C. U. Wiesner
Frisör Kleinekortes Salongespräche
ISBN 978-3-96521-071-4 (E-Book)
Die Druckausgaben erschienen zwischen 1965 und 1981 im Eulenspiegel Verlag Berli:
„Frisör Kleinekorte“ 1965, „Kleinekorte seift wieder ein“ 1971, „Herrensalon W. Kleinekorte“ 1976, „Frisör Kleinekorte in Venedig und anderswo“ 1981.
Die Druckausgabe „Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnrten“ erschien erstmals 1994 in Eulenspiegel – Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH, Berlin.
Titelbild: Ernst Franta
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Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, mit Ihre Lockenpracht is aber auch kein Staat mehr zu machen. Ick glaube, wenn Se dis nächste Mal kommen, hamse ne kalte Platte. Und wissense, woran dis bei Ihnen liegt: Sie ham zu ville männliche Hormone. Aber die Haarwuchsmittel sind ja man auch der reinste Tinneff, da machense bloß die schemischen Fabriken mit reich. Ick sage immer, es gibt nur ein reelles Mittel: dreimal am Tag kräftig bürschten - am besten mit ne janz harte Bürschte.
Ja, wenn ick ein Haarwuchsmittel erfinden täte, was würklich hilft, denn wär ick ’n jemachter Mann. Was ick mit dis viele Jeld anfangen würde?
Jott, wissense, ick bin jetzt an die Zweiundsiebzig, stellnse da noch jroße Ansprüche ans Leben? Tja, ick könnt mir beispielsweise alle vierzehn Tage ’n neuen Anzug bauen lassen, aber dis trägt ja unsereiner nicht mehr ab. Und dis Trinken bekam mir früher auch besser. Neulich hab ick mitn alten Kriegskameraden ’n Kleinen jepichelt, nu, dis mögen so Stücker zwölf Spezi und zehn Pils jewesen sind, andern Tag - dotsterbenskrank! Dis is ebent alles nicht mehr dis richtige! Moment mal, ick will bloß dis Messer scharf machen. Wissense, man müsste einfach für dis janze Jeld nackte Meechens bestellen und die denn danzen lassen. Und die janzen Pressefritzen, die könnten bei mir aufkreuzen und fotojrafieren, da wär ick jar nicht kleinlich.
Ach, man sagt dis alles so, aber dis is heutzutage überhaupt nicht mehr drin. Die Menschheit is ja so prüde jeworden. Dis muss so - wartense mal - inne Systemzeit jewesen sind, da kamen doch immer - dis werden Sie jar nicht mehr kennjelernt ham - die Hausierer mit ihre Bauchläden. Oben in den Kasten hattense Schnürsenkel, Sockenhalter und hüginische Artikel, und dadrunter war ’n doppelter Boden. Und dadrin lagen denn lauter Fotografien - ick muss ja sagen, sehr freie Darstellungen. Und die hamse bei uns Frisöre fürn Fumziger abjesetzt. Wir hamse denn weiterverscheuert an die feine Kundschaft: dis Stück ne Mark, und ne Mark, dis war damals noch ’n Stücke Jeld.
Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ach, es jab ja noch ville schönere Sachen, dis kennt die Jugend heute jar nicht mehr. Was mein Neffe Oswald is, der jetz in Charlottenburg ans Jericht arbeiten tut, der hat, als er noch bei uns nebenan inne Blumenstraße wohnte, ’n richtigen Kinoapparat jehabt, so einen mit bewegliche Bilder, und da jab es, ick glaube an Dönhoffplatz, son Laden, wo Se echte französische Sittenfülme ausleihen konnten, für eine Mark fumzig die janze Woche. Wenn denn der Sonnabend ran war, wurde die Bude verdunkelt und ’n Bettlaken anne Wand jepinnt. Die Damen saßen nebenan und tranken ihren Kaffee, und wir Herren begaben uns in unserem Kintopp und machten Spannemann bis nachts um zwölfe.
Von diese Erinnerungen lebt man nu heute.
Scharf nachwaschen, Herr Jeheimrat? Was aus den Apperat und die Fülme jeworden is? Na, dis Haus, wo mein Neffe wohnte, wurde noch vierenvierzig runterjebombt, und da liegt dis nu alles mitten unter die Trümmern.
Tja, wenn man bedenkt, was der Krieg so für Werte vernichtet hat!
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Macht nischt, nachts wachsen die Haare langsamer, da sparnse ne Masse Jeld. Fassongschnitt?
Hamse denn heute Nacht den Sputnik jesehn? Der soll ja mal wieder über Berlin rüberjondeln. Ick halt ja nicht ville von den janzen Spuk. Früher - dis muss so bei Hindenburch jewesen sind - hab ick mir ja auch ab und zu den Kopp verrenkt. Nachn Zeppelin, dis lohnte sich wenigstens. Aber die Menschheit wird ja immer verrückter. Immer höher wollnse hinaus. Erst steigense auf dem Himmaleia und belästigen die Schneemenschen - aber nein, dis jenügt nicht: se müssen auch noch partuh bis aufn Mond, und dabei könnse den im Leben nicht erreichen, weil er nämlich nischt weiter is wie ne Luftspiegelung. Was die überhaupt mitten im Himmel zu suchen ham - als ob se es nicht erwarten könn. Mann, da kommen wir doch alle noch beizeiten hin.
Nehmse mal den Kopp ’n bißken tiefer.
Nu mach ich mir ja bei alles so meine eigenen Jedanken. Ham Sie zum Beispiel schon mal jelesen, deß die mit ihre Raketen auch nur eine Spur vom lieben Jott entdeckt ham? Is ja auch kein Wunder. Ick sage Ihnen, den Mann hamse einfach verjrault. Auf die Dauer kann dis ja nicht jut jehn. Am liebsten wollnse uns ja weismachen, desse eines schönen Tages mit ihre Weltraumdampfer auf die Milchstraße rumsejeln wie bei uns die Weiße Flotte. Aber ich lass mir doch nicht für dumm verkaufen. Höher als circa hundert Kilometer kann man die Dinger ja jar nicht hochballern. Muss ick doch wissen, wo ick anno vierzehn in Frankreich mit meine Kompanie neben eine schwere Mörserbatterie jelegen habe. Sehnse, dis waren damals die modernsten Steilfeuergeschütze, wo wir hatten. Passense auf: Ick bin der Mörser, un die Bürschte hier is dis Jeschoß. Jetzt schieß ick bis anne Decke - Pardong, Ihnen wollt ick nicht treffen, Herr Jeheimrat. Aber hamse jesehn: Ick kann mir noch sone jroße Mühe jeben - dis Ding kommt immer wieder runter, und jenauso isses mit die Raketen.
Rund um die Erde is doch der sojenannte Luftozean - hab ick mal inne »Jrüne Post« gelesen, die war ja damals sehr auf Wissenschaft jeeicht -, und dahinter is jar nischt mehr, da ist die Welt mit Bretter vernagelt, wie ein großer Jelehrter sagt. Und nu kommt also dis Raumschiff, dringt bis anne Oberfläche vor und zieht nu auf den Luftozean hurtig seine Kreise. - Frieda, setz doch mal Kaffeewasser auf, ich bedien bloß noch den ein Herrn. - Dis geht natürlich nur so lange, als wie die Schiffsschraube Widerstand jejen die Schwerkraft findet. Nu hamse doch meistenteils ’n klein Köter als Piloten, was ja an sich ne Affenschande is - unsern Purzel früher is schon immer aufs Kettenkarussell schlecht jeworden. So, nun stellnse sich vor, dis Tier macht ein einzigen Fehler: bums! - schon isses passiert, und da könnse den Hund vorher noch so jut ausjebildet ham. Aber lassense man, der Russe is unberechenbar. Eines Tages schicken die ’n lebendijen Menschen aufn Mond, und denn klappt es, passense auf. Ick? Ob ick mir freiwillig dazu melden würde? Wo denkense denn hin! Komm ick nach drei Lichtjahre wieder auf der Erde - da ist mein Herrensalong PeJeHa, un ick bin Neese!
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat, was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ich werde Sie mal die Haare nicht so kurz schneiden, wennse bei den Frost immer ins Freie sein müssen. Heute früh, wie ick die Schallesie hochziehe, war alles voll Raureif. Dis sah ordentlich feierlich sah dis aus, wie mit Puderzucker.
Und Schlächter Meusel hat villeicht geflucht, weil sein oller Wartburg nicht anspringen wollte. Is ja auch kein Wunder: bei die Temperaturen friert der Ostbenzin glattwech ein.
Ick verheize jetz jeden Tag zwei Eimer Kohlen in den Eiserofen, und kalte Beine kriegt man doch beim Stehn. Aber ick tröste mir immer und sage mir, der Winter is eine Naturerscheinung, und der Mensch is nu mal kein Zugvogel, deß er in dem sonnigen Süden abzittern kann. Und son Winter hat ebent auch sein Gutes. Nehmse zum Beispiel das Weihnachtsfest. Da wird einen doch so richtig warm ums Herze rum. Wenn denn draußen so der Schnee glitzert und so.
Übrigens, is Ihnen dis schon aufgefallen? Früher ham wir an Heiligen Abend immer Schnee gehabt. Ick weiß auch nicht, aber seit fümmenvierzig hat sich die Witterung dermaßen umgestellt, als ob uns die Regierung kein richtiges Weihnachtsfest mehr gönnen täte. Sehnse, und dis gehört nu mal zum Deutschen, und dis lasst er sich auch nicht nehmen. So was Stimmungsvollet findense bei kein anderes Volk. Der Franzose oder der Russe is da ville zu nüchtern zu. Der Franzose is so oberflächlich, deß er nicht mal 'n Weihnachtsbaum kennt, und der Russe, jaja, der hat auch seine schwermütigen Lieder, aber die singt er ebent nicht zu Weihnachten.
Machen Sie diesjahr 'n Baum? Ick hab jestern erst meinen jeholt, vonne Schönhauser, aber die waren schon so ausjesucht, deß ick nur noch son ruppigen Besen erwischt hab. Um die paar juten soll es Mord und Dotschlag jejeben ham.
Ick hab ja nu keine kleinen Kinder mehr, aber son Baum jehört einfach zum Fest, schon vonwejen die Erinnerungen. Ick weiß doch, wie ick im ersten Krieg bei die Fümmendreißiger in Frankreich jestanden habe, dis muss so - wartense mal - in Winter fuffzehn muss dis jewesen sind. Da ham wir in unsern Graben jelegen und hatten auch ein kleinen Baum mit richtige Lichter. Und unser Feldwebel, dis war ein Schinder, vor den hamse alle jekuscht, und son junges Bürschchen, den hatte er mal so fertigjemacht, dass sich der Junge ’n Heimatschuss beijebracht hat - aber nu hättense unsern Feldwebel sollen sehn: Wie wir da in Graben »Stülle Nacht« jesungen ham, da sind den Mann die hellen Tränen man immer so runterjelaufen.
Aber so war ebent der deutsche Soldat: außen rau wie’n Bär und innen ’n weichet Jemüt. Und wenn alle so dächten, denn hätten wir bald Frieden auf der Welt, wenigstens den einen Tag im Jahr. Dis fangt nämlich schon inne Verwandtschaft an. Dis ganze Jahr ham wir mit mein Schwager nicht verkehrt, aber gestern sag ick zu meine Frau: Aufn Heiligabend ladste Bertan und Erichen ein und machstse auch ihren bunten Teller. Was meinense, wie feierlich dis immer bei uns wird. Nachmittags jeht meine Frau inne Kirche, da lasstse sich nicht von abbringen, nicht mal von mir, denn ick bin ja der Leidtragende, weil ick mir so lange um den Braten kümmern muss. Vorigtes Jahr hab ich ihn anbrennen lassen, wegen Fernsehen, da hing aber ’n janzen Abend dis Christkind schief.
Na, diesmal wirdse wohl nicht wechkönnen. Ick glaube, die steht die janzen Feiertage nur an Herd. Dis is ja immer die wichtigste Frage, wasse Weihnachten inne Pfanne haben. Dies Jahr wusstense nu nicht: Gibs jenug oder nich? Also ich meins gut und werde vonne Markthalle jestern ne jroße Pute mitbringen. Komme nach Hause, schlagt meine Frau die Hände übern Kopp zusammen und zeigt mir son Untier von Jans, was ihr Schlächter Meuseln seine Frau zurückjehängt hatte. Na jut, sage ick, die kriegen wir auch klein,auf einmal klopps, und draußen steht Frau Ladentin mitn fetten Karnickel und sagt, Sie haben doch im Herbst einen bestellt. Is auch ejal, sagt meine Frau, denn hol ich ebent noch ’n schönes Stück Kassler, und denn ham wir gleich was für Heiligabend; am ersten gibs die Gans, und die Pute muss ebent bis zum dritten Feiertag reichen. Na, macht nischt, dafür brauchste denn keine Kartoffeln kochen, und mit Boonekamp bin ick einjedeckt. Ich ziehe aus alles meine Lehren. Vorigtes Jahr musste meine Frau nämlich den Doktor holen. Nicht etwa, desse denken, Weihnachten besteht bei uns bloß aus lauter Fressalien. Dis beste is nu mal die feierliche Stimmung. Dis fangt ja schon so immer um Niklaustag rum an. Sagt doch meine Frau: Stell mal ruhig ’n Schuh raus, Vater - macht aber bloß ihren Spaß. Ich werde dis für ernst nehmen, und andern Morgen hat die Katze reinjemacht, und dis war noch ’n guter Pico-Schuh von Jesundbrunnen. Na ja, son Vieh kann dis ja nicht wissen. Hunde sind da janz anders. Unser Purzel weiß jenau, wenn Weihnacht is. Denn kriegt er nämlich ne große runde Leberwurscht janz für sich alleine. Dis Tier kiekt einen denn richtig dankbar an, am liebsten würde er »O du fröhliche« mitsingen. Dis sind ebent alte Familienbräuche.
Sehnse die kleine Krippe da drüben mang die Pomadenbüchsen, die stell ich nu schon dreißig Jahre lang immer an ersten Advent ins Schaufenster. Die hab ick mal spottbillig bei Wertheim jekauft. Dis waren ja damals noch andere Preise. Wenn ick heute meine janze pucklige Verwandtschaft beschere, jehn mindestens dreihundert Mark drauf. Aber man soll ja zu son Fest nicht aufs Jeld sehn. Ick für mein Teil bin da meistens sehr spendabel und ärgere mir bloß über den Tinneff, den die anderen mir immer andrehn. Wenn man dis so zusammenrechnet - von die abjetragenen Sachen aus Frankfurt mal abjesehn -, bin ick die Sippe höchstens ’n Fuffzigmarkschein wert.
Na ja, der Ärger verjeht auch, schließlich is ja nur einmal Weihnachten.
Früher waren die Menschen nicht halb so matrijell wie heutzutage, wo sojar die Kinder schon Ansprüche stellen. Und denn wundern sich die Leute, desse nicht mehr so die alte deutsche Weihnachtsstimmung haben. Nehmse mir zum Beispiel. Ick bin in janz kleine Kreise groß jeworden. Vater war in Brandenburg Kutscher bei die Adler-Brauerei, und Muttern musste fürs Millitär waschen. Aber die Herzlichkeit bei uns damals, die könnse heute suchen. Über ne Pudelmütze oder 'n Paar neue Holzpantinen haben wir uns am Heiligabend mehr jefreut als sone Jören heute über ne elektrische Eisenbahn.
Dis eine Jahr werd ich nie vergessen: Vater kommt und kommt nicht, dis Festessen schnurrt inne Röhre ein, Muttern hat jeweint und jesagt, nu müssen wir ebent den Baum alleine anstecken. Und jrade wie die Lichter brennen, jeht die Türe auf. Aber statt dis Christkind kommt der Olle rein, stinkhagelblau, haut den Weihnachtsbaum vom Tisch und schreit, er hat den janzen Schwindel satt. Aber dis war halb so wild. Andern Morgen hat er uns Kinder jenommen und is eigenhändig mit uns inne Kirche marschiert, denn über sein Familienleben hat ihm ebent nischt rüberjegangen. Sehnse, und dis isses, was uns heute so fehlt. Wollnse zur Feier des Tages ’n bißken Pomade rein haben? Jut, denn feucht icks nur an. So, und denn wünsch ick Sie ein recht frohes Weihnachtsfest.
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Wissense, ick sage immer, die Nacht is die jeheimnisvollste Tageszeit. Da passieren die schrecklichsten Dinger. Ick könnte Ihnen villeicht Schoten erzählen, bloß aus unsere Straße. Wenn man abends ausm »Blauen Affen« kommt und geht so mang die Häuser lang ... also nicht, dass ick absichtlich in die Parterrefenster reinkucke, aber was Se da so manchmal zu hören kriegen! Ick sage mir immer, ’n richtiger Frisörmeister muss verschwiegen sind, sonst verjrault er sich die Kundschaft. Jott, es gibt natürlich Kunden, die erzählen einem sonst was, aber darauf darf man ja nischt jeben. Es wird ja so ville jeredet und jeklatscht. Der dicke Kustak aus Nummer siebzehn is in diese Beziehung wie son olles Weib. Fragt er mir doch neulich, ob es sich schon rumjesprochen hat, was bei Zahnarzt Stippekohl jede Woche für dolle Orgeln jefeiert werden. Nu will man ja nicht unhöflich sind. Nee, sag ick also, aber erzählnse mal! Na, janz Jenaues wusste er auch nicht. Bloß, deß Stippekohlen seine Sprechstundenhilfe, diese aufjedonnerte Rothaarije, schon mal morgens um sechse aus Stippekohls Wohnung jekommen is. Und dabei hat Stippekohl schon die zweite Frau, und dis letzte Kind, dis soll auch nicht ... aber ick würde nie darüber reden. Und wie schnell hamse jemand den juten Ruf verdorben. Nehmse zum Beispiel Ihnen. Seit Se letztes Mal hier waren, sind Ihre Haare schon wieder weniger jeworden. Ich weiß schon jar nicht mehr, wie ich se Ihnen legen soll. Als Frisör denk ick mir natürlich mein Teil, aber da kommt auch nicht ein Sterbenswörtchen über meine Lippen. In mein Beruf könnse sich eine ganz wissenschaftliche Züchologie nur aus die Haare von einen Menschen bilden. Denkense bloß mal an Bäcker Stackebrandt. Der lasst sich seit vorigten Winter bei mir die Haare rot färben und obendrein noch ondulieren.
Na schön, der Kunde is König. Aber Stackebrandt jeht nu schon auf die Sechzig zu - und denn macht er sone Zicken, wo die Schulmeechens hinter ihm herlachen. Zu mir sagte er mal - janz im Vertrauen -, er fühlt jetz so was wie ein zweiten Frühling, aber mit wem, sagt er nicht. Nu bin ick ja nicht dusselig. Und dabei is der Mann von die Witwe Lüdicke noch nicht mal ’n Jahr unter der Erde. Und was war dis für ne Seele von Mensch! Die Olle soll ihm ja dotjeprügelt haben, weil er ihren Köter hat verjiften lassen. Und dis war wirklich dis Beste für den armen Harras. Der konnte doch kaum noch kriechen.
Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ick meine, son Tratsch kann janze Existenzen rujenieren. An Schuster Hämmerling werdense sich nicht mehr entsinnen? Den hattense doch damals mitn Hackebeil erschlagen, mit die stumpfe Seite, glaub ick. Und den Mörder hamse nie jefaßt. Nu munkeltense damals alle, dis wär der Klempner Jülicher jewesen. Ick sage Ihnen, dis dauerte nicht lange, da blieb Jülichern die janze Kundschaft wech, und er kriegte lauter anonyme Drohbriefe. Eines Tages hamse ihm rausjetragen, mit die Beine zuerst - da hatte er den Jashahn aufjedreht. Dis war natürlich nicht richtig, trotzdem ich heute noch steif und fest in ihm den Mörder sehe. Wissense, der Mann hatte einfach ’n zu unheimlichen Blick, der konnte keinen jrade ankucken.
Und ick bin nu mal ’n Mensch, der sich so über alles seine Jedanken macht. Nur bereden lass ick mir nicht. Da kann ick denn tücksch wie ’n Affe werden. Dis war - wartense mal - dis muss so Ende der zwanziger Jahre muss dis jewesen sind, da hatte ick mal ne richtiggehende Affehre und wurde beinah zu ein leidjeprüftes Opfer von sone ollen Tratschweiber. Da hatte nämlich die damalige Hauswirtin, dis olle Aas, inne janze Straße verbreitet, ick hätte da son kleines Täterätä - wie der Franzose spricht - mit unsere Untermieterin. Immer wenn Muttern zu Hause nach Pietzkau fuhr, würde ich mir mit die ... also Sie verstehn mir schon. Nu bin ick ja noch zu retten, sagte ick damals, und werd mir doch nischt anfangen mit sone ... Jott, ick finde jar keine Ausdrücke ... also mit so eine vons Warrittee. Aber wie dis so is, bald fragte mir die Kundschaft aus, ob ick auch wirklich in künstlerische Kreise verkehre. Ick war ja tatsächlich mal ein doller Pussierstengel, aber ick und diese Schickse? Ick also hin beim Rechtsanwalt, und denn musste die Hauswirtsche öffentlich widerrufen. Sehnse, und da war ich auch wieder der Jeplättete. Nächste Woche stand im Jeneralanzeiger: Hiermit nehme ich die Verleumdung gegen Herrn Frisörmeister W. Kleinekorte zurück und erkläre öffentlich, dass er kein Verhältnis mit seiner Untermieterin Fräulein Schmidt-Birelli habe. - Da hättense mal die Kundschaft erst sehn sollen. Die ollen Lebejreise ham mir so lange auf der Schippe jenommen, bis ick ... ick mach bloß mal die Tür zu, dis weiß Muttern nämlich bis heute noch nicht.
Jott, jetzt muss ick Sie noch mal einseifen, die olle Seife, die’s bei uns jibt, trocknet einem immer ein beim Erzählen. Sehnse, damals waren ebent noch strenge Sitten. Und heute? Mir hat neulich - Namen nenn ick nicht - einer erzählt, desse nächstens bei uns von Staats wegen die freie Liebe wieder einführen. Ick sage: Aber, Herr Doktor Stippekohl, dis liegt unsere Fungzionäre jar nicht, die lassen doch in diese Beziehung höchstens in jewisse Romane oder ins Fernsehn den Deibel danzen. Doch, sagt er, er hat es aus höchste Kreise, aber ick soll es für mich behalten. Nu kuck ich jede Woche inne »für dich«, ob schon was drinsteht. Man weiß ja nicht, obs stimmt. Aber wenn ... denn steh ick da als oller Knacker. Und wat bin ick denn? Ein Zaunjast an Amors jroßen Paradiesjarten. Na, is auch ejal. Sehnse mal da draußen, die kleine, pummlige Schwarze. Die soll ja - also ick kann mir dis jar nicht vorstellen - die soll nämlich - wissense, so was Unnatürliches jabs zu unsere Zeiten noch jar nicht - wie jesagt, die soll - obs stimmt, weißt man ja nicht jenau - erzählt wird jedenfalls, desse gleichzeitig mit ihren Mann - Sie können ja nun denken, ick habe ne perverse Fantasie - also gleichzeitig mit ihren Mann soll die die Prüfung als Elektrikerinschenjör gemacht haben. Sone Frau kann ja nicht mehr normal sind. Aber dis geht ja unsereinen nischt an, und darum red ick auch jar nicht darüber. So, ick muss Ihnen noch den Kragen abbürschten. Was ick Ihnen hier erzählt habe, bleibt natürlich unter uns, sonst heißt es noch, Frisör Kleinekorte is auch so einer. Und wenn ick eins aufn Dod nicht ausstehen kann, denn isses Klatsch und Tratsch. Hamse schon jehört, deß die Tarife fürs Frisörhandwerk erhöht werden sollen? Nee, ick auch nicht. Na, Spaß muss sind.
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat, was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Wird höchste Zeit, deß ick auf Ihren Kopp die Frühjahrsfurche ziehe. Nur ’n kleiner Scherz von mir, damit Se nicht denken, ick lese keine Zeitung. Da könnse nämlich jeden Tag was vonne Landwirtschaft drin lesen, und wenn Se jute Augen ham, werdense noch Meisterbauer. Is natürlich auch bloß Spaß, denn vons Studieren lernse bestimmt nicht, wie man ein Kuhstall ausmistet.
Wenn ick mir so in Jedanken zurückerinnere, denn kann ick nur immer mitn Kopp schütteln, was die heute aus dis Landleben jemacht ham. Dagejen issen Frisör doch viel was Solideres. Für unsereinen hat sich doch in die letzten fumzig Jahre nischt jeändert. Wer ’n dreckigen Kopp hat, lasst ihn sich ebent waschen, und wen der Bart sprießt, kriegt ihn bei uns balbiert. Und was hamse aufs Land? ’n neues Leben und alles wissenschaftlich. Mir könnses ja erzählen, wo ick bloß ’n einzigen Vater jehabt hab.
Bin nämlich neulich in Pietzkau jewesen, bei den Sohn von ein Kriechskameraden, wo wir nach fümmenvierzig immer raus hamstern jingen. Den sein Bengel is nu auch schon wieder jroß und studiert auf Zücholojie. Und da kommse die Sache schon näher: Die Leute hamse einfach ’n Floh im Ohr jesetzt. Anstatt von den Herrn Züchologen jeh ick womöglich noch Kartoffeln buddeln. Aber bei mir nicht, Sie! Ick sage immer, die sollen man die rausholen, die se reinjelegt ham, die wissen am besten, wo se liegen.
Ach jut, desse mir auf dis Thema Kartoffeln bringen. Was mir betrifft, ick habe jenug einjebunkert, aber nehmse zum Beispiel Doktor Petersen. Wie soll denn der Mann ne ruhige Hand bei’s Zähneziehen ham, wenn ihn seine Frau zweimal inne Woche Reis kochen muss? Son sentementaler Intiljenzler is doch bloß ’n halber Mensch, wennse ihn auf einen Schlage seine gewohnte Nahrung entziehn. Oder füttern Sie etwa Ihren Kanalljenvogel mit saure Jurken, wenns mal jrade kein Vogelfutter jibt? Sehnse, und jenauso isses mit uns: Der Deutsche brauch nu mal seine Kartoffeln, sonst lasst er nischt mit sich anfangen.
Aber ich wollt Ihnen ja aus Pietzkau erzähln. Also dis Dorf kennse nicht mehr wieder: Kino, Kinderjarten, die Jören mitn Bus zur Schule, alle vierzehn Tage dis Fischauto, HO, Konsum - und alles maschinell.
Ick sage zu mein Bekannten, wenn ihr nu schon kein richtiges Landleben mehr habt, denn zieht doch gleich inne Stadt, denn reißen wir euch zuliebe den Asphalt auf und pflanzen Lupinen aufn Alex. Wissense, früher hamse den Bauern schon von weiten erkannt, aber heutzutage ... Also Sie werdens nicht für möglich halten, treff ick doch in Pietzkau inne Kneipe ’n Melker, und der hat mein jrauen Anzug an! Jenau disselbe Muster. Und was mein Bekannter is, der hat ne Dreiundfumzigerröhre und ick als Berliner nur ne Dreiundvierziger! Und damit jeht ebent die janze schöne Romantik, wie Se se aus Janghofern seine Bauernromane kannten, glattwech zum Deibel.
Die ElPeJe is ja nischt mehr heilig, bei die Indier wenigstens noch die Kühe, aber in Pietzkau melkense die armen Tiere sojar auf elektrisch. Jar nicht auszudenken, wo dis noch hinführen soll. Aber eins muss ick ja mein Bekannten lassen: jesundstoßen tut er sich. An die inwidielle Wirtschaft verdient er nämlich mehr wie inne Jenossenschaft. Nu steckt er natürlich auch mehr Zeit rein. Und ich werd Ihnen was sagen: Wennse mir doch mal breitschlagen für die PeJeHa, mach icks jenauso; meine Trinkjeldkundschaft schneid ick weiter inwidiell, auch wenn wir dreist ’n Anbauplan ... ach nee, ick komme doch heute nicht vonne Landwirtschaft los, nur weil ick so ville Zeitung lese.
Anbauplan und Futterplan is sowieso Quatsch, oder wollen Sie den lieben Jott vorschreiben, wenns regnen soll? Meine Karnickel inne Laube sind auch ohne Plan immer noch fett jeworden, und ’n Plan macht meine Frau höchstens, wenn dis Tier schon abjezogen is: sonnabends Kopp und Bauchlappen, sonntags die Keulen und montags den Rest ins Gemüse. Und mit mein Jarten isses jenauso. Vielleicht lass ick mir vorschreiben, wo ick die Petersilie reinbringe und wie viel Erdbeeren ick mir leisten dürf. Soweit kommts noch! Aber dis soll ja auch nicht meine Sorje sein, wenn die sich ihr stilles Landleben mit aller Jewalt verbubanzen wollen.
Ick bin ebent nu mal son Mensch, der sich um alles so seine Jedanken macht. Manchmal stell ick mir vor wie dis so in fumzig Jahren auf die Dörfer aussieht. Passense auf, denn hat jedes Kaff seine eigene U-Bahn, und damit erntense die Kohlrüben von unten. Und Kühe jibs jar nicht mehr, weil die Leute denn lauter Trockenmilch fressen. Aber mit eins tröst ick mir, und dis stimmt mir direkt heiter. Wenns denn soweit is, denn tut sich der Bauer und der Städter jar nicht mehr unterscheiden, und in den Moment wissen die Zeitungsfritzen nicht mehr, wasse über der Landwirtschaft schreiben sollen, ja, und denn - Sie werden noch mal an meine Worte denken - müssense endlich mal über was anderes schreiben. Und denn schreibense nämlich die nächsten zehn Jahre jeden Tag übers Frisörhandwerk. Oder glauben Sie etwa, deß ick mir bis dahin verändert habe?
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, dis muss sind, sonst kommt der Staat nicht auf seine Steuern. Aber wennse son anständigen Zug jemacht ham, denn nehmse man hinterher ne Kopfmassage; dis helft am besten gejen den Brummschädel. Wissense, wie se ebent so reinkamen und ausjesehn ham wie Braunbier und Spucke, da hab ick mir schon beinah mein Teil jedacht. Es heißt ja: die Leute müssen jetz ville mehr arbeiten als wie sonst. Mit ruhige Kugel schieben is nischt mehr. Robert Köppen vons Elektrowerk hat mir wollen erzähln, desse dis janz von alleine machen und desses uns denn besser jeht und pipapo. Ick hab bloß immer jenickt. Als Frisör streit ick mir nicht mit die Kundschaft. Aber janz unter uns: Jeglaubt hab ich den nicht dis Schwarze untern Nagel.
Die janze Chose is nischt weiter wie ne neue Schampanje. Oder traun Sie den Arbeiter zu, desser von selber mehr wurackt? Robert Köppen meint ja, dis hat was mit ein neues Bewusstsein und den Friedenskampf zu tun oder wie die Fremdwörter alle heißen. Na, dis kennse ja alles. Also, was mir betrifft, ick hab mein Frieden, und mein Reden is immer: Hauptsache, es jibt kein Krieg; denn kann von mir aus alles so bleiben. Sehnse, der Arbeiter stellt heute ville zu hohe Ansprüche. Früher kam der Pudding in Keller oder aufn Balkong heute musses partuh ’n Kühlschrank sind. Stellnse sich mal die Kälte in Berlin vor, wenn sich nun jeder son Ding anschaffen wollte! Aber wartense mal, deß ick Sie nischt Falsches erzähle: Der Arbeiter soll ja heute jar nicht mehr verdienen, bloß mehr tun und inne selbe Zeit. Und dabei hat es inne Systemzeit immer jeheißen, Akkord is Mord. Und was sagt Robert Köppen? Bei uns macht sich sowieso keiner dot. Na, ick wüsste ja was Besseres: inne selbe Zeit für dieselbe Arbeit mehr Jeld; aber da wollnse auch nicht ran. Und dis nennt sich nun Arbeiterstaat. Da sollnse man lieber mit die mehr so künstlerische Berufe anfangen. Nehmse zum Beispiel dis Ballett in Friedrichstadtpalast. Wenn die inne selbe Zeit fürs selbe Jeld noch ’n bißken mehr zeigen täten, denn könntense sojar Matrijal einsparn, und ick würde mir gleich ’n Abonnemang leisten.
Manche Künstler sind ja da schon einigermaßen auf Draht. Ladentins Jüngster hat mir doch neulich janz schön verladen. Schleppt der Bengel mir abends mit in ein Konzert. Operettenmüllodien verspricht er mir, und was muss ick mir anhören? Jatzmusik! Für ein Deutschen is dis ja zuerst ziemlich unjewohnt, dieser Radau wie die Neger in Urwald. Und als die jungen Leute dann auch noch Scharlsten und Jüterbog jedanzt ham, bin ich lieber jegangen. Aber wennse nu mal mitn Sinfonieorschester vergleichen, denn hamse auf ein Blick die ganze neue Schampanje mit mehr arbeiten und so. Du musst noch ville mehr auf der Pauke hauen, hab ich zu Ladentins Ältesten jesagt. Nee, der is nicht Fungsjonär; der kommt nächstens ins Sinfonieorschester anne Schießbude, wie die Jugend von heute dis Schlagzeug nennt. Und er sollte sich mal ’n Beispiel nehmen an die fleißigen Jatzmusiker. An ein Abend fuffzehn Nummern mit fünf Mann, und die Stücker siebzig von son Orschester kriegen mit Ach und Krach dreie inne selbe Zeit fertig!
Ick will damit nur sagen, irgendwo hat Robert Köppen nämlich recht. Ick komm die Brüder jetz mit ihre eigene Waffen. Passense auf! Jeden zweiten Dienstag erscheint Werkdirektor - na, ick will den Namen jar nicht nennen - Dingsda und lasst sich bei mir die Haare schneiden. Nu is Dienstagvormittag immer Flaute im Laden. Herr Kafforke bedient alleine. Jetz will aber Direktor Matzke nur von mir bedient werden, weil Herr Kafforke ihn einmal verschnippelt hat und ich ihn immer sein Dutzend Haare so fein als Sardellenbrötchen lege. Wenn ich nu Direktor Matzke bediene, steht aber Herr Kafforke als stille Reserve rum. Is doch logisch, wat? Sehnse, und seit vorigte Woche machen wir die neue Schampanje mit. Da hab ich nämlich Direktor Matzke klarjemacht, deß sein Schofför unjenutzt draußen in den Wolja sitzt. Und wenn Herr Kafforke den in dieselbe Zeit noch mitbedient, denn brauch der Mann nicht noch mal extra inne Dienstzeit zum Frisör. Auf die Art wird die Arbeitskraft besser ausjenutzt, in mein Betrieb und in Direktor Matzke seinen auch. Na ja, man muss sich ebent anpassen. Wer weiß, was noch kommt. Womöglich kriegen wir eines Tages sojar den richtigjehenden Kommunismus hierher, wie inne Sowjetunion. Robert Köppen sagt ja, da solls in zwanzig Jahren alles ohne Jeld jeben. Na, denn aber ohne mir! Ick rasier doch die Kunden nicht für umsonst!
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Wissense, was mir betrifft, ick kann in sone Mainacht manchmal kein einzigen Schlaf finden, trotzdem ick nu schon so oller Zausel bin. Denn liegt man wach und stimuliert so vor sich hin und fragt sich, ob man seinerzeit auch tief genug in das jüldene Füllhorn der Jugend reingelangt hat, wie der Dichter spricht. Wenn ick mir so dagejen die heutige Scheneration betrachte - was haben denn die von ihr junges Leben? Rabottern, nischt wie Rabottern und hinterher nischt wie Danzen, Kintopp, Schemiezirkus ins Klubhaus, pullitische Technik und Studien, und wo bleibt die Büldung?
Da warn wir noch janz andere Kerle. Wenn wir unsere zehn Stunden runterjeschnippelt hatten, denn hieß es: Probieren jeht über Studieren, und jrün is der Lebensbaum in Schlächter Meusel sein Schaufenster. Und dis erinnert mir noch heute an die Zicken, die Ejon Meusel und ick als junge Spunde jedreht ham. Mit Ejon hab ick ja zusammen jedient. Eigentlich wollten wir immer beis Jardedükohr jehn, Ejon als Kesselpauker - dis hatte er so im Jriff von sein Hackebeil her. Aber denn hamse uns doch nicht genommen, weil wir so kleine Forzkruken warn, und darum kamen wir denn bei die fümmendreißiger Stoppelhopser. Jott, ich will damit nischt gejen meine Miletärzeit jesagt ham. Damals is man mehr rumjekommen wie heute.
Wir lagen die ganze Zeit hinter die Westfront, und ick war Bursche bei ein jewissen Hauptmann von Heideschnarz. Dis war eine Seele von Mensch. Sobald der einen jeschnasselt hatt - der Mann trank nur Schampus -, sang er die schönen Lieder von Herbert Löns und dis Meechen Rosemarie, die sieben Jahre lang nach ihm geschrien hat. Dazu rollten ihm die hellen Tränen die Backen runter, und wenn er sich abjewischt hatte, sagte er: »Ja, Kleinekorte, der Weltkriech is ein Klein-Paris und büldet seine Leute!«
Jott, und der is auf so tragische Art und Weise ums Leben jekommen: durch ein deutsches Seitenjewehr. Schält sich ein französischen Appel-Pommdeterr, wie der Franzmann sagt - und kriegt eine bildschöne Blutverjiftung. Sehnse, wahllos tritt der Heldentod den Menschen an.
Und dis jeht mir so alles in eine Mainacht durch den Kopp, wenn aufm Hinterhof die mickrige Linde rauscht, die undichte Dachrinne droppt und Frau Hinze mit ihren Ollen meckert, weil dis arme Schwein mondsüchtig is. Manchmal halt ichs jar nicht mehr aus in sone Mainacht und jeh auf den Balkong nachkieken, wie die Kresse wächst. Ach, es is doch was Feines, wenn im Frühling so die ersten Säfte sprießen und dis alte Herz sozusagen wie ne Lenzpumpe schlägt! Übrigens würde ick Ihnen heute Birkenwasser empfehlen. Neulich hab ick mal inne Innung an eine Jesellenprüfung teiljenommen. Stellnse sich vor, es jibt doch jetz sogar Meechen, die sich in unseren Beruf auf Herren schmeißen. Und diesmal war sone Kleine dabei - wartense mal, ick mach bloß die Tür zu, Muttern is nämlich nur manchmal schwerhörig. Also icke und fuffzig Jahre jünger, da wäre ick Ihnen glatt zu einem rasenden Uhland jeworden und hätte mir selber jewendet wie einen alten Anzug.
Jott, was war ick für ein Springinsfeld, dis sehnse mir ollen Ehekrüppel jar nicht mehr an. Aber es jab eine Zeit, da war ick wie Joethe und brauchte eben so ab und zu meinen Jux prima Nacktes. Und denn hab ick sojar konnten dichten. Bloß da hamse die Jugend noch nicht so verwöhnt wie heute. Sonst wär ick damals vielleicht im Winterjarten als Lürikabend aufjetreten. Manches von heute erinnert mir direkt an meine eigenen Musenküsse. Nehmse beispielsweise folgende Verse - über die Ohren muss ick Ihnen noch ausrasieren -:
Im Frühling, wenn die Stare pfeifen,
tu ich froh mein Jackett abstreifen
und wandre mit Bravour
hinaus in die grüne Natur.
O holdes Fräulein Schmidt,
warum sind Sie nicht mit?
Alleine ist es ein Dilemma!
Drum komm mit mir nach Werder, Emma!
Ach ja, wissense, Werder is dis einzige, woran ick mir im Frühling noch klammere. Ich sage nur: Baumblüte! Vorigte Woche war ick auch dies Jahr wieder draußen und wandelte auf die Spuren von meine eigene Jugend. Ick wurde ja damals zu eine richtigjehende Sturm-und-Drang-Tonne, wenn ick die schneeweiße Pracht auch nur vom Dampfer aus erblickte. Werder hat ja nu Tradition. Wird schon in dis Lied von den Prinzen Eujen erwähnt: Zelte, Posten, Werderrufer und so. Und was hat der Staat dazumal noch für seine Leute jesorgt: Vonne Bismarckshöhe runter hamse die Jäste jetragen und direktemang aufm Bahnhof in die Jüterwagen. Die waren mit Stroh ausjelegt, und wennse denn aufm Potsdamer Bahnhof wieder zu sich kamen, brauchtense bloß noch Ihren Anzug abwischen, rein ins Taxi, und schon warnse wieder zu Hause. Dis war ebent noch wirklich Sorge um den Menschen.
Mit dis besagte Frollein Schmidt hab ick damals beinah eine echte Amure erlebt. Weil uns in Werder zu ville Flaschenscherben rumlagen, ham wir Ejon Meuseln abjehangen und sind mit den Dampfer Friedrich der Jroße nach Ferch rüberjemacht. Wie wir, die Emma und ick, uns noch mit den Ober rumstreiten, ob es vier Flaschen Erdbeerwein waren oder fünfe, da sehn wir grade noch die Rauchfahne von Friedrich den Jroßen. Sangzussi, sag ick zu Emma, auf deutsch: Mach dir man nischt draus, Motteken! In ein janz kleinen Jasthof sind wir denn jelandet. Heute is so was nur möglich, wennse vom Fülm sind. Sonst heißt es doch fürn jewöhnlichen Sterblichen: Janz ohne Ausweis jeht die Chose nicht. Ach, und ein Klavierspieler hat so empfindlich dis Frühlingsrauschen von Binding jespielt. Ick hätte bloß nach dem ollen Obstwein nicht mehr so ville Konjack durften trinken. Und seit die Emma in diese Nacht auf so rätselhafte Art verschwunden is, kann ich keine Klavierspieler mehr leiden. Sehnse, dis waren ebent noch starke Jefühle. Und was is heute in Werder? Heute wird nur noch jesoffen!
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Was mir betrifft - ick hatte jestern welche. Nee, nee, nicht, was Sie denken, ick bin ja schließlich ’n oller Mann. Nein, ich war bei Willem Tell. Muss Ihnen ja ein Begriff sein, sind doch auch ’n jebüldeter Mensch, wat? Nu jeh ick ja nur alle Jubeljahr ins Theater, und seit ick Fernsehen habe, nicht mal mehr inne Operette. Was machense aber, wenn Ihre Röhre im Eimer is wie meine, und die ham jrade keine neue? Denn suchense sich Ablenkung.
Also Ladentins Jüngster wird mir erzählen, desse den Tell ins Deutsche Theater spielen, und er kann uns Karten besorgen, weil er doch mang die Statisten mit rummimt. Jut, sag ick, eh ick mir schlagen lasse, und jrade dis Stück hat ja noch ’n bißken wat für sich. Erstens isses von Schillern, und der war sowieso ville deutscher wie sein Freund Joethe, und zweitens erinnert mir der Tell immer so an meine Jugend. Da ham wir ihn mal inne Schule jelesen, aber richtig mit jeteilte Rollen. Und ick kriegte die Hauptrolle, nämlich den Jeßler. Und trotzdem ick son ruppiger Lorbass war, war dis totenstill inne Klasse, wie ick mit mein’ Stimmbruch loskrähte: »Ick bin ein ville zu milder Herrscher!« In den Augenblick knallt was anne Backe, und ick kann nur noch rufen: »Dis war Schmidts Jeschoß!« Der, wo den Tell spielte, hat nämlich Schmidt jeheißen und mir mit’s Katapult ’n Kupferpfennig aufjebrannt. Dafür hat ihn denn Lehrer Buchholz mächtig verpolkt. Heute isser schon lange unter die Erde. Und sehnse, nu werdense verstehen, warum ick jerne wieder mal in den Tell jejangen bin. Aber glaubense, dafür könnt ick mir ohrfeigen. Ick werd Ihnen auch sagen, warum. Sie können doch hier hinkommen, wo Se wollen - die verhunzen ebent alles, sojar Schillern.
Jrade dieses berühmte Trauerspiel hab ick mündestens zweimal in mein Leben jesehn, einmal mit den jroßen Matkowsky vorn Weltkrieg und denn noch mal - wartense mal, dis muss so nach dreißig gewesen sein, da hatte ein Herr Fehling dis arrangschiert, und dis war nu wirklich ein Erlebnis jewesen. Aber heutzutage? Wissense, dis fangt doch schon mit die Kostüme an. Ick schmeiß mir extra in mein juten Anzug, Vorkriechsware, sag ick Ihnen - meine Frau hat ihn sojar auf den Balkong jehangen zum Auslüften. Ick sah aus wie Jraf Rotz auf Urlaub, jebiegelt und jeschniegelt! Hätt ick natürlich nie anjezogen, wenn ick jewußt hätte, in was für armselige Klamotten die meisten auf die Bühne rumlaufen. Also man stach ja direkt ab jejen die Leute. Als ob die Schweizer nu wirklich so arme Deibel wären!
Nehmse zum Beispiel die Uhrenindustrie und den Schweizer Käse. Könnse mir doch nicht erzählen, deß sich son reiches Volk keine bessern Sachen leisten kann! Und die Dekoration hättense erst sehn solln! Jut, desse Matrijal sparen wollten, leuchtet mir ja zur Not noch ein, aber deß die komischen bunten Dreiecke dahinten Berge sein sollten, hab ick mir erst mühsam mussten zusammenreimen. Nicht mal die Welt der Berge ist ihnen mehr heilig. Und was is der Schweizer ohne seine Alpen, denkense bloß an Luis Trenkern!
Ick hab zu Hause ein echtes Öljemälde vons Matterhorn. Wennse sich dis ne Weile betrachten, denn atmense sozusagen reine Höhenluft. Aber hier könntense höchstens kleine Kinder mit bange machen. Und überhaupt der janze Anfang. Stellnse sich vor, man sitzt und wartet, dass der Hirtenknabe dis schöne Lied singt: »Mit den Feil, den Bogen ...« Ja, Pustekuchen! Erst ville später singt es der kleine Sohn von dem Tell. Aber denn wollnse schon jar nicht mehr hören, weil Se sich so drüber jeärgert ham. Damals bei Fehling war wenigstens noch was los, da kamense mitn richtigen Kahn anjefahren und ham Ihnen ein Unwetter hinjelegt ... also ick hab damals hinterher ’n Taxi genommen, weil ick dachte, ick kriege draußen auch noch was ab. Und was meinense, wie damals die Leute jeweint haben, wie der Melchior seinen alten, blinden Vater über die Szenerie jezottelt hat. Und hier is der jar nicht erst aufjetreten. Na, wer weiß, wem den seine Nase nicht passt!
Und jetz hörnse zu, jetz kommt dis Schönste, nämlich der berühmte Schuss auf den Appel. Da wolltense dis Publikum ablenken und ham links auf die Bühne ordentlich Radau jemacht, damit man nicht nach rechts kieken sollte. Könnse ja nu bei Kleinekorten nicht mit landen, ick bin ja in solche Sachen ein Fuchs. Und darum hab ick auch als einzigster jesehn, deß der Appel aus Pappmaschee war, wojejen se sich früher noch ’n echten Boskop leisten konnten. Und so wars mit dis janze Stück, nischt mehr von unsern juten alten Willem Tell mit sein friedliches Landvolk. Nein, lauter jereizte Leute, wo die janze Zeit nischt anders im Kopp hatten, als wie se ne richtigjehende Revolutzjohn jejen Jeßlern anzetteln konnten. Und dabei war dis son netter junger Mensch - wissense, der in die Liebe und der Kopilot den Kopiloten jespielt hat, jar nicht son finsterer Bösewicht wie damals. Un den knallnse ab und sind noch froh darüber.
Der einzige Lichtblick war der Studinger. Der hat mir noch son bißken an früher erinnert. Na ja, kurz und jrün, Sie finden einfach keine Worte. Könnte Ihnen ja noch ville mehr erzählen. Manche Schauspieler hatten nicht mal ne anständige Perücke, trotzdem wir unsern janzen Haarkehricht für sone Zwecke abliefern müssen. Na, am besten, Sie kieken sich dis mal selber an - aber wartense mal, Sie werden jar keine Karten kriegen. Ick hab nämlich vorhin inne Zeitung jelesen, deß dis Stück schon für die nächsten Monate ausverkauft ist.
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Na, da kriegense ja nächstens sogar Extrazulage, aber nur jede dritte Nachtschicht, hat inne Zeitung jestanden. Woher ich dis weiß? Glaubense etwa, ich les keine Zeitung? Ick muss mir doch verorientieren. Dis mach ich morgens gleich nachs Frühstück. Da leg ich dis »Neue Deutschland« im Laden aus, und bei die Gelejenheit flieje ick immer mal so rüber. Jott, nicht desse denken, ick hätte was mit die Partei; ick würde erst eintreten, wenn se ne Extrapartei für die selbstständigen Frisöre aufmachen täten, aber unser Obermeister sagt ja, dis lohnt den Aufwand für die paar Männeken nicht mehr.
Sie können sich schon immer da drüben hinsetzen, Herr Kafforke kommt heute später. Auf die Leute is auch kein Verlass mehr. Stellense sich vor, vorjestern war der Mann auf ne Versammlung vonne Natzjonale Front. Andern Tag will er mit mir anfangen zu diskutieren. Hättense mir mal sehen sollen! So ville wie der wusst ick auch vonne Pulletik. Woher? Na, aus die Zeitung. Nicht, deß ick alles für bare Münze nehme, aber man muss ja wegen der Kunden. Der eine will es so und der andre so, und was meinen Sie, wie ick kann, wenn ick will!
Robert Köppen ist doch ’n janz Fortschrittlicher, noch von früher, wissense. Wennse alle so wären wie der, hätt ick jar nischt gejen den Staat, und der hat mir schon aus Spaß jefragt, ob ich nicht Abjeordneter werden will. Über den Mann staun ick immer. Der rackert sich noch dot auf seine vielen Posten, und alles für Jotteslohn. Trotzdem is der janz menschlich jeblieben und fragte neulich sogar nach meinen Sohn - nicht der, wo jetz Schemiker in Halle is, nee, der andere, der stiftenjegangen is. Ich sage, dem jehts jut, weil er doch Heizungsinschenjör in die Villa von einem Frankfurter Textilfritzen is. Nu hätt ich ihm natürlich den Brief von unsern Gustav zeigen können, aber man hat ja auch sein Stolz. Nur zu Ihnen bemerkt: Meine Frau und ick hat dis helle Wasser in die Augen jestanden, wie wir dis jelesen haben. Der Junge hat mächtiges Heimweh, und wegen die paar Mark Steuerschulden auf sein Klempnerladen hätt er damals nicht brauchten abhaun.Jetz schreibt er immer, wärste man auch rüberjekommen, Vater, denn wären wir hier nicht so alleine. Aber sagense selber, ick bin hier mit mein Geschäft alt jeworden, da verzicht ick lieber auf Italien und fahr ins Handwerkererholungsheim.
Dies Jahr war ick in Sperlingerode, aber ick habe die Nase pleng. Wir beiden ollen Leute kamen uns da vor wie bei Jraf Rotz auf Hochzeit. Also dis Heim is pikobello, könnse nischt gejen sagen. Auch die Verpflegung - mir passt keine Hose mehr; aber diese illustrierte Jesellschaft! Wennse hinten aufm Parkplatz kieken, dachtense, sie sind aufm Kudamm.
Klempner Dassel is Ihnen doch auch ’n Begriff? Kurz vorm Dreizehnten hat er hier auf denselben Stuhl jesessen. Eh se mir inne PeJeHa kriejen, hat er rumjeweint, dreh ick ’n Jashahn auf. Heute is er da son Stücke Obermimer, und den Jashahn bedient er nur noch mitn' Fuß - ach nee, beim Wolja heißt es wohl Jaspedale. Nach fümmenvierzig hat der mit nischt anjefangen. Mit schwarzjebrannten Fusel ist er über Land jejangen. Und wo der dis Matrijal für seine ersten Melkeimer herhat, da käm er jetz noch ins Kittchen für. Und heute? Wissense, den hats bloß noch leid jetan, deß er seine jroße Motorjacht nicht in die Sperlingeroder Berge hat konnten mitnehmen.
Hat er mir ins Heim jroßkotzig zum Konjack anne Bar einjeladen. - Jott, die Leute stinken einfach vor Jeld, und denn wollt seine Jattin mit mir fürn Jroschen fillesofieren. Wenn sie ihr Einkommen in West hätten, sagt doch diese aufjedonnerte Pudelzicke zu mir! Sie, die hab ick aber Feuerwerk jejeben. Du Hinterteil, hab ick jesagt - ich war natürlich noch ville ordinärer -, euch PeJeHa-Fritzen jeht doch hier jar nischt ab, an eure Stelle würde ick die janze Regierung jeden Abend ins Nachtjebet inschließen. Wissense, was die Olle mir antwortet? Ihr fehlt die Freiheit. Fehlen tutse dir nicht, aber dir pieptse, hab ick jesagt. Mischt sich noch der Knilch, also ick meine jetz Dasseln selber, ins Jespräch. Er kann ja zur Wahl, meint er, leider nur die Natzjonale Front wählen und nischt anderes. Sindse sprachlos, wa? Nu hab ick den erst mal aufjeklärt. Wartense mal, ick muss ’n bißken leiser sprechen, sonst denkt Muttern, ick bin pullitisch auch schon abjefärbt. Also der Dumme, hab ick jesagt, is der kleine private Handwerksmeister, auf den seine Knochen jeht es euch bei der PeJeHa doch nur jut. Die PeJeHa jeht es jut, und den Arbeiter hat der Staat jekauft. Is doch logisch. Wenns den Arbeiter besser jeht wie früher, is er für den Staat, und jenau dis will der Staat.
Bei die Kinder fangt es heute doch schon an. Von mein Ältesten, den Schemiker, die Jören waren dies Jahr dreimal auf Urlaub. Einmal vonne Schule ins Jebürge, einmal mitn Betrieb anne Ostsee und einmal mit de Familie nach Bulgarien. Da kann ich mir doch bloß an Kopp fassen. Son heutiges Kind weiß ja jar nicht mehr, wo es zu Hause is, weil ihm dabei nämlich die sojenannte Nestwärme abjeht.
Nehmse mal den Kopp ’n bißken höher. Ich sag dis ja auch bloß zu Ihnen. Wenn ich mit solche Leute wie Klempner Dasseln rede, sprech ick in so ein Fall wie Robert Köppen bloß von Errungenschaften, denn kennse mir jar nicht wieder. Sone Protzköppe müsste man einfach verbieten, aufn Staat zu schümpen. Sollen sich doch mal umkieken, wenn se mit ihren Wolja die Gejend verpesten. Überall wachst dis Neue. Moderne Maschinen auf die Äcker - ja, dis Ding ziept ’n bißken, is ja auch schon zwanzig Jahre alt, mir schenkt keiner ne neue Haarschneidemaschine -, luftige Wohnungen und Kinderjärten mitten aufs Land, Erdöl aus die Kuhkoppel, und in Cottbus machense nächstens zwölfmal so viel Strom, wie alle Frisöre von Leipzig, von die übrige Industrie nicht zu reden, verbrauchen können.
Woher ick dis alles weiß? Na, ick sagte doch, ick les ja notjedrungen jeden Tag die Zeitung. Aber ehrlich jesagt, der Sozialismus hat ebent auch seine Schattenseiten. Wie meine Frau diese Woche noch ne Flasche Kaffeesahne vom Konsum' haben wollte, sagt der Konsum, sie hat doch jestern schon eine weg. Und da mussten wir unsern Besuch Kaffe mit blanke Kuhmilch vorsetzen. Und dis lass ick den Staat dies Jahr empfindlich fühlen, und deshalb jeh ick statt um sieben erst um halb achte zum Wahllokal, denn irjendwo hat son Selbstständiger auch noch sein Stolz. Aber erzählnse dies um Jottes willen nicht mein Sohn, den Schemiker, wenn der mal hier is. Sonst sagt der, Vater wird langsam alt.