Neal Skye
Die Macht der Akademie
Schwedenkrimi
Ein Buch aus dem FRANZIUS VERLAG
Cover: Perry Payne
Korrektorat/Lektorat: Dr. Michael Kracht
Verantwortlich für den Inhalt des Textes ist der Autor Neal Skye
Satz, Herstellung und Verlag: Franzius Verlag GmbH
E-Book ISBN: 978-3-96050-191-6
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Hollerallee 8, 28209 Bremen
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INHALT
Kapitel 1 – Stockholm, Freitag, 21.01.
Kapitel 2 – Saltsjö-Duvnäs, Samstag, 09.01., 19h
Kapitel 3 – Bremen, Mittwoch, 13.01., 12h
Kapitel 4 - Stockholm, Mittwoch, 13.01., 19h30
Kapitel 5 – Bremen, Donnerstag, 21.01., 22h30
Kapitel 6 – Stockholm, Donnerstag, 21.01., 20h30
Kapitel 7 – Bremen, Donnerstag, 21.01., 22h30
Kapitel 8 – Bremen, Freitag, 22.01., 08h30
Kapitel 9 – Stockholm, Freitag, 22.01., 9h
Kapitel 10 – Bremen, Freitag, 22.01., 11h
Kapitel 11 – Stockholm – Freitag, 22.01., 14h30
Kapitel 12 – Bremen, Freitag, 22.01., 13h30
Kapitel 13 – Stockholm, Freitag, 22.01., 13h30
Kapitel 14 – Bremen, Freitag, 22.01., 14h30
Kapitel 15 – Stockholm, Freitag, 22.01., 13h40
Kapitel 16 – Bremen, Freitag, 22.01., 15h15
Kapitel 17 – Stockholm, Freitag, 22.01., 17h10
Kapitel 18 – Stockholm, Freitag, 22.01., 17h
Kapitel 19 – Stockholms län, Freitag, 22.01., 19h
Kapitel 20 – Stockholms län, Freitag, 22.01., 19h20
Kapitel 21 – Stockholm, Freitag, 22.01., 19h30
Kapitel 22 – Stockholms län, Freitag, 22.01., 19h30
Kapitel 23 – Stockholms län, Freitag, 22.01., 20h30
Kapitel 24 – Stockholms län, Freitag, 22.01., 20h30
Kapitel 25 – Stockholms län, Freitag, 22.01., 20h45
Kapitel 26 – Stockholms län, Freitag, 22.01., 20h45
Kapitel 27 – Stockholm, Samstag, 23.01., 08h45
Kapitel 28 – Saltsjö-Duvnäs, Samstag, 23.01., 10h30
Kapitel 29 – Bremen, Montag., 25.01., 10h
Kapitel 30 – Stockholms län, Freitag, 22.01., 21h
Kapitel 31 – Bremen, Montag, 25.01., 15h20
Kapitel 32 – Stockholm, Montag, 25.01., 15h20
Kapitel 33 – Örebros län, Montag, 25.01., 16h30
Kapitel 34 – Bremen, Montag, 25.01., 16h30
Kapitel 35 – Stockholm, Dienstag, 26.01., 08h30
Kapitel 36 – Örebros län, Dienstag, 26.01., 08h30
Kapitel 37 – Stockholm, Dienstag, 26.01., 15h30
Kapitel 38 – Aust-Agder (Norwegen), Dienstag, 26.01., 15h30
Kapitel 39 – Stockholm, Dienstag., 26.01., 15h30
Kapitel 40 – Aust-Agder (Norwegen), Dienstag, 26.01., 17h
Kapitel 41 – Stockholm, Dienstag, 26.01., 17h30
Kapitel 42 – Bremen, Dienstag, 26.01., 17h30
Kapitel 43 – Stockholm, Montag, 25.01., 19h
Kapitel 44 – Stockholm, Dienstag, 26.01., 21h
Kapitel 45 – Aust-Agder (Norwegen), Dienstag, 26.01., 23h
Kapitel 46 – Saltsjö-Duvnäs, Dienstag, 26.01., 23h30
Kapitel 47 – Bremen, Mittwoch, 27.01., 09h30
Kapitel 48 – Stockholm, Mittwoch, 27.01., 09h50
Kapitel 49 – Stockholm, Mittwoch, 27.01., 09h50
Kapitel 50 – Bremen, Mittwoch, 27.01., 09h55
Kapitel 51 – Stockholm, Mittwoch, 27.01., 09h55
Kapitel 52 – Stockholm, Mittwoch, 27.01., 10h50
Kapitel 53 – Bremen, Mittwoch, 27.01., 10h50
Kapitel 54 – Stockholm, Mittwoch, 27.01., 12h30
Kapitel 55 – Bremen, Mittwoch, 27.01., 12h30
Kapitel 56 – Stockholm, Mittwoch, 27.01., 13h20
Kapitel 57 – Bremen, Mittwoch, 27.01., 17h30
Kapitel 58 – Stockholm, Mittwoch, 27.01., 17h30
Kapitel 59 – Bremen, Mittwoch, 27.01., 18h10
Kapitel 60 – Bremen, Mittwoch, 27.01., 19h10
Kapitel 61 – Stockholm, Donnerstag, 28.01., 7h20
Kapitel 62 – Bremen, Donnerstag, 28.01., 14h
Kapitel 63 – Stockholm, Donnerstag, 28.01., 17h
Kapitel 64 – Saltsjö-Duvnäs, Donnerstag, 28.01., 20:30h
Kapitel 65 – Stockholm, Freitag, 29.01., 10h
Kapitel 66 – Stockholm, Freitag, 29.01., 14h00
Kapitel 67 – Saltsjö-Duvnäs, Freitag, 29.01., 16h00
Kapitel 68 – Stockholm, Freitag, 29.01., 16h00
Kapitel 69 – Stockholm, Freitag, 29.01., 19h15
Kapitel 70 – Berlin, Samstag, 20.02., 11h30
Kurzkrimi: »Rettet das Mädchen«
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Berglund stöhnte. »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Das Problem ist, wir wollen ja nicht gleich einen Massenmord verursachen. Man weiß nie, ob sie da wirklich allein durchgeht.«
»Ernsthaft?«, fragte Morland verächtlich. »Wer soll denn da noch im Büro sein? Sie kommt als Erste, sie geht als Letzte. Und auf dem Parkplatz steht abends nie ein anderes Auto als ihr alter Saab.«
Berglund schüttelte den Kopf. »Nein, zudem: Du kannst auch nie genau sagen, wo die Kugeln sie dann letztlich treffen. Vielleicht hört sie gerade in dem Moment, wo sie die Selbstschussanlage auslöst, ein Geräusch und dreht sich um. Oder sie findet auf dem Boden ein Geldstück und geht in die Hocke oder was weiß ich? Dann wäre alles umsonst gewesen.«
»Und was wäre, wenn wir nachts bei ihr einbrechen und das Ganze aussehen lassen wie einen Raubüberfall?« Erwartungsvoll sah Morland sein Gegenüber an.
»Das ist auch riskant«, wandte Berglund ein. »Am Ende könnte sie bewaffnet sein. Selbst wenn wir sie zuerst erwischen, würde zum einen die halbe Nachbarschaft geweckt werden und zum anderen steckten dann Kugeln in ihrem Körper. Und wenn wir Pech haben, bleibt uns nur wenig Zeit, die Waffen zu entsorgen.«
»Also sind wir wieder beim Zyankali in ihrem Jasmin Tee?«, stöhnte Morland resigniert.
»Ja, wobei da hast du wieder den bitteren Geruch, der es verraten könnte! Außerdem ist Giftmord so zweites Jahrtausend ...«
Berglund lachte über seinen eigenen Witz. »Würde auch wie gesagt schwierig mit den Alibis. Einer von uns muss ihr das Zeug ja heimlich untermischen.«
»Verdammt, Mats, wie sind Cops, wir müssen doch einen Weg finden, wie man die Alte um die Eck...« Morland stockte und alle weiteren Worte blieben ihm im Hals stecken.
»Feierabend verschoben, die Herren! In fünf Minuten in meinem Büro. Mats, was ist eigentlich mit dem Bericht vom Einsatz im Säljarehusen von gestern Abend?«
Irritiert sah Berglund seine Chefin an.
»Der ist noch nicht ganz fertig.« Berglund stammelte fast und setzte wieder seine Unschuldsmiene auf, obwohl die bei seiner Chefin noch nie einen Stich gemacht hatte.
»Und wieso ist der noch nicht-ganz-fertig?«, fragte diese ihn, während ihr Kopf zu den letzten drei Worten im Takt übertrieben hin und her wippte.
»Der Einsatz war gestern Abend!«, maulte Berglund. »Und heute waren wir den ganzen Tag …«
»Ja und?«, unterbracht sie ihn, »du warst gestern um sieben im Büro. Gehst du um sieben ins Bett?«
»Nein«, antwortete Berglund konsterniert.
»Na also. Meine Güte, du hast nicht mal eine Frau, die zuhause auf dich wartet!«
Berglund schluckte. Morland war peinlich berührt und ärgerte sich, dass er nicht einmal so tun konnte, als habe er das nicht mitbekommen. Das Gespräch wurde zum Glück vom Klingeln eines Handys unterbrochen.
»Hauptkommissarin Edda Valby! Bitte? Moment«, Valby legte ihre Hand auf ihr Handymikrofon. »Also in fünf Minuten, verstanden? Oder inzwischen in vier dank eurer Plauderei.«
Valby eilte laut redend in Richtung ihres Büros.
»Eines Tages!« Berglund ballte seine rechte Hand zu einer Faust, während Morland zustimmend nickte.
»Musst du da jetzt ran gehen?« Izabel Gora setzte ihr verführerischstes Lächeln auf und postierte ihren jungen, makellosen Körper so, dass sich das dunkelblaue Satinnachthemd an ihrer Brust leicht spannte.
Es gab Tage, da verfluchte Per-Oluv Gustavsson seinen Beruf. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass er als Inhaber eines der führenden, schwedischen Telekommunikationskonzerne, der sich auf die Herstellung von Mobiltelefonen spezialisiert hatte, an manchen Tagen wünschte, diese Dinger seien nie erfunden worden. Permanent musste er erreichbar sein, musste kurzfristig aufbrechen, Pläne ändern, Entscheidungen treffen. Und nicht selten ärgerte er sich, mit welchen Nichtigkeiten er behelligt wurde, weil sich ein Kollege lieber noch mal absichern wollte, statt zu seiner Entscheidung zu stehen. Er war das personifizierte Sicherheitsnetz für alle Mitarbeiter. Es gab Tage, da wünschte er sich, auch so ein Netz zu besitzen. Ein Inhaber eines Telekommunikationskonzerns ohne Netz. Gustavsson schmunzelte über seinen albernen Gedanken.
Aber ohne all das, was er seinerzeit mit seinem damaligen Partner Calle Lynggaard zusammen aufgebaut hatte, hätte er sich die Villa direkt am Duvnäsviken nie leisten können. Und er zweifelte auch daran, dass er sich eine junge, hübsche Studentin wie Izabel Gora hätte leisten können. Gustavsson war da Realist. Immerhin lagen zwischen den beiden gute zwanzig Jahre! Und doch war etwas anders, als mit all den anderen jungen Frauen, die er zum Trost mit nach Hause nahm, nachdem er seine Frau Siw verloren hatte. Izabel blieb. Zuerst die ganze Nacht, dann ein Wochenende und inzwischen war sie ganz nach Saltsjö-Duvnäs gezogen, hatte hier ihr eigenes Arbeitszimmer und verlegte in den Sommermonaten ihre Arbeiten gerne auf die Terrasse, von der man einen fantastischen Ausblick auf die wunderschöne Bucht hatte. Der größte Unterschied aber zu all den anderen Frauen war der verschwenderisch teure Verlobungsring, der seit anderthalb Monaten ihre Hand schmückte.
»Moment, Iza!«, flüsterte er. Dann drehte er seinen Kopf von ihr weg und griff entschlossen zu seinem Gustavsson Advance 8, dem neuen Stolz des Unternehmens. »Gå!«, sagte er, das Gerät gehorchte und nahm das Gespräch an.
Izabel spitzte die Ohren. Im Büro war um diese Zeit niemand mehr. Am nächsten Tag war Sonntag, da lagen auch keine geschäftlichen Termine an. Was war so wichtig? Aber Gustavsson war zum Telefonieren auf den Balkon gegangen. So sehr sich Izabel auch mühte, sie konnte kein einziges Wort heraushören.
Als Gustavsson dann wieder ins Schlafzimmer hereinkam, lächelte er.
»Musst du noch einmal los?«, fragte Izabel und kniff die Augen dabei so zusammen, als sollten diese ihm andeuten, jetzt keine falsche Antwort zu geben. Aber Gustavsson lächelte nur und zog seinen Pullover aus.
»Nein, wir haben das ganze Wochenende für uns allein. Wie ich es dir versprochen habe.«
»Hat man Ihnen nicht mitgeteilt, dass Sie alle Akten, Aufzeichnungen, Fotos und sonstige Spuren zu diesem Fall nach dem heutigen Treffen zu vernichten haben?«
Privatdetektiv Steffen Kroogmann wich dem scharfen Blick seines Gegenübers aus. »Ein, zwei Mal vielleicht«, antwortete er leise.
»Und warum bringen Sie dann ihre gesammelten Werke zum Treffen mit und legen diese auch noch mitten auf den Tisch?«
Kroogmann stieß einen schweren Atemzug durch beide Backen aus.
»In diesem Ordner ist alles drin, was Sie brauchen. Machen Sie damit, was sie wollen.« Er versuchte, seiner Stimme eine eher teilnahmslose Gelassenheit zu verleihen, und war sich ziemlich sicher, dass ihm das gelungen war, bis ihm die Akte langsam, aber bestimmt wieder direkt vor seine Nase geschoben wurde.
Jetzt nur nichts vermasseln, dachte er. Dafür wird der Job zu gut bezahlt!
»Hat man Ihnen nicht mitgeteilt, dass Sie alle Akten, Aufzeichnungen, Fotos und sonstige Spuren zu diesem Fall nach dem heutigen Treffen zu vernichten haben?«
Kroogmann vernahm die veränderte Tonlage, die eine leichte Gereiztheit vermittelte, sowie die besondere Betonung auf dem Wort »Sie«.
»Okay, ist ja gut!«, erwiderte er und kratzte sich am Hals, was ihm im nächsten Moment ärgerte, da dies ein eindeutiges Zeichen war, dass er nervös wurde.
Ist nicht die erste Personen-Recherche, die ich mache und es wird nicht die letzte sein, dachte er bei sich. Also bleib cool!
»Erzählen Sie mir einfach, was Sie herausgefunden haben.«
Kroogmann nickte.
»Also vorab, ich habe in meiner Karriere schon viele Recherchen gemacht, aber diese hier gibt rein überhaupt nichts her. Ich weiß ja nicht, wonach Sie suchen oder was Sie sich erhoffen zu erfahren.«
Kroogmann machte eine Pause. Hatte er da ernsthaft eine Reaktion erwartet?
»Also gut, der Name der Person ist Marianne Hansen«, fuhr er dann fort. »Sie wohnt in Bremen seit gut zehn Jahren.«
»Geht das bitte etwas genauer?«
Kroogmann verbiss sich einen Kommentar.
»Ihre erste Meldung in Bremen datiert vom 13. Juli 2006, ihre erste kleine Wohnung besaß sie in der Kornstraße.«
Kroogmann drehte seinen Kopf leicht zur Seite und deute mit seiner Hand schräg hinter sich. »Das ist auf der anderen Seite der Weser«, fügte er hinzu.
»Hat es Ihnen geschmeckt?«, fragte die freundliche Bedienung in der Taverne. Kroogmann setzte ein aufgesetztes Lächeln auf und nickte.
»Später ist sie dann nach Walle gezogen, in die Vollersoder Straße. Hausnummer 15, Erdgeschoß. Das ist in der Nähe vom Waller Bad. Und da wohnt sie noch heute.«
»Und sie wohnt da allein?«
»Ja, abgesehen von einer Katze, glaube ich.«
»Entschuldigung: Ich glaube? Sagten Sie: Ich glaube??«
Kroogmann stöhnte.
»Ich bin nie in der Wohnung gewesen. Ich reime mir das zusammen nach der Menge an Katzenstreu, die sie in der Zeit entsorgt hat.«
»Gut, und weiter?«
»Sie fährt jeden Mittwoch zur Arbeit. Heiner Teetzen Spedition. Hat ihren Sitz in der Überseestadt. Meistens fährt sie dort mit ihrem Fahrrad hin. Die anderen Tage arbeitet sie von zuhause aus.«
»Wie praktisch. Und das wissen Sie woher?«
Kroogmann grinste.
»Das weiß ich, weil ich bei der Spedition mal nach ihr gefragt habe.«
»Verstehe. Hobbys, Beziehungen?«
»Jeden Montagabend fährt sie zum Aikido-Training in die Neustadt. Und am Wochenende schlendert sie gerne über den Findorff-Markt, obwohl andere Märkte dichter wären. Beziehungen habe ich keine gefunden, obwohl ich weit zurückgegangen bin.«
»Also keine Männer?«
Kroogmann ahnte, worauf diese Frage zielte und er ärgerte sich ein wenig – er war schließlich kein Anfänger. »Frauen auch nicht«, sagte er dann. »Sie hat eine Freundin aus dem Verein, mit der sie ab und an Essen geht.«
»Was wissen Sie über die Zeit vor Bremen?«
»Da war quasi gar nichts herauszufinden. In ihrem Pass steht, dass sie in Vejle geboren wurde. Das ist in Jütland.«
»Danke. Ich weiß, wo Vejle liegt. Waren Sie dort?«
»Natürlich!«, entgegnete Kroogmann und versuchte, seine Entrüstung herunterzuspielen. »Aber da verliert sich die Spur. Die Firma, für die sie gearbeitet hat, existiert nicht mehr, der Inhaber ist inzwischen verstorben und weitere Mitarbeiter konnte ich nicht auftreiben. Dasselbe gilt für Ihre Eltern, die schon lange nicht mehr leben. Und die letzte gemeldete Adresse war eine Wohngemeinschaft mit ständig wechselnden Mitbewohnern. Keine Chance, da mehr als zehn Jahre später eine Spur aufzunehmen.«
»Klingt fast, als sollte man nichts finden!«
Kroogmann nickte. Daran hatte er auch schon gedacht.
»Und Sie sagen, diese Recherche gibt überhaupt nichts her? Im Gegenteil, Kroogmann. Ganz im Gegenteil.«
»Gib es doch endlich zu, du genießt es!« David war kurz davor, seiner Freundin eine zu knallen.
»Gar nichts gebe ich zu!«, schrie sie zurück und mit einer heftigen Bewegung schlug sie ihm mit beiden flachen Händen auf die Brust, sodass David unweigerlich einen Schritt nach hinten machte.
»Wow!«, stieß er irritiert heraus. »Du hast ja wohl keinen Grund, hier ausfallend zu werden!«
»Jetzt pass mal auf«, fauchte sie zurück, »ich hab sehr wohl einen Grund, ausfallend zu werden. Und auch noch ganz was anderes, wenn du so weitermachst!«
»Ich so weitermache?« Davids Stimme wurde nicht nur lauter, sie bekam auch einen aggressiven Unterton. »Was mach ich denn!«
»Du machst mit deiner Eifersucht am Ende alles kaputt!«
»Sie hat recht, David! Wir sind so nah am Ziel!«
Der Angesprochene sah seinen Freund an und schüttelte den Kopf.
»Wenigstens ein vernünftiger Mann hier im Raum«, giftete sie in Richtung David.
»Und du bist jetzt auch ruhig, Iza!«
»Nein, Jonas …«, setzte sie erneut an, aber dieser fuhr ihr barsch über den Mund:
»Iza! Ruhig jetzt. Du hast bislang gute Arbeit geleistet. Der Verlobungsring ist der beste Beweis.«
»Pfff!«, pustete David verächtlich.
»Und du«, Jonas richtete seine Stimme gegen seinen Freund, »hast genau gewusst, worauf du dich einlässt, wenn wir das durchziehen wollen! Sonst brechen wir die ganze Sache ab!«
»Spinnst du?« Iza sah Jonas mit funkelnden Augen an. »Nach all dem, was ich investiert habe? Ihr könnt ja gut reden, ihr habt ja noch nichts gemacht!«
David senkte den Kopf und ging einen Schritt auf Iza zu.
»Tut mir leid. Scheiße man, kann nichts dafür, dass mich der Gedanke rasend macht, wenn dieser alte Knacker …«
Iza ging einen Schritt auf David zu und drückte ihm sanft ihren Zeigefinger auf den Mund. Dann gab sie ihm einen zärtlichen, flüchtigen Kuss.
»Alles was ich sage«, sagte David dann mit einem Lächeln im Gesicht, »ist, dass der Typ nun reif ist. Wir wollten bis kurz vor der Hochzeit warten, aber das Projekt läuft jetzt fast ein Jahr und« – David machte eine kurze Pause und deutete auf Izas Ring – »verlobt sind sie ja schon.«
»Er hat recht, Iza! Lass es uns heute machen. Alles ist seit Wochen genauestens vorbereitet, wir sind jeden Punkt immer und immer wieder durchgegangen.«
Iza atmete tief durch und blickte von Jonas zu David und wieder zurück. Dann nickte sie.
»Dann ist es beschlossen«, grinste Jonas. »In ein paar Tagen sind wir um einhundert Millionen Kronen reicher.«
Iza zwinkerte ihm zu.
»Mach zweihundert Millionen draus – bin sicher, das ist für ihn kein größeres Problem als einhundert Millionen.«
»Yeah!«, lachte Jonas und schlug mit Iza die Fäuste aneinander.
»Und du meinst, der Typ geht wirklich nicht zur Polizei?«
Fast fassungslos starrte Iza David an.
»Ein bisschen spät, darüber nachzudenken, oder?«
»Und wenn schon«, wandte Jonas ein. »Auch das haben wir hundertmal durchgespielt. Oder meint ihr, die russische Mafia würde sich wegen ein paar Polizisten in die Hose machen?«
»Ach Papa, du immer mit deinem Sercu. Wenn er so gut war, wie du immer erzählst – warum hält er nicht heute noch den Bahnrekord?«
Lenas Argument war entwaffnend.
»Pass lieber auf!«, ermahnte Lüder Jenke seine Tochter, die mit den Augen rollte und den Blick wieder auf die kürzeste Bahn der Welt wandte. Jahrelang hatte ihr Vater ihr vom Sechstagerennen vorgeschwärmt, vom letzten Abend, der der spannendste war, weil in der entscheidenden Jagd am Ende das Siegerpaar gekrönt wurde. Es gab nur noch zwei Sechstagerennen in Deutschland und auch in vielen anderen europäischen Metropolen war das einstige Spektakel inzwischen ausgestorben. Ihre Eltern hatte sie oft mitgenommen, wenn am Sonntag Kidsday war. Es hieß jetzt ja auch gar nicht mehr Sechstagerennen, es hieß Sixdays. Lena hatte über all die Jahre immer den sportlichen Verlauf in der Zeitung verfolgt und wenn ihre Eltern vom letzten Abend nach Hause kamen, hatte sie immer so getan, als hätten sie sie geweckt. Natürlich hatte sie dann immer wissen wollen, wer denn gewonnen hatte. In diesem Jahr dagegen war es anders. Zum einen war sie inzwischen alt genug, um auch abends in die Stadthalle gehen zu dürfen, zum anderen lief das Studium in Berlin gerade so gut, dass sie sich ein paar Tage Bremen mitten in der Vorlesungszeit gönnen konnte. Sie und ihr Dad hatten sich Karten für jeden Abend besorgt – ein Sechs-Tage-Rennen-Marathon, und heute hatten Jette Joop und Uwe Rohde den Startschuss gegeben.
»Guck dir den Kalz an, der fährt schon wieder raus!«
Kalz/Rasmussen hatten im Vorjahr gewonnen und Kalz war Lenas Lieblingsfahrer. Eigentlich war es immer Iljo Keisse gewesen, aber der war lange nicht mehr in Bremen angetreten.
»Aber am Ende gewinnen De Ketele/Grassmann.«
Lüder Jenke war davon überzeugt, freute sich aber auch darüber, dass diese Einschätzung Lena ärgerte.
»Ach, Papa, du hast keine Ahnung!«
»Wirst schon sehen! Guck!«
Jenke grinste seine Tochter an und zeigte auf Grassmann, der soeben aus dem Feld herausgefahren war. Lautstark feuerte Jenke nach dem Wechsel auf De Ketele diesen an, als er spürte, wie sein Handy in der Hosentasche vibrierte. Verstohlen sah er zu Lena herüber, die aber gebannt beobachtete, ob das Feld dem Ausreißversuch der Favoriten – zumindest laut ihrem Vater waren sie es – etwas entgegenzusetzen hatten.
»Man, wieso geht denn da keiner hinterher, Papa? Papa?«
»Verstanden, bis gleich.« Jenke verstaute sein Handy in der Hose und sah seine Tochter achselzuckend an.
»Nicht wirklich, oder?«, fragte sie und fügte in einem vorwurfsvollen Ton hinzu: »Papa?«
In Jenkes Kopf ratterte es. Ihm war noch nicht ganz klar, was er mit dem soeben Gehörten anfangen sollte. Jedenfalls nicht, was seine Tochter betraf. War es nun sicherer, in der Halle zu bleiben, oder sollte er sie möglichst schnell in ein Taxi setzen? Der Bulle in ihm drängte ihn zu einer schnellen Entscheidung, der Vater in ihm bestand darauf, Lena erst mal heil aus der Halle herauszubringen. Aber am Ende beschwichtigte der Bulle den Vater und riet zu Besonnenheit.
»Ich muss leider los, es tut mir wirklich leid. Kommst du allein klar?«
»Ich bin schon groß.« Ihr Lächeln erstarb, als sie merkte, dass sie allein lächelte. »Da muss ja was Schlimmes passiert sein …«
Jenke nickte. »Ist es«, antwortete er ihr. Was er ihr nicht verriet, war, dass sie sich gar nicht weit entfernt vom Tatort befanden.
Per-Oluv Gustavsson konnte sich kaum erinnern, wann er das letzte Mal einen Abend im Wirströms Pub in Gamle Stan verbracht hatte. Seit dem Kauf des Hauses in Saltsjö-Duvnäs waren die Ausflüge ins Nachtleben der Stockholms Altstadt deutlich seltener geworden. Ab und an hatte es ihn mittags hierher verschlagen, wenn Kunden unbedingt statt eines guten Restaurants einen typischen, schwedischen Pub kennenlernen wollten. Gustavsson mochte die Atmosphäre im Wirströms. Aber heute waren sie hier, weil ihm auf die Schnelle nichts anderes einfiel. Außerdem konnte man Robert Larsson mitten in der Nacht anrufen, er würde den Weg zu diesem Pub finden, ohne dass er dafür hätte aufwachen müssen. Larsson war überzeugter Single und immer noch fast jeden Samstag unterwegs. Es störte ihn keineswegs, dass die Frauen in den Bars im Gegensatz zu ihm nie älter wurden. Aber heute war weder Samstag, noch musste Larsson geweckt werden. Unterwegs dagegen war er, nämlich schon auf dem Heimweg, als ihn Gustavssons Anruf erreichte. Und es klang dringlich.
»Okay, was ist los?«, fragte er, noch ein wenig außer Atem, nachdem er auf einem Hocker gegenüber von Gustavsson Platz genommen hatte. »Was ist so wichtig, dass du ein Bier mit einem alten Kumpel einem Abend mit deiner neuen Flamme vorziehst? Ich meine, das haben wir seit Jahren nicht mehr gemacht – aber warum gerade heute, und vor allem: Warum musste es sofort sein?«
Gustavsson seufzte. Für einen Moment überlegte er, ob er nachfragen sollte, woher Larsson von seiner Liaison mit Izabel Gora wusste. Andererseits wunderte ihn das nicht besonders, denn sogar die Zeitungen hatten Fotos von den beiden geschossen, als sie ihn zu einer Premiere eines Theaterstückes begleitete. Ihr erster gemeinsamer öffentlicher Auftritt. Er wich Larssons Blick aus, steckte seine Hand in seine Jackentasche und zog ein Handy heraus. Nach ein paar Klicks schob er es seinem alten Kumpan hinüber. Larsson sah ihn irritiert an und nahm das Handy in seine Hand.
»Ach du Scheiße! Per, du musst …«, Larsson sah ihn mit großen Augen entsetzt an, während Gustavsson die Hand hob zum Zeichen, dass Larsson seine Stimme drosseln sollte.
»Was? Damit zur Polizei gehen?« Er schüttelte den Kopf. »Was, wenn die die Drohung wahr machen?«
Vorsichtig schob Larsson das Handy wieder zurück.
»Meinst du, die machen ernst?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Gustavsson. »Aber würdest du das Leben deiner Frau aufs Spiel setzen, um es herauszufinden?« Ganz langsam führte er das Bierglas zum Mund und nippte daran. »Wenn du eine hättest?«
Larsson schüttelte den Kopf.
»Ich wusste nicht, dass sie schon deine Frau ist.«
»Wir sind verlobt. Und im Sommer wollen wir in Venedig heiraten.«
Für einen kurzen Moment lachte Larsson auf.
»Was haben Frauen bloß immer mit Venedig? Es ist dreckig, langweilig und völlig überfüllt. Da legen sogar Kreuzfahrtschiffe an, Alter. Kreuzfahrtschiffe!«
Gustavsson zuckte ratlos mit den Achseln und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Er merkte, dass ihm das Bier gar nicht gut bekam. Seitdem er Abend für Abend nach Saltsjö-Duvnäs fuhr, trank er nicht mehr und so hatte das eine Bier, wenngleich auch erst zur Hälfte getrunken, eine stärkere Wirkung als er sie in Erinnerung hatte.
»Okay, ich helfe dir«, sagte Larsson dann. »Aber dir muss klar sein, dass das auch eine Stange Geld kosten wird. Und es gibt keine Garantie.«
Gustavsson sah seinen Freund aus alten Tagen nachdenklich an.
»Ich kenne das Geschäft. Ich bin da eine Weile raus, aber ich weiß, wie das läuft.«
»Gut« sagte Larsson und nickte. »Ein paar Leute sind mir noch einen Gefallen schuldig, also insgesamt kommt es dich deutlich billiger, als wenn du zahlen würdest.«
»Billiger ist eine Sache«, entgegnete Gustavsson und leerte sein Glas in einem Zug. »Sicherer die andere.«
»Okay«, sagte Larsson. »Ich hab ein paar Fragen, wie du dir sicher denken kannst.«
»Selbstverständlich.«
»Die SMS auf deinem Handy ist bislang die einzige Kontaktaufnahme, richtig?« Larsson wartete nicht auf eine Antwort. »Bislang ist also noch nichts über die Form der Geldübergabe gesagt worden. Zweihundert Millionen Kronen – kannst du das lockermachen?«
Nervös fuhr Gustavsson sich durch sein Haar und atmete tief durch.
»Ja, das sollte möglich sein, aber ein paar Tage werde ich dafür benötigen.«
Larsson hob die Augenbrauen und nickte anerkennend.
»Hat sich für dich rentiert, auszusteigen und dein Geld legal anzulegen. Nicht übel. Wären auch vierhundert Millionen problemlos gegangen?«
Gustavsson schüttelte den Kopf.
»Nein, das hätte selbst meinen Rahmen gesprengt.«
»Also kennen sich die Erpresser möglicherweise recht gut mit deinen Finanzen aus.«
»Ja, den Gedanken hatte ich auch schon, aber dazu müsste ich jemanden aus meinem näheren Umfeld eine Geiselnahme mit Erpressung zutrauen.«
»Verstehe. Gut, lassen wir das mal offen.«
Ganz klar, Gustavsson schien davon auszugehen, dass er das ausschließen konnte. Aber Larsson überzeugte das nicht. Man traute so etwas nie jemanden aus dem direkten Umfeld zu und so unangenehm es Larsson war, es lag auf der Hand, nicht nur im näheren, sondern im direkten Umfeld zu suchen.
»Ich muss dich das fragen – was ist mit deiner Freundin? Sie ist jünger als du, richtig?«
»Ja, sie ist jünger«, erwiderte Gustavsson widerwillig. »Wenn die wirkliche Frage ist, ob sie da mit drinsteckt, dann ist die Antwort: Nein.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
Gustavsson kratzte sich an der Stirn und beugte sich seinem Gegenüber entgegen.
»Ich verrate dir mal etwas: Der Sex mit ihr ist sensationell! Ich weiß, es gibt Frauen, die sich für weitaus weniger verkaufen, aber ich merke, ob eine Frau im Bett bei der Sache ist oder nicht.«
Larsson hob die Augenbrauen und schob das Kinn hoch. So ganz überzeugt schien er davon noch nicht zu sein.
»Es gibt derzeit eine Masche, die in den Staaten läuft. Ich weiß nicht, ob du davon schon gelesen hast. Reiche Typen lernen russische Frauen über Dating-Agenturen kennen, heiraten sie und nach etwa einem Jahr werden sie entführt und die Ehemänner erpresst. Das ganze meist noch befeuert mit widerlichen Bildern, in denen man die Ehefrauen sieht, wie sie übel zugerichtet wurden. Man vermutet, dass das Organisiertes Verbrechen ist.«
»Glaubst du wirklich, dass die russische Mafia dahintersteckt? Was ist mit den Frauen? Lockvögel, nehme ich an?«
Larsson nickte.
»Ja, aber meist nicht ganz freiwillig. Für manche ist das die vermeintliche Austrittskarte aus der Zwangsprostitution, manche tun das für ihre hoch verschuldeten Familien, was weiß ich. Ist deine Verlobte nicht auch Russin?«
»Polin. Zumindest wurde sie dort geboren. Und ich habe sie nicht über eine Dating-Agentur oder so was kennengelernt.«
Den letzten Satz sagte Gustavsson mit besonders fester Stimme. Als habe er es nötig, solche Wege zu gehen, um Frauen kennenzulernen. Lächerlich!
Larsson aber ging überhaupt nicht darauf ein. Stattdessen fragte er, wie Gustavsson Izabel denn kennengelernt hatte.
»Nicht online!«, wiederholte Gustavsson scharf. Er atmete tief durch und sagte dann, wieder mit ruhiger Stimme: »In diesem neuen Restaurant in der Sturegatan.«
»Diesem überteuerten Edelschuppen?«
Gustavsson grinste.
»Das Essen dort ist außergewöhnlich gut und absolut jede Krone wert. Iza arbeitete dort an drei Abenden in der Woche als Serviererin, um ihr Studium zu finanzieren. Ich führe dorthin gerne Kunden aus, da die meistens sehr begeistert von der Küche dort sind und es außerdem nicht weit vom Büro entfernt ist. Und da ist sie mir aufgefallen. Immer sehr freundlich, immer ein Lächeln auf den Lippen – sie hat eine so wunderbar positive Ausstrahlung, wie man sie heute leider nur noch sehr selten antrifft. Deswegen begann ich, auch allein dort die eine oder andere Mittagspause zu verbringen, und es dauerte nicht lange, da wusste ich, an welchen Tagen sie dort arbeitete. Sie wollte mir hinterher weismachen, sie hätte mich von Anfang an durchschaut, aber das nehme ich ihr nicht ab.«
Larsson schmunzelte. Gustavsson als Romantiker, das passte nur sehr schwerlich in sein Bild über ihn.
»Und dann?«
»Na ja, irgendwann erkannte sie mich natürlich und wir wechselten hier und da ein paar Worte. Ich hatte nicht im Leben mit dem Gedanken gespielt, sie nach einem Date zu fragen.«
»Und doch muss es irgendwann passiert sein …«
»Ja, sie fragte jedes Mal, ob es schmecken würde und eines Tages erwiderte ich, dass sie doch sicher wissen müsse, wie gut die Küche sei. Sie lachte nur und fragte, woher? Sie konnte es sich nicht leisten, in so einem exklusiven Restaurant zu speisen. Und ich antwortete, ich schon. Und dann, mehr so aus Spaß, fragte ich, ob sie ja sagen würde, wenn ich sie mal zum Essen einlade. Und sie lachte nur, ich könne es ja mal versuchen. Da hab ich ihr meine Karte gegeben.«
»Klingt also nach einer zufälligen Begegnung.«
Gustavsson nickte.
»Wie lange hat sie gebraucht, um dann anzurufen? Ich meine, war das mehr oder weniger spontan oder Wochen später?«
»Nein, Wochen später ganz sicher nicht.« Gustavsson versuchte, sich zu erinnern, aber genau vermochte er es auch nicht zu sagen. »Ich glaube, es waren drei Tage, vielleicht vier.«
Also doch kein Romantiker, dachte Larsson. Ein Romantiker wüsste das genauer!
»Okay, was weißt du über sie? Wie lange ist sie schon in Schweden?«
Gustavsson lehnte sich zurück und überlegte, wo er anfangen sollte.
»Ihre Eltern kommen aus Stettin und sind nach Schweden ausgewandert, als Iza neun Jahre alt war. Sie sind beide Ärzte und arbeiten irgendwo oben in einem kleinen Ort im Norden, irgendwo bei Arvidsjaur. Iza wollte dann wegen des Studiums nach Stockholm und so hatten wir irgendwie doch etwas gemeinsam. Ich hab ja in Bremen studiert, aber Stockholm ist für jemanden, der in Lappland aufgewachsen ist, ja auch fast Ausland.«
Larsson machte sich keine Notizen, sog aber jedes einzelne Wort auf, in der Hoffnung, irgendwo ansetzen zu können.
»Gibt es Ex-Freunde? Aus Lappland oder war sie in Stockholm schon mit jemanden zusammen? Wie lange ist sie schon in Stockholm, was sagtest du?«
»Knapp vier Jahre. Und ja, es gab wohl einige flüchtige Beziehungen, aber nichts Ernstes.«
»Na ja, nicht für sie vielleicht«, wandte Larsson ein. »Hast du da Namen?«
Gustavsson schüttelte den Kopf.
»Ja, den Namen von ihrem letzten Freund kenne ich. David Leijonberg. Die studieren zusammen und sind noch befreundet. Ich vertraue Iza da voll und ganz.«
Dem letzten Satz verlieh Gustavsson eine besondere Betonung, als er Larssons skeptischen Gesichtsausdruck sah.
»Und sie hat eine Freundin, ihre ehemalige Mitbewohnerin. Lilija irgendwas, ich find den Namen aber noch. Die sind auch auf Facebook befreundet.«
»Gut« sagte Larsson und schob Gustavsson ein Handy rüber. »Wenn dir noch was einfällt, ruf mich an. Aber nur mit diesem Handy. Eines noch ...«
Bedeutungsvoll blickte er Gustavsson in die Augen.
»Wenn die Maschinerie einmal gestartet wurde, gibt es kein Zurück mehr. Und es gelten die Regeln der Akademie.«
Entschlossen erwiderte Gustavsson Larssons Blick.
»Ich weiß. So wie damals.«
Man musste nur lange genug warten. Und man musste gut vorbereitet sein. Planung und Geduld waren die Eigenschaften, die den Unterschied ausmachten, ob eine Operation erfolgreich war oder nicht. Geduld und die Fähigkeit, in der Sache selbst nichts Persönliches zu sehen, emotionalen Abstand zu wahren, logisch zu denken und nur auf sein Ziel fokussiert zu sein. Wer eine Schwäche wie Mitleid zuließ, hatte verloren. Aber es gab noch eine andere Schwäche: die Genusssucht. Den süßen Zauber der Macht zu kosten, sich gemessen zu haben und nun als strahlender Sieger den Daumen über den Verlierer senken zu können. Gladiator und Kaiser in Personalunion, das Ausmaß des Leids des anderen bestimmte die Höhe des eigenen Sieges.
Die Verliererin lag auf dem Bett. Ihre Schreie wurden von einem Knebel verschluckt. Nur mit einem Nachthemd bekleidet, Arme und Beine gespreizt und gefesselt am Bettrahmen, wurde sie nicht müde, daran zu reißen und zu ziehen. Schnüre bekam man in jedem Baumarkt als Meterware und das Wissen, die richtige Stärke auszuwählen und die Knoten so zu setzen, dass weder Reißen noch Ziehen half, gehörte ebenfalls zu den Fertigkeiten, die zum Gelingen des Vorhabens beitrugen. Die Frau auf dem Bett hatte das Spiel vor etwa einer halben Stunde schon verloren, als sie überwältigt und betäubt wurde und sich Schnur um Schnur um ihre Hand- und Fußgelenke gelegt hatten. Noch war ihr das Ausmaß dieser Niederlage nicht bewusst. Noch war sie leicht benommen, doch schon bald spürte sie die Panik in sich aufsteigen, sich in jede Faser ihres Körpers ausbreitend. Ihre Augen wurden immer größer, ihr Blick immer flehender, nicht wissend, dass genau das die Zutaten waren, die den Genuss des Sieges nur umso schmackhafter machten. Je größer die Augen, je stärker das Flehen wurde, desto intensiver wurde das Gefühl der Macht. Wie das erste Glas nach einer langen Zeit der Abstinenz. Niemals war man gänzlich clean, niemals ganz vor Rückschlägen gefeit. Gewissensbisse wurden mit dem zweiten Schluck ertränkt. Und dann fühlte es sich wieder gut an. Wenn man nur Videos machen, das Flehen und Bitten, die ultimative Hilflosigkeit in Wort und Ton hätte festhalten können. Aber Spuren zu hinterlassen oder gar Souvenirs mit sich herumzuschleppen, gehörten nicht zu den Trümpfen eines erfolgreichen Spiels.
Als die Kraft der Verliererin nachließ, fiel ihr Blick auf eine Spritze, die aus einer Tasche geholt wurde. Mit letzter Kraft stemmte sie sich gegen das Unausweichliche, doch es war ein leichtes, ihren Arm zu fixieren und ihr das tödliche Gift zu verabreichen. Es dauerte nicht lange, bis sich die Frau auf dem Bett heftig übergeben musste und ein bestialischer Geruch den Raum füllte. Mit Schrecken stellte sie fest, dass sie bereits jegliche Macht über ihren eigenen Körper verloren hatte. Unkontrolliert suchte sich das Erbrochene seinen Weg über ihre Backen und ihr Kinn bis auf das Kopfkissen. Es waren keine kalten Augen, die dem beginnenden, verzweifelten Todeskampf aufmerksam zusahen. Es waren leuchtende Augen, die sich an dem Schmerz weideten. Diese Frau hatte es verdient, wenn sie meinte, sich den Falschen in den Weg stellen zu müssen. Längst hätten die Fesseln gelöst werden können, denn das Gift hatte sich in dem Körper bereits so weit verbreitet, dass das Opfer auch ohne Fesseln bewegungsunfähig war. Das bedeutete nicht, dass die kaum zu ertragenden Schmerzen nachließen, es hieß nur, dass sie nun gar nichts mehr dagegen tun konnte. Sie sah furchterregend aus, als ihr Körper den Widerstand aufgab. Mit den letzten Zuckungen nahm ihr inzwischen lebloser Körper eine völlig unnatürliche Haltung an, und doch sah sie, bei näherer Betrachtung, friedlich aus. Genau so sollten sie sie finden.
Die Haltestelle der Linie 10, die zum Bremer Hauptbahnhof fuhr, war in nur etwa fünf Minuten schnell zu erreichen. Kalte, klare Winterluft legte sich auf ein zufrieden lächelndes Gesicht. Jemand in Stockholm sollte schon bald gehörig Ärger bekommen.
Kriminalhauptkommissarin Brigitte Fischer kam als Letzte in den Raum. Unter dem Arm trug sie die neuste Ausgabe der HANSE POST. Sie legte die Zeitung betont langsam vor sich auf den Tisch, die Schlagzeile so herum, dass ihr Team sie gut lesen konnte.
»BREMER POLIZEI JAGT DEN SIXDAYS MÖRDER!«, stand da in den größten Lettern, die der Druckerei des Verlages zur Verfügung gestanden hatten.
»Und genau das haben wir vor!«, sagte Fischer mit ruhiger, aber bestimmter Stimme und tippte mit dem Zeigefinger zweimal auf die Zeitung. »Wir werden ihn jagen!«
Wie eine verschworene Gemeinschaft nickte das gesamte Team.
Fischer bat dann Kriminalhauptkommissar Lüder Jenke, die bisherigen Fakten zusammenzufassen.
»Ja, wie ihr ja inzwischen wisst, war ich gestern privat beim Sechstagerennen. Deswegen war ich auch gleich vor Ort und konnte die Kollegen vom Revier in der Stadthalle unterstützen. Der Tote konnte inzwischen identifiziert werden. Sein Name ist Steffen Kroogmann, 35 Jahre, arbeitslos, gebürtig in Bremen, wohnhaft in der Neustadt, Westerstraße. Raub können wir so gut wie sicher ausschließen. Er hatte seine Brieftasche noch in seiner Jacke, als man ihn fand. Nur seine Schlüssel fehlten und ein Handy hatte er auch nicht dabei. Offensichtlich hat sich jemand Zutritt zu seiner Wohnung verschafft und sie durchsucht. Die Festplatte seines Computers ist ausgebaut worden. Die Kollegen sind schon dabei, die Daten seiner Internetnutzung auszuwerten. In seinen E-Mails gibt es viel Korrespondenz, die darauf hindeutet, dass Kroogmann nebenbei schwarz als Privatdetektiv gearbeitet haben muss. Wir kriegen da aber noch Genaueres. Bislang ist er jedenfalls für uns ein völlig unbeschriebenes Blatt. Er ist weder vorbestraft noch sonst in irgendeiner Weise auffällig geworden. Den Untersuchungsbericht aus der Rechtsmedizin erwarten wir gegen Mittag.«
»Kehle durchgeschnitten, oder?«, fragte Kommissar Thorben Bannies und schüttelte den Kopf. »Womit? Ich meine, die haben doch einen Sicherheitsdienst da?«
Jenke kommentierte das mit einem einfachen Nicken. Natürlich wurden wie üblich alle Taschen und Jacken durchsucht, aber solange der Bericht aus der Rechtsmedizin noch nicht vorlag, würde er sich an keinen Spekulationen über die Mordwaffe beteiligen.
»Die Zeugenbefragungen haben jedenfalls noch nichts ergeben. Vielleicht meldet sich noch jemand bei uns. Wir haben auch eine Hot-Line eingerichtet, vielleicht ist bei den anonymen Anrufen ja mal ein brauchbarer dabei. Peters und ich werden uns jedenfalls mal etwas im Umfeld von Steffen Kroogmann umsehen.«
Kroogmann hatte in einer kleinen Mansardenwohnung gegenüber einer Haltestelle der Straßenbahn gewohnt. Peters parkte den Polizeiwagen auf dem Parkplatz eines Supermarktes und stieg aus.
Die einzige Person der anderen Parteien im Haus, die auf das Klingeln der beiden Beamten reagierte und die Tür öffnete, war eine junge Mutter, der es merklich Probleme bereitete, Rede und Antwort zu stehen, und gleichzeitig ihre – Jenke zählte drei – Kinder im Zaum zu halten. Der Herr Kroogmann war ein sehr ruhiger, unauffälliger Bewohner, den die Dame so selten zu Gesicht bekam, dass sie ihn kaum erkennen würde, wenn sie ihm auf der Straße begegnete. Das war alles, was sie an Informationen erhielten.
»Und nun?«, fragte Peters, als die beiden wieder im Auto saßen. Jenke seufzte und schien angestrengt nachzudenken, als sich plötzlich die Zentrale meldete.
»Wir haben eine 110 in Bremen-Walle, Vollersoder Str. 15.«
»Noch eine Leiche?« Peters schluckte.
Nervös ging Gustavsson in seinem Büro auf und ab. Er hätte sich krankmelden sollen. Das wäre wahrscheinlich besser gewesen, denn wie sollte er gerade jetzt in der Lage sein, rationale Entscheidungen zu treffen? Wie sollte er da Geschäftspartnern zuhören oder gar Kollegen Ratschläge geben können? Gut, er hatte Jamina Norlin gesagt, er wolle nicht gestört werden und bislang hatte sie offenbar erfolgreich alle Anrufer abwimmeln können. Dieser Wunsch war nichts Außergewöhnliches und so hatte sich seine Assistentin auch nichts dabei gedacht, zumal sie im Laufe der Jahre ein Gespür dafür entwickelt hatte, wann sie selbst drängelnde Manager oder wichtige Geschäftspartner vertrösten musste. Und heute musste sie das definitiv, da ließ Gustavssons Blick keinen Raum zur Spekulation. Meistens gingen solche Aktionen Hand in Hand mit einer Flut an Aufgaben, die sie möglichst rasch und natürlich fehlerfrei abzuliefern hatte. Flüge und Hotels buchen, Geschäftstermine vereinbaren, Verträge nach relevanten Paragrafen zu durchsuchen oder anhand einiger vager Anweisungen Texte zu verfassen, unter die Gustavsson dann nur noch seinen Namen setzen musste. Und dieser schätzte Norlin. Er hatte sie persönlich aus der Marketingabteilung rekrutiert und Norlin funktionierte. Die Tür blieb verschlossen, das Telefon stumm. Im Kopf hatte er eine Melodie, die er heute Morgen zum Frühstück ziemlich laut aufgedreht und die Beethoven einst komponiert hatte. Immer, wenn er nachdenklich wurde, wenn ihn jemand in die Enge trieb, wenn er das Gefühl hatte, wieder einen klaren Kopf kriegen zu müssen, dann hörte er Beethoven. Egal, ob ein CD-Player zur Verfügung stand oder die Melodie einfach so von seiner inneren Festplatte abgespielt wurde. Gustavsson sah aus dem Fenster in den wolkenverhangenen Himmel, als plötzlich das Klingeln eines Telefons seine Gedanken unterbrach. Automatisch griff er zu seinem Handy, aber dann stockte ihm der Atem. Es war nicht sein Advance 8, das klingelte, es war das Gerät, das Larsson ihm überlassen hatte. Hatte er … Seine verschwitzen Finger glitten über das Display und drückten auf den Telefonhörer.
»Robert? Bist du das?«, fragte er nervös.
»Hi!”, sagte eine wohlbekannte Stimme, die nicht Robert Larsson gehörte und Gustavsson erschrak.
»Du?«
Die Stimme antwortete nicht.
»Wieso, du – das ist eine reservierte Leitung. Wie bist du ...«
»Hör mal, Per, ich weiß, dass das eine reservierte Leitung ist. Meinst du, ich rufe auf einer Party Line an?«
»Wo bist du?« Gustavsson versuchte, betont ruhig zu atmen und sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen.
»Also wirklich, Per ...«
»Bist du in Schweden?«
»Ja«, sagte die Stimme nach einer längeren Pause.
»Bist du in Stockholm?«
Gustavssons Puls nahm an Geschwindigkeit auf, auch wenn er wusste, dass er auf diese Frage niemals eine Antwort erhalten würde.
»Spielt das noch eine Rolle, Per?«
Nicht wirklich, das war ihm klar. Ebenso, wie ihm langsam klar wurde, was der Anruf zu bedeuten hatte.
»Hör zu, Per, ich weiß, du hast Robert schon alles erzählt, was du weißt und was relevant ist. Aber ich will, dass du eins weißt: Obwohl es riskant ist, dass du die Akademie einschaltest, mach dir keine Sorgen, wir kümmern uns um dein kleines Problem. Ich rufe eigentlich auch nur an, weil ...«
Gustavsson vernahm einen tiefen Seufzer.
»Ich wollte nur hören, wie es dir geht. Mich wundert das etwas, du und diese Studentin und dass du deswegen die Akademie einschaltest. Das kann nur heißen, diese Frau bedeutet dir etwas.«
Diesmal war Gustavsson derjenige, der seufzte. Ja, Izabel bedeutete ihm tatsächlich etwas. Diese Frau, die seine Tochter sein konnte und die mit ihrer Unbeschwertheit und ihrer Fröhlichkeit seinem Leben wieder Lebensfreude eingehaucht hatte. Sie hatte ihm damit genau das gegeben, was ihm in den vergangenen zehn Jahren, die er komplett in sein Unternehmen investiert hatte, abhandengekommen war. Ja, diese Frau bedeutete ihm etwas. Gustavsson schwieg. Es war ja auch nicht wirklich eine Frage.
»Es geht mir gut«, log Gustavsson dann und vernahm ein ironisches »hmhm«. Tatsächlich ging es ihm alles andere als gut. Knochentrocken war sein Mund und kalter Schweiß hatte sich auf seine Stirn gesetzt. Erst jetzt, nach diesem Anruf, wurde ihm wirklich klar, um wie viel er den Einsatz erhöht hatte, was wirklich auf dem Spiel stand. Natürlich hatte er die vergangenen Stunden damit verbracht, sich Sorgen um Izabel zu machen.
Sie ist ein starkes Mädchen, hatte er gedacht, sie schafft das!