G.F. Barner
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Mit dem Teufel gepokert

… doch das letzte Spiel ging nicht an ihn

G.F. Barner

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Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-986-8

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Sieben Zoll waren John Braggs Finger vom Kolben des Achtunddreißigers entfernt, nur sieben Zoll zwischen Tod und Leben. Die Waffe steckte unter seiner Achsel – Kolben nach vorn und griffbereit, so daß er sie blitzschnell ziehen konnte.

Ziehen, dabei spannen und sofort abdrücken, dachte Bragg. Ich brauche nicht mal zu zielen, nur auf den Lauf über den Tisch auf ihn richten und abfeuern. Dann wird er tot vom Stuhl fallen. Du bist schon tot, Miller, und weißt es nur noch nicht, du Gauner, du Kartenhai.

Die Lampe flackerte wieder, aber keiner achtete darauf. Über dem Tisch mit der braunen Mahagoniplatte lag die Spannung, als hätte man die fünf Männer unter eine Glaskugel gesetzt, aus der sie nicht entkommen konnten.

Miller saß da und lächelte. Die fünf Karten lagen in seiner Linken. Nur eine von ihnen ragte hervor und verließ den Halbbogen. Miller hatte ein ganz normales Gesicht. Er war glattrasiert, wirkte jovial, freundlich und sogar lustig.

An diesem nur mittelgroßen Mann war nichts auffällig, nicht mal die Kleidung. Allerdings brauchte sich ein erfahrener Mann nur Millers Hände anzusehen. Sie hatten keine Schwielen, keine Lassonarben. Es waren Hände, die nie eine harte Arbeit gemacht hatten – Spielerhände, wie Bragg sie zu Tausenden gesehen hatte.

Du ahnst es nicht, dachte Bragg, denn ich bin dir fremd. Ich heiße John Bragg und spreche wie ein Mann, der aus dem tiefen Süden stammt. Mehr weißt du nicht von mir, Miller. Du weißt nicht, wer mein Vater war – und das ist dein Tod. Mister Miller, oder wie du sonst noch heißt. Du bist ein Falschspieler und die drei anderen Burschen sind es auch. Da ist Jeff Wells, der Berufsspieler dieser Spielhölle, der für den Salooner arbeitet. Wells macht das dreckige Spiel mit. Da rechts sitzt Parker. Er sieht wie ein Viehhändler aus, aber er ist keiner. Seine Hände sind verarbeitet, doch schwere Arbeit hat er vor Jahren mal getan. Er muß viel reiten, daher die Hornhaut an seinen Handballen.

Links sitzt Stevens, kaum älter als zwanzig Jahre, aber der Bursche ist clever.

Miller trug den Colt vor dem Bauch im Gürtel. Der Kolben ragte empor und saß vor dem untersten Westenknopf. Wenn Miller zog, würde er zu langsam sein, denn John Bragg reagierte so schnell wie sein Vater, der William Desmond erschossen hatte, den größten Falschspieler des Landes.

Bragg registrierte jetzt die Bewegung von Millers rechter Hand. Der Mann schien völlig gedankenverloren nach der abgelegten Karte zu greifen. Er schob die eine mit dem Zeigefinger an die andere. Jetzt bildeten die beiden Karten einen spitzen, keilförmigen Winkel.

Eine Karte von den fünfen in seiner Hand ragte hervor. Sie war das Zeichen, daß er ein gutes Blatt hatte. Die beiden da auf der Tischplatte, die er spitzwinklig zusammengeschoben hatte, waren das nächste Zeichen. Er hat also Pik-As, denn sonst hätte er nicht nur den einen Finger genommen und die Karte angestoßen. Ein Finger, das ist Pik-As. Wäre es die Zehn gewesen, hätte er die Hand flach auf den Tisch gelegt, wieder weggezogen und erneut hingelegt. Mein Gott, das ist einer von William Desmonds verdammten Tricks, dachte Bragg.

Miller zog jetzt und ließ Zeigefinger und Mittelfinger wie verspielt über die Platte zurückgleiten. Das war das nächste Zeichen: Miller hatte auch den Buben. Zwei Finger, das waren zwei Zähler, also der Bube.

Wenn man es wußte, war es kinderleicht, aber wer wußte das schon? William Desmond hatte nur drei Partner gehabt, mit denen er von Schiff zu Schiff und von Hafen zu Hafen gezogen war. Drei Partner, die verschollen waren, die nie wieder aufgetaucht waren, die nur einer gekannt hatte: Lee Bragg, John Braggs Vater, den sie von Omaha bis Port Pitcairn nur Lucky-Lee genannt hatten, den glücklichen Lee.

Bragg lehnte sich zurück, er blinzelte träge, als blende ihn die Lampe über dem Tisch, aber dennoch sah er dabei, daß Parker die Rechte hob, eine Faust ballte und das Kinn auf sie stützte. Eine Faust, das war die PikFünf, todsicher.

Millers Pik-As zählte jetzt als Eins, der Bube als Zwei. Und wer hatte, wenn Parker die Fünf hielt, die Vier und die Drei?

John Bragg kratzte sich am Haaransatz, senkte wieder den Kopf und sah in sein Blatt. Er hatte nur die

Pik-Neun bekommen, die einzige Pik-Karte im Spiel, die an ihn gefallen war.

Wer hatte die Drei, wer die Vier?

Ruhig, dachte Bragg. Johnnie, bleib ganz ruhig. Die ahnen nicht, daß Lucky-Lee dein Vater war. Abwarten. Johnnie, kaltes Blut, aber dann, wenn du schnell sein mußt, dann sei es.

Bragg war es, als wäre Jim hereingekommen und hinter seinen Stuhl getreten – Jim, sein Bruder, der eiskalt sein konnte und nie etwas tat, was er sich nicht genau überlegt hatte. Er schien Johnnie über die Schulter zu blicken und zu flüstern.

»Kleiner, wenn du nicht die Nerven behältst, überfahren sie dich wie einen kläffenden Straßenköter, der ihnen vor den Karren gesprungen ist. Warte ab, sei nicht leichtsinnig, warte ab!

Du hast recht, Bruder, dachte Johnnie, ich warte noch. Ich will wissen, wer die Vier und die Drei hat. Nun, wer hat sie?

Stevens!

Der vierte Mann schob nun seine fünf Karten zusammen. Das war das nächste Zeichen, nämlich sozusagen eine Meldung. Stevens hatte die Karte also nicht in der Hand, sondern abgelegt.

Jetzt fächerte der blonde junge Bursche die Karten wieder auseinander. Danach sank seine Rechte wie müde von diesen wenigen Bewegungen zurück, und Bragg sah, daß Wells, der Berufsspieler, die Lider etwas anhob. In dem hageren Gesicht von Wells rührte sich sonst gar nichts. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, daß Wells, der ausgeteilt hatte, durch sein absolutes Nichtstun den anderen drei Kartenhaien dennoch etwas mitteilte. Er hatte keinen einzigen Pik in der Hand.

Dafür legte nun Stevens die Rechte auf die abgelegten Karten. Er schob zwei zur Seite. Seine Hand wanderte auf die einzelne Karte zu, blieb einen Moment an ihr liegen und hob sich wieder. Also da war die Pik-Drei, denn nur drei Finger berührten die eine Karte. Die Vier, wo war die Vier?

»Ich kaufe«, sagte Wells, der lange genug geschwiegen hatte. »Ich gehe mit – zwei Karten!«

Zehn Dollar eine Karte, eineWahnsinnssumme, aber dieses Spiel war wahnsinnig. Es hatte am Nachmittag begonnen, und nun standen die Zeiger der Pendeluhr an der Wand auf beinahe ein Uhr früh.

Der Saloon war bis auf die fünf Spieler und den Mann auf der Bank unter dem Fenster an der Giebelfront leer. Der alte Mann mit dem grauen struppigen Bart, der den ganzen Abend still vor sich hin getrunken hatte, lag da und schlief mit offenem Mund. Auf dem Tisch vor der Bank stand die leere Whiskyflasche, die der Waiter vorläufig nicht holen würde, denn der schlief auch.

»Ich dachte, du wolltest aussteigen, Mann«, sagte Miller freundlich. »Lohnt sich das Risiko noch für dich?«

»Vielleicht«, murmelte Wells achselzuckend. Er schob die zwanzig Dollar zu dem Haufen, nahm zwei neue Karten auf, fächerte sie auseinander, um zu zeigen, daß er wirklich nur zwei Karten hatte und steckte dann jedes Blatt für sich in den Halbkreis der anderen. Die erste Karte, die zweite und…

Pik! schoß es Johnnie Bragg durch den Kopf. Er hat Pik aufgenommen. Er steckt sie an den Anfang. Jetzt sinkt seine Hand herab, er hat zwei Karten gedrückt und schiebt sie mit vier Karten zu den anderen auf der Platte. Er hat die Vier gekauft, ich werde verrückt!

Johnnie saß still. Es pochte und hämmerte in seinen Schläfen.

»Ruhig, Kleiner, ruhig!«

Ihm war es, als spräche Jim, sein großer Bruder, zu ihm. Aber wie sollte man ruhig bleiben, wenn man endlich den Trick erkannt, die verdammten Gauner durchschaut hatte?

»Und zwanzig…«

Jeff Wells Stimme kam wie aus weiter Ferne zu Johnnie Bragg.

So herum lief das Spiel also, aber es hatte nichts Geheimnisvolles mehr für Johnnie Bragg, den Mann aus New Orleans, den es nach Westen verschlagen hatte, nach San Antonio in Texas.

Johnnie Bragg wußte, was nun passieren würde. Parker warf die Karten hin. Er tat es geschickt, obgleich es so normal aussah. Jetzt griff er zu. Er hatte die Pik-Fünf oben auf dem Packen. Dort lag sie. Stevens mit seiner Pik-Drei hatte die Karte so hingeschoben, daß er die anderen Karten, wenn er hinwarf, auf sie brachte. Dann mußte die Drei unten liegenbleiben.

Mein Gott, war dieses System teuflisch erdacht worden. Derjenige, der die Karten aufzunehmen hatte, nahm erst die Karten Parkers hoch. Die PikFünf lag dann oben. Packte er danach Stevens Paket hinauf, mußte Stevens Pik-Drei auf die Fünf geraten. Diese eine Karte klemmte der Austeiler jetzt mit dem Daumennagel fest. Er ließ die darüberliegenden Blätter einfach abrutschen und würde Millers beide Pik-Karten, die Miller zuunterst gepackt hatte, auf die Drei bringen. Dann lagen die ersten vier Pik-Karten in einem Blick zusammen.

Miller teilt aus, dachte Johnnie Bragg, Miller gibt. Er läßt Stevens abheben, nachdem er auch noch die Pik-Vier von Wells auf die vier schon liegenden Karten gebracht hat. Fünf Pik in nahtloser Folge. Die kleinste Karte ist dann das Pik-As. Das As zählt als Einser. Danach kommt die ganz komplette Reihe, ein Blatt, das nur mit einem Royal Flush, allen vier Assen, schlagbar wäre. So haben sie mich hereingelegt, die Halunken.

Sein Mund war papptrocken, sein Pulsschlag dröhnte wie der Schlag einer schweren Pauke. Er wußte nun, was sie getan hatten, aber begriff es nicht ganz, denn woher kannten sie die Tricks, wer hatte sie ihnen beigebracht?

Johnnie Bragg sah Wells an. Wells mochte knapp über dreißig sein, Parker etwa fünfunddreißig, also blieb nur Miller übrig. Ray Miller, der sanft lächelnde Mann mit den freundlichen Manieren.

Miller? dachte Johnnie. Der heißt doch nie Miller. Dieses Gesicht ist mir irgendwie bekannt. Irgendwo ist mir der Mann schon mal begegnet.

»Genug für mich«, sagte Stevens jetzt. Er tat so, als hätte er genauso genug von der Hochtreiberei wie Parker, der schon abgelegt hatte. »Mir reicht es. Das ist ja verrückt, Leute.«

Miller hob den Kopf, er sah Johnnie an, als er zwanzig Dollar in die Tischmitte schob.

»Nun, mein Freund?«

Dieser falsche Halunke, dieser doppelzüngige Gauner! Er wußte schließlich genau, daß Johnnie keine Chance hatte, denn das Spiel war schon zu lange mit vier Mann gegen einen gelaufen. Johnnie hatte vierhundertachtzig Dollar verloren, weil der Kerl gemeinsam gegen ihn getrickst hatte.

»Nun, mein Freund?«

»Aus«, sagte Johnnie Bragg. »Aus für mich, Mister.«

»Nun gut«, Miller nickte sanft und freundlich. Sein Blick wanderte zu Wells. »Und zwanzig, Wells.«

»Gut, gut«, machte Wells mit seiner etwas hohl klingenden Stimme. »Zwanzig, Miller, aber aufdecken wollen wir doch, oder? Nur nicht bluffen.«

Wie sie sich ehrlich gaben und doch genau wußten, daß Miller Wells niemals schlagen konnte, denn Wells hatte die Pik-Vier wieder gedrückt und dafür seine alte Karte genommen.

Johnnie saß da, alle Muskeln angespannt.

Warten, dachte er, noch warten, bis Miller die Karten austeilt.

Vorher mischte er sie.

Mischen muß man können, hat unser Vater immer gesagt, es ist die wahre Kunst bei einem Kartenhai.

Johnnie Bragg gähnte. Er wußte, sein Augenblick kam gleich. Dieses zweimalige Mischen sollte absolute Ehrlichkeit vortäuschen. Dabei geschah es nur, um einen Narren, der den faulen Trick nicht kannte, richtig hereinzulegen.

Miller drückte das Paket zusammen, indem er die Linke senkte und es auf denTisch brachte.

»Abheben, Wells?«

»Ja«, sagte Wells gähnend. »Das Spiel noch, dann ist für mich Schluß. Spät genug, Leute.«

Die eine Karte in der Mitte des Haufens ragte um eine Daumennageldicke vor. Es war die fünfte Karte über jenem Block von fünf Pikblättern. Wells griff zu, hob den Haufen genau dort ab, klatschte ihn neben den liegengebliebenen und packte nun beide zusammen.

Die fünf Pik lagen jetzt obenauf. Miller streckte die Linke aus, wollte die Karten ergreifen und sah niemand an. Er schien ganz mit den Karten beschäftigt zu sein.

In derselben Sekunde zuckte Johnnie Braggs Hand unter die Jacke. Sie schoß nach vorn und sofort zurück, als sie den Kolben des Achtunddreißigers hatte.

Es war wirklich nur ein Zucken, mit dem die Hand den kurzläufigen Revolver herausfischte, die Mündung herumschwenkte und sie mitten auf Millers Brust richtete.

»Halt!«

Braggs Stuhl flog nach hinten, während er blitzartig auf die Beine sprang und sofort einen Schritt zurückwich. Er sah Millers rundliches Gesicht, die Augen, in denen jäher Schreck stand. Miller war völlig überrascht worden.

Wells, beide Hände auf der Platte, saß still, als wäre er zur Salzsäule erstarrt. Parker war zusammengezuckt, zog nun den Kopf ein und schien keinen Hals mehr zu besitzen. Stevens öffnete den Mund, als wenn er etwas sagen wollte, aber er schwieg.

»Niemand rührt sich!« sagte Johnnie Bragg scharf. »Miller, die fünf oberen Karten abheben! Halt, Parker, nicht bewegen, oder ich drücke ab und Miller kippt tot vom Stuhl. Miller, du verdammter Bursche, die fünf Karten nehmen und…«

Da klappte die Tür laut.

Bragg sah aus den Augenwinkeln die sich öffnenden Flügel und die Frau in der Tür stehen, die ahnungslos hereingekommen war. Sie verharrte, als sie erkannte, was sich am Tisch abspielte.

Johnnie Bragg blickte auf das schmale Gesicht der Frau, umrahmt von hellblondem Haar, das fast unter dem dunklen Umschlagtuch verschwand, das sie um die Schultern und über das Haar gezogen hatte, weil es draußen zu feucht und diese Nacht zu kühl geworden war.

Es war Anne!

Sie stand da und sah ihn aus ihren großen blaugrünen Augen bestürzt an. Dann hob sie die Hand, ließ den linken Türflügel los, obgleich sie dazu genauso wenig fähig sein konnte wie zu dem Schritt, den sie nun tat, denn Anne war tot, Anne lebte nicht mehr.

Dort in der Tür war aber Anne Bragg, die Frau seines Bruders Jim, die er, Johnnie, in Vicksburg begraben hatte.

Der Schock kam und ließ Johnnie Braggs Verstand für eine Sekunde stillstehen. Es war, als hätte ihn der Schlag getroffen.

Dann sah er, daß sie kein Kleid trug, daß das Umschlagtuch die dunkelbraune Lederweste und das buntkarierte Hemd halb bedeckte. Plötzlich erkannte Bragg, daß sie einen Waffengurt trug, ein Halfter, in dem ein Revolver steckte, daß sie Hosen und Stiefel angezogen hatte.

Es war nicht Anne, die schöne Anne, Jims Frau.

Sie sieht nur aus wie Anne, dachte Bragg und hörte das Dröhnen unmittelbar vor sich. Irgend etwas stieß gegen nachhallendes Holz und riß ihn aus der Verwirrung, in die ihn der Anblick des Mädchens gestürzt hatte.

Er reagierte zu spät.

Wells flog samt dem Stuhl hintenüber, hatte unter die Tischplatte getreten und sich abgestoßen. Der Stuhl krachte um. Miller war irgendwie auf die Beine gekommen, und in seiner Hand lag wie hingezaubert der Colt.