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Text © 2020 by Rolf Gänsrich

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Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN - 9783752630886

Inhalt

Vorwort

Das ist die Fortsetzung von Teil 1 und der mittlere Band. Wie schon im ersten Teil hab ich versucht, mich bei den Ereignissen und den realen Personen recht genau an die Geschichte zu halten. Das hab ich auch sprachlich getan! Wenn die hier agierenden Personen von „Froschfressern“ reden und die Franzosen damit meinen, so ist dies eine durchaus rassistische Äußerung, die mir nicht gefällt, aber der einfache Brite redete damals so. Der einfache Franzosen nannte den Briten „Inselaffe“. Der Plantagenbesitzer redete, wenn er von seinen Sklaven sprach, insbesondere wenn er sie ansprach von „Boy“ oder „Nigger“. Worte, die ich nie in meinem Sprachschatz hatte, die aber damals im täglichen Umgang so gesagt wurden.

Es ist auch in diesem Teil nie von „Deutschland“ die Rede, denn das gab es in jener Zeit noch nicht. Wer den deutschsprachigen Raum verließ, egal ob gewollt oder ungewollt, der war da wo er landete letztlich stolz darauf Bayer, Franke, Rheinländer, Oldenburger oder Preuße zu sein. Und so möge man mir hier bitte nicht übersteigerten Nationalstolz oder Rassismus vorwerfen, denn ich habe versucht, mich auf der Basis unterschiedlichster Quellen in die Zeit damals hinein zu versetzen und dabei sind in damals statt findenden Gesprächen der agierenden Personen untereinander die unterschiedlichsten rassistischen Worte gesagt worden.

Es wäre letztlich unrealistisch, wenn der Plantagenbesitzer in diesem Buch seinen Sklaven mit: „Wären sie bitte so nett und würden sie mir freundlicher Weise einen Becher Wasser reichen?“, anspräche. „Nigger, dein Herr hat Durst! Gib mir sofort einen Becher Wasser, sonst spürst du die neunschwänzige Katze auf deiner dreckigen, schwarzen Haut!“, trifft die damalige Ausdrucksweise wohl realer.

Wie schon im ersten Teil, so hab ich auch hier versucht, kurz auftretenden Personen die Namen von heute lebenden Politikern, Musikern, Schauspielern oder deren Rollen zu geben, sofern es sich anbot.

Da ich kein einziges Wort in der französischen Sprache kann, war ich an den entsprechenden Stellen angewiesen auf google-Übersetzungen und im Zweifelsfall auf die Hilfe einer guten Freundin, die die Sprache beherrscht, die aber in dieser Zeit als Vollzeitkraft im Homeoffice mitten im Lock-Down der Corona-Krise „nebenbei“ auch noch ihr Kind zu hause unterrichtete und damit wenig Zeit hatte.

An mehreren Stellen nehme ich auch in diesem Teil wiederum Bezug zum Kinderbuch „Blauvogel“ von Anna Jürgen. Die von Kevin Costner produzierte TV-Serie „500 Nations“ sah ich mir nochmals an, um daraus Informationen zu den Indianerstämmen zu holen. Auf google-maps sah ich mir die Landschaft aus der Vogelperspektive heute an und zog daraus meine Schlüsse.

Wirklich erstaunt war ich, als ich auf der Suche nach einem realen Waldläufer jener Zeit ausgerechnet auf Daniel Boone stieß, den heute vermutlich nur ehemalige Ostdeutsche kennen, da eine damals in den USA produzierte TV-Serie in deutschen Sprachraum nur vom DDR-Fernsehen ausgestrahlt wurde. Den Typen gab es genauso wirklich, wie Davy Crocket, der aber zeitlich nicht passte. Genau für den Zeitraum, für den ich Daniel Boone für meine Geschichte hier brauchte, befindet sich in seinem realen Lebenslauf eine Lücke von zehn Jahren. Hat mir da Daniel Boone höchst persönlich die Geschichte hier diktiert?

So ähnlich ging es mir auch mit Anne Bonny. Ich war auf der Suche nach einem Piraten aus der Karibik in dieser Zeit. Da das dann bereits der Aufhänger für den Teil 3 sein soll, hätte ich eine Piratin spannender gefunden, um den Teil 3 einzuläuten, als einen männlichen Piraten, weil sich aus einer Frau-Mann-Beziehung heraus viel bessere, nett anstößigere Konflikte bauen lassen, als aus einer Mann-Mann-Beziehung, ohne jetzt allerdings Schwule und Lesben diskriminieren zu wollen. Die berüchtigsten Piratinnen der Karibik waren Anne Bonny und Mary Read. Und zack, die beiden passten zeitlich so genau in diese Geschichte hier hinein, dass ich sie einfach mit aufnehmen musste!

Auch dieser Hinweis sei mir hier noch gestattet: es gibt immer drei Arten der Rechtschreibung in Deutschland, die alte, die neue und meine. Da viele der Bücher die ich besitze noch in der alten sind, pendel ich gern mal zwischen beiden. Ich kann mir partout nicht merken, wo ich das „ß“ noch setzen darf und wo ich besser das „s“ doppelt einsetze. Auch das Wort „Kanu“ sieht für mich so irgendwie komisch aus, weshalb ich für dieses Gefährt eine „denglisch entlehnte“ Schreibweise bevorzuge und es konsequent mit „e“ am Ende als „Kanue“ schreibe. Ich habe hier im Band zwar die Rechtschreib- und Grammatikprüfung von „apache open office“ genutzt, es kann indes dennoch sein, dass vielleicht der eine oder andere „Korken“ durchgegangen ist. Ich bitte um Nachsicht.

Einführung

Weil sein Bruder ihn im Jahre 1750 im preußischen Berlin nach Strich und Faden um sein Erbe betrogen und sein Lehrherr, eine arme Krämerseele, ihn hatte ermorden lassen wollen, war George Hungerlund mit zwanzig Fässern Sauerkraut, genauso vielen Fässern Pökelfleisch und deutschem Bieransatz in Plymouth im Süden Englands gestrandet. Er hatte dort zunächst ein Angebot der Royal Navy angenommen, sich nach Boston, einem verschlafenen Nest in den nordamerikanischen Kolonien, abzusetzen. Clara, die einstige Magd seines früheren Herrn, war ihm auf einem nächsten Schiff gefolgt und noch während der Überfahrt nach Amerika war es ihr gelungen auf den Kanaren zu ihm zu gelangen. Nach einer langen und an Ereignissen reichen Überfahrt über den Atlantik waren sie in Boston angekommen, wo man ihnen den Tipp gab, sich in einem Fort im Grenzland, Bedford, als zivile Krämer nieder zu lassen. Habgier, Eifersucht und schiere Lüsternheit brachten dort einen Offizier dazu, eine indianische Squaw zu vergewaltigen. George, der zufällig und unbeabsichtigt Zeuge des ganzen gewesen war und diese Squaw, Morgentau, wurden darauf hin von diesem Offizier und seinem Freund, einem Sergeant, „unauffällig beseitigt“, wobei die beiden Soldaten davon ausgingen, George und Morgentau umgebracht zu haben. Diese jedoch schafften es, im bitterkalten Winter zu überleben und sich durch die verschneiten Allegheny's zu ihrem Stamm, den Irokesen durchzuschlagen. Einzig, um Clara ein Lebenszeichen von sich zu geben, machte sich George, der mittlerweile den indianischen Namen „der Weiße Wolf“ angenommen hatte, mit seinen neuen Freunden, Indianern und einem alten Trapper, noch einmal nach Bedford auf. Als George, dort in inkognito, aber sah, wie Clara von den Männern des Forts missbraucht und gedemütigt wurde, beschloss er, sie zu retten. Das tat er und Clara verliebte sich anschließend in den Trapper. Um sich eine neue Existenz aufzubauen, kam George danach auf die Idee, aus dem Fort noch sein restliches Sauerkraut, wegen des einzigartigen Milchsäureansatzes, und seinen Bieransatz zu stehlen. Dabei fackelte er mit seinen Freunden versehentlich, also wirklich versehentlich, das Fort ab. Ein Teil von dessen Mannschaft desertierte dabei oder schloss sich George an. Gemeinsam gründeten sie darauf hin sowohl am Ohio-River, als auch am Biber-Fluss, wo George mittlerweile als Irokese lebte, je eine Handelsniederlassung und vertrieben Sauerkraut, Kinnikinnick, Pulver, Blei, Felle, Käse und Bier und womit man sonst noch zwischen diesen beiden Welten, der indianischen und der der Weißen, Geschäfte machen konnte.

Schließlich heirateten George, der Weiße Wolf und Morgentau nach irokesischer Sitte einander und gründeten ihre Familie.

… und nun geht es weiter …

I. ab 1751

Das Jahr nahm seinen Lauf.

Einen nur geringen Teil seiner Zeit verbrachte er als George in seinem kleinen Handelsposten, wo er hin und wieder ein paar Anweisungen an Morgentau und an Sabine gab und sich nur gelegentlich in die Produktherstellung seines Sauerkrauts und des Kinnikinnick einmischte. Die meiste andere Zeit ging der Weiße Wolf auf Jagdzüge, kontrollierte regelmäßig seine Fallenstrecke und fischte, während seine Frau Morgentau, so wie alle anderen Indianerinnen, überwiegend auf dem Feld arbeitete. Fallensteller Ray, der Gute, hielt die Verbindung zu ihrem Posten am Ohio-River mit dem Kanue. Von dort brachte er für Clara und Sabine regelmäßig frische Milch, Rohkäse und Butter mit. Hin und wieder machte er auch aus alter Gewohnheit einen kleinen Jagdausflug für ein paar Tage. Das dann aber eher am Ohio-River entlang. Der Kontakt zur nächsten Siedlung der Weißen klappte mittlerweile reibungslos.

Auch unter den Indianern der Nachbardörfer schien sich mit der Zeit die Erkenntnis durchzusetzen, dass von der Handelsniederlassung am Biberfluss keine Gefahr ausgehe. Die Sprache, die sie dort allerdings hin und wieder hörten, war nicht das eher näselnde der Weißen aus dem hohen Norden oder das runde Geschwätz der Weißen aus dem Land gen Sonnenaufgang, sondern eine weitere, etwas härtere Sprache. Clara und George unterhielten sich, aus alter Gewohnheit, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, auf deutsch.

Der Jahreswechsel und die Wintersonnenwende standen vor der Tür. Der Weiße Wolf und Morgentau nahmen sowohl bei den Indianern, als auch im Handelsposten bei den entsprechenden Feiern teil. Wobei auch hier wieder die vom englischen und französischen Brauch leicht abweichende Variante der deutschen Lande mit dem Heiligen Abend gefeiert wurde.

Nach der Frühjahrssonnenwende 1752 wurde der immer dicker werdende Bauch von Morgentau sichtbar.

„Unser Bruder Weißer Wolf hat sich wohl nicht nur um die Jagd gekümmert.“, stichelte Schneller Pfeil.

Im Spätsommer des Jahres gebar Morgentau eine mollig, runde und zu aller Erstaunen blond gelockte Tochter, die der Weiße Wolf nach der in Berlin einst besten Freundin von Clara, Josephine, was er ins irokesische mit Schwanenkämpferin, wegen ihrer leicht helleren Haut und wegen ihres blonden Haares, übersetzte. Aber indianische Namen änderten sich auch durchaus im Laufe eines langen Lebens.

Es war der „Monat der gelben Blätter“, nach europäischem Kalender der September 1752, als Josephine geboren wurde. Kein Mensch im Indianerland merkte, dass in den amerikanischen Kolonien, so wie im gesamten britischen Empire wegen der Umstellung vom julianischen auf den gregorianischen Kalender auf den 2.September gleich der 17.September folgte.

II. Krieg mit den „Froschfressern“

Der Krieg zwischen Briten und Franzosen, der im alten Europa ab 1754 tobte und der später in die Geschichte als „der siebenjährige Krieg“ eingehen sollte, kam nur langsam und auf Umwegen ins Ohio-Tal. In der kleinen Handelsniederlassung am Biberfluss merkte man es zuerst daran, dass nicht mehr genügend Pulver und Blei aus der nächsten Niederlassung heran geschafft werden konnten. Auch stiegen dessen Preise. Flinten waren fast gar nicht mehr zu bekommen! Der Weiße Wolf George war sehr zum Ärgernis seines Stammes gezwungen, die höheren Preise an die Indianer weiter zu geben. Wobei er noch immer den Vorteil hatte, im Gegensatz zu den Kolonisten in den Städten, sich und seine Familie hundertprozentig selbst versorgen zu können. Auch teilte man im Langen Haus, wenn es mal bei wem knapp wurde, Lebensmittel unter einander. Tochter Josephine gedieh in dieser Umgebung prächtig.

Richtig merkte man die bevorstehenden Veränderungen, als an einem kalten aber sonnigen Frühlingstag 1755 im „Monat der Geburt der Kälber“ (April) Micha Fielsch seinen kleinen, unbefestigten Handelsposten für mehrere Tage verließ und sein Vieh für diese Zeit der Obhut eines angelernten Indianerjungen anvertraute, um mit dem treuen Ray zum Biberfluss zu kommen.

Der Weiße Wolf George sah sie beide schon von weitem, weil er am Fluss ein paar Fallen für Bisamratten kontrollierte. Als sie am Steg des Handelspostens anlandeten, dauerte es keine Minuten mehr, bis er, in Begleitung von Morgentau und Clara, gleichfalls dort auftauchte, denn dass Micha hierher kam, war schon etwas, das nur in außergewöhnlichen Fällen vorkam.

Ein paar Baumstümpfe, Fass groß, standen hier ohnehin, weil sie den Leuten und Gästen des Handelspostens immer mal als Sitzgelegenheit für ein kleines Palaver dienten und weil Weißer Wolf George sich auch nach Jahren noch nicht vollständig mit der Sitzweise der Indianer, auf dem Boden hockend, angefreundet hatte.

Sie setzten sich erst einmal, stopften in Ruhe ihre Pfeifen mit Kinnikinnick, aber Micha zappelte herum und begann schließlich bereits, als die Pfeifen kaum brannten, sehr erregt zu reden: „Himmel, ihr glaubt gar nicht, hier in eurer Abgeschiedenheit, was bei uns alles los ist!“

„Was soll denn los sein?“, fragte Clara. Darauf wieder Micha: „Mache ich da doch vor einer Woche mit meinem Kanue von unserem Handelsposten einen kleinen Jagdausflug den Ohio-River aufwärts und in den Allegheny-River rein und da sehe ich doch, dass die Franzmänner, die Froschfresser, nicht weit vom Truthahnfuß, an der Gabelung von Monongahela in den Allegheny, ein Fort hoch ziehen! … Da hab ich aber gemacht, dass ich da weg komme!“

Der Weiße Wolf schaute Clara an: „Ich verstehe, dass du und deine Männer Angst haben. Ich mache mir aber für uns hier keine Sorgen. Wir sind schließlich Preußen und haben mit deren Konflikt nichts zu tun.“ Darauf Micha erregt: „Das glaubst aber auch nur du.“ Sabine Lecriox, die bist zu diesem Augenblick zwar in Hörweite, aber noch mit dem Fegen des Eingangsbereichs des Lagers ihrer Gemeinschaftshütte mit Ray und Clara, beschäftigt war, stellte unverzüglich ihren Reisigbesen beiseite und kam bedächtigen Schrittes auf die anderen zu. In ihrem englisch mit dem angenehmen, leicht französischen Akzent, der kein „H“ kannte, sagte sie: „George hat recht, aber auch nischt.“ Sie alle sahen sie erwartungsvoll an. „Wir haben mit deren Krieg nichts zu tun. Aber wir anndeln mit den Briten und das macht uns in den Augen meines Volkes zu deren Verbündeten.“

Der Weiße Wolf wiegte den Kopf. „Wie sollen wir uns verhalten? Wir könnten versuchen, uns wie die Indianer aus allem heraus zu halten. Aber wer sich ständig aus allem heraus hält, gerät in Gefahr, von den beiden anderen Seiten zwischen sich zerrieben zu werden. Wir als Preußen haben seit der Einwanderung der Hugenotten vor etwa hundertfünfzig Jahren, um 1592 soll es gewesen sein, ja auch Stellung bezogen.“ Sabine bekam große Augen: „Franzosen in Berlin?“ und Clara setzte nach: „Das hat sowohl unsere Landwirtschaft, als auch unser Handwerk beflügelt. Erbsen und Bohnen hätten ohne deine Landsleute, liebe Sabine, unsere Bauern nie kennen gelernt!“ Ray schaltete sich ein: „Ihr habt ja sicher alle Recht, aber das löst gerade unser Problem nicht. Denn die Frage ist, wenn die Froschfresser nur anderthalb Tagesreisen mit dem Kanue von unserem Handelsposten am Ohio entfernt sind, aber britische Verstärkung frühestens nach zwei Wochen bei uns sein kann, wie sollen wir uns verhalten.“

Stille trat ein. Die Männer pafften blaue Rauchwolken in den frühlingshaften Himmel, die Frauen kauten einheitlich auf Zitronengras und irgendwo im Wald rief laut flehend ein Truthahn seine Truthenne. Josephine konnte die Besorgnis der Erwachsenen intuitiv erkennen und kuschelte ausnahmsweise einmal bei der sehr bedrückt drein schauenden Clara. Der übliche Dorflärm verblasste wie hinter einem nebulösen Vorhang.

Dann brach es aus dem Weißen Wolf heraus: „Ich hasse es, mein Fähnchen in den Wind zu hängen!“

Die anderen der Runde nickten zustimmend und schauten weiter ins Leere.

Sabine war es, die dann wieder ansetzte: „Isch aabe schon lang nicht mehr meine Muttersprache geöört. Ray, willst du mich zu dem neuen Fort der Franzosen begleiten?“

Ray schaute erstaunt auf, dann sagte er: „Wenn wirklich Krieg ist zwischen uns Briten und euch Franzmännern, dann wäre das zu verdammt gefährlich für mich, wenn ich mich nicht irre.“

Der Weiße Wolf nickte: „Da hat Ray aber sowas von recht! … Ähm … ich denke, ich sollte mit Sabine hinauf fahren. … und ein paar Fässer besten Berliner Sauerkrauts nehmen wir auch mit.“ Morgentau stieß ihn an: „Und mich willst du hier mit deinem Kind allein lassen, während du mit einer fremden Frau“, sie kicherte, „Tage lang allein bist?“ Clara antwortete statt George: „Du mit eurem Kind bleibst hier. Wir wissen noch nicht, wie die Froschfresser auf Indianer reagieren.“ Der Weiße Wolf nickte: „Die Irokesen scheinen sich ja bisher aus allem heraus zu halten, aber man weiß bei den Weißen nie, ob die nicht grundsätzlich alles, was eine rote Haut hat, über den Haufen ballern. Aber ich habe eine Idee! Clara, Sabine und ich werden gehen.“

Morgentau schaute ihn mit bitter-süßlicher Miene an, nickte aber zustimmend, wie alle anderen.

„Morgen im Frühnebel reisen wir ab!“, beschloss George.

In der folgenden Nacht war Morgentau noch liebevoller, zärtlicher, als sonst. Seit sie hier im Indianerdorf am Biberfluss waren und den Handelsposten aufgebaut hatten, waren sie keine Nacht mehr von einander getrennt gewesen.

Auch der Weißen Wolf begehrte seine Frau mehr als sonst, gleichzeitig freute er sich auf eine längere Reise mit Clara.

Es war hier für ihn ein wenig, wie damals in Berlin. Seine Jagdausflüge dauerten höchstens mal von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Damit war er aber immer in der Nähe des Dorfes. Mit dieser familienbedingten Einschränkung seiner räumlichen Bewegungsfreiheit schien sich auch sein Blick auf die Dinge des Alltags eingeschränkt zu haben und so freute er sich auf die Erweiterung seines Horizontes im Wortes Sinne.

Am nächsten Morgen beluden sie ein Kanue mit zwei Fässern Sauerkraut, dazu mit zwei Spannen Blätter wilden Tabaks für feinsten Kinnikinnick, und mit einem zweiten zogen der Weiße Wolf, Sabine und Clara es.

Es war ein schwül-heißer Frühlingstag auf dem Fluss. Strom ab ging es vor allem darum, mit der Last im Rücken, aufzupassen, dass das angekoppelte Kanue sie nicht in einer Stromschnelle überholte. Nur einige Schritt hinter ihnen im Boot fuhren Ray und Micha. Im Notfall konnten sie eingreifen.

Winzige Wellenkreise bildeten sich an der Oberfläche des Flusses immer, wenn eines der fünf Paddel aus dem Strom gezogen wurde, das Wasser von ihm abperlte und wieder hinab tropfte. Träge wand sich der Biberfluss dahin, erst gesäumt von den Pflaumengärten des Dorfes, doch schon nach der nächsten Biegung von Pappeln, Erlen, Weiden und anderem wilden Gesträuch.

Ray, besorgt um ihr Abendessen, fing gegen Mittag mit seiner Harpune ein paar schmächtige Barsche, die er sofort, noch während der Fahrt, im Kanue ausnahm, der Weiße Wolf erwischte im Laufe des Nachmittags mit Pfeil und Bogen eine Ente und zwei Wandertauben (Anmerkung: Wandertauben wurden so stark bejagt, dass sie Ende des 19. Jahrhunderts ausstarben).

Mit Einbruch der Dämmerung, jetzt bei fast Tag- und Nachtgleiche relativ zeitig, gingen sie unweit der Mündung des Biber-Flusses in den Ohio, der hier auch noch nicht sonderlich breit war, auf einer kleinen Insel an Land, entluden die Boote und stellten sie, Kiel oben, am Ufer ab. Dann suchten sie ein wenig Holz und entzündeten ein Feuer. Als Fisch und Geflügel an Spießen brieten, stellte sich auch bei ihnen eine gewisse feierliche Abendstimmung ein.

Auf die Aufstellung von Wachen verzichteten sie hier auf der Insel. Sie waren ohnehin nicht in Feindesland.

Beim knistern der Glut erzählten Clara und der Weiße Wolf den anderen die Sage „vom Tempelhofer Feld“ und die Märchen „Der Fisch im Berlinerischen Rathaus“ und „Der Hosenteufel“, Sabine gab eine Geschichte aus der Provence zum besten und Ray und Micha vermischten selbst erlebtes mit Possen, die sie mal in irgendwelchen Wirtshäusern aufgeschnappt hatten.

Als das lodernde Feuer herunter gebrannt war und nur noch nach allen Seiten wärmende Glut glomm, legten sie sich alle unter ihre mitgebrachten Mäntel und schliefen der Reihe nach ein.

Am nächsten Morgen brachen sie, nach einem schnellen Frühstück, nur bestehend aus selbst gemachtem Pemmikan, erneut auf. Weil es von hier an den Ohio-River stromauf ging, tauschten Ray und Micha die Plätze in den Booten mit Clara und Sabine.

Anderthalb Tage dauerte die Reise bis zu ihrer Niederlassung am Ohio, die Ray ja sonst allein einmal pro Woche, allerdings auch immer nur in einem Kanue und innerhalb von glatt zwei Tagen pro Richtung, bewältigte. An seinem üblichen Rastplatz hatte Ray sich schon vor Jahren eine leichte Laubhütte gegen Regen und Graupel gebaut, die sie am Abend des zweiten Tages anliefen. Gegen Mittag des dritten Tages langten sie endlich bei ihrer Station am Ohio an und blieben dort bis zum nächsten Morgen. Dann machten sich der Weiße Wolf, Sabine und Clara allein mit den beiden Kanues auf in Richtung des neuen, französischen Forts.

Die Frühjahrsschmelze hatte noch nicht ganz geendet und so strömte der Ohio-River etwas breiter und gewaltiger dahin, als beispielsweise im Hochsommer, große Äste und anderes Treibgut mit sich führend und gelegentlich über seine Ufer tretend.

Knapp zwei Tage brauchten sie bis dahin, wo der große Ohio offiziell begann und sich gabelte in den Allegheny-River nach Links und den Monongahela nach rechts.

Den Lärm sich in frisches, zähes Holz grabender Äxte hörte man weiter, als man die durch die französischen Soldaten gerodeten Flächen sah.

In ihrer dreier Absprache, peilten sie nicht vorher erst einmal die Lage, sondern sie hielten offen, von allen sichtbar, von mitten auf dem Fluss direkt auf das Fort zu.

Wie eine abstoßende Wand hingegen war der Gestank, den eine Ansiedlung der Weißen generell verbreitete und den der Weiße Wolf, Clara und Sabine schon lange nicht mehr gewohnt waren. Die Dorfbewohner am Biberfluss wuschen sich öfter und erledigten ihre menschlichen Geschäfte im allgemeinen von einem Steg aus, der unterhalb des Dorfes in den Fluss ragte, damit das Trinkwasser, das man oberhalb des Dorfes vorsichtig schöpfte, nicht verunreinigt wurde. George hatte sich erst daran gewöhnen müssen, wenn er musste, noch zehn Minuten zu laufen. Aber an eben jener Stelle am Biberfluss kam man auch schnell mit den Nachbarn anderer Clans im Dorf zum plauschen und erkundigte sich mal nach der Gesundheit der Alten, mal nach den Schrammen der Kinder.

Die Franzosen hatten aber wohl, wie man es ja auch aus England oder Preußen kannte, nur eine Latrine und nicht so eine elegante Wasserspülung, wie die Indianer. Und eben diese Latrine roch man gewissermaßen „Meilen gegen den Wind“. Dazu kamen noch Gerüche nach Pferde- und Kuh-Mist, nach nassen Hühnern und irgendwo vor sich hin gärendem Bier.

Rufe schallten vom Ufer zu ihnen herüber, wie „ Qui êtes-vous?» , «sont les Indiens?», «Vous gars ne sont pas français?» «Vous êtes sur le sale Anglais?» oder «Si vous nous comprenez, puis répond gentiment!», «Êtes-vous sur les espions?»

Der Weiße Wolf zuckte, nicht verstehend, wie auch Clara, die Schultern! Sabine aber antwortete schon auf französisch, wobei sie sich danach zu ihren Mitreisenden umdrehte und übersetzte: «Die waren eben nischt nett zu uns, mon amour! Fragen, ob wir Spione sind. Habe ihnen gesagt, wir hätten eine deutsche Lieferung für ihren Vorgesetzten, den wir zu sprechen wünschen. Alles andere waren erotische Anzüglichkeiten, die ich nur erwidert habe.»

Der Weiße Wolf, nickte ihr zu: «Na, dann wollen wir mal schauen, was jetzt passiert. … ich steuere uns ans Ufer!»

Sich von dem bei ihrer Anlandung ausbrechenden Tumult so wenig wie möglich beeindrucken lassend, zogen sie ihr Kanue, nachdem die beiden weiter vorn sitzenden Frauen es als erste verlassen hatten, so weit wie möglich an Land.

Schon aber kamen vom Eingang des Forts her etwa zehn Soldaten in blauen Uniformen auf sie zu gerannt, vertrieben die Zivilisten und richteten ihre Flinten mit den im Sonnenlicht sehr bedrohlich blitzenden Bajonetten auf die Ankömmlinge, die noch dabei waren, die Sauerkrautfässer zu entladen. Der Weiße Wolf starrte ein wenig verblüfft in das auf ihn gerichtete Gewehr, hob die Hände und sagte : « Ruhig. Wir tun nichts. »

Jemand offenbar höheren Ranges schrie sie an. Sabine machte einen leichten Hofknicks und erwiderte etwas zu dem Soldaten. Der Soldat schrie wieder und zeigte auf eines der Fässer. Sabine wandte sich darauf hin an George: „Er glaubt offenbar, wir seien englische Spione und wir wollen Fort Du Quesne in die Luft sprengen.“ „Wie kommt er darauf?“, fragte George zurück. Sabine übersetzte. Wieder schrie der übergeordnete Soldat etwas und zielte mit seiner Pistole auf das andere der Fässer. Sabine darauf hin: „Der Offizier glaubt, in unseren Fässern sei Pulver und wir seien von General Washington geschickt worden, um damit ihr neues Fort zu beschädigen.“ „Le General Washington!“, wiederholte der Offizier. „Wer zum Teufel ist General Washington?“, zischte George Clara zu. Das aber musste einer der Soldaten missverstanden haben, denn unversehens hatte George plötzlich die Spitze eines Bajonettes am Kehlkopf. „N-n-n no Washington!“, stammelte er. Und dann weiter: „Clara, bitte öffne eines der Fässer!“

So ruhig es ihre vor Angst schlotternden Knie zuließen, ging sie die paar Schritt zum Kanue, holte das entsprechende Werkzeug und versuchte sie eines der Fässer zu öffnen, was ihr jedoch in Anbetracht der angespannten Lage nicht wirklich gelang.

George machte nun einen langsamen Schritt zurück und drehte sich zu Clara um. Das Bajonett stach jetzt in seinen Rücken. Mit vereinten Kräften schafften sie es, den Deckel des Fasses auszuhebeln, dann kippten sie es an. Die Soldaten begriffen nicht.

„Choucroute!“, sagte Sabine. Das Bajonett wurde von Georges Rücken genommen. Dessen unbeeindruckt öffnete er nun auch das zweite Fass, fasste hinein, nahm etwas davon zwischen seine Finger, hob die Hand hoch in die Luft und beförderte den Bissen, wie ein Messer schluckender Schausteller, mit weit ausholenden Bewegungen in seinen Mund.

Die französischen Soldaten wichen einen Schritt zurück.

„Wir sind Händler!“, sagte George auf deutsch. „Consessionaire!“, wiederholte er. Der Offizier bellte einen Befehl auf welchen die Soldaten vor ihm Aufstellung nahmen. Wieder sagte er etwas, worauf hin einer der Soldaten im Fort verschwand, die anderen aber nun ihre Waffen schulterten. Jedoch blieben sie im „Still gestanden“ und beobachteten die drei Neuankömmlinge weiter.

George tat unbekümmert, obwohl er es nicht war. Aus dem Lastenkanue ließ er Clara den Kinnikinnick holen, während er selbst sich seine Pfeife anzündete.

Vorsichtig schlenderte der Offizier nun auf George zu und fragte in sehr gebrochenem englisch: „Ihr seid Spione aus England.“ In ebenso gebrochenem englisch erwiderte George: „Wir sind Händler! Consessionaire! … Und wir kommen aus Deutschland, Allemagne!“ Nach einem Augenblick Stille setzte er hinzu: „Fragen sie unsere französische Frau! … Sabine!“

„Deutsche und Briten waren sich noch nie grün. Sie sind britische Spione.“, erwiderte der Offizier und schob nach: „Der Kommandant unseres Fort ist ursprünglich aus Straßburg. Der kennt euer deutsches Fasskraut gut. Ich habe nach ihm schicken lassen. Wehe euch, wenn ihr uns betrügt. Spione hängen bei uns schneller, als man einer Pariserin ein Kompliment machen kann.“

George sah ihn ernst an und sagte leicht zynisch: „Wenn wir so wichtig sind...“

Es dauerte so lang, wie man gemächlich eine Pfeife mit Kinnikinnick-Strünken raucht, bis der Kommandant von Fort Du Quesne sich die Ehre gab, in Begleitung eines Adjutanten aus seinem Büro heraus zu kommen. Er hatte schließlich besseres zu tun, als sich mit irgendwelchen Einfaltspinseln herum zu ärgern. Spione sollte man einfach nur hängen und damit basta. Wenn ihm aber der Offizier vom Dienst, der OvD, seinen persönlichen Schreiber schickte, musste ja wohl oder übel etwas an der Sache dran sein und so ließ er sich dann doch persönlich dazu herab, vor das Tor des Forts zu gehen.

Der Aufschrei einer ihm wohl bekannten und lange schmerzlich vermissten Stimme war das erste, was ihm Auffiel, als er die Festung, in Begleitung seines Adjutanten verließ.

Seine Sinne erinnerten sich: Sabine! Sabine Lecriox, … das ehemalige Dienst- und Ankleidemädchen seiner Frau. Da sah er sie schon, in einer kleinen Gruppe. Ein Waldläufer, dem man seine offenbar weiße Vergangenheit kaum noch ansah, weil er mehr einem Indianer glich, dann ein weißes Weib in der gleichen Kluft und dann Sabine, die genauso gekleidet war.

Aber da machte auch schon der OvD seine Meldung.

Die drei Zivilisten tuschelten unterdessen. Sabine erklärte: „Das war mein Dienstherr, als wir in der Karibik von den Piraten angegriffen und ich geraubt worden bin.“

Clara: „Er schaut aber so finster.“ George: „Also nett ist anders.“ Sabine: „Er hat nichts übrig für den kleinen Mann, aber er hat mich dennoch immer korrekt behandelt. Er ist halt arrogant, wie die meisten Adligen.“

Nun kam der Kommandant von Fort Du Quesne auf unsere drei zu und unterhielt sich relativ lang mit Sabine unter vier Augen. George und Clara schauten sich an. Außer gelegentlich mal ihren Namen verstanden sie nichts. Dann ließ sich der Fort-Kommandant von seinem Adjutanten eine silberne Gabel reichen, stocherte damit ein wenig im ersten Fass herum, dann ein wenig im zweiten Fass, spießte ein wenig Sauerkraut auf, kostete und kam dann auf George zu.

„Allemagne?“, fragte er. George nickte. „Berlin, … Preußen.“ „Magnifique!“, sagte der Kommandant und schob nach: „Dans le donjon!“

Eh sich George und Clara versahen, wurden sie von den Soldaten gepackt, gefesselt. Mit samt ihrer Habe, auch mit dem Kanue, wurden sie ins Fort abgeführt. Die Kerkerzelle, in die man sie mit samt ihren Sachen sperrte, war leer.

Clara und George waren so gründlich überrumpelt, dass sie erst als sie in der Zelle waren merkten, dass Sabine nicht bei ihnen war. Sie bekamen eine Kalebasse mit Wasser und eine Schale voll Brei mit in die Zelle, ansonsten ließ man sie zu ihrem Glück in Ruhe.

Sabine hingegen erging es weit schlechter. Der Fort-Kommandant fragte sie den ganzen Abend lang aus, um Ungereimtheiten in ihren Erzählungen zu entdecken, die nicht vorhanden waren. Das Abendessen nahm sie im Beisein von seiner Frau in deren Privatgemächern ein.

Ein für Sabine neues „Mädchen“ bediente sie. Zur Nacht allerdings wurde sie mit einem Sack Stroh in die Besenkammer der Gemächer des Kommandanten gesperrt.

Und so wie früher einst üblich, so bediente der sich an ihr, sowie er glaubte, seine Frau sei eingeschlafen.

Wie widerlich sie es jetzt fand, seinen nach Cognac und kaltem Tabakrauch stinkenden Atem auf ihrem Gesicht zu spüren.

Wie widerlich sie sein kleines, halbschlaffes, schleimiges Glied fand, wenn er in sie eindrang. All dies hatte sie in der Freude, ihren alten Dienstherren wieder zu treffen, vollkommen vergessen. Die Zeiten hatten sich eben über die Jahre verändert. Sie war ein Blut junges Ding von kaum acht Jahren gewesen, als ihre Mutter sie damals, in Frankreich, in den Dienst eines Grafen aus der Bretagne geschickt hatte, weil man sie zu hause, auf dem nur gepachteten Gut ihrer Eltern, einfach nicht mehr ernähren konnte.

Dieser sehr feine und eigentlich auch sehr noble Graf hatte sie jedoch zwei Jahre später, bei einem Kartenspiel, an ihren jetzigen Dienstherren verloren und dieser hatte, als sich mit vierzehn allmählich ihre ersten weiblichen Rundungen zeigten, dann auch rein körperliches Interesse an ihr gezeigt. Damals hatte sie sich geschmeichelt gefühlt, weil der Herr Baron es jede Nacht mit ihr trieb. Und sie hatte sich, irrwitziger Weise, eingeredet, dass wenn dereinst einmal seine Frau sterben würde, dass sie, Sabine, dann ihren Platz einnehmen würde. Aber die Frau des Barons war kaum vier Jahre älter als sie, hatte aber im Gegensatz zu ihr, weil Frau Baronin sich ja nie körperlich anzustrengen brauchte, ihr jugendlich frisches Antlitz und wegen des wenigen Sex's, auch ihren knackigen Körper bewahrt. Erst jetzt, während ihres Lebens mit den Indianern, war Sabine klar geworden, wie sehr sie sich in ihrer Jugend hatte täuschen und von ihren selbst gebastelten Notlügen hatte einlullen lassen. Jahrhunderte später würde man dafür einen Begriff haben: „Stockholmsyndrom“. Ab einem gewissen Punkt sympathisieren bei Geiselnahmen fast alle Geiseln mit ihren Geiselnehmern, ja sie beschützen sie gar unter Umständen und bauen zu ihnen eine emotional positive Beziehung auf und reden sich ein, dass es ja noch schlimmer hätte kommen können. Genau das hatte Sabine früher getan. Und das fehlte ihr jetzt. Und so fand sie ihren einst angehimmelten Baron nur noch abstoßend widerlich.

Die ganze nächste Woche hielt man sie in den Privatgemächern gefangen und der Fort-Kommandant bediente sich so oft und freimütig an ihr, wie er sonst seinen Tabak kaute. Vom „Mädchen“ konnte Sabine erfahren, dass George und Clara noch immer im Kerker saßen, man sich aber nicht weiter mit ihnen befasste. Und erst nach dieser Woche durfte sie erstmals die Gemächer des Barons verlassen. Sie schloss sich Brigitte bei ihren Tageserledigungen an, dem „neuen“ Mädchen, das kaum zwölf Jahr, hier für den Fort-Kommandanten und seine Frau schuftete. Aber zu Brigittes Beruhigung hatte der Baron ihr gegenüber bereits durchblicken lassen, dass ihm auch gern zwei weibliche Bedienstete behagten. So verlor sich die Angst Brigittes, vielleicht mitten in der Wildnis bei den Indianern ausgesetzt zu werden, sollte der Baron beschließen, sie wieder durch Sabine zu ersetzen.

Es dauerte indes nochmals zwei Tage, bis Sabine es gelang, endlich zu Clara und George im Kerker durchzudringen.

Diese hatten, nicht zu Unrecht, den Eindruck, als wenn man sie hier einfach nur vergessen habe. Täglich zur Mittagszeit herum bekam jeder von ihnen eine Schale mit einem recht lausigen Getreidebrei, in dem die einzige Fleischeinlage darin mitgekochte Maden waren und eine Kalebasse voll Wasser. Als Toilette hatten sie ein Holzfass, das alle zwei Tage von einem alten, buckligen Weißen, in einer abgelederten britischen Uniform geleert wurde. Ansonsten kümmerte man sich nicht um sie. Es wurde für Clara und George in der Zelle mehr als langweilig. Sie kannten ja all ihre Geschichten schon und so herrschte, als Sabine nach neun Tagen ihrer Gefangenschaft endlich bei ihnen auftauchte, nur noch, wenn auch ein freundliches und einvernehmliches, Schweigen.

Sabine sah in ihrer beider Augen schrecklich aus, mit ihren verheulten Augenrändern, der bläulich blassen Haut und ihren seit Tagen nicht mehr gewaschenen Kleidern.

Aber auch Sabine war nicht mit der Situation, in der sie ihre Freunde vorfand, zufrieden. Sie wechselten ein paar Worte und Sabine versprach, zu tun, was sie tun konnte.

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Unterdessen hatte man sich in der Handelsstation am Ohio nach einer Woche der Abwesenheit der drei gefragt, was wohl mit ihnen geschehen sein könne und so nahm sich am siebenten Tag Ray den Irokesen jungen Blauvogel, der ihnen im Frühjahr hier mit den Waren und den Rindern half und fuhr mit dem Kanue bis zum Fort zwischen Monongahela und Allegheny. Er machte diesen Ausflug indes behutsamer als George, Clara und Sabine und achtete darauf, ja nicht entdeckt zu werden. Ray und Blauvogel wollten erst einmal nur beobachten. Sie brachten etwa eine Meile den Ohio stromab ihr Kanue in der Baumhöhle einer alten Weide unter. Dann pirschten sie durch den Wald, erklommen am Ende einer frisch gerodeten Lichtung zwei dicht bei einander stehende Mammutbäume, die zu dieser Zeit auch noch im Osten des großen, amerikanischen Kontinents heimisch waren und richteten sich dort in den Zweigen Beobachtungsposten ein.

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Die Sonne schickte an diesem neunten Tag der Gefangenschaft von Clara, Sabine und George ihre rötlicher werdenden Strahlen aus Richtung Westen bereits durch die Stratosphärenwolken, als Sabine endlich Gelegenheit bekam, ihren alten und nun wohl leider auch neuen Dienstherren wegen Clara und George kurz anzusprechen, als sie ihm eine Tasse Zichorienkaffee servierte. „Die sind immer noch im Fort?“, raunzte er Sabine, die ja nun am allerwenigsten dafür konnte, an.

Nachdem der Baron noch ein paar Unterlagen abgezeichnet hatte, ließ er erneut nach Sabine und dann nach seinem Adjutanten schicken und begab sich mit diesen beiden persönlich in den Kerker.

„Ah, mon cher, isch möschte misch entschuldigen, für das Question … die Unannehmlichkeit, die man ihnen gemacht hat zu kommen lassen.“, entschuldigte sich der Baron, als man die Kerkertür öffnete, in einem sehr gebrochenen Englisch. „Wir sind schließlich im Krieg mit den Anglais. Sergent Salvatore Adamo, bitte schreiben sie mit. Wir machen eine kleine, wie eisst das ganze bei ihnen, traitè sur le commerce, einen kleinen Andelsvertrag mit ihnen. Wie eissen sie überaubt. Isch abe nock nischt einmal ihre Namen! Niemand informiert misch ier!“

„George Hungerlund und Clara Pruz aus Berlin, Preußen.“

„In Ordnung! Monsieur Ungerlund und Mademoiselle Pruz, wir machen eine kleine Abkommen, mit ihnen. Sie liefern uns regelmäßig ihre beste, deutsche Kraut und, was haben sie noch?“

Unteroffizier Adamo trat hinzu und zischte laut und vernehmlich: „Tabac, Tabac Indienne!“

„Spucken sie misch nischt immer von der Seite an, sie tas da merde, Tabac natürlisch. Von meine kleine femme dé ménage Sabine weiß isch, dass sie aaben eine kleine Andelsposten nur zwei Tagesreisen hier von Fort Du Quesne entfernt und dass sie aandeln mit Les Indiens eine gnabbe Woche von hier. Vom britischen Kapitain Sir Francis Drake wissen wir, dass ihr saures Kraut gut ist gegen Skorbut. Beliefern sie uns exklusiv und regelmäßig damit, dann kommen wir ins entreprise, ins Geschäft. Liefern sie uns auch noch für unsere einfachen Soldaten ihren starken, indianischen Tabac und auch Felle von den Tieren der Gegend und isch werde beginnen, sie zu mögen. Aaben sie dann auch noch Informationen über Truppenbewegungen der Britannique, der Briten und vielleischt auch über die Stimmung in deren Bevölkerung, werde isch sie lieben, mon cher, wie einen mir gleischgestellten Barons! Sie bekommen dafür neue Fässer aus dem besten Holz britischer Schiffe, excuse, une blague, ein Scherz, aus bestem kanadischem Oolz, Eisenwaren, Blei, Pulver, Flinten und Beutel voller Louis d'or!“

„Das ist ein sehr feines Angebot, verehrter Baron!“, erwiderte George. „Was aber,“ fuhr er fort, „wenn ich diesen Vertrag nicht einhalten kann?“

„Nun ja,“ antwortete der Baron, „Isch könnte sie dann bitten, meine Gastfreundschaft in diesem Kerker weiter in Anspruch zu nehmen.“ „Das dachte ich mir. Aber, unter uns sehr guten Freunden, verehrter Baron, der Brite bezahlt mich nur in Silber und ist weit weg. … Weiter jedenfalls, als sie hier. Außerdem kommen wir über die Flüsse besser an sie heran. Um zu den Briten, mit denen wir bisher gehandelt haben, zu gelangen, müssen wir doppelt so lang, wie zu ihnen, alles auf unseren alten Pferden transportieren.“ „Sie kommen mir entgegen, mon cher! Sie sind ein Bursche, nach meinem Geschmack, Monsieur Ungerlund!“

George streckte ihm die Hand hin. „Ah! Eine freundliche Brauch de la Prusse. Adamo! Holen sie uns einige quelques verres, Gläser echten Cognac aus unserer französischen Heimat, um die Freundschaft und den Handel zu begießen. Und bringen sie auch einen Beutel voller Louis d'or aus meinem Arbeitszimmer mit.“

Auf französisch bellte darauf hin der Baron noch ein paar Anweisungen in Richtung Kerkerausgang. Bis zur Rückkehr des Adjutanten hatten Clara und George neue, frisch gewaschene Kleider an ihren Körpern, war ihr Kanue bereits zum Tor des Forts voraus transportiert und waren der Kinnikinnick und die beiden Fässer Sauerkraut abtransportiert.

Mit einem „Vive la France“ wurde der doch nicht ganz so gute spanische Weinbrand hinter die Kehlen geschüttet.

„Auf unsere Freundschaft, Herr Baron!“, betonte George noch einmal und der Baron grinste hämisch und antwortete: „Damit sie ja nicht vergessen, was für gute und dicke Freunde wir sind, mon cher Ungerlund, wird sich Mademoiselle Sabine auch weiterhin meiner treuen Gastfreundschaft anvertrauen!“

Für eine Sekunde entgleisten Sabines Gesichtszüge, aber schon machte sie ihren gekonnten Hofknicks und hauchte: „Oui Baron!“

Clara und George beluden am Fluss bereits ihr Kanue, als sich der Baron umdrehte und angewidert außerhalb ihrer Hörweite auf französisch abfällig zu seinem Adjutanten sagte: „Was für ein schleimiges Volk, diese Preußen. So ordinär, so einfach, … wie das gemeine Volk eben. Es sollte mich nicht wundern, wenn wir eines schönen Tages in Europa einmal Krieg gegen diese Bauern führen müssten. … So, Unteroffizier Adamo, Mademoiselle Sabine steht ab sofort zur allgemeinen Vergelustigung der Truppe zur Verfügung. Mir ist sie jetzt, nach den Jahren ihrer Abwesenheit, einfach zu widerspenstig geworden. Die Soldaten sollen sie ruhig züchtigen. … Und außerdem ist mein neues Dienstmädchen Brigitte mittlerweile in dem Alter, in dem sie meiner körperlichen Zuneigung zu spüren bedarf. Und regelmäßig drei Weiber pro Nacht verkraftet ja nicht einmal der beste Pariser Zuchtbulle.“

III. Blauvogel

George und Clara hatten sehr wohl noch einiges von dem vernommen, was der Baron gesagt hatte, allein, sie verstanden es nicht. Clara raunte indes ihm zu: „Diese scheiß Adligen sind offenbar überall gleich hochnäsig.“ Und George erwiderte: „Ich traue dem Burschen nur so lange, wie ich ihn sehe. Aber wir werden nicht umhin kommen, uns mit denen zu arrangieren.“ „George! Du willst doch wohl nicht wirklich dein Fähnchen in den Wind hängen?“ „Eigentlich ist mir so etwas ja zuwider, liebste Clara, aber wir haben ja erst einmal dort aus dem Verlies heraus kommen müssen. Es war also reine Selbstverteidigung und Vorsorge zum Überleben, was ich da eben gemacht habe.“ „Das ist mir auch klar, George. Ich hätte nicht anders gehandelt.“

Damit beluden sie ihr Kanue mit ihren persönlichen Sachen, paddelten in die Strommitte und ließen sich von da an, mit den Rudern immer nur mal wieder die Richtung gebend, vom Ohio-River treiben.

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Ray und Blauvogel brauchten schon sehr, sehr gute Augen, um von ihrem Versteck aus zu erkennen, was im und am Fort zuging. An der Mündung des Monongahela und des Allegheny's zum Ohio war jeder der Flüsse gut 250 yards, umgerechnet ca. zweihundert Meter, breit. Aber Ray erkannte ihr Kanue, als es vor das Haupttor des Forts gebracht wurde. Er schickte den behändigeren Indianerjungen zum Versteck ihres Kanues vor.

Er sollte dort, falls Ray es bis dahin noch nicht geschafft hatte, Clara und George den Weißen Wolf, abfangen.

Es dauerte indes noch eine gute Weile, bis Ray, nur an Hand ihrer Staturen, sie beide tatsächlich erkannte.

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