fragte ich.

Tex lachte erneut. Dann sagte er zu Womack: „Weißt du, Bill, Mike Hotchkiss ist sein Partner. Mike hat erst sinnlos hoch gespielt und verloren, dann wurden von ihm die Mädchen beglückt, aber er war schon viel zu besoffen, um mit ihnen aufs Zimmer zu gehen. Und dann kam der Boss und hat ihm das Land verkauft. Na, hab’ ich mir gedacht, warten wir mal ab, bis es Tag wird. Wenn Callahan davon erfährt, kommt er und will den Kauf rückgängig machen.“ Er sah mich wieder an. „Und deshalb bist du da, nicht wahr?“

„Genauso ist es“, bestätigte ich. „Deshalb bin ich da. Und jetzt möchte ich diesen Chunters kennenlernen.“

„Verschwinde!“, zischte Womack und schwenkte das Gewehr in meine Richtung. Der große schwarz-weiße Hund sprang jetzt voll auf die Beine und begnügte sich nicht mehr zu knurren, sondern bellte.

Womack zischte einen Befehl, und das Gebell hörte auf der Stelle auf. Dieser Gehorsam bewies mir die Gefährlichkeit dieses Hundes. Er war gut dressiert, und auf einen weiteren Befehl würde er sich ganz sicher gnadenlos auf mich stürzen.

„Ich würde dir vorschlagen“, sagte ich zu Womack, „das Gewehr ein wenig zu senken. Ich kann es für den Tod nicht ausstehen, wenn mir jemand die Mündung seiner Waffe zeigt.“